Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960919012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896091901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896091901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-19
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs Preis h» der Hauptexpedition oder den im Stadt, rezirk und den Vororten errichteten AuS» qobcstellm abgebolt: vierteliährlich >14.50, sei zweimaliger täglicher Zustellung in« jauS ö.öO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrstäbrlich .zt 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsenduag t»S Ausland: monatlich >1 7-öO. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um L Uhr. Nedartion «nd Expedition: JohanneSgasse 8. Die Expevition ist Wochentags ununterbrochen g«<änet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ttt» Klemm'ö Lortim. (Alfred Hahn). Uviversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, kkntbar<nenstr. 14, pari, und KönigSvlatz 7» M. Morgen-Ausgabe. Mip)igts TagMM Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Sieclomen unter dem Redactionsstrich (4gv- fpalten) üO^L, vor den Familienuachrichleu (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichniß. Tabellarischer und Lisiernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagrn (gesalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung >i 60.—, mlt Postbeförderung >l 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend»Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr, Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhn Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Au-eigen sind stets an die Expedition zu richten. -— Druck und Verlag von E. Potz kn Leipzig 90. Jahrgang Sonnabend den 19. September 1896. Welchen AMeil hat das sächsische Civil- recht am deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch? kr. Mit dem 1. Januar 1900, an welchem Tage das Bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich, diese glorreiche Errungenschaft des letzten Reichstages, in Kraft tritt, hat das „Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen" seine rechtliche Wirksamkeit verloren. Am 2. Januar 1863 publicirt und mit Gesetzeskraft vom 1. März 1865 versehen, hat eS an dem Tage, wo es sein Scepter niederlegen muß, 35 Jahre regiert und in bürgerlichen Angelegenheiten entschieden, was Rechtens ist. Wir trennen uns nur ungern von unserem 0urpu8 .juris civilis, wenn der Geist der Zeit auch gebieterisch die Abänderung mancher Bestimmungen desselben forderte. Denn darüber ist man sich einig, daß unter den codificirten Landrechten das sächsische wohl den obersten Rang einnimmt. Kein anderes zeichnet sich so durch Klarheit und Bestimmtheit seiner Rechtsnormen, durch Uebersichtlichkeit des gesummten RechtSstoffeS, durch Einfachheit und Prägnanz der Sprache, die von allem stilistischen Prunke srei ist, aus. Mil Recht konnte in Folge dessen der OberlandesgericktSrath v. Sommer latt in seiner Schrift, die für die Enblocannahme des neuen bürgerlichen Gesetzbuches im Reichstag eintrat, sagen, daß wir in Sachsen noch am ersten mit unserem Gesetzbuch weiter hin durchkommen könnten. Bei der hohen Stellung aber, welche das Bürgerliche Gesetzbuch für Sachsen unter den codificirten Landrechten cinnimmt, erscheint es nur selbstverständlich, daß auch beider Lerathung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich auf die Bestimmungen des sächsischen Land rechtes vielfach Bezug genommen und sein Standpunkt acceptirt wurde. In den verschiedenen Commissions- berathungen ist das Loblied unseres Bürgerlichen Gesetzbuches wiederholt angeslimmt worden. Wiederholt ist es bei Meinungs differenzen ausschlaggebend gewesen. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier an der Hand der beiden Codices durch Bergleichung der Rechtsnormen sest- zustellen, wo im Einzelnen das deutsche bürgerliche Recht dem sächsischen gefolgt ist. Wir können nur besonders markante Erscheinungen herauSgreifen, um an ihnen zu zeigen, welchen hervorragenden Antheil daS sächsische Civilrecht am deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch genommen hat. Schon bei den Bestimmungen über die juristischen Personen machte sich der Einfluß des sächsischen Gesetzbuches, sowie des sächsischen Gesetzes vom 15. Juni 1868 geltend, wenn auch hier das bayerische Gesetz vom 29. April 1869 lebhaft concurrirte. Bei der Berathung über die Form der Rechtsgeschäfte ent schied man sich in Uebereinstimmung mit dem sächsischen Rechte für den Grundsatz der Formfreiheit. Die den allgemeinen Grund sätzen entsprechende Regel, daß die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen muß, wurde nach dem Borbilde des 8 825 des Bürgerlichen Gesetzbuches für Sachsen mit Rücksicht auf das Berkehrsbedürfniß und die Verkehrssitte dahin erweitert, daß es genügt, wenn mehrere, gleichlautende Urkunden ausgenommen werden und jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Beim Schutze gut gläubiger Dritter entlehnte man dem sächsischen Gesetz buch die Bestimmung, daß bis zur Anzeige des Erlöschens einer Vollmacht (welche durch Erklärung gegenüber einem Dritten ertbeilt wurde) die Vollmacht dem Dritten gegen über in Kraft bleibt, es sei denn, daß er das Erlöschen bei ter Vornahme des Rechtsgeschäftes kannte oder kennen mußte. Dem sächsischen Recht entstammt die Bestimmung, daß man nach seiner Wahl von Demjenigen, welcher ohne Vollmacht oder außerhalb der Grenzen seiner Vollmacht als Vertreter gehandelt hat, Schadensersatz oder Erfüllung verlangen kann. Das Recht der Selbstvertheidigung und Selbsthilfe ist im Wesentlichen auf die 88 179, 182, 183 des sächsischen Ge setzbuches gestützt; desgleichen sind die Bestimmungen über den Ausschluß des Rücktritts und die Untheilbarkeit des Rücktrittsrechtes (88 918, 910, 1116 des Bürgerlichen Gesetz buchs für Sachsen) sächsischen Rechtsnormen nachgebildet. Die streitige Frage, wie bei der Gewähr der Fehler im Falle eines Minderungsanspruches die Minderung zu be rechnen sei, ist nach dem sächsischen Recht dahin beantwortet, daß der Kaufpreis in dem Verhältnisse hcrabzusetzen ist, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Werth der Sache in mangelfreiem Zustande zu dem wirklichen Werth gestanden haben würde. Sächsischen Rechtsanschauungen begegnen wir ferner beim Dienstvertrag, soweit das Kündigungsrecht in Frage kommt, beim Werkvertrag, was die Gewährleistung wegen Mängeln des Werkes anlangt, und bei der Haftung wegen Verletzung einer Amtspflicht, welche, analog der 88 1506 und 1507 des sächsischen Gesetzes, nicht eintreten soll, wenn der Geschädigte eS unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Im Sachenrecht folgt der Entwurf der neueren Rechts entwickelung, die auch im sächsischen Gesetzbuch zum Aus druck gekommen ist. So finden wir bei der Regelung des Besitzes, insbesondere des Besitzschutzes, Vorschriften, die den Bestimmungen unseres Rechtes entsprechen, wenn auch gerade bei dieser Materie die verschiedentlichsten Particularrechte Beachtung gefunden haben. Bei den Bestimmungen über den Fund ist man vorzugs weise dem sächsischen Recht gefolgt und hat auch die Anzeige pflicht, gemäß 240 des sächsischen Gesetzbuches, aufgehoben, wenn die gefundene Sache nicht mehr als drei Mark Werth ist. In Uebereinstimmung mit tz 243 schließt das neue Bürgerliche Gesetzbuch den Eigenthumserwerb des Finders, auch bei Sachen im Werthe von nicht mehr als drei Mark, aus, wenn der Finder den Fund auf Nachfrage verheim licht hat. Beim Pfandrecht an beweglichen Sachen ist man der sächsischen Ncchtsanschauung beigetreten, indem man bei den Voraussetzungen des Pfandverkaufes, wie auch schon das gemeine Recht, sowohl von dem Erforderniß eines vollstreckbaren Titels, als auch von demjenigen einer gerichtlichen Verkaufs ermächtigung abgesehen hat, wie sie nach preußischem Land recht und nach dem französischen Recht erforderlich sind. Im Familienrcchte zog man gleich bei der Lehre vom Verlöbniß die sächsischen gesetzlichen Bestimmungen in Frage. Man schied mit ihnen den klagbaren Anspruch auf Eingehung der Ehe aus einem Verlöbniß aus, der sich noch im gemeinen Recht, im preußischen, mecklenburgischen Landrecht rc. vor findet, der aber schon keine praktische Bedeutung mehr hatte, da nach 8 II, 8 779, II der Civilproceßordnung dem Urtheile die Zwangsvollstreckung versagt bleibt. Auch die Bestimmung in 8 1580 des sächsischen Gesetzbuches, wonach das Versprechen einer Strafe für den Fall, daß die Ein gehung der Ehe unterbleibt, nichtig ist, und weiter die Vor schriften in 8 1581, welche die SchadenSersatzsrage betreffen, in 8 1583 und 8 1586, welche die Rückgabe der Geschenke regeln, sind in das neue Bürgerliche Gesetzbuch ausgenommen worden. Bei Behandlung der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe zog man die 88 1620 bis 1626 des sächsischen Gesetzbuches und die 88 3 bis 6 des sächsischen Gesetzes vom 5. Nov. 1875 zu Rathe. Im Einklang mit dem sächsischen Rechte ist die Frage erledigt, ob und in wie weit auch der Irrthum eines Ehegatten über persönliche Eigenschaften oder persönliche Verhältnisse des andern Ehegatten auf die Giltig keit der Ehe von Einfluß ist. Hier sind offenbar die 88 1595, 1596 mit maßgeblich gewesen. Auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist gemäß 8 1597 des sächsischen Gesetz buches zur Erledigung gebracht worden. Das sächsische Familienrecht kam ferner bei der Stellung des Mannes in der Familie, bei der Schlüsselgewalt der Frau, bei der gegen seitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten, bei der Vermuthung bezüglich des Eigenthums dec im Besitze der Ehegatten be findlichen Sachen vielfach zur Anwendung. Dasselbe gilt von der Behandlung des Receptitiengutes. Bei der Ver waltung des eingebrachten Gutes durch den Mann nimmt das Gesetzbuch im Wesentlichen den Standpunkt der 88 623, 660, 1655, 1674, 1675 des sächsischen Gesetzbuches ein, dem es auch hinsichtlich der Regelung der Nutznießung vielfach folgt. Ueberhaupl stößt man im Familienrecht allenthalben auf grundlegende Bestimmungen, welche mit dem sächsischen Rechte sich decken. Bei der Bestimmung der einzelnen Sckeidungsgründe hat sich das Gesetzbuck, wie schon in der Denkschrift zum Ent würfe hervorgebobeu wird, der im sächsischen Gesetzbuchs zur Geltung gelangten Auffassung angeschlossen, nach welcher die Scheidung grundsätzlich nur wegen eines schweren Ver schuldens des andern Tbeiles verlangt werden kann, wovon nur die Scheidung wegen Geisteskrankheit, um die sich ein lebhafter Kampf im Reichstag entspann, eine Ausnahme macht. Diese Ausnahme besteht auch im preußischen Land recht, das in der Bestimmung der Scheidungögründe am weitesten gegangen ist, im gothaischen, altenburgischen und schwarzburg - sondershausenschen Eherechte zu Neckt. Bei der Unterhaltspflicht des schuldigen Ehegatten schloß sich daS Gesetzbuch den Vorschriften des sächsischen Rechtes theilweise an, desgleichen bei der Regelung der elterlichen Gewalt. Es würde zu weit sühren, hier durch Ausführung aller einzelnen Bestimmungen den Nachweis dafür zu erbringen. Dasselbe gilt von der Annahme an KindeSstatl und der Vormundschaft. Im Erbrecht kommt die Recktsanschauung des sächsischen Land rechtes besonders beim Erbrecht derEhegatten zur Geltung. Ueber- einstimmend mit dem sächsischen Rechte gewährt das Gesetzbuch z. B. dem überlebenden Ehegatten auch im Falle des Zusammen treffens mit Kindern des Verstorbenen einen festen Erbtheil. Auch sonst stoßen wir im Erbrecht vielfach auf Spuren Les sächsischen Rechtes, wenn auch gerade bei dieser Materie das preußische Landrecht einen erheblichen Vorzug genossen hat. Viele der im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Königreich Sachsen enthaltenen Bestimmungen, welche in das deutsche Civilgesetzbuch Aufnahme gefunden haben, gehören allerdings nicht diesem allein an, sondern finden sich auch in anderen Particularrechten. Indessen glauben wir doch, soweit es an dieser Stelle möglich ist, gezeigt zu haben, daß das sächsische Recht einen erhebjichen Antheil an dem deutschen ReichScivilrecht besitzt. Sache der Rechtsgelehrten wird es sein, im Einzelnen diese Einwirkungen aufzuspüren und den Grund dieser Einwirkungen von Fall zu Fall darzuthun. Deutsches Reich. ? Leipzig, 18. September. Vom 28. September bis 1. Octoder d. I. wird, wie schon erwähnt, in Darmstadt die 9. Generalversammlung des Evangelischen Bundes tagen. Wie im Jahre 1894 das große Iahresfest des Gustav Adolf-Vereins viele Gäste aus allen Landestheilen in der Hauptstadt des Hessenlandes sah, so darf auch die Generalversammlung des Evangelischen Bundes auf zahl reiche Betheiligung aus allen Theilen Deutschlands rechnen. Wenn auch die Ziele des Bundes vielfach noch unbekannt sind oder verkannt werden, wenn er sich auch nicht verläßt auf die Gunst der Großen dieser Welt oder auf die Beifalls zeichen einer leicht erregbaren Menge, so wird er gewiß von seiner Tagung in Darmstadt neue Kraft zu frischem Wirken gewinnen, und die Theilnehmer an der Versammlung werden mit neuer Freudigkeit heimkehren, um ferner für die Hobe und gerechte Sache zu arbeiten und neue Anregungen in immer weitere Kreise zu tragen. Das reichhaltige, von uns schon vor Wochen vollständig mitgetheilte Programm der festlichen Tage weist u. A. auf: Vorträge von Senior I>. Bärwinkel-Erfurt, Professor O. Weiffenbach- Friedberg, Graf P. v. Ho en sbroech-Berlin, Professor I). Beyschlag-Halle, Stadtpfarrer Brecht-Gerabronn, Predigten von Superintendent Meyer-Zwickau, Pfarrer Gerbert-Saarbnrg. Darmstädter Bürger werden das Devrient'sche Luther-Festspiel darstellen. Den krönenden Abschluß sollen die Darmstädter Festtage in einer Feier in Worms finden. tt Berlin, 18. September. Wenn in einzelnen Kreisen der Befürchtung Ausdruck gegeben wird, es könnten bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, also bis zum 1. Januar 1900, einzelne der Gesetze, die mit ihm unbedingt gleichzeitig zur Geltung kommen müssen, vergebens auf ihre Erledigung harren, so ist die Befürchtung unbe gründet. Sie verdankt auch Wohl ihre Entstehung nur einem Mißvcrstäntniß über den Kreis der letzteren Gesetze. Durch aus nicht alle der vom Neichsjustizamt in Angriff genommenen Entwürfe müssen bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts fertiggestellt sein. Man giebt sich ja der Hoffnung bin, daß möglichst alle bis dahin unter Dack und Fach gebracht sein werden, durchaus nötbig ist es aber nicht. Zu den Enlwürsen, deren Erledigung Zeit hat, gehören namentlich diejenigen über- Verlags-, Versieh erungs- und Urheberrecht. Anders steht es allerdings mit der Aenderung des Gerichtsver fassungsgesetzes, der Civilproceßordnung und der Concursordnung, mit dem Gesetz über die Zwangs versteigerung und Zwangsverwaltung, mit der Grundbuckordnung und der freiwilligen Gerichts barkeit. Alle diese Gesetze müssen bis zum Termin des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs völlig erledigt sein, es ist sogar zu wünschen, daß sie geraume Zeit vorher fertiggestellt sind. Hieran wird jedoch auch in den maß gebenden Kreisen nicht gezweifelt. Daß außerdem das neue Handelsgesetzbuch auf baldiges Zustandekommen rechnen kann, ist nach dem Stande der Vorarbeiten für dasselbe gleichfalls außer allem Zweifel. Berlin, 18. September. Unter den verschiedenen Rubriken der socialen Frage bildet entschieden diejenige der Waisenversorgung und besonders der Waiscnerziebnng eine der wichtigsten, lieber dieselbe hat der städtische Lehrer in Berlin Herr Fran; Pagel eine Denkschrift (R. Oehmigke's Verlag R. Appelius, Berlin. Preis 80 Z) veröffentlicht, der es nicht an interessanten Daten fehlt. An der Hand des hier in Berlin vorliegenden Materials giebt der Ver fasser eine Uebersicht über die betreffenden Verhältnisse, die einerseits unzweifelhaft eine erhebliche Besserung der bezeichneten Zustände erkennen läßt, andererseits aber doch der Humanitären Arbeit auf diesem Gebiete noch ein sehr weites Feld eröffnet. In Berlin be finden sich jetzt im Durchschnitt jährlich 40 000 Waisenkinder, von welcher die Stadt 5000 in ihre eigene Pflege über nimmt. Abgesehen von der Armenunterstützung an die be treffenden Mütter u. s. w., werden also 87 yr Proc. der Ver waisten von der städtischen Waisenerziehung nicht berührt. Aus den Berliner Gemeindeschulen treten jährlich 25 00c> Schüler und Schülerinnen in daS Leben; von diesen sind etwa 10 Proc. oder 2500 ohne elterlichen bezw. väterlichen Schutz. Die Hauptaufgabe für die humanitäre Fürsorge ist da ein Lehrstellennackweis. Die bisherigen Zustände in dieser Beziehung waren zum Theil der betrübendsten Natur. Die Kostpflegestellen für den Lehrling in der Familie des Meisters sind immer seltener geworden, dafür haben die jenigen Gewerbe an Zahl zugenommen, welche bei der Aus nähme des Lehrlings ein Lehrgeld verlangen. So ist dies bei den Elektrotechnikern, Mechanikern, Optikern, Litho graphen, Uhrmachern und Graveuren der Fall. Daraus ergiebt sich, Laß für die aus der Schule in das Leben über tretende Knaben die Wahl des Berufs vielfach nicht srei steht. Eine Tabelle über die Lebrunterbrinzung der Zöglinge aus der Rummelsburger Waisen-Erziehungsanstalt für die 11 Jahre zwischen 1885 und 1895 zeigt z. B. die Unter ¬ bringung von 149 Schneider-, 125 Tischler-, 62 Bäcker-, 34 Drechsler-Lehrlingen gegen 4 Unterbringungen bei den Lithographen, 3 bei Len Optikern, 2 bei den Graveuren und 1 bei dem Uhrmacher. Dabei kommt noch die gröblichste Ausbeutung dieser Lehrlinge aus dem Waisenhause vor. Es kostet 20 — 30 Agenturgebühr, und ein gewissenloser Handwerksmeister aus einem beliebigen Winkel Deutsch lands kann einen Knaben zugeschickt erhalten. Zur Ausbildung von 2—3 Waisenbauszöglingen meldet sich ein Lehrkerr, der ohne Gesellen mit 17 Lehrlingen arbeitet. Ein Waisenknabe aus einem Berliner Vorort wünscht die Korbmacherei zu erlernen und wird in der Provinz unter gebracht. Seine Briefe zeugen von der größten Zufriedenheit. Nach einigen Monaten trifft als Probe der bereits erreichten Ferrilletsn. General Marceau.*) Ein Gedcnkblatt zu seinem hundertsten Todestage. Von vr. F. Sauerhering. Der Gedanke, daß unser Säculnm in kurzer Frist sein Ende erreicht baden wird, läßt die Erinnerung an alle die- jcnigen Ereignisse wieder lebendig werden, die am Ausgang tcs vorigen Jahrhunderts daS erschlaffte und in Kraftlosig keit binvämmernde Europa aus seiner Ruhe aufschreckten. 2'or hundert Jahren brach in Frankreich die große Revolution aus, die, gleich einem Funken unter leichter Aschendecke längere Zeit verhüllt, plötzlich zu einem Feuermeer aufloderte, das, über den ganzen Continent sich ausbreitend, mit prasselnder Gluth manches fest und schön Gefügte zerstörte, aber zu gleich auch manches morsch und zu altem Plunder Gewordene auszebrte. In jener Zeit, wo Frankreich sich erkühnte, da« in wahn witzigem Blutvergießen errungene Banner der Freiheit und Gleichheit auch den anderen europäischen Mächten al» Idol vor Augen zu führen, da leuchtete seinen Landsleuten ein Mann vorauf, tcr in Rücksicht auf seine persönlichen Eigenschaften und seine > crvorragenden militairischen Fähigkeiten Wohl verdient hätte, sick eines längeren Dasein- zu erfreuen. Es war der fran zösische General Marceau, der im Jahre 1796 den Hclrentod starb. Ssverin Marceau war am 1. Mär» 1769 zu Chartres als Sohn eines Sachwalters geboren. Um sich der militai» *) Da» Gemälde Bouckot's, das den sterbenden Marceau in mitten feiner auf dem Rückzüge begriffenen Truppen darstellt, wird den meisten unierer Leser au» dem Leipziger Museum bekannt iein. Red. rischen Laufbahn zu widmen, trat er im Jahre 1785 in daS französische Heer ein; aber da ihm das Avancement zu langsam ging, war er bereits nach drei Jahren entschlossen, den Dienst zu verlassen, um sich dem, ursprünglich auch von seinen Eltern gewünschten juristischen Berufe zu widmen. Doch wollte ihm der Oberst seines Infanterieregiments trotz wiederholter Gesuche den Abschied nicht bewilligen, da er die tüchtigen soldatischen Eigenschaften des jungen Marceau er kannt hatte. Er mußte bei der Fahne bleiben, und so ent schied der Wille seines Vorgesetzten über seine Laufbahn. Als die Ereignisse des Jahres 1789 über Frankreich herein brachen, erhielt Marceau durch Vermittelung seiner Freunde Pstion und Brissot in Paris bei Lafayette, dem Oberbefehls haber der Nationalgarden, aushilfsweise die Stelle eines Flügeladjutanten. Nach Verlauf von fünf Monaten, während welcher Zeit er sich ganz dem wüsten Leben in der Großstadt ergeben und sowohl seinem Körper als seinem Geldbeutel zuviel zugemuthet hatte, sah er sich genöthigt, seine Stellung aufzugeben und Paris zu verlassen. Er kehrte nach Chartres zurück und verweilte daselbst, bis 1791 ein Decret der Gesetzgebenden Versammlung junge Leute zur Bildung von freiwilligen Garde - Nationalbataillonen an die bedrohten Grenzen rief. Marceau eilte sogleich zu den Fahnen und wurde zum Führer einer der Compagnien seines Departements ernannt; bald darauf erhielt sein Regiment Reims als Garnison angewiesen. Im ersten CoalitionSkriege nahm er zunächst an der Vertheidigung deS von den Preußen be lagerten Verdun theil; der Commandant Beaurepaire, der die Feste nicht länger halten zu können vermeinte, erschoß sich, die Uehergabe wurde beschlossen, und Marceau erhielt als der jüngste der übrig gebliebenen Ossiciere den leidigen Auftrag, die Uebergabe dem Feinde anzutragen. In der Schlacht von Valmy, 20. September 1792, befehligte Marceau unter Dillon die Avantgarde und zeichnete sich so ans, daß dieser ihn als Flügeladjutantrn mit nach Pari- nahm. Darauf ging er im April 1793 als Hauptmann mit der Legion der leichten Kürassiere nach der VendSe, um bei der Niederwerfung des royalistischen Aufstandes behilflich zu sein; wegen angeblicher Pflichtvergessenheit und Mangel an Bürgersinn, die angeblich in der allerdings ziemlich üppig lebenden Legion eingerissen sein sollten, wurde Marceau im Mai l793 mit 80 seiner Kameraden, unter denen auch Auguereau sich befand, auf Befehl des Nationalconvents verhaftet und in TourS gefangen gesetzt, jedoch im Juni wieder der Freiheit zurückgegeben. Bei der Vertheidigung der von den Vendeern belagerten Stadl Saumur gab er dem Conventsdeputirten Bourbotte, auf dessen Betreiben vornehmlich jener Verhafts- befehl von Seiten des Nationalconvents erlassen worden war, einen Beweis seines Edelmuthes, indem er ihm sein Pferd überließ und dadurch das Leben rettete. Bourbotte bewirkte dafür Marceau's Ernennung zum Brigadegeneral. Nach dem am 18. November 1793 erfochtenen Siege bei Autrain übertrug man ihm an Kleber's Stelle provisorisch den Oberbefehl über die beiden Armeen des Westens; er schlug am 12. December 1793 die Vendeer bei Le Mans und er oberte die Stadt. Daß Marceau bei dieser Gelegenheit rin schöne« junge« Mädchen, Angelika des MeslierS, die, von ihren Angehörigen gezwungen, dem Heere der Aufständischen gefolgt war, vor der allgemeinen Niedermetzelung bewahrte, diesen Umstand benutzten seine Neider, um Len jugendlichen Helven abermals des Verraths an der Republik zu be schuldigen und seine Abberufung zu bewirken. Marceau war also nunmehr seines Dienstes ledig. Er suchte und fand Erholung von den Strapazen des glücklich beendeten Krieges in Rennes bei einer Familie Lepretre de Chäteaugiron. Aber balv zog e« ihn mit Macht hinaus aus dem engen Kreise der Familie in daS bewegte, thatenreiche Leben des Kriege-. Im April 1794 erhielt er wieder ein Eommando in der Ardennenarmee unter General Charbonnier, und nachdem durch Beschluß de- Nationalconvents die Nord-, Mosel- und Ardennenarmee zur Sambre- und Maasarmee unter Jourdan vereinigt worden war, befehligte er in der Schlacht bei Fleurus, am 26. Juni 1794, auf dem rechten Flügel eine Division. Durch seinen Helkenmutb trug er wesentlich zu dem Siege der Franzosen bei. Er selbst wurde durch einen (stürz vom Pferde am linken Schenkel verwundet, doch traf er bereits Mitte Juli wieder geheilt bei der Armee ein und eroberte im Herbst Aachen und Bonn. Am 24. October 1794 erfolgte an Marceau durch den österreichischen General Mela« die Uebergabe von Koblenz, jenes Ortes, von dem aus der Herzog von Braun schweig am 25. Juli 1792 seine Proclamation erlassen halte. Marceau sollte dorthin lebend nicht wieder zurückkebren. Nach der siegreichen Schlacht bei Fleurus hatte Jourdan die Oesterreichcr bi- hinter den Rhein zurückgedräugt; am 6. September 1795 ging er dann bei Düsseldorf über diesen Strom, belagerte Castel und Mainz, wurde jedoch am 11. October von dem österreichischen General Elerfayt bei Höchst geschlagen und mußte daS rechte Rheinufer räumen. Bei diesem Rückzüge hatte Marceau den Befehl über die Nachhut. Als darauf Jourdan, der bei Eröffnung des Frlv- wze« 1796 wieder über den Rhein gegangen und bi» in die Oberpfalz vorgedrungen war, vom Erzherzog Karl am 24. August bei Amberg und am 3. September bei Würzburg geschlagen worden war und sein Heer in voller Auflösung über Gießen an den Rbein zurückwich, mußte sich auch Marceau mit seiner Division auf Limburg an der Lahn zurückziehen. Jourdan gab ihm den Auftrag, sich den verfolgenden Otsterreichern entgegen zu werfen, damit die von der Lahn auf Altenkirchen marfchirenden französischen Divisionen das dortige DLfils möglichst ungehindert passiren könnten. Marceau leistete dem Feinde tapferen Widerstand, konnte aber bei der Uebermacht desselben diejLabn nicht halten, zog sich auf da» rechte Lahnufer zurück und stellte sich auf de» Höy«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite