Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961008018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-08
- Monat1896-10
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS'PretS i» d«r Ha»ptrxpedttto» od«r de» im Gt«dt- bisirk L»d den Vororten errichteten Au», aadestrllen abgebolt: vierteljährlich ^14.50; bei »weimaliger täglicher Zustellung in» Hau» » 5^0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel;ährltch . Dirrtt« täglich« Kreuzbandiendua, in» Ausland: monatlich ^il 7L0. Di« Morgen-D-Sgabe erscheint «m '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. »i Redaktion und Lrveditiou: Aotzanne»gafie 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen »«^kntt von früh 8 bis «bends 7 Uhr. Filialen: ttt» Kkemm'S Cortim. (Alfred Hahn). Uviversitätsstraße 3 (Paultnum), LoniS Lösche. Katbannenllr. 14, vcirt. und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. MpMer Tagtblall Anzeiger. NmtsVkatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. AnzeigemPrei- die 6 gespaltene Petitzelle LV Psg. Nrclameu unter dem Redactionsstrich (4ae- fpalten) 50-«Z, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffern satz »ach höher«« Laris. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördekung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschtnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhu Bei den Filialen und Annahmestelle» je eiu« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expeditinn zu richten. ' x„v - > - Druck und Verlag von E. Volz in Lelvzkg 513. Donnerstag den 8. October 1896. Sü. Jahrgang. Die Zarenlage in Paris. IV. 6. Paris, den 6. Oktober. Fast sammtliche Abendzeitungen trugen gestern in riesigen Lettern an ihrer Spitze die Aufschrift: Ankunft in Cherbourg. Wettrraussichten für morgen. Wetteraussichten! Ich glaube, daS zog die Käufer am allermeisten. Wie wird der Himmel auSseben! DaS meteorologische Bureau äußerte sich sehr pessimistisch: Stürmisches Wetter. Nordwestwind und Regen. Zeitweise Aufklärung wahrscheinlich. Man klammerte sich an die letzten Worte, aber auch sie spendeten nur ge ringen Trost. Allein schon gegen Mitternacht funkelten glückverheißend die Sterne am Himmel, und heute Morgen wurden wir vom herrlichsten Sonnenschein geweckt. Windig und staubig istS zwar noch immer, doch daS vermag den Jubel nickt zu beeinträchtigen. Die Pariser sind im Allgemeinen keine Frühaufsteher, aber beute war schon ganz zeitig Alles auf den Beinen. Fast sammtliche Geschäfte sind geschlossen, die Bureaus sind zu, die Jugend bat keine Schule, Alles feiert. Selbst die Be amten der Pferdebahnen und Omnibusse haben von 6 Uhr an frei. Nur die Polizisten, die Kellner und — die Jour nalisten machen eine Ausnahme; sie haben doppelten und dreifachen Dienst. Auch die Gerichtsdiener, so hieß es vor einigen Tagen in den Zeitungen, hätten keinen Feiertag. In der neunten Stunde etwa batte die Fluth der Völker wanderung ihren Höbepunct erreicht. Die Straßen, die nach den Champs Elysöes hinfübren, waren wie von Ameisenhaufen besetzt. Niemals sind wohl so viele Menschen zu einem Feste vereinigt gewesen. Zehntausende bat man wohl gesehen, auch Hunderttausende, aber nicht Millionen. In Wien und Breslau war eS die Bevölkerung einer Stadt, die den Zaren empfing, hier ist es eine Nation. Am größten war der Zusammenfluß auf dem klack sie la Loucorcke. Das Aufstellen vor Gerüsten, das Vermietben von Leitern und Stühlen batte man bekanntlich streng untersagt, aber den einzelnen Leuten hatte man eS nicht verbieten können, von zu Hause Schemel und Klappsitze mitzubringen. WaS irgendwie als Sitz dienen konnte, wurde dazu benutzt. Den