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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960907023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-07
- Monat1896-09
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichuitz. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen - Ausgabe, ohne Posrbesörderung ^4 SO.—, mit Postbeförderuog 70.—. Annahmeschluß fiir Änzrigen: Abend-Ausgabe: Bormittag« 40 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dir Expedition zu richten. —- Druck und Berlar von E. Bolz in Leipzig ^° 456. Montag den 7. September 1896. 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. September. Das officiöse Telegraphenbureau, das gestern über die in BreSlau von unserem Kaiser und seinem hohen Gaste bei der Festtafel ausgebrachten Trinksprüche den in unserem heutigen Morgenblatte mitgetheilten Bericht verbreitete, hat unseren westlichen Nachbarn eine kurze Freude bereitet, die eS schon heute wieder vernichtet. Den Wortlaut deS Be- grüßungStoasteS unsres Kaisers hat daS Bureau richtig wieder gegeben; er lautet: „Gestatten Euere Majestäten, daß Ich Meinen herzlichsten und innigsten Dank Eueren Majestäten zu Füßen lege für den huldvollen Besuch, den Sie Beide Uns heute abstatten, und für die Ehre, die dem VI. Armeecorps zu Theil geworden, vor Euerer Majestät dcfiliren zu dürfen. Der Jubel, der aus Breslau Euerer Majestät entgcgengeschlagen ist, ist der Dolmetsch der Gefühle nicht nur der Stadt, nicht nur der Provinz Schlesien, sondern Meines gesammten Volkes. Es begrüßt in Euerer Majestät den Träger alter Tradition, den Hort des Friedens. Auf dem Boden begrüßt Sie das Volk, wo dereinst Euerer Majestät glorreicher Ahnherr, dessen Namen zu führen Euerer Majestät Garderegiment sich rühmen darf, mit Meinem Urgroßvater zusammen gewesen ist. Die Gefühle, die Wir und Unser ganzes Volk für Euere Majestät hegen, darf Ich zusammenfassen in den Ruf: Gott segne, schütze und erhalte Euere Majestät zum Wohle Europas: Euere Majestäten der Kaiser und die Kaiserin Hurrah, Hurrah, Hurrah!" Ze wärmer und herzlicher diese Worte sind und je näher sie eS dem Zaren legten, unumwunden als Pfleger jener alten Traditionen sich zu bekennen, auf die Kaiser Wilhelm II. sich berief, um so berechtigter wären die Franzosen gewesen, in der Entgegnung des Zaren eine förmliche Zurückweisung dieser Berufung zu finden, wenn die Entgegnung wirklich ge lautet hätte, wie das gestrige Telegramm meldete. Diese Meldung lautete bekanntlich: Der Kaiser von Rußland erwiderte darauf in französischer Sprache ungefähr Folgendes: „Ich versichere Ew. Majestät, daß ich von demselben traditionellen Gefühl für Sie und Ihr Haus erfüllt bin wie Mein Vater. Und von diesem Gefühl geleitet, erhebe ich Mein Glas und trinke auf das Wohl Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm und Ihrer Majestät der Kaiserin." Aber diese Meldung war, wie aus der heute vorliegenden berichtigenden Meldung des officiösen Bureaus sich ergiebt, falsch. Der Zar bat sich nicht im Gegensätze zu unsrem Kaiser, der an jenen Ahnherrn seines hohen Gastes erinnerte, der mit dem Urgroßvater des Kaisers auf schlesischem Boden zusammengewesen ist, auf seinen Bater berufen, unter dessen Regierung die alten Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland erkalteten, sondern er hat versichert, daß ihn dieselben traditionellen Gesinnungen beseelen, denen der Kaiser Ausdruck gegeben hatte. Die be richtigende Meldung lautet nämlich: Der