02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960911024
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-11
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Ztg." dem Empfinden der Befriedigung einen Dämpfer aussetzcn zu müssen durch Wiedergabe einer Zuschrift aus Kiel, in der es heißt: „Die Manöverdisposition hat durch die Rückkehr des Ge schwaders zur Begrüßung de» Zaren eine erhebliche Störung erlitten; für die Haupt- und Schlußmanöver bleiben jetzt nur noch wenige Tage, denn diese sollen bereits am 12. d. M. vor Wilhelmshaven enden. Als das Geschwader am 2. September von Kiel aus die Fahrt in die Nordsee antrat, war die Rückkehr der Flotte nach Kiel nicht in Aussicht genommen, sie ist erst nach der Monarchenbegegnung in Breslau befohlen worden und sie darf als eine besondere Aufmerksamkeit betrachtet werden, die der Kaiser dem L la suits der deutschen Marine gestellten Zaren erweisen wollte. Kaiser Nikolaus hat im Rittersaale des Kieler Schlosses die deutschen Admirale und Schisfscommandanten empfangen und auf dem Flaggschiffe der ersten Division, dem Panzerschiffe „Kurfürst Friedrich Wilhelm", zusammen mit dem Prinzen Heinrich einen Bestich gemacht. So weit uns bekannt geworden ist, hat der Zar die deutsche Uniform nicht angelegt, er trug bei seiner Ankunft die Interims uniform der russischen Seeofficiere, die er auch im Laufe des Tages nicht abgelegt hat. Als er zum Besuch nach „Kurfürst Friedrich Wilhelm" fuhr, ließ er seine Flagge nicht setzen. Auf seinen Wunsch unterblieb der Salut auch, als er an Bord des deutschen Schiffes kam. Erst als der „Polarstern" um 7 Uhr in See ging, salutirten die deutschen Schiffe die russische Kaiser standarte. Abgesehen von den osficiellen Persönlichkeiten, ist der Zar hier höchstens von einem paar Hundert Menschen gesehen worden, da er das königliche Schloß nur aus dem Wasserwege betreten und verlassen hat. „Die endlosen Hurrahs der dichtgedrängten Menschen massen" (von denen der officiöse Bericht des „Wolff'schen Tel.- Bureaus" zu melden wußte, Red.) gehören der kühnsten Reporter phantasie an. Es wäre viel richtiger, zu sagen: Der Zar ist in Kiel gewesen, aber Niemand hat ihn gesehen." Unseres Wissens ist der Zar nicht nach Kiel gegangen, um sich sehen zu lassen. Das mag die Kieler Neugierigen verdrossen haben, aber so weit braucht das Mitgefühl der übrigen Deutschen sich nicht zu erstrecken, um nun gleichfalls verdrossen zu sein oder gar einem politischen Pessimismus sich hinzugeben. Auch nach Uniformwechsel, Salutschüssen u. dergl. hat der russische Herrscher sich schwerlich gesehnt. Das mag dem Kieler Gewährsmann der „Vossischen Zeitung" unbegreiflich oder gar bedenklich erscheinen. Andere finden es sehr begreiflich. Wahrscheinlich hat auch Prinz Heinrich eS begreiflich gefunden, daß sein hoher Gast nach all' den ermüdenden Förmlichkeiten, die er in Breslau und Görlitz batte durchmachcn müssen, nach neuen kein Verlangen trug. Und jedenfalls kommt den Worten, in die Kaiser Wilhelm II. sein Urtheil über die Ergebnisse des Zaren besuches kleidete, eine ungleich höhere Beachtung zu, als den mürrischen Auslassungen eines in seinen Erwartungen ge täuschten Kieler Reporters. Welche Bedeutung man in Rußland diesem Urtheile unseres Kaisers bewußt, ergiebt sich aus der folgenden, bereits im heutigen Morgenblatte mit- getheilten, aber einer Wiederholung werthen Auslassung der „Nowoje Wremja", die vor der schlesischen Monarchenbegeg nung eine sehr kühle, um nicht zu sagen frostige Sprache führte: „Die Tafelrede, die Kaiser Wilhelm in Görlitz un mittelbar nach der Abreise des russischen Kaiserpaares hielt, wird weifelloS den tiefsten Eindruck nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa machen. In Anwesenheit des Grafen von Turin, des Prinzen Ludwig von Bayern und der höchsten Würden träger der preußischen Armee nannte Kaiser Wilhelm den Zaren den Kriegsherrn über das gewaltigste Heer und erklärte ferner, in völliger Uebereinstimmung mit ihm, dem Kaiser Wilhelm, gehe das Streben des Zaren dahin, die gesammten Völker von Europas Welttheil zusammenzuführen, um sie auf der Grundlage gemein samer Interessen zu sammeln zum Schutze der heiligsten Güter. Ein solches Zusammenstellen bürgt für die Aufrichtigkeit bei der Be tonung der friedlichen Ziele in der Breslauer Tischrede. Solche Aufrichtigkeit verdient die volle Sympathie aller ver nünftigen und wohlwollenden Menschen, welcher Nationalität sie auch angehörea mögen." Eine solche Stimme, die noch besondere Bedeutung da durch gewinnt, daß sie die über die Tischrede des Zaren verbreitete Falschmeldung durch Jgnorirung in das Gebiet der Fabel verweist, sollte doch selbst den mürrischsten Kieler davon abhalten, aus dem Unterbleiben eines pomphaften Auf zuges des Zaren und ähnlicher Knalleffecte pessimistische Schlüsse zu ziehen und zu veröffentlichen. Der Gesetzentwurf, den der Reichstag nach seinem Wiederzusammentritt am 10. November wird am frühesten in Beratbung nehmen können, ist die Novelle zum GcrichtS- verfassungsgesetz und zur Strafprocctzordnung. Sie hat bereits die erste Lesung im Plenum und die Vorberathung in der Commission passirt und wird also um die Mitte November zur zweiten Lesung gelangen. Es dürste, nach dem eine längere Zeit seit der Einbringung der Vor lage verflossen ist, von Interesse sein, die Hauptgesichts- puncte derselben kurz zu recapituliren. Zunächst wird die Einführung der Berufung gegen die Urtheile der Strafkammern erster Instanz beabsichtigt. Die Reichs tagscommission bat an der Vorlage der verbündeten Regierungen bezüglich dieses Punctes manche Aenderung im Einzelnen vorgenommen, im Allgemeinen jedoch ihre Zustimmung ertheilt. Wird der Passus Gesetz, so wird sich daraus natürlich eine Erhöhung der dauernden Ausgaben der Einzelstaaten als Conscquenz ergeben. In ähnlicher Richtung wird die vorgesehene Entschädigung für unschuldig erlittene Bestrafung, deren Regelung weniger Abänderungen durch die Reichstagscom mission erfahren hat, wirken. Sodann handelt eS sich in der Novelle um den Fortfall mehrerer als Ersatz für mangelnde Berufung angeführten Garantien in erster Instanz, um die erweiterte Zulassung des Contumacialverfahrens, um eine anderweite Regelung der Beeidigung der Zeugen, um die Einführung eines abgekürzten Verfahrens für gewisse, eine schleunige Behandlung erheischende Strafthaten und um Ver änderungen in der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. Im Allgemeinen hat sich die Reichstagscommission auch bezüglich dieser Puncte auf den Standpunct der verbündeten Regie rungen gestellt; indessen ist doch eine ganze Anzahl von Einzelheiten einer Streichung, Aenderung oder Umgestaltung unterzogen worden. Es wird deshalb als ziemlich sicher angenommen werden können, daß die zweite Lesung der Novelle im Plenum des Reichstages einen beträchtlichen Um fang annehmen wird. Es bleibt nur zu wünschen, daß sich für alle Meinungsdifferenzen zwischen Regierungen und Reichs- taaSmehrheit ein für beide Theile annehmbarer Ausweg finden läßt, damit nicht etwa das Gesetzgebungswerk, welches nun mehr bereits den dritten Winter hindurch den Reichstag be schäftigen wird, etwa an Einzelheiten, über welche eine Einigung sich nicht erzielen läßt, scheitert. Hinter die großen Gesichtspunkte, welche in der Novelle zur Verwirklichung ge bracht werden sollen und über welche glücklicherweise zwischen Regierungen und Reichstag Uebereinstimmung herrscht, sollten diese Einzelheiten zurücktreten. Eine der kennzeichnendsten Ausgeburten des rückschrittlichen Geistes, der sich gegenwärtig kühner denn seit Langem überall in Europa regt, ist die Mobilmachung gegen die Frei maurerci, die sich im Zeichen des Ultramontanismus in ver schiedenen Ländern vollzieht. Am schüchternsten in Italien, wo eS freilich dem Marchese di Rudini nicht an Neigung dazu fehlt, wie seine Erklärungen in Kammer und Senat über die geheimen Gesellschaften erkennen ließen, wohl aber an Muth und an der richtigen Handhabe, da seit einigen Monaten nicht mehr Crispi's Freund Lemmi, sondern ein republikanischer Radicaler, also einer vom Bunde deS Rothen Saales von Montecitorio, die Großmeisterwürde inne hat. Lebhafter ist die Angriffsbewegung der Rückschrittler gegen die Logen in Spanien. Hier bedient man sich zu ihrer Begründung des Vorwandes, der Aufstand auf den Philippinen sei das Werk der Freimaurer, wobei geflissentlich außer Acht gelassen wird, daß die sogenannten Lo^en der Eingeborenen auf den Philippinen mit der eigentlichen Freimaurerei nichts als den Namen gemein haben und in Wirklichkeit lediglich Geheim gesellschaften im chinesischen und japanischen Stil sind. Am methodischsten geht die ultramontane Partei in Oesterreich gegen die Freimaurerei vor. Um Einheitlichkeit und kräftigen Zug in die Bewegung zu bringen, soll in Trient ein Antifrei- maurercongreß abgebalten werden, besten Drahtzieher die österreichischen Bischöfe und einige Hauptpersönlichkeiten des Salzburger Katholikentages sind. Die Veranstalter dieses Unternehmens haben selbstverständlich nicht verabsäumt, sich des päpstlichen Segens zu versichern, und Papst Leo ebenso selbstverständlich nicht gesäumt, dem neuen Tridentiner Concil seine ganze Huld zuzuwenden. Er bat diese in einem Breve an den Vorsitzenden des Congreßausschusses bekundet. Es heißt u. A. darin: „Damit aber der Erfolg den Wünschen voll und ganz entspreche, thut es vor Allem Noth, daß' die Theilnehmer die Axt an die Wurzel legen und gründlich die Mittel und Wege erörtern, wie dem Ansturm der Secte erfolgreicherer Widerstand geleistet werden könne. Es mögen deshalb die Theilnehmer am Congresse sowohl, wie auch Alle, die ihre Fähigkeit und Thätigkeit in den Dienst derselben Sache stellen, sich die Dokumente der päpstlichen Autorität und der Vorsehung zur Vorschrift und zur bestimmten Norm nehmen, nach der sie sich gewissenhaft richten. Ganz gewiß werden, wie wir an anderer Stelle betont haben, die Dogmen ver wegenster Gottlosigkeit, wie sie jene Secte ver tritt, und die Bestrebungen, die sie verfolgt, weniger Schaden bringen und nach und nach durch sich selbst zufammenstürzen, wenn die Katholiken es sich angelegen sein lassen, dem Angriff der Frei maurer mit noch größerem Geschicke entgegenzutreten. Stützen sich jene doch auf Lüge und Finsterniß; deckt man aber ihr Lügengewebe auf, so liegt es nahe, daß alle redlich Denkenden von ihrer Schiech- tigkeit und Verruchtheit voll Abscheu sich abwenden. So wünschen wir denn, brennend vor Liebe zu Christus und den Seelen, eurem Vorhaben Glück und bitten Gottes gnädigen Beistand auf dasselbe herab. Wir vertrauen, daß euer Congreß den Katholiken von Neuem ein Ansporn sein werde, daß sie, bei aller Schonung für dir Irrenden, für den Jrrthum keine Schonung haben und nicht die kostbaren Güter, die Christus den Menschen verliehen hat, irgendwie verletzen lassen." Das verdammende, mehr von Temperament als von Sachkenntnis zeugende Urtheil deS Papstes über die Frei maurerei wird dieser so wenig schaden, wie alle früheren Verfluchungen durch die Bischöfe von Rom. Einen eigen- thllmlicben Eindruck dürste die Bezichtigung „frechster Gott losigkeit" und „schnöder Niedertracht" wider das Freimaurer- thum auf Kaiser Wilhelm machen, dessen Großvater jahrelang und dessen Vater bis zu seinem Tode an der Spitze der preußischen Freimaurerei standen und dessen Schwager Prinz Friedrich Leopold gegenwärtig Schutzherr der preußischen Logen ist. Es gilt als nicht unwahrscheinlich, daß in mittelbarem Zusammenhänge mit der Vermählung des Prinzen von Neapel die Wiederherstellung normaler diplomatischer Beziehungen zwischen Italic» und Portugal erfolgen dürfte. König Dom Carlos soll nämlich als naher Ver wandter des italienischen Königshauses den Wunsch hegen, der Vermählung des Kronprinzen in Rom beizuwohnen. Als Vor bedingung für die Ausführung dieses Vorhabens erscheint nun die Beseitigung der Spannung, welche bekanntlich durch das Unterbleiben einer vom portugiesischen Monarchen geplant gewesenen Reise nach der italienischen Hauptstadt hervor gerufen wurde. Wie es heißt, schweben gegenwärtig zwischen Lissabon und Rom nach zwei Richtungen bin Unterhand lungen, und zwar einerseits mit der italienischen Regierung behufs endgiltiger Beilegung der erwähnten Miß helligkeit und Wiederaufnahme des regelmäßigen diplo matischen Verkehrs zwischen den beiden Staaten, andererseits mit dem Vatican hinsichtlich gewisser den Besuch des Königs Dom Carlos in Rom berührender Puncte. Ueber den Stand dieser Verhandlungen sei außerhalb der au der Angelegenheit unmittelbar betheiligten Kreise nichts bekannt, und die Ankündigungen bezüglich der Personen, die für die Wiederbesetzung der beiderseitigen diplomatischen Vertretungen in Rom, beziehungsweise in Lissabon bestimmt sein sollen, sind den Thatsacken vorauseilende Combinationen. Die englische Südafrikapolitik sammt ihren Pionieren Rbodes, Iameson, Chamberlain u. s. w. hat in der ganzen civilisirten Welt so wenig Beifall gefunden, daß Iobn Bull, wenn er etwas Angenehmes darüber hören will, fick schon entschließen muß, sein eigenes Lob zu singen. Das hat er denn auch, bezw. das hat die englische Presse seit dem ver unglückten „Heldenritte" Iameson's unverdrossen getban und hat so oft und mit so täuschend nachgeahmter Ehrlichkeit betheuert, daß England das Lamm, Deutschland aber der Wolf sei, welcher die schwärzesten Absichten im Schilde führe, daß diese Anschauung jenseits des Canals zu einem nationalen Dogma geworden ist, gegen welches anzugehen ein ebenso aussichtsloses wie undankbares Beginnen sein würde. In diesen südafrikanischen Gedankengang der Engländer paßt es auch bestens hinein, wenn die „Cape-Times" vom 12. August sich in der Lage erklären, zu constatiren, daß die deutsche Regierung neuerdings massenhaft Delagoaeisenbabn- titres angekauft habe und mit derartigen Ankäufen noch fort fahre. Das genannte capländische Blatt erzählt weiter, die deutsche Politik gebe in der Delagoabai wie im Transvaal darauf aus, sich einen handelspolitischen Sonderstatus zu schaffen, der gelegentlich gegen den staatspolitischen Sonder status Englands ausgespielt werden könne. Wir vermögen nicht zu ergründen, von wannen den „Cape-Times" ihre Wissenschaft kommt; gesetzt aber auch, die Sache mit den Titres erwerbungen hätte ihre Richtigkeit, so ist immer noch nicht ersichtlich, wo da das vermeintliche Unrecht gegen England stecken soll, das die „Cape-Times", wie aus ihrem unfreundlichen Tone hervorgeht, darin doch erblicken müssen. Daß England sich ärgert, weil andere Leute ihm in die Karlen seiner südafrikanischen Politik gesehen haben, ist be greiflich und wirv ihm auch von Niemand vorgcworfen. Aber daß es sein Fiasco mit so wenig Gelassenheit und Würde erträgt, daß es immerfort Andere anklagt, statt mit sich selber FeitiHetsn. Vie Tochter Les Geigers. 3j Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. V. Der Abend versammelte die Familie wieder im trauten Wohnzimmer. Der Oberförster war zurückgekehrt und sagte, zu seinem jungen Gaste gewandt: „Sehen Sie, Herr Norden, jetzt ist bei uns des TazeS Arbeit vorüber. Seit das Mädchen aus der Fremde (er warf einen bezeichnenden Blick aus Lia Rosen) bei uns ein gekehrt ist, haben wir täglich etliche Stunden den Musen geweiht, und da Sie von denselben, wie mein Sohn uns verrathen, so reich bedacht sind, müssen Sie uns dabei helfen, wollen Sie?" Der junge Fürst batte unter seinen Kameraden stets für den liebenswürdigsten Gesellschafter gegolten. Ihn hatte noch Niemand vergebens um ein Lied oder dergleichen gebeten: so war er auch jetzt bereit und trat au daS Clavier, das Lia Rose für ihn geöffnet hatte. Er spielte eine Composition von Beethoven. Mächtig er« brauste daS Instrument unter seinen schlanken, kraftvollen Händen. Wie ein majestätischer Strom rauschte LaS Werk de- gewaltigen Tonheroen an den Ohren der Zuhörer vorüber. Lia war aufgestanden. Sie lebnte hinter ihrem Blumen tisch am offenen Fenster und ließ die weiche Abendluft mit ihren Locken spielen. Da der Flügel seitwärts vom Fenster stand, so konnte sie gerade in daS Gesicht und auf die Hände deS Spielers sehen. Als daS Spiel verstummte, bat der Oberförster um ein Lied. Edgar griff wieder in die Tasten, erst in einzelnen Accor- den, die sich allmählich zu einer einfachen, ergreifenden Melodie verschlangen. Es war vie Weise Le« alten ZarenliedeS: „Sonst spielt ich mit Scepter" u. s. w., die der Fürst an stimmte. Sein kräftiger, schöner Baryton schlug machtvoll an die Wände deS Zimmers; es war, al» ob er sie sprengen und hinausströmen müßte in die weiten WaldeShallen. Sie war von bestrickendem Zauber, diese Stimme. ES war Lia Rose, als wenn sie zusammenbrechen müßte unter dieser Klangfülle. Ein Zittern durchlief ihre zarte Gestalt: „Dann will ich beseeligt Dein Kind wieder sein," tönte eS eben leise wie ein ersterbender Hauch in die abend liche Stille hinaus. — Sie sank in die Knie und begrub aufschluchzend daS erblassende Gesicht in dem grünen Ge- spinnst der üppigen Schlinggewächse, die ihren Blumentisch umrankten. Ahnte sie, daß sie von dieser Stunde an kein Kind mehr sein würde? Daß die stolzen Töne der jugendlichen Männer stimme sie wie auf Adlerschwingen über die schmale Grenze der Kindheit binübergetragen? Das war der Weckruf der Liebe für ihre schlummernde Seele gewesen, und süß erschrocken empfand sie das reiche Sprossen und Keimen, daS sich nun plötzlich dort regte. Mit staunenden Kinderaugen blickte sie in das erwachende Herz des Weibes, dessen ahnungsvolles Schlagen sie noch nicht verstand und das sie nicht anders zu begrüßen wußte, als mit dem Köstlichsten, daS Gott dem Menschen zum Ausdruck all' seines Empfindens gegeben: mit Thränen! Es war nicht Schmerz, nicht Seligkeit, waS ihr diese Thränen auspreßte, doch ein Gemisch von Beiden. — Vielleicht waren diese Thränen dem Morgenthau vergleichbar, der in dem noch halbgeschloffenen Kelch der Blumen perlt, ehe der warme Kuß der Sonne sie dem vollen Lichte des Tages er schließt. Erschrocken war die kleine Gesellschaft bei diesem Plötz» lichen Ausbruch von den Sitzen aufgefahren. Der Oberförster wollte ungestüm zu seinem Liebling eilen. Doch Frau Martha hielt ihn zurück. „Laß sie", sagte sie leise; „solch' ein Sturm muß sich aus toben können, damit wieder heiterer Himmel wird." Ruhig überließ sie eine Weile da» erregte Mädchen seinen Gefühlen, dann trat sie sanft zu der Knieenden, und sie vom Boden auf in ihre Arme ziehend, flüsterte sie liebreiche, be sänftigende Worte in ihr Öhr. Lia schlang beide Arme um ihren Hals: „Wie gut Du bist", lispelte sie zärtlich; daun strich sie die wirren Locken auS der Stirn und blickte sich aufrichtend und rrröthend im Kreise umher. Der junae Fürst trat zu ihr und sagte mit weichem Ton: .Verzeihen Sie mir, Fräulein Lia, daß ich Sie mit meinem Lied« so traurig gemacht habe." Durch Thränen lächelnd sah sie zu ihm auf. „O nein, nein, r» war ja so schön, und darum mußte ich weinen. Aber Sie werden mich nun gewiß für recht kindisch halten", setzte sie stockend hinzu. „Da müßte ich ja recht schlecht sein; echte», wahre« Gefühl ist niemals kindisch. Sie baben mir mit Ihren Thränen die schönste Anerkennung gebracht, die mir jemals zu Theil ge worden ist." „Heute werde ich Wohl auf mein Lied verzichten müssen", rief der Oberförster neckisch dazwischen, „wenn mein kleiner Singvogel so die Flügel hängen läßt, wie?" „Nein, Du böser Onkel, Du brauchst nicht darauf zu ver zichten", rief sie zurück, und trat an's Clavier. Anfangs zitterte in ihrer weichen, süßen Stimme noch die Erregung nach, aber schon nach den ersten Tacten übte die Musik ihren gewohnten Zauber auf sie und ließ sie alles Uebrige vergessen. Sie sang das Lied „Tausend schön", eines jener kleinen, rührenden Lieder, die einem unwillkürlich Herz und Sinn gefangen nehmen. Dazu lag in Lia Rose's Stimme etwas Frommes, HehreS, ihr Vortrag war so warm und beseelt, und als sie mit einem Tone hingebend gläubiger Zuversicht die Schlußworte sang: „Denn nur am treuen Herzen, da ist man nicht allein", da war es, als ob Engel stimmen daS Gemach erfüllten. Es war ein hohes Gefühl der Weihe, mit dem der Fürst und Walter auf diejugendliche Sängerin blickten, um deren weiße Gestalt das Mondlicht, das voll durch daS Fenster auf sie siel, einen silbernen Schleier wob. Der Oberförster und seine Frau aber blickten einander bedeutungsvoll an; so wie heute hatte daS Kind noch nie gesungen. Heule hatte auch etwas Fremdes durch ihre Stimme geklungen, ein Gemisch von Jubel und Leid, — das sonst nicht darin gewesen. Es mußten aber keine unerfreulichen Betrachtungen sein, zu der diese Wahrnehmung die alten Leute anregte, wenig stens spielte um Frau Martba'S sanften Mund ein glückliches Lächeln, als sie zu dem Mädchen und von diesem zu dem Sohne hinüberblickte. Als Lia ausstand, waren aus ihrem Gesicht die letzten Spuren von Aufregung gewichen, sie hatte sich selbst wieder Frieden inS Herz gesungen. ES war fast Mitternacht, als man sich trennte. Der Fürst und Walter erhielten ein paar hübsche, kleine Giebel stübchen nebeneinander, deren eines Walter schon al» Knabe bewohnt hatte. Letzterem hatte Lia schwesterlich, vertraulich zur guten Nacht die Hand geboten; darauf hatte sie fernem Freund noch nachgerufen, auf seinen ersten Traum unter fremdem Dache zu achten, dem ja der Volksglaube eine prophetische Bedeutung beimißt. Sie selber jedoch lag, in ihr Kämmer lein hinaufgestiegen, noch lange wach, um diesen in ihrem jungen Leben so bedeutungsvollen Tag träumend noch einmal zu durchleben. Droben im Fremdenzimmer fiel der Fürst seinem Freund stürmisch um den Hals und dankte ihm wieder und wieder, raß er ihn hierberzebracht habe. Wohl noch eine Stunde saßen sie am offenen Fenster und blickten in den mondöellen, schweigenden Wald hinaus, und in beider Augen stand eigent lich dasselbe, nur daß sie es selber gegenseitig noch nicht ganz verstanden. Sie sprachen von Vielen, nur den Namen sprachen sie nicht aus, der doch auf Beider Lippen brannte. Was Wunder, daß die Traumgöttin, die sich endlich über ihr Lager neigte, die gleichen Züge trug? Und wer sich ganz tief über den Fürsten gebeugt hätte, der würde leise wie ein Hauch ihren Namen vernommen haben: Lia Rose! , . . VI. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als der Fürst am andern Morgen erwachte. Schnell machte er seine Toilette und trat an's Fenster, welches ihm die Aussicht in den Hof bot, von wo sich augenblicklich ein für seine Ohren sehr ungewohntes Geräusch vernehmen ließ. Das war ein Glucksen, Schnattern und Gackern, das kein Ende nehmen zu wollen schien. Edgar trat in das nebenliegende Zimmer Les Freundes; da er diesen aber bereits nicht mehr dort fand, begab er sich hinunter und fand bald die kleine nach dem Hose führende Thür. Sie war nur angelehnt, er klinkte sie auf und trat hinaus, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen, gefesselt von dem Bilde, das sich ihm darbot. Wenige Schritte seitwärts von ihm stand Lia Rose, um geben von der ganzen Schaar deS lärmenden HübnervolkeS. — Statt deS festlichen, Weißen Gewändes von gestern trug sie ein langes, lichtblaues Mousselintleid. Ein blaues Band schlang sich durch ihre Locken, sie sah fast noch liebreizender aus als am gestrigen Tage, so dachte wenigstens Edgar, als sic jetzt mit einem Lächeln unschuldiger Freude auf ihre sanften Lieblinge, die Tauben, blickte. Der Fürst wäre gern noch länger ungesehener Zuschauer des reizenden Genrebildes gewesen, indeß des Hundes augen fällige Unruhe verrieth Lia Rose die Gegenwart eines Fremden, und sich wendend, bemerkte sie ihn. Es war ein secunden- langeS, bewunderndes Anschauen der Beiden. Auch Edgar's Erscheinung zeigte sich noch vortbeilbafter als am gestrigen Tage in dem Eostüm aus dunkelbraunem Sammet. Aber nur einen Augenblick Lauerte dieses gegenseitig»
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