01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960918010
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-18
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^°47« Di» Morgen-Ao-gabe erscheint um '/,7 Ubr, dir Abend-Au-gabe Wochentag- um S Uhr. Nedaetion «nd Erpedition: Aohanne-gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen g^linet von früh 8 bis Abends 7 Ubr. Filialen: ttt» Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), UuiversitätSstraße 3 (Paulinum), Lottis Lösche. sintbartnenstr. 14, part. und König-Platz 7, Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt, vezirk und den Bororten errichteten Au«, pabestellen abgeb oll: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- b.öO. Durch die Post bezogen sur Deutschland und Oesterreich: vlerleliäkrlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.SO. Morgen-Ausgabe. Wp.rigttzTagthlaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Vottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 18. September 1896. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter demRedactionistrich (-ge spalten) vor Len Familiennachrichrru (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preit- Verzeichniß. Tabellarischer und Zifser-nsatz nach höherem Tarts. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Morgen - Ausgabe, ohne Postbrfbrderung SO.—, mit Postbeförderuug 70.—. Ännahmeschluß sör Anzeigen: Nb end.Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr, Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4UHL Lei den Filialen und Annahmestellen je «in» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz la Leipzig 9V. Jahrgang. Gewerkvereine und Socialdemokratie in England. Mit seinen auf den Edinburger Gewerkvereins - Eongreß gesetzten Hoffnungen hat Herr Liebknecht sich wieder einmal als schlechter Prophet erwiese». Vergebens ließ er die Lock pfeife ertönen. Wie seine eigenen Genossen in England in der Sache urtheilen, ergiebt sich aus der letzten Nummer von „Justice", dem „Organ der Socialdemokratic", das von Herrn Hyndman und anderen Häuptern der Partei geleitet wird. Da lesen wir: „Herr Mallinson (der Vorsitzende beim Eongreß) hat, nachdem er den Socialismus und die Socialisten mild belobt batte, sie böslich zur Thür hinaus gewiesen . . . . Von bezeichnender Bedeutung ist der mit 172 gegen 11 Stimmen gefaßte Beschluß des Eongresses, zukünftige inter nationale Versammlungen womöglich auf Grundlage der bei britischen Gewerkvereins - Eongressen gellenden Regeln zu gestalten. Mit einem Worte: Herr Ben Tillett bat sein Bestes gethan, um von internationalen Eongressen Männer wie Liebknecht, Bebel, Singer, Jaurvs, Ferri und Adler auSzuschließe n." Das Tischtuch ist somit zerschnitten. Zum Ueberslusse ist in der vorletzten Sitzung zu Edinburg bestimmt worden: cs solle im Laufe des kommenden Labres durch den „Parla- mentarischen Ausschuß" der Gewcrkvereine erst eine Rund frage an die Zweigvcreine gestellt werden, ob überhaupt auch nur ein „internationaler" Gcwerkvereins-Eongreß im Jahre 1898 abzuhaltcn sei. Von einem solchen gemischt sccialisti- schen, anarchistischen und gewerrvereinlichen Eongreß, wie er unlängst in London slattfand und unter der Masse der eng lischen Arbeiter unbestreitbaren Widerwillen erregt hat, will man nichts mehr wissen. Bemerkenswcrth ist ferner die Zusammensetzung des neu erwählten parlamentarischen Ausschusses. Die kommunistische Richtung bat keinen Vertreter in ihm. Zum Schatzmeister ist Herr Jnskip ernannt, der den Londoner Internationalen Arbeiter-Eongrcß als eine „Posse", eine „grobe Zeil- und Geldverschwendung" und eine „Schmach für die Gewerk vereinsbewegung" gebrandmarkt hatte. An all diese That- fachcn knüpft der Londoner Eorrespondet des „Hamb. Eorr." folgende Bemerkungen: „Die englischen Gewcrkvereine umfassen mehr als eine Million gelernter, regelrecht organisirler Arbeiter. Schon aus dieser Ziffer wird man leicht erkennen, wie gering der Anbang der socialtcmokratischeii Partei in England ist. Sie kann sich nicht im Entferntesten mit den Gewerkvereinen messen. Eine Anzahl Mitglieder der letzteren läßt cs sich schon gefallen, gelegentlich so zu sagen einen anscheinenden Schreckschuß gegen die Arbeitgeber mittels einer theoretischen Erklärung für Verstaatlichung von Diesem und Jenem los- znlassen. Aber wer die englische Arbeiterwelt kennt, der weiß, wie wenig ernsthaft dies innerlich gemeint ist, und wie tief die Abneigung selbst des Aermsten gegen alle Pläne für Errichtung eines kommunistischen Gefellschaftsstaates wurzelt. Nichts könnte dem englischen Volksgeiste mehr zuwider fein. Die Annahme, daß eine theoretische Erklärung zu Gunsten der Verstaatlichung deö Grundeigcnthums, einschließlich der Kohlengruben, wie auch der Eisenbahnen auf dem Edinburger Eougresse angenommen werden würde, hat sich in vorletzter Sitzung ebenfalls bewahrheitet. Die Verstaatlichung der Eisen bahnen hat aber nichts mit dem kommunistischen Programm zu thun. In Bezug auf das Grundeigenthum darf nickt vergessen werden, daß nach englischem Staatsrecht — wie nock jetzt aus der den Bodenbesitz betreffenden Gcsetzessprache klar ersichtlich ist — der gesammle Grund und Boden als der Krone, d. h. dem Staate, unterstehend gedacht wird. ES ist die alte feudale Auffassung. Aus ihr heraus hat sich in England die neuere demokratische Ansicht entwickelt, die Manchem um so eher gerechtfertigt erscheint, weil eö im Vereinigten König reiche eine so verschwindend kleine Anzahl von Grundbesitzern giebt. Könnten sich übrigens die leitenden Staatsmänner zu einer durchgreifenden Umänderung der jetzigen unhaltbaren Bodengesetzgebung entschließen, so würden selbst die theo retischen Erklärungen zu Gunsten der Verstaatlichung des Grunteigenthums bald verschwinden; denn nichts ist dem Engländer lieber, als etwas eigener Landbesitz. Einen Antrag auf Verstaatlichung aller Mittel der Warenerzeugung und der Vertheilung hat aber Niemand auf dem soeben ge schlossenen Eongresse auch nur zu stellen versucht." Derselbe Correspondent hatte im August geschrieben: „Aller Aussicht nach werden in Edinburg auch schutz- zöllnerische, namentlich gegen deutschen Gewerbefleiß gerichtete Anträge gestellt werden. Sogar die englischen Musikanten wollen mit derlei Forderungen auftreten, und zwar nicht blos gegen den Wettbewerb deutscher Fachgenossen, sondern auch gegen den von Musikcapellen des englischen Heeres und der Polizei. Eine sonder bare Erläuterung zur Lehre von der Brüderlichkeit!" Und richtig hat man in Edinburg die deutschen Musikanten boycottirt und die einheimischen gegen den Wettbewerb von Musikanten des eigenen Heeres und der Polizei, also staat licher Körperschaften, zu schützen gesucht. Das entspricht gewiß nicht der Verstaatlichungslehre. Man hat ferner ge fordert, die Regierung solle bei allen Contracten für Papier „und andere Maaren" (ein recht weiter Begriff!) nur eng lische und irische Erzeugnisse annehmen. Damit soll der deutsche Gewerbefleiß getroffen werden. Die allgemeine Ver brüderung steht offenbar in sehr weiter Ferne. Oie Oynamilverschwörung. Es ist begreiflich, daß die französische Presse sehr spar sam mit Aeußerungcn über die entdeckte Dynamitverschwörung ist: man befürchtet von dieser Entdeckung einen unerwünschten Einfluß auf die Entschließungen des Zaren und möchte daher alle aus England kommenden Enthüllungen am liebsten für absichtlich aufgebauschte „Räubergeschichten" erklären. So läßt sich das Pariser „Journal" aus London melden, man halte in den dortigen politischen Kreisen das große Anarchisten- complot sür eine Erfindung der englischen Polizei, die gegen die Fenier gerichtet sei. Auch wolle man dadurch einen Druck auf die französische Regierung üben, damit sie den in Boulogne - sur - Mer endlich verhafteten Fenier Tynan, den Haupturheber des Attentats im Phönix-Park, an England ausliefere. Schlimmstenfalls handle es sich um ein rein fenisches Manöver, das nur auf Irland Bezug habe. Ganz anders faßt der englische Eorrespondent der „Nat.-Ztg." die Sache auf. Er schreibt: „Als die englische Regierung vor einigen Wochen plötzlich vier seit 1884 im Zuchthaus sitzende irische Dynamitarden begnadigte, stellte ein dem Ministerium nahestehendes Blatt die Behauptung aus, jene unerwartete Freilassung sei der Preis für werthvolle Informationen über neue fenische Verschwörungen. Jedermann lächelte damals über diese Begründung, denn „die Fenier sind machtlos". Keine der bestehenden irischen Parteien will heute etwas mit Schreckensherrschaft und Attentaten zu schaffen haben. Nur auf dem Wege des Eompromisses sucht man für Irland Reformen zu gewinnen. Vollkommen richtig. Und doch bat die Geheimpolizei über Nacht eine der verruchtesten fenischcn Dynamit - Verschwörungen ans Licht gefördert. Jenes Blatt hatte Wohl so unrecht nickt, denn aus den Einzelheiten, die der Telegraph über die Verhaftungen in Boulogne, Rotterdam und Glasgow gemeldet hat, ist ersichtlich, daß die englische Polizei seit Monaten von allen Plänen der Verbrecher durch irische Spione unterrichtet war. Aber haben wir es wirklich mit einer jener alten senischen Bewegungen allein zu thun oder mit einem Zusammen wirken der internationalen anarchistisch-nihilistischen Elemente? Die hiesige Presse bemüht sich, die Frage im ersteren Sinne zu beantworten. Aber daS Bestreben hat einen leicht ersichtlichen Grund. Man möchte es nicht gern wahr haben, daß dem russischen Kaiserpaar während seiner Anwesenheit auf britischem Boden eine ernstliche Gefahr gedroht hat oder noch drohen könnte. Dieses Gefühl für den guten Namen des Vaterlandes ist leicht verständlich, aber eS macht die vorgebrachten Begründungen doch nicht über zeugender. Daß die Polizei nichts betreffs eines Attentates auf den,Zaren veröffentlicht hat, will nichts besagen. Einmal besitzen wir noch nicht all ihr Anklagematerial, und zweitens würde sie überhaupt nicht nöthig Haden, solch ein Eomplot vor der Welt bloßzulegen. Es genügt vollkommen, wenn sie den Besitz von Sprengstoffen und die Absicht, sie zu irgend einem unerlaubten Zwecke zu benutzen, nachweisen kann, um dieses Mordgesindel an den Galgen oder für fünfzehn Jahre ins Zuchthaus zu bringen. Die „Times" will großes Gewicht darauf legen, daß alle bislang Verhafteten zu den irisch amerikanischen Feniern gehören, ohne Beimischung fremder Elemente, und daß die Fenier blisher sich von den Nihilisten und Anarchisten fern gehalten und ihre Verschwörungen aus schließlich gegen englisches Leben und Eigenthum gericktet hätten Demgegenüber fallen indessen sofort mehrere be denkliche Puncte ins Auge. Einmal ist die Bezeichnung „Fenier" schlechtweg eigentlich viel zu allgemein. Der Name umfaßte jene Partei, die Irland mit Gewalt von der „säcksiscken" Herrschaft befreien wollte, aber mit Gewalt der Waffen, d. b. im offenen Kriege. Die Dynamitarden, wie O'Donovan Rossa oder Tynan bildeten nur das ver worfenste Element, das aber vermittels brutaler Ein schüchterung und Meuchelmord eine Zeit lang den Rest der Partei terrorisirte. Dieses Gesindel lebte zumeist sicher in Amerika von den Beiträgen, die für die „heilige Sache Alt- Irlands" in ihre Cassen flössen. Es ist darum fast selbst verständlich, daß sie sich seiner Zeit auch ausschließlich mit anti-englischen Attentaten befaßten. Jetzt aber liegt die Sache ganz anders. Mit der Wand lung innerhalb der irischen Parteien daheim sank auch die Macht ihres Terrorismus und noch schneller die Zahl der einströmenden Dollars. Die „Dynamit-Partei" brach in Gruppen auseinander, von denen nur noch diejenige Tynan's wirklich nach „activer Arbeit" trachtete. Wir haben hier einfach den Abschaum der irischen Partei vor uns, Leute, denen die Anwendung von Dynamit und Sprengbomben das Hauptprincip erscheint und die sich schließlich von den fran zösischen Anarchisten oder russischen Nihilisten durch nickt« als ihre Nationalität unterscheiden. Eine engere Annäherung zwischen ihnen konnte demnach nicht schwer zu bewerkstelligen sein. Die reichen Geldmittel der Verschwörer weisen mit Nothwendigkeit auf eine Ouelle, die sich ihnen ganz plötzlich von anderer Seite ausgethan haben muß. Sie waren vor Kurzem noch bettelarm, wie die englische Polizei weiß, die diese Eassenbestände gewöhnlich sehr gut kennt. Ist cs sonach nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich, daß Tynan und seine Bande mit den Nihilisten und Anarchisten zusammenarbeiteten, so muß Wohl auch ein Attentat auf den Zaren in ihrer Absicht gelegen haben. Schließlich ist auck für dieses Gesindel, gleich den vielen verurtheilteu Anarchisten, Mord und Reclame durch Bluttbaten der Hauptzweck. Was würden einige Dutzend Explosionen in Theatern oder Bahnhöfen oder sonstwo bedeuten gegen selbst ein vereiteltes Attentat auf den russischen Kaiser und die königliche Familie in Balmoral Eastle! Auch wäre der Versuch nicht aussichtslos gewesen. Denn wie abgeschieden auch das Schloß im schottischen Fenilletsn. Irische Rache. Novellctte von Paul Bourget. Autorisirte Uebersetzung von Waldemar Schmitz. Nachdruck verboten. Vor einigen Jabrcn machte ich in Amerika die Bekannt schaft eines ehemaligen Industriellen aus Ohio, der in der Räbe von Lake Math in Florida sich mit Segelsport und Fischfang die Zeit vertrieb. Ich war ihm nach amerikanischer Sitte von einem Tischgencssen im Hotel vorgestellt worden, und er nabm mich bald darauf mit jener Gastfreundschaft in seiner Villa auf, welche einen der reizendsten Züge im Nationalckaratter der Yankees bildet. Bei dieser Gelegen beit erzählte ich ihm unter Anderem von einem Besuch auf der Plantage eines Irländers, wobei mir der Besitzer den Eindruck eines Menschen gemacht habe, der sich absolut nicht an das Milieu, in dem er jetzt lebte, gewöhnen konnte und der mit allen Fasern seines Herzens am irische» Vaterlande hinge. Unsere Unterhaltung ging bald auf das leicht erreg bare und heftige Temperament dieser Rasse über, auf die Tugenden ihres zähen Patriotismus, auf ihre Grausamkeit und Nachsucht. Zum Beweis, in welch' hohem Maße diese letztgenannten Eigenschaften bei dem Irländer ausgeprägt sind, erzählte mir mein Wirth eine selbsterlebte Geschichte. Der Ort, wo wir mit einander plauderten, war ein Weg im Oleanderhain am Ufer des Sees, der eine malvenfarbige Wasserfläche bildete. Und während der Himmel gluthroth strahlte und die Segel der Barken purpurn färbte, begann mit einem nässelnden „nell' also oer Aankee aus Ohio: „Es war im ersten Jahre meines hiesigen Aufenthaltes, und dieser Ort war viel einsamer als heute. Mein Schweizer baus stand bereits und ich brachte, wie auch heute noch, ganze Tage, ja ganze Wochen auf dem Wasser zu. Um Morgen zeitig auf dem Posten zu sein, übernachtete ich auf meinem Schiff, das ich gewöhnlich in einer kleinen geschützten Bucht fcstankerte, an deren Ufer eine Pflanzung sich ausbreitete, wie Sie eine solche kürzlich besucht haben. Dort lebte ein Weißer mit einigen schwarzen Dienern. Er ließ sich Mr. Shaw nennen und gab sich für einen Nordamerikaner aus. Ich hatte noch keine zehn Minuten mit ihm gesprochen, al- ich wußte, daß er ein Irländer war. Zwei Eigenschaften verbleiben diesen Leuten zeitlebens. Erstens der sonderbare Blick ihrer Augen und sodann die Art und Weise, wie sie gewisse Buchstaben, das i und das r aussprechen. Warum Mr. Shaw seine Nationalität verheimlichte? Diese Frage interessirte mich kaum. Ich legte sie mir nicht einmal vor. Ich dachte mir: Mr. Shaw wird sich vielleicht bei Gelegenheit irgend eines der in Irland so häufigen Attentate compromittirt haben und will nun in Ruhe und Frieden sein Dasein beschließen, selbst dieser Vermuthung hätte ich keinen Raum gegeben, wenn er nicht die seltsame Manie gehabt hätte, unaufhörlich das Gespräch auf den gewaltsamen Tod zu bringen. Ich höre ihn nock mit seiner etwas heiseren Stimme Sätze un gefähr folgenden Inhaltes sprechen: „Wissen Sie, in diesem Staate bleibt doch der Mord so gut wie unbestraft? In den letzten zwei Monaten sind sieben Morde vorgekommen. Die Thätcr sind alle freigesprochen worden. Der Richter hat den letzten nach Auferlegung einer Geldbuße von 3 Dollars laufen lassen .... Was ist das für eine Polizei! mein Gott, waS ist daS für eine Polizei!" Oder auch, wenn er irgend eine sensationelle Nachricht in der Zeitung las: — „Glauben Sie vielleicht, die Polizei wird hinter das Verbrechen kommen? Bei solchem Schlendrian ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher." Bei solchen und ähnlichen Aeußerungcn, welche durch ihre beständige Wiederholung verriethen, daß Mr. Shaw von einer firen Idee besessen war, pflegte er mich mit seinen großen Hellen Augen anzusckuuen, drehte aber den Kops sofort seitwärts, wenn er meinem Blicke begegnete. Dabei glänzte es in seinem dunkelblauen Augapfel wie beständige Angst. Mitunter wurde diele Angst so groß, daß er erbleichte, wenn er von Mord und Mörder sprach. Doch das dauerte nur eine Secunde, dann kehrte das Blut in das von einem kurzen rothen Vollbart umrahmte Gesicht zurück. Ick sagte mir oft im Stillen: — „Mein Junge, Du möchtest mir gern weiß machen, daß Du eine große Vorliebe für die Polizei hast, damit ich nicht merke, wie große Furcht Du vor ihr hast. Du denkst in einem fort an sie und thätest besser, zu schweigen." — Solche Antworten gab ich ihm im Geiste. Genaueres aber zu erfahren, darnach war ich ganz und gar nicht neugierig. Er benahm sich höflich und gefällig gegen mich. Außerdem war er ein ausgezeichneter Schütze. Ich konnte meine Waffen bei ihm kaffen und meine Hunde durften neben seinem Dache schlafen. Uebrigens merkte ich gar bald, daß ich mich irrte und daß Mr. Shaw nicht die Polizei fürchtete. — Eines NachtS — es mögen nun etwa fünf Jahre her sein — schliefen meine drei schwarzen Diener und ich ruhig in dem Schweizer häuschen, als uns plötzlich heftige Schläge an der Thür weckten. Auf diesen Lärm hin ergriff ich meine Flinte und befahl meinen Schwarzen laut, gleichfalls die ihrigen zu nehmen, damit der nächtliche Besucher wüßte, mit wem er es zu thun habe. . . Der draußen hörte denn auch meine Befehle und nun folgte auf die Faustschläge ein flehentliches Bitten. Mit Staunen erkannte ich die Stimme D r. Shaw's, der ganz gedämpft sprach, als ob er fürchtete, von Unberufenen gehört zu werden: „Oeffnen Sie, öffnen Sie, um Gottes willen!... Ich bin's, Shaw, öffnen Sie sogleich..." Es lag ein solcher Jammer io dem Tone, daß ich auch wirklich, ohne mich weiter zu bedenken, sofort aufmachte. Der Mann trat leichenblaß und ganz verstört ein. Eine unsag bare Angst lag auf seinem Gefickt. Sein Flanellhemd war an der Schulter mit Blut befleckt. Sein Beinkleid war zerrissen und seine nackten Füße bewiesen, daß er im Schlafe überrascht worden war. Wir schlafen nämlich hier immer angekleidet auf dem Bett. — Al- er im Zimmer stand, warf er nach allen Seiten scheue Blicke wie ein gehetzte« Wild. Mit der linken Hand hielt er eine Pistole, und da sein rechter Arm schlaff herabhing, merkte ich, daß die blutigen Flecken von einer Wunde herrührten. Sofort rief ich einem der Schwarzen zu, er sollte den Kasten mit dem Verbandzeug bringen. „Nein", wehrte Mr. Shaw leise, „ich hab' keine Zeit, ich bin verloren, wenn Sie mich nicht augenblicklich auf Ihr Schiff bringen .... Morgen muß ich in Miami sein . . . . Dort wird man mich nicht suchen . . ." „Aber was ist denn los?" fragte ich ihn. „Beruhigen Sie sich doch nur. Wir sind hier drei bewaffnete Männer. — Mit Ihnen, da Sie sich ja noch des linken ArmeS bedienen tonnen, macht das vier .... Wir werden uns ganz gut die Nacht über halten können, wenn man uns angreisen sollte . . ." „Vier", antwortete er nach kurzem Schweigen, „freilich ... doch gleichviel, gehen wir, gehen wir auf der Stelle! . . ." Ich betrachtete ihn, ich bemerkte von Neuem, daß er meinen Blick nicht auszuhalten vermochte. Um hierher zu gelangen, hätte er einen meikenweilen Weg machen müssen durch Gestrüpp, durch Wald, durch Tümpel und Lachen hin durch. Wenn ihn Räuber verfolgten, warum hatte er nickt auf halbem Wege Halt gemacht, wo rin Polizeiposten war, eine Baracke, in der wegen der Indianer mindestens immer zwanzig Soldaten Wache hielten ? Und floh er wiederum nicht vor Räubern, vor wem in aller Welt ergriff er denn eigentlich die Flucht? Einem Unschuldigen wollte ich gern Sckutz gewähren, einen Schuldigen aber hätte ich mit eigenen Händen arretirt; deshalb sagte ich ihm rund heraus: „Nein, Herr Shaw, ick werde Ihnen bei Ihrer Rettung nicht behilflich sein, wenn ich nicht weiß, wer Sie verfolgt und weshalb Sie fliehen." „Sie haben Recht", versetzte er. „Nun Wohl, lassen Sie mick gehen." Er wollte auf die Thür zu eilen. Diese Hast über zeugte mich vollends, daß die Polizei ihm auf den Fersen war. Ich stellte mich vor ihn hin mit dem Revolver in der Faust. „Nein", rief ich, „Sie rühren sich nicht von der Stelle, bevor ich weiß, bei welcher Gelegenheit Sie verwundet wurden und warum Sie fort wollen." „Sie haben Recht", meinte er wiederum und sah mit immer größerer Angst nach der Thür. „Aber löschen Sie die Kerze auS, ich beschwöre Sie." Bevor ich seiner Bitte nachkommen konnte, hatte er selbst daS Licht ausgeblasen. — „Ach", fuhr er verzweifelt fort, „Sie halten mich gewiß sür einen Mörder? ... Ich bin keiner. Mich will man tödten. Und wenn es geschieht, so werden Sie zum Mitschuldigen . . ." „Aber wer „man"?" fragte ich bestürzt. „Die von der Land-League l" erwiderte er. „Ich bin Irländer und gehörte zu ihrem Bunde. Sie haben mich zum Tode verurtheilt. Seit acht Jahren verberge ich mich vor ihnen. Nun haben sie mich gesunden. Liefern Sie mich jetzt aus, wenn Sie wollen ..." „Billy", rief ich nach einigem Schwanken einem der Neger zu, „Du machst sofort daS Schiff bereit!" Ich sollte bald erfahren, daß der Mann nicht gelogen hatte. Trotz des Dunkels der Nacht konnte ich sehen, wie er gespannt auf daS geringste Geräusch da draußen horchte. Sobald ich den Befehl ertheilt hatte, ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Ein anderer Schwarzer holte ein wenig Wasser und Whisky herbei, den er gierig trank. Nach einer kalben Stunde meldete Billy, daß die Barke bereit sei. Billy ver sorgte sich nun auf mein Gebeiß mit Proviant und Verband zeug. Ich kannte die Unversöhnlichkeit der irischen Ver schwörer vom Hörensagen. Da sie Mr. Shaw auf dieser Halbinsel ausgesucht hatten, mußten sie seinem Tode eine ganz besondere Wichtigkeit bcimessen. Wir verließen unter äußerster Vorsicht das Schwcizerhäuscken. Ich ging voran mit der Flinte in der Hand. Mr. Shaw folgte mir als Zweiter, dann kam Billy und darauf der Neger mit dem Gepäck. Unglücklicherweise beleuchtete Heller Mondenschein unseren Jndianermarsch. Sie erinnern sich, daß nahe bei der Bucht, wo meine Kähne vor Anker liegen, eine Art log-byuse, von Wald umsäumt, sich befindet. Jnstinctiv trat ich ein wenig bei Seite, uni den Platz, der daS HauS umgiebt, abzusuchen. Auf diese Weise kam Mr. Shaw an die Spitze. Als er mich verschwinden sah, blieb er stehen, und in demselben Augen blick krachte ein Schuß von oben herab, der ihn lobt zu Boden streckte. Eine menschliche Gestalt sprang vom Tacke und verschwand im Gesträuch. Da oben hatte der Mörder uns aufgelauert. Der Angriff geschah so plötzlich, daß ich nicht einmal aus den Gedanken kam, ebenfalls von meiner Waffe Gebrauch zu machen. Dock Billy? batte schon die seinige angelegt und auf den Flüchtling geschossen. Wir hörten einen lauten Aufschrei. „Er ist verwundet," sagte der Neger. „Ich werde ihn bald gefunden haben." Nachdem wir den Tod Mr. Sbaw's constatirt batten, trugen wir seinen Leichnam in die Hütte. Bald darauf kam Billy und benachrichtigte unS, daß er seinen Mann ge funden. Wir begaben unS an Ort und Stelle. Die Kugel Billy's hatte den Attentäter zwischen den Schultern getroffen und war ihm zur Brust wieder herausgekommen. Er spie Blut und lag im Sterben. Dennoch hatte er die Kraft, als ich dickt bei 'ibm stand, mich mit Augen voll Haß und Ver achtung anzuseben. Ich werde den Blick nie vergessen, mit dem er mir zurief: „Sie haben einen Verräther gerächt." „Und Sie haben nie etwas über die Art und Weise dieses Verralhß erfahren?" fragte ich, wie der Erzähler geendet hatte. „Nie", antwortete dieser. „Wir begruben die beiden Leichen neben einander; daS war Alles. Ich vergaß zu er wähnen, daß noch in derselben Nacht daS Haus Mr. Shaw s von unbekannter Hand verbrannt wurde. Seine Bedienten waren geflohen. Die, welche man am nächsten Morgen fest nahm, erklärten, sie wären bei Tagesanbruch von mehreren Männern angegriffen worden. Doch daS waren Neger, wer möchte von ihnen je die Wahrheit erfahren?" „Ja, ich vergaß noch etwas, eine Tbatsache, welche bei allen agrarischen Racheakten in Irland sich ereignet: Das dem Verräther gehörige Vieh, zehn Schweine, vier Kühe und ein Pferd wurden mit abgeschnittenen Nasen und je einem abgeschnittenen Fuße aufgesundea. . . ."
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