Kaiser von Rußland erwiderte Folgendes: „Io remsrcis Votre Llajests «les bonneo xnrolog, qu'ells vient äs prauoueor aiosi que pour l'seeeuil qui w'a Stö tait ä. Lreslau. Io puls Vous nssurer, Sire, guo je eure nnims äos msmes seutimöllts traikitiouekls guo Votre Llujestö. Io dois L la kaute äs Votre ülajestö et äs 8a Llajestö I'impöra- triee. Uurrak!" Auch diese Rede ist im Vergleich zu der des Kaisers kurz und trocken. Aber der Zar ist kein Redner, der es versteht, seinen Empfindungen den beredtesten Ausdruck zu geben. Und die kurze, gedrängte Form seiner Worte macht ihren Inhalt nicht bedeutungsloser. Vielleicht faßte er sie gerade deshalb so knapp zusammen, weil er wußte, daß ganz Europa mit Spannnng ihrer wartete, und weil er jeder Mißdeutung vor beugen wollte. Eine solche ist denn auch nicht möglich. „Ich kann Ew. Majestät versichern, daß ich von denselben traditionellen Gesinnungen erfüllt bin, wie Ew. Majestät". Das sind Worte, die in Frankreich die Hoffnung auf eine Verwandlung des unter dem verstorbenen Zaren mit Rußland abge schlossenen Defensiv-Bündnisses in einen Offensiv-Vertrag völlig niederschlagen und die erfreulichste Aussicht auf das künftige Verhältniß zwischen Deutschland und Rußland er öffnen. Erfüllt den Zaren dieselbe traditionelle Gesinnung gegen Deutschland, die unseren Kaiser gegen Rußland erfüllt, so erfüllt sich auch, was der Pariser „Figaro" vor einigen Tagen, von trüber Ahnung erfüllt, schrieb: „Wohl oder übel wird uns das französisch-russische Bündniß zwingen, fortan f r e u n d n a ch b a r l i ch e Be» Ziehungen zu Deutschland zu unterhalten. Rußland selbst giebt uns das Beispiel dazu, da sein Herrscher mit dem Kaiser Franz Joseph Händedrücke gewechselt und morgen das Gleiche mit Kaiser Wilhelm thun wird, obschon Berlin und Wien gegen Rußland durch einen Vertrag verbunden sind, der aus dem Jahre 1879 stammt." Wie es möglich war, daß der officiöse Telegraph den Toast des Zaren so entstellen konnte, wird sich erst Herausstellen müssen. Daß eine Entstellung vorliege, ergab sich übrigens für Jeden, der aufmerksam die weiteren Breslauer Meldungen verfolgte, von selbst. Denn unter diesen Meldungen befand sich auch die folgende: Breslau, 6. September. Dem Vernehmen nach constatiren die hier zwischen den leitenden deutschen und russischen Staats männern stattgehabten Besprechungen von Neuem die völlige Uebereinstimmung derselben sowohl bezüglich der Gesammt- läge, als auch hinsichtlich aller gegenwärtig schwebenden Fragen. Eine solche Uebereinstimmung zwischen den Staatsmännern hätte nicht erzielt werden können, wenn sie nicht zwischen den Monarchen bestanden hätte und zum Ausdruck gekommen wäre. Ihr Ausdruck liefert die Gewähr, daß bei der Wieder besetzung des durch den Tod des Fürsten Lobanoff erledigten Postens die Wahl auf einen Mann fällt, der die Aufrechterhaltung der guten Beziehungen Rußlands zu Deutschland und dessen Verbündeten sich zur Aufgabe macht und in allen schwebenden Fragen im Einverständniß mit diesen Mächten handelt. So ergiebt sich, daß wir berechtigt waren, am Sonnabend die Erwartung aus zusprechen, Deutschland werde mit dem Resultate der Breslauer Kaiserbegegnung zufriedener sein können als Frankreich. Wenn dort der kurze Rausch verflogen sein wird, ven die Falschmeldung über den Toast des Zaren in Breslau sicherlich erzeugt, wird die Ueberzeugung Platz greifen, daß jede Ueberschwänglichkeit bei dem erwarteten Besuche deS Zaren nur neue Enttäuschungen zur Folge haben könnte. In einer Polemik gegen die Socialdemokratie, bezw. deren letztes Flugblatt zur Brandenburger Wahl weist die »Freis. Ztg." darauf hin, daß die Socialdemokraten bei einer Ersatzwahl seit 1893 auch einmal das Mandat wieder ver loren haben, nämlich in Lennep-Metlmann-Remscheid. Des halb sollten die Socialdemokraten, wie ihnen die „Freis. Ztg." empfiehlt, nicht gar zu ruhmredig sein, als ob sie das Mandat für Brandenburg schon in der Tasche hätten. Richtig ist, daß die Ersatzwahl in Remscheid damit endete, daß der Candidat der frei sinnigen Volkspartei in der Stichwahl mit Unterstützung aller staatserhaltenden Parteien den Socialdemokraten wieder verdrängte. Aber die Conservativen dort und die Conser- vativen in Brandenburg-Westhavelland sind zwei sehr ver schiedene Arten. Jene brachten es über sich, in der Stichwahl den Freisinnigen als das kleinere Uebel zu erkennen. Die Brandenburger Conservativen, insbesondere soweit sie als Bund der Lanhwirthe in Action getreten sind, haben von vornherein den Freisinn als den Todfeind erklärt, für den in der Stichwahl kein Bündler eintreten werde. Und zwar beruht diese unversöhnliche Gesinnung durchaus auf Gegen seitigkeit. Bei der Stichwahl 1893 traten die Frei sinnigen vielfach sogar für den Socialdemokraten ein, obwohl die Conservativen damals noch Einsicht genug hatten, einen gemäßigt liberalen Gutsbesitzer auch als ihren Candidaten gelten zu lassen. Selbst diesem zog der Freisinn den Socialdemokraten vor. Demnach sind eben die Aussichten für die gegenwärtige Wahl in Brandenburg so ungünstig als nur mögliches müßte eine wunderbare Selbstüberwindung und eine ebensolche Un abhängigkeit der Wählerschaften rechts und links sich zum Durchbruch verhelfen, wenn in der Stichwahl der Social demokrat nicht Sieger bleiben sollte. Oder sollte der Hin weis auf Remscheid ein Merkzeichen dafür sein, daß selbst bei den parteileitenden Geistern in diesem Wahlkampfe noch eine Revision der Aufmarschlinie bezweckt wird? Die Wahl findet erst Ende October statt. An Zeit zur Einkehr und Umkehr würde es also nicht fehlen; und unseres Erach tens könnte es kein wirksameres Mittel geben, die Conser- vativens ins Unrecht zu setzen, als durch einen ersten Schritt des Entgegenkommens, den Alle, die es mit der Bekämpfung der Socialiften ernst meinen, auf sich beziehen dürften. DaS Exposö, welches der ungarische Finanzminister von Lukacs dem ungarischen Reichstage bei seiner Eröffnung vorgelegt hat, ist reich an Aufklärungen über eine Reihe von wichtigen, die ganze österreichisch-ungarische Monarchie be rührenden Angelegenheiten. Vor Allem erhält man Auf klärungen über den Stand der Ausgleichsfrage, und wie aus denselben zu ersehen ist, daß in den meisten Puncten zwischen den beiden Regierungen eine Uebereinstimmung erzielt und die Wünsche der ungarischen Regierung mit den Anschauungen der österreichischen bezüglich der Auf rechterhaltung deS Zoll- und Handelsbündnisses und rück- fi^tlich der Zuweisung ter Verzehrungssteuern an die Cassen jenes Staates, auf dessen Gebiete der Consum erfolgt, in Einklang gebracht worden sind. Es ist aus den Aus führungen des Ministers deutlich ersichtlich, daß die Erledigung deS Ausgleiches seitens der gegenwärtigen Parlamente zweifel haft bleibt, insofern es eine Frage ist, deren Beantwortung nicht von den Negierungen allein abhängt, denn es handelt sich um die Quotenfrage, deren Lösung den Quoten-Deputationen anheim gegeben ist. Die Fortsetzung der Verhandlungen zwischen den Quoten-Deputationen ist aber erst in der zweiten Hälfte dieses Monates zu erwarten. Wichtig und neu sind die Mittheilungen über die Währungsfrage. Man erfährt daraus, daß die Negierungen bereits, wenn auch noch nicht kalendarisch, einen bestimmten Termin für die Aufnahme der Baarzahlungen festgestellt haben, als welcher das Aufhören des Zwangsverkehres anzusehen ist. Im Zusammenhänge damit ist das von dem Finanzminister bekannt gegebene Detail von Wichtigkeit, daß die österreichische Regierung die Einlösung der Salinenscheine aus eigenen Mitteln bewerk stelligen werde und daß die restlichen noch gemeinsam einzulösenden 112 Millionen Staatsnoten, durch die Ausgabe von 80 Millionen Banknoten zu 5 Gulden und durch 32 Millionen auszugebende silberne 5-Kronenstücke ersetzt werden sollen. Hierdurch wird im Wege der Umprägung Verwen dung für die der Bank zu entnehmenden Silbergulden geschaffen und, wie der Minister hervorhob, der erste Schritt zur successiven Lösung der Frage des Silbercourants gethan. Ebenso wird hierdurch dem durch Ein ziehung der Staatsnoten zu 5 Gulden zu gewärtigenden Mangel an dieser Papiergeldsorte abgeholfen. Auch die Beurtheilung des wahren Standes der Bankfrage, die an gesichts der zahlreichen in Umlauf gekommenen widerspruchs vollen Meldungen, kaum mehr in verläßlicher Weise möglich war, wird durch die Erklärungen des Herrn von Lukacs er leichtert, denn durch diese wird festgeftellt, daß, während man von einem völligen Abbruche der Verhandlungen, von zu gewärtigenden Drohnoten, — ja von einem Ultimatum der Regierungen an die Bank wissen wollte, nur noch in finanziellen Fragen Differenzen mit der Bank be stehen. Zwischen den beiden Regierungen herrscht voll ständige Uebereinstimmung und die Bedingungen Ungarns, unter denen der Bank das Privilegium weiter zu ertheilen sei, bestehen darin, daß die Bank den Credilinteressen Ungarns gerecht, die Einflußsphäre der Regierungeu erweitert, der Wirkungskreis der Directionen in Pest und Wien ausgedehnt werde, und der Generalrath in gleicher Zalü aus Ungarn und Oesterreichern zusammengesetzt werde; ferner, daß in Zukunft für die Rückzahlung der 80-Millionenschulo an die Bank, nicht mehr der ganze jährliche Gewinnantheil der un garische» Regierung zur Abschreibung verwendet werden solle. Portorico, die dritte der spanischen Colonialbesitzungeu, welche dem Mutterlande Grund zur Beargwöhnung zu geben anfängt, nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmestellung ein. Die Insel hat nämlich unter spanischer Herrschaft einen durchaus normalen Entwickelungsgang genommen und eö zu einer vergleichsweise hohen Prosperität gebracht. An und für sich bildet Portorico nur einen unbedeutenden Bestanv- theil der überseeischen Besitzungen Spaniens, aber wenn man nicht den Maßstab des Gebietsumfanges anlegt, sondern die Einwohnerzahl, die Productivität und die kommerzielle Be deutung gelten läßt, so gewinnt man ein wesentlich anderes Bild. An Flächenausdehnung erst die vierte der Großen Antillen, ist Portorico an Bevölkerungsdichtigkeit und an Wohlstand zweifellos die erste. Zur Zeit zählt Portorico etwa 900 000 Einwohner, d. h. die Insel gehört zu den dichtestbevölkerten Stricken der Neuen Well überhaupt. Der Bevölkerungszuwachs PortoricoS ist ein ebenso rascher als derjenige Canadas, indem die Kopfzahl sich durchschnittlich aller 30 Jahre, d. h. mit jeder neuen Generation, verdoppelt. Mit dem WachSthum der Bevölkerung hält die Zunahme des