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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960928012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-28
- Monat1896-09
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- derzeichniß. Tabellarischer uud Ztfferusas nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug 00.—, mit Postbrsvrderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgru-Ausgabe: Nachmittag- »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. An»eigen sind stet- au di« Expedition t» richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig Montag den 28. September 1896. SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Zu vermiethen ist für sofort oder später eine Wohnung im linken Erdgeschoß des städtischen Hausgrnndstücks Fürstenstratze Nr. 10, bestehend au» 8 Zimmern, Mädchenkammer, Küche und Speisekammer nebst Zubehör für jährlich 525 MiethzinS. Miethaesuche werden auf dem Rathhause, 1. Obergeschoß, Zimmer Nr. 9, entgeaengenommen. Leipzig, den 21. September 1896. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Morche. Gcwerbckammer Leipzig. Freitag, den 2. Oktober, Nachmittags 5 Uhr öffentliche Ptcnarsitznng. Tagesordnung. Bericht des Ausschusses für gewerbliche Angelegenheiten über den Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung (Zwangsorganisation des Handwerks, Regelung des Lehrlingswesens, Meistertitel). Leipzig, den 28. September 1896. D. A. Dehler, Bors. Herzog, S. Die deutsch-ostafrikanische Eentralbahn. Nach sonst zuverlässigen Mittheilungen gewinnt es den Anschein, als werde der Reichstag be reits in der kommenden Wintersaison mit der Frage einer finanziellen Förderung der deutsch-ostafrika nischen Eentralbahn beschäftigt. Ob es klug ist, mag dahingestellt bleiben. Die Techniker sind sich jedenfalls noch nicht einig, nach welchem Typ die Bahn zu bauen wäre. Die Kostenvoranschläge für das eine wie für das andere System schweben noch hoch in der Luft. Die politischen Zustände im Lande sind mindestens noch nicht soweit beruhigt, daß die öffentliche Meinung in Deutschland sür größere finanzielle Opfer dieser Art gewonnen werden könnte. Andererseits mag von vornherein vorgebaut werden, daß nicht die radicale Gegnerschaft gegen alle Förderung colonial-wirthschaftlicher Unternehmungen durch Entstellung und Uebertreibung eine unbegründete Voreingenommenheit erzeuge. Auf wie viele Millionen schließlich das Project selbst sich belaufen wird, ist lediglich Sache. der opferwilligen Privatpersonen in Deutsch land, die das Capital investiren. Mag das öffentliche Interesse auch damit sich beschäftigen, ob es zweckmäßig und für unser deutsches Nationalvermögen angängig ist, 80—100 Millionen oder noch mehr dort anzulegen, wo seit Jahrhunderten nur die Karawane den Güteraustausch und den großen Verkehr zwischen indischen Ocean und Nilquellengebiet vermittelte, unsererseits wollen wir dazu anmerken, daß es ein Jammer wäre, wenn Deutschland so viel nicht aufzuwenden in der Lage sein sollte, aber ein noch größerer Jammer, wenn bei einiger Aussicht des Unternehmens die Entschlossen heit dazu fehlen würde. Für die politische Erörterung aber sollen diese großen Ziffern von HauS aus nur bedingte Bedeutung haben. Das Reich kann ja selbstver ständlich nicht um die Beschaffung des CapitalS angegangen werden. Für den deutschen Steuerzahler wird es sich immer nur darum handeln, ob eine Zinsgarantie für das investiere Capital geleistet werden soll oder ein Betriebszuschuß, der auf den Kilometer zu berechnen wäre. In einem wie im anderen Falle bleibt vorweg zu beachten, daß ja diese Bahn nicht von heute auf morgen gebaut sein wird. Sie ist aus eine Länge von 1800 km veranschlagt, von denen aber ?/» un gefähr noch manches Jahrzehnt lang Zukunftsmusik bleiben werden, eS müßte denn sein, daß die Betriebsergebnisse der zunächst ins Auge gefaßten Strecke bis Mrogoro binnen gemessener Zeit die rasche Vollendung des ganzen Unter nehmens für dringlich erwünscht und wirthschaftlich sehr aus sichtsreich erscheinen lassen. Fürs Erste aber handelt es sich lediglich um dieses eine Drittel, dessen Gesammtkosten auf 18 bis 20 Millionen berechnet sind. Hier für dieses erste Drittel hat man es auch mit leidlich sicheren Unterlagen, sowohl des Kostenanschlags, als der Rentabilitätsberechnung, zu thun, denn bis Mrogoro erstreckt sich die absolut sichere Herrschaft der deutschen Macht ins Innere hinein und bis dorthin dehnt sich auch die bereits in An griff genommene Bodenwirthschaft aus. Sofern also der Reichstag für die Förderung des großen, der deutschen Nation würdigen Unternehmens überhaupt in Anspruch ge nommen wird, kann es sich immer nur um diese erste Strecke handeln, und hier darf man den Berechnungen, die den An spruch an die Reichscasse auf höchstens eine halbe Million jährlich ermitteln, ziemlichen Glauben schenken. Unser Colonialetat hat in den letzten Jahren allerdings immer 6 bis 7 Millionen Nettoaufwand erfordert, eine Summe, die im Vergleich zu dem staatlichen Aufwand für Culturaufgaben in der Heimath selbst reichlich hoch erscheint. Wir sind die Letzten, die einem Mangel au Rücksicht auf Ebenmaß in diesen Dingen das Wort reoen möchten. Die Bewilligung einer solchen Summe, wie überhaupt aller ähnlicher ReichsauSgaben, muß zunächst unter jener Rücksicht geprüft werden. Dann aber versteht sich weiter, daß die Forderung erst dann an daS Parlament herantreten darf, wenn ein ausgereifter Plan für das zu fördernde Unternehmen beigegeben werden kann. Aus den Vorträgen, welche Ober-Regierungsrath Bormann neuestens im Kreise von Fachmännern gehalten hat, gewinnt man wohl den Eindruck, daß seine Studienreise nach Ost afrika das Project selbst wesentlich gefördert hat. Vor allen Dingen scheint die Tracirung richtig durchgeführt zu sein. Wenn wir Deutschen schon Geld nach Ostafrika tragen, um die erste Bahn ins Herz des dunklen Welttheils zu bauen, haben wir lediglich daS Interesse an der Linie zum Tanga- nyikasee und fördern schon englische Interessen gerade genug, wenn wir von Tabora aus eine Abzweigung nach dem Victoria-Nyanza mit in Betracht nehmen. Zum Andern ist eS jedenfalls ein gesunder Gedanke, an der Küste die beiden Plätze Bagamoyo und Dar-es-Salaam als Aus gangspunkte der Bahn zu wählen und die Vereinigung der beiden ins Innere führenden Linien etwa hundert Kilo meter landeinwärts stattfinden zu lassen. Auch die Anfor derungen an den Unterbau scheinen durch die Bormann'sche Expedition in sachgemäßer Weise festgestellt zu sein, bas heißt, es ist Klarheit darüber gewonnen, daß der Unter bau mit eigens herbeizuschaffendem Schüttungsmaterial, also herzlich theuer durchgeführt werden muß. Aber dann beginnen die x und z?. Wir möchten auf einen von sachverständiger Seite geschriebenen Artikel in Nr. 218 und 219 der Beilage der „Allgemeinen Zeitung" verweisen, der hinreichenden Einblick gewährt, wie weder die Spurweite der Bahn, noch die Frage des elektrischenßover Dampfbetriebes, geschweige denn die der Betriebsmittel bisher eine befriedigende Lösung gefunden hat. Ehe darüber die betheiligten Kreise selbst mit sich im Reinen sind, möge man aber den Reichs tag nicht mit Forderungen in Anspruch nehmen; denn nichts könnte der an sich sympathischen Unternehmung schädlicher sein, als wenn der Reichstag einen ablehnenden Beschluß fassen müßte, blos weil ihm die Frage noch nicht spruchreif vorgetragen worden wäre. Zur Einweihung -es neuen Handferligkeitsseminars. Heute soll das neue Hau- der deutschen Lehrerbildungs anstalt für Knabenhandarbeit seine feierliche Weihe erhalten Aus Anlaß dieser Feier sei es gestattet, einen flüchtigen Blick rückwärts zu werfen aus die Geschichte des Handarbeitsunterrichts in Leipzig und auf die Entstehung dieses Baues. Aus der Geschichte des Arbeitsunterrichts in Deutschland ist bekannt, daß der deutsche Handarbeitsunterricht, ein Erbe auS der Zeit der phitanthropistischen Schulreform de» vorigen Jahrhunderts, um die Mitte dieses Jahrhunderts nahe am Erlöschen war: fast nur 'n einzelnen Privatrrziehung-anftaUen führte er damals noch rin bescheidenes Dasein. Zwar hatte im Jahre 1852 misrr um öffentliche Angelegenheiten so hoch verdienter Mitbürger Professor Biedermann in seiner anonym erschienenen Schrift „Die Erziehung zur Arbeit, eine Forderung des Lebens an dir Schule" ein kräftige« Wort für ihn gesprochen; aber gerade die ersten Jahre der Reaktion waren allen solchen Bestrebungen merkwürdig abhold, und so blieb seinem warmherzigen Eintreten für die Sache leider der Erfolg ver sagt. Al- daher Professor Ziller, auf den Biedermann'» Schrift nachweisbar stark eingewirkt hatte, nicht lange nach Eröffnung seines pädagogischen Seminars an der hiesigen Universität im Anfänge der sechziger Jahre auch die „technischen Beschäftigungen" mit unter die im Seminar gepflegten Erziehungsmittel aufnahm, durfte dies fast als etwas Neues bezeichnet werden; hatte doch nicht einmal dasjenige pädagogisch« Universitätsseminar, daS dem Ziller'schen sonst das Muster für seine äußern Einrichtungen gewesen war, das Stoysche Seminar in Jena, in seinem Lehrplan« Handarbeiten, mit Ausnahme der Arbeit im Schulgarten, dir aber nur in ganz lockerer Beziehung zum übrigen Unterricht betrieben wurde. Für Ziller dagegen war von vornherein die Handarbeit rin wesentliches Unter richtsfach: er wußte wohl, daß, ganz abgesehen von der bildenden Kraft, die die Handarbeit eben als Arbeit hat, für einen wahrhaft pädagogisch durchdachten theoretischen Unterricht aus ihr sehr werth- volle Anregungen und Anknüpfungen nach den verschiedensten Seiten zu gewinnen sind. Wenn gleichwohl der Betrieb der Handarbeit in seinem Seminar sich nur innerhalb sehr bescheidener Grenzen be- wegte, so lag das theils an den finanziellen Schwierigkeiten, mit denen das Seminar fortdauernd zu kämpfen hatte, theils daran, daß diejenigen Lehrer, die im Seminar die technischen Beschäftigungen zu leiten hatten, die einzelnen Arbeitsübungen vom technischen Gc- sichtspuncte selbst noch zu wenig zu übersehen vermochten: es fehlte ihnen damals diejenige Vorbildung, wie sie jetzt gerade die Leipziger Lehrerbildungsanstalt sür Knabenhandarbeit in so vorzüglicher Weise bietet. Gleichwohl sollte auch diese Anregung, die das Ziller'sche Seminar bot, wie so viele andere nicht umsonst gewesen sein; denn sie sand in einer Leipziger Privatschule, die um jene Zeit entstand, der jetztmalen Barth'schen Privatrealschnle, ihredirecte Fortsetzung und unter der Hand des Lehrers Niederley eine sehr verständige praktische Aus gestaltung, als deren Frucht das bekannte Buch von Barth und Niederley „Die Schulwerkslatt" anzujehen ist. Doch schien die Zeit, wo die Bewegung für den Arbeitsunterricht in Leipzig weitere Kreise ergreifen sollte, noch nicht gekommen: nicht nur, daß die Barth'sche Schule mit ihrer Schulwerkstatt lange Zeit allein blieb, sondern der Druck, den das Militairberechtigungswesen besonders auf die Privat schulen ausübt, hat den Arbeitsunterricht später sogar auch aus dieser Schule vertrieben. Inzwischen hatten aber verschiedene Umstände zu- sammengewirkt, um die Frage an verschiedenen anderen Orten Deutsch lands in Fluß zu bringen; in Folge dessen nahm sich auch in Leipzig die Gemeinnützige Gesellschaft der Sache an, und in ihrem Auftrage verfaßte Or. Götze die Schrift: „Die Ergänzung des Schulunter richts durch praktische Beschäftigungen." 1880. Fast gleichzeitig erschien auch die Schrift v. Schenckendorff's: „Ter praktische Unter richt." Es trat die Leipziger SLülerwerkstatt ins Leben, und in ihr gewann die Anstalt, deren Heim heute eingeweiht werden soll, ihre erste Nährmutter. Schon Ostern 1880 begann die Leipziger Schülerwerkstatt auch die Ausbildung von Lehrern in die Hand zu nehmen. Zuerst fanden die Hebungen, die sie für Lehrer veranstaltete, in der Barth'schen Schule statt, aber schon Pfingsten 1880 erhielt sie vom Rathe die Cantorwodnung der alten Thomasschule sür ihre Zwecke zugewiesen. Freilich war auch da ihres Bleibens nicht lange, sondern sie mußte in dem weitläufigen, alten Gebäude bald hierhin bald dorthin flüchten, )e nachdem auch andere Wohltdätiakeitsveranstaltungcn aus Unterkunft in diesem Asyl für obdachlose gemeinnützige Unter nehmungen Anspruch machten. Nachdem nun der Vorstand der Schülerwerkstatt mehrere Jahre hindurch seine Erfahrungen ge- sammelt hatte, lud er in Len Sommerserien 1884 auch auswärtige Schulmänner zu Handfertigkeitscursen nach Leipzig und ebenso, da der Versuch sich schon im ersten Jahre bewährte, in den beiden folgenden Sommern. Bereits im Jahre 1887 aber gewann der inzwischen gegründete Deutsche Verein sür Knabenhandarbeit den Muth, in Leipzig eine eigene Anstalt für Ausbildung von Hand- sertigkeitslehrern zu eröffnen. Diese Anstalt wuchs in erfreulicher Weise, damit aber auch der Wunsch, sie selbstständig zu machen und in bessern Räumen unter zubringen. Allein die Hoffnungen, die hier und da auftauchten und die Verwirklichung dieses Wunsches näher zu rücken schienen, zer- rannen immer wieder, und so blieb denn nichts weiter übrig, als von Jahr zu Jahr hübsch weiter zu warten und den Muth nicht zu verlieren. Wenn das letztere ober mit der Zeit immer schwieriger wurde, so war es auch nicht zu verwundern; denn es zeigte Der neue Verein. ^Humoristische Skizze von Wilhelm Frerking (Hannover). Nachdruck verboten. Gottlieb Bormann war mit einem Schlage ein reicher Mann geworden. Ueber Nacht war aus dem bescheidenen Gartengrundstücke, auf dem er, treu der Tradition seiner Väter, frühe Kartoffeln gepflanzt und Kohl gedüngt hatte, ein werthvolles Bauterrain geworden, um daS die Speculanten sich rissen. Da hatte er denn sein Erbe für «in kolossales Geld verkauft, war nicht ohne Webmuth aus dem alten, schon etwas bausälligen Gartenhäuschen in eine elegante Etage der inneren Stadt gezogen, und im Wohnungsanzeiger wie auch aus dem Schilde der Vorplatzthür war zu lesen, daß Gottlieb Bormann nunmehr der viel beneideten Zunft der Rentiers angehöre. Wie sollte er seinen beschaulichen Beruf auch sonst kennzeichnen? Gemüsegärtner a. D. oder gar z. D. konnte er sich doch nicht gut nennen. In der Muße seiner sorgenlosen Tage sing er nun an, mancherlei nachzuholen von des Lebens Genüssen und Freuden, die ihm früher aus Mangel an Zeit und Mitteln nur spär lich zugeflossen waren. Er suchte sich an einem Stammtische heimisch zu machen, er verbrachte die Abende in Concerten und Theatervorstellungen, er unternahm Reisen — kurz, er versäumte keine Gelegenheit, die Vergnügen versprach. Aber «S erging ibm dabei sonderbar. Am Stammtische brauchte er nur den Mund aufzuthun, um sich durch eine ganz ernst gemeinte Bemerkung an der Unterhaltung zu bctbeiligen, und sofort entstand erst ein gewaltiges Staunen, das sich alsbald in lautem Gelächter zu lösen pflegte, und verschiedene seiner Aeußerungeu waren von so anhaltender Wirkung, daß man noch Tage lang davon sprach. Und es war doch kein Wunder, daß er von manchen Sachen nicht» wußte und verstand. Wer reichlich dreißig Jahre immer nur dir Augen auf den Boden gerichtet hat, aus dem die nahr haften Kräuter sprießen, der verliert schließlich den Blick für andere Dinge und wird ein Fremdling in den Ereignissen deS bunten Weltgetriebe«. Im Theater war eS ja recht amüsant, solange Possen und lustige Schwänke gegeben wurden. Führte ,hn aber sein Berbängniß in ein Trauerspiel oder gar in die große Oper, so litt er die grenzenloseste Langeweile, nnd beim Besuche von Sinfonie Concerten war eS ihm schon wieder holt passirt, daß ein Nachbar ihn durch sanfte Rippenstöße au» dem freundlichen Reiche der Träume aufgeschreckt '>nte, um sich da» furchtbare Schnarchen zu verbitten. Fremden Städten konnte er wenig Reiz abgewinnen. Häuser, Plätze und Menschen schienen ihm wenig abweichend von denen der Heimath, und außerdem verursachte ihm dir Eisenbahnfahrt immer Kopfschmerzen und gelinde Seekrankheit. So nahm Herr Gottlieb Bormann endlich, um der be ginnenden tödtlichen Langeweile zu entrinnen, seine Zuflucht zu den Vereinen, die eS ja heutzutage in ausreichendem Maße giebt. Bald war er in der glücklichen Lage, mehr Vereinen anzugehören, als die Woche Tage bat, und zwar lauter solchen, die außer der Beitragszahlung keinerlei An sprüche an ihre Mitglieder stellen. Da waren zunächst ver schiedene Wohlthätigkeits-Vereine, ein VerschönerungS-Berein, ein Verein für Fremden-Verkehr und dergleichen mehr. Da konnte man in den Sitzungen ganz bedächtig zuhören, wurde nie um seine Meinung gefragt und batte nur bei gelegent lichen Abstimmungen daraus zu achten, was die meisten übrigen Mitglieder tbaten, ob sie aufstanden oder sitzen blieben, ob sie die Hand in die Höhe hoben oder nicht. Da» war eine leichte und angenehme Sache, die manchen Abend ausfüllte und dem Leben einen Anstrich von Geschäftig keit gab. Mit der Zeit aber fühlte der wackere Gottlieb sich nicht mehr ganz befriedigt von der wenig beachteten Rolle de» einfachen Mitgliedes. Der fortwährende Anblick aller der Präsidenten, Bice-Prasidenten, Secretaire, Cassirer rc., die mit oder ohne Abzeichen ihrer Würde einen förmlichen Glorienschein von Wichtigkeit und Bedeutung um sich ver breiteten, erzeugte in dem Herzen des sonst so bescheidenen und anspruchslosen Mannes allmählich den Wunsch, auch etwas zu gelten, auch zu Amtswürde und Ansehen zu ge langen. Aber wie? — In den bestehenden Vereinen war schwer anzukommrn. Da kannten sie ihn und seine Fähig keiten zu gut, um ihm ein Amt auf die Dauer anzuver trauen: das batte Gottlieb mit Schmerz in seinem Kegel club erlebt. Nachdem er dort kurz vor der Neuwahl de» Vorstandes drei Mal seinen Geburtstag geheuchelt und eine Unmasse Bier auSgegeben hatte, war er glücklich mit einer Stimme Mehrheit zum — Stellvertreter de» zweiten Revisors der JahreSrechnung gewählt worden. Aber schon im folgenden Jahre hatte man ihm diesen ansehnlichen Posten wieder abgenommen. E» war ja alle» Cliquen-, Basen- und Betternschaftl Ganz ander« und viel leichter machte sich daS in einem neuen Verein. Wer einen solchen gründet, der hat damit schon die Präsidentenglocke beim Stiel gefaßt, und au» Pietät gegen den Urheber de« Verein» läßt man einen solchen auch spater nicht wieder auf da» Niveau de- gewöhnlichen VereinS- mitgliede« herabstnken. So war es doch auch dem dicken Lehmann gegangen, dem früheren Schlächter, der die glor reiche Ide« gehabt hatte, einen Verein der „Kneivp'schen Malz-Kasfee-Triuker" in« Leben zu rufen, und mit Schulze, dem Präsidenten de- „Verein« der Schieläugigen", lag die Sache genau so. Mit Anstrengung grübelte Gottlieb Bormann, nachdem ihm diese Erkenntniß aufgegangen war, darüber nach, was in aller Welt man denn noch zum Gegenstände einer Ver- einSthätigkeit machen könnte. Wahrlich, ein Finanzminister, der neue BesteuerungSobjecte ausfindig machen will, hat immerhin noch «ine größere Auswahl al« der Ersinner eine neuen Vereins. Die Welt ist rein vergeben, jede Thätigkeit ist dem Monopole eines Vereins oder Verbände» unterstellt, vom Dreibunde an bis herab auf den Gesangverein der Steinrträger. Wenn Gottlieb mit irgend einem Naturfehler behaftet gewesen wäre, so hätte sich am Ende ein Verein der „Buck ligen" oder der „Klumpfüße" in» Werk setzen lassen. Aber an dergleichen in diesem besonderen Falle sehr bequemen Auszeichnungen fehlte eS ihm gänzlich. Auch konnte er doch unmöglich einen „Club ehemaliger Gemüsegärtner" gründen, da wäre er Wohl daS einzige Mitglied geblieben. In seiner Noth wandle er sich an einen hilfreichen Freund. Der Mann wohnte in seinem Hinterhause, war Advocaten- schreiber und hatte ihm schon in manchen schwierigen Lebens lagen, so z. B. bei der Abfassung von WobnungS-Annoncen, mit seinen geistigen Gaben erfolgreich Hilfe geleistet. Gern versprach der Wackere, seine ganze Kraft für die Realisirung von Gottlieb's Wünschen einzusetzen, und um die Sache gründlich zu behandeln, kam er täglich zu einer eingehenden Berathung, wobei ihm Bier und Cigarren zur Anregung der Denk- und Erfindungskraft in splendidester Weise zu gewendet wurden. Indessen waren bereits drei Wochen ver gangen, ohne daß irgend eine der vielen Ideen de» Schreibers sich als ausführbar erwiesen hätte. Und wieder klopfte er an Gottlieb'» Thür; diesmal war's an einem Sonntag Morgen, und e» war zu erwarten, daß sich dem Getränke und Rauchwerke heute auch ein annehm barer Imbiß zum Frühstück zugesellen werde. Das waren so die Gedanken, die ihn beim Anklopfen bewegten, aber sie wurden sofort bei Seite gedrängt durch den Anblick, der sich ihm beim Oeffnen der Tnür darbok. „Hurrahl Jetzt haben wir'»!" schrie er auf, und beinahe hätte sich Gottlieb ob de» unerwartctcn Geräusches mit dem Rasirmeffer in die Nase geschnitten. „Wa« ist denn lo«?" fragte er bestürzt, indem er sich den Ueberrest von Seifenschaum auS dem Gesicht wischte. „Unser Verein ist erfunden! Ein ganz neuer, ein ungeheuer origineller!" frohlockte der Andere. Es bedurft« mehrerer Gläschen Cognac, um den Erregten einigermaßen rur Ruhe zu bringen. Dann steckten die beiden Verbündeten ihre Köpfe zusammen nnd redeten und hörten, hörten und redeten, bi« die Mittagsstunde schlug. „Also, so machen wir ««", sagte Gottlieb bei dem letzten Händedrucke. „Jawohl, da» wird gemacht", entgegnete der Schreiber, indem er noch schnell drei Cigarren au» des Freunde« offenem Kistchen in die Tasche und eine in den Mund steckte. * * Im Laufe derselben Woche noch erschin im redaktionellen Theile eine« kleinen Klatsch- und Winkelblättchen« die Notiz, daß man beabsichtige, der unbefriedigenden Lage der bi« jetzt ohne Vereinsschutz und ohne Hilfe einer gleichstrebenden Gemeinschaft dastehenden „Selbst-Rasirrr" aufzuhelfen. Herr Gottlieb Bormann sei der edle und gemeinstnnige Mann, der ein erfolgreiche« Zusammengehen zunächst der in der Stadt lebenden sich selbst rasirenden Herren in die Wege leiten und zu diesem Zwecke am kommenden Sonnabend eine Versammlung von Interessenten abbalten wolle. Dasselbe besagte auch eine riesengroße Annonce im Jnscratentbeile der selben Zeitung. Der Sonnabend kam heran, und längst vor der fest gesetzten Stunde erschien Gottlieb in festlichem Gewände, um den für die abzuhaltende Versammlung gemietheten Saal noch einer letzten Revision zu unterziehen. Es war alles in Richtigkeit. Die Tische standen in wohltbuender Ord nung, wohlverseben mit Streichholzständern und Asche- scbalen, und die Stühle harrten geduldig der Schaar von „Selist-Rasirern", die sich heute Abend hier nieder lassen sollte. Aber die Zeit verging und außer Gottlieb, dem Schreiber und einem Flickschuster, den man durch die Aus sicht auf eine gute Kundschaft und Freibier gewonnen hatte, erschien kein Mensch. Die drei tranken, so schnell und so viel sie nur konnten, um Wirth und Kellner nur einigermaßen bei guter Laune zu erhalten, und endlich gegen 11 Uhr, als man auf weiteren Zuzug doch nicht mehr rechnen konnte, eröffnte Gottlieb nach mächtigem Glockengeläute die Versammlung. Der intelligente Schreiber setzte dann in längerer Rede den Zweck der Zusammenkunft auseinander, der Schuster erklärte sich damit einverstanden, und endlich wurde der „Verein deutscher Selbst-Rasirrr" feierlich gegründet. Stimmt liehe Anwesende erklärten einstimmig und durch Namens unterschrift ihren Beitritt, und die Wahl de» Vorstandes ergab Herrn Gottlieb Bormann als Präsidenten, den Schreiber als Schriftführer und Schatzmeister und den Schuster als Beisitzer. Acht Tage später hatte der findige Schriftführer schon die Statuten anSgearbeitet, die al« Zweck de» Vereins den Aus tausch der Erfahrungen, die gemeinschaftliche Beschaffung von Werkzeug und Materialien, sowie einen geselligen Verkehr der Mitglieder anfübrten. Weiterhin wurde die Gründung aleichstrebender Vereine auch in anderen Städten und deren Zusammenschluß zu einem großen deutschen Verbände ins Auge gefaßt .... Seitdem ist Gottlieb Bormann Präsident, und wenn auch sein Verein immer noch nicht über die ersten drei Mitglieder hinauSgewachsen ist, so betrachtet der Glückliche doch mit Stolz sein Präsidenten-Abzeicheu, einen niedlichen, silbernen Rasir-Pinsel. Wenn er ihn bei festlichen Gelegenheiten in da- Knopfloch gesteckt hat, so kann er Viertelstunden lang vor dem Spiegel verweilen und ihn immerfort anschauen den Pinsel.
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