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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960912026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-12
- Monat1896-09
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Die Morgen-Tlnsgabe erscheint um '/.7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion und Expedition: Iohanne-safse 8. Die Expevition ist Wochentags ununterbrochen g<i!net von ftüh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt» Klemm's Sortim. (Alfred Hahn). Universitütsslraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kcitbannenstr. 14, Part, und König-Platz 7. BezugS-Preiö i' der Hauptexpedition oder den im Stadt, oezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgebolt: vierteljährlich./L 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich >/L 6.—. Directe tägliche Kreuzbandjenduog iuS Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. LcipMer TaMM Anzeiger. Amtsbkatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nntljes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Sonnabend den 12. September 1896. NnzeigeN'Preiö die 6 gespaltene Petitzelle 20 Psg. Reclameu unter dem RedactionSstrich (4g«» spalten) bO^L, vor den Familirunachrichteu (6 gespalten) 40^- Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung >ll 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz ln Leipzig 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. September. In einer Anzahl deutscher Städte find in der auf die Neige gehenden Woche Bersammlungen abgebalten worden, die mit den türkischen Grnuclthatcn gegen die Armenier sich beschäftigten und das Einschreiten Europas gegen die Türkei mehr oder minder nachdrücklich forderten. Auch in Berlin bat am Mittwoch eine solche Versammlung statt gefunden. Zunächst gab der von der Türkei zum Tode ver- urtheilte, auf Einspruch der Mächte freigelassene Professor T h u m a j a n eine Schilderung seiner Erlebnisse, namentlich der Zustände in türkischen Gefängnissen, wo die Gefangenen Nachts mit glühenden Eisen gemartert würden. Er protestirte gegen die Behauptung, daß die Unruhen von revolutionairen Armeniern angezettelt seien. Genfer und Londoner Elnbs ständen im Gegentheil in türkischem Solde. Die Schilderungen des Redners ergänzte sodann der bekannte Armenienreisende Pastor- Lepsins, der auch die Diplomatie heftig angriff, weil sie sich mit papiernen Protesten gegen türkische Gränclthaten begnügt habe. Sache der Presse sei eS, die öffentliche Mei nung ausznrütteln. Von einer Resolution wurde abgesehen, aber das Slöcker'sche „Volk", das sich zum Sprachrohr der Bewegung zn Gunsten der Armenier machen zu wolle» scheint, schlägt vor, daß in jeder Versammlung eine Resolution gefaßt und jede Resolution zugespitzt werde zu einer Bitte an den Kaiser, damit dieser in Uebereinstiinmnng mit den Empfin dungen des ganzen christlichen deutschen Volkes den politischen Einfluß Deutschlands mit allem Gewicht dahin geltend mache, daß in Kleinasien und in allen von Christen be wohnten Provinzen Asiens nur christliche Gouverneure ein gesetzt würden unter Garantie der vereinigten Großmächte. Es kann jedenfalls nichts schaden, wenn der Kaiser siebt, wie tief auch in Deutschland die Entrüstung über die Gräuel taten ist, die wir soeben au der Pforte der civilisirten Welt erlebt haben, und wenn er außerdem erfährt, wie stark und allgemein das Verlangen einer nachdrücklichen Geltendmachung auch des deutschen Einflusses zu Gunsten der Beseitigung von Mißständen ist, aus denen solche Scheußlichkeiten entstehen. Aber man darf doch auch nicht vergessen, daß die deutsche Reichsregierung ihre Schritte weder ausschließlich auf die Schilderungen der Herren Thnmajan und Lepsins gründen, noch auch von Gefühlsregungen dictiren lassen kann, die an und für sich ganz edel und löblich sind, aber den Ausschlag bei auswärtigen Actionen nicht geben dürfen. Und was die Schilderungen der genannten beiden Herren betrifft, so stehen sie in auffälligem Gegensätze zu den Be richten, die von dem deutschen Botschafter in Konstan tinopel vorliegen. Zweifellos ist cs ein solcher Bericht, den gerade jetzt die „Nordd. Allgem. Ztg." veröffentlicht. Er bezeichnet es als erwiesene Tbatsache, daß der armenische Putsch vom 26. August seit Wochen vorbereitet und von armenischen Nihilisten ans dem russischen Transkaukasien angeregt war, und sagt am Schluß: „Es ist ja allerdings begreiflich, daß der Herr Pfarrer Lepsins sür seine armenischen Glaubensgenossen Partei ergreift, da ihn enge Freundschaftsbande mit Armenien verbinden. Für die angebliche Unparteilichkeit des Pfarrers Lepsins genügen sür uns die angestellten Nachforschungen, die ergeben, daß derselbe allerdings in Anatolien gewesen ist, in jenen von ihm irrthümlich Armenien genannten Provinzen des osmanischen Reiches, aber dort nur Mijsionsanslalten besuchte, wo er sein famoses Material „ausschließlich" gesunden hat. Hätte der deutsche Pfarrer an Ort und Stelle Erhebungen angestellt, und zwar ohne ausschließliche Hilfe seiner armenischen Freunde, so würde er zu bald erkannt haben, wie sehr er das Opfer seiner Leichtgläubigkeit geworden ist und wie sehr die ihm gemachten Angaben anfgebanjcht oder vollständig erfunden (?) waren. . . . Unsere Ausführungen beabsichtigen keineswegs, das, was sich in Kleinasien ereignet hat, zn entschuldigen oder zn beschönigen, wir wollen nur verhüten, Laß die öffentliche Meinung noch mehr irregeleitet werde, als sic cs schon ist. Mögen die Herren, welche sich in Deutschland sür die Armenier er wärmen, zur Unterstützung der Nothlcidenden Gelder sammeln, so viel sic wollen, aber mögen sie sich aller Propaganda enthalten. Sie laden eine schwere Verantwortung ans sich, denn ganz Europa mit seinen gepanzerten Schissen würde wohl einige türkische Hafen städte in den Grund schießen und die Pforte zu allen möglichen und meist unmöglichen Reformen drängen können, aber nicht zu verhindern vermögen, daß dann nicht über Tausende, sondern über Hunderttauseude von Christen im türkischen Reiche ein furchtbares Strafgericht von der muselmanischen Bevölkerung verhängt würde. Dies wissen die europäischen Diplomaten nur zu gut, und daraus erklärt sich ihre vernünftige Reserve, die sie trotz aller Lamentation exaltirter Armenierschwärmer und trotz des Geschreies einer von diesen irregeleiteten Presse ohne Zweifel auch künftig bewahren werden." Nun ist eS ja zweifellos, daß die Berichte des deutschen Botschafters, wenn nicht ausschließlich, so doch ganz wesentlich auf türkische Quellen fick stützen; aber jedenfalls kann das deutsche Reich eine große internationale Action nicht aus Privat berichte gründen, die gleichfalls ein einseitiges Gepräge tragen, und noch weniger darf das Reich von solchen Berichten zu Schritten sich drängen lassen, die möglicherweise einen Krieg entzünden würden, der noch zahlreichere Opfer fordern würde, als leider bereits gefallen sind. Die Herren, denen die Verhütung neuer Greuelthaten in der Türkei am Herzen liegt, sollten sich daher bemühen, ihre In formationen über die Thatsachcn aus verschiedenen Quellen zu schöpfen, und sic kritisch sichten, von einer einseitigen Lösung der überaus schwierigen Schuldfrage aber ebenso absehen, wie von der Vorzeichnung bestimmter Wege zum erwünschten Ziele. Gerade der jetzige Zeitpunkt ist am wenigsten ge eignet, der Regierung Verhaltungsmaßregeln vorzuschreiben, denn augenscheinlich schweben gerade jetzt neue ernste Er wägungen ver Mächte. Daß diese Erwägungen, wie eng.cjche Blätter sich aus Konstantinopel melden lassen, auf die Absetzung des Sultans erstreckten und daß wichtige Ent wickelungen von einem möglichen Vorgehen des Scheich-ül- Jk'lam erwartet würden, dessen Fetwa sür eine legale Be seitigung des Khalisen erforderlich sei, ist allerdings im höchsten Grade unwahrscheinlich. Der Scheich-ül-Jslam Mch,m-d Dschemal-Eddi» Efendi wird bei der gegenwärtigen Erregung in der islamitischen Welt nicht so leicht das Fetwa sür die Absetzung des Sultan« aussprechen, wie cö sein Vorgänger Hairullah Efendi that, als er den Nachfolger des „selbst gemordeten" Sultans Abdul Aziz, den resormfreundlichen Sultan Murad, als geisteskrank des Thrones für verlustig erklärte. Aber die Möglichkeit eines Thronwechsels werden die Mächte ins Auge fassen müssen, falls abermalige Metzeleien stattfinden. Daß die Armenier nicht gänz lich im Stich gelassen werden sollen, bestätigt auch der russisch- ofsiciöse „Nord", der in einem Vergleich mit Kreta sagt, es liege nicht in der Absicht der Mächte, den Armeniern die Hilfe zu versagen; sie würden jene Vcrwaltungsreformen er langen, die dann den Reformen als Grundlage dienen könnten, die später den zu den unmittelbaren Besitzungen der Pforte gehörigen Provinzen zu gewähren seien. Die armenische Frage — so schließt das Blatt — bilde gegenwärtig den Gegenstand eines Ideenaustausches zwischen den Mächten und der türkischen Negierung. In der kretischen Frage haben die europäischen Diplo maten ihr Werk — vorläufig wenigstens — vollbracht. Die Annahme der Vorschläge der Mächte durch die Pforte und durch die christlichen Deputirten in Canea sowohl, als durch die eigentlichen Herren des Lande«, die Mitglieder der revo lutionären Negierung, hat plötzlich diese vorläufige Lösung ge bracht. Es ist nickt die volle Autonomie, die denKreleru bewilligt worden ist. Dem Sultan bleiben noch folgende Rechte: die Ernen nung eines (christlichen) Gouverneurs auf 5 Jahre, eine Be- fugniß, die allerdings au dieZustimmung der Mächte geknüpft ist, die Ernennung des Vice-Gouverneurs, die Ernennung der höher» Beamten, daS Veto gegen Verfassungsänderungen und die Hälfte der Zollcinnahmcn. Außerdem verfügt der Sultan über die Truppen und ernennt natürlich die Ofsiciere (von denen l/z Mohamedaner, Christen sein sollen); nur bei Unruhen sollen die Truppen von dem General-Gouverneur in Anspruch genommen werden können. Die Militair- hoheit des Sultans ist also ganz unbeschränkt; das aus nahmsweise Versügungsrecht, das dem Gouverneur bei Unruhen zustehen soll, hat in Wirklichkeit nicht viel zu besagen, denn es ist nicht die geringste Bürgschaft dafür da, daß die Truppen in einem solchen Falle dem Gouverneur auch wirklich Gehorsam leisten. Unbestimmt ist noch die zukünftige Gestaltung der Gendarmerie und der Justiz. Die Reorganisation dieser beiden wichtigen Zweige des öffentlichen Lebens soll unter Hinzuziehung fremder Officiere bezw. Juristen erfolgen, und man wird Wohl hoffen dürfen, daß diese wichtige Arbeit recht rasch und mit der nölhigen Mäßigung und Gerechtigkeit erledigt werden wird. Ist dies geschehen, so würde ein Zustand geschaffen sein, der wenigstens die Möglichkeit eines dauernden Friedens und eines Wiederaufblühcns der so arg heimgesuchten Insel in sich schlösse, wenn nicht durch den Aufstand ein Schaden angerichlet worden wäre, der nicht wieder gut zu machen ist und neue Wirren in fast sichere Aussicht stellt. Der „Münchener Allgem. Zrg." wird darüber aus Wien geschrieben: „Die Mohamedaner werden, wenn sie jetzt unter dem Schutze der Truppen wieder inmitten der Christen ihre Wohnstätten aussuchen, Alles zerstört finden. Wo sie in der Mehrzahl sind, werden sie sich an den christlichen Mitbewohnern der Ortschaft zu rächen suchen; wenn sie sich als Minderheit nicht sicher fühlen, nach den festen Puiicten von Candia zurnckstreben und dort eine stete Gefahr für die allgemeine Sicherheit und Ordnung bilden. Insbesondere ist aber im Bezirke Candia derReligionshaßso mächtig aufgeflammt, daß erdurch keine diplomatischen Abmachungen, noch durch Len Einfluß der Orts behörden mehr niedergehalten werden kann. Konnte doch selbst sür den einzigen, von der Zerstörungswuth der Mohamedaner nicht deimgesuchten District Malevisi Gouverneur Abdullah Pascha keinerlei Bürgschaft übernehmen. Infolge der Ohnmacht der Ortsbehörde und des Antagonismus zwischen dem Vali und dem Militaircomman- danteu ist Rizo, die reichste Provinz Kretas, nunmehr eine Wüste. Mit Recht haben daher die Consuln von Canea einmüthig die Botschafter ersucht, besonders darauf hinzuwirken, daß die Stellung des Valis zum gegenwärtigen Militaircommandanten ge nauer bestimmt werde, etwa im Sinne des Art. 14 der Libanon- Verfassung. Einer genauen Aufstellung, die aus der Feder eines uns als ganz verlässig bekannten Zeugen der kretischen Ereignisse stammt, entnehmen wir, daß bis jetzt im Ganzen 235 Ortschaften, davon 83 von Christen, 47 von Mohamedaner» bewohnt, mehr oder weniger vollständig vernichtet sind. In saft allen christlichen Dörsern sind die Kirchen geplündert und entweiht worden. Aller dings wurden von Len Christen in den verschiedenen Bezirken auch zehn Moscheen zerstört." Auf bedeutsame Symptome im französischen socia- listischen Lager, nämlich in Arbeiterkreisen weist der Pariser „Temps" hin. So hat der Deputirte Basly jüngsthin in einer Versammlung des Pas-de-Calais die collectivistifchen und internationalistischen Doctrinen auf das Entschiedenste abgelehnt und die Zustimmung seiner Arbeiterzuhörerschaft geerntet. Andererseits haben die Porzellanarbeiter von LimogeS, welche kürzlich unter einem langen Streik zn leiden hatten, ihre Betheiligung an dem Congrcsfe ihrer Innung zu Tours verweigert, weil die Forde rung ihrer Delegirten, daß vom Generalstreik abge sehen werde, nicht angenommen worden war. Ter „Temps" betont diesen letzteren Beschluß als höchst charakte ristisch, da gerade der Generalstreik als eines der Haupt mittel, die heutige gesellschaftliche Ordnung zu zerstören, an gepriesen wird, nicht nur von berufsmäßigen Wählern, sondern auch von den Deputirten Jules GueSde und Jaures. Aus dem Beschlüsse der Porzellanarbeiter von Limoges folgert das Regierungsblatt weiter, daß die Arbeiterpartei lange nickt so einig sei, wie Allemane gern wollte und in seinem „Parti ouvrier" behauptet. Man könne, schließt der „Temps", den Arbeitern nicht genug dazu Glück wünschen, daß sie den Chimären ihrer Führer widerstehen und sich mit prak tischem Sinne auf den Boden des Durchführbaren stellen, sich gegen daS collectivistische Evangelium ablehnend verhalten. Die aufrichtigen Demokraten sollten aus dieser Stimmung Nutzen zu ziehen suchen und als Gesetzgeber darauf bedacht sein, die Volksmassen durch mehr wahre Freiheit und Gleichheit in Len Gesetzen zur Republik — ohne socialistischen Beigeschmack — heranzuziehen. Niemals sei die Stunde für die Verbreitung der Lehren, von denen die Zukunft des Landes und der ganzen Gesellschaft abhängt, günstiger gewesen. Die Nachricht, daß ein Theil des abessinischen Heeres gegen Borumieda vorgeschoben wird, hat in der öffentlichen Meinung in Italic» im ersten Augenblicke einige Beunruhigung hervorgcrufen, die bei Manchen auch jetzt noch nicht völlig geschwunden ist. Im Allgemeinen wird jedoch den Versicherungen der mit der Regierung in Fühlung stehenden Blätter, daß es sich allem Anscheine nach nicht um eine gegen die Italiener gerichtete Action, sondern um eine durch interne Motive bedingte Verschiebung abessinischer Heerestheile handle, umsomehr Glauben bei gemessen, als diese Auffassung auch durch Nachrichten und Erörterungen oppositioneller Zeitungen bekräftigt wird. Ob die Ankunft des Generals Baldissera in Rom, wohin er berufen worden sein soll, mit dem erwähnten Vorgang in Zusammenhang steht, bleibe dahingestellt. Jedenfalls darf man überzeugt sein, daß die italienische Negierung nicht in den Fehler verfällt, sich durch die bei jeder Gelegen heit erneuten Betheuerungen der Friedensliebe seitens des Königs Menelik in Sicherheit wiegen zu lassen. Obgleich diese Versicherungen ehrlich gemeint zu sein scheinen und man nach der ganzen Lage fast zu der Behauptung berechtigt wäre, daß die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten ausge schlossen sei, werden von italienischer Seite unzweifelhaft in der Erythräa alle Vorbereitungen getroffen, um gegen unangenehme Ueberraschungen, wie man sie auf diesem Gebiete bereits erlebt hat, geschützt zu sein. Die Eingangs erwähnte Nachricht hat übrigens bezüglich der im Lande herrschenden Stimmung ein nicht uninteressantes Symptom zu Tage gefördert. Nach den heftigen Angriffen, welche das Cabinet Rudini seitens oppositioneller Blätter erfuhr, weil dasselbe den Gedanken eines Revanchekriegcs für Abba- Garima durchaus abwies, hätte man annehmen müssen, daß die bezeichneten Organe von einem Vorgang, durch Fenilletsn, Vie Tochter des Geigers. 4j Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. Die Herren begrüßten sich lebhaft. „DaS ist Recht, daß Du Herrn Norden gleich mit durch den Forst genommen", sagte der Oberförster zu Lia Rose, während Walter's Augen bei ihrem Anblick aufstrahlten und ein Leuchten über seine männlichen Züge flog. „Du könntest uns aber jetzt Deinen Ritter abtreten", fuhr der Oberförster fort, „Du gehst ja wohl zu Samariter werken", hier warf er einen Seitenblick auf den Korb in Waldmanns Zähnen, — „und hast da an Deinem vierbeinigen Gefährten Schutz und Bedienung zugleich." „Gewiß, Onkel Moritz, ich fürchte mich auch nicht, wie Du weißt, und dort drüben liegt schon das Häuschen der Anna Lindner, die ich besuchen wollte, um Mittag bin ich zurück", und mit leichtem Gruß schritt sie vorwärts. Schon von Weitem bemerkten ein paar Kinder, die vor der Hütte spielten, die Nahende, deren blaues Kleid hell durch die Büsche schimmerte, und begrüßten sie mit jubelndem Zuruf. Drinnen in der Hütte sah eS ärmlich aus. Auf einem elenden Lager ruhte mit geschlossenen Augen eine bleiche, junge Frau, neben sich ihr nur wenige Wochen altes Knäblein, daS jämmerlich schrie. Die junge Mutter aber war zu schwach, um sich mit dem Kinde zu beschäftigen. Ein dankbares Lächeln glitt um ihren Mund bei Lia's Eintritt, freudig streckte sie ihr die mageren Hände entgegen. Es war, als wenn mit der Erscheinung deS jungen Mädchens ein Sonnenstrahl in die dürftige Kammer glitt; mit gewinnender Freundlichkeit neigte sie sich über die Kranke. „Wie geht eS Ihnen, Frau Lindner", fragte sie theilnahms- voll, ^Sie sind gewiß recht schwach und müde, wo ist denn Ihr Mann'?" „Der Kaspar hat heute wieder arbeiten können, er ist gottlob wieder gesund; ack, Fräulein Lia, ich bin so glücklich darüber, nun wird wohl Alles wieder gut werden!" „Sehen Sie nun, daß ich Recht hatte damals, als Sie bei dem großen Unglück ganz verzagen wollten und ich Ihnen Muth einsprach? Es geht doch Alles bester, als man denkt, der liebe Gott verläßt Keinen." Die junge Frau zog im überströmenden Gefühl des Mädchens Hand an die Lippen. „Mir hat er ja sichtbar einen Engel in Ihnen geschickt", flüsterte sie, „ich bin Ihnen auch so dankbar, wenn ich Ihnen nur vergelten könnte! Nein, Sie dürfen mir nicht wehren, die Hände zu küssen, die meinen Mann gepflegt haben, als er mir, halb erschlagen beim Holzhacken, ins Haus gebracht wurde, und ich, selbst krank, nicht Hand und Fuß rühren konnte", fuhr sie fort, als Lia Rose ihr abwehrend die Hände entziehen wollte. „Was wäre aus uns geworden, wenn Ihre Hülse und —" „Nein, nun ist es aber genug. Sie dürfen nicht so viel sprechen", rief Lia Rose und machte sich mit ver Ordnung des Zimmers zu schassen, bereitete von den mitgebrachten Sachen ein kräftiges Essen und wickelte das kleine Kind in ebenfalls mitgebrachtes reines Leinen. Als sie endlich sich zum Ausbruche anschickte, konnte die junge Frau des Dankes kein Ende finden, obschon Lia sich be mühte, ihr klar zu machen, daß Alles, was sie gcthan, ihr selbst die größte Freude bereite. Sie versprach, in den nächsten Tagen wiederzukommen, und im Dorfe nach einer weiblichen Hilfe für Frau Anna suchen zu wollen, damit sie nicht so allein und die Kinder versorgt seien, bis sie selbst wieder schaffen könne. Dann ging sie noch weiter inS Dorf hinein ru diesem und jenem ihrer Schützlinge; ihr Korb, den Waldmann wieder nebenher trug, enthielt noch manche Labung; überall, wohin sie kam, spendete sie Trost und thatkrästige Hilfe. Sie batte immer Freude am Wohlthun gesunden, aber heute empfand sie ein so unaussprechliches GIllckSgefühl, daß sie von dem reichen Schatze nothwendig auch Anderen mitthcilen und um sich her frohe und glückliche Menschen machen mußte. Sie wußte selbst nicht, was eS war, daS so übermächtig in ihr Leben getreten, aber als sie nachher wie in wachem Traum durch den Wald nach Hause schritt, da war es ihr, als ob auS Bäumen und Blumen ein paar tiefe, schwarze Augensterne sie anblickten, und das Gefühl, daS dabei ihre Seele durchströmte, daS war wie eine Fluth von Licht und Seligkeit. VII. In der Oberförster« flogen die Tage dahin, schnell, viel zu schnell für die glücklichen Bewohner. Draußen blühten die Rosen, und drinnen in den drei jungen Herzen ent faltete die Wunderblume einer ersten jungen Liebe ihre keuschen Blatter. Die beiden Freunde ahnten nicht, daß diese Blüthe, deren Duft sie berauschte, den Wurm der Zwietracht in sich barg. Mit dem leicht verzeihlichen Egoismus des Glückes war ein Jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf den Andern viel zu achten, und so blieb es ihnen verborgen, baß in ihrer Beider Brust die Liebe zu demselben Gegenstände ihren Sitz aufgeschlagen. Edgar hatte sich durch Lia Rose's muntere Vertraulich keit gegen seinen Freund, die Jenen, der sie anders deutete, beglückte, zu sehr gewöhnt, die Beiden als Bruder und Schwester zu betrachten, um dem Gedanken an die Möglich keit eines anderen Verhältnisses Raum zu geben; und Walter wiederum erkannte zu klar die ungeheure Kluft, die seinen fürstlichen Freund von Lia Rose schied, als daß er hätte ahnen können, daß die allgewaltige Gleichmacherin Liebe bereits mit Adlerkühnheit diese Kluft zu über brücken strebte. Der Oberförster fühlte sich froh und zufrieden unter den strahlenden Mienen seiner Umgebung, und vielleicht regte sich nur in Frau Martha's sorgendem Mutterherzen eine leise Ahnung der Wirklichkeit. Sie hatte sich ja lange Zeit hindurch daS Glück des Bei sammenseins mit ihrem Einzigen versagt, um zu verhüten, daß die Gewohnheit täglichen Sehens zwischen ihm und dem geliebten Pflegekinde ein Band geschwisterlicher Freundschaft knüpfe, das, wie ihr weiblicher Scharfblick klar erkannte, der gefährlichste Feind der Liebe ist. Nur hatte ihr Mutterstolz einen Widerstand gegen ihre Pläne eher von dem Sohne als von Lia Rose erwartet. Nun aber war dieser strahlende Fremdling in ihren Kreis getreten, und an der Macht, die seine hinreißende Persönlichkeit auf sie selbst übte, ermaß sie die Gefahr, die sein Erscheinen ihrem Lieblingswunsche brachte. Diese Erwägungen indessen, die nur zuweilen, wenn sie die jungen Leute beobachtete, blitzähnlich ihren Geist durch flöge >, waren nicht im Stande, ihr die schöne Gegenwart gänzlich zu trüben. Sie liebte auch ihr Pflegekind viel zu treu und selbstlos, um nicht, wenn auch blutenden Herzens, auf ihre Pläne zu verzichten, falls dessen Glück dadurch in Frage gestellt werden sollte, und ihrem jungen liebenswürdigen Gaste konnte sie auch nicht gram sein, selbst wenn sie in ihm bisweilen den Nebenbuhler ihres Sohnes fürchtete. So war's denn eine schöne, genußreiche Zeit, die daS ein same HauS an seinen Mauern vorüberrauschen sah; jeder junge Morgen kündete seinen Bewohnern einen frohen Tag, und an jedem Tage freuten sie sich bereit» auf den Abend, den di« Kunst so anmuthig ausfüllte. Edgar und Lia Rose musicirtrn viel; sie sangen auch häufig zusammen, und da sie Beide das gleiche Gefühl seligen Glückes in Tönen ausströmtcn, so war cs kein Wunder, daß ihre Stimmen harmonisch zusammenklanzen. Wenn dann noch Walter sie auf dem Waldborn begleitete, dem seine Kunstfertigkeit die hellsten Töne zu entlocken verstand, so hatte der Oberförster nicht Unrecht, wenn er fast stets nach solchen Abenden versicherte, daß man schönere Concerte selbst in der Residenz nicht zu hören bekäme. Auch der Malerei hatte Lia Rose, angeregt durch des Fürsten Lob, wieder mehr Aufmerksamkeit zugewandt. Sie bat ihn einmal, seine Skizzenmappe sehen zu dürfen, und er klärte ihn, nach Durchsicht derselben, bewundernd für einen Künstler, dem gegenüber sie nur schüchtern den Wunsch aus zusprechen wage, ihr bei Vervollkommnung ihres kleinen Talents behilflich zu sein, eine Bitte, auf die Edgar natürlich bcreitwilligst einging. Seitdem malten sie öfters zusammen, und es war ersichtlich, welche Fortschritte das junge Mädchen dabei machte. Eines Abends schnitt der Oberförster, der, später als ge wöhnlich nach Hause kommend, die Familie schon um den Theetisck versammelt antraf, die scherzenden Vorwürfe Frau Martha'S sogleich dadurch ab, daß er schon von der Thür her rief: „Nun, ich bringe Euch auch eine Neuigkeit mit heim: unsere Prinzeß ist mit ihrer hohen Mutter gestern im Jagdschlößchcn eingetroffen, um längere Zeit daselbst zu verweilen." Diese Nachricht erweckte, wenn auch auS sehr verschiedenen Gründen, daS höchste Interesse des kleinen Kreises und ward während der Theestunde lebhaft diScutirt. „Prinzeß Therese hat ganz ihrer einfachen Gewohnheit gemäß außer der für Reitpferd und Wagen nothwendigen Bedienung fast gar keine Domestiken mitgebracht", warf der Oberförster hin. „Ich freue mich ordentlich darauf, sie soll noch ebenso natürlich und liebenswürdig sein, wie sie als Kind gewesen; nun, man wird ihr wohl hin und wieder im Forst begegnen, sie hat ja eine große Vorliebe für lange, einsame Spazierritte." Der Fürst und Walter blickten einander betroffen an. Dann war eS ja nicht ausgeschlossen, daß die Prinzessin, wenn sie ihnen einmal begegnete, Edgar erkannte, ein Ge danke, der diesen mit heimlichem Entsetzen erfüllte. Auf seinem Antlitz ging und kam die Farbe in raschem Wechsel, und seine Brust hob sich in stürmischen Athemzügen. »Ähre Hoheit die Frau Fürstin soll wirder sehr leidend
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