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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189610044
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18961004
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18961004
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-04
- Monat1896-10
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1896
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Die Morgen-A»Sgab« erscheint um '/,? Uhk die Abend-Au-gabe Wochentag« um S Uhr. Bez«gs»Preis M h« Hmchtexpedition oder den im Stabt» beeilt und den Bororlen errichteten Aus gabestellen abgebolt. vierteljährlich^«^, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« ^l bchO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbaadsendua- in« Ausland: mvuatlich 7.SO. MWM.TllgMM Rr-artion »ad Lrpe-Mo«: Johanne«,affe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen g^iknet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ttt« Klemm'« Sortim. (Alfred Hatz«), UvlvrrsitütSstraße 3 (Paulinum), LontS Lüsche, Nakbartnenstr. 14, Part, und Könlg«plah 7. Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Ratljes nnd Vokizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen'Preis die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. Ikrclamea unter dem Redactionsstrich (4g» spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- «erzeichnih. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra'Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung SO.—, mit Postbrsörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag« 4Uhr. Vet den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Aareigen sind stet« an die -rdeditlsa zu richten. Druck nnd Verlag von E. Polz in Lelvsill 5V6. Sonntag den 4. October 1896. SV. Jahrgang. Äus der Woche. Q Die Gleichgiltigkeit de« Fürsten Bismarck gegen Lod und Tadel von seinen Feinden innerhalb und außerhalb des Reiches ist bewährt. Für Diejenigen aber, die für die Sache streiten, der der Altreichskanzler sein Leden gewidmet hat, ist es nicht ohne Werth, von Gegnern und Hassern Zeugniß für ihn abgelegt zu sehen. Die verstossene Woche hat auf zwei Seilen dieses Schauspiel entstehen lassen. Eugen Richter hat in Westfalen bekundet: „So lange Bismarck am Ruder war, wußte er diesen (heule tobenden) Jnteressenkampf in den Grenzen zu halten; jetzt ist er überall entbrannt." Dieses Wort verliert nicht, sondern gewinnt an Bedeutung durch den Umstand, daß der Redner, wie aus der ihm ergebenen Presse bcrvorgeht, cS „im Busen gern bewahrt" hätte. Der glück licherweise mißlungene Vcrsuck, das Urtheil der Mitwelt vor zuenthalten, bezeugt, daß der Demokrat die Kraft der ihm in einem unbewachten Augenblick entschlüpften Wahrheit und den furchtbaren Conlrast erkannt bat, in dem sie zu derGrtlärung steht, mit welcher die freisinnigeBolkspartei dieWeigerung, den Fürsten Bismarck zum 80. Geburtstag zu beglückwünschen, begründet hat. Dort wurde gesagt: „Insbesondere hat Fürst Bismarck im letzten Abschnitt seiner amtlichen Wirksamkeit jene die Volkseinheit zersetzenden Jnteressenkämpfe entzündet und geschürt, welche u. s. w." Herr Richter hat sich in Iser lohn eine Waffe zerbrochen, die zwar längst stumpf und rostig geworden war, aber immer noch geschwungen wurde. Eine andere, ebenso beschaffene, aber gleich falls noch gelegentlich gegen den Mann in Friedrichs- ruh gezückte Waffe bat ein Franzose in dem Ehrensaal unseres ersten Kanzlers aufgchäugl. Man Hal, und nicht nur in den Kreisen der entschiedensten Gegner BiSmarck's, dessen Verfahren