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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960904018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-04
- Monat1896-09
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Augenblicklich steht die Frage in Frankreich im Vordergründe dcS Interesse-, Die Zahlenmenschen, die Millionen zu Millionen zählen und mit naivem Behagen ein Plus des Zweibundes gegenüber dem Dreibunde von drei Millionen herausrechnen, finden hier nur noch wenig Gehör, man siebt das Thörichte ihres Beginnens immer mehr ein und erkennt, daß es sich in erster Linie um ganz andere Fragen handelt. Zunächst handelt es sich um eine möglichst zahlreiche und möglichst gut ausgebildete Armee der vordersten Linie. Man sucht sie zu erhalten, indem man in die Cadres des stehenden Heeres die Reserven einschiebt. Wird diese Orga nisation im Feldzuge sich aber auch wirklich bewähren? In Frankreich hat — bei uns sind die Verhältnisse ein wenig günstiger — ein Hauptmann im Frieden kaum mehr als neunzig Mann unter seinem Befehle. Im Kriege kommen dazu mit einem Male hundertundsechzig Reservisten, mit denen er sofort ausrücken muß, um vielleicht nach einigen Tagen schon im Gefechte sie zum Angriff zu führen. Wird er wirk lich seine Compagnie, von der er kaum ein Drittel kennt und die ihn nicht kennt, völlig in der Hand haben? Es sind schwerwiegende Bedenken dagegen geäußert worden. Neulich schrieb ein Hauptmann dem „Matin": Es ist keine Ueber- treibung nnd keine Prahlerei, ich würde es auf mich nehmen, mit der Compagnie, die ich in Friedenszeiten habe, diejenige zu schlagen, die ich im Kriege zu führen hätte. Ganz eigen- thümliche Erfahrungen hat man in dieser Beziehung voriges Iabr auf Madagaskar gemacht. Aus den vorzüglichsten Officieren und Unterofficieren und ausgesuchten Mannschaften hatte man das sogenannte 200. Linienregiment gebildet. Von dieser Truppe, die niemals zum Zusammenstoß mit dem Feinde gekommen ist, sind volle zwei Drittel Krankheiten er legen. Trug das Klima wirklich ganz allein die Schuld? Die angesehensten Autoritäten behaupten, daß jedes beliebige andere Regiment den Strapazen besser gewachsen gewesen wäre, als diese Elitetruppe. „Die Schuld lag an der fehler haften Zusammensetzung deS Regiments", schreibt einer der Officiere, dessen Mannschaften nicht die Zeit gehabt halten, Freundschaft zu schließen und ihre Waffenbrüderschaft auf gemeinsame Erinnerungen und Traditionen, auf zusammen ertragen Strapazen und zusammen erlebte Freuden zu gründen. „Eine Reihe von Perlen ohne Schnur." Man wird einwenden, daß die Verhältnisse hier ganz besonders ungünstig liegen und daß es doch eine ganz andere Sache sei, wenn mehr als ein Drittel der Soldaten an ihre Führer gewöhnt sind und so einen festen Kern bilden. Allein, rst dieser Kern wirklich so zuverlässig? In Frankreich scheint die Sache in Folge der dreijährigen Dienstzeit besonders günstig zu liegen. Allein in Wirklichkeit werden Viele bereits nach einem Jahre entlassen. Und die gebildeten jungen Leute, denen man die Freiwilligenberechtigung genommen bat, bekommen fast Alle nach einem Jahre ein sogenanntes Commando, bei dem sie die Fühlung mit der eigentlichen Truppe fast ganz verlieren. Wie dem abbelsen, ohne die ohnehin ungeheuren Kosten noch erheblich zu steigern? Mit dieser Frage beschäftigte sich kürzlich ein Aufsehen erregender Aufsatz leS Generals Lambert. Lambert ver langt nichts Geringeres als die Wiedereinführung des Be rufssoldaten. „Wir brauchen drei Kategorien Soldaten; die erste ähnlich den Freiwilligen von 1813, deren militairische Erziehung in sechs Monaten vollendet sein kann. Dann die völlig ausgebildeten Soldaten; für sie genügt eine dreijährige Dienstzeit. Endlich die Berufssoldaten, die den jungen Kameraden die Liebe zum Soldatenleben, die Religion der Fahne beibringen und sie Ausdauer, Unverzagtheit, Todes verachtung lehren." Die Auslassungen des „HeroS von BazeilleS" riefen Zustim mung und Gegenerklärungen in verschiedenen grvßerenZeilungen hervor. Damit schien die Sache vor der Hano abgetban. Allein jetzt veröffentlicht der „Matin" das Ergebniß einer förmlichen Enquete über diesen Gegenstand, und zwar ein höchst erstaunliches Ergebniß. Zunächst ersehen wir daraus, daß die um ihre Meinung angegangenen Persönlichkeiten sich in völliger Uebereinstimmung über das Was? befinden, und daß nur über daS Wie? ihre Ansichten theilweise aus einandergehen. Soschreibt derfrühereKriegsministerduBarreil, daß für ihn die Wiedereinführung des Berufssoldaten geradezu ein Glaubensartikel sei. Dann erfährt man aber, daß die Sache nickt etwa ein vage Idee ist, die in einigen Köpfen spukt, sondern baß sie schon lange an maßgebender Stelle ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist. Der Vicomte de Montfort theilt nämlich mit, daß er bereits am 10. März 1894 einen Antrag, betreffend die Capitulation einfacher Soldaten, eingebracht habe und daß dieser Antrag vom Kriegsminister im Princip gebilligt und von der Heerescommission der Kammer fast einstimmig angenommen worden sei. Die Sache scheint also gar nicht so aussichtslos zu sein. Es fragt sich nur, ob eine genügende Anzahl von Soldaten sich finden wird, die gegen eine einmalige Prämie und gegen erhöhten Sold ohne Aussicht auf Beförderung für lange Jahre sich verpflichten würden. Die Zahl der nolh- wenbigen „Veteranen" wirb von einer Seite aus zweihundert tausend angegeben, während Lindere erklären, daß schon der dritte Theil genügen würde. Die Kosten sollen durch eine Verkürzung der Dienstzeit für die übrigen Soldaten aufgebracht werden. Da übrigens von anderer Seite ein Antrag aus Einführung der zweijährigen Dienstzeit eingebracht werden soll, so sind für den Herbst interessante Militairdebatten zu erwarten. Ich sehe hier von jeder Kritik ab. Aber ich hielt es für angebracht, über diese eigenthümliche Strömung in franzö sischen militairischen Kreisen wenigstens kurz zu berichten. Jedenfalls ist es bemerkenSwerth, daß eine solche Ansicht im „Lande der Gleichheit" so viele Anhänger gewinnen kann. Die Wiedererstebung einer Art Söldnerheeres wä« ein starker Gegensatz zu dem Milizsystem, wie es der Traum unserer „fortgeschrittenen" Elemente ist. Deutsches Reich. 0. H. Berlin, 3. September. Während auf dem Programm des socialdemokratischen Parteitages in Gotha die Landagitation nickt stebt, werden die massenhaft für diesen Monat und im October einberufenen Parteikonferenzen haupt sächlich mit der genannten Frage sich beschäftigen. Die Parteiconserenzen sind meistens nach denjenigen Städten ein berufen worden, die von einer großen Landbevölkerung um schlossen sind und in denen man den „Bauernfang" am vortbeilhaflesten betreiben zu können meint. So ist für die Provinzen Ost- und Westpreußen ein Parteitag nach Elbing einberusen; die „Genossen" des pommerscben Wahlkreises Randow-Greifenhagen werden sich am 20. September in Bredow treffen, in Lüneburg werden sieben Tage früher die hannoverschen Genossen zusammenkommen, und am 13. Sep tember wird die Landcsconferenz für das Herzogtbum Braun schweig in Blankenburg zusammentreten, um ganz ausführlich die ländliche Agitation zu besprechen. Die „Genossen" sür den Wahlkreis Oberbarnim haben geglaubt, die Landagitation in ihrem Sinne am besten fördern zn können, wenn sie in zahlreichen Versammlungen gegen die preußische Gesinde-Ordnung Sturm liefen. Der am 20. September