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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960912015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-12
- Monat1896-09
- Jahr1896
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um ö Uhr. Redaktion und Ekpedition: Johannesgafse 8. Die Expeoition ist Wochentags ununterbrochen geriet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale«: klemm's Sortiiu. <?llkre» Hnhu). Uviversilütssiraße 3 (Paulinuin), Lottis Lösche, kkatborinenstr. 14, Part, und Königsvlay 7. BezugS-PreiS in der Hauptexpedition oder den im Gtadt. rrsirk und den Bororten errichteten Lus« oabestellen obgebolt: vierteljährlich bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Laus .4 5.50. Durch die Post bezöge» sur Deutschland und Oesterreich: vierleljahrlich .4 6 —. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. VipzigcrLagMail AnzeigeN'Preis die -gespaltene Petitzeile 20 Pfg. -ieclamea unter dem-iedactronSstrub (sgs- spalten) 50-^, vor den FamilieaNachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis' verzeichniß. Tabellarischer und Zijjernsa) nach höhereni Tarif. 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M. in Berlin abgehaltenen Verbandstages des Verbandes in seiner Be geisterung, in die Pol de Monl's Vorträge ihn versetzt hatte, 2000 zu diesem Zwecke stiftete. Die zündendste dieser Reden, deren Wortlaut die neueste Nummer der „Alld. Bl." mittbeilt, betrifft die vlämische Bewegung in Belgien und die Förderung, die Deutschland dieser Bewegung angedeihen lassen kann und sollte. Nicht um einen Act der Höflichkeit gegen den Gast Leipzigs zu erfüllen, sondern um seine höchst beherzigenöwerthcn Mahnungen und Bitten unseren Lesern dringend ans Herz zu legen, lassen wir diese treffliche Rede, der sich hoffentlich im Winter auch hier noch mindestens eine anschließen wird, hier folgen. Nachdem auf dem Berliner Verbandstage der Vorsitzende, Professor Dr. Hasse, über )>ie Beziehungen zu den im Kampfe für ihr VolkSlhnm stehenden Deutschen im Auslande, ins besondere in Oesterreich-Ungarn und in Belgien, gesprochen, zu deren Stärkung der Verband die Schaffung eines einheit lichen Wirtbschaftsgebietes in Mitteleuropa erstrebe, erhob sich, stürmisch begrüßt, Professor Pol de Mont und sprach: „Ich komuie aus den südlichen Niederlanden, aus dem schönen und freien Lande von Maas, Lei, Dhle und Schelde, und ich bitte um die Erlaubniß, es Ihnen sofort zu sagen: nicht wie in einem fremden Lande fühle ich mich hier im großen deutschen Kaiserreich, sondern wie in meinem eigenen Ländchen am rauschenden nordische» Meere, ganz wie zu Hause. Sehr eigenthümlich ist wohl die Stimmung des Vlamländers, der Deutschland besucht. Er, der aus einem Lande kommt, wo — leider — die führenden Stände in Folge einer jahr hundertelang fortdauernden und seit wohl 100 Jahren systematisch ^cu oben fortgesetzten Verwischung der eigenen germanischen Mundart und der einzig national-berechtigten Sprache, der Niederländischen, entfremdet sind; er sieht hier ein Volk, auf die glücklichste Weise ausgestattet mit allen jenen Eigenschaften, die ein eigenes, normales, aus der tiefsten Volksart selbst ausblühendes culturelles Leben einer Nation sichern können. Diese Eigenart, und in dieser Eigen art die Einigkeit und Harmonie, die muß er Ihnen beneiden, wenn er Sie auch zugleich auS dem innigsten Herzen dazu beglückwünscht. Sie wissen es, M. H.! Ohne jedes officielle Mandat seitens meiner vlämischen KampfeSgenossen, nur aus dem mächtig drängenden Verlangen, diese schönen Tage mit Ihnen allen zu verleben, bin ich hier. Waö ich Ihnen schon gesagt, was ich Ihnen noch sagen will, nur in meinem eigenen Namen also darf ich es hier aussprechen. Eins wage ich aber zu versichern: so wie ich über die früheren und künftigen Verhältnisse zwischen Deutschland und den südlichen Nieder landen denke, so denken zweifelsohne, zwar nicht alle, aber viele, viele meiner Parteigenossen. Und was ich, nein, was wir also denken, will ich Ihnen in sehr wenigen Worten sagen: Wir haben die Ueberzeugung, daß eine Zeit kommen wird, da der herrliche Traum nicht nur aller zum Selbst- bewußtseiu gekommenen Blamländer: nämlich die, wenn auch nicht politische, so doch nationale Einheit der alten Niederlande wieder hergestellt sein wird, und da das einig gewordene schöne Land am nordischen Meere, ohne nur ein tausendstel Theilchen seiner eigenen Institutionen zu ver lieren, freiwillig eiutrcten wird in den von Ihrem wertsten Vorstand, Professor vr. Hasse, so überzeugend als möglich und als lebensfähig bewiesenen alldeutschen Völkerbund. Damit wir aber die wahrscheinlich noch sehr lange Spanne Zeit, die uns von jenem für alle Germanenvölker siegreichen Tag noch immer trennt, ein wenig abkürzen, bin ich der Ansicht, meine Herren, daß wir beiderseits nur Eins zn thun haben, und das beißt: Vertrauen wecken. Ich wiederhole es: nicht nur Sie Deutschen sollen unser Ver trauen, auch wir Niederländer sollen das Ihrige verdienen. Und wie können wir das am besten? Natürlich haben Sie als die mächtigere Nation die schwerere, aber auch die schönere Nolle! Wir können nichts für Sie thun, nichts oder sehr wenig. Und das Wenige, was wir können, das haben wir reichlich und zu jeder Zeit gethan. Wir leben in einem Lande, wo eine theilweise von Franzosen geleitete und größtentbeils von Paris aus be einflußte Presse alles Deutsche gerne verspottet und ver höhnt. Auf solche Schmähartikel haben unsere vlämischen Zeitungen zu jeder Zeit die verdiente Antwort gegeben. Wir haben weiter vom Staat gefordert und seit 1883 auch erreicht, daß in unseren Gymnasien und Realschulen der Unterricht in der hochdeutschen Sprache aus untadelhafte Weise gegeben werden soll. Wir haben die besten Ihrer Dichter und Schriftsteller übersetzt, unserer Leserwelt Ihre Meisterwerke empfohlen und deren eigentbümlichen Reize und Eigenschaften klargelegt. Unsere vor 4 Jahren in Antwerpen gegründete Niederländische Operngesellschaft bat schon mit glänzendem Erfolge aufgeführl oder wird weiter auffübren die mustergiltigen Schöpfungen Ihrer Meister: „Egmont", „Fidelio", die „Ruinen Athens" des göttlichen vlämisch- deutschen van Beethoven, „Preciosa", „Euryanthe" und „Frei schütz" des liebenswürdigen Weber, die „Zauberflöte" und „Don Juan" deö edlen Mozart, und — Iki8t uot l6L8t — den „Fliegenden Holländer", „Tannhäuser" und „Lohengrin" Ihres wunderbaren und. genialen Richard Wagner. Und weiter, m. H., haben wir zu jeder Zeit mit Ihnen getrauert, wenn Sie getrauert, mit Ihnen ausgejubelt, wenn Sie zu jubeln Grund hatten. Mehr zu thun, fehlt uns die Macht und Gelegenheit! Und — wenn Sie es jetzt erlaube» wollen — was können Sie Ihrerseits für uns, zu unserem Sckutz und Trutz thun? Wir verdanken Ihnen schon viel! Seit 1830 haben eine ganze Reihe deutscher Gelehrter unsere Bewegung, die vlämische Be wegung, mit lebhaftem Interesse verfolgt und studirt. Die Namen dieser Männer, Morn, Wolff, Coremans, Oettker, Hoffmann v. Fallersleben, Trauttwein v. Belle, die Gebrüder v. Hell wald, halten wir in Ehren. Doch haben nur wenige unserer Schriftsteller die Ehre einer deutschen Uebersetzung genossen. Unseren Volkserzähler Eonscience kennen Sie! Nicht aber den formvollendeten kleinen Roman „Ernest StaaS" des Anton Bergmann, des Enkels eines Deutschen, nicht die reizenden Novellen der Virginie Löveling, die markigen Bauerngeschichten des Reimond StynS, u. A. m. Mehrere meiner eigenen Sachen haben meine Freunde Albert Möser und weiland H. Flemmich ins Deutsche übertragen, aber wer bat die wunderschönen Verse der Helena Swarth, die liebenswürdigen Lieder des de la Montagne, das kraft volle Drama Gudrun meines unvergeßlichen KampfeSgenossen, des früh verstorbenen A. Rodenbach, gelesen? Deutschland ist das classische Land der Tonkunst. Wohl jede größere Stadt hat hier einen mächtigen Musikverein. Wir aber staben eine ganze Reihe niederländischer Eom- ponisten, deren Werke Wohl verdienten, in Deutschland be kannt und anfgeführt zu werden. Wäre es nicht möglich, so wie wir cs für die Schöpfungen Ihrer nationalen Meister tstun, so hier die glänzenden Oratorien unseres großen Peter Benoit, sein „Lucifer", seine „Schelde", sein „Rhein", und die Svmpstonien, Tänze und Lieder dieses Altmeisters und seiner Freunde, Waelput, deMol, Tinel, v. d. Eeden, Blockx, Mestdagh, van Duyse u. s. w., bekannt zu machen? Und schließlich noch ein paar Worte. Sie können uns auch auf mehr directe Weise moralisch helfen. Nicht nur, wenn Sie in Ihren vielgelesenen Zeitungen alle neue Heischungen der vlämischen Partei unterstützen, sondern noch auf einem anderen Wege. Wenn Sie nach Belgien kommen, wenn Sie an Vlamländer schreiben, so mögen Sie sich an die schönen Worte erinnern: „Gedenke, daß du ein Deutscher bist." Reden Sie im vlämischen Tsteile Belgiens niederländisch oder deutsch; schicken Sie Ihre Briefe nicht ab nach Bruxelles, Anvers, Gand, Louvain, Bruges, sondern nach Brüssel, Antwerpen u. s. w. Reden Sie in Belgien nicht von einer Eglise St. Jacques, Nolre Dame, St. Gurule, sondern von einer St. Zatobskircste u. s. w. Und — wenn dies nur irgend möglich — fordern Sie von Ihren vlämischen Kunden, daß sie als Geichäftssprache sich Ihnen gegenüber des Deut schen oder des Niederländischen bedienen. Damit, dies mögen Sie mir glauben, werden Sie uns die allergrößten Dienste leisten, also auch bald das unentbehrliche Vertrauen Wecken. Im Voraus dafür meinen, wie unfern Dank, und glauben Sie mir, meine Herren, daß ein solcher geistiger Austausch unserer Sache, der schönen Sache des AUdeul>chthums, von allergrößtem Nutzen sein wird!" Deutsches Reich. D. Leipzig, 11. September. Wegen Beleidigung des Regenten von Braunschweig ist bekanntlich vom Land gericht Braunschweig am 3. Juli der frühere Hofstaats- secretair Okto Könnccke zu Strafe verurtheilt worben. — Ueber die von ihm gegen bas Unheil eingelegte Revision verbandelte heute das Reichsgericht unter Ausschluß der Oeffentlichkeit. Das Unheil lautete dahin, daß die Revision zu verwerfen sei, da die Gründe des landgerichtlichen Unheils eine genügende Feststellung der Beleidigung des Landesherr», insbesondere des Bewußtseins zu beleidigen, enthalten. L. Berlin, 11. September. Es ist schon darauf verwiesen, daß diejenigen Interessenten, die der Gewerbefreiheit grund sätzlich zu Leibe gehen und mehr noch die unbequeme als die unlautere Eoncurrenz unterdrücken möchten, namentlich am tz 129a der Novelle, betr. die Handwerksorganisation, Aergerniß nehmen. Dieser Paragraph steht allerdings im schroffen Gegensatz zu der auf den Befähigungsnachweis ab zielenden Bewegung. Nicht nur, daß er wie mit etwas ganz Selbstverständlichem mit der Tharsache rechnet, daß von einem und demselben Unternehmer mehrere Gewerbe betrieben werden, es wird einem solchen Unternehmer auch als selbst verständlich gestattet, in jedem dieser Gewerbebetriebe, die er in seinem Unternehmen vereinigt, Lehrlinge anleiten zu lassen. Nur gilt dann natürlich auch der H 129, so zwar, daß der Unternehmer zunächst nur die Lehrlinge des jenigen Betriebszweiges anleiten kann, in dem er selbst die Lehrzeit durchgemacht und die Gesellenprüfung bestanden hat. In den übrigen GcwerbSzweigen müßte er die Anleitung der Lehrlinge einem solchermaßen vorgebildeten Werkmeister über tragen, d. h. er würde nur in denjenigen Gewerbezweigeu seines Gesammtunternehmens Lehrlinge halten können, in denen je ein geschulter Werkmeister eingestellt ist. Es bleibt der praktischen Untersuchung im Einzelnen Vorbehalten, ob diese Bedingung so allgemein aufgerichtet werden muß. Jedenfalls haben die Zünftler nicht Unrecht, wenn sie hier eine glatte Ver neinung ihres letzten Zieles heraushören; der ß 129a will zwar, in Verbindung mit den tzK 128 und 130 die sog. Lehrlingszüchterei zurückbrängen, aber er ist weit entfernt, die Betriebsamkeit eines vielseitigen Unternehmers eindämmen zu wollen. Im Gegentheil: er führt erst den Begriff der gleichzeitigen Unternehmung mehrerer Gewerbebetriebe in das Gewerberecht ein. Was die beiden anderen Paragraphen anlangt, die sich mit der Lehrlingszüchterei beschäftigen, so Haven sich diese um so mehr der Zustimmung der zünftlerischen Ver tretungen zu erfreuen. Der Bundeörath soll hiernach ermächtigt sein, für jegliche Art von Gewerbebetrieb, den Fabrikbetrieb nicht ausgenommen, anzuordnen, wie viel Lehrlinge ihm gestattet sein sollen. Wie der Bundesrath daS ini Wege des Reglements machen kann, wissen wohl auch die Verfasser der Novelle nicut zu sagen. Es ließe sich denken, daß ein Verhältnis; zwischen der Zahl der Gesellen und Lehrlinge zu einander für einzelne Betriebe festgesetzt werden soll. Ob dies aber Großbetriebe mit tausend Arbeitern abhalten könnte, speciell in einer Werkstatt des Betriebs dennoch die Lehrlingszüchterei fortzusetzen? Wir glauben es nicht. Aber auf die generelle Bestimmung scheint es auch nicht anzukommen, sondern darauf, daß für die handwerksin äßigen Betriebe, wenn der Bundes rath eS nicht thut, subsidiär die Handwerkskammer, ja schon die Innung eine zulässige Zahl von Lehrlingen anorvneu kann. Die Tendenz der Bestimmung in Ehren, — aber jede be liebige örtliche Gemiinschaft von Angehörigen eines Ge- werbezweiges derart in die Voraussetzungen der Erwerbe thätigkeit des Einzelnen eingrcifen zu lassen, heißt doch auch nur den grimmigsten Despoten priviligiren, den Liebknecht soeben entdeckt bat: die zahlenmäßige Mehrheit. Durch die socialen Gährungen, die hieraus entstehen könnten, haben sich die Verfasser des Entwurfs, wie es scheint, nicht im Mindesten beunruhigen lassen. 6. U. Berlin, 11. September. Auf der Zweigversammlung des internationalen Dockarbeitcrverbandes in London hat der Hauptgcwerkschaftssührer Tom Mann den Mund gewaltig vollgenommen, er hat erklärt, daß die Bewegung für ein internationales Vorgehen der Seeleute und Hafenarbeiter in Hamburg, Bremen, Bremerhaven und einer Reihe anderer deutscher Seestädte lebhaft begrüßt worden sei. Es ist ja richtig, daß eS in allen deutschen Seestädten Elemente giebt, die zu jeder Zeit für einen Streik zu haben sind, aber diese Elemente bilden nur eine geringe Minorität. Die große Mehrheit der deutschen Seeleute und Hafenarbeiter will von dem geplanten internationalen Vorgehen nichts wissen; die Einen, weil ihnen die social- Feuilleton. Der diesjährige Negensommer. Bon M. Möller, Professor an der Herzog!. Technischen Hochschule in Braunschweig. Nachdruck »crboitN. Freude erfüllt den Landwirth beim Anblick wogender Kornfelder, der gedeihenden Frucht seiner Arbeit; aber zugleich erwacht auch die bange Sorge: wie, wenn Hagel und Sturm die Halme knicken oder die reife Frucht auf dem Felde vor Nässe verderben wird? Leider war sie in diesem Sommer im ganzen mittleren Europa nur allzu begründet, zumal in Deutschland, mit Ausnahme des Nordens. Es siel ungewöhnlich viel Regen. So führte z. B. die Radau, ein Gebirgsflüßchcn bei Harzburg, unterhalb des Radaufallcs solche Wassermengen, daß ihre Ueberschwemmungen die Ufer beschädigten, während sonst im Hochsommer daS Bett trocken ist, alles Wasser im Mühlgerinne Raum hat und die Holzschleifercicn noch über Wassermangel klagen. Und nicht nur der Landwirth jammert über den verregneten Sommer, fast noch mehr der Tourist und der Sommerfrischler, in deren Freudenbecher diesmal unzählige Wermuthstropfen aus den Wolken gefallen sind. Der Regen ist bekanntlich die begleitende Erscheinung eines atmosphärischen Vorganges, der darin besteht, daß nicht allzu trockene Luft erheblich erkaltet. So bildet sich bei kühler Witterung an den Scheiben unserer Fenster ein Hauch; erst ein zarter Anflug, der dann in feine Perlen übergeht und tropfenweise am Glase herabrieselt. Hier beträgt der Temperaturunterschied zwischen dem GlaSmaterial und der Zimmerluft 5 bis 20 Grad. Eine ähnliche Abkühlung erleidet die Luft in Heller Nacht unmittelbar am Erdboden, zumal in den Niederungen, über Wiesen und in Waldlichtungen. Da scheidet sich Nebel und Thau aus, der oft auch zu Reif gefriert. Hier ist der nächtliche Wärme verlust, durch Ausstrahlung bedingt, die Ursache der Erkaltung. Dabei vermag jeder Raummeter Luft nur einige Tausend Tröpflein auszuscheiden, weil die Luft nicht mehr Feuchtigkeit in Form unsichtbaren WasierdanipfeS zuvor enthielt. Di« nächtliche Erkaltung der Luft reicht jedoch nicht weit nach oben, und darum bildet der Vorgang einer Erzeugung von Thau nur einen kleinen Niederschlag. Wenn im Winter warme feuchte Winde vom Ocean den Eoutinent überstreichen, erkaltet auch die von ihnen fort getragene Luft; sie bildet tieffchwebendeS nebeliges Gewölk und, wenn keine anderen Einflüsse hinzutreten, einen schwer- mütbig nirderrieselnden Staubregen. Dann klopft im Winter der fleißige Beobachter an sein Wetterglas und wundert sich, daß trotz des hohen Barometerstandes der Himmel sich durch aus nicht aufklären will. DaS aber sind, wie auch die Mischung warmer und kälterer Strömungen, nur geringfügige Ursachen für Wolken- und Regenbildung. Der Wind muß die Luft erst viele Meilen weit forttragrn, bevor kältere Gegenden erreicht werden. Anders gestaltet sich aber die Sache, wenn die Luft aufwärts getragen wird. Eine Abkühlung um 10 Grad, die bei mäßig feuchter Luft schon Nebel erzeugt, wird bei vertikalem Anstieg der Luft weitaus schneller erreicht. In 1500 m Höhe beträgt die Lufttemperatur ja schon 10 Grad weniger als unten und in 3000 Meter etwa 20, in 15 000 Meter 100 Grad weniger als unten. Die niedrigsten Temperaturen sind nicht am fernen Pol, sondern wenige Kilometer über uns in der Höhe zu suchen. Dringt dorthin schnell das Luftmaterial auS feuchten, tieferen Schichten, dann scheidet die in Form von Ballen emporquellende Luftmasse sofort die Feuchtigkeit als Nebel, als Wolke aus. Die sich vielgliederig empor wölbende Kuppe der Gewitterwolke bietet in ihrer äußeren Form nichts Anderes als die äußere Umgrenzung eines auf steigenden Luftstromes, in dessen Innern dichter Nebel herrscht. Bald condensirt sich dann der Nebel zu Tropfen, und ein Sturzregen fällt dort nieder, wo die Luft am er giebigsten emporsteigt. Oben schieben sich die Wolken schirm artig auseinander und bilden «schichten, und bei ihrer weiteren Auslösung Wolkenfasern. Dieses Emporsteigen der Luft findet allemal dort statt, wo daS Gewicht einer Luftsäule im Mittel klein ist, wo die Luft also am Fuße der Säule nicht so stark drückt wie anderenorts, mithin im Allgemeinen bei niedrigem Baro meterstand«. Man nennt daS atmosphärische Gebilde, bei dem sich überall ein niedrigerer Barometerstand zeigt als anderwärts, ein „Tief" oder eine Depression, während die Gebiete hohen Luftdrucks als „Hochs" bezeichnet werden. Wo nun eine Depression von Bedeutung eine Gegend überlagert, da fallen wiederholt ergiebige Regengüsse, während im Innern eines ausgeprägten Gebietes verhältnißmäßiz hohen Luft drucks fast wolkenloser Himmel herrscht. In diesezn Sommer nun wurde Deutschland, wie die Nord- und zumal die Ostsee vielfach von Depressionen durch zogen, Hochgebiete beeinflußten unsere Witterung nur von Milte bis Ende März, wenn sich sommerliche Wärme und trockene Witterung rinstellten. Anfang April traten wieder Depressionen auf. Die Bewölkung nahm zu und die Tem peratur sank. Die Frühlingssonne vermochte nicht durch die Wolken zu dringen, ihre erwärmenden Strahlen erreichten den Erdboden zu selten, als daß sie die Temperatur zu steigern vermochten. Die Berge hüllten sich wieder in ein weißes Schleiergewand. Auf Torfhaus in reichlich 800 m Meereshöhe fiel etwa 40 bis 50 cm hoher Schnee. Auf den rauhen feuchteren April folgten zu Ausgang des Monats Mai wieder hellere wärmere Tage. Auch der Juni begann mit trockenen Tagen. Dann aber neue Depressionen und abermals Regen. Am Sonntag, den 2. August, siel in Harzburg 170 mm Niederschlag in 24 Stunden; eS ist dies mehr als ein Viertel derjenigen Nieder schlagsmenge, die in der norddeutschen Ebene in einem ganzen Jahre zu fallen pflegt! Erst seit allerjüngster Zeit ist ein Umschlag der Witte rung zu verzeichnen. Seit Sonnabend, den 29. August, stellt sich höherer Luftdruck über Mitteleuropa ein, der sich nunmehr zu behaupten scheint. Unter seiner Herrschaft kann sich also ein freundlicherer Nachsommer ausbilven. (Bewahr heitet sich leider nicht. D. Red.) Die Frage liegt nahe: woher kommen denn nun diese Segen oder Zerstörung bringenden Depressionen, die über die Continente und Meere scheinbar regellos und unberechen bar dahinzieben? Die Fachmänner haben sich eifrigst bemüht, die Ursachen für die Entstehung von Depressionen zu er gründen, aber zu einem abschließenden Urtheil ist man noch nicht gelangt. ES giebt eben der Ursachen zu viele. Es giebt Depressionen, in deren ganzen Raum die Luft emporsteigt, Regen bedingend. Es giebt Depressionen, auf deren einer Seite die Luft fällt, während sie auf der anderen Seite steigt. So kann ein und dieselbe Depression verschiedenes Wetter bringen. Die Depressionen kommen und vergehen; sie bilden sich um und verschwinden; sie überraschen und durch ibre Unzuverlässigkeit und bedingen das veränderliche Wetter. Die „Hochs" hingegen lagern fester. Es giebt Erdstriche, über denen sich beständig hoher Luftdruck vorsindet. Arm ist daS Land, daS keine der bei uns verrufenen Depressionen kennt. Kein erfrischender Regen benetzt seine Gefilde, alles Kraut verdorrt und verkommt. Jene Gürtel höchsten Luftdrucks, die zu beiden Seiten deS depressionalen Bandes der äqua torialen Zone die Erde umlagern, sie sind zugleich der Erd strich, auf dem sich die sogenannten Wüsten befinden. Bon jenen Gürteln hohen Luftdrucks auS erstrecken sich bisweilen Hochgebiete bis über Europa hin. Dann herrscht auch bei unS trockene Witterung und heiterer Himmel. Wie diese Gebilde atmosphärischer Druckvertheilung sich nun über der ganzen Erde formen und umsormen, das untersucht z. B. unsere deutsche Seewarte. In ihren Berichten — die der ZeitungSleser täglich im Tageblatte findet — bieten die Meteorologen ProfessorOr. Koppen und Professor vr. van Bebber ein gewaltig umfangreiches Material, das geschickt geordnet zu einer Uebersicht führt. Neuerdings hat nun Professor vr. Koppen auf Grund jenes weiter verarbeiteten Beobachtungs - Materials ge zeigt, daß gewisse Schwankungen in der Vertheilung der großen Gebiete hohen und niedrigen Luftdruckes statt haben und daß die Periode dieser Umlagerungen dem Zeitmaß der Mondumläufe annähernd entspricht. Bis weilen ändern sich jedoch diese Verhältnisse, so daß die Beziehungen im Grunde noch nicht genügend aufgeklärt erscheinen. Es sind eben gar viele Ursachen, die die atmosphärischen Bewegungen beeinflussen. In erster Linie sind die thermischen Ursachen zu nennen, die Gewichtsgegcn- lätze zwischen warmen und kalten Luftmaffen. Weiter tritt der Einfluß der Gestirne, Sonne und Mond als eine treibende Kraft auf. In dritter Linie übt die Drehung der Erde um ibre Achse eine mächtige Wirkung aus, die die entstandenen Luftströmungen weder verstärkt noch abschwächt, sondern nur beständig aus deren ursprünglicher Bahn abzulenken bemübt ist; ihre Kraft steht senkrecht zur jeweiligen Bewegungs richtung der Luft. Die Reibung hingegen, die der Wind an Baum und Strauch, an den Wogen des Meeres, und den Bergen, den Gebäuden und Pflanzen auf dem Lande er fährt, bringt die entstandenen Luftbewegungen, die Winde, wieder zur Ruhe. Die treibenden Kräfte treten von der oberen Grenze der Atmosphäre bis zur untersten Luftschicht auf, die hemmenden Kräfte der Reibung wirken vorwiegend nur an der Oberfläche der Erde. Die Ursachen der atmosphärischen Erscheinungen sind also vorwiegend in hohen Regionen zu suchen, und gerade aus diesem Grunde ist die meteorologische Forschung so außer ordentlich erschwert. Aus den meisten Beobachtungsdaten, die beute mit Sorgfalt gebucht werden, lassen sich hinsichtlich der Ursachen nur wenige Schlußfolgerungen ziehen; es sind hier unten vorwiegend nur secundaire, nur Folgeerscheinungen zu beobachten. Die vielbesprochene Frage, ob die Ebbe- und Fluthwirkung de» Mondes für die meteorologischen Vorgänge von Bedeutung sei, läßt sich ebenfalls nicht dircct beanlwortcn. Wenn ähnlich wie au der Oberfläche des MeereS Wogen auf dem Luftocean der Atmosphäre sich bilden, dann können diese, so lehrt die Wellentheorie, nur sehr unvollkommen sich hier bei uns am Grunde des Luftoceans äußern. Jedenfalls steht eS fest, daß bei gleicher Stellung der Gestirne in ver schiedenen Jahren sehr abweichende Wittrrungserscheinungen eingetreten sind.
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