02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.09.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960929022
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-09
- Tag1896-09-29
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Ein Leitartikel des „Vorwärts", der überschrieben ist: „Was erwarten wir von den bürgerlichen Frauen", beginnt mit fol gender Liebenswürdigkeit: „Ter internationale Congreß für Frauenwerke und Frauen- beslrebungen ist zu Ende. Geredet wurde sehr viel, wenigstens vielerlei; daß etwas gethan wurde, läßt sich nicht behaupten, wenn man nur das „Thaten" eines Congresses nennt, was irgend eine Einzelausgabe einer Bewegung der Lösung näher führt. Das wird aber doch von diesem Pot- pourri von 100 viertelstündigen Vorträgelchen, mit deren Anhörung sich die versammelten Damen so trefflich eine Woche lang unter halten haben, wohl Niemand behaupten, selbst nicht Frau Lina Morgenstern, die, ein weiblicher Max Hirsch, es verstanden hat, ihre eigene selbstgefällige Unfähigkeit in den Vordergrund einer uuausgegohrenen Bewegung zu drängeln und sie durch ihre Reklame- mützchen zu compromittiren." WaS der „Vorwärts" eigentlich von der bürgerlichen Frau erwartet, wird freilich auch auS diesem Artikel, der mit solchem Vorwurf beginnt, nicht recht klar. Wahrscheinlich ist das Blatt der Ansicht, daß es von der bürgerlichen Frau um so weniger zu erwarten habe, je offener es ausspricht, was es erwartet. Was das letzte Ziel dieser Erwartungen ist, dürste der „Westfäl Merkur" nicht unrichtig folgender maßen darlegen: „Ihr Sehnen und Streben geht dahin, daß die Frau in der selben Weise wie der Mann sich einer selbständigen Berufsthätigkeit und einer Wirksamkeit im öffentlichen Leben hingeben soll. Sie soll „mehr" werden als die „Gehilfin" des Mannes. Als Berufs- arbeiterin, Stadlverordnetin, Gewerkschaftlerin rc. hat sie natürlich nicht mehr die Zeit und auch nicht die Lust, sich den langwierigen Geschäften der Kinderstube zu widmen. Sollen die Kinder den Dienstboten überlassen werden? Oder will man nach Pariser Muster die Kinder in fremden Häusern aufzieheu taffen, wo man ein Geschäft aus der Verpflegung macht? Das sind Nothbehelfe, die auf die Dauer nicht genügen können. Die Socialdemokratie hat allein die „Lösung" dieser Frage in Bereitschaft: in ihrem Zukunftsstaat sollen die Kinder von Staats wegen in Staatsaustalten alle gleichmäßig ausgezogen werden. Das ist das Ziel, dem die „Emancipation" mit ihrer Vernichtung der Mntterthätigkeit zusteuert. Und wenn sie der Frau das Kochen und die ganze übrige Fürsorge sür ein gemächliches Heim des Mannes verleidet — fo ist die Wirkung wiederum die Auf. lösung dcS Familiensinns und Familienlebens, und das Ende würde die socialdemokratische Staats-Garküche und Staats-Schlafstelle bei „freier Liebe" jein. Kein Wunder, daß die Socialdemokratie sich nicht aus Abschlagszahlungen cinläßt." Kein Wunder also auch, daß der „Vorwärts" mit der Sprache über das Ziel, an daö die bürgerliche Frau geführt werden soll, nicht recht herauswill und sich mit Schimpfereien gegen die Widerwilligen begnügt. Diese Zurückhaltung hat aber auch noch einen andern Grund, der ersichtlich wird, wenn man einen ausführlichen Bericht über die Versamm lung verfolgt, die am 27. d. M. die Berliner „Genossinnen" abbielten, um den „ Congrcßfrauen" den Standpunct klar zu machen. In dieser Versammlung ergriff auch einer der zugelassenen Männer, zielbewußter Genosse" und von Beruf Schneider, das Wort, um das Verlangen zu stellen —, daß der bürgerlichen Frau das gewerbsmäßige Arbeiten verboten werde. Fragt man den „Vorwärts" auf daS Gewissen, ob die gut besoldeten socialdemokratischen Beamten sich mit „Genossinnen" in das „Futter aus der Parteikrippe" theilen wollen, so werden sie zweifellos mehr oder minder offen auf die Seite des Schneiders sich stellen. Sie müßten also, wenn sie ganz offen fein wollten, eingesteben, daß sie die bürgerliche Frau als Sturmbock auf daS Institut der Familie brauchen, ihr dann aber, wenn das Ziel erreicht ist, den Mund verbinden wollen, um sie am Mitessen zu verhindern. Jedenfalls ist das Schimpfen des „Vorwärts" und seine übrige Zurückhaltung für die Führerinnen der Frauenbewegung ebenso lehrreich wie die Offenherzigkeit des zielbewußten Schneiders. Diese Offenherzigkeit berührt den schwächsten Punct der ganzen Bewegung, die Len schwersten und aussichtslosesten Kampf gerade auf dem Gebiete zu be stehen haben wird, wo sie den „arbeitenden Elasten" ins Ge hege kommt. Herr Alfred Beit, der deutsche Genosse der Herren Rhodes und Iameson bei dem Flibustierstreich gegen Trans vaal, hat gegen die „Hamb. Nachr." wegen eines seine „politische" Thätigkeit in Südafrika würdigenden Artikels Klage erhoben. Wie schon telegraphisch im heutigen Morgen blatte erwähnt, veröffentlicht das Hamburger Blatt aus der Beit'schen Klageschrift einen Passus, welcher von Bedeutung für die englischen Zukunftspläne in Bezug auf die südafrika nische Politik ist. Derselbe lautet: „Selbstverständlich ist Kläger, dessen Haus in den politischen Wirren Transvaals eine gewisse Rolle zu spielen berufen war, besonders beim einstweiligen Scheitern dieser politischen Be wegung dem ausgesetzt öffentlich kritisirt nnd angegriffen zu werden, und es wäre lächerlich, wenn er sich darüber beschweren wollte. Dem von der Partei des Privatklägers schon lange erstrebten öffentlichen parlamentarischen Untersuchungs-Ausschuß (im englischen Unterhaufe) wird der Beweis geliefert werden, daß keine niedrigen Motive dieser politischen Bewegung zu Grunde gelegen haben." Hierzu bemerken zutreffend die „Hamb. Nachr": Macht die Berufung des Herrn Beit aus die angeblich politische Natur des Janieion'schen Raubzuges keinerlei Eindruck auf uns, so ist Lies um so mehr der Fall hinsichtlich der Erklärung der Klage schrift, worin Herr Veit als einer der Urheber des Jameson'schen Raubzuges, also als kompetenter Zeuge und Vertreter der eng lischen „politischen" Bewegung gegen Transvaal davon spricht, daß diese Action gegen die Sicherheit und Unabhängigkeit jenes Staates nur „einstweilen" gescheitert sei. Mir anderen Worten heißt das doch: die Vergewaltigung Transvaals zu Gunsten Englands wird ä la Iameson wieder in Angriff genommen werden, sobald die Umstände, die jetzt obwalten und Herrn Beit jetzt Schweigen auferlegen, nicht mehr bestehen. Diese Ankündigung des Herrn Beil erhebt seine Klageschrift gegen uns zu einem Aktenstück von politischer Bedeutung, und wir halten es, wie gesagt, sür ulisere Pflicht gegen die dem deutschen Reiche befreundete südafrikanische Republik, das Bckenntniß, das Herrn Beit wahrscheinlich sehr wider seinen Willen entschlüpft ist, zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Es wird Len interessieren Persönlichkeiten in Transvaal und anderswo damit freilich kaum etwas Neues gejagt werden, denn die Befürchtung, daß die Engländer von ihren Unternehmungen gegen tueUnabbängigkeit Transvaals noch keines wegs zurückgekommen sind, sondern nur günstigere Umstände ab warten, um sie wieder auszunehmen, ist ja ziemlich allgemein ver breitet; aber es ist doch immerhin von Werlh, schwarz auf weiß das Zeugniß eines der Hauptbetheiligten Les Jameson'jcheu Raub zuges dafür zu besitzen, daß diese Absicht wirklich besteht. Wir hoffen, Laß dieser Umstand der Regierung der südafrikanischen Republik in ihren Bestrebungen, sich gegen weitere räuberische Ein fälle von englischer Seite in ihr Land zu sichern, von Nutzen jein wird. Auch wir haben stets die Ueberzeugung vertreten, daß daS ländergierige England den Tigersprung nach der Transvaal- Beute wiederholen wird, sobald es gewiß ist, das Ziel nicht zum zweiten Mal zu verfehlen. Die englische Regierung hat es ja nicht an Versuchen fehlen lassen, die Wächter vor den Thoren Pretorias durch Friedens- und Freundschafts versicherungen einzuschläsern, wobei man sogar so weil ge gangen ist, dem Präsidenten Krüger das Zeugniß auszustellen, daß er den englischen Wünschen in der Hauptsache nachgekommen sei und deshalb weitere Reclamationen nicht zu befürchten habe. Sollte es in Pretoria nicht an Leuten fehlen, welche sich durch derartige Heucheleien hinters Lickt führen lassen — und der Widerstand,welchen die neuerlichen strengen Maßregeln gegen die Transvaal-Fremden in der dortigen Presse nach englischen Meldungen gefunden haben, zeigt, daß es deren genug giebl — so kommt die Beit'scke Einhüllung gerade reckt, um ihnen die Augen zu öffnen. Daß die Transvaalregierung selbst sie tetS offen hält, weiß man, aber ebenso, daß sie ohne die nachhaltige Unterstützung der Bürger so gut wie nichts vermag. Neben der großen kulturellen und wirthsckaftlichen Bedeutung, welche der Einweihung des Eisernen Thores innewvhnt, eignete der Feier in Orsova, welche den Kaiser Franz Josef umgeben von den Königen von Rumänien und Serbien zeigte, auch ein deutlich erkennbarer politischer Charakter. An allen Beziehungen, welche zwischen Oesterreich-Ungarn und den Staaten der unteren Donau bestehen, hastet dieser Doppel charakter, daß sie zugleich ökonomischer und politischer Natur sind; große Ströme trennen nicht, sondern verbinden, und wenn zeitweilig der Gang der Dinge diese natürliche Wahr heit zu verdunkeln scheint, so brickl sie sich doch immer wieder durch alle Stimmungen und Verstimmungen, durch alle künstlichen Gegensätze und Mißverständnisse hindurch die Bahn zur besseren Erkenntniß. Die Donau hinunter ist stets der Weg gegangen, auf welchem Oesterreich dem euro päischen Südosten die westliche Eivilisalion zuführte, und abermals zeigt das am Eisernen Tdor vollbrachte Werk, daß Oesterreich-Ungarn dieses civilisatorischen Berufes sich bewußt ist. Ihn nach Gebühr zu würdigen, die wirthschaft- lichen und politischen Consequenzen zu ziehen, die sich daraus ergeben, ist die Sache der Staaten und Völker, denen Oesterreichs Arbeit und Vermittelung zu statten kommt, die, durch sich selbst nicht stark genug, um derselben entrathen zu können, an dem mächtigen Nachbar zugleich eine Stütze und einen Freund zu finden vermögen. Von allen Staaten an der unteren Donau hat Rumänien dieses natürliche Ver- hältniß am besten begriffen; kein rumänischer Staatsmann, ob er Bratiano, Catargiu oder Sturdra hieß, hat sich auf die Dauer der Nothwendigkeit guter Nackbarbeziehungen zu Oesterreich verschließen können, bis zwischen Wien und Bukarest das in dem Trinkspruch des Königs Carol nut so sympathischen Worten gepriesene Band der Herzlicken Freundschaft ge knüpft war, die sich im vorigen August in dem Jsckler Beiuche des rumänischen Königspaares kundgab und jetzt durch den Gegenbesuch des Kaisers Franz Joseph in Rumänien feierlich besiegelt wird. Aber auch in Serbien scheint die Ueberzeugung wieder an maßgebender Stelle durck- bringen zu wollen, daß Oesterreich-Ungarn die natürliche Stütze für diesen Balkanstaat ist. Die Worte, welche König Alexander beim Hofdiner in Herkulesbad sprach, machen den Eindruck nicht nur aufrichtiger Freundschaft und Verehrung für den greisen Kaiser Franz Josef, es klingt in ihnen zugleich ein Ton an, welcher erkennen läßt, daß die Ge meinsamkeit der Interessen der drei Donaustaaten, welche in der kaiserlichen Ansprache in bedeutungsvoller Weise betont wurde, in Belgrad heute ein weit größeres Verständnis; findet, als eS bisher unter der Regierung des jungen Königs der Fall war. Man braucht sich gewiß bezüglich der zu künftigen Politik Serbiens keinen Illusionen hinzugeben, allem wir glauben die Lage richtig zu beurtheilen, wenn wir der Meinung sind, daß die rückhaltslose Aussprache des Königs Alexander zum mindesten die Geburtshelfer des famosen, an geblich in russischen Diensten stehenden antiösterreichischen Balkanbundes, welcher Bulgarien, Montenegro und Serbien umfassen sollte, gründlich Lügen straft. Infolge des zweideutigen Verhaltens Englands in der Oricntangelcgcnhcit und der versteckten Drohungen seiner Staatsmänner und seiner Presse drängt die Frage: Kann die englisckeFlottedenEingangindieDardanellen erzwingen? zur Beantwortung. Gladstone glaubt be kanntlich, England sei im Stande, in der türkischen Frage seinen Willen dem gejammten vereinigten Europa auszudrängen. Das könnte doch nur dadurch geschehen, daß eine englische Flotte den Eingang durch die Dardanellen erzwingt, Konstantinopel niederwirft und sich dort gegen Russen und alle Welt be hauptet. Einem solchen Plane gegenüber hat man mit Reckt betont, daß eine englische Flotte vielleichl den Eingang in die Dardanellen erzwingen könne, dann aber im Marmarameer wie in einer Mausefalle sitzen würde, ohne vorwärts durch den Bosporus oder rückwärts durch die Dardanellen wieder heraus zu können. Aber schon die Erzwingung der stark be festigten Dardanellen wäre ein großes Wagestück. Vielleicht ist es beute von Interesse, darüber das Urtbeil eines Mannes zu hören, dessen Sachverstänkniß und Unheil Niemand an fechten wird, des Generalfelbmarschalls Grafen Moltke. Tcr damalige Hauptmann im preußischen Generalstab Helmutb von Moltke sagt nämlich in einem Briefe aus der Türkei (Schriften VIII. S. 58) vom 13. April 1836 darüber Folgendes: Einige kühne und glückliche Unternehmungen der Engländer zur See haben ziemlich allgemein die Ansicht verbreitet, daß Land batterien sich gegen Flotten, die ihnen an Zahl der Geschütze frei lich weit überlegen sind, nicht vertheidigen können. Eine solche Unter nehmung war dieLord Duckworlh's im Jahre 1807. DieVertheibigungs- anstalten der Dardanellen befanden sich damals im kläglichsten Zu stande; die englische Escadre segelte durch, fast ohne Widerstand zu finden, und am 20. Februar erschien zum ersten Male eine feindliche Flotte unter den Mauern der osmanischen- Hauptstadt. Je weniger sich die Türken die Möglichkeit eines solches Ereignisses gedacht, um so größer war die anfängliche Bestürzung. Es ist bekannt, wie der Einfluß und die Thätigkeit des französischen Botschafters damals den Diwan abhielt, in jede Forderung der Engländer zu willigen; Batterien wuchsen an den Usern von Tophaue und des Serajs empor, während di« Dardanellen im Rucken der Ein gedrungenen eiligst in wehrhaften Stand gesetzt wurden, und bald wußte der britische Botschafter selbst nicht mehr, was er mit dem militairischen Erfolg seines Admirals anzufongen habe. Nach Verlauf von acht Tagen mußte Lord Duckworth sich glücklich schätzen, mil Verlust von zwei Corvetten und wesentlicher Beschädi gung fast aller übrigen Fahrzeuge die Rhede von Tenedos wieder zu gewinnen. Die von einem Schiffe gegen eine Laudbaiterie ge schossene Kugel tödtet im günstigsten Falle einige Menschen und demontirt ein Geschütz, während die von einer Landbalierie ab geschossene möglicher Weise ein Schiff außer Gefecht setzen kann. Mannschaft, Geschütz und Munition sind in der Landbatterie ungleich sicherer ausgehoben als hinter den Wänden eines Schiffes. Besonders wichtig aber ist der Umstand, daß bei den Schwankungen des Fahrzeugs ein genaues Richie» ganz unmöglich ist. Die Landbatterie bietet dem Treffen ein Ziel vou etwa vierte halb Fuß Höhe, eine geringe Schwankung vergrößert oder verringert die Elevation der Geichütze daher schon in Lein Maße, daß eine ganze Lage zu hoch oder zu niedrig geht. Die Feuerschlüude einer Land batterie hingegen stehen fest, der Artillerist nimm! seine Richtung genau, jein Ziel ist eine 20—30 Fuß hohe, 100 Fuß lange, überall verwundbare Wand. Die Kugeln, welche zu niedrig gehen, können noch xnr rievclwt «inschlagen, die, welche zu hoch, Masten, Raaen und Segel zerstören. Die größere Zahl der Ferrilletsn. Die Schuld des Fürsten Romanskoi. If Roman von Lonr. Fischer-Salkstekn. Nackidruck derbsten. I. Wir befinden unS aus Slekok. Die weit ausgedehnte herrjchastliche Besitzung ist durch die großen Bärenjagden bekannt und berühmt geworden, die Kaiser Alexander II. hier abzuhalten pflegte. Es ist sechs Uhr früh. Der Besitzer der ungeheuren Liegenschaft, Fürst Stepan Wassilitsch Romanskoi, von dem man sagte, daß er die Gewohnheit habe, den Taz mit der Pelzmütze zu fangen, hatte sich, wie immer, bereits früh von seinem Lager erhoben, sich die Stelzen angeschnallt und geht nun in dem in tiefe Dämmerung gehüllten fürstlichen Ge mache auf und ab. Der lichte Streifen am östlichen Himmel, der den jungen Tag verkündigt hatte, war längst wieder hinter den grauen Nebelmassen, die sich dort drüben aus den Sümpfen und Urwaldungen erhoben, verschwunden. Noch regt sich im Herrenhause, das die Petersburger Zeitungen in ihren oft beinahe endlosen Berichten über die Bärenjagden aus Slekok als Schloß bezeichneten, kein Laut. Nur dann und wann kläfft ein Marder in der Nähe des Taubenschlags oder eine Eule kreist schreiend über den Hof. Ein trüber, regnerischer Spätherbstmoracn kommt ins Land. Nur mühsam, wie auf filzenen Sohlen, schreitet die Dämmerung weiter. Der Fürst tritt anö Fenster, bebt die kostbare Gardine zurück und blickt in drn nebelgrauen Morgen hinein. Das war gerade wieder ein solcher Morgen, wie an jenem Freitag, als er am Schipkapatz sein stark decimirteS Corps gegen die türkischen Batterien führte und beide Beine verlor. Nahim Makrilka, der Tatar, dem die Türken beide Ohren abgeschnitten, und der an jenem verhängnißvollen Tag den Arm verloren, trug ibn, selbst todeswund, anö dem Getümmel. Sofia Andrejewna Petuschkiwna, eine Heldin im Dienste des Rotben Kreuzes, legte dem schwerverwundeten General den ersten Verband an. WaS würde auS ihm geworden sein ohne die aufopfernde Pflege Sofia Andrejewna's? Es war ein Glück sür Stepan Wassilitsch Romanskoi, daß sie nach vielem Bemühen, nach vielen Bitten endlich ein willigte, ihm nach Slekok zu folgen, um hier ihr schönes Werk fortzusetzen. Heute steht Sofia Andrejewna (sie stammt auS einer verarmten Petersburger Beamtenfamilie) dem ganzen fürstlichen Hauswesen vor. Nahim, der am Sckipkapaß beide Ohren und den Arm gelassen, ist sein treuer Diener, der die seltene Kunst versteht, seinem Herrn die Wünsche vou der Stirn zu lesen. Mit diesen beiden Getreuen lebt nun der Fürst, der sich Jahre hindurch nicht vom Schmerzenslager erbeben konnte, in Ruhe und Frieden dahin. Keine rauschenden Feste werden hier gefeiert, keine glänzenden Jagden mehr, wie ehedem, abgehalten, und nur selten verirrt sich ein alter Kriegskamerad nach Slekok. Nur in einem Puncte hatte sich der Fürst über die von ihm so hochverehrte Wirthschafterin zu beklagen, wenn er überhaupt den Muth gehabt hätte, ihr gegenüber eine solche Klage zu äußern, eS war die Kälte, mit der die aufopfernde liebenswürdige Sofia Andrejewna seinem Neffen Ilija Andrej MatscherSkoff gegrnüberstand. II. Stepan Wassilitsch Romanskoi gehört zu Denjenigen, deren LebenSglück an einer unglücklichen Liebe scheiterte. Nachdem er sich zu dem Entschluß durchgerungen, unvermäblt zu bleiben, übertrug er die ganze Zärtlichkeit seines Herzens auf den damals einjährigen Sohn seiner Schwester Maria Feodorowna MatscherSkowna. Die Erziehung de- jungen Ilija Andrej war fein Werk, und er glaubte alle Ursache zu haben, auf diese Erziehung stolz sein zu dürfen. Bor Jahresfrist trat der zukünftige Erbe von Slekok seine Reise um die Welt an, obne welche man bald eine Bildung nicht mehr als vollendet gelten lasten wird, und mit jedem Tage erwartet Stepan Wassilitsch Romanskoi seinen Liebling zurück. Daran denkt der Fürst, als er sich jetzt vom Fenster ab wendet und etwas ungeduldig inS Zimmer hineinscbreitet. Er ist ein schöner, stattlicher Mann von etwa 60 Jahren. Er trägt einen lang herabwallenden Bart, der ihm auf dem zweijährigen SchmerrenSlager gewachsen war, so daß man geneigt war, ihn auf den ersten Blick sür «inen Popen zu halten. Bart und Hauptbaar waren ergraut, die Farbe des etwa- breiten Gesichtes fahl, wie sie di« Stubrnluft zeitigt, und nur die Lippen waren roth und etwa» aufgeworfen, wie die eines starken Rauchers. Es lagen viele Züge von Groß muth und einer edlen DenkungSweise in dem Gesicht de» Fürsten, aber auch Töne von Eigensinn, ja Härte machten sich bemerkbar. Die kleinen dunklen Augen konnten einen wahr haft stechenden Ausdruck annehmen, wenn irgend etwa- seinen Unmutb erregte. Noch immer zögert der Herr von Slekok, die elektrische Klingel zu berühren, um seinen getreuen Nahim Makrilka herbei zu citiren. Im Herrenbause wird es bereits lebendig. Schon zanken sich in der Leutestube die wirrbaarigen Mägde nm Kämme und Bürsten, ein Beweis dafür, daß ihr Tage werk beginnt. Der junge Tag hat sich endlich durchgerungen. Ein lachender Fruhrothschein streift über die lhaufeuchten, bunt gefärbten Laubkronen der Baumriesen im Park. Jetzt berührt der Fürst, der seinen braven Nahim nickt darunter leiden lassen wollte, daß er ein Frühaussteher ist, die elektrische Klingel. Aber Nahim erscheint nickt wie sonst, den Kopf vor gebeugt, auf den Fußspitzen dahinschleichend, wie eine Katze, rm Zimmer, sondern scheint heute fester zu schlafen als ze Zum zweiten Mal muß der Fürst den Knopf berühren, ohne indessen auch nur im Geringsten ungehalten zu werben. Auch jetzt erscheint Nabim nickt. Stepan Wassilitsch Romanskoi geräth in Beforgniß. Er näbert sich der Thür, um sich in den nebenan vesindlichen Schlafraum seines alten Burschen zu begeben. Da öffnet sich diese auf einmal vor seinen Augen, und im Rahmen der Tbür erjcheint Sofia Andrejewna, die unermüdliche Pflegerin de» Fürsten. Es ist eine stattliche Dame von vielleicht vierzig Jahren, mit einem sanft gerölheten Gesicht, edel und vollendet bis in die kleinsten Linien, aber starr und unbeweglich, fast wie aus Marmor gemeißelt. Seit den blutigen Tagen am Schipka- paß hat diese« Angesicht nicht mehr gelächelt. Etwas Nonnen hastes liegt in ihrem Wesen und in ihrer Kleidung. Sie trägt einen Kuchenteüer mit frischem Gebäck auf der Hand und hinter ibr folgt die frisch gewaschene Mascha, mit dem blitzblanken Samowar. „Guten Morgen, meine tbeure Sonja", rief der Fürst ihr entgegen, „waö ist meinem Nahim geschehen? er läßt sich nicht blicken." Die Art und Weise, wie die Wirthschafterin den freund lichen Gruß des Fürsten erwiderte, ließ klar erkennen, daß sie beute noch in ihm den Patienten erblickt, der ibrer aufmerk samen Pflege immer noch gerade so bedarf wie vor Jahren, und sie wohl auch immer bedürftig sein wird. Sie sah ihm mit ihren klugen, mild blickenden Augen in- Angesicht, al« wolle sie dort sein Befinden studiren, fixirte rasch den Sitz ter Lederriemen, mit denen der Fürst sich selbst die Stelzen angeschnallt, und als sie Alles in Ordnung fand, entgeg nete sie: „Sie haben nicht so gut geschlafen, als ich es wünschen möchte: es ist dies aber auch ganz begreiflich, auch unser guter Nahim bat sich diese Nacht um die Ohren geschlagen." Sie ertheilte hier der Mascha einen Wink, den Theetisch zu decken, trug selber den Teller mit dem frischen Gebäck nach dem großen runden Tisch, und sagte, sich von dort dem Fürsten zuwenbend: „Ilija Andrej MatscherSkoff ist gestern um die elfte Abend stunde auf Slekok eingetroffen. Weil ick nun weiß, was der Schlaf vor Mitternacht für Ihre Gesundheit zu bedeuten bat, so duldete ich es nickt, daß dieser so nolhwenbige Schlummer gestört würde. Nahim übernabm sofort den Dienst bei Ilija Andrej und befindet sich jetzt noch bei ibm." Klarer konnten kann« die Grenzen der Macht bezeichnet werden, die Sofia Andrejewna über den Fürsten auoiibte. Aber diese Mackt, sanft und liebevoll von einein Wesen aus geübt, dem er, genau genommen, vielleicht allein es zu ver danken hat, daß er nicht längst, neben so viele» anderen Kameraden, weit im Süden, unter einem grünen Hügel ruht, war ihm zu einem Lcbenöbedürfniß geworden, und er trug sie gerne. Er war roth geworden, al« er hörte, daß Ilija Andrej zurückgekehrt sei, aber seiner Pflegerin zu liebe rang er seine innere Erregung nieder und folgte ihr an den Tisch, den die flinke Hand Mascha'« deckte. „Also mein Neffe ist zurück? — ES war recht gut, Mütterchen Sonja, daß sie mich nickt wecken ließen, denn gerade heute schlief ich vor Mitternacht besonders gut. Sie sahen ihn, wie sieht Ilija Andrej aus, nach einer Fahrt um die Welt? Vor allen Dingen, ist er gesund?" „Ilija Andrej MatscherSkoff sieht sehr wohl au«", ent gegnete diese, „nur scheint er ein wenig ernster geworden zu sein; damit möchte ich sagen", fügte sie vorsichtig hinzu, „ernster, als er vorder war." Sie nahm ein Sitzkissen, legte es auf den Sitz eines Sessels und stand nun dem Fürsten bei, sich auf den Sessel nieder zu lassen, wobei eine besondere Vorsicht nötbig war. „Er ist also gesund", sagte nun Stepan Wassilitsch im Tone der Befriedigung, „da» war eigentlich voranSzin'eben, denn er war immer von ausgezeichneter Gesundbeit, ist sturm- und wetterfest. Aber warum könnte er ernster geworren
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