in Berlin zusammentretende Provinzial Parteitag der Provinz Brandenburg wird über diese Angelegenheit definitiv Beschluß fassen. Auf der ganzen Linie soll also im Herbst die Land agitation in den Vordergrund der öffentlichen Discussion gerückt werden, um das nachzuholen, was im Frühjahr und Sommer versäumt ist. An den einzelnen Sammelstellen soll die socialdemokratischc Literatur wieder in Massen aufgebäuft sein, um bei passender Gelegenheit wieder auf das Land geworfen zu werden. Bis jetzt freilich ist bekanntlich die socialdemokratische Landagitation pro uilrilo gewesen. Aber zäh und ausdauernd sind die socialdemokratischen Hetzer; waö ihnen beim ersten und zweiten Wurf nicht gelungen, kann beim dritten glücken, wenn diejenigen Elemente auf dem Lande, welche sich die Bekämpfung der socialdemokratischen Agitation zum Ziel gesetzt haben, in ihrem Eifer nachlassen. * Berlin, 3. September. Die Verbreitung von unrichtigen Mittbeilungen über Conslicte in den deutschen Colonien scheint zu einem Spork zu werden. Gegenwärtig geben auf Grund von „Privatbriefen" ungenannten Ursprungs Nach richten durch die Presse, wonach in Deutsck-Südwest- afrika zwischen dem Landeshauptmann Leutwein und dem ibm für die Civilverwaltung beigegebenen Assessor von Lindequist Mißhelligkeiten entstanden wären, die zur Folge haben sollten, daß der Letztere seine Entlassung nach gesucht habe: auch die Officiere der Schutzlruppe seien unzu frieden über Leutwein's zu große „Nachgiebigkeit" gegen die Ein geborenen; Major Leutwem werde demnächst aus Urlaub nach Deutschland kommen u. s.w. Wir haben diese auf den ersten Blick den Eindruck der Unzuverlässigkeit machenden Angaben nicht erwähnt. Wie uns heute Abend telegraphisch gemeldet wird, erfährt die „Nat.-Zlg.", daß sie vollkommen unbegründet sind. Es mag ja in Deutsch-Südwestafrika Leute geben, denen die Politik des Landeshauptmanns den Eingeborenen gegen über nicht „schneidig" genug ist und die deshalb solche Dar stellungen nach Deutschland senden; der Assessor von Lindequist aber beabsichtigt nicht, seine Stellung in dem Schutzgebiete aufzuzeben; wenn Major Leutwein demnächst einen Urlaub nehmen sollte, so wird er damit nur eine Absicht ausführen, welche er schon vor dem Ausbruch deS von ihm rasch und energisch niedergeschlagenen Aufstandes erklärt batte und damals verschieben mußte, aber er wird nack Beendigung des Urlaubs auf seinen Posten zurückkehren. Es ist keinerlei haltbare Begründung einer Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung bekannt. * Berlin, 3. September. Vom Rhein wird den „Berl. Pol. Nachr." aus industriellen Kreisen geschrieben: „Bei den Auseinandersetzungen über die Zu stände in der nationalliberalen Partei steht den, von der „National-Ztg." vertretenen Ansichten am schönsten die „Rh.-Wests. Ztg." gegen über. Diese verlangt, daß die Nationalliberalen den Agrariern näher rücken sollen und demzufolge Freiheit für die Parteimitglieder, selbst die extremsten Forderungen der Agrarier zu unterstützen, oder selbst Anträge in dieser Richtung zu stellen. Bei den Erörterungen in der Presse ist die „Rh.-Wesif. Ztg." allgemein als das Organ der rheinisch-westfälischen Großindustrie bezeichnet und daher angenommen worden, daß ihre Haltung in Len erwähnten Fragen den Ansichten jener Groyindustriellen entspreche. Diese Annahme ist jedoch durchaus unzu- tres send. Es soll nicht bestritten werden, daß zu der „Rh.-Westf. Ztg." auch einige Großindustrielle stehen; ihre Zahl ist jedoch außerordentlich gering. Der übergroße Theil der rheinisch-westfälischen Großindustriellen steht auf einem ganz anderen Standpunkt. Diese Vertreter der Großindustrie hallen es nach wie vor sür erwünscht, daß in den wichtigen wirthschaft- lichen Fragen Industrie und Landwirthschaft, diese Hauptpfeilec des nationalen Wirihschaslslebens, zusammenstehen. Sie haben nicht vergessen, daß es erst gelang, den Gedanken des Schutzes der nationalen Arbeit zum Siege zu fuhren, als die lange Zeil extrem sreibändlerisch gesinnte Landwirthschajt sich auch jenem Gedanken zuwendeie und ihn vertrat. Diese Gemeinsamkeit der Anschauungen und Bestrebungen ist jedoch von der neueren agrarischen Richtung ausgegebcn worden. Tie rheinijch-weslsälischen Industriellen haben mit Bedauern erkennen müssen. Laß die Großindustrie und deren jo wesentliche > stu.idla ie, bas mobile Capital, von keiner Seite, selbst kaum von der Social- demokrarie, >o energisch, jo gehässig angegriffen werden, wie von den gegenwärtig sührenden Kreisen der Agrarier und deren Preßvrgancn. In Lleien Krcuen muß die Industrie leider jetzt ihre schärfsten und gefährlichsten Gegner erblicken. Diese Gegnerschaft hat sich auch lchon genügend tbaljächUch erwiesen, wie beispielsweise bei der Ablehnung des D v r t m u n ü - R h e i n - C a n a l S und durch das feindselige Anflreien der Handelsvertragspolitik gegenüber. Bei solchem Verhalten ist eine Annäherung der Industrie au Las Agrarierthnm vorläufig ausgeschlossen. Daher besteht zwischen der Haltung der „Rh.-Wests. Zig." in den Eingangs er wähnten Fragen und den GroginduslrieUen jener Bezirke, von Ein zelnen abgelehen, durchaus keine Gemeinschaft; im Gegeutheil, die Ansichten jener Zeitung und die Art und Weise, in der sie zum Ausdruck gelangen, werden von den Industriellen mit außer ordentlichem Befremden betrachtet. Es bedarf wohl nur der Feststellung dieser Thatjache, um die durchaus irrthümliche Annahme zu berichtigen, daß die „Rh.-Wests. Ztg." die Ansichten der rheinisch. Fruilletsn. Sagen nnd Sänge aus Kreta. Von vr. Ernst Niemann. Nachdruck verboten. Seit Herder und Goethe ist eS allgemein anerkannt, daß den tiefsten Blick, den wir in die Seele eines Volkes tbun können, uns seine Lieder öffnen. Diplomatische Berichte können entstellen, beobachtende Reisende fick irren, Erzeugnisse der Kunstpoesie idealisiren: was das Volk selbst singt und sagt, das ist der Naturlaut seiner Seele. So wird es in diesem Augenblicke, wo die Kreter in einem Kampfe stehen, dem Wohl Niemand seine menschliche Theilnahme verweigern wird, von Interesse sein, in die reiche Volkspoesie des Insel volks ein paar Streifzüae zu unternehmen, zumal da in dieser Poesie ein reicher Schatz dichterischer Schönheiten auf gespeichert ist. Naturgemäß lenken die historischen Lieder unsere Aufmerk samkeit zuerst auf sich. Sie sind packend, leidenschaftlich, voll von heißem Türkenhasse. Den ersten Einfall der Türken in Sfakia (1770) besingt ein altes Lied; es erzählt, wie der Türke den Ssakioten vergeblich die lockendsten Anerbietungen macht; todeSmuthig stürzen sie zur Schlacht, deren Schrecken folgende Verse tief poetisch schildern: Ta liegt aus blut'gem Cchlachtgefild manch engelgleichrr Held, Mit Blut beströmt, das Angesicht voin grausen Tod entstellt. Und an der Totsten Seite knien die Mütter schmerzzerrissen, Aus ihren Augen fort und fort die dunklen Thränen fließen. Aus ihrem todesbleichen Mund ertönen dumpfe Klänge, Bald gilts der tapfern Helden Preis, bald sind es Grabgesänge.*) Die Türken werden endlich geschlagen; ihnen nach tönt der Hohnruf des Liedes: Die Türken unter Weh und Ach bis nach Rethymo lausen, Da fragt man sie: „Wohin sind denn die Waffen auch gekommen?" „Die Ssakioten haben sie als Beute uns genommen." Und wieder fragt'«: „Wo habt ihr denn die Helden all gelassen?" „Die Ssakioten im Gebirg, die Schrecklichen, sie fraßen. Und noch zum Dritten fragt man sie: „Wo sind denn eure Führer?" „Gewürgt von den Ssakioten all'." — „O schade um die Führer." Tie meisten der Hrlden und Heldentaten deS mehr als 100 jährigen Freiheitskrieges sind in solchen Liedern fest gehalten worden, die sich durch naive epische Fülle auS- zeicknen und wiederholt in überraschender Weise an die Gesänge Homer'- erinnern. Wer dächte nicht an die Rosse *) Die Verdeutschungen rühren, so weit nicht ander« bemerkt, von Melena, Sander« und Lübkr her. des PatrokloS, wenn der Ausgang des vielgefeierten Chadzi MichaliS schlicht und ergreifend erzählt wird: Und wie er da zu Rosse steigt, fängt an das Roß zu weinen: Da hat es sich ihm klar gezeigt, der Tod würd' ihm erscheinen. Und wieder spricht er ein Gebet, setzt fest sich, giebt die Sporen Dem Rosse und hinausgesprengt ist er da aus dem Thore. Eine der zahlreichen ergreifenden Episoden auS diesen Kämpfen behandelt die Ballade von Georgis Skatooerga. Echt balladenmäßig setzt sie ein: Georgis, Held Georgis, hast ost die Hände roth. Gefärbt in Türkenblute, gieb Einem noch den Tod. WaS ist's? Der Türke Ariph bat Georgis' Schwester erdolcht, weil er sie nicht zu Willen machen konnte, und den jammernden Vater erschossen. Held Georgis aber weilt fern in der Gefangenschaft. Die Möven bringen Kunde von Kretas heimischen Strand. Er hört die Möven, schüttelt und sprengt sein Sclavenband. Er findet den Weg in die Heimath, gräbt deS Vater- Leiche aus und schneidet Aripb'S Kugel aus. Dann wartet er des Gewalthabers» der dem Vater und der Tochter noch den Sohn gesellen will, und mit der Kugel, die den Vater ins Grab schickte, zielt er nach dem Herzen und trifft, der Schütze, gut — Der Ariph wälzt sich röchelnd in seinem schwarzen Blut. (Uebers. von Chamisso.) Eine ähnliche wilde und düstere Stimmung waltet in anderen Erzeugnissen der kretischen Volkspoesie. Uralt ist die Sage von den neun Brüdern, die in eigenartiger Weise Verwandtschaft mit Bürger'« „Lenore" zeigt. Neun Söhne hat eine Mutter und eine Tochter, Arely. Ein Freier aus fernem Lande begehrt das Mädchen, acht Söhne versagen sie, Konstantin aber veranlaßt, daß die Schwester ihm vermählt wird. Da rafft ein UnglückSjahr alle neun Brüder hinweg, und die gebrochene Mutter läßt allein daS Grab Konstantins ungeschmückt, der ihr auch die Tochter geraubt. Bei Nacht hebt sich Konstantin auS dem Hades, sein GrabeShügel wird zum schwarzen Rosse, er reitet gen Saloniki, findet Arety im frohen Reigen und führt sic von dannen. „O Bruder, Du reitest so schaurige Bahn! Die Vögel, sie singen, hör an, hör an: „„Ein schöne« Weib führt der Totste davon!'"' — „O Schwester, hör nicht auf der Vögel Ton, Nur Lügen sind's, die sie singen und sagen, Zur Mutter heim soll uns der Rappe tragen." So bringt er da- Weib zum Hause der Mutter. Arety klopft, die Mutter: sie öffnet — ihr Kind umschließt sie wieder — Eine Leiche — und sinket alS Leiche nieder! Andere Veranlassung zu finsteren Sagen gab da- kretische Räuberleben. In den „beiden Brüdern" schlägt der Räuber einen Kaufmann nieder. Der Todtwunde klagt um seine Mutter. „Wo ist denn Deine Mutter her? Will einen Bries ihr schreiben." „Aus Arta ist die Mutter her, aus Kreta mein Vater; Hott' einen ältern Bruder auch, der ist ein Räuber worden." Der Hauptmann fing zu zittern an, er nahm ihn in die Arme, Er trug in seinen Armen ihn und bracht' ihn zu den Aerzten. Aber alle Hilfe ist umsonst, der Räuber hat seinen Bruder erschlagen, und nun steht er vor den erbeuteten Mauleseln und klagt: „Wie sag' ich unserm Vater es, wie unsrer armen Mutter? Mein Bruder fiel von meiner Hand, da bring ich seine Tbiere." (Uebers. von W. Müller.) Wie ein Lichtstrahl in solche Nackt fällt die Historie von dem kühnen NäuberSmann, dem beim Schwerlerspiel die Busenspange bricht, und — bell lacht Weibesfchönheil in der Sonne und ein Helles Bürschchen spricht: „Ganz Kreta vor uns zittert, wir kämpften manchen Strauß, Und seht, jetzt lacht am Ende ein Mägdelein uns aus." Solche leichtere Töne treffen wir nun besonders in der kretischen Liebespoesie, unter der sich wahre Perlen befinden. Wie graziös hüpft das Liedchen vom „Backfischchen" dahin: Herzcnsmutter, wasche mich, Herzensmutter, kämme mich, Aber in die Schule Mag ich nicht mehr gehn. Herren dort vorüberreiten, Fein zu Fuß, zu Pferde kühn; Einer ist vor allen Ritterlich und schön. Lächelt immer so charmant, Grüßt mich immer so galant, — Möchtest mich beneiden, Würdest Du ihn sehn. Etwas ungalant ist das Lied vom „verrathenen Kuffe". DaS Mädchen beklagt sich, daß seine heimlichen Küsse ver- rathrn seien. Ja, meinte der Bursche: Als ich Deine Lippen küßt', Färbten sich dir meinen; Mit dem Tücklein wischt' ich's ab, Roth begann'- zu scheinen. Dann habe er daS Tüchlein im Flusse gewaschen und so sei das süße Geheimniß dem Flusse und dem Meere kund geworden. Und dem Schiffer hat'« daS Meer Plätschernd zugeraunt: Schiffersmann hat eS dann laut In die Welt posaunt. Sehr schalkhaft und anmutbig ist auch rin Tanzlied, in dem der Bursche vom Mädchen einen Kuß fordert, da« Mädchen aber erst einen Ring von ihm haben will. Sagt der Bursch: „Meinst wohl, daß ich ein Goldschmied sei, Potzhimmel, liebes Mägdelein, Daß ich mach' goldene Rmgelein Für zarte Mädchenfingcrlcin?" „Meinst wohl, ich sei ein Waisenkind, Daß ich Dir Küsse schenke süß, Lhn' daß ich auf den Finger mir Ein gold'nes Ringlein streifen ließ?" Indessen fehlen den Liebesliedern auch Klänge anderer Art nicht; ihr Grundzug ist eine dunkle heiße Leidenschaft lichkeit, himmelhoch jauchzend in Seligkeit und dann wieder bitter verzweifelnd. Der Liebste kann nicht zu seinem Mädchen: Da war das Gebirge mit Seufzern, Das Thal mit Thräuen gefüllt; Es flatterten in der Bergeschlucht Schwarze Locken, so wirr und wild. Bang' rief es in Feld und Hain, — Ich aber war ganz allein. Nie aber sind die Liebesklagen leer oder gestaltlos, die Ausdrucksweise ist stets anschaulich und eigenartig. Wie schön wird z. B. der Reiz der Geliebten in einem Distichon gepriesen: Die Sonne wohnt in Deiner Brust, wenn Morgens sie aussteiget; Sinkt in Dein goldenes Lockenhaar, wenn sie zur Ruh sich neiget. Wir hoffen, der Leser wird den Eindruck erhalten haben, daß unter den „Stimmen der Völker" die kretische Volks Poesie nicht unlieblich tönt. Nirgends finden wir in ihr Affectation, überall echtes Gefühl, reiche und originelle AuS- drucksmittel, eine starke und malerische Phantasie, die ebenso die düsteren Tragödien der Berge, wie der Liede schmerzlich süße Geschicke zu gestalten weiß. Zuweilen zeigen sich die Neu-Kreter ihrer dichterischen Urahnen durchaus würdig, und geradezu aus der griechischen Anthologie könnte, der Schön heit LeS Gedankens und Schlichtheit der Form nach, Las folgende Lied stammen, mit dem wir diese kleine Skizze be schließen wollen: Ich kam zu Pferd« gestern spät b«i Sanct Georg vorüber, Ich stieg herab und setzte mich und zählt« all' die Gräber; Und wie ich zählte, fehlten drei, daß es neuntausend waren. Mein Roß trat fehl und setzt' den Fuß aus eines Jünglings Grabmal; Da hör' ich, wie es unten dröhnt, wie bang der Jüngling stöhnet: „Wer bist Tu, daß Du aus mich trittst und daß Du dreist mich zählest? Ich war eines reichen Königs Sohn, eine» stolzen Fürsten Sproff«. Ernst achtet' ich die Erde nicht, den Fuß darauf zu setzen, Doch ach! jetzt dient sie mir al« Bett, dient mir al« Schlummerdecke."
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