Wohlstandes gleichen Schritt. Es kommt hinzu» daß Portorico auch in administrativer Hinsicht nicht »ach dem colonialen Schema verwaltet wird, sondern dieselben In stitutionen wie daS Mutterland besitzt; der Generalgouverneur ist zugleich Generalcapitain der bewaffneten Macht, in jedem Hauplort befindet sich ein Officier vom Platz und ein von der Centralbehörde ernannter Alcade. Die Provinzialvertretung geht, wie in Spanien, aus allgemeinen Wahlen hervor. Aus alledem dürfte erhellen, daß gerade auf Portorico die Voraus setzungen für eine separatistische Bewegung ungünstiger liegen, als in irgend einer andern spanischen Colonie. Wenn das Madrider Cabinet gleichwohl sich zur Ergreifung gewisser Vorsichtsmaßregeln entschlossen hat, so dürfte das mit Rück sicht auf die ziemlich zahlreiche dortige Fremdencolonie geschehen sein. Dieselbe besteht zum größten Theil aus amerikanischen Elementen, und diese bilden, wie das kubanische Beispiel zeigt, einen unzuverlässigen Factor. FerriHetsn- Sühne. 22 s Roman von E. Halde». Nachdruck verkoken. Edith ruhte still und friedlich in ruhigem Schlummer, ihr tleiner Bruder aber, der im Nebenzimmer unter der Hut seiner Wärterin schlief, lag mit brennenden Wangen, starren, weit geöffneten Augen da und seine Stimme hatte einen heiseren, schrecklichen Klang. Entsetzt beugte sich die Mutter über das Kind; ihr Ruf weckte die fest schlafende Dienerin, die erschreckt in die Höhe fuhr und sich entschuldigte, weil der Kleine ihr nur leicht erkältet erschienen war, als sie ihn zur Ruhe legte. Ohne auf ihre Betheuerungen zu achten, befahl die Baronin, ihr einen Löffel zn geben. Als sie damit den Mund öffnete, sah sie all ihre Befürchtungen bestätigt, es handelte sich um DiphtberitiS, und das ernste Gesicht des binzu- gernfenen Professors zeigte ihr zur Genüge an, wie sehr ,hr Liebling gefährdet war, noch ehe seine Worte eine vorsichtige Bcstätigung ihrer angstvollen Frage ausgesprochen. Melanie sank wie vernichtet aus einen Stuhl. „Muth, gnädige Frau", redete ihr der Arzt zu, „noch dürfen wir hoffen, daß wir da« Kind glücklich durchbringen." Sie schüttelte in dumpfer Verzweiflung den Kopf und rang die Hände. „Er wird sterben, ich weiß eS", schluchzte sie, „der Fluch lastet zu schwer auf ihm, er ist ihm verfallen, mein armer Sohn!" Ihr Gemahl stand neben ihr, ohne im Stande zu sein, ihr Trost zu spenden, denn er war noch mehr als sie selbst von der Wahrheit ihrer Worte überzeugt, und er kam sich wie der Mörder des Knaben vor. Aber während er sich mutbloS und unthätig zeigte, raffte sich die Mutter bald auS der Tiefe ihre- Kummers empor; so lange eS noch etwas für ihren Liebling zu tbun gab, so lange sie ihn pflegen, seine Pein lindern konnte, dachte sie nicht an sich selbst und ihren Schmerz, sondern nur an diese Ausgabe. Vergeben- suchten der Professor und der Freiherr sie zu bewegen, sich selbst Schonung angedeihen zu lassen, Melanie achtete kaum auf sie; sie wäre um keinen Prei« von dem Krankenbette ge wichen und sie kannte weder Ermüdung, noch Anstrengung. Die schreckliche Krankheit trat mit verheerender Macht auf; schon am zweiten Tage war jede Hoffnung vernichtet. Die Operation, zu welcher der Professor seine Zuflucht nahm, konnte sich nicht mehr als hilfreich erweisen; er hatte nichts unterlaßen wollen, obwohl ihm bei der Heftigkeit des Falls von vornherein jede Möglichkeit der Rettung ausgeschlossen schien. DaS Kind litt furchtbar, und doch wollte die Mutter nicht von ihm Weichen, sich auch nicht einige Minuten der Erholung gönnen. Erst als Alles vorbei war, kostete es Mühe, sie von der kleinen Leiche zu trennen. Ihr Gemahl scklang den Arm um sie, um sie mit sanfter Gewalt fort- zusühren; da durchrann ihren Körper ein schauderndes Beben, und sie wandte sich zum ersten Male von ihm ab. Er verstand ihre Empfindung. „Willst Du mir nun doch Deine Liebe entziehen, Melanie?" fragte er traurig. „Werden wir dies neue Leid nicht mehr zusammen tragen?" Sie faßte sich gewaltsam, aber sie bat doch: „Laß mich jetzt, ich muß allein sein, ich kann jetzt selbst Dich nicht sehen." So schleppte sie sich, von Erna unterstützt, deren Beistand sie nicht zurückwieS, auf ihr Zimmer, und da mußte sie auch diese verlassen. Sie verriegelte die Thür und nun gab sie sich ihrem Schmerze, ihrer Verzweiflung hin. Sie klagte sich laut an als die Mörderin ihres Kindes. Weshalb war sie nicht von Albrecht geflohen, wie eS ihr erster Antrieb gewesen war, warum hatte sie den Knaben wollen aufwachsen lassen als den Erben von Wild burg, in Schuld und Sünde? Mußte er nicht damit die furchtbare Verheißung auf sich nehmen, die das Forterben deS Fluches bis in die dritte und vierte Generation aus spricht? Er war dem Tode verfallen, weil er der Sohn seiner Eltern war, und alle Qual, in der sein junges Leben geendet, war eine Strafe für diese. So verabscheute sie sich selbst, so grauste ihr vor ihrem Gatten. Sie hätte eS laut in die Welt hinanSschreien mögen, daß sie Schuldige und Sünder waren und daß da« schuldlose Kind für seine Er zeuger gebüßt batte. Allmählich beruhigte sich der wilde Schmerz der Mutter und ging in eine dumpfe Starrheit über, der sie nicht« ent reißen Konnte. Sie verschmähte jede Nahrung, sie sand keinen Schlaf, sie weinte keine Thräne mehr, sie sprach auch kein Wort. Der Freiherr wurde von der Sorge um seine Gattin so mitgenommen, daß für den Augenblick der Schmerz über den Verlust seines Sohne« zurücktrat, und wenn es noch etwa« gab, wa« seinen Kummer verschärfen konnte, so war eS das aus Schreck und Furcht gemischte Benehmen, das Melanie ihm gegenüber einschlug. Erna hatte die kleine Leicke, die in ihrem letzten Bettchen lag, mit Blumen geschmückt; jede Spur des Leidens war aus den kindlich reinen Zügen entwichen, eS schien friedlich zu schlummern. Sie führte nun Melanie zu dem Sarge und diese stand lange schweigend davor, in stiller Betrachtung versunken. Endlich löste sich eine Thräne von ihren brennen den Augen und rann langsam über ihre bleiche Wange; dann brach sie in lautes Weinen aus und warf sich in die Arme ihres Gatten, an dessen Brust sie ihr Antlitz verbarg. „Verzeih mir, Albrecht, daß ick gegen Dich lieblos war", bat sie, „jetzt habe ich mich wieder zurechtgefunden. Alle meine Sorge und Angst um unfern Knaben sind beendet, ihn kann ja nun kein Fluch mehr treffen, er ist in Gottes Hut." Wieder öffnete sich die Gruft der Wildburg'S, um den Erben des stolzen Besitzes auszunehmen. Ein Flüstern ging durch die Menge, die von nab und fern herbeigeslrömt war, theils um dem kleinen Sarge das letzte Geleit zu geben, theils um ihre Schaulust zu befriedigen, und alle die Worte, die leise und vorsichtig von Mund zu Mund schwirrten, drehten sich um die wunderbare und erschreckende Tbatsache, daß der jedesmalige Erbe von Wildburg dem Unheil verfallen sei, das in der einen oder anderen Gestalt auf ihn lauerte und ibn unwiderstehlich in seine Netze zog. Wenn der Freiherr, der ganz tief gebeugt, aber doch männlich gefaßt, hinter dem Sarge einherschritt, vorüberkam, so verstummte Vas Flüstern. Auf seiner Stirn las man den unbeugsamen Willen, dem Schicksal zu trotzen, und doch zeugte sein Haar und der Bart, der in wenigen Tagen ergraut war, an, wie viel eS ihm kostete, diese Selbstbeherrschung auSzuüben. Die Baronin folgte mit Erna in einem geschlossenen Wagen, den sie aber verließ, als der Zug die Familiengruft erreicht hatte, denn es war so sehr ihr Wunsch gewesen, ihr Kind zur letzten Ruhestätte zu begleiten, daß man ihrem Verlangen hatte nachgeben müssen. Auf den Arm ihres Gemahl« gelehnt, hörte sie die Worte des Geistlichen an, mit denen dieser die kleine Leiche einsegnete, ehe sie über die Schwelle des Gewölbes getragen wurde. In dem Augen blicke, wo sie selbst in die Gruft treten wollte, sank sie plötzlich um und ein Blutstrom quoll auS ihrem Munde. Der Freiherr fing sie in seinen Armen auf. Bleich, mit geschlossenen Augen hielt er sie umfangen, während ihr warmes Blut seine Hände benetzte. Der Professor unter stützte ihn, vereint trugen sie die theure Last in da« nächste Haus. Albrecht hoffte noch, glaubte an eine Ohnmacht, aber der Blick des Arztes konnte sich nicht täuschen, hier kam jede Hilfe zu spät. Achtzehnte« Capitel. Noch immer kämpften Frühling und Winter um die Herr schaft. Der eisige Nordost, der wieder die Oberhand erlangt batte, wurde jetzt durch den schnaubenden Sturm, der aus Südwest dahertobte, zurückgedrängt. Schwere Regenwolken sandten ihren Inhalt zur Erve hernieder, in den Lüften heulte und brauste eS, als stürmte der wilde Jäger auf seinen Wolkenmassen über die sich neigenden Wipfel der Bäume, von denen manch alter Stamm der Wuth des Orkans zum Opfer fiel. Erna verbarg erschaudernd ihr Antlitz an ter Brust ihres Verlobten, von dessen Arm umfangen sie sick allein sicher fühlte; ihr Schmerz löste sich in lindernde Thräne» auf und sie lauschte seinen tröstenden Worten une fühlte ihr Leid geringer werden, wenn sie ihm Alles klagen durfte. „Wenn doch dieser entsetzliche Sturm aufbörte!" scufzlc sie. „Es ist mir ein furchtbarer Gedanke, daß wir i» schützenden Mauern geborgen, einer bei dem anvern sind, während die arme Melanie allein in der dunkeln Erve, umtost von den, Orkan ruht! Sie war so sanft und gut, so schreckhaft und sie hing so an der Sckönbcit der Erde, und nun ist Alles für sie beendet, sie ist von Allem, was sie liebte, geschieven." „Mir bat eS den Eindruck gemacht, al« ob Deine Schwägerin viel Seelenschmerz erfahren hätte", sagte vcr Professor ernst, „sie war mehr Heldin, als man es nach ihrem zarten Aeußern geglaubt hätte." „In den letzten Monaten ist sie mir oft recht rätbselhaft gewesen", bekannte Erna. „Ich versuchte sie zur Mittheilung zu veranlassen, aber da sie mir ihr Vertrauen nicht frei willig schenkte, so mochte ick nicht in sie dringen. Schon lange hat das Unglück schwer auf unserm Hause gelastet, ein unbekanntes unbegreifliches Etwas, wie eine drohende Ge witterwolke, die ven vernichtenden Blitz in sich trägt, am Horizont emporsteigt und endlich das letzte Stückchen blauen Himmel, der noch tröstend herabschaute, überzieht. O, ich fürchte mich, Karl; die Angst, mit der die arme Melanie oft um ihre Kinder gezittert bat, möchte auch mich ergreifen." „Sei nickt thöricht, mein süßes Lieb," sagte der Mann ernst und fest, „auch wir werden vom Unglück nicht verschont bleiben, denn kein Menschenloo« bleibt ungetrübt, wir wolle»
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