Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960917024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-17
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-AiSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr, Bezugs-PreiS k der Hauptexpedition oder den im Stadt» rezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandienduug inS Ausland: monatlich 7.S0. Ne-action und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen gönnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Lee» Klemms Sortim. (Alfred Hahn), Uviversitiitsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, statbarinenstr. 14, Part, und KönigSvlatz 7, AbenD-AuSMbe. WpWcr TagMalt Anzeiger. Amtskkatt des königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 2lnzeigcu-PreiS die 6 gespaltene Petirzeile 20 Psg. Sieclamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) öO^Z, vor de» Iamiliennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schristen laut unserem Preis» vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsa- nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de. Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderuu- 60.—, mit Postbrsördrrung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 UhL. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» SUHL Lei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. .. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 9V. Jahrgang. ^-475. Donnerstag den 17. September 1896. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. September. Die Naivität der deutschen Socialdcmokratic den fran zösischen „Genossen" gegenüber giebt sich in stets drastischerer Weise kund. Jetzt hat in der „Petite Nöpubligue" der französische Arbeiter-Deputirte Viviani das Verhalten des französischen GroßcapitalS zur Zeit der „nationalen Vertheidigung" gegen Deutschland an das Licht gezogen, und der „Vorwärts" druckt die betreffenden „Ausschlüsse" mit Eifer nach. Danach hat die französische Bank der Regierung der nationalen Vertheidigung zu diesem Zweck nur die kärglichsten Mittel bewilligt. VoM 4. September bis 23. December 1870 bettelte man dort umsonst; erst als an dem letztgenannten Tage Gambctta aus Lyon an seinen Kriegsminister Freycinet nach Bordeaux die Drohung telegraphirte, die Bank eventuell zu „zerbrechen", erhielt die republikanische Regierung die nöthigen Mittel. Also während jener vierthalb Monate hat es der gegen Deutschland kämpfenden Republik finanziell an dem Nötigsten gefehlt. Uns ist das ganz neu. Nach unseren Erinnerungen konnten die Fabriken der „neutralen" Mächte, Englands und Nordamerikas, gar nicht so viel Gewehre und Kanonen liefern, wie Herr Gambetra als Kriegsdictatvr ihnen zu bezahlen gewillt und im Stande war. Aber die eigentliche Tendenz jener französischen Behauptung kommt am Schluß zum Vor schein. Herr Viviani findet, daß durch jene Knauserei die französische Bank zum „Mißlingen des Gambetta'schen Ver- lheidigungsvorstoßes wesentlich beigetragen" habe, und das Berliner Socialistenorgan kann ihm darin „nicht Unrecht" geben. Also bei dem nöthigen französischen Gelde würden damals die Deutschen aus Frankreich mit Waffengewalt hinausbefördert sein und Frankreich wäre nicht besiegt worden. Ein französischer Socialdemokrat ist stolz darauf, die Nieder lage der nationalen Waffen dem mangelnden Patriotismus des einheimischen Capitals zuschreiben zu können, aber der Deutsche druckt es bereitwillig nach. Die Beurtheilung des EapitaliSmus ist allerdings an beiden Stellen die gleiche, aber der französische Socialist ist daneben ein Vertheidiger der nationalen Wasfenehre und der deutsche davon das genaue Gegenthcil. Die noch in diesem Monat bevorstehende Entsendung der Vktttfchcn Schulschiffe „Moltke", „Stein'" „Stosch" und „Gneisenau" nach dem Mittelmeere dürfte, wenn auch viel leicht nicht in erster Linie, so doch in zweiter auf die Er wägung zurückzusühren sein, daß bei den Wirren im Orient, die ganz plötzlich wieder einen bedrohlichen Charakter annehmen können, der deutsche Botschafter wenigstens moralisch auf eine Marinestreitkraft sich stützen können muß. Die neue „Loreley" ist bekanntlich ein ganz unbedeutendes Schiff, und wenn auch die vier Schul schiffe eine imponirende Streitmacht nicht bilden, so werden sie doch sicherlich, wo sie die deutsche Flagge zeigen, die nöthige Anerkennung sich schaffen und Schutz und Schirm für die deutschen Reichsangehörigen bilden. Die vier Schul schiffe gehören zur dritten Schiffsclasse, sie haben jedes ein Deplacement von 2856 Tonnen, die Zahl der indicirten Pferdekräfte beträgt je 2500; „Stosch" und „Stein" haben je einen Besatzungsetat von 416, „Moltke" und „Gneisenau" einen solchen von je 461 Mann. Unsere Schulschiffe sind alt, aber doch noch nicht veraltet; „Gneisenau" ist zum ersten Mal in Kiel am 13. August 1882 in Dienst gestellt worden und hat Fahrten nach dem Mittclmcer, West- und Ostafrika, Australien, Ostamerika unternommen; „Moltke" ist bereits am 1. April 1881 in Kiel in Dienst gestellt worden, er fuhr zuerst nach Westamerika und machte daun Fahrten nachOstamerika und dem Mittelmeere. „Stein" wurde am 1. Juli 1883 in Wilhelmshaven in den Dienst gestellt; seiner ersten Fahrt nach Ostasien folgten Fahrten nach Westindien, Ostamerika, dem Mitlelmeer, Norwegen, Schottland und England; „Stosch" trat seine erste Reise am 1. April 1881 nach Ostasien an. Nach den kürzlich erfolgten Herbstcommandirungen ist der Eommandant des „Stein" Eapitain zur See v. Ahlefeld; ihm würde auch im Fall eines Zusammenwirkens der vier Schiffe als dem rangältesten Eapitain das Oberkommando zufallen; Eommandant des „Gneisenau" ist Eapitain zur See Hof meier, Eommandant des „Stosch" Eapitain zur See Thiele (August), Eommandant des „Moltke" Eapitain zur See Schneider. lieber die Verhaftung der Tynamithcldcn in Rotterdam rc. liegt viel Neues nicht vor, geklärt hat sich die Angelegen heit keineswegs, im Gegenthcil sind die Ansichten über den Charakter des geplanten Verbrechens, ob es ein fenisches oder anarchistisches sei, noch sehr verschieden. In einer deutlich abgefaßten Erklärung der Londoner Geheimpolizei an die dortige Presse heißt es: „Die Verschwörung ist in Amerika gebildet worden. Wir wissen, daß beabsichtigt war, eine Anzahl von Bvmbenverbrechen in England und möglicherweise in Irland zu begehen. Wir wissen, daß vor zwei Monaten eine geheime Versammlung in New Jork ab gehalten und daß damals der Plan im Einzelnen auS- gearbeitet worden ist. Ich kann so weit gehen, zu sagen, daß Nitroglycerin zur Verwendung kommen sollte. Die Bomben sollten nicht Schrecken erregen, sondern tödten. Eine Gesellschaft von etwa zehn Personen war ausersehen worden, die Verbrechen ausznführen; sie traf vor etwa einem Monat in Paris zusammen." So weit der Vertreter von „Scotland Aard". Dagegen führt der „Nieuwe Rotler- dam'sche Courant" die Thatsache an, daß in dem Zimmer der beiden Verhafteten Kearney und Wallace oder Haines — der Name des zweiten ist noch immer nicht genau festgestellt — Briefsetzen sich versanden, die zusammengcstellt den Schluß ergeben sollen, „daß die Fenier ein Attentat gegen ein gekröntes Haupt beabsichtigten, das demnächst der Königin Victoria einen Besuch abstatten soll". Wenn die Attentäter wirklich das geschrieben hätten, so wären sie wohl sehr harmlos! In Boulogne hat der Unterstaatsanwalt in Begleitung eines britischen Geheimpolizisten und zweier ver eidigter Uebersetzer die Persönlichkeit Tynan's sest- gestellt. Letzterer ist sehr ruhig und verwahrt sich gegen seine Einsperrung. Er gesteht zu, daß er sich am 6. Mai 1882 im Phönix-Park in Dublin befunden hat, behauptet jedoch, von der Ermordung des Lords Frederick Cavendish und Bourke's nichts gesehen zu haben. Er hofft, daß die französische Regierung, die im Jahre 1883 die Auslieferung von zwei Leuten, die der Mitschuld an diesem Verbrechen verdächtig waren, verweigert hat, das heurige Gesuch in derselben Weise bescheiden Werve. Er erklärt sogar, sich am Freitag nach Amerika einschiffen zu wollen, um sich zu seiner Familie zu begeben. In England hofft man, daß, wenn die französische Regierung auch, wie es wahrscheinlich ist, ein Gesuch um Auslieferung wegen der Morde im Phönix-Park ablehnen, sie einem solchen wegen der neuerlichen Verschwörung jedoch Folge geben werde. Man meldet, daß bei der Verhaftung Tynan's ein Zettel bei ihm gefunden wurde, der die Worte enthielt: „Das Geschäft ist verfehlt. Nichts zu machen. Zurückkommen." Ueber die Entdeckung Tynan's wird Folgendes geschrieben: „Der Wirth des Hotels Folkestone in Boulogne, Herr Pepperdine, wußte durch seinen Schwiegersohn Riley, der englischer Polizeiagent in Boulogne ist, daß die Polizei auf Tynan fahnde und ihn in Boulogne erwarte. Am Sonnabend Nachmittag hatte Pepperdine mit dem in seinem Hause abgestiegenen Amerikaner Gordon gezecht und ge plaudert und war dabei durch mehrfache Widerspräche in dessen Au- gaben und durch offenkundige Unwahrheiten in dessen Behauptungen zu der Uebcrzeugung gebracht worden, daß Gordon eine zweifel hafte Persönlichkeit sei. Er verständigte seinen Schwiegersohn von dieser Vermuthung. Riley befand sich im Besitz einer Photo graphie Tynan's, es war aber sehr schwer, ihn nach derselben in dem angeblichen Gordon zu erkennen, da dieser bartlos, Tynan aber mit einem lang berabwallenden Bart abgebildet war. Doch ein gewisser Zug um die Augen machte jedem Zweifel ein Ende. Gegen vier Uhr früh begaben sich Pepperdine und Riley an das von dem angeblichen Gordon bewohnte Zimmer und der Erstere ries, um sich zu vergewissern, ob der Mann schlief: „Laß' uns doch Einen trinken, alter Junge." Da keine Antwort erfolgte, nahmen sie an, daß Gordon schlief, und brachen in das Zimmer ein. Noch ehe der Schläfer sich aufrassen konnte, hielt ihm Pepperdine den Revolver an Len Kopf und sprach ihn mit seinem wahren Namen an. Tynan sah, daß er verloren war, und ergab sich mit einem Fluch in sein Geschick." . Es scheint, daß hier wieder einmal der Zufall eine Rolle gespielt hat. Der in Glasgow verhaftete Edward Bell ist 28 Jahre alt. Er war bei seiner Festnahme im Besitz von etwa 300 Lstrl. (6000 ^). Bekanntlich fanden sich bei ihm Schriftstücke vor, aus denen seine Verbindung mit Tynan hervorgeht. Bell nun behauptet kläglich, er habe diese Schrift stücke am Waschort des Gasthofs gesunden. Die Verhaftung der zwei Anarchisten in Rotterdam trug sich so zu: Die Londoner Polizei hatte den Polizeidirector in Rotterdam bereits vor einigen Tagen benachrichtigt, daß sich im Queens Hotel am Leeuwenhasen (das gewöhnlich von der Polizei in erster Linie untersucht wird, wenn es sich um die Aufspürung oder Verhaftung von Personen handelt, die das Tageslicht scheuen) zwei gefährliche Anarchisten aushalten. Ter Polizeiiuspcctor van Beusekom begab sich mit einigen Polizisten gestern Morgen in aller Frühe in den genannten Gasthof, wo die beiden Anarchisten, die sich unter den Namen Wallace und Haines in das Fremdenbuch ein geschrieben hatten, noch in tiefem Schlafe lagen. Sie scheinen sich hier für ganz sicher gehalten zu haben, da sie die Thür ihres gemeinschaftlichen Zimmers nicht einmal verschlossen hatten. Ohne daß sie Widerstand leisten konnten, wurden sie gebunden, sie hatten aber dennoch die Zeit, vorher noch einige Briese zu zerreißen (wie ist das möglich ?). Eine genaue Durch suchung ihres Schlafzimmers hatte Las Ergebniß, daß man zahl- reiche Briefe sand; ferner befanden sich in einer Reisetasche, die stets sorgfältig geschlossen war, und unter einem Kopfkissen zwölf Tyna» mitbombcn von ganz neuer, bis dahin noch nicht bekannter Con- struction. Sie sind aus Kupfer verfertigt, haben die Form eines Kraus, den man, wenn sie geladen sind, abschließen kann, so daß sie für ihren Träger gefahrlos sind; eine mit Dynamit gefüllte Per cussion wird in eine Oeffnung, die sich an einem der beiden Enden befindet, eingesteckt, wodurch die Bombe geladen ist. Zwei Osficiere von der Feuerwerker-Anstalt in Delft sind mit der eingehenderen Untersuchung dieser Mordwerkzeuge beauftragt. Bon den Verhafteten ist der eine 30, der andere 40 Jahre alt, sie behaupten, amerika- nische Bürger zu sein, können dies aber nicht beweisen, wie auch die von ihnen angegebenen Namen mit den gefundenen Briefen nicht übereinstimmen. Die in England trotz der Abmahnung besonnener Blätter immer gebieterischer erhobene Forderung der Absetzung des Sultans giebt in Verbindung mit der Ansammlung eng lischer Kriegsschiffe in den türkischen Gewässern zu allerlei Gerüchten Anlaß. So taucht die Behauptung aus, England trage sich mit der Absicht, in einem günstigen Momente die Insel Naxia unter dem Vorwande zu besetzen, Laß sie ehemals zu Egypten gehörte. Auch findet man cs verdächtig, daß mit jener Ansammlung Meldungen zusammenfallen, die über das fortgesetzte Auflauchen griechischer Banden in Makedonien berichten. Auch die „Polit. Corr." hat abermals einen Bericht von dort über das Auftauchen zweier Banden im Vilajet Monastir. Da fast täglich solche Berichte kommen, kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Unruhestiftung in Makedonien systc malisch betrieben wird. Diese Erscheinungen sind um so auffälliger, als man in der englischen Presse über Haupt mit dem Gedanken der Nevolutionirnng der Türkei ganz offen spielt und in diesem Sinne auck mit den Jung türken liebäugelt, um nicht zu sagen, die jungtürkische Be wegung nachgerade mittelbar unterstützt. Jedenfalls nimmt man weder am Bosporus, noch an der Newa die englischen Treibereien und Vorbereitungsmaßregeln gleich- giltig hin, wenigstens dürfte man Wohl kaum zufällig von Konstantinopel aus gerade in diesem Augenblicke die tele graphische Nachricht versendet haben, daß General Tschika- tschew, der Generalstabschef des Militairbezirks Odessa, in Begleitung eines zweiten russischen Ossiciers mit Erlaubniß des Sultans die Befestigungen an den Dardanellen besichtigt und der Anlage von Minen beigewohnt habe. Wenn wirklich damit zu rechnen wäre, daß die Schiffe aller Mächte sich nach dem Bosporus begeben, so würde sie der Sultan auch trotz der Darda nellen - Festungen schwerlich beschießen lassen. Wenn man also auf russischer Seite zu einer Prüfung der Darda nellen-Festungen schreitet, so kann es sich nur um die Frage handeln, ob sie das Einlaufen einer einzelnen Macht zu verhindern im Stande seien; als diese Macht kann man »her auf russischer, wie auf türkischer Seite nur England im Auge haben. Deshalb hat die Meldung von der russischen Besichtigung der Darvanellen-Festungen zweifellos ihre be- achtenswerlhe Seite; sie zeigt, daß Rußland, das bereits zu einem energischeren Vorgehen gegen die Pforte entschlossen schien, durch die Haltung Englands zum Schutze derselben sich veranlaßt sieht. Selbstverständlich kommt das der Fort dauer der türkischen Mißwirtschaft zu gute, und so erreicht England das directe Gegenthcil von dem, was es zu er streben behauptet. Wenn der meist gut unterrichtete Berichterstatter der „Franks. Ztg." in Konstantinopel auch diesmal aus zuver lässigen Quellen geschöpft hat, so muß man sich auf eine Katastrophe im Aildiz-Palaste gefaßt machen. Er sendet nämlich dem genannten Blatte folgendes Telegramm: * Konstantinopel, 16. September. Die vorgestrige Ablösung der Truppen der sogenannten engeren Besatzung von Mdizkiosk ist unter schweren Opfern von Statten gegangen. Die alte Be satzung wollte nicht gutwillig abziehen, und um zwei Uhr wurde die Kriegsschule mit anderen Truppen zur Intervention ins Palais commandirt. In gut unterrichteten militairischen Kreisen heißt es, daß zweihundert Mann, darunter hauptsächlich Kriegsschuld-, nieder gemacht worden seien, ehe die Truppen des Seraskierat in Mdizkiosk einziehen konnten. Die Redaction der „Franks. Ztg." fügt dieser Depesche Folgendes hinzu: „Wenn Abdul Hamid sich nicht mehr aus seine Leibwache unbe dingt verlassen kann» dann sind die Tage seiner Herrschaft gezählt. Wie aus unserem Privaltelegramm hervorgeht, haben die zur engeren Besatzung des kaiserlichen Palastes gehörenden Albanesen- und Zuaven-Bataillone erst nach hartem Kampfe abgelöst werden können. Es wiederholt sich La im Kleinen ein Vorgang, wie er bei der Vernichtung der Janitscharen beobachtet worden ist. Die Albanesen und Zuaven, von deren Wachsamkeit und Tapferkeit die Sicherheit Les Sultans abhing, sind wahrscheinlich ebenso anspruchsvoll geworden, wie es seiner Zeit bei den Janitscharen der Fall war. Ter jetzige Kriegsminister ist kein Hussein Avni, und Abdul Haimd hat daher von ihm keine solche Gewaltthätigkeit zu bcsärchten wie sein Großoheim vor 20 Jahren von der Hand des damaligen Seraskiers, allein es ist Loch zweiselhaft, ob die tlüw H' Feuilletsn. Die Tochter des Geigers. 8j Roman von A. Brüning. Nachdruck verboten. Ueber des Fürsten belebte Züge flog ein Leuchten. „Wenn es so wäre!" rief er leidenschaftlich, und zog den Baron mit sich zum Fenster. „Dort", sprach er, auf eine dunkle Linie zeigend, die sich scharf vom Horizont abhob, „dort im grünen Walde liegt mein Glück, dort ist es mir aufgegangen in ein Paar süßen, märchenblauen Augensternen. Ich ließ es hinter mir zurück, aber ich bin gekommen, es mir zu erkämpfen zu bleibendem Besitz!" Er schwieg tief athmend, ein weicher Schmelz dämpfte wie ein Schleier die strahlende Gluth seines in die Ferne gerichteten Blickes. Völlig verständnißlos und starr vor Staunen blickte Herr von Wendelstein ihn an. „Ich verstehe Sie nicht, mein Prinz", stammelt er ver wirrt. „Ich fand eine holde, keusche Waldblume, die ich an mein Herz nehmen will fürs Leben, die mich beglücken soll; — ist das so schwer zu begreifen? — doch ich sehe Wohl, ich muß deutlicher reden"; und in fliegenden Worten theilte er seinem sprachlosen Zuhörer das Wesentliche der Begebenheiten mit, die wir hier in den vorhergehenden Capiteln geschildert haben. Der Baron sank völlig vernichtet in einen Sessel; „waS soll denn daraus werden?" stöhnte er. „Was daraus werden soll?" erwiderte Edgar stolz; „ich fahre noch heute nach der Residenz, trete vor meinen Vater hin und sage ihm offen, was ich soeben zu Ihnen gesagt habe." „Aber er wird niemals seine Zustimmung zu einer so entsetzlichen Mesalliance geben." „Wenn mein Vater mir dieselbe verweigert, so werfe ich meinen Fürstentitel ab und gründe mir eine Existenz aus eigener Kraft." Der Baron rang die Hände. „Immer dieses starre Ent weder-Oder!" klagte er. „Und was in aller Welt wollten Sie denn beginnen?" Der junge Fürst beantwortete den Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit mit stolzem Lächeln. „Ich würde im Aus land« Dienste beim Militair nehmen", entgegnete er ruhig. Herr von Wendelstein war völlig perplex. „Sie beim Militair-" stieß ezc hervor. „Meinen Sie denn, weil mir der kleinliche Gamaschen dienst zuwider war, und ich an dem mühelosen Erwerb der höchsten Ehrenstellen, die mir meines Ranges wegen" — er legte einen geringschätzenden Ton auf das Wort — „offen standen, keinen Geschmack finden konnte, darum müßte ich nun auch kein Verständniß für die hohe und ideale Seite des Soldatenstandes besitzen, der, wenn er richtig aufgefaßt wird, wie kein anderer der Bestimmung deS Mannes ent spricht? — Nein, da haben Sie sich getäuscht, ich studirte während der letzten Jahre die besten kriegswissenschaftlichen Werke und hoffe, daß es mir gelingen wird, meinem Namen dereinst als Soldat größeren Glanz zu erwerben, als der Fürstentitel ihm nur immer verleihen kann." „So wollten Sie Ihrem Lande den Rücken kehren und die Kraft, die Sie als Fürst Ihrem Volke schulden, im Dienste des Auslandes verwerthen?" „Muß ich nicht, wenn ich dazu gezwungen werde? Ein jeder Mensch hat ein Anrecht auf Glück und Freiheit im Leben; wenn ich hier ewig ein Sclave sein soll, habe ich dann nicht die Berechtigung, anderswo ein freier Mann zu werden? Doch sollte das Vaterland einmal in Gefahr kommen und meiner bedürfen, dann kehre ich zurück, darauf verlassen Sie sich, und dann wird der Mann ihm mit seinem Blute be zahlen, was der Fürst ihm schuldig bleiben mußte." Der Baron erwiderte nichts; nach einer Pause fragte er zaghaft: „Hat das Mädchen, das Sie lieben, Ihnen schon ihr Jawort gegeben?" „Nein, ich wollte nicht eher um sie werben, als bis mein künftiges Geschick von aller Unklarheit befreit ist; aber", fuhr er leiser mit vibrirender Stimme fort, während aus seinem Auge ein Strahl unsäglichen Glückes brach, „wenn es eine geheimnißvolle Sprache von Seele zu Seele, ein Ahnen, ein Verstehen ohne Worte giebt, dann bin ich geliebt." „Wie wäre es auch anders möglich", dachte der Baron, der ihn bewundernd betrachtete, laut aber sagte er, nicht ohne einen Anflug von bitterer Satyre: „Freilich, welches Mädchen sollte wohl eine Fürstenkrone ausschlagen?" „Wendelstein, kein solches Wort mehr, oder unsere Wege trennen sich für immer!" brauste der Fürst auf, „was Sie da sagen, ist eine Lästerung des edelsten, uneigennützigsten Wesens, LaS je die Sonne beschienen. Im Forsthause kennt Niemand meinen wahren Stand und Namen, als nur Walter allein. Wenn Lia Rose mich liebt, so liebt sie Edgar Norden, den bürgerlichen Freund ihre» Bruder». O, über die Menschen!" ries er in au-brechendem Unmuth, „sie ver ¬ mögen an nichts HobeS mehr zu glauben, wo ihnen eine reine, unentweihte Erscheinung entgegen geeilt, da wissen sie nichts Besseres zu thun, als sie mit dem Staub niederer Verleumdung zu bewerfen!" Er schritt hastig, wie um seiner Erregung Herr zu werden, im Zimmer auf und nieder. „Es bleibt dabei", hob er nach einer Weile in ruhigem Tone wieder an, „ich reise heute Abend; ich hatte darauf gerechnet, daß Sie mich begleiten und Ihren Einfluß bei meinem Vater zu meinen Gunsten aufbieten würden, ich habe mich getäuscht, wie ich sehe, und fahre allein, — leben Sie wohl!" „Vergeben Sie mir, ich wollte Sie nicht kränken", bat der Baron, „ich glaubte, Sie anderen Sinnes machen zu können, leider muß ich erkennen, baß Ihr Vorhaben Ihnen heiliger Ernst ist, und also ist Ihnen mein Beistand gewiß, ich will ja nichts Anderes als Ihr Glück." Schnell versöhnt, drückte Edgar die dargebotene Hand. „Ich danke Ihnen", sagte er warm, „wir fahren also zu sammen —", „Mein Prinz, wenn ich für Sie handeln soll, so kann eS nur wirksam geschehen, wenn ich allein gehe — nein, unter brechen Sie mich nicht", fuhr er, die abwehrende Hand bewegung deS Fürsten gewahrend, in beschwörendem Tone fort, „seien Sie nur dieses eine Mal vernünftig und hören Sie auf mich: der Fürst, Ihr durchlauchtiger Vater — ver zeihen Sie mir, wenn ich offen bin — ist ein starrer, eigen sinniger Mann, der unbeugsam auf seinem Willen besteht, und darin sind sie sein getreues Ebenbild; Sie werden gegen seitig in der ersten Viertelstunde den Conflict so aus die Spitze treiben, daß an einen Ausgleich nicht mehr zu denken ist. Ich kenne den Fürsten, weiß ihn zu behandeln und glaube, wie Sie selbst sagten, mich einigen Einflusses auf ihn rühmen zu können; glauben Sie mir, wenn eine Ver ständigung in der Sache möglich ist, was ich leider nicht für wahrscheinlich halten kann, so vermag nur ich sie herbei- zusühren!" „Um meines Vaters willen möchte ich sie wünschen", sagte Prinz Edgar, der schweigend mit gefalteter Stirn zu gehört hatte, „das Glück des Sohnes mag ihn zwar wenig kümmern, aber den Verlust seines Erben würde er doch schwer überwinden." Baron Wendelstein hörte mit schmerzlichem Befremden die tiefe Bitterkeit in Edgar'» Worten. „Sie urtheilen zu hart, mein Prinz, Seine Durchlaucht liebt Sie, wenn auch auf seine Weise. — Nicht wahr, Sie willigen in meinen Vorschlag?" fuhr er bittend fort, als er keine Antwort erhielt. Der junge Fürst kämpfte mit sich. Verstand und Ueber- legung sagten ihm, daß der Baron Recht habe, aber seinem stolzen Herzen widerstrebte es, die Entscheidung seines Schick sals anderen Händen als den eigenen zu überlassen; auch dünkte seiner energischen Natur die Oual des thatenlosen Wartens, der drückenden Ungewißheit beinahe unerträglich. — Endlich war er entschieden. „ES sei", sagte er, „gehen Sie allein, ich will hier bleiben, der Preis ist des Opfers Werth, ich brauche mir dann, wenn der Versuch fehl schlägt, wenigstens nicht den Vorwurf zu machen, ein Mittel der Verständigung unversucht gelassen zu haben. Aber, liebster Wendelstein, lassen Sie mich nicht zu lange warten." „Ich werde thun, was in meinen Kräften steht", lächelte der Baron, „dessen seien Sie gewiß." Der junge Fürst trat an den Tisch und füllte zwei Gläser von dem funkelnden Wein. „Auf glückliches Gelingen!" ries er, indem er sein Glas an das deS BaronS klingen ließ. Es zersprang! — klirrend fielen die Scherben zu Äoden. Der Baron entfärbte sich; auch Edgar wurde bleich. „Ah, bah, wer wird abergläubisch sein", rief er mit er zwungen heiterem Ton, und ein neues Glas füllend, trat er zum Fenster und hob es grüßend gegen die ferne Wald linie. „Dieses GlaS für Lia Rose und ihr Glück!" rief er be geistert aus. Wieder klangen die Gläser aneinander, und dieses Mal zog der Ton rein und hell wie ein Silber glöckchen durchs stille Gemach, ein froher, Glück verheißender Klang. Drei Tage waren vergangen, — drei lange Ewigkeiten für Edgar'S brennende Ungeduld. Wer je mit ganzer Seele einer Entscheidung entgegengebarrt, der kennt die Oual, die das Wörtchen „Warten" in sich schließt. Die Arme über die Brust verschränkt, durchmaß der junge Fürst hastigen Schrittes die lange Zimmerflucht seiner weitläufigen Wohnung, die Sonne, die warm auf die breiten Straßen fiel, wo sie von den glatten Pflastersteinen und den meist Hellen Fronten der langgestreckten Häuserreihen fast blendend zurückgeworfen wurde, lockte ihn nicht hinaus inS Freie. Die flimmernde Sonnengluth da draußen dünkte ihm unerträglich, wie ganz anders war eS im kühlen, schattigen Walde gewesen. Er berechnete in Gedanken, wie lange e» noch währen würde, bi» er dahin zurückkehre» könnt«. Baron von Wendel»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite