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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189609139
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18960913
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18960913
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-13
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1896
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Bezugs-Preis i» der Haxptipeditto« od« d«u tm Stadt, vr-irk mld de» vorarteu errichtete» >»<- qabestellrn abgebalt: vierteljährlich bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS ö.SO. Durch die Post bezogen für Trutfchland und Oesterreich: viertestährlich g.---. Directe tägliche Kreu-baudieudung tw» Ausland: monatlich 7.Ü0. Die Morgen.Aasgabr erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentag- um L Uhr. Redaktion vud Lrpedition: JohanneSgafie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen ge^ltnet vo» früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: Lee» Klemm'- Eortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. llntbarinenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. MpMerTagtblall Anzeiger. ÄmtsötaLl des Aömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzrigen-PreiS di« S gespaltene Petitzeile LS Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4ge- spalten) bO^, vor den Familiennachrichieu (6 gespalten) 40/H. Gröbere Schriften laut unserem PreiS- derzrichniß. Tabellarischer und Ziffrrnjatz nach höherem Tarif. Extra-Vcitagcn (gefalzt), Nut Mit de» Morgen»AuSaabe, ohne Postbeförderun- X SO.—, Mit Postbrfürderung 70.—. ^Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag- 4Uhr. Del de» Filialen und Annahmestelle» je eia, halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet- a» di« Er-edtttaa zu richte». Druck und Verlag von <L. Bolz ln Leipzig ^-467. Sonntag den 13. September 1896. Sv. Jahrgang. Äus der Woche. L. Die Kaisertage in Görlitz sind leider nicht ohne Mißklang verlausen. Die Einladung des Erzbischofs lir. von Stablewski und einer Reihe polnischer Ma g n a t e n an das kaiserliche Hoflager ist von den Polen sofort nationalpolitisch ausgebeutet worden. Mit großer Genug tuung stellt der „Kuryer" fest, daß der Kaiser den zum Diner geladenenPolen gegenüber sehr gnädig gewesen sei. Schon dieListe der Geladenen, die zwölf Namen aufweise, zeige, daß die Polen entgegen dem Wunsche gewisser Leute nichts an der Gunst des Monarchen eingebüßt hätten. Nur zwei der Ein geladenen seien, da sie außer Landes weilten, der Ladung incht gefolgt, nämlich Graf Z. SkorzewSki und Fürst F. Radziwill. Der Erzbischof habe die Ehre gehabt, in unmittelbarer Nähe des Kaiserpaares zu sitzen. Als besondere Auszeichnung des Erzbischofs betrachtet der „Kuryer" den Umstand, daß der Kaiser ihn, über die Tafel zugetrunken und dabei sehr gnädig gelächelt habe. Nach dem Diner habe der Kaiser aus der Zahl der polnischen Gäste zunächst den Grafen M. Kwilecki, dann Herrn T. v. Zoltowski und schließlich den Erzbischof durch eine Ansprache geehrt; mit letzterem habe auch die Kaiserin längere Zeit con- versirt. Die Landsleute seien durch die Huld des Herrscherpaares überaus erfreut gewesen. — Dieser Anlaß zu nationalpolnischer Agitation hätte unsere» Erachtens nicht gegeben zu werden brauchen. Schon König Friedrich Wilhelm IV. bat er fahren, wie wenig man den Polen gegenüber durch Liebens würdigkeit ausrichtet: sie selbst wurden nicht gewonnen, „die treuen Deutschen aber", so schreibt Treitschke im 5. Bande seiner „Deutschen Gesch.", „fühlten sich wie verrathen und verkauft, da sie den König die Politik Flcttwell's loben und doch selbst den genau entgegengesetzten Weg einschla^cn faben." Als Anfang August auf dem internationalen Socialisten- eongreß die stürmischen Entbrüderungsscenen sich abspieltcn, wurde der „Leipziger Volkszeitung" aus London u. A. geschrieben: „Zu bedauern ist, daß der Antrag, d i r Stellung der Socialisten zur auswärtigen Politik zu präci- siren, nicht zur Discussion gelangt ist. Der wunde Punct der Demokratie ist die auswärtige Politik, da sie ihre ganze Kraft der inneren Politik zuwendet. Dies gilt noch mehr für die Socialdemokratie, für die die auswärtige Politik vielfach eine terra iucoxnitL, ein unbekannter Boden, ist. Tie socialdemokratische Presse Deutschlands zeigt in solchen Dingen manchmal eine Unwissenheit, wie sie nur bei Ehines en zu finden sein sollte. Eine derartige Discussion hätte sehr belehrend wirken können." Mit einem heitern, einem nassen Auge hat damals der „Vorwärts" diese Kritik theoretisch gebilligt; praktisch ihre Berechtigung zu erhärten, bot der Besuch des russischen Kaisers die günstigste Gelegenheit. Und das socialdemokratische Centralorgan hat sie ebensowenig vorübergehen lassen, wie die „Leipziger Volksztg." selbst, die aus demselben Anlaß mit wahrhaft rührendem Eifer den Beweis dafür erbrachte, daß nicht Alle frei sind, die ihrer Ketten spotten. Gegen die Görlitzer Rede des Kaisers polemisirend, zweifelt der „Vor wärts" an der Friedensliebe des Zaren aus dem Grunde, weil „die vermeinten Eultnr- und Friedensbestrebungen des Zaren sehr schlecht zu den Vorkommnissen in Asien nnd der Türkei stimmen, wo Rußland es ist, das überall Auf- slände und den Krieg vorbereitet". Davon ist gegenwärtig, vom „Vorwärts" abgesehen, deutschen Blättern nichts be kannt geworden, auch denen nicht, welche die Wirksamkeit des „russischen Rubels auf Reisen" früher gebührend geschildert haben und jetzt keinen Anstand nehmen würden, sie nötbigen Falls wieder zu beleuchten. Die Behauptung des „Vorwärts" ist daher zur Zeit mindestens eine inhaltlose Phrase, vielleicht aber eine absichtliche Flunkerei zu Gunsten Englands, dessen Haltung gegenüber den türkischen Wirren, im Gegensätze zu Rußland, zweideutig und verdächtig ist; Rußlands Interessen, das räumt sogar die „Leipziger Volkszeitung" ein, entspricht gegenwärtig eine friedliche Politik. Trotz dieses Eingeständnisses behauptet die „Volkszeitung", das „neue russisch-deutsche Kaiserbündniß" bedräue den chinesischen Drachengvtt ebenso wie den „deutschen Buddha", den Umsturz. Das ist eine Entdeckung, die sogar dem „Vorwärts" entgangen zu sein scheint; denn er bat unter Len „heiligsten Gütern", deren Schutz durch den Zaren der Kaiser in seiner Görlitzer Rede ankündigte, die idealen Güter des Friedens verstanden. Den Gipfel der hohen Politik aber erklimmt die „Volksztg", indem sie ausruft: „In welchem Lichte aber erscheint, angesichts dieser Vorgänge, der Dreibund, der vielgerühmte? Wozu brauchen wir ihn noch? Soviel Lärm um ein Leichentuch I" Zn der Tbat, die „Volksztg." hat vollständig Recht: die socialdemokratische Presse Deutschland- zeigt in Fragen der auswärtigen Politik eine Unwissenheit, die nur bei den Chinesen zu finden sein sollte! An Frankreich nämlich und daran, daß ein aggressiver Zweibund zwischen Frankreich nnd Rußland durch den Dreibund verhütet worden ist und in Zukunft verhütet werden kann, denkt die Leipziger Sibylle gar nicht. Und doch ist den deutschen „Genossen" gerade Frankreich jüngst auf Las Lebhafteste in Erinnerung gebracht worden: wir meinen die Ausweisung der Herren Bebel und Bneb aus der ungastlichen Republik. Bekanntlich waren zu der Versammlung elsässischer Socialisten, die auf französischem Boden am 6. September stattfinden sollte, auch die socialistischen Deputirten Gnesde und Chauvin ge laden. „Im letzten Augenblicke verhindert" (wodurch?), er ließen die beiden Herren an die „Brüder aus dem Elsaß" ein Schreiben, in dem es nach dem „Vorwärts" heißt: „Indem Ihr in Massen für Bueb und für Bebel stimmtet, habt Ihr auch Euer Geburtsland nicht vergessen. Im Gegen- theil, Ihr habt Euch seiner erinnert! Ihr habt Euch zurückversetzt in das Jahr der Losreiß ung, in die Zeit, wo die Einzigen, die Euch bis zum letzten Augenblicke veriheidigten, die französischen Socialisten waren, die mit Malon lieber Lio Bordeauxer Versamm lung verlassen hatten, als einen erniedrigenden Frieden zu unterzeichnen; Ihr habt Euch zurückversetzt in die Zeit, in der die deutschen Socialisten sich ins Gesängniß werfen ließen, weil sie die Annexion Eures Landes — mißbilligten." Das ist die Jnternationalität, wie die französischen „Genossen" sie verstehen! Ihnen ist eS nicht gleichgiltig, ob die „Bourgeois-Negierung", unter der sie seufzen, deutsch oder französisch ist. Als „losgerissen" betrachten sie ihre elsässischen „Brüder"; al- sie selbst „erniedrigend" den Frankfurter Frieden, den sie deshalb nicht unterzeichnet haben. Herr Bebel dagegen fordert Arm in Arm mit Herrn Lieb knecht seit einem Menschenalter Lurch Verleugnung und Be schimpfung alles Dessen, was deutsch heißt, den Zorn und die Verachtung seiner Volksgenossen heraus, protestirt gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen, wird nicht müde, diese seine auswärtige Politik als Len Inbegriff staatsmännischer Weis heit auszuschreien. Und der Erfolg seiner nationalen Selbst- preisgebung ? Ein Fußtritt, empfangen unterfreiem, gallischem Himmel, in Gegenwart einer tausendköpfigen Menge. Für wahr, man begreift die Wehmuth, mit welcher der „Vor wärts" klagt: „Daß die französische Regierung in ihrer blinden Angst vor der Socialdemokratie auch einen der Männer aus Frankreich ausweist, die 1870 und 1871 gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen protestirt haben, das kann nach den Vorgängen in Lille nicht Wunder nehmen." Wie der wüthig-verzweifelnde Mephisto, als die Engel Faustens Unsterbliches entführen, so darf Herr Bebel jetzt sich anklagen: „Bei wem soll ich mich nun beklagen? Wer schafft mir mein erworbnes Recht? Du bist getäuscht in deinen alten Tagen, Du haft's verdient, es geht dir grimmig schlecht. Ich habe schimpflich mißgehandrlt, Lin großer Aufwand, schmählich! ist verthan"... Herr Stöcker hat wieder einmal eine Epistel geschrieben und im „Volk" drucken lassen. In der Einleitung meint er, die Amtsniederlegung des Pastors Göhre werde „klärend und belehrend" wirken; am Schluß glaubt er, „daß Göhre's Vorgehen zu großen Jrrthümern führen könnte". Diesen soll die Epistel begegnen. Sie ist ebenso — unzweideutig, wie Herrn Stöcker's eben mitgetbeilte Beurtheilung des Schrittes, Len Pastor Göhre gethan hat. Klar ist nur die Ver sicherung: Politiker wie Herr Stöcker treiben lediglich christliche Socialpolitik, stehen dabei dem Classcnkampf weltenfern; Politiker wie Herr Göhre dagegen können nicht christlich-social sein, weil sie im Classcnkampf stehen, .... Einer wahrhaft christlichen Eingebung folgend, hat eine Firma einen „Windthorstcognac" in den Handel ge bracht. Die „Germania", die bekanntlich den Materialismus in jeglicher Gestalt nicht ohne Leidenschaft bekämpft, giebt mit ihrem bewährten Verständniß fü>- alles Edle, Schöne, Gute rc. Namen und Sitz der Firma genau an und bemerkt außerdem: „Wenn übrigens der neue Cognac so viel Geist hat, wie der Mann, dessen Namen er angenommen, dann muß er gut sein." Ohne Frage. Wir würden deshalb, sobald dies von glaubwürdiger Seite festgestellt wäre, Len „Windthorstcognac" bestens empfehlen. Za, wir würden noch ein klebriges thun und darauf Hinweisen, daß der heilkräftige Thee, den der Centrumsführer Dr. Lieber verschleißt, ganz besonders geeignet sei, durch „Windthorstcognac" „vergeistigt" zu werde». Allerdings steht zu befürchten, daß, wer mit dem so gemischten Trank im Leibe den Schlachtruf „Hie Christen- lhum, hie Atheismus" erschallen läßt, den Sieg davon trägt. Indessen — es könnte schließlich doch anders kommen! Deutsches Reich. * Leipzig, 12. September. Wie wir einem Theile unserer Leser bereits durch ein Extrablatt gemeldet haben, ist der Kaiser heute gegen Mittag auf dem Bahnhofe in Löbau in ernster Gefahr gewesen, aber ohne Unfall glücklich aus ihr hervorgegangen. Ueber den Vorgang berichtet folgendes Telegramm: Löbau, 12. September. Als der kaiserliche Hof zug auf dem hiesigen Bahnhofe hielt und der Kaiser sich bereits vom König Albert verabschiedet und den Zug bestiegen hatte, fuhr der Dresdner Schnell zug nm 11 Uhr 55 Min. in die zweite Maschine des kaiserlichen Hofzugs, eS wurde jedoch Niemand verletzt. Der kaiserliche Hofzug, der zurück gezogen und in ein anderes Gleis übergesührt werden mußte, erhielt eine Verspätung von 40 Min. Mit König Albert beklagt ganz Sachsen, daß das Haupt des Reiches auf sächsischem Boden in solche Fährniß gerieth, und dankt der gütigen Vorsehung, die Uebleres abwendete. Selbstverständlich wird strenge Untersuchung eingeleitet werden, uni die Ursache des Zusammenstoßes festzustellen. Für ebenso selbstverständlich erachten wir es aber, daß lediglich Uebcr- eifer, der gerade bei besonveren Anlässen pflichtgetreuer Männer fick leicht bemächtigt, den beklagenswerthen Vorfall herbeigeführt hat. Daß dieser für den Kaiser keinerlei nach theilige Folgen gehabt hat, scheint aus der folgenden Depesche hervorzugehen: Siegcrsdorf, 12. September. Lebhaft begrüßt, traf der Kaiser heute Nachmittag gegen 2> z Uhr auf dem hiesigen Bahnhofe ein und wurde vom Grafen Solms- Laubach empfangen. Der Kaiser bestieg sofort den bereitstehenden Jagdwazen und begab sich über Thommendorf zur Zagd nach dem Klitschdorfer Revier. Kriegervereine, Schulen nnd die Arbeiter der Siegers dörfer Werke bildeten vom Bahnhofe an Spalier. Berlin, 12. September. Man hat schon die Behauptung aufgestellt, daß es in der Social demokratie „Junker" gäbe. Die Berechtigung dieses Vorhaltes soll hier heute nicht des Näheren untersucht werden; vielleicht ist dort jene ständische Bildung bereits im Keime vorhanden, bedarf indeß noch der weiteren Entwickelung. Aber Professoren giebt es in der socialdemokratiscben Partei ohne Zweifel, d. h. in der Nebenbedeutung des Doctrinarismus und der Weitschweifigkeit. Ein staatsrechtliches Colleg des alten Göttingers Pütter kann unmöglich mühseliger zu hören gewesen sein, als die Lectüre der Auseinandersetzungen über die Boykotte, die sich in den Nummern 205 und 212 des „Vorwärts" finden. Zn diesem Falle stehen sich die Redaction Les genannten Blattes und der Reichtagsabgeord- nele von Elm gegenüber und zwar mit Bezug auf die Frage nach der entscheidenden Znstanz für die Wahl oder Nichtwahl dieses Kampfmittels. Zn dem Hamburgischen Gewerkschafts- cartell war am 5. August von dem genannten Abgeordneten ein Antrag gestellt worden, der die Entscheidung über Streiks und Boycotts dem Gewerkschaftscartell des von der zu boycotlirenden Firma bewohnten Ortes anheimstellen sollte. Die öffentliche Kritik eines betreffenden Beschlusses sollte für unzulässig erklärt werden und ebenso die Beendi gung des Boycotts weder von den streikenden Arbeitern, noch von der Arbeiterpresse, sondern lediglich von dem örtlichen Gewerkschaftscartell abhäugen. Der Antrag fiel mit 53 gegen 20 Stimmen — indessen nur aus formalen Gründen, wes halb denn auch die Redaction des genannten socialdemo kratischen Organs sofort den Kampf erneuerte bezw. eine Polemik gegen jenen v. Elm'schen Antrag eröffnete. Zhr Hauptargument war, daß man in Deutschland eine social demokratische Wählerschaft von 1>/» Millionen habe; diesen im Falle eines Boycottbeschlusses die Befehle und Verbote eines örtlichen Gerverkschaflscartells aufzulegen, sei doch widersinnig. Zndeß der Hamburgische Führer ließ sich durch die Berliner Redaction nicht mundtodt machen. Zn einer langen Erwiderung fertigte er die Einwände Les „Vorwärts" ab und zwar mit einigen Argumenten, die aus einer etwas verworrenen Darlegung heraus wirksamer hervor gehoben zu werden verdienen. Eine Volksversammlung ist, nach seiner Darlegung, mit nichten der geeignete Ort, um über einen Boycott zu entscheiden, schon weil die Erörterung des Für und Wider an jener Stelle den Gegnern der Arbeiter Waffen in die Hand geben muß. Ueberdieö wird eine Volksversamm lung unter dem Eindruck der an ihren Gesinnungsgenossen geübten Maßregeln leicht leidenschaftlich bewegt; selbst der Referent kann sich dann dieser Stimmung nicht entziehen, und ohnehin kommen aus den vorerwähnten Ursachen die Gründe gegen einen Boycott «,ar nicht reckt zum Gehör. Ferner ist eine Volksversammlung eine rein zufällige Znstanz; Wege» Ueberfüllnng der Locale müssen manchmal Tausende umkehren; es ist also unberechenbar, wer gerade theilnimmt und mit stimmt. Endlich aber können die Frauen an diesen Volks versammlungen meist nicht theilnehmen, sondern sind an ihre Häuslichkeit gebunden; gerade für sie sind Loch aber Streik und Boycolt von besonders einschneidender Bedeutung, und sie kommen somit Labei nickt zu Worte. Aus diesen Gründen kann über solche Fragen nur im engeren Kreise entschieden werden. Wenn man dies aber Absolutismus nennen will, dann muß darauf verwiesen werden, Laß doch auch in der socialoemokratischen Partei nicht Lurch Urabstimmung entschieden wird; sogar die Rcdaction des „Vorwärts" ist, außer dem Genossen Liebknecht, weder vom Parteitag, nock von einer Parleiversammlung gewählt worden, dasselbe ist in den Redactionen fast sämmtlicher übrigen Parteibiätter der Fall. Eine solche Redaclion aber besitzt eine ungemeine Machtbefugnis. So hat der „Vorwärts" einfach die Ausrufe in Sachen des Boycolts gegen die Margarinefabrik Mokr^ Babrenfeld unabgedruckt gelassen, obgleich dieser Boycolt von mindestens 20 000 Parteimitgliedern in Volksversammlungen beschlossen worden war; aber 5 oder 6 Redacteure Les „Dor wärls"hielten die Ursachen für den Boycott nicht für ausreichend, und doch sind auch sie dem Jrrthum unterworfene Menschen kinder. Soweit die Polemik des Herrn Reichstagsabgeordr neten v. Elm in der Boycottfrage, an die sich dann noch eine Auseinandersetzung über die gewerkschaftlichen Angelegenheiten anreiht. Hier findet sich noch in einem Wirrwarr müh seliger Definitionen eine gesalzene Bemerkung, und zwar die jenige, daß ein allgemeiner Gewerkschaftscongreß viel zu viel Geld koste, auch die allgemeine Durchführung eine^ wirtbschaftlicken Boycotts finanziell undurchführbar fei, nack der Meinung des „Vorwärts" nämlich; aber der inter nationale Congreß in London habe doch ein Heiden mäßiges Geld verschlungen und dieses hätte doch auch von den Arbeitern aufgebracht werden müssen. Der Gegen» satz zwischen Svcialdemokratie und Gewerkschaft, zwischen der politisch revolutionairen und der socialwirthschaftlickcn Fettilleton. Die Philippinen. Von Otto Leonhardt. Nachdruck verbot«». Nach dem Prinzen von Asturien, dem späteren König Philipp III., taufte im Zahre 1542 der Admiral Villalobos den Archipel, den Magellan 1521 zuerst betreten und der dem großen Seefahrer Las Leben gekostet hatte. Fast dreißig Jahre später faßten die Spanier aus der Halbinsel Luzon festen Fuß und breiteten jetzt ihre Herrschaft mit wachsender Schnelligkeit über die Inselgruppe aus. Es ist ein wahrhaft paradiesisches Stück Erde, das sie damit ihrem Reiche einverleibten. Der vulcanische, schon von Natur sehr üppige Boden wird durch die ge waltigen , Wolkenbrüchen gleichen Regengüsse, die im October und November niedergehen, zu höchster Frucht barkeit gesteigert. An den besten Stellen finden vier Mal im Zahre Ernten statt: zwei Mal erntet man Len Reis, je einmal die Melonen und den Mais. Der Reis soll zuweilen 400 fachen Ertrag geben. Der Cacao, der hier gedeiht, gilt für den heften der Welt; die Bewohner ziehen ibn dem Kaffee vor, der hier daher nickt so viel an gebaut wird. Alle Südfrüchte, die Dattel, der Ananas, die meisten Gemüse sind hier zu Hause; in den Wäldern bedeckt ost der Feigenbaum die Erde ringsherum dicht mit seinen reifen Früchten; neben der stolzen Arekapalme stehen kleinere Fächer- und Sagopalmen; dichte Bambuswälder, durch üppigen Lianenwuchs zu einer einzigen grünen Maner ver bunden, klimmen die Berge hinan. Zahlreiche Nutz - und Farbhölzer liefern die Wälder, Kleidung die Baumwolle, aus > den Fasern des Stammes einer Pisangart gewinnt man j einen vortrefflichen Hanf, und der Tabak bildet eine Quelle schier unerschöpflichen Reichtbums. Und mit dem Reichthume verbindet sich die Schönheit. Ist die Regenperiode vorüber, dann beginnt eine Zahreözeit, in der die tropische Hitze vom Seewinde gekühlt wird und die Natur unbeschreibliche Reize entfaltet. Wie ein Tranm- land erscheinen dann die Philippinen dem europäischen Be sucher; sie athmen eine sanfte, liebliche, lächelnde Schönheit. Begeistert schildert Montano besonders die frühen Morgen stunden in Albay auf Luzon; still liegen die leichten Hütten unter dichten Blätterdäckern, deren Dunkel unzählige Leucht käfer funkelnd erhellen, mit ruhigem Glanze strahlt die Venus, aus einem Sternenvorbange schimmert der Mond, schlank beben sich die Arekapalmen und die CocoSbäume vom zitternden Teppich der Reisfelder ab und die noch unsichtbare Sonne vergoldet die Landschaft mit ibren ersten Strahlen. Bevor die Spanier die Inseln in Besitz nahmen, hatten sie bereits zwei Invasionen erlebt. Die Ureinwohner waren indonesischen Stämmen erlegen, die Indonesier von Len Malayen ins Znnere zurückgcdränat worden. Als die Ur einwohner gelten die Negritos, die „Negerlein", deren Rassen zugehörigkeit durch ihren Namen bezeichnet wird. Es sind im Allgemeinen armselige, gedrückte, demüthigr Wesen von sehr geringen Bedürfnissen. Meist gehen sie nackt: ab und zu wirft die Cnltur einen alten Frack in ihre Wälder, der daun für den Negrito - Häuptling ein sorgsam gehütetes Symbol seiner Würde wird. Sie brauchen Tabak, etwas Kleiderstoff, eine Eisenspitze für ihre Pfeile und bandeln sie für Reis, I Harze und Waldbonig ein, wobei sie in Folge ihrer Un- I kenntniß Les spanischen Geldes regelmäßig betrogen werden. Sie leben still und friedlich, ein sehr inniges Verhältniß der Liebe und des RespectS herrscht zwischen Eltern und Kindern, und die Sclaverei ist ihnen merkwürdiger Weise ganz un bekannt und unerträglich. Nock nie ist eS, selbst unter Auf wendung der größten Freundlichkeit, gelungen, einen Negrito in einem Dienstverhältnisse festzubalten; und man erzählt sogar, daß ein ungewöhnlich begabter Negrito, der in Spanien Theologie studirt hatte und Priester geworden war, kaum daß er den heimatblichen Boden betreten hatte, wieder zu seinen Brüdern entlief und Wilder unter Len Wilden wurde. Die Indonesier, die Liese wenig entwickelte Raffe unter warfen, bevölkern heute besonders die große Süd-Insel Mindanao und haben sich hier im Znnern größtentheils in Selbstständigkeit und Barbarei erhalten. Die Mandayas wohnen hier, und den Angelpunct ihrer Cultur, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, bildet der Mord. Die Mandayas morden um der Bente willen, aber auch ohne Aussicht auf Gewinn, aus Ehre. Wer 80 Köpfe abgeschnitten hat, erhält den Ehrentitel eines da^kiin und darf fick, wenn er seine Tbaten nackgewiesen hat, mit einem Sckarlack-Turban schmücken. Nackts führen die Mitglieder dieser Mördersecte ihre Anfälle aus, setzen die Dächer der leichten Häuser mit flammenden Pfeilen in Brand und werden ihrer Opfer fast immer leicht Herr. Die Hauptmasse der Bevölkerung besonders von Luzon bildet der malaiische Stamm der Tagalen oder Tagalocs Es ist ein fröhliches, sanftmüthigcs und friedliches Volk, das aber, wenn man eS reizt, rachsüchtig, leidenschaftlich und treulos wird. Zn diesem Lande, darin Milch und Honig fließen, ist eS natürlich, daß sic sorglos und träge wurden. Unter energischer Anleitung können sie ganz gute Arbeiter und Bauern, tapfere und geduldige Soldaten und Seeleute werden; aber sich selbst überlasten, geben sie sich einer Art Lazaroni-Leben hin. Sie sind leidenschaftliche Spieler und haben eine fanatische Vorliebe für das grausame Schauspiel der Hahnenkämpfe. Zeder Malaye hat, wenn er cs sich irgend leisten kann, einen Hahn; nach ibm zu sehen, ist sein Erstes, wenn er früh vom Schlafe erwacht, und eine Liebkosung Le? geliebten Tbieres ist seine letzte Handlung Lor dem Schlafen gehen. Eine andere Leidenschaft des Tagalen ist die Musil; und es paßt diese Vorliebe zu dem sanften musikalische» Cbarakter LeS Landes. Verliert in dieser üppigen Natur, unter dieser leuchtenden Sonne doch selbst der Tod seine Sckrecken: mit Musik und Festen wird das Begräbniß be gangen, und die weinende Mutter bleibt unbemerkt unter der lärmenden Menge. Um wie viel rauschender noch und glänzender sind die durch freudigere Veranlassungen ent standenen Feste! Dann klingt und jauchzt eS von den mannigfachsten Instrumenten und die ganze Nacht hindurch drehen sich die unermüdlichen Paare im Tanze. Die Unterwerfung der Malayen vollbrachten die Spanier weniger durch Waffengewalt al- durch die Geistlichkeit. Die Patres warfen sich mit Eifer auf die Mission und machten bald mächtige Fortschritte. Heute sind die Tagalen fanatische Katholiken; aber es ist nicht zu verkennen, daß ihre Religiosität doch mehr äußerlicher Natur ist und starke Reste heidnischen Glauben» und Aberglaubens sich ihr beimiscken. Die brennende Verehrung, die sie dem reichgeschmückten MuttergotteSbilde tarbringen, entbehrt der sittlichen Empfindung und erinnert an den Cultus eines Götzenbildes, von dem man Schädigung befürchtet oder Segen erhofft. Thatsache ist aber jedenfalls, daß die Geistlichkeit die Eingeborenen völlig in der Hand bat. « Sie ist der wahre Herr der Inseln, und auch die Regierung > darf nicht den Versuch wagen, sich von ihr zu emancipirrn,
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