gegen Harry von Arnim als einen Ausfluß der gewaltthätigen Natur deS Fürsten zu bezeichnen beliebt. Jetzt wird von Frankreich her bezeugt, daß er in jenem erregenden Kampf nicht nur der Anwalt der amtlichen Correct- heit und der deutschen Interessen, sondern auch der des europä scheu Friedens gewesen ist. Unmittelbar vor dem Beginn de« nationalliberalen Partei tages bat im freisinnigen Lager ein Streit angehoben, der wie die Beziehungen der beiden freisinnigen Fraktionen zu einander so auch die Bestrebungen beleuchtet, die sich an der Peripherie unserer Partei zu Gunsten einer „Annäherung" an die „Linke" kürzlich geltend gemacht haben. Die „Freisinnige Zeitung" deckt Machenschaften des rührigsten Eommis des Manchesterthums auf, dahin abzielend, Mitglieder der freisinnigen Volkspartei unter der falschen Vorspiegelung, daß es sich um die Förderung gemeinsamer liberaler Inter essen handle, in die freisinnige Vereinigung zu ziehen. Die Art, wie Eugen Richter dem ihm politisch doch immer weit näher als irgend ein Nationalliberaler stehenden Herrn Pach- nicke das Handwerk legt, zeigt einmal die vollständige Hin- sälllichkeit der gemachten Versuche, ein „Cartell" zwischen Nationalliberalen und den beiden freisinnigen Fraktionen als möglich und politisch nützlich hinzustellen. Sie zeigt weiter, daß hinter Allem, was in neuester Zeit zu Gunsten einer Vermischung von gemäßigtem Liberalismus, Demokratie und Eobdenismus unternommen wurde, der — trotz des AbleugnenS — in der freisinnigen Vereinigung politisch verkörperte „Schutz verband zur Abwehr agrarischer Uebergriffe" mit seinen ver rotteten wirthschaftlichen Ideen und seiner Neigung, die Demagogie des Antisemitismus und deS extremsten Agrarier- thums zu übertrumpfen, als Drahtzieher steht. Freilich thut sich bei jeder Lebensäußerung dieser Richtung zugleich ihre Kraftlosigkeit kund. In sich vollständig ohnmächtig, erlebt sie regelmäßig ein FiaSco, wenn sie, sei es links bei der Volkspartei, sei eS rechts bei den Nationalliberalen, Kräftezuwachs sucht. Der von uns bisher nicht erwähnte Vorschlag, dem Vor dringen des PolenthumS durch Auftheilung der Provinz Posen Abbruch zu thun, bat nirgends Anklang gefunden. Sehr begreiflich, denn er bezeichnet ein mechanisches Mittel, während es in der Polenpolitik auf den Geist der Ver waltung ankommt, das ein dem Deutsckthum förderliches bei der jetzigen Provinzialeintheilung sein könnte und eS bei der vorgeschlagenen nicht sein müßte. Die Zarenlage in Paris. n. 6. Paris, 2. Oktober. Nur noch drei Tage trennen uns von dem großen Ereigniß deS Zarenbesuches, das Wetter ist prachtvoll geworden, di« Vorbereitungen sind fast beendet: das Fest wird also ganz in dem von den Franzosen ge wünschten Umfange und Glanze verlaufen. Da ist es Wohl an der Zeit, den satirischen Ton einmal aufzugeben — Ursache, ihn anzuwenden, war ja allerdings genügend vor banden — und die Thatsachen etwas ernster ins Auge zu fassen. Was werden die nächsten Tage uns bringen? Wir Deutschen in Paris glauben alle an die redlichen Friedens absichten deS Zaren. Daran haben auch die verbältnißmäßig kühlen Worte in BreSlau nichts zu ändern vermocht, denn wir haben die unerschütterliche Zuversicht, daß unser Kaiser sicherlich nicht einen so warmen Ton angeschlagen haben würde, hätte er nicht von der anderen Seite ein sicheres Unterpfand für die friedlichen Tendenzen der russischen Politik dem Dreibund gegenüber erkalten. Eine andere Frage ist es natürlich, ob der thalsächlicke Erfolg der Zaren reise den Intentionen des Gastes entspricht. Gestern noch schrieb Leroy Beaulieu, daß die Zarenreise als ein schweigendes Einverständniß mit den (der Nevancheidee nicht förderlichen) Verträgen zu betrachten fei. „Das ist ein Punkt, über den wir Franzosen nicht die geringste Illusion begen dürfen." Allein, was helfen diese vereinzelten Stimmen? Die Illu sionen sind einmal da und lassen sich nicht so leicht ausrotten. Trotzdem glaube ich, darf man nickt zu schwarz sehen. Die Hauptmasse der Franzosen denkt fick bei den b^tes srunco-rusbes überhaupt nickt sehr viel. Die will sick amüsiren, amüsiren um jeden Preis. Ich bekam davon gestern einen Begriff. Eine Menge Menschen wartete auf die Ankunft eines Bataillons Turcos und vertrieb sich die Zeit mit aller hand Anulkungen von Passanten. Als die Truppen dann endlich anlangten, war der Jubel, mit dem man sie begrüßte, weit geringer als der, mit dem man vorher einen überfüllten Omnibus oder einen dicken Droschkenkutscher empfangen hatte. Zielbewußter Patriotismus hatte also diese Leute nicht herbeigetrieben. Unter den Anderen aber, unter denen, die manchmal auch ein wenig Gebrauch von ihrem Gehirn machen, wird die Zahl derer mit jedem Tatze größer, welche mit unverhohlenem Aerger auf die große Zahl der glänzenden Veranstaltungen sehen, bei denen für sie nichts abfällt oder für die Revanche nichts herauSkommt und die unerwünschte Vergleiche zwischen den ausgegebenen sieben bis acht Millionen und dem zu erwartenden Ergebniß ziehen. Wenn der Zar erst fort ist, dann giebtS eine „Revolution", hörte ich gestern einen biederen Arbeiter sagen. Ueber die Zeitungen ist bis jetzt im Allgemeinen nichtzu klagen. Natürlich ist den FriedenShymnen nicht zu trauen, die sie beinabe jeden Tag anstimmen, denn für jeden echten Franzosen ist der Begriff Frieden unzertrennlich mit dem einer Revision des Frankfurter Vertrage-; allein der Ton gegen Deutschland ist leidlich anständig, und daS ist immerhin anzuerkennen. Selbst Leute wie Milleroye in seiner „Patrie" halten ein gewisse« Maß ein. Natürlich fehlt eS nicht an unrühmlichen Ausnahmen. So spielen in einigen Trutzliedern, die auf den Straßen verkauft werden, die „schurkischen Germanen", die „schwarzen Horden" von jenseits des Rheins eine große Rolle. Rochefort'« „Intransigeant", der schon einige Vorstöße gemacht hatte, aber sonst sich dock lieber „FeliSque I., König von Frankreich" oder „Herrn Hanotaux auS Kiel" zum Ziel seiner Angriffe wählt, stimmte gestern voll und ganz in diesen Chor mit ein. Von einer systematischen Hetze, wie sie einige deutsche Blätter erwarteten, kann aber keines wegs die Rede sein. Die Socialdemokraten waren bekanntlich bisher sehr rubig gewesen. Von den sämmtlichen Stadträlhen batten ja auch nur zwei einen schwachen Versuch gemacht, gegen den Zarenempjang zu prolestiren. Heute endlich bat sich ein ziel- bewußkes Comitö dazu ausgerafft, durch Maueranschläge seine unentwegt revolutionäre, antityranniscke Gesinnung kundzugeben, „in dem Augenblicke, in welchem die so genannte gemäßigte Negierung, wo die rückschrittleriscken und die bürgerlichen Parteien vor dem Zaren auf den Knien rutschen, alle republikanische und nationale Würde vergessen und in seiner Person den CäsariSmnS, den Militarismus und die Reaktion feiern." Der Aufruf kommt etwas spät und wird nicht viel Erfolg haben. Bezeichnenderweise befindet sich auf ihm der Name eines Mannes, der im Stadtrath für den festlicken Empfang gestimmt hat. Wirkliche Besorgnisse hegen wir in Paris also nicht, aber etwas ernst und erwartungsvoll ist, wie gesagt, die Stimmung. Um so ungetrübter ist unsere Freude aus die Ereignisse nach her. Am 9. Oktober verläßt Nicolaus II. den französischen Boden, am 27. treten die Kammern wieder zusammen. Dann wirds lustig. DaS Ministerium bat schon so viel auf dem Kerbholz, daß der vierte Tbeil zu seinem Sturze hinreicken würde. Ungewiß ist nur noch, worüber man eS fallen lassen wird. Am größten ist natürlich die Wuth der Abgeordneten über ihre Hintansetzung bei den jetzigen Festlichkeiten. Zuerst batte man z. B. an sie bei den Galavorstellungen überhaupt nicht gedacht. Dann wollte man ibnen je 200 Plätze einräumen, machte aber gleich wieder bedeutende Abstriche. Die Herren können nun die Billets auSloosen. Man fragt sich erstaunt, warum für sie nicht mehr Platz da ist, wer denn vor den Ver tretern deS souverainen Volkes den Vorrang hat? Wer ^ariS kennt, weiß daS;' aber man sagt so etwas nicht gern iut. „Wenn man Gäste zum Diner hat, zeigt man ihnen nicht die — Küche." So erklärte der humorvolle Zeichner Earan d'Ache die merkwürdige Behandlung der Abgeordneten. Indeß vielleicht meinen die künftigen Ministerstürzer, daß eS zu sehr wie persönliche Rache aussehen würde, wenn sie darüber das Ministerium fallen ließen und suchen sich etwas Anderes aus. Es giebt ja so viele schöne Fragen, z. B. Madagaskar, von wo immer bedenk lichere Nachrichten kommen. Zur Sprache aber wird sicher Alles gebracht werden. Und der arme Präsident-Soleil mit seinen angeblich monarchischen Gelüsten, seinen Wappen und seiner Badestubr im Eisenbahnzuge wird nicht am besten wegkommen. Schwarzsehende Auguren wollen wissen, daß trotz alles republikanischen Geschreies daS bleibende Endergebniß des Zarentaumels eine Zunahme deS schon längst zu Tage ge tretenen Geschmacks an der Monarchie sein werde. Im Hofe deS Garde-Meuble hört man in diesen Tagen gelegentlich schallende Rufe: „Vivs I'Lmperonr!« Das gilt den Pferden, die für die Equipatze des Präsidenten der Republik bestimmt sind und an den Lärm der Menge ge- wöbnt werden sollen. Das ist sehr gut so. Nur macht der „Intransigeant" auf die Gefahren der befolgten Methode aufmerksam. Die Pferde werben sich langsam daran ge wöhnen, „Vivs l'Lwpereuirufen zu hören. Wenn aber in diesen Festtagen sich Jemand daran erinnern sollte, daß Frankreich eigentlich eine Republik ist (eS ist allerdings sehr unwahrscheinlich, baß sich so ein sonderbarer Kauz findet), und wenn eS diesem Manne dann einfallen sollte, „Vivs la RSpublique!" zu rufen, so könnten die Pferde leicht scheu werden . . ." Deutsches Reich. Berlin, 3. Oktober. Die freisinnige, demokratische und socialdemokratische Presse, welche in finanzpolitischen Fragen dem Stern Eugen Nickter'S folgt, ist merkwürdig schweigsam betreffs des August-Ausweises über die Reicks einnahmen. Wir vermissen vollständig die — man kann fast sagen: Gott sei Dank — üblich gewordenen Auslassungen in dieser Presse über die „fortschreitende Besserung" der Reichsfinanzen und die daraus gezogenen Schlüsse für die Finanz- und Steuerpolitik im Reiche. Ein Blick auf die Zahlen des August - Ausweises läßt die Ursache dieser Sckweigsamkeit erkennen. Während die Monate des laufenden Finanzjahres vor dem August im Durchschnitt eine Steigerung der Einnahmen auS den Zöllen und Ver brauchssteuern um je 4,5 Millionen Mark im Vergleich zum Vorjahr brachten, weist der Monat August nicht nur keine Steigerung, sondern sogar eine Minderung des bisherigen Ueberschusses um nicht weniger als rund 800 000 auf. Ten Hauptantbeil an diesem Ausfall bat die Zuckersteuer, bei welcher das bisherige Plus von 4,4 Millionen Mark sich im August um 2,1 Millionen Mark verringert hat. Die Maisch bottich- und Branntweinmaterialsteuer bat ihr Minus um 46l 000 vergrößert; bei der Brennsteuer ist daS bisherige Mehr um 220000 bei der Brausteuer um 30 000 zurück gegangen. Dieser Ausfall würde, da die Verbrauchsabgabe am Branntwein und der Zuschlag zu derselben eine Mehr einnahme von 1,4 Millionen Mark und außerdem die Tabak steuer ein Plus von 17 000 die Salrsteuer ein solckcs von 156 000 auswcist, von keiner so großen Bedeutung gewesen sein, wenn die Einnahmen aus den Zöllen die bisherige Aufwärts bewegung beibehalten hätten. Die Zölle allein hatten durch schnittlich in jedem der ersten vier Monate des Finanzjahres einen Mehrertrag von rund 3 Millionen Mark im Ver gleich zu dem Vorjahre geliefert. Im Monat August betrug das Plus aber nur 382 000 Wir sind weit davon ent fernt, daS Manco von 2,6 Millionen Mark zu Schlüffen auf die Zukunft zu verwerthen; wir beschränken uns mit einem aber maligen Hinweise auf die Unsicherheit deS bedeutendsten Fac- tors in der Einnabmereckoung des Reiches und ded Warnung - vor voreiliger Berechnungen, die sick in erster Linie geradeaus diesen Factor stützen. Der jetzige Stillstand in der Auf wärtsbewegung der Zolleinnahmen dürfte sich schon im Septemberausweis in einen tatsächlichen Rückgang ver wandeln, da die Anschreibungen bei den Zöllen, deren Stand sich bekanntlich bei den Zsteinnahmen der nächsten Monate von Einfluß erweist, Ende August nicht nur hinter den Isteinnahmen dieses Monats, sondern auch hinter den jenigen des Juli zurückgeblieben sind. Was die übrigen Reichseinnahmen anlangt, so zeigt der August hier keine große Veränderung. Die Einnahmen auS den Stempelsteuern für Wertpapiere befinden sich nach wie vor im Aufsteigen, während die Einnahmen aus den Kauf- und Anschaffungsgeschäften hartnäckig im Zurückzehen begriffen sind. Die Privatlotterien haben eine kleine Verringerung ihre« bisherigen Mehr zu verzeichnen, während sick das Plus bei den Staatslotterien in ein Minus verwandelt hat. Spiel kartenstempel und Wechselstempel haben ihr bisheriges Plus vermehrt, die Post- und Telegraphenverwaltung hat ein starkes Steigen der Einnahmen zu verzeichnen; auch die Reichseisenbahneinnahmen sind in der Zunahme begriffen. lü Berlin, 3. Oktober. Die Benutzung der soci al- demokratischen Parteicasse bei größeren Streiks hat schon mannigfach auf Widerspruch tzestoßen, und in der Regel wurde sie dann in solchen Fällen in Anspruch genommen, wenn es bereits zweifellos war, daß die streikende Gewerk schaft unterliegen müsse. Wir erinnern nur an den Streik der deutschen Buchdrucker vom Jahre 1889 und den Ausstand der Berliner Brauer und Böttcher vom Jahre 1894. Und solche im Kampfe mit den Arbeitgebern unterlegene Ferrrlletsn. Heinrich von Treitschke als Dichter. kV ö. Mit Heinrich von Treitschke ist derjenige deutsche Historiker von unS' geschieden, der in seiner DarstellungS- weise das Höchste erreicht hat, was überhaupt mit den Mitteln unserer Sprache erreichbar scheint. Fragen wir nach den Elementen, aus denen dieser glänzende Stil sick ergab, so wird immer in erster Linie auf die grandiose Persönlichkeit hinzuweisen sein, die in Treitschke'« Dar stellung nach Ausdruck ringt und mit einem so sicheren Glück und oft so packender Gewalt auch Ausdruck findet, daß wir in den Worten den Mann, den ganzen Mann mit seinem hohen Gedankenflug und seinem starken, warmen Herzen zu haben wähnen. Wa« das rein Formale seines Stil« be- triflt, so verräth es auf jeder Seite seiner Schriften den Dick ter. Siegreich brechen in seinen geschichtlichen Schilde rungen immer und immer wieder Klänge unverfälschter Lyrik durch, und fast etwas oft reiben sich seine Worte in einer rein poetischen Folge. Man vergleiche etwa seine Darstellung der Schlacht von Belle-Alliance mit der in ihrer Art nicht minder klassischen Darstellung, die Sybel von der so ähnlich verlaufenden Schlacht von Koniggrätz giebt, und man greift mit eins die durch und durch dichterische Eigenart Treitschke'«: nur einem Dichter gelingen so jubelnde Schlackt-Dithvrainben. Zu den glänzendsten Aufsätzen, die Treitschke geschrieben, zählen meine« Erachten« die Beiträge zur Geschichte de« deutschen Dramas, die Charakterbilder, die er von Milton und Byron und von dem schwäbischen Uhland zeichnet. Wer dichterische Eigenart so fein zu würdigen versteht, wer da« stille, verborgene Keimen de« Genie« so zu belauschen vermag, wer so auch den abstoßenden Zügen eine« kämpfenden Dichtergeiste« gerecht wird, wie da« Treitschke bei Heinrich von Kleist, bei Lord Byron gelingt, ja, der bat eben selbst den Kampf de« werdenden Dichter« an sich erlebt. Auch in seiner deutschen Geschichte sind die Abschnitte über unsere Dichter von ganz besonder« reifer Schönheit. In der Tbat, Treitschke ist Dichter, berufsmäßiger Dichter gewesen. Wir besitzen von ihm 2 Bändchen jugendlicher Poesie, da« eine, vom Jahre 1856, trägt den Titel „Vater ländische Gedichte", da« zweite, im Jahre 1857 herauS- gegebene, bezeichnete er al« „Studien". Wir geben den vaterländischen Gedichten den Vorzug. „Ein wahres Dichter- gemüth kann nie etwa- Andere« wiederspiegeln al« die Ideen seiner Zeit", hat Treitschke in feinem Aufsatz über Byron gelehrt: die Ideen der 50er Jahre sprechen packend zu uns auS den vaterländischen Gedichten. Der grimmige Zorn deS enttäuschten Patrioten macht sick in trutzigen Weisen Luft. Nicht matte« Verzagen ist die Sache diese« jungen Dichter«; Niemand hat nach Treitschke ein Recht, an seinem Volke zu verzweifeln. Unter allem Druck jener Jahre blieb er bofs- nungSstark und zuversicktlich, ein Seher und Prophet auf die große Zeit unsere« Volke«, die er mit ganzer Seele glaubte. Man wähne nicht, daß er in seinem enthusiastischen Wesen die ganze Tiefe unserer Schmach nur halb ermessen. Nein, unbarmherzig hat er sie ergründet. Sein Lied, „Der Wahn de« Kranken", giebt un« davon Zeugniß. Der Kranke, den er meint, da« ist der Deutsche, der über da« bankerotte Polenthum sich entrüstet. Ein Freund hält ihm entgegen, daß e« mit Deutschland um kein Haar besser stehe. Da fuhr ich aus: „Willst du mit un« vergleichen Die- Brttlrrvolk, dir« todt«, hetmathlose? — O, sie umher in unfern gold'nrn Reichen" . . . „„Ich sah mich uml Ja, von dem Mutterschoße Der Hetmatherde sind wir nicht vertrieben, Zum Mind'sten noch nicht alle. Manch' ein Thril De« heil'gen Reiche« ist un« noch verblieben. Noch sind nicht all« deutsch« Gauen feil De« Fremden beutegi«rig«m verlang«,. Was Hilst'«? Nicht reicher Felder üppig Prangen, Nicht hoher Städt« Glanz, nicht stark« He«rr — Was Völker bildet, ist allein di« Ehr«!"" Für die bedrückende Dürftigkeit der Geaenwart suckt der jung« Treitschke Trost in Deutschland« großer Vrrgangenheit. Mit auSgesprockrnrr Vorliebe versenkt er sich in die Zeiten der mächtigen Hansa; der trutzige Kampf der Stedinger bietet ihm Erbauung, die kühne Entdeckung«- und Eroberungsfahrt eine« Ambrosius Dalfinger könnte ihn im Innersten erquicken — wenn die Gegenwart daneben nicht gar so kläglich erschiene. Nachdem er geschildert, wie jener Augsburger Columbus die Küste Venezuelas für das Haus Welser erobert (1529—35), schließt sein Sang mit den schmerzlichen Versen: O Bild de« Stolze« und der Herrlichkeit! An deinem Zauber häng' ich allezeit — Gleichwie ein Jüngling an der Liebsten Bahre Den Wehtrank leeret, den kein Gott versüßt, Und doch noch spielt mit ihrem gold'nrn Haar« Und ihres Busen- weiße Wölbung küßt, Sich jung zu lügen die verlornen Wonnen Der arme Thor! Nur härter wird sein Leid, Wenn ihm der kurze schöne Traum zerronnen. — So wird auch uns der Blick in jene Zeit Zum Spotte nur. Der alten Tage Ruhm Ist un- kein theuer traute- Eigenthum. Da- ist der Fluch, den kranke Völker tragen: Ihr lichter Ruhm selbst wird rin Quell der Klagen! Die ganze Höhe de« Prophetenthum« ersteigt sein Lied in der „Klage"; die FrühlingSahnung, welche in den 50 er Jahren trotz alle und alledem durch die deutschen Herzen ging, bringt sie zu packendstem Ausdruck. Der Dichter frrut sich all der gährendrn Unruhe, deS stürmischen Lärmen« jener Tage; „wie sich des Winter« Weh nicht wendet, wenn nicht die Winds braut tobt und schnaubt". So wird den Völkern Macht und Größe Nicht wie ein leichte- Zauberspiel. Dir nicht geseufzt in Noth und Blöße, Erreichten nie da« hohe Zi«l l Wohl sind wir hundertmal geschlagen, Wohl mißten wir manch goldnrn Preis, Wohl stehen wir, wenn dir Völker tagen, Die Traurigsten im hohen Krrt«. Kein Volk hat solch« Schmach empfunden, Da- nicht im jähen Tod zerbrach; Wir rangen un- au- TodrSwunden Zu ewig neuem Ringen wach! Und hoffend singen Banernlirder Und hoffend sagt der Weisen Spruch: „Einst kehrt die alte Größe wieder, Erlöset von dem Kaiserfluch!" — Kein Feind, kein Brandmal könnt' uns rauben Tie feste Glaubenszuversicht: Noch log dem treuen Bölkerglauben Drr treue Gott de- Himmels nicht! Sie kommen noch, die gold'nrn Tage, Die wir in Zorn und Gram ersehnt, Wo nur wie eine finst'rr Woge Die Mär der deutschen Schande tönt. Und ernten auch erst ferne Zeiten DaS Glück, von un- gesäet schon: Die wir im rechten Kampfe streiten, Wir fragen nicht nach unserm Lohn. Wohl herrlich ist'- am warmen Frieden Sich weiden, an des Siege» Lust: — Dem Kämpfer auch ist Heil beschiedrn, Drr Frieden in der braven Brust. Während in den vaterländischen Gedichten das epische Element vorherrscht, bieten die „Studien" vom Jahre 1857 fast ausschließlich lyrische Stimmungsbilder. Sie eröffnen einen Einblick in da« jugendliche Stürmen und Drängen dieser vollsaftigrn Kraftnatur. In seinem Aufsatz über Milton steht da« Bckenntniß: „Wenn ander« die Proteu«- Natur, die Gabe mit tausend Zungen zu reden, eine wesent liche Dichtertugend bleibt, so muß ein junger Künstler da« Liebliche, da« Lockende der Sünde, die Gebrechlichkeit der Welt und die Verzweiflung aller Creatur sehr tief uno stark empfunden haben. Denn wir mag er da« Leben in der ganzen Fülle seiner Pracht und seiner Widersprüche dar stellen, wenn er nicht schrecklich im Innersten die gemeinen Kämpfe der Menschheit durchgefochten hat?" Da« sind im wesentlichen dir Tone, welche in den „Studien" angeschlagen werden. Kraft und Gluth ist in jeder Empfindung diese« jungen Sänger«, Feuer in seiner Liebe wie in seinem Haß, die Leidenschaft ist sein LebenSelrment. Seine Lyrik bat nickt« Tändelnde«, den leichten Sckerz kennt sie kaum, pathetisch wuchtig steigt sie einher auf hohem Kothurn. Der schwer- müthige Ton gelingt ihr am besten, für die Tragik im Dasein hat sie das feinste Gerständniß. So singt sie ergreifend dal
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