wunderlichsten. Anblick gewährten die Statuen Vkr fran'Mffhnr"M8dte. Auf ihren Sockeln nicht nur, nein auf ihren Füßen, auf den Beinen, auf den Armen, überall standen oder saßen erwartungs volle Menschen. Sogar auf dem Kopfe der „Metz" saß breitbeinig ein wagelustiger Geselle. Durch die Champs Elysöes zu geben, war geradezu lebensgefährlich. Auf allen Bäumen bockten schwarze Gestalten, in allen Aesten und Zweigen knackte eS, so daß man jeden Augenblick befürchten mußte, so ein menschenbeschwertes Stück Baum auf den Schädel zu bekommen. Auch auf den leichten Holzbauten der Kuchenverkäufer war buchstäblich kein Fußbreit Raum un besetzt. Unglücksfälle waren so unvermeidlich. Glücklicher weise soll indessen nicht viel Ernsteres vorgekommen sein. Uebrigens war die Haltung des PublicumS im Allgemeinen musterhaft; von ungestümem rücksichtslosen Drängen habe ich so gut wie nichts bemerkt, obwohl oder vielleicht auch weil die Schutzleute sich nicht darum kümmern tonnten. Deren Hauptaufgabe war, für die Sicherheit deS Zaren zu sorgen. Man hatte nämlich geglaubt, daß die dichte Kette der Soldaten immer noch keinen genügenden Schutz gewähren würde, und deshalb hinter ihnen eine zweite Reihe von Polizisten aufgestellt, die mit dem Rücken nach der Straße auf jede verdächtige Bewegung unter der Menge zu achten hatten. Wieviele von den Millionen Zuschauern mögen Wohl bei derartig umfassenden SicherheilSmaßrezel mehr als ein paar flatternde Helmbüsche oder weiße Turbane gesehen haben; abgesehen natürlich von den verhältnißmäßig wenigen Bevorzugten, die für die drei großen Tribünen Einladungskarten bekommen hatten. Bei läufig erwähnt, soll mit diesen Karten starker Mißbrauch getrieben worden sein. Während Leute, an die man zu allererst hätte denken sollen, vergebens Alles aufgeboten haben, um eine Einladung zu erlangen, soll eine ganze Anzahl Karten in den großen Hotels für einige Hunvert- frankensckeine jedem Unberufenen zugänglich gewesen sein. — Das Publicum schien es übrigens gar nicht weiter übel zu nehmen, daß man ihm jede Aussicht versperrte. Den Zaren konnte man schon später noch sehen, hier galt eS nur, mit dabei gewesen zu sein. Man amüsirte sich köstlich über die faulen Witze der Gassenjungen oder über einige hilflose Gestalten, die nicht auf die Bäume hinauf oder nicht wieder herunter kommen konnten. Erst als gegen zehn Uhr Kanonen schüße die Ankunft des Zaren verkündeten, wurde die Stimmung etwa- aufgeregter. DaS Erscheinen deS Zaren selbst brachte eigentlich eine kleine Enttäuschung. Man hatte etwas ganz Außer ordentliches erwartet, einen frenetischen Jubel, wie er noch nie dagewesen Ware. Allein es war so, wie «S eigentlich immer und überall zugrgangen ist. Man Höri ein undeutliche- Brausen, daS naher und näher kommt, dann ein Stimmengewirr, auS dem kaum einzelne Rufe sich ab heben, die Hüte werden gelüftet, und Alles ist vorbei. Jeder siebt so schnell wie möglich davonzukommcn, um noch ein Plätzchen für sein Frühstück in den überfüllten Restaurants zu erlangen. Soll ich die Leser wirklich von dem „freudig bewegten Gesicht" des Zaren oder dem „holdseligen Lächeln" der Zarin unterhalten? DaS Gefolge war wirklich sehenS- werth; vor Allem natürlich die braunen Gesellen mit ihren wehenden Mänteln. Eine besondere Ovation wurde den „KaibS" zu Theil, die auf ihren prächtigen Gäulen famo- aussaben. Al« ich r/,12 Uhr an der Madeleine vorbeikam, war ihre Treppe immer noch von dem dichten Menscheuschwarm besetzt, der schon am frühen Morgen den Platz genommen hatte. Von dem Einzug hatten die Leute natürlich nichts gesehen; nur warteten sie geduldig bis i/,Z Uhr, wenn der Zar nach der Kirche führe. » Jetzt hat sich die Spannung etwa» gelöst. In der Näh« de» ElysseS ist zwar schovlwieder eine ungeheure Menschen menge angesammelt, aber K i Weitem daS meist« Bolk strömt ruhig durch die Straßen find staut sich nur da, wo die Marseillaise oder die russisiste Hymne gespielt wird. Die heutigen Morgenzeitungen begnügen sich meist mit schlichten Berichten vom gestrigen Tage. Begeistert ist man von der Zarin, die ja gesagt haben soll: Ich lege zu viel Werth darauf, ein französisches Schiff zu betreten, nm auf dieses Vergnügen zu verzichten. Mit dem Toaste des Zaren scheint man nickt so zufrieden zu sein. Ich schließe das daraus, daß ein Blatt seinen Lesern erzählt, der Zar hätte seine Gefühle so rückhaltlos kundgegeben, daß man aus poli tischen Gründen den Toast wesentlich geändert hätte. Das Zarenpaar in Paris. * Paris, 7. Oktober. (Telegramm.) Präsident Faure traf heute Bormittag kurz nach 9V, Uhr in der russischen Bot schaft ein. Bald darauf begab sich das Kaiserpaar und Präsident^F a u r e im offenen Wagen, von einer Schwadron Kürassiere geleitet, nach der N o tre-D a m e-K i r ch e. Auf dem ganzen Wege war eine zahlreiche Menschenmenge ver sammelt, die unausgesetzt „Es lebe der Kaiser, es lebe die Kaiserin" rief. Um 10 Uhr traf der Zug an der Notre-Dame-Kirche ein, von wo sich der Kaiser nach dem Justizpalast begeben wird. Das Wetter ist trübe. * Paris, 7. October. (Telegramm.) Um 10 Ubr Vor mittags trafen der Kaiser, die Kaiserin und der Präsident Faure in der Kirche Notre-Dame ein, wo sie von dem Erzbischof von Paris, Cardinal Richard, der von den Generalvicaren und den Mitgliedern des CapitelS umgeben war, sowie dem Justiz minister Darlan empfangen wurden. Unter der Führung des Erzbischof» besichtigten die Majestäten und Präsident Faure das Schiff und die Seitencapellen, sowie, nach kurzem Ber- weilen vor der Grabcapelle Pasteur's, den Kirchen schatz. Von der Kirche Notre-Dame begaben die Majestäten und der Präsident sich nach dem Justiz pal aste, wo sie von dem Justiz minister, der von den Mitgliedern des Appell- und de« Cassations- hofeS umgeben war, empfangen wurden, und dann nach der „Sainte Chapelle" des Justizpalastes, wo der Unterrichtsminister die Herrschaften empfing. Unter lebhaften ZurufeU de- Menge begaben die Majestäten sich hierauf nach dem Pantheon. Am Eingänge desselben empfing Unterrichtsminister Rambaud die russischen Majestäten und den Präsidenten Faure, die nach Be sichtigung der Fresken, welche die Wände des Monumentalbaues zieren, in die Gewölbe hinabstiegen, wo sie einen Augenblick vor dem Grabmal Cprnot'S verweilten. * Paris, 7. October. (Telegramm.) Um ll'/r Uhr trafen die russischen Majestäten im Jnvalidenhotel ein, wo sie von zahlreichen Generalen erwartet wurden. Nach Besichtigung des Grabdenkmals Napoleon'S I., vor welchem der Kaiser einen Augenblick still verweilte, stieg der Kaiser allein mit General Billot und einigen Officieren in die Krypta. Dann begaben sich die Herrschaften nach dem Lazareth, dem Speisesaal und dem Artillerie-Museum und verließen daS Gebäude durch den Ebrenhof, wo sich die Generäle und Invaliden aufgestellt hatten. Um Mittag kehrten die Majestäten zum Frühstück nach der russischen Botschaft zurück. In allen Straßen wurden dem Kaiserpaare von einer begeisterten Menge Huldigungen dargebracht. * Einer Schilderung d«r voraufgegangenea Veranstal tungen in der „Boss. Ztg." entnehmen wir das Folgende zur Ergänzung unserer eigenen Mitthetlungen: * Paris, 7. October. (Telegramm.) Die Begegnung des Zaren mit dem Parlament war das merkwürdigste Er- eigniß beim Besuche des Elyseepalastes. Die Volksvertreter waren im neu angebautcn Wintergarten aufgestellt, der für die Elyssebälle als Festsaal dient. Zweihundert Senatoren, dreihundert Abgeordnete batten der Einladung entsprochen; fast alle Parteien bis auf die Umsturzsocialisten waren vertreten. Der erste Eindruck, den der Zar von dieser fünfbnndertköpfigen Versammlung souverainer Volks vertreter mit ihren großen Abzeichen in Gold, Silber und Farbenschmelz im Knopfloch empfing, war sichtlich etnschüchternd,doch überwand er die Befangenheit rasch und gab sich einfach und herzlich. Die Vorsitzenden stellten einzelne Parlamentarier vor. Um keine Unzufriedenen zu machen, war die Einigung getroffen worden, nur ehemalige Minister zu nennen. Der Zar interrssirte sich persönlich an- scheinend hauptsächlich für ehemalige Minister deS Aeußern. Den Kriegs- und Marineminister Constant fragte er: „Wie lange sind Sie Minister gewesen?" — „Dreieinhalb Jahre, Majestät," war die Antwort. — „Ohl" bemerkte der Kaiser mit einem schalkhaften Lächeln, da« deutlich erkennen ließ, daß er mit der Häufigkeit des Wechsel» französischer Ministerien bekannt ist, „dreieinhalb Jahre, La- ist ja bemerkenSwerth, da- ist ja eine förmliche Regierung«dauer." Ribot begann feine Ansprache: „Ich hatte die Ehre, Minister de» Auswärtigen zn fein, al» di« Keime unserer (hier unterbrach er sich in der Besorgniß, ein unüberlegte- Wort zu gebrauchen und lenite rasch ein) al» große Dinge vorbereitet wurden." — „Richtig", gab der Zar zurück, „große Dinge; es waren große Dinge." Lockroy versicherte er, sein Name sei ihm wohlbekannt und seine Leitung des Marineministerium» nicht unbemerkt ge- blieben. — Frey ei» et beglückwünschte er zu den Diensten, die er seinem Vaterland« habe leisten können und zu seinem frischen Aussehen. — Auch mit Bourgeois und namentlich mit Dupuy unterhielt er sich etwa» länger. Dupuy sprach er anerkennend von der Festigkeit, die «r in schwierigen Verhältnisse» bekundet. Der Zar weilte reichlich eine halbe Stunde »»ter den Volksvertretern und wurde ganz vertrau lich. Sein Eindruck läßt sich daraus »rrathe», daß er plötzlich d«n Beschluß faßt«, din Borsitz«nd«n beider Kammer» «inen Besuch zu machen. Das war so völlig unvorhergesehen, daß Nikolaus H. beide nicht autraf. Sie machte» näm lich gerade der Katseri» auf d«r russischen Botschaft ihre Aufwartung. Der Zar ließ also bei Loubet und Brisson durch General d« Boi«drffrr seine Kart« ab ¬ geben. Da diese Abweichung von der Tagesordnung plötzlich er folgte, war keine Truppengeleitschast vorhanden; nur Boisdeffre befand sich an der Seite des Zaren, und es geschah, daß er drei Minuten allein im Wagen saß, als Boisdessre ihn verließ, um ins Haus zu treten. Die Menge erkannte ihn, umdrängte den Wagen ganz unmittelbar und jubelte ihm ihre Begeisterung gerade ins Gefickt. Boisdessre mußte bitten, ihn durchzulassen, als er wiederkam. Der Zar war aber durch diese allernächste Berührung mit dem Volke nicht beunruhigt oder ungehalten; er äußerte, er wünsche immer so durchParis zu fahren. Die Behörden bekamen aber einen großen Schrecken, als sie diesen Zwischenfall erfuhren, und sie werden dafür sorgen, Laß der Zar seine Geleitsreiter nie wieder unterwegs verliere. Kleine Züge, die in den vordersten Reihen der Menge bemerkt wurden, machen den Zaren den Parisern theuer. Beim Einzug hatte einer der zum Zarendienst befohlenen französischen Lsficiere, die der Kaisercarrosse unmittelbar folgten, mit seinem Gaule Schwierigkeiten. Er wurde bügellos und schien sich von dem bäumenden Thiere trennen zu sollen. Schließlich brachte er es indeß wieder auf die Beine nieder und gewann von Neuem festen Sitz. Der Zar hatte den Kopf gewendet und als der kleine Kampf mit dem Siege des Reiters endete, lächelte er diesem zu und winkte ihm mit der Hand. Die Bewegung entging der Menge nicht, die in donnerndes Händeklatschen ausbrach. Als der Zar Nachmittags das Elyssr verließ, stieg Boisdessre zu ihm in den Wagen; er wollte sich rückwärts setzen. Der Zar lud ihn aber mit einer huldvollen Handbcwegung ein, an seiner Linken Platz zu nehmen. Auch das wurde vom Volke beobachtet und erregte Jubel. — Zwischen 5 und '/-? Uhr empfing das Kaiserpaar Besucher. Bei der Zarin erschien u. A. Carnot's Wittwe, beim Zaren Graf Münster. Alle hier weilenden Prinzen Orleans schrieben sich beim Kaiser ein. — In der Oper erschien das ganze Theaterpersonal auf der Bühne in russischer Tracht und sang die Zarenhymne, die stehend vom Kaiserpaar angehört wurde. Im zweiten Zwischenact trat der Zar auf den BalcoU hinaus und sah minutenlang auf da- Menschen meer auf dem Platze hinunter, aus dem ihm betäubender Jubel entgegenbrauste. Der Zar verließ wegen großer Müdigkeit die Vor stellung vor dem Schluffe. Beifall hatte er kein einziges Mal zu erkennen gegeben, doch sagte er beim Weggehen den ihn begleiten den Operleitern schmeichelhafte Worte und verlieh ihnen den Annenorden in Brillanten. Es war Mitternacht, als er auf der Botschaft eintraf und sich zur Ruhe begeben konnte. — Die Beleuchtung der großen Boulevards, der Straßenzllge um Madeleine und Oper, des Concordienplahes, der Elysäischen Felder, des Trocadvro war feenhaft. In den Stadtgegenden dagegen, die den Zarenbesuch nicht erwarteten, blieb, von den Ver anstaltungen betriebsamer Kneipenwirlhe abgesehen, alles dunkel. Das Feuerwerk am Eiffelthurm war das Schönste, das ich jemals hier gesehen; die häufigen Feuerregen waren Vulcan- ausbrüchen vergleichbar, die Güsse flüssigen Feuers, die von den Plattformen deS Thurmes breitschäumend herabströmten, die Feuerraupen, die minutenlang still am Himmel hinsegelten, ohne zu 'erlöschen, die Gestalt deS ungeheuren RitterS Sanct Georg mit dem Drachen in bunten Feucrgarben, daS Auf glühen Les ThurMes zum Schluffe, entzückten die Menge aufs Höchste. Von unvergeßlicher Schönheit waren die blendend Hellen Lichtpfeiler und Lichtbogen, welche die Avenue des ChampS ElysöeS zu beiden Seiten der ganzen Länge nach ein- aßten. In jedem Bogen lohte ein krauser Flammenbusch; hohe frei brennende Gasstrahlen am Triumphbogen und eine nnge- heure Gassonne am Obelisk schlossen an beiden Enden dies« ungeheure Feuerarchitektur ab. Die Stimmung der Menge, die sich in allen Straßen erdrückte, war minder feierlich und getragen, als am Vormittag beim Einzug. Der Volkssestton war vorherrschend: die süße Gasscnjugend trieb mit Papier- ,ämpchen umbertobend ihren gewohnten Unfug; sie trugen klein« Fähnchen, gewisse Haltungen und Gesänge bezeugten starken Durst und besten auSgiebige Stillung. Die Polizei war Len ganzen Tag einfach erbärmlich. Der Zar, der dem Feuerwerk beiwohnen sollte, erschien nicht. E» scheint, daß der Zar sich infolge Uebrranstrengung unwohl fühlt, was auch durch sein fortdauernde» bleiche» Aussehen bestätigt wird. Pretzftimmen. * Paris, 7. October. (Telegramm.) Der „Figaro" sagt bei der Besprechung der gestern auSgetauschten Trinksprüche: „Die Verträge, welche diese entscheidenden Worte beweisen, sind also nunmehr auSgetauscht, und sie werden sich billiger Wrise durch die prächtige Truppenschau in Chalon» ergänzen; aber sie genügen für heute, und sie beweisen, daß Frankreich und Europa auf den Frieden zählen können." Da« „Journal" erklärt, der Trinkspruch des Zaren im ElysSe werde selbst den unruhigsten Gemüthern ihre Sicherheit wiedergeben. „Lanterne" schreibt: „Die Sprache de« Zaren ist von einer Art, die da« lebhafteste Vertrauen für die Zukunft erweckt." Der „Matiu" sagt: „Frankreich ist keineswegs augriff-lustig und beklagt immer noch im Stillen die Verluste de» Jahre» 1870, aber e» ist stark genug, von der Zukunft ein« Vergeltung kraft de» Bündnisse» mit Rußland zu erwarten. Der Zar dictirt der Welt seine» Willen, also sind auch wir zu dem Glaube» berechtigt, daß unser« begründeten Ansprüche fernerhin vor den Augen unserer Nachbarn nicht mehr al» trügerische und anmaßend» Hoffnungen gelten." „Siücle" hebt hervor, daß beide Trinksprüche die Worte enthalten: „die Bande, welch« un» vereinen". Dieser Austausch einer gewiß vorher studirten Wendung sei rin Beweis, daß zwischen den beiden Regierungen mehr besteh«, al« »ine natürliche Sympathie und mehr al» »in un- bestimmte» Einvernehmen. Allgemein erblicken die Blätter in den Trinksprüchen den Beweis dafür, daß in der That ein unbeding- t«» Einvernehmen zwischen den beiden Regierungen besteht. Deutsches Reich. * Leipzig, 7. October. Der Vorstand des Nation al- liberalen Landesvereins im Königreich Sachsen wird noch im Laufe dieses Monats seine Mitglieder zu einem Parteitage einladen, um über den Verlaus und die Ergebnisse des Berliner Delegirtentages zu berichten, sowie Organisations- und Agitationsfragen zu besprechen. Voraussichtlicher Versammlungsort ist Chemnitz. * Leipzig, 7. Oktober. Man schreibt uns: Unter den Theilnebmcrn an dem nationalliberalen Delegirten- tage ist sicherlich nicht ein einziger gewesen, der es nicht beklagte, daß die Verhandlungen ohne die Betheiligung des Herrn v. Bennigsen verlaufen wußten, der eS sicherlich verstanden haben würde, noch rascher die 8 ertreter ver schiedener wirthschaftspolitischer Anschauungen auf einer gemeinsamen Basis zu vereinigen. Um so auffallender ist es, daß die „Kreuzztg.", die durch diese Einigung ihre Hoffnung auf Adsprengung eines agrarischen Flügels von der nationalliberalen Partei getäuscht sieht, das Fernbleiben des Herrn v. Bennigsen tadelt und dem nationalliberalen Führer für dieses Fernbleiben das Motiv unterschiebt, er habe die Verantwortung für den Verlauf der Verhandlungen nicht auf sich nehmen und sich die Möglichkeit offen hallen wollen, eventuell zu sagen: „Ich war ja nicht dabei, laßt mich in Ruhe." Wer aber die „Kreuzztg." kennt, wird nicht im Zweis-l darüber sein können, daß dieses Blatt das Fernbleiben deS Herrn v. Bennigsen wirklich bedauert, viel tiefer, als die neue Kräftigung der nationalliberalen Partei. Herr v. Bennigsen bedarf wegen seiner Eigenschaft als Reichstags-Abgeordneter eine» langen Urlaubs; seine Eigenschaft al« Parteiführer bringt es mit sich, daß er seltener als andere Abgeordnete den Verhandlungen des Reichstags fern bleiben kann, um seine Berufspflichten zu erfüllen. Und je anstrengender diese in Verbindung mit seiner politischen Tbätigkeit sich gestalten, um so weniger kann er auf einen längeren Erholungs-Urlaub verzichlen. Wir wissen, daß seine Gegner wiederholt an geeigneter Stelle hierauf bin- gewiesen haben, um an dieser Stelle die Frage anzuregen, ob es im Interesse der Provinz Hannover angängig sei, dem Oberpräsidenten dieser Provinz die weitere Ausübung einer umfangreichen politischen Thätigkeit zu gestatten. Hätte er setzt, nach einer langen Reichstagssession und einem längeren Erholungs-Urlaube, nochmals um Urlaub gebeten, um an dem Delegirtentage theilzuncbmen, so hätten jene Gegner ganz gewiß nicht gesäumt, abermals gegen ihn zu intriguiren. Allem Anscheine nach erhofften sie auch einen günstigen Erfolg — der Groll der „Kreuzztg." über sein Fernbleiben zeigt zu deutlich, daß ihr die;e vorsichtige Zurückhaltung des nationalliberalen Parteiführers einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht bat. Herr v. Bennigsen kennt seine Pappenheimer; fällt ein Delegirtentag in die Tagung des Reichstags, so fehlt er auf dem Ersteren nicht, da er eines besonderen Urlaubes nicht bedarf. Aber seinen Gegnern willkommenen Anlaß zu Jntriguen dadurch zu geben, baß er öfter als absolut nöthig um Urlaub nachsucht, dazu ist er ein zu vorsichtiger und gewissenhafter Beamter und Parteiführer. Seine Parteigenossen haben daher alle Ursache, ihm dankbar dafür zu sein, daß er ihren Rufen nicht folgte. x. Berlin, 7. Oktober. Wir erfahren von wohlunter richteter Seite: In Dar-es-Salaam ist man, nachdem der verrätherische Häuptling Kwawa, der den Wahehe-Aufstand angezettelt hatte, mit wenigen Anhängern geflohen, der Ueverzeugung, daß der Aufstand endgiltig erledigt ist. Damit entfällt der Grund, der Herrn v. Miss mann in erster Linie bestimmen könnte, nach Afrika zu gehen. Wie wir hören, schwankt Herr v. Wissmann immer noch, ob er in diesem Winter nach Afrika gehen soll oder nicht. Es ist das keine Laune von ibm, sondern hängt von der sehr wichtigen Frage ab, ob seineGesundheit genügend gefestigtist. ES ist nur zu wobt zu verstehen, daß Herr v. Wissmann Krankheiten, wie die in den letzten Jahren überstandenen, nicht wieder durch machen möchte, und daß ganz besonders seine Gattin vor den Gefahren, die das tropische Klima ihrem Gatten bringen könnte, zurückschreckt. Man muß den lebhaften Wunsch begen, daß der Gouverneur wieder auf seinen Posten zurückkebre, denn es würde außerordentlich schwer sein, einen geeigneten Nachfolger für ihn zu finden. Der stellvertretende Gouverneur, Herr v. Bennigsen, ist eine sehr tüchtige Persönlichkeit, aber für den schwierigen Posten deS Gouverneurs noch zu jung, und an wen immer man noch denken möchte, so ist Niemand vorhanden, der die gewaltige Autorität, die Wissmann bei Weißen und Farbigen in Ostafrika besitzt, für sich in Anspruch nehmen könnte. Wenn Herr von Wissmann, wie wir hoffen, auf seinen Posten zurückkehrt, so ist eS fraglich, ob er seinen bekannten Plan hinsichtlich der Vertheiluna deS Landes wird zur Ausführung bringen können. Sein Vorschlag ist dem Colonialrathe übergeben und in diesem sind die Meinungen darüber sehr getheilt. Während allgemein anerkannt wird, daß Wissmann'S Vorschlag, die Erwerber von Grund und Boden müßten mindestens ein Fünftel der Fläche sofort in Angriff nehmen, daS Speculantcn- thum fern halten würde, sind doch Manche der Meinung, diesem Vortheile stehe der Nachtheil gegenüber, daß bei der ohnehin nicht zu großen Neigung, Capitalien in Ost afrika anzulegen, gerade solche Personen, die größere Complexe zu erwerben geneigt wären, zurückgrschreckt werden könnten. Wie auch immer die Entscheidung deS Colonialratbes aus fallen möge, so ist eS sehr erfreulich, daß, wie wir wissen, Herr v. Wissmann keineswegs die CabinetSfrage gestellt, sondern in loyalster Weise sich bereit erklärt hat, sich der Entscheidung zu fügen. Bedenkt man, welch außerordentliches Ansehen Wissmann auch in allen Berliner Colonialkrrisen besitzt und für wie dringend wünschen-wertb man sein Ver bleiben in den Regierungskreisen hält, so wird man die Vor nehmheit, mit der er davon absirht, seine Autorität dazu zu benutzen, um seine Pläne „durchzudrücken", doppelt aner kennen müssen. OI Berlin, 7. Oktober. Ueber di« Differenzen in der GenossenschaftS-Buchdruckerei zu Solingen, wo die socialvemokratische „Bergische Arbeiterftimme" gedruckt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite