Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960922017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-22
- Monat1896-09
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Preis aa»«fielie»»dged»lt: dterttlMriUy^e.-u, kn »weimalimr tLalicher L»stell»»g m« Sau« -ck L^0. Durch die Post b«^o» für L«utschlaud und Oesterreich: virrttuthrlich ./« «.-. Dir«» UgUch« -rnr-baudlead,«« UA Nn-Imch: Die MoigewSnSgab« erscheint um '/»7 Uhr, hie HhechettUA« mn h Uhr^ Rrdartto« »ud Lrpe-itto«: -sh«i»e»O«ffe 8. Di« Hpwftio» ist Wochentag« »«unterbrech«! «e-lf-t von früh 8 bi« tlbeah» 7 Uhe. Filialen: Ott» Klemm'« Sorti». (Alftetz Hehn). U»iversität«strabe 3 (Pantiamn), Kot« LSsche» Üatbarmenstr. 14. »art. und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. MpMrr TagMM Anzeiger. Nnrtsötatt -es Lömgttchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes im- Motizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Dienstag den 22. September 1896. Auzeigerr-PreiS dlr 8 gespaltene Petitzelle ro Psg. Nrclame« unter hem Redactionsstrich (4ge« spalt«») 50-4, ver den Familiennachricht,» (Ggispalt«») 40 VrSßere Schriften laut uüserein Ptris- mr,eichui-. Tabellarischer unh Ziffer riiatz »ach höherem Laris. Extra-V ei lagen (gesalzt), nur mit d«, Morgen-Au«gabe, ohne Postbisörderua- M.—, «,t Postbefvrderung 70.—. ^Xnnahmeschluß für Anzeige«-. Elbeud-Ausgabe: Bormittag- 10 UHL Morgen-Ausgab«: Nachmittag« 4 Uh» Vei h«n Filialen und Annahmrstellru je ein» halb« Stunde früher. Anreise» sind stets au dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig SV. Jahrgang. Die armenischen Revolutionaire. Schon am Sonnabend wiesen wir in unserer „Politischen Tagesschau" darauf hin, daß die Berliner Anarchisten am folgenden Tage eine große öffentliche Versammlung mit der Tagesordnung: „Sind die Armenier duldende Christen oder revolutionaire Freiheitskämpfer" abhalten würden und daß daS Berliner Anarchisteublatt für diese Versammlung Stimmung mache durch folgende Aeußerungen: „Die armenischen Revolutionaire sieben also schon darum, weil diesen Verhältnissen entsprechend der Staat ihr Hauptfeind, ja fast ihr einziger Feind ist, uns Anarchisten sehr oahe, soweit fie nicht, wa« ein beträchtlicher Theil thut, sich dirrctzur anarchistischen Weltanschauung bekennen.... Möge die Sache der Anarchie und der Frei heit in Armenien zum Siege gelanaenl... Die Armenier erwarten von uns europäischen Socialisten nach den Mit theilungen, die sie unS haben zugehen lassen, mehr als bloße Worte der Sympathie. Davon werde ihnen, wie sie meinen, schon genug von den Bourgeois- und Pfaffen blättern übermittelt. Die angekündigte Versammlung hat inzwischen statt gefunden; der Genosse Gustav Landauer hielt über da« mitgetheilte Thema einen eingehenden Vortrag, über den, wie unS telegraphisch berichtet wird, in der „Nat.-Ztg." ein höchst intereffanter und lehrreicher Bericht vorliegt. ES er- giebt sich nämlich aus Landauer'« Mittheilungen, daß da« Berliner Anarchisteublatt nicht geflunkert hat, als eS von „armenischen Revolutionairen" sprach, nicht geflunkert, al- diese Nevolutionaire als den Anarchisten sehr nahestehend bezeichnete und von Mittheilungen redete, auS denen die Erwartung der armenischen Umstürzler auf thatkräftige socialdemokratische und anarchistische Hilfe hervorgehe. Landauer verlas nämlich zur Begründung seiner Ansicht, daß man rS hinsichtlich der jüngsten Ereignisse unzweifelhaft mit einer focialrevolutionairen armenischen Bewegung zu thun Habe, zwei Schriftstücke, welche die Armenier den zugereisten Tbeilnehmern am interuationalen Socialisten-Eoagresse in London zugestellt hatten, in deutscher Uebersetzung. DaS erste dieser Schriftstücke, unterzeichnet von dem „Organ der armenischen revolutionairen Föde- ration", wurde am 25. Juli jedem Mitglied de« Con- gresseS überreicht. ES protestirt gegen die Verdächtigung, daß die „Parteiorganisation" etwa auf russische oder eng lische Anzettelung hin entstanden sei, und stellt als Ziel der ringeleiteten revolutionairen Bewegung die politische und wirthschastliche Befreiung deS Volkes durch die „Propaganda der Thal" hin. ES ist voller M a r xi st i s ch e r S ch l ag w o r te, spricht von Ausbeutung, Ver brüderung der Völker, Vervollkommnung der Production-mittel und der socialistischen Bestimmung der Menschheit — tout cowwe oller uous. Die Hauptsache in diesem Aktenstück aber ist die Mittheilung, daß wohldewaffnete, fliegende Banden unterhalten werten, welche den rothen Schrecken über da« türkische Reich hin verbreiten sollen. Die „Ge nossen" de- CongreffeS werden aufgefordert, auf jede Weise, besonder« auch durch Besprechungen in der Presse und in Versammlungen für die Bewegung zu wirken; die Genossen aber haben eS bisher für taktisch richtiger gehalten, von diesem Aktenstück der Mitwelt keine Kunde zu geben und die Fiction weiter zu verbreiten, daß der russische Rubel die Bombenmännrr der ottomauischen Bank begeistert habe. DaS zweite Schriftstück, unterzeichnet „Einige arme nische Anarchisten", wurde denn auch am 28. Juli den inzwischen vom Congreß au die Luft gesetzten Anarchisten allein übergeben. Es fordert direkt auf zur Lieferung von Geld und Waffen und schließt: „Revolutionaire Brüder, auch Ihr kämpft für Eure Freiheit; solidarisch mit Euch können wir Alles hoffen." Wiederum wird betont, daß revolutionaire Banden daS türkische Reick durchziehen. Selbstverständlich lehnte Herr Landauer jegliche Soli darität mit den armenischen Anarckisten ab. Aber darauf kommt eS unS hierbei wenig an. Von Bedeutung für un« ist, daß wir im Spiegel dieser Schriftstücke armenische Anar chisten in Konstantinopel an der Arbeit sehen, den rotben Schrecken zu verbreiten, daß auch der Sturm aus die ottomanische Bank durch eine „fliegende Bande" von 30 bi« 40 Armeniern al« von langer Hand her vor bereitet erscheint. Diesen Eindruck verstärkte noch eine Mit theilung de- Redakteur- von Ger.sach, der in der Dis kussion das Wort ergriff. Nach versahen entdeckte ein deutscher, in türkischen Diensten stehender Beamter in dem Abreiß kalender eine- armenischen HauseS auf dem Blatte deS 3l. August die Bemerkung: „Der vrrhängnißvolle Tag der Thronbesteigung des Sultans." Für diesen Tag waren in verschiedenen Städten revolutionaire SchreckenStbaten geplant, die dann unter dem Eindruck de« in Konstantinopel zu früh erfolgten Ausbruches unterblieben. Herr Thumajan, der auch anwesend war, nahm seine Landsleute ganz entschieden in Schutz gegenüber der Be hauptung, sie seien in-gesammt revolutionair, und wieder holte, eS handle sich bei der revolutionairen Besetzung der Ottomauischen Bank um eine von der türkischen Regierung angezettelte Thal von Lockspitzeln. Daß daS jedoch nicht zu treffend ist, während andererseits daS in den Bergen deS Hinteren Kleinasien sitzende armenische Landvolk gewiß noch nicht ergriffen ist von der anarchistischen Propaganda der europäischen Armenier, darüber dürfte die anarchistische Ver sammlung wohl einige Klarheit gebracht haben. Deutsches Reich. L» Berlin, 21. September. Ueber die Verwendung der Arbeitergroschen, welche zu der politischen Organisation der Socialdemokratie beigesteuert werden, Haden die „Genossen" selbst schon auf den socialdemokratischen Parteitagen Licht verbreitet. Nach der Zusammensetzung der Berliner Delegirten für den nächsten Parteitag darf man erwarten, daß diese« Thema auch in Sieblebeu fortgesponnea wird. Weniger wurde bisher die Abrechnung der gewerk schaftlichen Organisation der Socialdemokratie beachtet. Nach dem vom Abg. Legien erstatteten Bericht haben 44 Gewerkschafts verbände für da« Jahr 1895 eine Einnahme von 2 745 6l7^t angegeben. Da die Hälfte dieser Organisationen uur Wochen beiträge von 5 bi« 15 von den Mitgliedern erbebt, so kann man mit Recht sagen, daß ein bedeutender Theil dieser großen Summe groschenweise von den Arbeitern zusammen getragen ist. Und wie werden diese Groschen verwendet? Die Ge- sammtauSgaben betrugen 2 140 985 ^ Mehr als 10 Proc., nämlich 244 223 wurden für BrrwaltungSzwecke und für Agitatoren verausgabt, flössen also in die Taschen der „leitenden Kreise". Weiter« 10 Proc. werden für da- BerbandSorgan au-aegrben, kommen also wenigstens zum Theil dem „GeschaftSsocialiSmuS" zu Gute. Inwieweit die für Streiks auSgegebenen 239 816 »E durch Lohnver- befferungen wettaemacht worden sind, ist im Einzelnen nicht zu ermitteln Nach den Erfahrungen der letzten Jahre darf mau annehmen, daß nur ein aermger Theil dieser Summe „productiv" augelegt war. Erst die verbleibenden 70 Proc. der Ausgabe» dienten dann für Unterstützung der Gewerk- schastSuntglieder, für Kranken- und Invaliden-Unterstützung, für ArbeitSlosen-Unterstützung rc. Da befriedigt doch der moderne Staat seine Eultur und Wohlfahrtszwecke erheblicher billigerl 1t Berlin, 21. September. Bekanntlich hat die Erkenut- niß von der Nothwendigkeit de-Schutze- der lanvwirth- schastlich nützlichen Vögel zur Anbahnung eine- inter nationalen Vorgehen« geführt, und e« schweben zwischeu den an der Sache interessirten europäischen Culturstaaten bereits seit längerer Zeit Verhandlungen zwecks Abschlusses einer hierauf bezüglichen Convention. DaS Programm derselben wurde seinen Grundzügen nach von einer etwa vor Jahresfrist ack lloe in Paris zusammengetretenen internationalen Conferenz fest gestellt,und eS wäre zu wünschen, daß die Erledigung derÄngelegen- deit, welcher sich unausgesetzt dir lebhafteste Theilnahme der in telligenten Landwirlbe aller Culturstaaten zuwendet, nicht un- nöthiger Weise auf die lange Bank geschoben würde, zumal da di« Beweggründe, denen di« erste Anregung der internationalen Regelung der in Rede stehenden Materie entstammt, mit der Zeit an Dringlichkeit nur noch gewinnen. So mehren sich z. B. au« Frankreich, insonderheit au« den Weinbau treibenden Departements, die Klagen über ungebührliche Vermehrung solcher Jnsectea, welche den Reben schädlich sind, und alle Sachverständigen sind darin einverstanden, daß diese Vermehrung mit der Abnahme der Vogetartrn, die jenen Schädlingen nachstellen, in ursächlichem Zusammen hänge steht. ES ist deshalb während der lctzien General- rathssesfion von mehreren dieser Vertretungskörperschaften bei dem Landwirlhsckafrsministerium angeregt worben, einem weiteren Umsichgreifen des beklagten UebelS durch ein temporäres Verbot- des Wcgschießens, WegfangenS oder sonstiger, den landwirthschaftlich nützlichen Vögeln geltender Nachstellungen vorzubeugen. Von anderer Seile wird dagegen eingewendet, daß eine solche Maßregel, so gut sie gemeint sein möge, ihren Zweck verfehlen werbe, wenn sie auf Frankreich beschränkt bleibe, während in anderen Ländern mit der Massenvertilgung der kleinen, insektenfressenden Vögel fortgefahren wird. Wohl aber dürfte die französische Re gierung aus den zur Sprache gebrachten Umständen den Anlaß entnehmen, einer fordersameren Behandlung der internationalen Regelung des Schutzes der landwirthschaftlich nützlichen Vögel ihr Interesse noch mehr als bisher zuzuwenden. * Berlin, 21. September. Dir allgemeine Wehr pflicht, daS ist ein Axiom jenseits des Canals, passe nicht für England, und mit einem Gefühl, das zwischen Mitleid und Spott die Waage hält, sieht man vielfach auf da- unter dem Joch de- Militarismus seufzende Deutschland bin. Neue »g« jedoch stnd hier und da Stimmen in der eng lischen Presse und Literatur laut geworden, die im deutschen Heere nicht nur eine große nationale Erziehungsanstalt, sondern sogar eine wirthschafllick nützliche Institution erblicken. Diesen weißenRaben schließt sich der militairischeCorrespondent der „Daily NewS" in seinem Berichte über die deutschen Kaisermauöver an, indem er u. A. schreibt: „Wer diese Massen von Soldaten des Boltes in Waffen gesehen hat, wie sie während der großen Feldübungen Leiden und Selbst- entsaguag lernen, muß zu dem Schluffe kommen, daß diese einer Nation zum höchsten Nutzen gereichen. Der Proceß, wodurch Oificiere und Mannschaften ihre Pflichten lernen, geht so regelmäßig und allmählich vor sich, daß es saft unmöglich ist, daß sie ihre Arbeit nicht gründlich lernen. Da- Charakteristische bet diesen Manöver» war die Stille, die ruhige Weise, wie alle Befehl« ge- geben und ausgeführt wurden, die Decentralisation, da- System, Jnfanteriemassen in großer Tiefe, eine Linie nach der anderen, gegen einen entscheidenden Punct vorzuschieben, da- enge und kühne Zusammenwirken der Kavallerie und Artillerie mit der Infanterie, die Art, wie die Artillerie schnell über sumpfige« und hügeliges Terrain setzte, und die außerordentliche Schnelligkeit, mit welcher au« der Kolonne die Linie gebildet wurde." Der Gewährsmann de- großen liberalen BlatteS, das Deutschfreundlichkeit sonst wahrlich nicht zu feinen Vorzügen zählt, fügt noch hinzu, daß er während der ganzen Manöver von jedem Ofsicier, llnterofficier und Gemeinen mit der allergrößten Höflichkeit und Zuvorkommenheit behandelt worden ist. * Berlin, 21. September. Auf dem socialdemokra tischen Parteitage zu Gotha soll als eine brennende Frage die der Frauen-Agitation behandelt werden. Wa las "uu näher, al« daß die der socialdemokratischea Ver führung unterlegenen Frauen daS Bestreben batten, die eine oder die andere ihrer redegewandten Genossinnen ihre Wünsche und Beschwerden vortragen zu lassen. DaS haben die Berliner „Genossen" aber verhindert. Wir haben sckon berichtet, daß keine einzige Frau gewählt wurde. Fast alle Redner, die mehr oder minder grob die Wahl von weiblichen Delegirten bekämpften, rechneten den Frauen vor, baß sie für die Partei nicht so viel „praktische Arbeit" bei der Flugblattvertheilung und Geldsammlung geleistet hätten, wie die Männer. Sie konnten nicht« erwidern, als die Genossinnen darauf antworteten, daß die Frauen der „Ge nossen" zum Theil durch die Männer selbst, zum Theil durch die Pflichten de« HauSwesenS und der Kindererziebung davon ferngehalten sind. Zur Beurtheilung deS Verhält nisse« der beiden Geschlechter in der socialdemokratischen Partei sei au« der „Post" noch einige« auS der DiScussion in den Parteiversammlungen hervorgeboben. Reichstagsabg. Fischer erklärte sich gegen die Wahl einer Delegirtin: „Wir wählen nicht Männer und Frauen, brzw. Hosenbeine und Unterröcke, sondern wählen Genossen nach ihrer Fähig keit und Vertrauenswürdigkeit." Die „Reverenz vor dem Unterrock", sagte er weiter, sei „unsocialdemokratisch". Die Frauen Fahrrnwaldt und Lutz entgegneten Fischer sehr lebhaft, beschwerten sich über dessen spöttischen, unwürdigen Ton und behaupteten, daß er ihnen ganz andere Beweg gründe unterschiebe, als sie bei Stellung ihre« Antrages gehabt hätten. Mit Gelächter wurde der Vorschlag, «ine Delegirtin zu wählen, im dritten Wahlkreise aus genommen. Genosse Kahlen meinte, Bebel habe den Frauen in seinem bekannten Buche so geschmeichelt, daß sie sich jetzt viel einbildeten. Ein Genosse, der, wie er sagte, den „Muth" batte, für die Genossinnen einzutreten, wurde nieder- geschrieen. Er erklärte zum Schluß: Die meisten Socialkemo- kraien seien nicht fähig, ibre Frauen anständig zu be handeln; die Frauen müßten sich schämen, einer solchen Ver sammlung beizuwohnen. Än der Versammlung der Genossen des vierten Wahlkreises hielt Frl. Baader, eine der weiblichen Vertrauen-Personen für Berlin, eine heftige Anklage gegen den ReichstazSabgeordneten Auer. „Genosse Auer", sagte sie, „hat sich so abfällig und reactionair über die Fraurnfrage ausgesprochen, daß, wenn sein« Ausführungen richtig wären, wir Frauen un« fragen müßten: „Sind wir noch Parteigenossen, oder ist er noch Parteigenosse?" Rednerin betonte, eS sei «ine Schande, wenn keine Frauen nach Gotha gesandt würden; sie hielt den Genossen entgegen, daß die Frauen mindestens so gut al- die Männer ihre Schuldigkeit gethan hätten. Die Gegner der Frauen stellten sich hier ohne Ausnahme auf den finanziellen Standpunkt. Sebr stürmisch ging e- in der Versammlung im sechsten Wahlkreise her, weil mehrfach Stimmen laut wurden, die die im Bureau sitzenden Genossen unredlicher Manipulationen bei Abstimmungen zu Ungunsten der Frauen beschuldigten. Frau Mesch forderte die Genossen aus, dock endlich da- Versteckspiel aufzugeben und Farbe zu bekennen, oder, wenn sie konsequent fein wollten, da- Programm zu ändern, da- den Genossinnen Gleichberechtigung verbeißt.— Der in verschiedenen Kreisen von Frauen gestellte Antrag, den PassuS im Organisationsstatut, der den Frauen „ge stattet", in besondere Versammlungen Delegirte zu entsenden, aufzuheben, wurde überall verworfen. Auch das läßt mit Deutlichkeit erkennen, daß eS den Leitern der Socialdemokratie mit der Durchführung der Gleichheit innerhalb der Partei nicht ernst ist. T. Berlin, 21. September. (Telegramm.) Die Kaiserin gedenkt Dienstag Abend gegen 10»/» Uhr sich nach Ploen zu begeben, daselbst einige Tag« zu verweilen und dann zum Besuche ihrer Schwester nach Grün Holz zu reisen, wo sie einlge Zett Aufenthalt nehmen wird. L. Berlin, 21. September. (Privattelegramm.) Minister Thielen veröffentlicht einen sämmtlichen Beamten Die Volkslieder der Serben. Literarische Skizze von vr. Heinrich Ruhe. Die Serben gehören zu deu frühesten Bewohnern EuropaS und bilden möglicherweise den Urstamm sämmtlicher Slawen. Alt und ursprünglich, wie der serbische Bolksstamm, ist auch seine DichtungSart. Daß die serbische Rhapsodie bereit« in den vorchristlichen Zeiten durch die yeimathlichen Sänger die schönste Pflege fand, dafür sprechen mancherlei Gründe, vor Allem die auffallend« Aehnlichkeit de« serbischen Liedes mit der ältesten slawischen Poesie, da« überreiche mythische Element') in den serbischen Dichtungen, di« unverkennbare tiefinnerliche Verwandtschaft mit der altgriechischen Rhap sodie, die Begleitung der nationalen Gesäuge durch die ebenso roh-einfache al- uralte „GuSla" >) und endlich di« Jdentificirung von Sängern und Blinden. AuS der grauen Vorzeit der serbischen Porste ist un leider kein Lied überliefert worden. Auch au« den Tagen der römischen Herrschaft hat sich im Munde de« Volke« nich « erhalten al« die Erinnerung au Trajan, Diokletian unv Konstantia, allein selbst diese schwache und aeringfügige Er innerung ist sehr bemerkenswert-, da fie zur Genüge erkennen läßt, wie viel und wie allgemein damals bereit« gesungen wurde. Di« ältesten Lieder scheinen wohl jene zu sein, in denen Nachklänge des ehemaligen Naturcultu« und gemischt- ') Ein« Hauptrolle spielt in de« serbisch«» Volksliedern dke „Mila", j«u« junge u»d schSue, aber bSSarttg« nutz rachsüchtige Fe«, di« mit wallend«« haar und in lästig«», wrtßn» Gewände durch di« Wälder, über di« v«v u»d da« feist,» »«stad« «ntian« kneift, gern »ft den Mensch»» wrkrtzrt, di, Wolle» ftmnwtt, Krankheiten hellt nnd di» Zukunft provb«t«tt. *) Li» ,,»u«l°" ist »i, serbisch«« «nstkinstrunwnt und d«ft«ht a»S eftmn oval«», nuten gewölbte» Körper «ft ein«« Rrsourmnz- botze» au- Ahornhol» uud mit einem Handgriff versehen. Ueber Fell «nd Handgriff ist ein« rotz« Darmsaite gffpanat, deim Spiel«» wird darüber mft dem Vogen gestrichen. »eidnische und christlich« Anschauungen sich finden, wie z. B. da» Ziev, in welchem Gott seine Heiligen zu einer Versammlung n den Himmel beruft und ihnen die Obhut über die Erden- Mer überträgt. Die Mitte de- 14. Jahrhundert- ist der fernste Moment, bi« zu welchem da« Gedächtuiß de« serbischen Gesänge« zurückreicht. Damals begann da» serbische Volk, welche« »ater der Herrschaft der Macedonier, der Griechen, der Römer und der Byzantiner niemals selbstthätig hervor getreten war, unter der mächtigen Dynastie der Nemanjiden zu einer gewissen Selbstständigkeit und Bedeutung sich empor- zuschwingru. Stepha» Dusehan der Gewaltige (1334 bi« 1355) verlieh dem serbische» Nameu eiuen Glanz, welchen derselbe weder vorher noch nachher jemals besaß, mdem der Serbenfürst ganz Makedonien, Albanien, Thessalien, Nord- grieckenlanv und Vulgarien «ater seinem Scevter vereinigte, seinem Volke ein vortreffliche« Gesetzbuch gab, Wissenschaft und Handel begünstigte und den stolzen Zarentitel aanahm. Unter seinen Nachfolger» gerieth da- mäch tige Serbeareich -ar bald in verfall. Di« Lieder au« jener Zeit reihe» sich sammtlich mehr oder weniger unmittelbar nm da« verhänguißvolle und folgenschwere Ereiguitz auf dem Amselfelde »der auf der Kossower Haid« (Kosovopolse) * *), wo der Zar Lazar Grbljauowitsch am 27. (15.) Juni 1389 in der blutigen Schlacht -egen Murad l. Kron« «nd Leben verlor. D>ese Kriegslieder, welch« hohen Heldensina, tieft Religiosität, lautere Opferfreudigkeit, di« herrlichste Männlichkeit athmen und die Freiheit-lieb« uud di« Größe «ine- auf strebende», seiner Kraft sich bewußte» Volke» be singen, bilden mit den Abenteuer» d«S Marko Kraljewitsch *) Da- 52 stw laug« »uh 22 Lm -reite „Amselstld" ist »in« auf zwei Seiten vo» Gebirgskette» «tugeschloffea« Hochebene im Novi- dozar'scheu Sandschakat in Slldftrme», äußer- fruchtbar, mit vielen Städten uud Dörfern b«baut »,d vo» der Silaitza dorckströmt. Außer der oben enoätzute» Schlacht faud hier «m -1. (IS.) Oktober 1448 die kn»sch«id»ag«schlacht zwischen de» Serbe» »ud den Türken statt, kin ungeheurer Steinhaus»» bezeichnet unweit d«« ,abei Prischtina die Stelle, wo am Moranr der erste» Schlacht der serbisch« Sojrwod« Milisch Obtlitz de» türkisch«, Salta» Murad I. im grue ermordet«. d. h. deS KönigSsobneS Marko) die Fragmente eines großen NationalepoS, gerade wie einstens die Rbapsodien vom tro- anischen Kriege, die Jliade und die Odyssee. Historisch war Marko Kraljewitsch ein Sohn des Serbenkönigs Vukaschin, der am 19. (7.) Oktober 1371 nach der unglücklichen Schlacht an der Maritza auf der Flucht von seinem eigenen Diener erschlagen wurde, und verdient eher den Namen eine- VerrätherS, al- den eines Patrioten; er verschmähte eS, als Theilfürst dem Zaren Lazar sich zu fügen, rief gegen letzteren die Türken zu Hilfe und kämpfte an deren Seite gegen seine StammeSgenossen, bis er im Jahre 1395 in der Schlacht bei Karanowatz oder Kraljewo*) seinen Tod fand. DaS Volk-epo- verwischt die Fehler und Schwächen im historischen Charakter Marko'S gänzlich und stellt in ihm den rdealen TypuS eine» serbischen Helden hin, der durch Edelmnth, Tapferkeit unv Kühnheit sich auszeicknet und in den Reiben der Türken in den Kampf zieht; aber nicht als Vasall, sondern al« Gebieter. Er ist noch nicht gestorben, nein, er lebt noch immer, dock nach der Erfindung deS Schießpulver- ist er auf seinem Rosse Scharaz ins Wald gebirge geflohen, erschreckt durch die Vorstellung, daß die schwache Hand eine- zarten SinveS die gewaltige Kraft de« größten Helden zu bezwingen vermöge, und er schläft dort m einer Höhle, wo er dereinst erwachen und zu neuem Kampfe sich erheben wird. Die zweite Schlacht aus der Kossower Haide am 31. (19.) October 1448, in welcher Sultan Murad II. über Vie verbündeten Serben und Ungarn «inen glänzenden Sieg davontrug, machte dem serbischen Reiche em Ende. Serbien wurde eine türkische Provinz. Die Vornehmen de« Landes traten, um Hab und Gut zu retten, größtentheilS zum Islam über und verfolgten und befeindeten, wie da» bei Rene gaten fast immer der Fall zu sein scheint, ihre christlichen StammeSangebörigen weit ärger als die MoSlemitea selbst. Viele Serben flüchteten sich über die Save und die Donau *) Der serbisch« Flecken mit 2500 kiawohnrrn hieß -iS in bi« jüngste Zeit Koranowatz und erhielt erst 1881 d«n Namen Kral- jewo. 4 lern südlich von dem Flecken liegt da« alt« Kloster Zitscha, di« KrSnuugSkirch« der indischen König«. und gründeten sich neue Wohnsitze. Die Meisten jedoch blieben in ihrer Heimath, um in aller Stille den blutigen Rachekampf gegen ihre unmenschlichen Bedrücker vorzubereilen. So entstand allmählich daS Haiduckentbum, welches unter un säglichen Entbehrungen und Gefahren den heiligen Kamps wider den Halbmond sich zur Leben-aufgabe machte, und die wehrlosen Bauern erblickten in den Haiducken ihre einzigen Beschützer und ihre einzigen Rächer gegenüber den Gewalr- thätigkeiten übermütbiger, wollüstiger und habgieriger Be amten und Gut-Herren. Es bedarf wobl kaum der Erwähnung, daß ein derartiger Wechsel Ver politischen Verhältnisse nicht ohne Rückwirkung auf die serbische Sprache, welche durch eine Unzahl türkischer Wörter ihre bisherige Reinheit einbüßte, sowie namentlich auf die nationalen Gesänge bleiben konnte. Die Serben, welche den muhamedanischen Glauben angenommen batten, ließen in ihren Liedern da- iSlamitiscke Element vorwallen und besangen die Besiegung und Unter drückung der Christen und die Heldenthaten der gläubigen Anhänger Allah'S und seine» Propheten; in ihren Liebes liedern spiegelte sich allmählich jene ganze Sinnlichkeit und Leidenschaft ab, wie sie hiutrr den vergitterten Fenstern der Frauengemächer frühzeitig erglimmt und fortglüht. Dagegen feierten die dem Ehristertthum treu gebliebenen Bewohner Serbiens in ihre» Gesänge» ihren bartuäckigen, geschlossenen Widerstand gegen di« grausamen Türken, ihren heldenmüthigen Kamps gegen ihre gott- und pflichtvergessenen Unterdrücker und die Tapferkeit und Kühnheit der Haiducken. Was der Chronist aufzuzeichneu versäumte oder auch nicht wagen durfte, pflanzte sich in lebendigerer und edlerer Gestaltung durch SängerSmund fort. In der That hätte den serbischen Helden wohl ein schönerer Lohn werden können I Einen nicht zu unterschätzenden Einfluß übte auf die serbischen Gesänge di« Berührung mit den benachbarten Völkern aus, vor Allem an den dalmatinischen Küsten, wo die Serben Jahrhunderte hindurch einen regen Verkehr mit ganz Italien »nd namentlich mit der Republik Venedig untrrhiellen. Dieser italienische Einfluß, der sich sogar auf Gedanken, Wendung und Bilder erstreckt, offenbart sich besonders in der schwung vollen rhetorischen Sprache der LiebeSgesäage, der Tobten-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite