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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960909029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896090902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896090902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
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Srößere Schriften laut unserem Preis« oerzeichniß. Tabellarischer und Ziffcrnsa» nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunz 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 UhL. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei Len Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition . zu richten. -2—— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Mittwoch den 9. September 1896. 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. September. Heber den Verlauf und die Folgen des russischen Kaiser- brsuchs in Schlesien liegt heute in der „Köln. Ztg." eine Auslassung vor, die durch ihre vorsichtige Beurtheilung die Vermuthung nahe legt, daß sie auf Informationen aus dem Auswärtigen Amte in Berlin sich gründet. Sie lautet: „Nach allen Berichten über den russischen Kaiserbesuch gewinnt man den bestimmten Eindruck, daß die Begegnung der beiden Kaiser und der Empfang, den das russische Kaiserpaar in Deutsch land gesunden hat, durchaus erfreuliche Folgen haben werden. Fragen der Politik, deren Erörterung in Breslau einen, erheblichen Raum einnahm, machen es nur zu leicht. Laß doch in dem einen oder andern Puncte ein Mistton anklingt oder zu einer Verstimmung der Anlaß gc- gegeben wird. Nichts von alledem ist diesmal zu bemerken ge wesen; nicht nur haben die russischen Herrschaften Deutschland unter sehr angenehmen Eindrücken verlassen, sondern auch unter den beider seitigen Staatsmännern hat man eine große Aehnlichkeit der grundlegenden Ansichten und der nächsten Ziele feststellen können. Es wäre nach diesen Aussprachen schwer zu sage», wo eigentlich eine Abweichung zwischen der deutschen und der russischen Politik zu finden jein sollte. Daß Rußland sich mit Frankreich in einem engen Freund» jchastsverhältiiiß befindet, braucht bei uns heute um so weniger Anstoß zu erregen, als Rußland seinen Einfluß auf Frankreich stets in friedensfreundlichem Sinne gebraucht hat und voraussichtlich auch in Zukunft so gebrauchen wird. Ten Revanchcplänen eines großen Theilcs Les französischen Volkes hat sich Rußland jedenfalls nicht dienstbar gemacht, sondern man kann eher sagen, Laß es den Revancheflug mit ziemlich viel Blei belastete. Daß durch die Kaiscrreise nach Paris in dieser Richtung der russischen Politik etwas geändert werden solle, scheint ausge schlossen. Neber einige der schwebenden Tagessragen hat sich bei den Besprechungen große Uebereinstimninng herausgestellt, jo namentlich in Bezug auf die Verhältnisse in der Türkei. Ter Kaiser von Rußland äußerte seine besondere Genugthuung, daß es den Mächten trotz allen entgegenstchenden Hindernissen gelungen sei, die kretische Frage zu einem befriedigenden Abschlüsse zu bringen. Es kann nur noch hinzugesügt werden, daß auch das russische Kaiser paar bei Allen» die mit ihm in Berührung kamen, die allerbeste Erinnerung hinterlassen hat." Durchaus im Einklänge mit dieser Auslassung befindet sich die folgende Meldung deS gleichen Blattes aus Warschau: „Kaiser Nikolaus hat angeordnct, Graf Schuwalosf solle zur schnelleren Genesung zeitweise einen Urlaub nehmen. Die Ge sundung schreitet fort. Schuwalosf übernimmt später das Hof ministerium. Lobauoff's Nachfolger soll eindemDrei- bund genehmer jüngererDiplomat werden, wahrschein lich der Wiener Botschafter." Auch in Frankreich scheint der Jubel, den die erste, falsche Meldung von dem Wortlaut des in Breslau vom russischen Kaiser ausgebrachten Trinkspruches hervorgerufen kalte, durch die weiteren Meldungen über den Verlauf der Begegnung rasch gedämpft worden zu sein. Im „Rappel" richtet sogar der frühere Generalgouverneur von Jndochina, de Lanessan, in Anknüpfung an die bekannte Meldung der „N. Fr. Pr." über die von russischer Seite erfolgte Ent hüllung bezüglich der Natur des französisch-russischen Bünd nisses folgende Mahnung an seine Landsleute: „Wir sind nun in aller Form darüber verständigt worden, und Niemand in Frankreich hat das Recht, daran zu zweifeln, daß das französisch»! ussifche Bündniß gleich, bedeutend ist mit der Aufrechterhaltung des gegen- wärtigen Zustandes, gleichbedeutend mit einer neuen Bekräftigung des Frankfurter Vertrages. Da dem so ist, sollten wir auch in unserer Haltung genug Klugheit und Correctheit bekunden, damit die Kundgebung unserer Freundschaftsgefühle unserer nationalen Würde keinen Eintrag thue." Man kann im eigensten Interesse Frankreichs nur wünschen, daß diese Mahnung Gehör finde. Die Novelle zur Verbesserung der Jnvaliditiits- und Altersversicherung hat, wie sich erwarten ließ, am aller wenigsten Beifall auf der socialdemokratischen Seite ge funden. Dort geht man Uber die mancherlei formalen und versicherungstechnischen Verbesserungen ohne Weiteres zur Tagesordnung über und hält sich lediglich bei denjenigen Bestimmungen auf, die eine Verkümmerung des bisher zu Gunsten der Versicherten gegebenen Maßes von Leistungen bedeuten. Namentlich wird die Stimmung in Arbeiterkreisen gegen die anderweite Bemessung der Erwerbsunfähig keit erregt. Auch wird heute bereits ein heftiger Angriff auf die Regierung in Aussicht gestellt, den die Social demokratie bei der ersten Lesung der Novelle im Reichstag unternehmen werde. Wir haben dies — bemerkt hierzu die „Nat.-Lib.-Corr." — vorhergesehen und auch schon bemerkt, daß die Regicrnng sich dann in einer wenig beneidenSwerthen Lage befinden werde, denn eö ist absolut unerfindlich, von welcher Seite ihr irgend welche Unterstützung zu theil werden könnte. Aber noch eine andere Seite des Entwurfs wird neuer dings hervorgekehrt und nnter kritische Beleuchtung genommen; und hierbei tritt wieder einmal in bedauerlichster Weise zu Tage, wie die Scheuklappen des einseitigsten Parteitreibens das Unterste zu oberst kehren können. Die Vertreter des politischen Radicalisnins, ihnen voran die „Freisinnige Zeitung" von Eugen Richter und das Stuttgarter Organ der Demokratie, haben in der Novelle eine centralisirende Tendenz entdeckt und sind nun eifrig am Werke, darüber die Particularisten im Reiche zu belehren und ihnen die Schlagworte zurecht zu machen. Man traut seinen Augen kaum. Seiner Natur nach muß doch jeder politische Radicalismus vor allen Dingen selbst von centrali- sirenden Tendenzen bewegt sein. Wie anders ließe sich der politische Radicalismus in der Verfassung zum Ausdruck bringen, namentlich, soweit er verantwortliche Reichsministerien, Trennung der Kirche vom Staat u. s. w. als Ziel erstrebt. Unseres Erinnerns hatten wir uns auch der Unterstützung der fortgeschritten liberalen Gruppen seiner Zeit