Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960921025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-21
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauvtexpedition oder den im Stabs- rezirk und den Vororten errichteten ÄuS- xibesteven ab geholt: vierteljährlich 4.SO, sei zweimaliger tätlicher Zustellung in» HauS ./c 5.k>0. Durch die Polt bezogen füt ^tulichllind und Leslerreich: -vieriesiahrlich ./t 0.-»-. Titelte tägliche Kreuzbandjendiing in- Ausland: monatlich 7.Ü0. Tie Mdtgen-Üü-Sgabr erscheint um Ubr. die lilbeiid-Ausgai-e Wochentags um ü Ubr. Nr-aclion und Erpe-ition: Iohnnitr-gnsfe 8. Tie Expeoition ist Wochentags ununterbrochen ge^iinet von stith 8 bis Abend« 7 Uh,. Filialen: Lilo Klenim'S Lorti,». (Alfred Hahn). NniversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Ünibannenstr. 14, vnrt. und KknlgSylcch 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Änttes der Stadt Leipzig. Montag den 21. September 1896. Anzeigen-Preis die 6 gespalten« Petitzeile 20 Psg. Neclamen unter dem RedactionSstrich (4g»> ivalten) 50, vor den Familiennachrichteo <6 gespalten) 40^. Lroper» Tchristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferisiaz nach höherem Tarif. Sptra-Veilugcn (gefalzt), «ar mit de» Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderunz vO.—, mit Psstbesörderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 UhL Morgen-Ausgabe: Nachmittag« SUHL Vsi den Filialen und Annahmestellen je et»» halbe Stunde früh,,. Snzrigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag v-m E. Potz in Leipzig SO. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Lripzi«, 21. September. Die im heutigen Morgenblatte mitgcthrilte Tagesord» nung für den bevorstehenden nationalliberaleu Telegtrten« tag liefert den erfreulichen Beweis, daß der vorbereitend« Ausschuß alle die aus den verschiedensten Theilen ves Reiches laut gewordenen Kundgebungen über das, waS zur Be sprechung gebracht werden und zur Vereinigung der verschie denen Ansichten über die beste Lösung wichtiger Fragen ge schehen müsse, in sorgsame Erwägung gezogen, die geeignetsten Referenten bestellt und eine Reihe wichtiger Resolutionen vorbereitet bat, auf die man sich unschwer wird vereinigen tonnen. Besonders begrüßen wir es, daß der vorbereitende Ausschuß auch eine Resolution vorzuschlagen gedenkt, die den unüberbrückbaren Gegensatz der Partei zu dem Ultramontanismus und seinen Uebergrisfen auf staat liches VrrwaltungSgebiet betont. Eine solche Resolution ist um so mrbr am Platze, je mehr sich hier und da die Meinung verbreitet hatte, das Zusammenwirken der national liberalen Partei und des Centrums beim Bürgerlichen Gesetzbuche werde eine Annäherung beider Parteien zur Folge baben, und je geflissentlicher einige Aeußerungen national liberaler Redner bei der letzten Debatte im Reichstage über das Iesuitengesetz dabin mißdeutet worden waren, man sei im nationalliberalen Lager bereit, durch Zugeständnisse an den Ultramontanismus diesen geneigter zur Mitarbeit an nationalen Aufgaben der Volksvertretungen zu machen. Es ist selbstverständlich, daß die nationalliberale Partei auch Centrumsanträge gewissenhaft prüft und, wenn sie wirklich Berbcsserungsanträge sind, unterstützt. Das ist zu Windthorst'S Zeiten nicht selten geschehen und wird in Zukunft geschehen. Aber daS Centrum für nationale Arbeit durch Concessionen zu belohnen, die dem Reiche schaden und die nichtultramontane katholische Welt sammt der evangelischen noch tiefer in die Abhängigkeit vom Ultramontanismus bringen müßten: das wäre Verrath am Reiche, Verrath an allen liberalen Errungenschaften, die eine gedeihliche Weiterentwickelung de- nationalen Staates verbürgen. Ernstlich wird auch kein klar sehender Politiker — und wenn er zu den gehässigsten Gegnern der nationalliberalen Partei gehört — dieser Partei einen solchen Toppelvecrath zugetraut haben. Aber jenen Ausstrenungcn gegenüber ist es doch gut, wenn der Delegirten- tag mit aller Entschiedenheit den un über brü ckbaren Gegen satz der Partei zum Ultramontanismus betont, welcher gerade jetzt, ermulhigt durch das Entgegenkommen der Regierungen mehr als eines Staates, seine Hoffnungen auf Erfolg seiner Vorstöße wachsen füblt. Wie hoch ricseHoffnungen gestiegen sind, beweist jeoer neue Tag. Wir erinnern beute nur an den „Der 20. September und seine internationale Bedeutung" überschriebenen Artikel des „Märk. Sprechers", über den der Telegraph bereits berichtet hat und in dem es als Pflicht jedes Katholiken bezeichnet wird, die „Schandthat" der Besetzung RomS als solche zu brandmarken und einem Bunde der Katholiken der Welt gegen die „Verschwörung zum Raube des Erbtheiles des Statthalters Christi" beizutreten. Wenn irgendwo, so tritt hier die übermüthige Siegeszuversicht des internationalen Ultramontanismus zu Tage, der schon die Stunde gekommen glaubt, in der „König Leo XIII." mit Waffengewalt in die weltliche Herrschaft wieder eingesetzt wird, die seine Vorgänger zum Schaben ihrer geistlichen Mission und ihrer weltlichen Unterthanen so unverantwortlich gcmißbrauckt haben. Zum Ueberfluß wird heute noch eine Mittheilung des evangelischen Gemeindekirchen- ratbS von Helbra hdkannt, aus der erhellt, wc.S nach dem Beispiel d«S Schwandorfer Kapuziners seine Gesinnungsver wandten sich erlauben zu dürfen glauben. Nach dieser Mit teilung hat in der katholischen Kirche zu Helbra ein Mönch katholische Wiltwe, die mit einem evangelischen Mann in eine gemischter Ebe gelebt hatte und deren Kinder evangelisch er zogen sind, als sie zu Ostern zur Deichte kam, vom Beicht stuhl mit folgenden Worten fortgewiesen: „Machen Sie, daß Sie auS unserer Kirche hinauskommen und betreten Sie dieselbe nicht wieder, Sie sind nicht würdig, weiter Mitglied unserer katholischen Kirche zu sein. Sie sind eine Raben mutter, denn Sie haben damit Ihre Kinder in die Hölle hinabgestoßen". Schon ist die Macht des Ultramontanismus so groß, daß von den Tausenden von Katholiken, die solches Auftreten auf daS Schärfste mißbilligen, nur noch wenige es wagen dürfen, offen dagegen aufzutreten. Um so mehr ist die national liberale Partei verpflichtet, ihrer alten Tradition getreu, auf dem bevorstehenden Delrgirtentage die Parole: „Unerbitt lichen Kampf gegen alle ultramontanen Uebrr- griffe" aufs Neue auf ihre Fahne zu schreiben. Höchst wünschenSwertb und zeitgemäß wäre es, wenn auf dem nationalliberalen Delegirtentag auch ein kräftiges Wörtchen über die Polenpolitik der preußischen Regierung — der verantwortlichen und der unverantwortlichen — gesagt würde. Denn die „Erfolge", welche diese Politik bisher auf zuweisen bat, treten in immer erschreckenderer Weise zu Tage. Heute schreibt die „Post", daß das Ansiedelungsgut Alt-Bukowitz im Kreise Berent, dessen Bauern strebsam, kirchlich und deutsch gesinnt sind, sich gut entwickele, daß es aber dort zu oft brenne. Im Verlauf weniger Tage waren dort wiederum zwei Brände bei Deutschen zu verzeichnen, die in rätselhafter Weise Nachts ausgekommen waren. Vor einigen Tagen nun fanden die Bewohner des Dorfes an einen Baum, weithin sichtbar, einen Aufruf angeheftet, der, mit lateinischen Buchstaben geschrieben, in seiner nicht ganz orthographischen Fassung von der „Post" mit diplomatischer Treue wiedergegeben wird. Er lautet folgendermaßen: „Krieg dem Deutschen! Landsleute unserer Religion! Wir sind und werden bedrengt und vertrieben von dem Deutschem, wir fühlen es auf allen Ecken wir müssen zusammen halten und gegen die Deutschen Front machen und sie verdrengen — mit dem Schwert sind wir zu schwach wir müsen zu andern Waffen greifen nemlich ihre Gehöfte in Asche legen und solange — bis der Deutsche von keiner Gesellschaft versichert wird — dan tragen wirr den Sieg davon, sie werden verarmt abziehen und wir haben dan gesiegt, folgt meinem Rath und Muth alle Brüder." Zwei Tage später brannte ein großer Ziegelschuppen des deutschen Gemeindevorstehers von Alt-Bukowitz, Göden, mit seinem gesummten Inhalt nieder. Da er nicht versichert war, ist dem Eigenthümer ein sehr schwerer Schaden ent standen. Angesichts des offen an die Adresse der Polen ge richteten Aufrufes kann ein Zweifel darüber, wer für die ruchlose Einäscherung des Schuppens verantwortlich zu machen ist, nicht bestehen. Natürlich wird man eine Unter suchung einleiten und den Tbäter zur strengsten Rechenschaft ziehen. Aber wie weit soll der polnische Uebermuth die Dinge noch treiben? Die polnischen Hetzer liefern mit ihrer offenen Kriegführung gegen das Deutschthnm, die auch vor Gewaltthaten, wie die in Opalenitza und Alt- Bukowitz begangenen, nicht mehr zurückschreckt, den Beweis, daß der Friede und die Sicherheit unserer deutschen Lands leute in der Ostmark gefährdet sind. Wandel schaffen kann hier nur, um uns kurz auszudrücken, die DiSmarck'sche Po len Politik. Ob endlich zu dieser zurückgekehrt werden wird, wer vermöchte das mit Bestimmtheit zu sagen? Trotz der Besorgniß, daß die Nichtauslieferung des in Frankreich verhafteten Feniers und Anarchisten Tynan an England den Zaren verstimmen werde, scheint man sich doch nicht zur Auslieferung entschließen zu können. ES mögen wichtige staatspolitische Gründe dagegen sprechen, aber abgesehen von diesen ist man Wohl auch gern geneigt, England gegenüber Gleiches mit Gleichem zu vergelten. So beschäftigt sich der „Figaro" damit, die Aeußerungen englischer Blätter, wonach der Anschlag gegen den Zaren gerichtet gewesen, seien vor Allem auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Das Blatt kommt aber zu der Erkenntniß, die Eng länder seien es gewesen, die in Europa seit länger als einem Jahrhundert die seltsame Lehre verbreitet haben, wonach den unter einem politischen Vorwand begangenen Verbrechen eine monströse Straflosigkeit zu Gute kommen soll, wenn es ihren Urhebern gelungen ist, nach einem fremden Lande zu ent kommen. „Nach streng sittlichen Grundsätzen ist jedoch ein Mann, der sich aus politischem Ehrgeiz oder aus Fanatismus an einem Mord oder einer Brandstiftung brtbeiligt, schuldiger als ein armer, ungeschulter Teufel, der auS Natur trieb zum Mörder oder aus Rachsucht zum Brandstifter wird." Jene falsche Lehre habe eS in England ermöglicht, seinen Schutz einer ganzen Anzahl von Königsmördern zu den Zeiten Ludwig Philipps und Napoleon III. auszudehnen, ferner auf alle Petroleure der Pariser Commune vom Jahre 187 l. Diese Lehre werde heute gegen diejenigen gekehrt, die sie zuerst angewandt haben, und da geschehe den Engländern voll kommen recht. Mazzini, sagt „Figaro" ferner, batte die Hand im Spiele, als der Herzog von Parma, der Schwager deS Grafen von Chambord, bei Hellem Tage in seiner Hauptstadt getödtet wurde; ebenso war er an dem Orsini'schen Bombenattentat betheiligt, allein man ließ ihn ruhig Jahre lang in England verweilen. Wodurch aber unterscheide sich Mazzini von Tynan? Wenn aber daS Verbrechen oder die Unschuld, deren Tynan bezüchtigt wird, als Thatsache festgestellt wird, dann müßten die Engländer noch zugeben, daß ein Verbrechen, ob politischer Art oder nicht, immerhin ein Verbrechen ist, dann könnte man rechten oder sich vielleicht verständigen; allein bis dahin hüteten sich die Engländer, also möchte auch Frankreich sich zurückhaltend zeigen. Neber die Rolle, die bei den türkischen Wirren nicht die Armenier, wohl aber armenische Geheime Gesell schaften gespielt baben, geht der „Köln. Ztg." aus Kon stantinopel ein Bericht zu, dem von dem officiösen Ber liner Telegrapben-Bureau weitere Verbreitung gegeben wird. Es heißt in demselben: „Mit sehr geringem Beifall haben wir hier die Meldungen aus Deutschland von den Versammlungen zu Gunsten der Armenier gelesen. Durch derartige Uebertreibnngen und Aufhetzungen, wie sie Herr LepsiuS und Genossen belieben, kann nur dem gesammten christlichen Element in der Türkei geschadet werden. Dir Erbitterung gegen die Armenier steigt in Len fremden Colonien Konstantinopels immer mehr; denn einerseits läßt sich nach den Beweisen, die vorliegen, gar nicht mehr daran zweifeln, daß die überwiegende Mehrzahl der Armenier um die Verschwörung gewußt und sie mit der That oder mit Geld unterstützt hat, und andererseits lastet seit den Tagen des Blutbades ein unerträglicher dumpfer Druck auf Handel und Wandel. Dazu kommt aber auch ganz besonders, daß mehr und mehr aus den Aeußerungen bekannt wird, welche die Angreifer der Ottomanischrn Bank Europäern gegenüber an Bord der Pacht Sir Edgar Bincent's machten, als sie nach ihrer Ergebung dorthin gebracht waren." Diese Aeußerungen lassen sich folgendermaßen zusammen fassen: Seit drei Monaten hatten die auswärtigen Geheim-Gesell- schastrn den Coup vorbereitet und dir Führer waren vor einigen Wochen ringetroffen. Im Ganzen sollten Kundgebungen stattfinden: vor der Hohen Pforte, dem armenischen Patriarchat und an anderen Stellen. Tie Organisation war mit großer Sorgfalt vorbereitet. Die türkischen Behörden wußten aber drei Tage vor dem Ausbruch, daß etwas in der Luft schwebe, glaub ten aber nur an einen Angriff auf das Patriarchat und trafen entsprechende Maßregeln. Für die geplante Besetzung der Ottomanischen Bank und des Credit Lyonnais gaben die Armenier folgende Gründe an: Es waren dort so viel Mit glieder aller Nationen beschäftigt, daß die Armenier annahmen, die Mächte würden, um das Leben ihrer Staats angehörigen zu retten, bei den Türken die Annahme der Forderungen der Verschwörer durchzusetzen suchen und, abgesehen von den Interessen der Mächte, würden die ver schiedenen Börsen schwere Verluste erlitten haben, wenn das Haus mit Inhalt in die Luft gesprengt wäre. Tie Männer be haupteten, sie wollten ihre Landsleute von der Unterdrückung und den Äewaltthätigkeitcn befreien, und Hunderte wären bereit, gleich ihnen Las Leben für diesen Zweck auf das Spiel zu setzen. Sie forderten die Durchführung des engtischen Reformprojectes mit dem Zusatz, freie Presse in den armenischen Provinzen; sie verlangten selbstständige Verwaltung; wenn diese jetzt nicht errungen würde, käme es später dazu. Auf die Be merkung, daß ihr Plan ihnen die Sympathie der Mächte verscherze und ein furchtbares Gemetzel Her vorrufen müßte, erwiderten dir Verschwörer, wer getödtet werde, sterbe als wahrer Patriot und Märtyrer, und wenn sie geglaubt bätten, die Zuneigung der Mächte zu verlieren, würden sie ihnen durch Verbleiben in der Bank die Hände gebunden baben. Ihr Haß gegen die Türken spottet jeder Beschreibung. Sie wollten durch Makedonien zurückkehren und hofften auf Erfolg bei der nächsten Kundgebung. Nach ihrer Angabe wollten sie, bevor sie die Bank sprengten, alle türkischen Beamten ab- schlachten und bedauerten, daß dir Schnelligkeit, mit der die Er eignisse sich abspieltcn, ihnen keine Zeit dazu gegeben. Wiederholt fragten sie, ob ihnen erlaubt würde, nach dem Piräus zu gehen, so Laß dir Zuhörer den Eindruck gewannen, daß dec bedeutendste Sitz ihres LomitSs in Griechenland oder an der makedo nischen Grenze sei. Haben die Angreifer der Ottomanischen Dank wirklich solche Eingeständnisse gemacht, so ist es begreiflich, daß nicht nur der deutsche Botschafter in Konstantinopel, sondern auch seine sämmtlichen contincntalen Collegen von den Kund gebungen zu Gunsten der Armenier wenig erbaut sind und von ihnen nickt nur eine Erschwerung ihrer Anfgabe, sondern auch eine sehr ungünstige und gefährliche Wirkung auf den Anhang der Verschwörer befürchten. Es scheint übrigens, als ob auch in England die den Armeniern sehr freundliche Stimmung umzuschlagen beginne, denn das im heutigen Morgenblatte bereits mitgetheille Londoner Telegramm, das von der Auffindung eines Depots von Bomben und Sprengstoffen in einem armenischen Hause in Konstan tinopel berichtet, stammt, da es vom „Reuter'scken Bureau" verbreitet wurde, zweifellos auS englischer Quelle. Es lautet bekanntlich: „Nach einer Meldung des „Rruter'schen Bureaus" aus Konstantinopel vom 18. ds. Mt«. entdeckte die Polizei in folge von Angaben, welche sie von den in Skutari ver hafteten Armeniern erhalten hatte, in Pera in einem Armeniern gehörigen Hause, dessen Bewohner ver schwunden waren, das Depot von Bomben und Spreng st offen, dessen Auffindung bereits gestrrn ge- ' meidet ist. Die Sachen waren im Hausbrunnen versteckt. HerriHetoir. Vie Tochter des Geigers. Ilj Roman von A. Brüning. Nachdruck »«rdsten. Er War allein. Der Oberförster hatte unterwegs von einem Waldhüter erfahren, daß in der letzten Nacht wieder Waldfrevel verübt worden sei, bei der TenfelSschlucht — derselben, in der Edgar beinahe verunglückt wäre — liege ein starker Sechzehnender, und die Diebe hätten keine Zeit mehr gehabt, ihn vor Tagesanbruch fortzuschaffen. Der Oberförster hatte gewünscht, den Thatbestand an Ort und Stelle zu untersuchen und Edgar gebeten, da er voraus sichtlich noch einige Stunden ferngehalten würde, allein zurückzukehren. Dem jungen Fürsten war diese Aufforderung sehr will kommen gewesen — es schnitt Walter ins Herz, al« er den Sonnenschein auf seinen schönen Zügen sah. Seine Augen flogen suchend an den Fenstern hin: sie suchten Wohl die Braut! . . . Ter Beklagenswerthe hatte augenscheinlich keine Ahnung von Dem, was ibn erwartete. „Lassen Sie mich erst allein mit ihm sprechen", bat Walter gepreßt, als Herr von Wendelstein Miene machte, ihn hinunter zu begleiten, „ich glaube, es ist besser." Langsam stieg er die Treppe hinab, — langsam, fast scheu, öffnete er die Thür Les trauten Familienzimmers, in dem sie so viele glückliche Stunden verlebt hatten. Er fürchtete sich vor seiner eigenen Stimme, die dem Sohne Mittheilung von dem schrecklichen Tode des VaterS machen sollte. Ein einziger Blick auf den Fürsten und daS inzwischen eingetroffene Zeitnngsblatt in seiner Hand, da« er von dem Tische, auf den er schwer seine Reckte stützte, aufgrgriffen batte, sagte Walter, daß ihm diese Mittheilung erspart blieb. — Er trat auf Edgar zu, und den gesunden Arm auf seine Schulter legend, flüsterte er leise: „Armer Freund!" Der Angeredete zuckte zusammen und wandte ihm sein bleiches, völlig entstelltes Gefickt zu. DaS ZritungSblatt in seiner Hand zitterte, er war tief erschüttert. „Meinen Vater, — es war doch mein Vater! Und ich habe ihn gekränkt, — er ist im Zorn gegen mich hinübergeqangen", sagte er tonlos. Walter war die Kehle wie zugeschnürt. „Armer Freund", murmelte er wieder. Endlich raffte er sich auf, — er konnte ihm ja die Wahrheit nicht er sparen. „Herr v. Wendelstein ist hier", sagte er mit abgewandtem Gesicht, „er hat nähere Nachrichten." „Walter, Du verbirgst mir etwa« — WaS ist «S? Wa ich kören muß, will ich von Dir hören, sprich, ich bitte Dich!" Stockend mit abgerissenen Sätzen berichtete nun Walter die ganze Wahrheit; Edgar batte die Hand vor die Augen gelegt, um dem Freunde den Ausdruck seines Gesichts zu ver bergen, als dieser nun zuletzt auch von Lia Rose und der stattgehabten Unterredung sprach, ließ er sie sinken, — ein Blick deS Zorne- brach aus seinen Augen. „Meine arme Waldblume, — so haben sie schon ihre schonungslosen Hände nack Dir au-gestreckt. Wie rauh hat der Sturm de- Leben« Dich erfaßt, und ich, der ich Dir Stab und Stütze sein wollte, war fern!" rief er leidenschaft lich. „Doch nun fort, ich muß zu ihr!" Walter ergriff seinen Arm. „Nicht jetzt", bat er, „Ihr seid Bride noch zu aufgeregt, um den Abschied ertragen zu können." „Abschied? Sv glaubst Du wirklich, daß ich sie lasten, mich selbst und ein junge« unschuldiges Wesen für da- Leben unglücklich machen und mit einer Lüge auf den Lippen eine Andere zum Altäre führen würde, weil mein Vater es gefordert bat, befangen von Vorurtheilen, die er jetzt droben in reinem Lichte der Ewigkeit längst al« solche erkannt hat? — Die Verstorbenen können unmög lich wünschen, daß wir die Jrrthümer, die sie hinieden begangen, nach ihrem Tode in ihrem Namen fortsetzen und oft noch verschlimmern. Glaube mir, der Geist meine- Vaters wird mir« danken, er wird den Fluch in Segen ver wandeln, wenn ich die Forderung, die er in irdisch kurz sichtiger Verblendung gestellt hat, nicht erfülle. Mag die ganze Welt mich Herz- und pietätlos schelten — ich werde bandeln, wie Pflicht und Ehre eS mir vorschreiben, und ich bin überzeugt, daß ich ihm dereinst dort oben mit reinem Bewußtsein gegenüber treten kann." Eine edle Begeisterung klang durch seine Worte. Walter vermochte ihm nicht zu widersprechen; schweigend drückte er ihm die Hand, und dem Davoneilenden nachdlickend, sagte er leise und bewegt noch einmal: „Armer Freund!" XVI. Al« Lia Rose vorhin die Zimmerthür hinter sich ge schlossen hatte, blieb sie stehen, sie hielt die Hand an die Stirn, hinter der di« Gedanken in chaotischem Wirbel durch einander kreuzten. Sie mußte sich erst besinnen, wohin sie die Schritte lenken sollte. ES war ihr, al- ob sich ihr auf Kopf und Brust ein schwerer Stein gewälzt habe, der nun immer dort bleiben würde, und daS dumpfe Schmerzgefühl darüber war daS Einzige, WaS sie klar empfand. Mit einem tiefen, wehen Seufzer preßte sie die Hände auf das Herz, als ob sie dadurch seine qualvollen Schläge zu hemmen vermochte. Sie starrte dann mit leeren Blicken durch die offene Flurtbür über den sonnenflimmernden Rasenplatz in den Wald hinaus, — denselben Wald, den sie gestern an Edgar's Seite so überschwenglich glücklich durch schritten hatte. Ach ja, der Wald, — jetzt fiel e« ihr ein, daß sie in den Wald hinaus wollte. Dort würde sie am ersten wieder glücklich werden. — Sie wollte eben binauStreten, als die alte Magd aus der Küche ihr entgegenlief. „Hier, Fräulein Lia, ist daS Körbchen!" rief sie eifrig, „ich habe die Vorräthe hineingepackt, wie Sie mir aufgetragen, lauter gute Sachen, auch das Tuch ist drin, von dem Sie sprachen." Lia Rose starrte sie erst versländnißlos an, dann besann sie sich; sie batte ja ins Dorf hinabgehen wollen zu ihren Kranken, eS hatte sie gedrängt, von ihrem reichen Glück auch Anderen mitzutbeilen. DaS war heute Morgen früh gewesen, welch eine Ewigkeit schienen ihr die wenigen Stunden, die seiidem verflossen waren. Sie zerdrückte gewaltsam die Thränen, die ihr beiß in die Augen schossen. „Es ist gut, Babette, ich danke Dir", sagte sie hastig zu der Alten, die ihr daS Körbchen an die Hand bing, dann eilte sie hinaus. „Was hatte nur da« Fräulein?" murmelte Babette kopf schüttelnd, „sie war ja ganz verstört, und das Körbchen hätte sie sicher vergessen, — da werde ein Anderer klug daraus." Lia floh indessen wie gehetzt in den Wald hinaus, — immer weiter und weiter. Sie achtete nicht auf den Weg: es war ja einerlei, wohin sie ging, nur allein wollte sie sein, ganz allein. Endlich hielt sie inne, sie war an einer einsamen Stelle angekommen. Die Füße trugen sie nicht weiter, sie kniete neben einem der hohen Bäume nieder in« blumige MooS und einen Arm um den epheuumrankten Stamm lehnend, drückte sie wie tvdtmüde das Gesicht in die kühlen Blätter. Ihre zarte Gestalt erbebte in krampfhaftem Schluchzen, sie weinte die schmerzlichsten Thränen ihres Lebens, bitterer und schmerzlicher noch als die, die sie am Sarge der Mutter geweint halte. Damals war sie ein Kind gewesen, und der Tod, der uns ein theures Leben entreißt, ist ein unabänder liches Schicksal, daS getragen werden muß und daS direct von Gott kommend von dem gläubigen Herzen fromme Er gebung fordert. Jetzt aber, jetzt sollte sie selbst bas Trennungs wort sprechen, daS sie für immer von dem Geliebten auf Erden scheiden würde! Wie jammerte ihr Herz in dieser Stunde nach der Mutter! Eine unnennbare Sehnsucht erfüllte sie, den müden Kopf an ihre treue Brust legen und flüstern zu können: „Entscheide Du für mich!" Fester umschlangen jetzt ibre Arme den rauhen Stamm, als ob e« die theure Gestalt der Tobten sei, die sie umklammert hielt. Und der Vater! Warum mußte er so fern sein, so un erreichbar für ihren sehnsuchtsvollen Ruf? Wenn er wüßte, wie seine Tochter nach ihm verlangte in ihrem Schwerz! Doch das Meer lag ja zwischen ihnen, das weite, endlose Meer! Da — WaS war daS: süße, zauberhafte Klänge schwebten zu ihr herüber, gleich AeolSharfen drangen sie in die Seele der regungslos Lauschenden. Es war eine meisterhaft ge spielte Geige, die La so herzerschütternd jubelte und klagte und sanft mit beschwichtigender Gewalt ihren Schmerz zur Ruhe sang. So konnte nur Einer spielen! Sie kannte diese Töne, die der Morgenwind wie den sehnenden Ruf eines Herzens zu ihr herüber trug. Sie sprang empor, — „ich komme, ich komme!" klang es fast jauchzend von ihren Lippen, und wie von unsichtbaren Schwingen getragen, flog sie dahin dem Schalle nach. Näber und näher hörte sie die zauberhafte Musik, — endlich stand sie still: vor ihren nmschleierten Blicken blitzte der Waldsee auf, und dort — auf dem Hügel unter der Nothbuche saß ein Mann, — ein alter, gebeugter Mann, der eine Geige in den Händen hielt. Ueber seine Stirne fiel eine dunkle Locke, aber zum Nacken floß daS Haar in langen silbernen Strähnen. DaS gefurchte Antlitz war ihr zugewendet, doch er sah sie nicht — die Augen waren ja fast blind! Ein Schrei der Seligkeit und der Qual zugleich entrang sich ihren Lippen. Der alte Mann fuhr auf, feinen zitternden Händen entsanken Geige und Bogen. „Mein Kind — meine Cecilia!" rief eine geliebte, ach wie sehr veränderte Stimme. Er breitete der vorwärts Stürzenden die Arme entgegen — sie lag an der Brust des VaterS und fühlte, wie er liebevoll ihren Scheitel mit Küssen bedeckte. Minutenlang hirlten die Langgrtrennten einander wortlos
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite