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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960930025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896093002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896093002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-30
- Monat1896-09
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Abend-Ausgabe. . > »W« II MchMWWWM» ' I ichßPchWSG UklpzigerTllgMM Anzeiger. Ämlsßlatt des ÄönigNchen L«nd- «nd Amtsgerichtes Leipzig, ».««m-«-8V5r des Nattzes «nd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. > - - - "... ..... .... .. «^0 ^99. M^Lttwoeh den 30. September 1896. «»zrigen-Preiß hie Ogeip«it»e WtitgeUe De Pis «»tttz «n-g-de vmmittM Ist Uhr. Morge n-An-ßabe:-tachmittag- 4UhL OB h« Filtalen «d Ami-bmestAl« j» «t» hall« Stunde fr-her. O>»Pe« fk» -M « Oe Gtztzeßttiao r» ««»««. PrMk »nb Vnckaa von E. V»tz k Sekp^a AH. Jahrgang. Politische Tage-fchaa. * Leipzig, ZV. September. Eine stherau- interessante Nachricht liegt von der Berliner Produktenbörse vor. Der hSrsenmilhigr Terminhantzel in Geireipe m»A Mützlenfabrikatr» muß bekanntlich mit Ablauf diese* Jahre- anfhören. Der Getreideterminhandel wird aber, wenn die interessante Nachricht sich bestätigt, auch in Berlin foridauern. Interessenten der GetrerdebSrft Klitten, so meldet die „Boss. Ztg.", über einen Sch laßsch ei n sich geeinigt, der es auch Nach dem Verbot deS börsenmäßigen Termingeschäft- ermöglichen werde, ein Termingeschätt in Getreide weiterhin zu betreiben. Mit vollem Recht schreibt hierzu die ,,Nat.-Lib. Corr": „Man traut seinen Augen kaum. Al- dre nationalliberale Rtick-tag-fraction im Frübjabr d. I. sich entschloß, eiustinwrig da- Verbot de- börsenmäßigen Termin- auszusprechen, Mar deS GezeterS kein Ende. Umsonst, daß man damal» täglich womöglich zweimal be tonte, welcher bedeutende Unterschied zwischen Terminhandel und börsenmäßigem Terminhandel sei, daß nur der letztere unterdrückt werde, während ersterer nicht nur fortbestehen könne, sondern durch die Unterdrückung deS börsenmäßigen Terminhandel- die nothwendigen und nützlichen Functionen deS Zwischenhandel- erst recht auSzuüben im Stande sein werde. Umsonst, daß man immer wieder darauf hinwie-, wie ja eigentlich nur da- Differenzspiel an der Berliner Productenbörfe unterdrückt werde, wahrend alle» Lieferungs geschäft auf Zeit an den großen Producienmärkten von Königs berg bi- Mannheim nicht im Geringsten betroffen werbe. Damals raste der See nnd wollte sein Opfer haben: Die nationaliiberale Partei hatte ein unentbehrliches Institut des Welthandels brutal zerstört, lediglich um der schönen Augen de- Herrn v. Ploetz willen und um nicht „einige Mandate" opfern zu müssen; sie war unter da« Joch oe- Bunde- der Landwirth« gegangen und wie die verhetzenden Redensarten alle lauteten. Wir hätten nicht gedacht, daß die Interessenten der Berliner Produktenbörse uns vor dem Delegirtentag ne« Gefallen thun würden, sich selbst derart in». Unrecht zu setzen und den Entschluß der nationalliberalen ReichStagSfraction derart rn rechtfertigen, wie sie es nun gethan haben. Absichtlich stellen wir voraus: sich selbst derart ins Unrecht zu setzen. Denn wie lagen denn die Verhältnisse im vorigen Winter? Da sei doch nochmal- daran erinnert, daß namentlich die nationalliberale ReichStagSfraction und derjenige Theil des Centrums, von dem wieder der Ausschlag gegeben wurde, nicht von vornherein den börsenmäßigen Terminbandel ganz unter drücken wollten. Dir neunmal vermaledeiten CommissionS- mitglieder Placke und Genossen waren es vielmehr, welche damals den Antrag stellten, den börsenmäßigen Termin handel in Getreide zwar bestehen zu lassen, aber nur ans Grund eine- Schlußscheines, der die Herkunft, daS Erntejahr und die LieferungSqnalität der gehandelten Waare bezeichnen sollte. Also selbst ein Differenz geschäft wäre dann noch möglich gewesen, nur hatte eS nicht schlechthin auf Weizen oder Roggen lauten dürfen, sondern es mußte, sagen wir: auf 1895er argentiniscden Weizen mittlerer Qualität oder auf südrussischen Roggen von dem und dem Gewicht rc. lauten. Diesen Vorschlag aber lehnte man in allen betheiligten Börsenkreisen mit dem Be merken ab, er sei gleichwertdig mit der vollständigen Unter drückung des börsenmäßigen Termingeschäfts. Ja, auch die Regierungsvertreter in der Commission schienen diese Auf fassung der Börsenkreise vertreten zu sollen. Dadurch erst wurde für die nationalliberale Fraktion nnd für den aus ¬ schlaggebenden Theil de- Centrum» die Zwang-lage ge schaffen, zwischen dem Verbot und dem unverbrssedtrn Zustande der Dinge, also der Fortdauer eine- frag würdigen BörsenspielS, ru entscheiden. Da- Verbot wurde au-gesprochen, also da» börsemnaßig« Zeitgeschäft auf Grund lage lediglich einer weitherzig gefaßte« LieserungSgualität per Ultimo ganz beseitigt. Nachdem an Stelle der gemäßigteren Lösung die radikale erfolgt ist, standen nun die Interessenten der Productenbörfe ihrerseits vor der Wahl, da- Ge- treideschäft ganz aufzugebe«, oder unter denselben Voraussetzungen weiter zu betreiben, wie Danzig, Stettin, Mannheim u. s. w. Und siebe da, eS gehl auch so; die Produktenbörse einigt sich über einen Schluß ¬ schein, der nach aller Wahrscheinlichkeit genau denselben An forderungen entspricht, die in dem ersten Antrag Placke und Genossen an den börsenmäßigen Terminhandel gestellt werden sollten. Damals Härten die Berliner Interessenten vor den übrigen Märkten noch einen Vorsprung behalten. LieferungSthp und Ultimogeschäft wären, wenn auch unter Einschränkung auf nachweislich vorhandene Waaren, verstattet geblieben. Da» Deckungsgeschäft wäre, sofern und soweit e- überhaupt Dedürfniß ist, an der Berliner Börse al- dem Centralpunck fort geführt worden. DieJntereffenten selbst haben sich daS verscherzt, indem sie gegenüber dem ersten Antrag Placke eine derart obstinate Haltung annahmcn. Mögen sie eS mit sich selbst ausmachen, daß nun Berlin auf völlig gleicher Basis wie alle anderen Märkte sein Geschäft betreiben muß. Jedenfalls ist die natioaalliberale ReichStagSfraction in diesem Punkte von der Berliner Produktenbörse glänzend gerecktfertigt. Denn diese Börse braucht nicht geschloffen zu werden, wie ursprünglich geklagt wurde, sie setzt ihr Geschäft fort und richtet sich ein neues Zeitgeschäft ein, wie da- von nationallibersler Seite gleich vorauSgesagt wurde. Somit ist nicht- weiter unterdrückt, al- da- reine Differenzspiel mit Getreidemengen, Pie in Jahrzehnten auf der ganzen Welt nicht wachsen, und >.ie Ausschließung von Outsider-, die weder Getreide zu verkaufen haben, noch e- gebrauchen". Hem Rechenschaftsberichte her zoclaldemokra tischen Parteileitung und dem Berichte der socialvem< kratischen ReichStagSfraction folgen nunmehr die Anträge znm diesjährigen foetatdemokratischen Parteitage. Je magerer der Bericht der ReichStagSfraction über ihre parlamentarische Tbätigkeit ist, um so langer ist die Liste der rechtzeitig eingebrachten Anträge, deren der „Vorwärts" nicht weniger als 79 mittheilt. Nimmt man an, daß jeder An trag durchschnittlich eine BerathungSzeit von 3 Stunden er fordert, so würde der Parteitag, der Tag zu zehn Be- rathungSstunden gerechnet, die Zeit von 24 Tagen erfordern. Auf alle Fälle werden daher viele der Anträge nicht zur Berathun^ kommen und viele der Antragsteller ihre Wünsche auf dem Herzen behalten müssen. Und wahrscheinlich sind eS gerade di« der Parteileitung unbequemsten Anträge, die man mit Geschick von der Tagesordnung verschwinden läßt. Dahin gehören in erster Linie die auf den Achtstundentag bezüglichen. Bekanntlich liegt ein socialdemokratischer Antrag auf Einführung de- Achtstundentags dem Reichstage bereits vor. Aber da« genügt einigen zielbewußtrn Genossen nicht, sie verlangen an Stelle de- Antrags noch die Eindringung eine echten und rechten Gesetzentwurf«. Der „Vorwärts" dagegen hält dieses Verlangen nicht nur für überflüssig, sondern be zeichnet auch den Antrag al- „vielleicht nicht ganz glücklich". ES ist also nicht unmöglich, daß er in Gotha in einer Ver senkung verschwindet. Um so weniger wird es gelingen, die auf die focialdemokratische Presse bezüglichen Anträge kurz abzutbun. Lermutblich wird dem Prrßcapitel ein wesentlicher Theil der Arbeitszeit de« Parteitage- gewidmet sei». Auch die „Palastrevolution" im „Vorwärts" dürfte zur Sprache komme». Gelegenheit hierzu bietet der Antrag 74: „Meinungsverschiedenheiten der Genossen untereinander, die in der Presse zum Austrag kommen, dürfen nicht in einem Tone geführt werden, der persönlich verletzend wirkt, da nur die Polemik der Partei förderlich ist, die in ruhiger sachlicher Weise geführt wird." Eine ganz erhebliche und umfangreiche Mißbilligung ist dem socialdemokratischen Unterhaltungsblatt, der „Neuen Welt", zugedacht. Die Redaction wird in An trag Nr. 44 aufgesordert, „mehr als bieder daraus zu achten, daß ein populäres Unterhaltungsblatt statt eines Tummel platzes für literarische Experimente daraus wird". Ein ver schärfter Rüffel wird in Nr. 62 und 63 den „Leipziger Genossen" wegen ihres Verhalten- in der Wahlrechtsfrage zugedacht. Antrag 62 lautet nämlich: „Das Verhalten der Leipziger Genossen In der Wahlrrchtssrag« nach dem Parteitage der sächsischen Genossen muß al« ei» Verstoß gegen di« Disriplin der Partei und deshalb ta»elnsw«rth be zeichnet werden" und Antrag 63: „Der Parteitag wolle den Leipziger Genossin Wegen ihre« Ver halten« i» Bezug aus die WahlrechtSsroqe und Mandatsaiederlegung nach der LandeSvrrjammlung da- Mißfallen der Partei auS- jprechen." Mit Eifer wird auch eine strammere Durchführung der Maifeier gefordert und damit der Parteileitung der Bor wurf zu geringer Initiative gemacht. Ueberbaupt tritt in einem großen Tbeile der Anträge die Unzufriedenheit der vorwärts drängenden „Genossen" mit der Parteileitung hervor, eine Unzufriedenheit, die den schärfsten Aus druck erhält in dem Verlange«, daß die Abgeordneten an den Verhandlungen des Reichstag« nur soweit sich be- theitizen sollen, wie da« Interesse de- Proletariat« ersorvere. Freilich wird dieser Antrag, wenn er überhaupt zur Brralhung kommt, dasselbe Schicksal haben, wie die länderen, Vie den „Parteigöttern" nicht gefallen. Wenn auch »bei einzelnen Puncten di« Geister scharf auf einander platzen, so wird da» Gefecht doch nur ein Theater-Gefecht jein. Hinter der Scene reichen einander die Kämpfer die Hand und werden dann zusammen herauSgerufen. Wir haben gestern die Ansicht Moltke'S über die militairische Bedeutung der Dardanellen für die Ver- tbeivignng von Ranstantinapel mitgetheilt. Wir glauben Angesichts der noch immer höchst unsicheren Lage am Goivnen Horn nichts Ueberflüssiges zu thun, wenn wir beute nock die Meinung Moltke'S (nach Schriften Vlll, 87) über den Ver- theidigungSwerth deS Bosporus wiedergeben. In einem Briefe auS Bujukdere vom 20. September 1836 sagt Moltke: „Ter Bosporus ist von hoher militairischer Wichtigkeit für Konstantinopel. Der Nordwind, welcher den ganzen Sommer hindurch weht, und die Strömung, welche constant auS dem Schwarzen in das Marmarameer geht, begünstigt im Bergleich mit den Dardanellen ungemein das Eindringen einer feindlichen Flotte in dir Gewässer der Hauptstadt. Dagegen ist aber der gewundene Laus und die geringere Breite deS Bosporus wohl in Anschlag zu dringen, dessen Ufer an der schmälsten Stelle nur halb so weit auseinander stehen al« die der Dardanellen an dem engsten Paß. Die beiden Leucdtthürme und ihre Batterien sind 4166 Schritt entfernt, bet Telli Labia verengt sich die Straße aber schon aus 1497 Schritt und zwilchen den Hissaren sogar auf 858 Schritt. (Jetzt auf ö5O m gleich etwa 730 Schritt an- gegeben. D. Red.) Das Baisrn zw.scheu Rurnelt Kawak und Madfchiar- Kalessi ist von vier Batterien mrt mehr al« 2L0 Geschützen bestrichen, deren Schüsse von einem Ufer auf das andere reiche» und jedes Schiss zugleich der Länge nach und von der Seit« fassen. Dte Gewalt der Elemente wirb em, Flotte vH«« Zweifel hindurch führe», aber i» welchem Zustand« sie vor Konstantinopel ankommt, ist an« dem Gesagten zu ermesse». Nie bei de» Dardanellen wird der Angreifer wahrscheinlich auch hier versuchen Müssen, sich durch «inen llebersall von der Land feite der gefährlichsten Batterien zu bemeistern. Die Ausschiffung der vaM erforderlich«» Streitkräfte hat tndeß große Schwierigkeit; sie müßte sowohl in Asten al- in Europa erfolgen, denn die Batterien jeder der beiden Küste» einzeln genommen reichen aus, die Durchfahrt einer Flotte äußerst mißlich zu machen. Aiwa und Kilia (Beide schon außen am Schwär«» Meere. D. Red ), dir zunächst gelegenen Buchte», welche sich für dirsrn Zweck eignen, sind durch Fort- gesichert; die entfernteren Punkte der felsigen Küste sind an sich schwierig, und der Anmarsch durch ein unwegsames Waldgebirge dann um so weiter. Dabei kommt endlich ganz befanden« die unmittelbare Nähe einer Stadt wie Konstantinopel in Bettacht, welche doch immer eine starke Besatzung haben wird; und endlich sind di« Batterien zwar m«tst domtairt, aber eben die wichtigeren aach gegen die Landseit» leicht in halt baren Stand zu setzen. Scho, jetzt entsprechen dieser Anforderung vollkommen die beiden Hissare. Zw« sind sie gegenwärtig nicht armirt; wenn aber eine gewaltsame Durchfahrt durch de» Böspotus zu erwarten steht, müßten sie durchau«'zur BertheiRgnna benutzt werden. Sie liegen an den schmälsten Stellen der Meerenge, und innerhalb der Mauern von Rumeli-Hiss« würde man die hoch- liegend», Batterien etabliren können, welch« di« neuere Erfahrung für Kustenvrrtheidigung fordert. Die gewaltig« Stärk« der Dhtlrme und Mauern würde selbst dem Belagerungsgeschütze lange wider stehen, und ihre Höhe sichert gegen Lritererfteigung oder gewaltsamen Ueberfall." Ob e- tbatsächlich zu einer Lösung der vrirntalischen Frage mit bewaffneter Hand, d. h. zur Svnderaction einer der betheiligten Großmächte kommen wird, wa« gleichbedeutend wäre mit dem Au-bruch de- gefürchteten europäischen Kriege«, läßt sich heute nicht sagen. Zündstoff ist noch genug vor handen, und die Flamme de« Aufruhr- kann jeden Augenblick an den verschiedensten Stellen de- türkischen Reicke- wieder empor lodern. Auf Kreta herrscht augenblicklich Ruhe, doch sind noch bei Weitem nicht alle Differenzpuncte zwischen der Pforte und den Kretern ausgeglichen; die Letzteren befürchten, daß der Sultan die versprochenen Reformen umgehen werde, und halt«» deshalb da- Pulver trocken, in Makedonien gährt e« trotz officiöser türkischer Dementi- »ach wie vor, «nd wenn e- wahr ist, daß neue Armenier - Mafsarre- vor gekommen sind, so kann man sich auf eine neue Tbat der armenischen Vendetta gefaßt mache». Noch hat man keinen Grund, an der Einigkeit der Mächte z» zweifeln. Wir glauben an die Ehrlichkeit der russischen Politik, welche, unterstützt von Frankreich, Oesterreich und Deutsch land, Alle- aufzubieten entschlossen ist, um den Brand am Bosporus zu localisiren, schon weil die Aufrollung der orientalischen Frage ihr einen höchst unerwünschten Strich durch die ostasiatischen Pläne Rußlands machen würde, wir glauben auch, daß das Zurückweichen Englands aus der isolirten Stellung, welche eS bisher in der Orientfrage eingenommen, gleichfalls ehrlich gemeint ist, weil e« in dem bestimmten Gefühl, den Gefahren eines europäischen Kriege- nickt gewachsen zu sein, nicht im Ernst daran denkt, ein solches, seine Wellmachtstellung aufs Aeußerste gefährdende« Risico auf die Schultern zu nehmen. So wird man denn vorerst noch ruhig ab warten können, welchen Erfolg die dringenden Vor stellungen des deutschen Botschafters baden werden, denen sich, offenbar ebenfalls in Uebereinstimmung mit den übrigen Mächten, jetzt auch der französische angeschlossrn hat. Auf Zweierlei kommt es dabei an, erstens darauf, baß der Sultan die den Armeniern versprochenen Reformen thalsächlich, nicht nur scheinbar, in die Wirklichkeit überführt und sie, wie er gleichfalls in Aussicht gestellt, aus Feuilleton. Die Schuld des Fürsten Romanskoi. 2s Roman von Lonr. Aischer-Sallstrin. Ni-tnick »kitetkn. „Dn Wirst mit mir den Thee einnehmen, zum ersten Mal wieder seit einem Jahr! Setze Dich, mein Sohn, und erzähle mir. Ich habe mich schon lange auf diese Stunde gefreut. Doch wa« ist das für ein Buch dort?" Der Fürst deutete auf jenen dicken Folianten, den Nahim ins Zimmer herein gebracht und auf den Tisch nieder gelegt batte. ,,Mein Tagebuch", versetzte Andrej kurz, ließ sich auf einen Sessel dem Onkel gegenüber nieder und beschäftigte sich nur mit der einen für ihn so wichtigen Frage, was wohl nun der Onkel über ihn verhängen würde, nachdem die Reise um die Welt hinter ihm lag. „Gieb eS mir einmal her, mein thenrer Andrej, diese- Tagebuch soll mir ganz besonders werth sein! Deine Reise bat Schule gemacht, Du wirst bald viele Nachfolger haben. Die Zeit ist nicht mehr fern, in der man seine Ferien in Indien oder am Nordpol verbringt; einzelne Deiner Brief« habe ich dem Obersten Poneff nach Petersburg geschickt und er hat sie in seiner Zeitung zum Abdruck gebracht. Genau genommen gehörst Du nun unter die Dichter." Jlija Andrej MakscherSkoff, dessen verschlossene- Wesen sich grell von dem de« OnkelS abvob, lächelte, al« ob er damit sagen wollte, daß da nicht- Besondere- zu finden sei. Er reichte dem Onkel da- Buch, klappte e- auf und zeiat« ihm eine große Anzahl sauber beschriebener Seiten. Der Fürst schob sein TheeglaS, Kuchenteller und Zuckerdose zurück und legte da- Buck vor sich ans die frei gewordene Stelle. „Für diese- Buch bin ich Dir sehr dankbar, e« soll mir manche angenehme Stund« bereiten. Ja, Du bast manche« erlebt, Dich tapfer mit Sturm und Wetter herumaeschlagen, und dabei darf ich mit Stolz sagen, daß Deine Abenteuer nicht von jener Sorte waren, wie die der jungen Welt der modernen Gesellschaft, die übersättigend wirken und zuletzt die Nerven ruiniren. Du kehrst gesund an Leib und Seel« zu mir zurück. Nun bleibt nur mir noch übrig. Dich in den Hafen Deine- Leben-glücke- hinein zu leiten, und dann darf ich mein Werk vielleicht al- vollendet betrachten." Jlija Andrej MatscherSkoff errieth sofort, auf wa- der Onkel anspielte, er that die« za nicht zum ersten Mal, aber er hielt e« für besser, zu thun, al« ob er ibn nicht verstände, und beschränkte sich darauf, die Lippen zu kräuseln. „Ich war ja immer im sicheren Hafen, Onkel Stepan Wasfilitsch", versetzte er nun, und seine Stimme klang etwa« heiser, „selbst an Bord de- „Chivin" bewachte mich Capitain Kuroff wie ein besorgter, ja strenger Vater." DaS klang wie Ironie. Ueberrascht horchte der Fürst auf. „Ich versiehe Dich nicht ganz, hast Du Dich über den Capitain zu beklagen?" „Er behandelte mich wie einen Sklaven an Bord", stieß dieser zwischen den Zähnen hervor. „ES thut mir bitter leid, dies hören zu müssen, mein Sohn Andrej I Sollte der Capitain meine Instructionen auch nur in einem Punete überschritten oder mißverstanden haben?" „Wir werde« mit beiden Thatsackrn rechnen müssen." „Um so schlimmer! Wie kommt eS aber, daß D« in Deinen Briefen Dick niemals über den Capitain beklagtest?" „Da- lag daran, daß er meine Briese einer strengen Crnsnr unterwarf. Selbst mein Tagebuch war vor seiner Controle nicht sicher. Meine Aufzeichnungen werden auch dann erst etwa- interessant, al- ick mich seiner Tyrannei, die nicht mehr zn ertragen war, entzogen batte. Ich flüchtete mich in Siam an« Land und ging meine eigenen Wege. Mit Geldmitteln war ich glücklicher Weis« noch reichlich versehen, so daß ich gan» bequem von dort au- mit einem Schiff de« Norddeutschen Lloyd nach Bremen gelangen konnte. Auf dem Landweg über Berlin gelangte ich nach Petersburg." „Du bast Dich also mit dem Capitain überworfen? Ich beklag« da- um so mehr, al« ich den Jwanoff Kuroff bat. Dir ein verständiger Freund zu sein. Nie hätte ich von ihm erwartet, daß er draußen ans der See mit der Knute hinter Dich treten könnte! Ich werde dem Capitain noch heute schreiben. Daß Du selbstständig gebandelt, finde ich ganz in Ordnung, ja ich bin sogar stolz darauf!" Er reichte bier seinem zukünftigen Erben die Hand und blickte ihn voll Bewunderung an. „Die Dinge müssen nun so gegessen werden, wie sie rinmul liegen, mein lieber Andrej. Du hast Deine Erfahrungen gemacht und wirst Deine Ledren daran« gezogen haben. Je rascher wir über diese unerquickliche Sache hinau«kommcn, um so besser." And mit einer plötzlich bervordrrckenven fröhlichen Anwandlung fügt« «r hinzu: »Hassen wir uns di« glückliche Stunde Deiner Heimkebr durch den Gedanken an Capitain Kuroff nickt verbittern." Mit diesem Vorschlag war der Herr Neffe vollständig einverstanden. Capitain Kuroff war für ibn abgethan, und e« war ihm sedr gleichgiltig, ob der Onkel an ihn schrieb oder nicht. Während dieser das Tagebuch durchblätterte, da- ibn lebhaft interessirte, nahm sich Jlija Andrej ein GlaS Tbee, trank, zündete sich eine Cigarette an, lehnte sich in den Sessel zurück und fixirte den alten Herrn von der Seite. Offenbar batte er irgend etwa- auf dem Herzen und erwog nun, ob jetzt der richtige Augenblick gekommen sei, damit an den Onkel heranzutreten. „Wa- ist das?" fragte dieser auf einmal überrascht und deutet« mit der Hand auf rin eng beschriebene- Blatt, auf dem in Fettschrift geschrieben stand: „Novelle." Jlija Andrej MatscherSkoff errötbete. E- lag etwas Be fangene-, etwa« Unsichere- in seinem Wesen. Mit einer gewissen nervösen Hast griff er nach seinem TheeglaS, trank und blickte dann mit der Ueberzeugung zu dem Onkel auf, daß jetzt für ihn der große Augenblick gekommen sei. „Ich machte hier d«n Versuch, eine Novelle zu schreiben, Onkel Stepan Wasfilitsch, aber ich kann keinen passenden Schluß finden. Da nahm ich mir denn vor, Dich zu bitten, mir in diesem Punkte beizustehen. Ich will Dir kurzer Hand die Fabel erzähl«« und dann magst Du mir sagen, wie sich der Held in der einmal gegebenen Situation zu benehmen bat." Fürst RvmanSkoi lachte laut auf. „Somit hat also Oberst Poneff ganz recht, Du bist ein Dichter! Gut mein Sohn, ich freue mich darüber um so mehr, al- ich da zu alricker Zeit den Schlüssel zu Deinem ernsten, oft nahezu verschlossenen Wesen gefunden hab«. Aber wie sagtest Du? Ich soll Dir deistehen, den Schloß zu Deiner Novelle zu finden? Wa- verstehe d«nn ich vom Dichten und Trachten? Da mutzt Du Dich an eine lxkannte Größe wenden, vielleicht an Oberst Poneff." Rasch streifte jetzt Jlija Andrej sein Befangenfein ab. Ein schlaue« Lächeln umspielte s«,nrn Mund, er wurde leb haft und schien au- sich selbst herau« gehen zu wollen. „Die Größe, die mir hier allein nur besten kann, da bist Du, lieber Onkel Stepan Wassilitsch. Wie Du bestimmst, daß meine Novelle enden soll, so endigt sie, weil ich weiß, daß die« ein Schluß sein wird, der allseitig befriedigt. Ge stalte mir, Dir di« Fadel mitzutheilrn." „Ich hatte die Absicht, mit Dir ernster« Dingt zu be sprechen, aber e- scheint Dir sehr viel an dieser Novelle ge legen zu sein, und darum will ich sehen, ob ich Dir einen guten Rath geben kann." Der Fürst war in eine wahrhaft rosige Laune binein- gerathen, lehnte sich in seinen Sessel zurück und blickte nun erwartungsvoll seinen Neffen an. „Ein Europäer", begann Andrej MatscherSkoff, „batte Birma besucht und ging hierauf über den Lalwinsluß hin über nach Siam. Dort wird er vou einer Horde Flußpiraten überfallen, man tödtet sein Gefolge, schleppt ihn fort, raubt ihn au« und will ihn ermorden." „Die Geschickte fängt nickt Übel an, wenigstens nickt für den Geschmack eine- alten Soldaten. Die kranken Salon romane eine- Tolstoi sind mir immer verhaßt gewesen. Es sollte mein Stolz sein, wenn wir an Dir, mein lieber Jlija Andrej, einen Poeten gewonnen hätten, der nickt mit dem giftigen Wurm im Gemülhe sich an den Schreibtisch setzt." „Ick babr den Ueberfall mit einigem Fleiß geschildert und e- versucht, di« Gemütdsverfassung meine« Helden zn zeichnen. Im Augenblicke der höchsten Notb wird nun der Europäer durch ein siamesische« Mädch«n von wunderbarer, ja märchen hafter Schönheit g«rett«t. Die beiden flüchten nach dem Salwinfluß zurück, gewinnen «in Boot und gelangen glücklich nach Birma." „In der That, diese kleine Geschickte schiint srbr gut er funden zu sein, ick srene mich darauf, sie lesen zu können, schon de«halb, weil Du fl« ««schrieben hast." Der Fürst beugt« sich hier wieder über da- Tagebuch. Offenbar war er d«r Ansicht, daß mit d«r Ankunft »e« Helden in Birma die Novelle zu End« sei. „Ja, der kleine Roman ist noch nicht zn Ende, Onkel." „Noch nickt?" fragte dieser verwundert. „Die Siamesin hat sich sterblich in drn Europäer verliebt. Sie will ihm folgen di- an- Ende der Welt. Aber der junge Mann gehört einer h-chstehenden Familie an und trägt Bedenken " „Da- hast Du ganz gut gemacht, mein Sohn, Rücksichten ans seine Familie hat er unter allen Umständen zu nehmen, fall- er nicht wie ein Zigeuner handeln will." „Die Siamesin bat kein Verfländniß für ftine Bedenken, sie will nur lieben nnd geliebt werd««. Si« glaubt außer dem rin Anrecht an drn Europäer zu haben, denn bätt« sie ihn nicht gerettet, dann würden seinen Leib die birmanischen Geier verzehrt haben. Vertrittst Du nun di« Ansicht, daß si« ihm auck glrich lribrig«n s«in müßt«? Er ist doch seiner
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