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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960916022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-16
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<>e,'>ttgS-Prcis 4c der Hanplcxpedilion oder den im Stadt, cezirk und den Vororten errickUctcn Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich./LL.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ./t ö.c>0. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Tirccte tägliche Krcuzbandicndung ins Ausland: monatlich 7.ö0. Tie Morgenausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um ö Uh« Nedaclion und Erpeditio«: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen ge^gnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Uvivcrsitütsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, flatbannenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. MbeNd-AuSWbe. «MW, ' — — icipuglr Tagtlilall Anzeiger. Amlskkatt -es Königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es Natljes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. AuzeigeN'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reclamen unter dem Ncdactionsstrich (4ge- spalten) LO^z, vor den Familiennachrichteu (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderuug vO.—, mit Poslbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Lbend-AuSgabe: Vormittags 10 UhL. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^«473. Mittwoch den 16. September 1896. SV. Jahrgang. Fenier oder Anarchisten? Wie ein Noman spannendster Art lesen sich die Nachrichten, die über das beabsichtigte Attentat in England vorliegen. Und dabei ist die ganze Sache noch nicht geklärt, man kennt noch nicht den Zweck, zu welchem die Bomben in Bcrchem bei Antwerpen angefertigt wurden; man weiß nicht, sollte es ein anarchistisches oder ein fenisch es Attentat, ein Anschlag auf das Leben der Königin von England oder deS Zaren sein. Die Frage ist angesichts der Entdeckung des Com- plotS, angesichts der vorläufigen Unschädlichmachung einiger Verschworener müßig, aber eö drängt sich eine andere Frage ans: ob die verhafteten Verschworenen noch andcreHelser und Mitwisser batten, die vielleicht schon einige Dynamit- Bomben nach England gebracht haben und dort ans das Zeichen zum Sprengen warten; wenigstens bringt man die Explosion in Westminster mit den Verhaftungen in Ant werpen in Verbindung. So liegt also noch ein gcheimniß- volle? Dunkel über der Angelegenheit, was die Spannung aufrecht erhält und begierig nach jeder kleinen auf klärenden Depesche macht. Vis jetzt wußte man, daß in Rotterdam zwei Männer verhaftet wurden, die in Ant werpen Bomben fabricirt haben sollen; sie nennen sich Wallace und Haines, Loch nimmt die Polizei an, daß der Erstere ein gewisser Kearney sei, der 1883 die Gasanstalt in Glasgow in die Lust sprengte Ferner wurde in Glasgow ein Mann Namens Bell verhaftet, der ein steter Begleiter des vierten Verdächtigen, Tynan's, gewesen ist. Tynan wurde in Boulogne dingfest gemacht. Dieser Tynan soll der ge fährlichste der Burschen, der Urheber der Morde an Lord Cavendish und Bourke im Phönixpark zu Dublin 1882 sein. Tynan ist jetzt etwa .',8 Jahre alt und wird seit bl Jahren von der englischen Polizei gesucht. Er führte unter den Verschwörern die Bezeichnung „Nr. 1". Nach der Aus führung der Mordthat im Phönixpark blieb Tynan noch einige Zeit in Dublin, verschwand dann aber aus England, als der Hauptbennuciant seine Enthüllungen machte. Man verfolgte seine Spur nach Liverpool, Paris, Cannes und Nizza, wo er im Carncval 1883 ruhig den Aufzug unter dem Balcon, auf dem Gladstone stand, beobachtet haben soll. Nach 1883 ist Tynan an verschiedenen Orten Amerikas gesehen worden. In dem von dem Polizei spion Major Le Caron herauSgegebenen Buche wird Tynan nur flüchtig erwähnt, in den Acten der Parnell-Commission ist aber häufig von „Nr. 1" die Rede. Der Zeuge im Pbönixparkprocesse Delancy sagte aus, daß „Nr. 1" stets ver kleidet und mit Augengläsern versehen ausgegangen sei. Wie Tynan's Mutter vor Jahren erzählte, war ihr Sohn zuerst in einer von einem religiösen Orden geleiteten Schule bei Dublin erzogen worden, und zwar sollte er Geistlicher werden, allein mit 10 Jahren entschloß er sich, in ein kaufmännisches Ge schäft cinzutrctcn. In Europa reiste er unter dem Namen George Gordon oder Linden. Am Freitag Abend reiste Tynan von Paris nach Boulogne, wo er seine feuischen Ansichten offen ausgesprochen haben soll. Von der Zeit an, wo er seinen Fuß auf französischen Boden setzte, war er von der Polizei beobachtet worden. Am Sonntag Morgen um 4 Uhr brach der französische Polizeicommissair, begleitet von einem Scotland Jard-Dercctive, in sein Zimmer im Hotel Folkestone ein. Der Detective hielt ihm einen geladenen Revolver vor, und die Verhaftung erfolgte ohne Widerstand. Tynan giebt angeblich seine Identität zu. Er hat viel Geld bei sich, auch sollen viele belastende Schriftstücke in seinem Besitz gefunden worden sein. So wäre cs denn FenrLlstsn» Oie Tochter des Geigers. 7s Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. Es War fast unheimlich still nm sie her, nicht Blatt noch Baum regte sich in der noch immer erstickend schwülen Luft, und keines Vogels Stimme war zu vernehmen. Plötzlich zog ein ächzender, pfeifender Laut wie ein klagender Weherus der Natur durch den schweigenden Forst, — und dann kam sie herangeflogen, die Windsbraut, heulend und brausend wie ein losgelassenes Ungeheuer. Die Prinzessin schwankte und wäre von der Heftigkeit des Anpralls zu Boden gerissen worden, wenn sie nicht mit schneller Geistesgegenwart einen starken, tief uiederhängendcn Ast ergriffen hätte. Ihr Hut war gleich beim ersten Stoß weit mit fortgeschleudert worden, ein zweiter Stoß riß ihr das Haar herunter und wühlte darin, bis es aufgelöst wie ein Mantel um sie herwirbelte. Betäubt, halb ohnmächtig lehnte sie den Kopf an den Stamm, den sie noch umklammert hielt; vorwärts konnte sie nicht mehr; der Orkan raste jetzt mit voll entfesselter Wuth. Um sie her tönte ein Splittern, Krachen und Knattern, wie von einer unsichtbaren Geisterschlacht; cS war der Sturm, der mit den alten Baumriesen kämpfte, und ihnen hohnlachend ihre Kronen zerschmetterte, Aeste und Zweige abriß. Flammende Blitze, die fast unaufhörlich gleich züngelnden Schlangen auS dem nachtschwarzcu Gewölk hcrniederfuhren, schienen die Finsterniß nur zu zerreißen, um auf Momente die Zerstörung ringsum zu beleuchten. Dazwischen krachte der Donner, als ob das Weltall aus den Fuge» gehen wollte, und nun öffnete auch der Himmel seine Schleusten. Ein wolkenbruchartiger Rege» strömte hernieder und ver wandelte in einer Zeit von fünf Minuten den grünen Wald boden in eine schlammige Masse, die, vom Sturm getrieben, sich langsam fortzuwälzen begann. Prinzeß Therese gab sich verloren. Der Sturm und die auf sie stürzenden Wasserflnthen raubten ihr den Athem. Ihr Gewand klebte sich fest um den zitternden Körper, ihre Arme hatten kaum noch die Kraft, sich an den Stamm zu halten, wenn sie aber los ließ, dann sank sie in den liefen Schlamm. Schaudernd schloß sie die Augen, dann rief sie um Hilfe, aber ihre StMme erstarb in dem Tosen und Brausen um sie her. nach mehr als vierzehn Jahren der Polizei gelungen, der mysteriösen Persönlichkeit habhaft zu werden, die das Haupt der sogenannten Jnvincibles war, der Anstifter der Mordtbat im Phönixpark zu Dublin am 6. Mai 1882, der Loro Cavendish und Bourke zum Opfer fielen. Tynan ist der Mann, so schreibt man der „Frkf. Ztg." aus London, der in den Enthüllungen des Kronzeugen James Carey vor dem Gericht in Kilmainbam als „Nummer Einü" bezeichnet wurde und dessen Identität die Polizei später feststellte. Tynan rettete sich nach Len Vereinigten Staaten, wo er diese ganze Zeit hindurch lebte, während zwei seiner Gehilfen, Brady und Kelly, ergriffen und hingerichtet wurden. Nach 14 jähriger Abwesenheit glaubte Tynan ohne Furcht vor Entdeckung nach Europa zurückkehren zu dürfen. Er wußte aber nicht, daß jeder seiner Schritte von Agenten der englischen Polizei beobachtet wurde und daß er, zumal seit seiner Ankunft in Europa, unter der strengsten Ueberwachung stand. Tynan war vor ungefähr einem Monat in Genua gelandet, hatte sich alsdann nach Paris gewandt und war am Freitag in Boulogne angelangt, anscheinend in der Absicht, sich von dort nach England zu begeben. Es scheint, daß man in London davon Wind bekam, daß ein neues Complot ge schmiedet worden sei. Während Tynan in Boulogne beobachtet wurde, war die englische Polizei auch an anderen Orten nicht müßig; denn es war ihr vor etwa vier Wochen von den in den Vereinigten Staaten lhätigen britischen Geheimpolizisten gemeldet worden, daß mehrere gefährliche Anarchisten, u. A. Gratz, Bell und Carry, sämmtlich amerikanische Bürger, sich an schickten, nach dem europäischen Festlande zu reisen. Alsbald machte sich der Chef der Geheimpolizei, Ober inspector Melville, mit den bewährtesten seiner Criminalpolizisten daran, diese Leute zu beobachten. Letztere landeten Ende August in Liverpool; zu den drei Genannten batte sich ein Vierter gesellt. Gratz, Bell und Carry begaben sich sofort nach London, und von dort reisten Gratz und Bell nach Antwerpen, wo sie im Hotel des Anglais abstiegen. Die Geheimpolizisten blieben ihnen auf ver Spur. Herr Melville hatte sich mit zehn seiner Beamten nach Ant werpen begeben, die sich nach Brüssel, Ostende und Spa zerstreuten. Gratz und Bell benahmen sich wie Vergnügungs reisende, um die Polizei, wie sie glaubten, nicht auf ihre Spur zu lenken; sie besuchten Antwerpen, Brüssel, Ostende und Spa und reisten bis nach Berlin, von wo sie sich nach Antwerpen zurückbegaben, um von dort wieder nach England zu reisen. Carry und sein Begleiter wurden inzwischen von einem Criminalpolizisten verfolgt; sie waren von Rotter dam nach Antwerpen gereist, wo sie sich mit der in der Brasilischen Straße wohnenden Schwägerin Carry's in Ver bindung setzten. Diese, eine Frau Zoll, so berichtet die „Köln. Ztg.", hatte vor Kurzem in der Veldstraat in Berchem ein Häuschen gemiethet und drei Monate Miethe zum Voraus erlegt. Dies Alles war dem in Ant werpen ansässigen britischen Criminalschutzmann O'Brien zur Kenntnis; gekommen; er machte davon der Antwerpener Polizei Mittheilung in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag. Es galt nun, zu erfahren, in welcher Absicht das kleine ein stöckige Haus gemiethet war, das unweit der Eisenbahnstation liegt, in einer Straße, die an Leu Wall führt, nahe bei der Geniecaserne, dem Berchemer und dem Wilryker Thor. Am Montag früh um 5 Uhr wurde im Polizeicommissariat eine längere Berathung über das zweckmäßigste Vorgehen gehalten; es wurde beschlossen, unverzüglich einzugreifen: Machen wir uns nach der Brasilischen Straße, cliorclious lu komme, hieß es. Dort war Niemand zu finden. Die Schutzleute begaben Plötzlich brach der Ast, an dem sie sich gehalten, sie schrie auf, gellend, verzweifelt, da, war es eine Täuschung der Sinne, laut und vernehmlich klang es: „Hier!" Welche Stimme? Sie rief auf einmal alle Lust des Lebens in ihr wach. Eben schlug der Blitz in eine Eiche, daß sie wie eine Niesenfackel weithin die Gegend beleuchtete. In dem rokhen Feuerschein sah sie eine hohe Männcrgestalt, die, quer durch das Dickicht mit übermenschlicher Anstrengung sich durchkämpfend, schnell aus sie zukam. Ihre letzte Kraft zusammeurasfend, suchte die Prinzessin sich aufrecht zu erhalten und ihm einige Schritte entgegen zugeben. Der Sturm ließ einen Augenblick nach, wie wenn er Athem schöpfen wollte zu neuem Stoß, schon war der Netter ihr ganz nahe, da — ein Krachen, wie wenn zwanzig Kanonen zumal abgeseuert würden, mit erneuter Wuth warf sich der Orkan auf den gewaltigen Baum neben ihr. Er barst, brach, sie fühlte einen Schlag gegen Stirn und Schläfen und dann einen warmen Strom ihr Antlitz herabrinnen. Vor ihren Blicken wurde es Nacht — sie taumelte, sank, doch zwei starke Arme singen sie auf, sie sah noch wie in einer Vision ein paar Feueraugcn auf sich gerichtet, dann schwanden ihre Sinne, — ohnmächtig lag sie in Edgar's Armen. Der Fürst war auf einem Spaziergang ebenfalls von dem Unwetter überrascht worden und hatte das Forsthaus, dem die Prinzessin, ohne es zu wissen, ganz nahe gekommen, schon fast erreicht, als er, ihre Hilferufe vernehmend, dem Schall nacheilte und sie eben in dem Moment erreichte, da ein Ast des stürzenden Baumes sie getroffen. Mit einer auS natürlichem Mitgefühl und peinlichem Schrecken gemischten Empfindung erkannte er Prinzeß Therese. WaS sollte er beginnen? Sie schien schwer verletzt, es blieb ihm keine Wahl, er mußte sie ins Forsthaus bringen, — zu Lia Rose, die, wie er wußte, mit dem Oberförster allein zu Hause war, da Frau Martha ins Dorf gegangen war, um Einkäufe zu machen, wohin Walter sie begleitete. Er preßte ein Tuch gegen die heftig blutende Stirnwunde der Prinzessin und legte ihr Haupt sorglich zurecht; das auf gelöste blonde Haar hing schwer und lang über seiner Schulter, er schlug seinen Mantel um sie und trat dann mit seiner Last den beschwerlichen Weg an, langsam, Schritt vor Schritt, eS gehörte seine Kraft und Gewandtheit dazu, um überhaupt vorwärts zu kommen. Zum Glück für ihn schien der Orkan mit jenem letzten gewaltsamen Stoß, der mit stark erneuten Regengüssen den Brand des Eichbaums löschte und den starken Baum, an sich nach Berchem. Dort fanden sie bas kleine Haus ver schlossen. Es besteht aus einem Zimmer und Küche im Erdgeschoß und einem Schlafzimmer im Stockwerk. Die Schutzleute kletterten aus dem Nebeuhause über die Mauer in das Gärtchen deS Hauses und erbrachen die Thür, die vom Hause in den Garten führt. Sie hatten ihre Revolver bereit. In dem Hause befand sich Niemand. Mit Hilfe eines Schlossers wurden sämmtliche Verschlüsse bald geöffnet. Die Ausstattung bestand nur auS dem Nothdürftigsten. In der Küche fand sich ein chemisches Laboratorium vor, das aus allerlei Glas- und Porzellangegenständen bestand. In einer Ecke stand ein Eimer mit Deckel, und in dem Eimer war ein Porzellangefäß, das von Eis umgeben war, um den Inhalt unter dem Gefrierpuuct zu erhalten. Als man das Gefäß öffnete, entdeckte man eine Flüssigkeit, die einen abscheulichen Geruch verbreitete, so daß man sofort wieder schließen mußte. Als der britische Geheimpolizist einen Schrank öffnete, fanden sich darin zwei Fläschen mit Nitro glycerin. In dem Wohnzimmer, wo nur ein Tisch mit vier Stühlen und ein Teppich die Ausstattung bildeten, fand sich noch eine Hose, die von einer Flüssigkeit angefressen war, sowie einige Zeitungen. In dem Zimmer au; dem Stock werk endlich ließ sich feststellen, daß daselbst Dynamitbomben angcfertigt worden waren. Eine Kiste mit Lehm war zum Theil auf den Fußboden ausgeleert worden. Die Spuren der Hände, die den Lehm bearbeitet hatten, fanden sich deut lich vor; auch ließ sich erkennen, daß die Leute, die mit dem Lehm umgegangcn, barfuß waren, um Reibungen zu vermeide». In drei Flaschen sand sich eine Flüssigkeit vor; eine dieser Flaschen war angebrochen, die beiden anderen unberührt. Sämmtliche Gegenstände wurden in der militairischen Feuerwerkeranstalt näher untersucht. Die bis herigen Nachforschungen haben das Vorhandensein von Bomben nicht ergeben, indes; sollen deren bereits angefertigt sein, und um sie aufzufinden, wird die Nachgrabung im Keller stattfinden. Mehrere Nachbarn glauben aussagen zu können, daß unbekannte Personen manchmal in dem Hause einkehrten, um bald wieder herauszutreten. Man befürchtet, oaß diese Personen Bomben weggetragen haben, die vielleicht schon über die Grenze hinauSgelangt sind. In Antwerpen waren die Vögel nicht, aber in Rotterdam traf mau sie. Hier wurden sie verhaftet. Sie nennen sich Kearney und Wallace (die Verschiedenheit der Namensnennung darf nicht auffaUen). Beide verweigerten der Behörde jed wede Auskunft. Die Polizei hat bei ihnen eine Rechnung eines Antwerpener Apothekers vom 10. September vorgefunden, welche den Ankauf einer beträchtlichen Menge chemischer Erzeug nisse für die Anfertigung von Höllenmaschinen bekundet. Die Polizei besitzt ferner einen Bries, der am 12. dss. von Boulogne an Wallace abgesandt worden ist und folgenden Satz enthält: „Wenn du nicht nach Schottland zu gehen wagst, so komme doch nach Boulogne, wir werden uns besprechen. Feigheit darf unter Brüdern nicht geduldet werden." Aus diesem Briefe leitet die Polizei her, daß die Beiden sich eben auf dem Dampfer „Spaarndam" einschiffen wollten, der in Boulogne anlegt. Die Zahl der im Schlafzimmer der beiden Anarchisten beschlagnahmten Koffer beträgt 13. Bei der An fertigung der Bomben haben die Beiden ein System an gewendet, das bisher in Europa gänzlich unbekannt war. In dem Augenblick der Verhaftung vernichteten die Beiden einen Theil ihrer Correspondenz. So liegt bis jetzt die Sache. Natürlich ist die Polizei in fieberhafter Thätigkeit. Alle Schiffe und Züge in Belgien und England werden untersucht, denn man ist der Meinung, daß noch mehr Verschworene, die mit reichen Geldmitteln welchem Prinzeß Therese lehnte, entwurzelte, seine Wuth erschöpft zu haben. Er ließ ein wenig nach. Auch Blitz und Donner wurden seltener. Immerhin blieb es anstrengend genug für den Fürsten, mit der Bewußtlosen im Arm sich in dem aufgcweichtcn Boden, in dem er bei jedem Schritt bis zum Schaft der hohen Reitstiefel versank, vorwärts zu kämpfen. Erst nach Verlauf einer halben Stunde langte er athemlos und völlig erschöpft im Forsthause an. Schon im Flur kam ihm Lia Rose entgegengeeilt, sie hatte Angst um Edgar gelitten, den sie während des Unwetters im Walde wußte." Wie eine Bergeslast siel eö jetzt bei seinem Anblick von ihrem Herzen. „Gott sei Dank", wollte eS sich unwillkürlich über ihre Lippen drängen, aber sie blieb wie angewurzelt stehen, „meiu Gott, die Prinzessin"! stammelte sie erschrocken. Mit raschen Worten klärte Edgar sie über die Sachlage auf. „Sie ist verwundet, — wohin soll ich sie nun bringen?" schloß er seinen Bericht. „Hinauf in mein Stübchen, da ist sie am besten auf gehoben", entschied sic ohne Besinnen, „kommen Sie", und schnell flog sie ihm vorauf nnd öffnete droben die Thür ihres Gemaches. Fast scheu wie in ein Heiligthum trat Edgar über die Schwelle des kleinen Mädchenzimmers. Wie muthete ihn das Alles so seltsam an, dort ihr Betpult mit dem Mutter- gotteSbilde darüber, vor dem ein Strauß frischgepflückter Waldblumen stand, über dem Bette Raphael'S heilige Cäcilie, ihre Namenspatronin, und am Fenster hinter den kleinen Mullgardinen zwischen zwei blühenden Rosenstöcken ein in voller Knospe stehendes Myrtenbäumchen. Diese Myrten ihr bräutlich ins Haar zu flechten! — Er schloß einen Moment wie überwältigt die Augen, die Ahnung reinsten Glückes stieg heiß in ihm auf in diesem Raume, der so treu den frommen Sinn seiner Bewohnerin widerspiegelte. Lia Rose schlug unbefangen die einfachen, selbstgenähten Vorhänge zurück, die ihr Lager umgaben, und half ihm die Ohnmächtige auf den Kissen zu betten. Welch' eine Fügung war eS doch, daß er hier mit dem Mädchen, das er liebte mit aller Kraft und Tiefe seines Herzens, seine Bemühungen vereinte, um Prinzeß Therese, die ihm bestimmte Braut, als eine erheblich Verwundete auf das Schmerzenslager hin zulegen! . Bei dieser letzteren Erwägung wurde es ihm plötzlich klar, daß er hier nicht bleiben durfte, wenn er hier sein Jncognito wahren wollte, wenigstens nicht, so lange die Prinzessin im auSgestattet sind, sich der Entdeckung entziehen. Politisch ist zu bemerken, daß den Zar die Nachricht von der Ent deckung des Anschlags ruhig gelassen, dagegen seine An gehörigen sehr aufgeregt haben soll. Heber Tynan erhält die „Köln. Ztg." eine eingehende Schilderung. Der Einsender schreibt: Ich wohnte im Herbst 1884 in London bei einem Geschäftsmann, der ein offenes Haus hielt und mit Borliebe gut aufgelegte Schotten zum Mittagessen einlud. Solche Gäste führten ihm an einem Tage, wo auch ich an dem Mahle theilnahm, einen recht stattlichen Herrn mit großem Vollbart und Kneifer zu, der sich Percy Tynan nannte, in Wirklichkeit aber, wie sich später herausstellte, Patrick Tynan hieß, den allzu irisch klingenden Vornamen Patrick also verbergen wollte. Tynan war damals ohne Beschäftigung nnd sah sich nach einer lohnenden Stelle, am liebsten als Geschäfts reisender, um. Nach dem Mahle war Tynan die Seele der Ge sellschaft. Er sprudelte von Witz über, nahm die Damenwelt ganz für sich ein und sprach schließlich den Rest des Abends nur noch in wohlgelungenen Versen. Da er die Anwesenden also für sich eingenommen hatte, verwandten sich mehrere von ihnen in seinem Interesse mid sanden für ihn auch bald eine einträgliche Stelle bei der Firma Sir Joseph Causton L Co. in London. Tynan war von da ab beständig auf Reisen. Inzwischen hatte im Mai 1882 die Ermordung des Lords Cavendish und des UnterstaatssecretairS Bourke im Dubliner Phönixpark stattgesunden. Schon gleich aus den ersten, etwas verworrenen Berichten über das Verbrechen ging hervor, daß ein wohlgekleideter Mann sich an der Spitze der Verschwörung befunden haben mußte, denn ein solcher hatte den beiden eigentlichen Mördern, die ihre Opfer nicht kannten, das Zeichen mit einem Regenschirm gegeben und war nach der Blutthat spurlos verschwunden. Im Winter 1883, als die Regierung zum ersten Mal in der Lage war, einen Zipfel von dem Schleier zu lüften, der über dem Verbrechen lag, und eins Anzahl von verdächtigen Leuten vor Gericht erschien, erzählte einer der letztern, ein gewisser Carry, als Kronzeuge Alles, was er von der Verschwörung wußte, um sich dadurch selbst zu retten. Er berichtete über die Vorbereitung der Verschwörung und über die Amputirmesser, die zur Ausführung des Verbrechens dienten und längere Zeit in seiner (Carry's) Wohnung unter dem Dache ver borgen gewesen loaren; es waren von diesen Messern noch einige überzählige in Bereitschaft gehalten werden. Daneben theilte Carry mit, daß er nnd Andere durch einen Mann eingewciht und reichlich mit Geld versehen worden waren. Dieser Mann, den sie blos als „Nummer Eins" kannten, war der Leiter der Verschwörung. Ueber die Persönlichkeit gingen lange Zeit allerlei Vermuthnngen um. Es fand sich eine Photographie, auf der ein Herr mit einer Dame abgebildet war. In dem Herrn erkannten die Mit wisser alsdann „Nummer Eins". Es stellten sich bei den Bc- Hörden bald Leute ein, die den Mann unter seinem wahren Namen Patrick Tynan gekannt hatten. Tynan, der seine Stellung als Geschäftsreisender Lazu benutzt hatte, um überall hin unauffällig zu reisen, zu einer Zeit, wo in Irland Aus nahmegesetze herrschten, lebte mittlerweile aus großem Fuße. Er rühmte sich der Bekanntschaft der parnellistischen Abgeordneten. Er hatte seine Mitgliedschaft in einem Londoner Freiwilligen-Regiment bewahrt und stand mit unter der Ehrenwache, die bei der Ein- Weihung der neuen Gerichtshöfe der Königin in der Vorhalle die Ehren erwies. Als im Winter 1882, etwa sechs Monate nach dem Verbreche», die ersten Vernehmungen bereits stattgefunden hatten, traf ich eines Tages Tynan zufällig in einer Wirtschaft. Er saß mit einem verdächtig ausjehenden Manne zusammen. Ich hatte keine Ahnung davon, daß Tynan an dem Verbrechen vom Phönixpark in Dublin beteiligt sein konnte. Ich ging auf ihn zu und be- grüßte ihn mit seinem Namen. Er sprach einige Worte, die ich nicht recht verstand, und verschwand sofort mit seinem Gefährten. Das erschien mir sonderbar. Einige Zeit darauf, als ich die viel verbreitete Photographie zu Gesicht bekam, ward mir Alles klar. Ein Haftbefehl war gegen Tynan erlassen worden; er flüchtete über Frankreich nach den Vereinigten Staaten und, als er sich dort nicht ganz sicher fühlte, nach Mexiko, um später nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren, wo er häufig als Redner in Versammlungen der Iren austrat. Forstbause war, deren Aufenthalt daselbst nothwendig eine lebhafte Communication mit dem Schlosse bedingte. Zugleich sagte er sich, daß es ihm unmöglich sein würde, länger so neben Lia Rose hinzuleben, ohne sein Gefühl für sie zu ver- rathen, und da außerdem der Zeitpunct nahte, daß er an den Hof seines Vaters zurückkehren mußte, WaS konnte er da Besseres thun, als eine gezwungene Entfernung benutzen, um die nothwendigeu Schritte zur Klarstellung der Situation zu unternehmen? „Fräulein Lia", begann er etwas unsicher, „ich will jetzt zunächst ins Dorf hinabreiten und Ihnen einen Arzt senden, der Wohl hier sehr nöthig sein wird, und — dann kann ich Ihnen gleich jetzt Lebewohl sagen", fuhr er hastig fort. „Ich habe noch Einiges in .h. zu erledigen, was ich immer aufge schoben, und wozu ick nun diese Tage benutzen will, die ja für Sie voraussichtlich viel Unruhe und Mühe bringen werden, wobei Sie schlecht einen Gast gebrauchen können. — Ich will vom Dorfe gleich die Post zur nächsten Station benutzen." Er streckte ihr die Hand hin. Tie ihrige, die gerade aus einer Flasche Eau de Cologne auf ein Tuch träufelte, zitterte so heftig, daß sie die Hälfte des Inhalts verschüttete. Ihre Finger waren, als sie dieselben in seine Hand legte, eiskalt, das tief erbleichte Gesicht zur Seite wendend, fruz sie stockend mit bedeckter Stimme: „Sie — Sie kommen doch zurück, Herr Norden?" ES mußte etwas Ergreifendes, GeheimnißvolleS in diesen vibrirenden Lauten liegen: die Stirne des Fürsten erglühte, er machte eine Bewegung, als ob er die Arme ausbreiten wollte. „Lia!" — brach eS stürmisch von seinen Lippen, — doch nein, jetzt nicht, gewaltsam bezwang er sich — „wenn dort die Myrte an Ihrem Fenster blüht, kehre ich zurück", ries er. Dann stürzte er fort. Unten traf er den Oberförster, der nicht wenig erstaunt war über die aufregenden Neuigkeiten, die er erfukr. „Also die Prinzeß liegt verwundet oben, und Sie wollen fort? Na, da sind die schönen Tage von Aranjuez hier Wohl auch fürs Erste vorüber. Aber ich rechne bestimmt darauf, daß Sie bald wieder bei uns sind, ich glaube fast, wir können gar nicht mehr ohne Sie fertig werden." Edgar versprach es und eilte dann ins Dorf hinab, wo er sich Len Almansor satteln ließ und alsbald in den Wald hinaussprengte. DaS Wetter war vorübergezogen, der Himmel wieder hell, die Sonne brach leuchtend durch das Gewölk und ver-
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