zu erfreuen, als wir ket der Unfall- und demnächst bei der AiterS- und Invaliditäts versicherung die Verwaltung auf möglichst einheitliche Form gebracht wissen wollten; nur den Reichs-Zuschuß, nicht die Reichö-Austalt bekämpften die Radikalen. Jetzt, nachdem uns die Thatsachen Recht gegeben haben und die Ungleich heit der VermögenSverhältnisse bei den einzelnen Anstalten, sowie die Umständlichkeit des Rechnungswesens mit zwingender Gewalt nach einheitlicheren Formen drängt, ist es über raschender Weise derselbe politische Radicalismus, der sich in den Weg stellt. Es mnthet in der That wunderseltsam an, wenn die „Freisinnige Zeitung" sich erschrocken geberdet und angesichts dieser Novelle ausruft: man könne eben so gut gleich die ganze Neichsversicherungsanstalt einrichten. So sehr hat sich Herr Richter in die Denkart seiner particularistischen Affiliirten schon hineingelcbt! Die belgische Deputirtenkammer zählt nach den letzten Wahlen 111 Klerikale, 12 Liberale und 29 Socialisten. Die ersteren sind somit die Herren im Lande, und wie sie ihre Herrschaft auSüben wollen, zeigt eine Kundgebung des Führers der Rechten, des Deputirten Woeste. Dieser will zwar „eine weise conservative und vorsichtig vor schreitende Politik, aber keinen persönlichen Militairdienst, keine Einkommensteuer, keine progressive Besteuerung, keine Taxe für Feststellung der Pachtgelder". Die militairische Stellvertretung und das ganz überlebte Eteuer- sifftem sollen unverändert forlbestehen. Der Correspondent des „Hamb. Eorresp." kennzeichnet diese Wünsche der Klerikalen wie folgt: „Dieses reactionaire Programm wirst ein trübes Licht auf die zu erwartende innere Ent wickelung des Landes und wird nur den extremen Richtungen, den socialistischen und radicalen Wühlern zu statten kommen. Mit einer solchen, alle berechtigten Volksforderungen abweisenden Politik graben sich die herrschenden Parteien selbst ihr Grab. Mit Priestern und Gendarmen lassen sich die socialen Fragen nicht lösen, und dieses katholische Recept hat bisher zwar Wahlerfolge er- stritten, aber die breiten Volksschichten, deren Stimmrecht man geschickt aus guten Gründen arg beschnitten hat, den Socialisten in die Arme getrieben." Die niederländische Erste Kammer hat in ihrer Sitzung vom Sonnabend das neue Wahlgesetz mit 3t gegen 12 stimmen angenommen. Wie der „Franks. Ztg." aus Amsterdam geschrieben wird, unterscheidet sich der Ent wurf des Ministers van Houten, der nun Gesetzeskraft er langt hat, von dem seines Vorgängers Tak van Poortvlict hauptsächlich dadurch, daß, während dieser dem allgemeinen Wahlrecht nur eine negative Schranke zog und alle Die, welche Unterstützungen ans öffentlichen Armencassen er hielten, davon ausschloß, van Houten an der Be stimmung der niederländischen Verfassung, daß „gewisse Kennzeichen eines gesellschaftlichen Wohlstandes" vorhanden sein müssen, festhielt. Von verschiedenen Seiten wird, nachdem der van j.Houten'sche Entwurf der Oeffentlichkeit übergeben worden war, die Behauptung ausgestellt, daß der Unterschied zwischen beiden Entwürfen mehr ein formeller als Un wi-klicher sei, da cS sich nur um ein Weniger oder Mehr von 6—8000 Stimmen handle, die bei der in beiden Ent würfen zugestandenen Vermehrung der Wählerzahl kaum in Betracht kommen. Im radicalen Lager nimmt man die von van Houten gewährte Abschlagszahlung einstweilen an, er klärt aber zugleich, oaß der Kampf keineswegs zu Ende sei, sondern daß man diesen so lange fortsetzen werde, bis man die ursprüngliche Forderung, die Zuerkennung des völlig un beschränkten Stimmrechts, durchgesctzt habe. Praktisch wird das Gesetz erst im folgenden Jahre werden, wo Neuwahlen für die Zweite Kammer stattfinden müssen. In Spanien droht das neuerliche Hervortreten des CarlismuS der Regierung zu den auswärtigen Verlegen heiten noch eine innere zu bereiten. Zum Glück bat sich Herr Eanvvas del Easlillo die Kammern, nachdem sie ihre parlamentarischen Obliegenheiten nicht ohne sehr energisches Zureden der Negierung erfüllt, vom Halse geschafft und ist dementsprechend freierer Herr seiner Entschließungen geworden. Wenn jetzt die sämmtlichen anderen Parteien mit gutgespieltcr tugendhafter Entrüstung über den Earlismus herfallen, so übersehen sie blos das Eine, daß jede einzelne von ihnen mit Schuld daran trägt, wenn die carlistische Partei wieder so zu Kräften kommen konnte, daß jetzt die hervorragendsten spanischen Politiker, wie Canovas, Sagasta, Gamazo, Moret :c., in öffentlicher Kammersitzung constatiren mußten, die jüngste Evolution der carlistischen Partei bedrohe das Land mit nock weit größeren Gefahren, als die Vorgänge in Euba und auf den Philippinen. Man darf wohl daran erinnern, daß vor zwei Jahren unter den Auspicien des liberalen Ministcriums Sagasta der junge Prätendent Don Jaime unbehelligt eine Rundreise durch die baskischen Provinzen antreten konnte, das; er sich in Madrid aufhielt, Banketten der Parteigenossen bei wohnte, sich feiern ließ, Alles unter den Augen der Behörden. Carlisten sind in großer Zahl in das OfficiercorpS, in die Beamtenschaft, die Provinzial- und Communalver- tretungen eingedrungen und besitzen in zwei Provinzen, in Vittoria und Guipuzcoa, sogar die Stimmenmehr heit. Aus der Zeit des conservativen Regimes wird berichtet, daß die Behörden bei Wahlen wiederholt die carlistischen Bewerber offen unterstützten. Andererseits haben die Re publikaner sich niemals im Geringsten besonnen, sich mit den Carlisten gegen die bestehende monarchische Ordnung zu ver bünden. So hat denn keine Partei das Recht, sich wegen des CarlismuS vor den anderen auf das hohe Pferd zu setzen. Vielleicht ist es gerade dies Bewußtsein des gemein samen Unrechts, das. jetzt eine so allseitige Reaction der Parteien gegen den CarlismuS zu Wege bringt. Letzterer häli eben jetzt eine Musterung seiner Mittel und Kräfte ab. In den baskischen Provinzen soll die Organisation ter Partei so weit gefördert sein, daß nach Behauptung der tonangebenden Parteiorgane der Aufstand sofort, wenn das Zeichen ge geben wird, beginnen kann. Einstweilen ist der Senator Olozobal abgereist, um von Don Carlos Verhaltungs maßregeln einzuholen. Angesichts dieser Sachlage hat das in den baskischen Provinzen stehende 6. Armeecorps Weisung erhalten, die Carlisten auf das Schärfste zu überwachen und insonderheit den Grcnzdienst zu controlircn, tamit keinerlei Uebertritt von Banden, noch Waffen oder Muni tionstransporte stattfinden können. Die Carlisten sind eben falls in voller Bewegung. Sie besitzen in 30 Provinzen über 300 Localjuntcn, werden von der niederen Welt- und der gesammten Ordensgeistlichkeit unterstützt, insbesondere ist der Erzbischof von Toledo ihr Freund. Da sie aber selbst natürlich nicht einig sind, der Papst auch das jetzige Regenten haus protegirt, so dürfte au eine ernstliche Erhebung vorab noch nicht zu denken sein. Deutsches Reich. * Berlin, 8. September. Im Wiener wissenschaftlichen Club hat vor Kurzem Or. Emil Löbl einen Vortrag über „die Tagespresse in ihren Beziehungen zum geistigen Leben der Gegenwart" gehalten, dessen Won laut jetzt im Scptemberheste der „Deutschen Rundschau" vor liegt. Wir heben im Folgenden einige Stellen aus dem Vortrage hervor: „Nur die Presse verleiht heute Oeffentlichkeit. Die Oeffentlichkeit der strafgerichtlichcn und parlamentarischen Verhandlungen besteht thatsächlich in nichts Anderem, als in der Berichterstattung ter Presse. Was schafft Len großen Nationalfeiern, die mit dem Glanze des Hofes, unter Anwesenheit der höchsten Staats männer und der berufenen Volksvertreter begangen werden, die nachhaltige Wirkung im ganzen Volke? Nicht die augenblickliche Anwesenheit von einigen Hunderten oder Tausenden Menschen, denen Rang und Stellung, Zudring lichkeit oder Neugier die Theilnahme ermöglicht, sondern wiederum nur die ausführliche und begeisterte Schilderung Frnilletsn» Vie Tochter des Geigers. 1s Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. ES war an einem wunderschönen Morgen in den ersten Tagen des Juni. Goldener Sonnenglanz siel durch die dichtverschlungenen Zweige uralter Waldcsricscn und huschte in zitternden Reflexen über das weiche MooS, das in üppiger Fülle den Boden bedeckte. Hier und da leuchteten, kleinen Sternen gleich, Weiße Erd- beerblüthen nnd die blauen Glocken der Campanula daraus hervor, feierlich still wie in einem Dome war's rings im grünen Walde. Nur die Bäume, die gleich schlanken Säulen zum blauen Himmel aufstrebten, regten flüsternd ihre Blätter, und zuweilen stieß ein goldgelber Pirol, der scheu versteckt irgendwo in der dichten Wildniß des blätterreichen Geäst s saß, seinen klagenden, langgezogenen Ruf aus. Ein unbeschreiblicher Zauber webte um den grünen Raum und schien auch die beiden jungen Männer gefangen zu nehmen, die mit elastischem Schritt den einsamen Waldweg herauskamen, schon eine ganze Weile schritten sie schweigend neben einander her und sogen in tiefen Athemzügen den würzigen Erdengeruch eiu, der wie ein belebender Hauch dem thaufeuchten Boden entquoll. Der Eine der beiden, eine kräftige, jugendfrische Männer gestalt in kleidsamem, grünem Tnchanzng, trug eine Flinte über der breiten Schulter. Seine kräftig entwickelten Ge- sichtSzüge waren weder schön noch regelmäßig zu nennen, aber eS sprachen Geist nnd Charakter aus den festen Linien, und dabei besaß er ein Paar tiefe, treue Augen vo» schönsten Blau, die dem gebräunten Gesicht einen eigenen Reiz ver liehen. Er schien recht in den grünen Wald hineinzupassen und bildete mit seinem blonden Haar einen seltsamen Contrast zu seinem schwarzlockigen Gefährten, dessen hohe, schlanke Gestalt ihn fast uni Haupteslänge überragte. , Es war eine vornehme, fast frappircnd schöne Erscheinung. In der freien, ungezwungenen Haltung, in der Art und Weise, wie er den stolzen Kopf zurückwarf, lag etwas un gemein DistinguirteS, womit auch die aristokratische Bläffe de» Gesichtes übereinstimmte, dessen kühne, edelgeschnittene Züge fast ganz von ein paar mächtigen, tiefschwarzen Augen beherrscht wurden. Seine Kleidung aus dunklem Tuch war einfach, aber von tadellos elegantem Schnitt und ließ in dem Wanderer unwill kürlich den Cavalier vermuthcn. „Walter", begann er nach einer Weile mit klangvoller Stimme, „ehe wir weitergehen, versprich mir noch einmal, daß Du Deinen Eltern meinen wahren Stand und Namen verheimlichen und mich ihnen einfach als Edgar Norden, als Deinen Freund und Studiengenossen vorstellcn willst. Ich wollte, ich wäre in Wahrheit nichts Anderes," setzte er leiser mit einem Seufzer hinzu. „Aber Durchlaucht! Edgar, —" verbesserte sich Walter schnell den vorwurfsvollen Blick des Anderen gewahrend, „wie magst Du nur so sprechen? Du, der vielbeneidete junge Fürst, für dessen bevorzugte Lebensstellung tausend andere, minder be günstigte Menschenkinder Jahre ihres Lebens geben würden, freust Dich derselben nicht nur nicht, sondern scheinst sie sogar als Unglück zu betrachten! Das kann Dein Ernst nicht sein, ich zweifle wirklich, ob Du zum Beispiel mit mir, dem schlichten Oberförsterssohne, tauschen würdest." „Der aber", fiel Edgar schnell ei», „nach glänzend be standenen Forstexamcn in die Heimath zurückkchrt, wo er gewiß sein darf, von den Seinen mit offenen Armen empfangen zu werden, der", fuhr er mit steigender Erregung fort, „Herr seines Schicksals ist, dem die Welt offen steht, in der er sich durch eigene Kraft einen Platz erobern kann. O, Du Glücklicher, BeneidenSwerther! Für ein Stückchen Deiner WaldeSherrlichkeit nnd die Berechtigung, darin ein willens freier Mann sein zu dürfen, gäbe ich mit Freuden die zwei Dutzend Ouadratmeilen, aus denen mein gepriesenes Erbe besteht, das sich prahlend Fürstentbum nennt!" „Wer Dich so rede» hört", meinte Walter, „sollte denken, in Deinen Adern flösse kein Tropfen „blauen BjuteS". Bist Du denn nicht ehrgeizig, und lockt Dich nicht die Macht, zu herrschen?" „Du spottest, Freund", erwiderte Edgar nnmuthig. „Nennst Du das herrschen? Mit einem großen Apparat von Ministerien rc. ein kleines Ländchen zu regieren, einen Titel führen, der ohne entsprechende Machtstellung zu lächerlicher Anmaßung wird, und mit möglichster Grandezza sich in möglichst steifen Formen bewegen, nennst Du das herrschen? Ja, wenn ich herrschen dürfte, wirklich herrschen in des Wortes voller, stolzer Bedeutung, wenn mich das Schicksal zum Erben eine» Königsthrone« gemacht hätte, ansiatt zu dem eines Duodezfürstenthums, dann, Freund, solltest Du nicht fragen, ob ich ehrgeizig bin." Seine hohe Gestalt richtete sich noch höher auf bei diesen Worten, die blitzenden, schwarzen Augen schienen die Welt herausforden zu wollen. Er sah so schön und stolz aus „wie zum Herrschen geboren", dachte der Freund, der ihn bewundernd betrachtete. Beide waren unwillkürlich stehen geblieben. Fürst Edgar nahm den Hut ab und ließ einen Augenblick die kühle Wald luft durch seine dichten Locken wehen, während er aufathmend mit der Hand über die erhitzte Stirn strich. Lächelnd sagte er zu Walter gewandt: „Wie erregt ich bin! Das leidige Thema bringt mein Blut stets in Wallung. Brechen wir davon ab, ich will mir nicht die schöne Gegenwart damit ver derben. Hoffentlich hat's ja noch lange Zeit bis zu meinem Regierungsantritte, nnd vorläufig liegt vor mir noch eine goldene Zeit der Freiheit, die ich zum Theil mit Dir im grünen Wald verleben will, vorausgesetzt," fügt er lachend hinzu, „daß Deine Eltern den ungeladenen Gast willkommen heißen!" „Seine Durchlaucht Fürst Edgar von S. ist überall will kommen," erwiderte Walter neckend mit ceremoniöser Ver- beugnng. „Aber Walter, willst Du mich zur Verzweiflung bringen mit diesem verwünschen Titel?" rief der junge Fürst, mit dem Fuße stampfend. „Ich will nicht Durchlaucht genannt werden, am wenigsten von Dir; ich will nichts sein als Dein Freund. „Sich'," sagte er weich, ihm beide Hände auf die Schultern legend, indem er ihm tief inS Auge sah, „ich freue mich kindlich auf da» stille waldumschlossene Haus mit den lieben Menschen darin. Müßte ich aber denken, meine Kette auch dort nachschleppen zu müssen, auch dort gekrümmten Rücken und unterthänigen Gesichtern zu begegnen, ich kehrte lieber sofort wieder um. Nicht watr, Du versprichst mir, mein Inkognito zu wahren ? Ich bitte Dich darum, bei unserer Frenndschast!" „Als ob eS dieses feierlichen Appels bedürfte!" rief Walter aus. „Daß Du zu befehlen verstehst, ist eine aus gemachte Sache, aber wenn Du Dich aufs Bitten verlegst, bist Du vollends unwidersteblich, gegen den Ton ist Wider stand unmöglich." Dabei siel ein Blick warmer Freund schaft aus seinen blauen Augen auf das schöne Gesicht de» Freundes, der ihm lebhaft die Hand drückte und heiter arHpef: » „Also abgemacht! Ich betrete Dem Elternhaus al- Edgar Norden, loS und ledig von allem durchlauchtigen Kram." Damit schob er seinen Arm in den Walter's, und Beide wanderten immer tiefer hinein in den grünen rauschenrcn Wald. II. Während dessen wollen wir einen kurzen Blick auf ihr vergangenes Leben und die Ereignisse Wersen, die sie trotz ihrer so verschiedenen Lebensstellung einander so nahe gebracht. Waller Erkens, dessen Vater Oberförster in einem fürst lichen Revier war, hatte als der einzige Sohn seiner Eltern von diesen eine sorgfältige Erziehung genossen, und was etwa noch daran fehlte, das ergänzte der ernste, dunkle Wald, in dem er auswuchs, und der ein wunderbarer, guter Erzieher ist. Da er einen offenen Sinn für alle Zweige des Wissens besaß, so beschlossen seine Ellern, daß er uack beendigter Scknlzcit, bevor er auf der Forslakavemie sich für den Stand seines Vaters vorbereile, verschiedene Hochschulen besuchen solle, um sich dort eine umfassende Bildung zu er werben und gleichzeitig Welt und Menschen kennen zu lernen. Auf einer dieser Hochschulen war es, wo er den jungen Fürslensohn kennen lernte, der sich gleichfalls zu seiner Aus bildung dort befand, in Begleitung seines Gouverneurs und Reisebegleiters, dcö Herrn v. Wendelsstcin, welch' Letzterer sich indes; keiner allzugroßen Autorität bei seinem Zöglinge erfreute, vielmehr durch die Macht der liebenswürdigen Per sönlichkeit desselben vollständig beherrscht wurde. Fürst Edgar gehörte nun einmal zu jenen Menschen, denen Alles sich freiwillig unterordnet, denen Niemand etwas ab schlage» kann, und die in Folge dessen nicht selten eine unbe grenzte Gewalt über ihre Mitmenschen ausüben. Er war eines der Sonntagskinder der Natur und des Schicksals: mit den glänzendsten Eigenschaften des Körpers und des Geistes ver schwenderisch auSgestattet, war er der Liebling aller seiner Kameraden, und es hätte nicht seines Namens bedurft, um ihn zum Mittelpunkt eines jeden Kreises zu machen, in dem er sich bewegte. Dabei umfaßte er Kunst und Wissenschaft mit gleicher Liebe, und diesem Umstande dankte er tie Erlaubniß seines Vaters, des regierenden Fürsten von S., bis zu seinem 25. Lebensjahre sich in der Welt umschen und auf Reisen und den besten Hochschulen seine Talente ausbilden zu dürfen. Dann aber sollte er an den Hof zurückkehren, wo mit seinem 25. Geburtstage gleichzeitig seine Verlobung mit der Prin zessin Therese R. gefeiert werden sollte, die ihm von den
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