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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960928027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896092802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896092802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-28
- Monat1896-09
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Dadurch, daß der Bericht nur die Alternative: künstliche Preissteigerung oder Wirkungslosig keit des Verbots des Getreideterminhandels gelten läßt, verschiebt er die Grundlage für die Beurtbeilung der Frage und zwar lediglich zu dem Zweck, eine Jnvective gegen die oationalliberale Partei anzubringen. DaS Opfer deS Jntellects, von welchem der Bericht mit Bezugnahme auf die Nationalliberalen spricht» dürfte aber lediglich auf Seiten Derer zu suchen sein, welche die Spiegelfechterei der social demokratischen Reichstagssraction für baare Münze nehmen. Ein internationaler Eongreh gegen die Freimaurerei ist, wie gemeldet, am Sonnabend in Trient zusammen getreten, um dort bis zum Ende des Monats zu tagen. Tbatsächlich handelt es sich wie im „Hann. Cour." aus einandergesetzt wird, bei diesem „nenen Kreuzzug", diesem „großen Ereigniß am Ende des l9. Jahrhunderts" nicht dlos um eine Kundgebung gegen die Freimaurer. Schon die Wahl des Ortes für die Versammlung, dann die kirchlichen Anschauungen und Stellungen der Urheber und Förderer des Unternehmens, endlich der ganze Charakter der Angriffe auf die Freimaurerei zeigen greifbar deutlich, daß unter dem Vorwande deS Kampfes wider die Freimaurerei Bestrebungen verfolgt werden,die einesehrzroße politische Bedeutunghaben. In Trient war eS, wo vor viertehalbbundert Jahren eine allgemeine Kirchenvcrsammlung tagte, deren Aufgabe es sein sollte, die durch die deutsche Reformation in die Erscheinung getretenen kirchlichen Gegensätze zu versöhnen. Von einer solchen Versöhnung wollte aber das nach Weltherrschaft strebende römische Papstthum, sofern sie nicht gleichbedeutend war mit völliger Unterwerfung des Protestantismus unter daS Papsttbum, durchaus nichts wissen, und in dem eben entstandenen Jesuiten orden fand eS ein vortreffliches Werkzeug, die Beschlüsse des Tridentiner Concil- im Sinne des päpstlichen Herrschafts gedanken- zu beeinflussen und sich aus dem tiefen Verfalle zu retten, in de» es durch den siegreichen Fortschritt des deutschen ReformationSgedankenS geratben war. Mil dem bezeichnenden Rufe: „Verflucht seien alle Ketzer!" wurde am 4. December 1563 daS erste Tridentiner Concil geschlossen. Die „ver fluchten" Ketzer aber sind die Anhänger der für Gewissens freiheit und Duldung gegen priesterliche Herrschsucht und Un duldsamkeit kämpfenden deutschen Reformation. Noch heute sind die Beschlüsse des Tridentiner Concils und die darin aus geprägten Anschauungen maßgebend in der römischen Papst kirche. Wenn also Trient zum Versammlungsorte für einen internationalen Congreß gewählt wird, der ein „mannhafte- Bekenntniß deS katholischen Glaubens" sein soll, so kann man von vornherein überzeugt sein, daß dieser Congreß von dem selben Geiste getragen sein wird, der die Beschlüsse deS Triden tiner Concils eingegeben hat. Und in dieser Ueberzeugung wird man bestärkt durch die Namen derer, die als Urheber, Förderer und Theilnehmer am zweiten Tridentiner Concile genannt werden. ES sind durchweg eifrige Ultramontane, Jesuiten und Jesuitengenoffen, die in der Herstellung einer unumschränkten päpstlichen Weltherrschaft da- einzige Heil der Menschheit sehen. Daß e- sich beim Kampfe gegen die Freimaurerei für dessen jesuitische Urheber nur um die Stärkung der Macht deS Papstthum- handelt, beweisen ganz un widerleglich die katholischen Schriften wider die Freimaurer. Den Jrrtbum, gegen den man in Trient zu Felde ziehen will, hat da- römische Jesuitenorgan, die „CiviltL catlolica", ein mal mit folgenden Worten gekennzeichnet: „Es wird verdammt die gauze jetzige Weltanschauung von den Rechten deS Gewissen- und des religiösen Glaubens und Bekennt nisse-. Es ist eine arge Verirrung, Potestanten zu gleichen politiichen Rechten mit den Katholiken zuzulassen oder protestantischen Ein wanderern die sreie Ausübung des Gottesdienste- zu gestatten." Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. September. Dem Rechenschaftsberichte der socialdemokratischen Partei leitung ist der Bericht Per socialdemokratischcu RcichS- tag-frartton über ihre parlamentarische Thäligkeit gefolgt. Er ist trotz seiner Länge außerordentlich mager; besonders über dir Stellung der Fraction ru einigen der wichtigsten Vorlagen wird rasch und flüchtig hinweggegangen und um so breiter die Stellungnahme zu anderen Fragen erörtert, um den Anschein der Gründlichkeit zu wahren. Den weitaus größeren Theil machen langatbmige, allgemeine Auseinander setzungen über VaS Verein-- und Versammlung-recht und über die sogenannte Bäckerei-Verordnung aus. Die letzten Reden des Freih. v. Berlepsch zu dieser Verordnung haben den „Genossen" so sehr gefallen, daß sie lange Stellen aus denselben in dem Bericht zum Abdruck bringen. Die Aufgabe, die ablehnende Stellungnahme der socialdemokratischen Fraction znmBürger» lichen Gesetzbuch und zum Börsengesetz zu vertreten, bat sich der Bericht dagegen sehr leicht gemacht. Der aus da- Bürgerliche Gesetzbuch bezügliche PassuS läßt deutlich genug die Verlegenheit erkennen, welche den Verfassern des Berichts die negirende Haltung der Fraction bereitet. Sie müssen anerkennen, daß bas neue Gesetzbuch nicht nur einen „großen politischen Fortschritt" im Allgemeinen darstellt, sondern auch für die Arbeiter werthvolle Verbesse ¬ rungen auf mannigfaltigen Gebieten enthält. In Ver bindung mit dem Zugeständniß, daß das Gesetzbuch „direkt gegen die Arbeiterklasse gerichtete neue Bestimmungen" nicht aufweist, bildet diese Charakteristik des großen gesetz geberischen Werkes einen schroffen Widerspruch zu der von den socialdemokratischen Rednern im Reichstag ausgestellten Behauptung, der Inhalt deS Gesetzbuchs repräsentire eine gegen die Arbeiter gerichtete Clafsengesetzgebung. Die Moti- virung der schließlichen Ablehnung deS Gesetzbuchs von Seiten der focialdemokratischen ReichStagSsractivn wird in dem Bericht mit einem Hinweis auf das Ein» führung-gesetz versucht, welches wesentliche Bestimmungen deS Gesetzbuch- durchbrochen und wieder aufgehoben habe. Der Bericht bemüht sich, die Ausnahmen einzeln aufzuzählen, welche zu Gunsten der Landesgesetze im Ein- '" einzige, welche die Arbeiter Gesinderecht, und hier muß der Berickt anerkennen? ES dürfte der Fraction ihre Stellungnahme aus diesem einen Gesichtspunkt heraus zu rechtfertigen, nicht davon überzeugt halten könnte, Parteitage mit Leuten zu thun zu im Allgemeinen ein scharfe- Urtheil in DaS Gleiche gilt für Bericht hinsichtlich der Stellung der socialdemokratischen Fraction zum Börsen gesetz unternimmt. Hier wird das Verbot des Gctreidetermin- handels, einer „unentbehrlichen Form deS modernen Groß handels", als Grund für die Ablehnung deS Gesetzes durch die socialdemokratische Fraction angegeben. Es ist um so interessanter, die Socialdemokratie bei dieser Gelegenheit als eine Schützen« des „modernen Großhandel-" auftreten zu sehen, als wenige Zeilen vorher der „CapitalismuS", der mit diesem Großhandel zweifellos eng verknüpft ist und seine Basis bildet, wieder einmal als das „Grundübel" der heutigen Verhältnisse, ohne dessen Beseitigung keine besseren Zeiten geschaffen werden können, bingestellt wird. Der Bericht behauptet, im Interesse der Arbeiter erscheine eS für dir Socialdemokratie verboten, eine „künstliche PreiShaufse" in Getreide zu unterstützen. Wenn man auf socialdemokra- tisckerSeiteHerrn v. Berlepsch auch indiesemFallealSGewährs mann gelten läßt, so handelt eS sich aber nur um die Auf hebung eines „künstlichen" Preisdrucks bei der heutigen Ge sührungSgesetze gemacht sind, berührt, betrifft das Gesinde gleichzeitig eine Verbesserung im Vergleich zu dem be> stehenden Recht anerkennen. schwer fallen, untergeordneten wenn sie sich es auf dem haben, denen solchen Dingen nicht zuzutrauen ist. den Rechtfertigungsversuch, den der Für den JesuitiSmuS können die großen Lehren der Refor mationnatürlich keine Geltunghaben, dieLehren, daß kcinemensch- liche Gewalt das Recht hat, sich bevormundend zwischen Gott und unser Gewissen einzudrängen, daß in der Wahrheit allein das Heil ist, daß die Wahrheit nur auf dem Wege freier lieber» reugungsbildung ergriffen werden kann, daß endlick alle bürgerliche und gesellschaftliche Freiheit ohne Werth und Halt ist, wenn sie nicht ruht auf der inneren sittlichen Freiheit der allein in ihrem Gotte gebundenen geistig selbstständigen Per sönlichkeit. Für diese Lehren und Anschauungen tritt unseres Wissens auch die wahre Freimaurerei ein. Und daraus er klärt es sich wohl auch, warum der jesuitische Ultramontanis- mus auf die Freimaurerei losschlägt, um den Protestantismus zu treffen. Dann sind aber die jesuitischen Angriffe gegen die Freimaurerei zugleich auch ein untrüglicher Beweis dafür, daß in aller echten und wahren Freimaurerei eine starke cultursördernde sittliche Kraft liegen muß, deren stilles Wirken den kulturfeindlichen und unsittlichen Bestrebungen der Dunkel männer erfolgreich entgegenarbeitet. Wie man der „Pol. Corr." aus Konstantinopel berichtet, hatte der deutsche Botschafter bei der Pforte Baron Saurma-Jeltsch während seiner jüngsten Audienz beim Sultan am 18. ds. MtS. Gelegenheit, seine Meinung über die letzten Unruhen in der türkischen Hauptstadt abzugeben Der Botschafter habe mit großer Offenheit sein Be dauern besonders darüber ausgesprochen,daß der Befehl zur Beendigung der Metzelei erst achtund vierzig Stunden nach Beginn derselben ertheilt worben sei. Diese rückbaltslose Meinungsäußerung des deutschen Botschafters hat im Aildiz-Kiosk einen tiefen Eindruck hervorgerufen, was um so begreiflicher ist, als der Sultan und die türkische Regierung wegen der durchaus objektiven und reservirten Haltung Deutschlands in der Orientfrage von diesem als dem „uneigennützigsten und aufrichtigsten Freund der Türkei" unter den europäischen Mächten anscheinend eine weitgehende Nachsicht erwartet hatten. In der Thal besteht kein Zweifel darüber, daß man an leitender deutscher Stelle von wohlwollender Gesinnung gegen die Türkei beseelt und bereit ist, alle« aufzubieten, um die Türkei in ihrem jetzigen Bestände unter ihrem gegenwärtigen Herrscher zu erhalten. DaS schließt aber durchaus nickt au«, ja fordert geradezu eine offene Aussprache über Versäumnisse der tür kischen Regierung, die geeignet sind, dieselbe noch mehr zu discreditiren und die Lage des osmanischen Reiches noch precairer zu gestalten. Vielleicht hat der energischen Aus sprache des deutschen Botschafters auch die Absicht zu Grunde gelegen, etwaigen türkischen Hoffnungen auf eine Elimini- rung Deutschlands aus dem Concert der Mächte den Boden zu entziehen. Man weiß ja, daß der Sultan noch immer an der Tradition der osmanischen Politik, Un einigkeit unter den Mächten zu säen und die eine gegen die andere auszuspielen, als an dem sichersten Mittel zur Con- servirung der Türkei festhält. Aus den Aeußerungen Saurina Jeltsch'S wird er ersehen haben, daß bei Deutschland dieses Recept versagt, daß es fest entschlossen ist, mit den übrigen Großmächten, namentlich mit Rußland, Frankreich unv Oesterreich nach wie vor zusammenzugehen. An der Einigkeit der genannten Mächte wird man am Goldnen Horn nunmehr um so weniger zweifeln, als man als selbstverständlich an nehmen muß, daß der deutsche Botschafter jenen ernsten Vor halt nicht gemacht haben wird, ohne sich zuvor des Einver ständnisses der Vertreter der ebengedackten Mächte zu vergewissern. Man bat es als beachtenswert!) bezeichnet, daß in Aeußerungen russischer Blätter neuesten Datum- ein freundlicheres Ton England gegenüber angeschlagen und zu verstehen gegeben wird, daß Rußland keine Ursache habe, die dargebotene Hand Englands abzuweisen. Aus diesen Aeußerungen auf einen plötzlich eingetretenen russischen Stimmungswechsel zu schließen, wäre gewagt; richtiger dürfte wohl sein, die freundlicheren Aeußerungen der Rücksichtnahme zuzuschreiben, die eben darauf genommen wird, daß der Zar gegenwärtig bei dem englischen Hofe zu Gaste ist. Dafür, daß die Anwesenheit des Zaren in Balmoral zu politischen Auseinandersetzungen benutzt werde, liegt bisher kein An zeichen vor, und bisher ist auch über den Aufenthalt des Zaren in Balmoral und seinen dortigen Verkehr keine Nach richt eingetroffen, die ein solches Anzeichen enthielt und über Aeußerlichkeiten hinausginge. Dagegen deutet mancherlei darauf hin, daß von der englischen Negierung Versuche gemacht werden, um sich den Weg zum Wiedereintritt in das europäische Concert überhaupt zu bahnen, wobei anzunehmen ist, daß, wenn ibn England findet, ihm von den Mächten — in deren Wunsch ein Zusammenwirken sämmt- licher Staaten betreffend die orientalischen Dinge ja stets ge legen war — keine Schwierigkeiten bereitet werden würden. Seit der glücklichen Einnahme von Dongola scheint man jenseits des Canals der Meinung zu sein, daß einer dauernden häuslichen Niederlassung Englands in Egypten nichts mehr im Wege stehe. Diese Annahme scheint aber etwas voreilig zu sein. In Berlin rechnet man augen scheinlich darauf, daß Frankreich sich regen werde; in eurer zweifellos inspirirten Berliner Zuschrift der Münchener „Allgem. Ztg." wird sogar den Diplomaten an der Seine der folgende Wink ertheilt: „Man scheint in London zu glauben, daß Frankreich durch den Empfang des Zaren und die vagen, an diesen Besuch sich an knüpfenden, nach der Osigrenze gerichteten Hoffnungen so voll in An spruch genommen sei, daß es den Orient ganz vergißt; solche Wünsche werden kaum in Erfüllung gehen. Die nächsten Tage werden wohl er kennen lassen, daß Frankreich nicht daran denkt, England ruhig in Egypten die Alleinherrschaft zu gönnen. Di^französisch-russlschen Beziehungen sind keineswegs allein oder in erster Reihe für die deutsche Politik beachtenswerth, welche sich mit Recht durch sie nicht für bedroht hält; die viel besprochene Freundschaft der Republik und des Zaren wird man auch an der Themse nicht außer Acht lassen können. Freilich läßt sich zur Zeit kaum sogen, ob und wie weit Rußland geneigt sein möchte, etwaige französische Schritte, die ja wohl eine Wiederherstellung de« englisch.französischen Condominats in- Auge fassen würden, zu unterstützen. Für uns Deutsche ist es an und für fick gleichgiltig, wer in Egypten herrscht. Die deutsche Politik hat in dieser Frage schon lange Jahre eine consequente Halt«"<; eingenommen Unsere Interessen verlangen, daß am Nil eine feueHand Ordnung hält, eine leibliche Finanzwirthschaft ausrechkerhalten wird und die Interessen der ausländischen Gläubiger gewahrt werden, unter denen sich be kanntlich viele Deutsche vefinden. Es wäre unrecht, zu verkennen, daß England diesen Aufgaben, welche für uns im Vordergründe Les Interesses stehen, bisher sich gewachsen gezeigt hat; für das deutsche Reich liegt deshalb auch kein Anlaß vor, einen Rückzug Englands aus dem Nillande zu wünschen. Andererseits wird eine Aenderung der Dinge in Egypten, unter der Voraussetzung immer, daß die oben gekennzeichneten deutschen Interessen gewahrt bleiben, für uns nichts Bedenkliches haben. Will sich England demnächst mit Frank reich in die Herrschaft am Nil theilen, so können wir auch damit zufrieden jein." In Frankreich wird man, wenn dort überhaupt das Ge fühl der Dankbarkeit für deutsches Wohlwollen aufkommsn kann, ebenso dankbar für diese Aufforderung, sich mit Eng land in die Herrschaft am Nil zu tdeilen, sein, wie man in England ergrimmt sein wird. Dieser Grimm kann Deutsch land aber nicht davon abbalten, auf eine solche Lösung der egyptischen Frage hinzuwirken, die mit der Alleinherrschaft Englands am Nil zugleich die Gefahr englischer Uebergriffe und Zettelungeu in unseren afrikanischen Jnteressengebleten ausschließt. Daß mit der Einnahme Ren-Dongolas durch das englisch- egyptiscbe Expeditionskorps die Hauptschwierigkeiten des eng lischen Sudanzuges überwunden seien, ist kaum anzunehmen. Es fragt sich, ift der stetige Rückzug der Derwische und die Preisgabe weiter Landstrecken durch den Mahdi auf einen be stimmten Plan zurückzusühren, oder ist die innere Schwäche I deS MahdismuS so groß, daß er an einen ernstlichen Wider- FsrriHeton. Die Tochter -es Geigers. 17j Roman von A. Brüning. Nachdruck «rrbotm. Auf dem süßen, von innerer Bewegung blaffen Antlitz lag eine ernste, bräutliche Hoheit; jener Hauch echt schüch terner Weiblichkeit, der der lieblichste Schmuck einer Braut ist, verklärte Lia'S Erscheinung zu poesievollster Schönheit, so mochte eines Dichter- Pantasie sich eine junge, zum Altäre schreitende Braut vorstellen! Hinter ihr, ibren blinden Vater sorglich führend, schritt der junge Oberförster in seiner kleidsamen grünen Tracht, daS männliche Antlitz durchleuchtet von innerem Glück und strahlenden Auges auf die holde Gestalt vor ihm blickend, die er nun bald sein eigen nennen sollte; ihm folgte da- Forstpersonal, zu dem indetz jener blonde schmachtende Jüng ling von ehedem nicht mehr gehörte. Um da- Brautpaar, da« von den Anwesenden mit freudigem Zuruf begrüßt wurde, gruppirte sich die weiße Mädchenschaar. Wie war e« so schön ringsum im tiefen Forst! JaSmin und Fliederdüfte durchzogen die köstlich reine Luft, die mit leisem Windhauch durch die tauschimmernden Zweige strich und zuweilen wie neugierig den Schleier von, Antlitz der jungen Braut hob, zu der die hoben Bäume — ihre lieben ernsten Freund« — leise flüsternd ihr« Grüße niederrauschten. Es war, als ob der Wald sich seinem bräutlich geschmückten Kinde im schönsten Feierkleid« zeigen wollte, und Lia Rose vermeinte, auS all dem Klingen und Rausche» da« sie um gab, den Muttersegen zu vernehmen; dankbar lächelte sie zum blauen Himmel hinauf. Ihre Hände falteten sich fromm um daS kostbare, ganz auS blühenden Myrten und Orangeblüthen gebundene Braut bouquet, da- sie trug; — eS war mit einem warmen Gruße für sie auS der Residenz gekommen. Sie vermochte ohne Bitterkeit der Vergangenheit zu gedenken: Gott hatte Alles auf da-Beste gefügt, unv ihm dankte sie jetzt auS der Tiefe ihrer Seele. Der Brautzug hatte da- Kirchlein erreicht, da- kaum die Schaaren der Andächtigen zu fassen vermochte. Zwischen den dicht gefüllten Bänken hindurch schritten die Verlobten zum kerzenschimmerndrn Altar, an dessen Stufen der alte Pfarrer sie empfing. Auf seinem milden Antlitz lag freudige Rührung, als er auf die liebliche Braut blickte, deren Hand er zum ewigen Bunde in die eine- edlen Mannes legen durfte. Ernst und feierlich ging die heilige Handlung vorüber. Scklicht und einfach, aber dennoch ergreifend klangen die Worte de- Geistlichen, der seiner Rede die Worte der Schrift zu Grunde gelegt batte: „Die Liebe hört nimmer auf." Durch die Herzen der Verlobten bebten andachtsvolle Schauer, und al- sie endlich die Ringe wechselten und der Pfarrer ihre Hände in einanderfügte, da klang von Beider Lippen fest da« bindende „Ja". Der TrauungSact war zu Ende. Die Neuvermählten empfingen die zärtlichen Glückwünsche der Ihrigen und schritten, jetzt Hand in Hand, von den Klängen eine- Liede-, da-, von frommen Kinderstimmen gesungen, wie Engelsklang erklang, begleitet, auS der Kircke und dann wieder zurück durch den Wald, dem Forsthause, ihrer trauten Heimath, zu. Als der festlich schöne Tag sich zu Ende neigte, und der Mond mit seinem sanften Silberschein über den Wald wipfeln heraufstieg, standen Walter und Lia Rose draußen unter der blühenden Linde. Giulio Goldini, der fortan bei seinen Kindern bleiben sollte, hatte sich von ihnen zur Ruh« geleiten lassen. Er schlief aber noch nicht, auf seinem Zimmer entlockte er seiner Geige süße zauberhafte Klänge, denen die Neuvermählten mit stillem Entzücken schweigend lauschten. Immer schmelzender, ergreifender wurde die Musik, — ein berauschende« Brautlied, tönt« sie in die schweigende, mondhelle Sommernacht hinaus; da zog Walter sein ge liebte- Weib an sich und küßte «S leise. „Mein süße- Weib, darf ich hoffen, daß Du glücklich sei» wirst?" fragte er mit bebender Stimme. Da hoben sich Lia Rose'S dunkle Wimpern, und sie sah ihn an mit einem vollen, überzeugenden Blick. „Ich werde e- sein, Walter! Ich bin eS", setzte sie flüsternd hinzu, „in Deiner Liebe". XXII. Ich konnte jetzt füglich Abschied nehmen von den Helden meiner Erzählung, — die Dissonanzen ibres Lebens sind ge löst, und ihre Schicksale haben einen glücklichen Abschluß ge funden. Es wird mir aber dennoch schwer, sie zu verlassen, ohne wenigsten- kurz geschildert zu haben, wie fick ibr Dasein nach demselben gestaltet. Ick möchte die aufgelösten Disso nanzen für den freundlichen Leser, der mir bisher gefolgt, in einem melodischen Accord ausklingen kaffen und gebe mich der Hoffnung hin, daß derselbe die Gestalten, die meine Feder ihm vorgeführt, lieb genug gewonnen hat, um gern mit mir noch einen letzten Blick auf ihr fernere- Leben zu werfen. * * >» Neber der freundlichen Residenzstadt S. spannt sich der klarblaue Himmel der ersten Früylingsmonate. Das herr liche Blumenparterre deS fürstlichen Schlosses mit den darangrenzenden, ausgedehnten Parkanlagen strahlt bereits im vollen LenzeSschmucke und gewährt durch die überaus liebliche Aussicht, die eS darbietet, ver Hinterfront des in edlem Stile errichteten Gebäudes einen besonderen Reiz. Die Fenster eine- runden ThurmzimmerS — des Wohn- gemacheS der jungen Fürstin — sind weit geöffnet, um den köstlichen, von unten aufsteigenden Dusthauch eindringen zu lassen, und die zugleich mit demselben hereinflirßenden Sonnen strahlen schienen mit besonderem Wohlgefallen auf der fesseln den Gruppe im Innern zu verweilen, die sie beleuchten. Vor einem lebensgroßen Bilde, da- die Mitte einer der mit perlgrauer Seide bezogenen Wände einnimmt, und daS ein unter einer mächtigen Rothbuche sitzende- Mädchen in weißem Gewände darstellt, da- eine Fülle zartrosa Rosen im Schooße hält, steht eine jugendlich schlanke Frauengestalt, von den weichen Falten eine« weißen Cachemir-Morgen kleide- anmuthig umfloffen. Sie ift beschäftigt mit den Blumen, die der aus einem Schemel ibr zu Füßen sitzende Knabe ihr darreicht, den Rahmen de« Bilde- zu schmücken. I« dem aschblonden Haar der jungen Frau, das sich reich geflochten um ihren edelgeformten Kopf schlingt, hängt lose «in Strauß frischgepflücktrr Veilchen, und auf den feinen, blaffen Zügen ihres Gesichts liegt ein verschönendes Lächeln während sie auf das Gemälde vor ihr blickt. Wir kennen die Scene, die dasselbe darstellt; Fürst Edgar hat sie für seine junge Gemahlin auf deren schüchterne Bitte aus der Erinnerung gemalt; und sie bat das Bild voll selbstloser Liebe in einem ihrer Zimmer aushäiigen lassen, damit den edlen Gatten, wenn er eS beträte, etwas Liebes grüße. Fürstin Therese ist ihrem Gemahl in Wahrheit DaS ge worden, waS sie ibm zu sein versprochen hatte: die treueste Freundin und Gefährtin. Sie hat, weil sie sein Herz von dem Bilde einer Anderen erfüllt wußte, ihm nicht das ihre verschlossen, sie ist nicht kalt und gleichgültig neben ihm hingegangen, nein sanft und hingebend ist sie unablässig bemübt, ibn Das, WaS nicht sein eigen werden konnte, durch die reichste Liebe zu ersetzen. Sie weiß eS, daß seine Natur der Anregung, der Mit theilung bedarf, und darum läßt sie ihn nickt darben an Liebe und Tbeilnabme: ohne Stolz erschließt sie ihm auch ungefordert die reichen Schätze ihre« Innern. Was die Residenz an Geist und Talent zu bieten bat, da» weiß die junge, feinsinnige Fürstin an sich zu fesselu, und sie ist nicht glücklicher, al« wenn e- ibr gelingt, ihren Gemahl in den auserlesenen Krei- zu ziehen der sich zu weilen Abends in ihrem Salon zu versammeln pflegt. Aber auch wenn sie allein ist, und der Fürst nach den Sorgen und Mühen deS Tages zu ihr kommt, um bei ihr sich auSzuruben, weiß sie ihm reiche Anregung zu bieten, bald durch Antbeilnabme an seinen Sorgen, bald durch Musik und Lectüre. Von ihrer melodischen Stimme vorgelesen, klingt jedes Buch noch einmal so angenehm, und ibr warmes Interesse für seine Kunst hat den Fürsten Edgar bewogen, sich derselben nach und nach wieder ausübend zuruwenden, sei eS auch nur, um ihr feine-, verständnißvolle- Urtheil zu hören. So sind sich die beiden Gatten näher und näher getreten, besonder« seit die Geburt de« jetzt zweijährigen Waldemar — so war er aus Wunsch der Fürstin genannt zur Er innerung an den Wald, in dem sein Vater einst so glücklich gewesen — «in noch festere» Band um sie geschlungen hat.
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