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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961009012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-09
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Sr»ßer« Schriften laut nnsertm Brei», mrzeichnih. tabellarischer and Zisferusatz »ach höherem Doris. »rtra-Vki lagen (gefalzt), nur mit d« Vtvrgea-Au-gabe, ohne Postbefärdrrung »4 -0 —, mit Postbefördernn, ^8 70.—. Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Annalfmeschlnß fiir Anzeige«: «brnd-Autgabe: Bormtttag» 10 Uhr. vtorge«.Ausgabe: Nachmittag» 4UH» Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. ( —., Druck nnd Berlaq von E. Bolz in Leivjig 515. Freitag den 9. October 1896. Sv. Jahrgang. Die Zarentage in Paris. v. S. Paris, 7. October. Schon neulich schrieb ich, daß da» Festkleid der Stadt Pari« mehr für die Wirkung bei Nacht berechnet sei und daß die unendlich vielen, an Triumphbogen und Flaggenstangen angebrachten Beleuchtungskörper de» Eindruck bei Tage stark beeinträchtigten. Um so zauberischer war der Anblick am gestrigen Abend. Paris war wirklich in eine Lichtstadt ver wandelt. Russen und Franzosen, europäische Politik und gallischer Deutschenhaß: Alles vergaß man eine Zeit lang, gebannt von dem überwältigenden Schauspiel. Auch sonst pflege ich gern des Abends, wenn mich mein Weg Uber eine der Seinebrücken führt, stehen zu bleiben, um das entzückende Bild zu genießen, da» der herrliche Fluß mit seinen vielen von rothen und weißen Lichtern beglänzten Brücken gewährt. Wie viel großartiger aber war gestern der Anblick! Die langen dunkeln Baumreiben auf beiden Ufern, über und über mit mattrorhen runden Papier laternen behängt, bildeten einen wundervollen Contrast zu den lichtumflutheten Palastfatzaden; stromabwärts grüßte das Lichtmeer des Trocadcro herüber, und der Fluß selbst war dicht belebt von lampiongeschmückten Ver- gnügungsdampfern. Ein unauslöschlicher Eindruck! Feen haft war die Beleuchtung des Coucorde-Platzes. Bon Flaggenmast zu Flaggenmast, von Laterne zu Laterne waren Guirlanden von weißen GaSballonS gezogen, die ihr Helles Licht auf das schwarze Gewimmel der Hunderttausende warfen, die hier die Vorbeffahrt des Zaren erwarteten, und in der Mitte sprangen die berühmten Fontaiuen zwischen ganzen Hecken von buntfarbigen Glühlichtern. Nicht minder schön war der An blick, den der Opernplatz gewährte. DaS Opernhaus selbst war ge schmackvoll, aber sehr einfach erleuchtet. Aber wohin sonst der Blick sich wendete, wurde er von dem Glanze fast geblendet. Links und rechts die großen Boulevards hinunter brachten die von Baum zu Baum gezogenen elektrisch erleuchteten bunten BallonS den Eindruck von Lichtdächern hervor; man glaubte in die Galerie eine« Märchenscklosses aus Tausend und eine Nackt zu blicken. Fast nock übertroffen wurden die Boule vards von der Rue de la Paix. Hier ballen dir Inhaber der großen Geschäfte die Ausschmückung selbstständig in die Hand genommen. Man spricht von ungeheuren Summen, die auf gewendet worden sein sollen. Zu beiden Seiten des Fahrdamme» batte man in der ganzen Länge der Straße ein hellgrünes Spalier errichtet und mit Guirlanden geschmückt, auS denen Glühlämpchen in allen Farben wie Blumen und Früchte hervorschimmerten. An den Häusern selbst glänsten überall Wappen und Buchstaben aus Glühlicktbüscheln zwischen grünen Zweigen, künstlichen Blumen und Fahnen tüchern. Die Illumination in der Avenue de l'Opöra blieb dagegen ein klein wenig zurück. Aber die Front de» Cercle militaire, der zwischen den beiden Straßen liegt, bot rin Meisterstück elektrischer Beleuchtungökunst. Es ist schwer zu sagen, welchem von den Plätzen ober Straßen der PretS zuzuerkennen sei. Nur das weiß ich, daß ich nirgends auch nur AehnlicheS gesehen habe, und daß eine solche Zauber wirkung in einer anderen Stadt Wohl überhaupt nicht Möglich ist. Auf dem Programm hatte gestanden, daß vaS Feuerwerk um 8 Uhr beginnen sollte. Schon zwischen sechs Nnd sieben Uhr waren deshalb die Seineuser stromauf- und abwärts deS Trocadero von einer dichten Menschenmenge besetzt. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Denn erst >/«10 Uhr stiegen die ersten Raketen in die Luft. Aber sie wurde reich belohnt. Mag ffein, daß anderwärts ebenso kostspielige Feuerwerke abgebrannt worden sind. Aber einen herrlicheren Platz für ein Feuerwerk giebt es wohl nicht als die Ienabrücke, wo reckts die Thürme deS Trocadero, links der Eiffelthurm gewisser maßen einen natürlichen Rahmen bilden. Der Raum zwischen beiden befand sich in einem fast ununterbrochenen Sprüh regen von Raketen; zumal dann, wenn Hunderte von ihnen auf einmal ausstiegen und die ganzen Ufer tageshell be leuchteten, bot sich ein unvergleichlicher Anblick. Der herr lichste Moment aber war wohl der, als alle Etagen deS EifselthurmeS sich auf einmal entzündeten und in rothem Lichte bengalischen Feuers riesige Sonnenräder ihre Blitze um sich schleuderten Leider entwickelte sich bald ein so ungeheurer Dampf, daß von den in niederen Regionen abgebrannten Herrlichkeiten kaum mehr etwas zu erkennen war. Ein heiliger Georg mit dem Drachen im Strablenglanze bildete den Schluß des grandiosen Schauspiels. Als nach dem Feuerwerk die Wagen zur Galavorstellung vorbeifuhren, kam es vorübergehend zu ernsteren Verkehrs stauungen. Kürassiere hatten nämlich die Concorde - Brücke besetzt, um den Wagen der Abgeordneten vom Bourbonen palaste her Durchlaß zu vermitteln, und von der anderen Seite her waren die Champs Elysses für den Zaren und die übrigen Tbeilnehmer am Enipsangsdiner abgesperrt. So konnten die Massen nicht vorwärts und, da immer neue Mengen zuströmtrn, auch schwer rückwärts. Aber Dank der vorzuglicken Haltung des Volkes ging Alles gut ab. Ueberhaupt muß ich dem Verhalten der Pariser volles Lob spenden. Es giebt hier gewiß eine nicht geringe Menge nichtsnutziger Schreier, aber das Volk im Allgemeinen ist eher ruhiger als lärmender, als z. B. die Berliner. Man macht sich in Deutschland von dem Temperament der Pariser meist einen ganz falschen Begriff. Allerdings wurden die Wagen mit russischen Officieren durch jubelnden Zuruf be grüßt. Man ist eben hier leichter zu begeistern, als bei uns. Aber von der Lust zum Johlen und zum Drängen der Berliner habe ick hier nichts bemerkt. Höchst angenehm ist die französische Höflichkeit überall fühlbar, Vie auch dem gewöhnlichsten Arbeiter in den Gliedern steckt. Nebenbei bemerke ich, daß meine Freunde und ich uns sehr viel unserer Muttersprache bedient haben, ohne jemals mehr al» höchstens einem mißtrauischen Blicke zu begegnen. Gegen 7 Uhr hatte sich ei» ziemlich starker Wind erhoben, der rasch wieder »schließ, aber doch manchen Schaden stiftete. Eine Menge der farbigen Laternen wurde verbrannt oder ausgelöscht, viele der Glasglocken fielen herab, ohne glück licherweise Jemanden erheblich zu verletzen. Trotzdem blieb die Stimmung der Menge ungetrübt. Auf vielen Plätzen wurde musicirt und getanzt. Al» ich um Mitternacht nach Hause ging, herrschte auf den Straßen noch rege» Leben. Die Restaurants hatten alle die ganze Nacht hindurch auf. Heute herrscht trübes, regnerisches Wetter. Bei der Fahrt zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten wurde VaS Zaren paar überall warm begrüßt. Aber mehr als drei oder vier Reihen Menschen standen doch kaum irgendwo hintereinander. Der Zar sah etwas ermüdet aus, aber die Zarin erwiderte die Grüße mit höchst munterem Kopfnicken nach allen Seiten. Das Zarenpaar in Paris. * Part», 8. Octobet. (Telegramm.) Da» russische Kaiser paar begab sich heute früh ln Begleitung des Präsidenten Faure um 10'/, Uhr nach dem Louvre-Museum, von der Bolksmasse wiederum mit stürmischen Kundgebungen begrüßt. Der Louvre war aut einfach auSgeschinückt. Der UnterrichtSmlntster empfing di« Majestäten und stellte ihnen die Maler Pufis de ThavannrS und Detaille vor, denen der Kaiser di« Hand drückte. Die Besichtigung ging von der Apollo-Galrrir au». Di« Kaiserin bekundet« das leb hafteste Interesse für die Kunstwerke deS Louvre und «rbat viele Erklärungen. Vor den Krondiamanten und einer Anzahl von Ge mälden blieb das Kaiserpaar behufs längerer Betrachtung stehen. Um 11'/, Uhr kehrten dir Majestäten nach der russischen Botschaft zurück. Dort gaben sie um 12 Uhr ein Frühstück zu Ehren der Botschastsmitglieder und der ihrer Person attachirten Osficiere. Vom Besuche de» (,'erelo militaire wurde der Zar durch Mangel an Zeit abgehalten. Um 2 Uhr Nachmittag» begaben sich dir Majestäten nach Sevres und Versailles. * Ueber die Vorgänge am Mittwoch ist nach einem tele graphischen Bericht der „Boss. Ztg." noch daS Folgende der Mit theilung werth: * Paris, 8. October. (Telegramm.) Bei dem gestrigen Frühstück überreichte die Herzogin von Chartres dem Kaiser einen prachtvollen Rosenstrauß im Namen de» Herzogs von Orleans, der dem Zaren nochmals für ven Beweis seiner Freundschaft danke, den er Frankreich durch seinen Besuch gegeben. Der Zar nahm die Rosen an und dankte verbindlich für die Gesinnungen des abwesenden Thronfolgers. — Beim Besuche des Stadthauses wurde zum ersten Mal das Wort „Bundesgenosse" (allis) ausgesprochen, allerdings von einer wenig maßgebenden Per- jönlichkrit, dem Stadtrathsvorsitzeuden Baud in. Er sagte (wie mltgrtheilt): „Da- Pariser Volk, das in Euer Majestät seinen Gast und den Bundesgenossen der französischen Republik feiert, hat sein« Arbeit unterbrochen" rc. — Der Zar erwiderte: „Ich wußte, welcher Empfang Meiner im Pariser Stadthaus harrte, ich habe den Empfang nicht vergessen, den der Pariser Stadtrath den Officieren meiner Flotte bereitete. Ich danke Ihnen aufrichtig und bitte Sie, meinen Dank und den An-druck meiner lebhaften Sympathie dem Pariser Volke zu übermitteln. Als das Kaijerpaar daS Stadthaus verließ, entstand rin fürchterliche- Gedränge; die Polizei hatte mit gewohnter Sorglosigkeit den Platz und die Straßen vom Volk überschwemmen lassen und ganz vergessen, daß da« Kaistrpaar nicht ewig im Stadthause bleibe« würde. Al- der Zar gehen wollte, erkannten der Präfrct und die Oberbeamten ent- setzt di« Unmöglichkeit, auch nur ein Wiesel durch den Menschen- wald schlüpfen zu lasten. Nun gaben sie den Befehl, um jeden Preis Luft zu schaffen. Einige hundert Schutzleute und ein Reiter regiment gingen gegen das Volk mit äußerster Schärfe vor. ES folgten zehn Minuten unbeschreiblichen Tumult» mit gräßlichem Geschrei, Psrrdegrstampf, Hieben und Stößen. Dann konnte der kaiserliche Wagen allerdings abfahren, allein gegen hundertvierzig — nichtamtliche Schätzungen sagen dreihundert — ohnmächtige, gequetschte oder sonst verletzte Personen wurden vom Platz getragen. Es ist ein Wunder, daß keine Todesfälle vorkamrn. — Bei der Grundsteinlegung der Alexandetbrücke sagte Faure dem Zaren, der Dichter der Begrüßung-Vers« De Heredia wäre glücklich, ihm vorgestellt zu w«rdrn. Nikola»» nickte, Heredia kam selig herbei. Der Zar sagte ihm kräftig: „Illerot 1" (Danke!) und drückte ihm die Hand. Heredia ging indeß noch nicht, sondern sagte: „Es wäre der glück- ltchste Augenblick meines Leben», wenn Euer Majestät mir gestatt«» würden, Ihrer Majestät der Kaiserin die Hand zu küssen." Ter Kaiser lächelte und sagte laut: „Oul!" worauf Hekedia der Zarin die Hand küßte und den glücklichsten Augenblick seines Lebens er fuhr. Als da- Kaiserpaar das Seinruftr verließ, drängten sich zahl lose Personen, alles Bevorrechtete, die zur Frier Einladungen erhalten hatten, an dir Stelle, wo eben noch der Zar geweilt, und «S entstand rin Kamps unter ihnen, da Jeder sich einen Augenblick auf den Lhronstuhl setzen wollte. Erst nach einer Stunde war diese eigenthllmliche Andacht-Verrichtung zu Ende. Um die Pflanzen, die da» Kaiserzelt schmückten, ent- standen Faust kämpfe; Jeder wollte sich eine» Blättchens als köst- licher Reliquie bemächtigen, und die Polizei mußte einschreiten, um zu verhindern, daß man nicht auch di« Teppiche und Zelt- stosse zu Fetischzwrcken zerpflücke. Auf der Fahri von der Alexanderbrücke zur Münze wurde der Zar der Straßburg- Bildsäule in ihrem Trauerschmuck ansichtig. Er ver langte von Faure die Erklärung dieser Erscheinung und machte, alS er sie erhalten hatte, die Zarin auf den Anblick aufmerksam. — Im „ThSLtre franqais" erschien Nikolaus im Frack mit dem Ehrenlegionband; die Kaiserin in perlen- gestickterRosa-AilaSrobe mit einem Brillanten- und Rubinenhalsschmuck von ungekannter Pracht. Ein Begrüßungsgedicht Claretie's hob her vor, daß Petersburg von jeher eine Pflegestätte der französischen Bühnendichtung und Schauspielkunst war und häufig Werke feierte, die in Frankreich selbst noch nicht gewürdigt wurden. Der Kaiser schien sich bei Muffet'- „Caprice" und dem Aufzug aus Moliöre's „Gelehrten Frauen" gut zu unterhalten; er war weit weniger eisig und abgespannt als am Abend vorher in der Oper, lächelte oft und markirte wiederholt Händeklatschen. Im Zwischenact ließ er sich von Claretie die hervorragendsten Künstler des Hauses Moliöre vorstellen. Dem Schauspieler Worms sagte der Zar: „Ich bin zum ersten Mal in diesem Schauspielbause, ich hoffe, es wird nicht das letzte Mal sein." Claretie erhielt den Stanislaus- orden zweiter Classe. Um '/,1 Uhr Morgens war das Kaiser- paar in der Botschaft und konnte nach dem übermenschlich anstrengenden Tage zur Ruhe gehen. Kaum war der Kaiser wagen über den Concordienplatz gefahren und die Menge aus einander gefloßen, alS die Nachzügler der Neugierigen in der Ecke, wo die Bildsäule der Stadt Lyon steht, einen Knall hörten. Eine Panik entstand, und als sie sich gelegt hatte, fand man (wie gemeldet) am Boden Trümmer einer jener wenig gefährlichen Bomben, wie ihrer in den letzten Monaten viel« in öffentlichen AnstandSorten platzte», ohne Schaden anzurichten. Die Polizei scheint die Un geschicklichkeit begehen zu wollen, diesen völlig bedeutungslosen Zwischenfall zu vertuschen. Das würde ihm eine Bedeutung geben, die ihm in keiner Weife zukommt. Es handelt sich offenbar um einen Ulk eines Dummkopfs; vielleicht war die angebliche Bombe auch nur ein Feuerwerkskörper, wie der Pöbel sie hier bei Volksfesten trotz wortreichen Polizeiverbots massenhaft abbrennt. Die Pariser und Fremden belagerten gestern noch immer unermüdlich die Wege des Zaren, und wenn die Ve^ geisterung auch nicht mehr so stürmisch war, wie in den ersten Stunden, so war der Jubel, der das Kaiserpaar überall empfing, doch immer sehr laut. „Figaro" versichert, er habe den Ruf ausstoßen hören: „Vive Io sauvour!", was zugleich Retter und Heiland bedeutet, und er findet diesen fast lästerlichen Ruf rührend. Eine gewisse Verwilderung, die nie ausbleibt, wenn Hunderttaujende sich tage lang mit Unterbrechung ihrer Arbeits- und Lebensgewohnheiten in den Straßen umhertteiben, schreien, drängen, stoßen, mit Unbekannten formlos verkehren und trinken, war gestern Abend in der Menge bereit- deutlich und stellenweise recht unliebsam wahrzunehmen. Im Ganzen hielt sich das Volk jedoch wunderbar, und das ist um so lobenswürdiger, als die Polizei überall fehlte, wo nicht gerade der Wagen des Zaren im Augenblick vorbei kam. Die amtlichen Kreise sind vom Verlaufe der Feste entzückt: Bourgeois' Freunde suchen für ihn Reclamr zu machen, indem sie behaupten, der Zar habe ihn bei der Ansprache im Elysse bemerkens- werthe Dinge gejagt. Was, verrathen sie einstweilen noch nicht. Alder aus der Geschichte des schweizerischen Studentenlebens. Nachdruck »erröten. (Schluß.) AlS Studentenverbindung bezeichneten die Zosinger eine Neaction gegen alle Auswüchse deS studentischen Leben» wie die Burschenschaft. Ernst und strengste Sittlichkeit wurde von ihren Mitgliedern gefordert; mit ihr, durch sie da» Streben nach allem Sckönen und Guten. Biele Briefe liegen uu« auS jenen Tagen vor, voller Selbstbetrachtungen, denen wir un» wohl auch bisweilen hingrbrn, die aber wohl die Wenigsten heute noch in Briefen »»»drücken. Sick selbst stetig zu bessern, zu erziehen, von den Freunden sick auf seine Fehler aufmerksam machen zu taffen, galt al» ernste Pflicht. Ein schwärmerischer Zug ist oft unverkennbar, aber dies« Brief« dock voll hohen inneren WcrtheS nock, und zumal für die Gegenwart. Tagebücher und Stammbücher, in gleicher Art gesübrt, liegen un« eben falls vor. Die Religion wurde hochgebalten, aber die religiösen, konfessionellen Schranken meist kühn Übersprungen. Viele» berichtet Bering» nach ausgezeichneten Quellen über *>as Leben der einzelnen Zosinger, wie der Sektionen, wir können leider darauf hier nicht weiter eingehen. Auch haben diese Dingt für rin zumeist deutsche» Publicum wohl weniger Interesse. Di« studentische Einfachheit, dir Abneigung gegen unvemokratisch« Einrichtungen, wie da» Duell >«., teunzeicknen jene Zeit, auch Farben wurden damal» nicht gr« nagen, Fahnen erst später eingrführt. Da» waren die Zosinger als Studenten; al« Patrioten traten sie m«hr hervor, vom gleicken beiligen Ernst erfüllt. Da» erst« Jahrzehnt br« Verein» siel in »>nr bewegte Zeit, voll von Kämpfen, voll rränend» Wolken, aber auch reich an neue« Ideen. Stet» traten die Zosinger niUthig für der Freiheit Sache ei», mehr al« dir schweizerischen Regierungen, deren Politik Abel Vurck- bardt mit Reckt 1823 in seiner Grütlifestredr so bitter taktliti „Ta- Volk, baS die Herzöge von Oesterreich und Burgund zittern lehite, zittert jetzt vor jeden, drohenden Blick eins» Fürsten de» Au»land«S." Dir politische Gleichgiltigkeit deS Volkes erbitterte sie: tiefe Schatten warfen all diese trüben Zeitverhältnisse I auf ihre Feste. Sie klagten zornerfüllt, sie, dir ihr Vaterland I so schwärmerisch liebten. Als e» dann besser ward, kam z wohl eine Reaktion gegen den GefühlSpatriotiSmu«; eine mehr nüchterne Denkweise nahm überhand, doch nie erlosch die Begeisterung. Dennoch, so warm ihnen das Herz schlug sür alle vaterländischen Angelegenheiten, vermieden sie weise alle Einmischung in die Politik. Viele gute Worte sind auch in dieser Hinsicht in der Zoflngia gesprochen worden, sie wollten Männer bilden, um dem Vaterland zu helfen, nicht selbst eingreifen und stürmen. So war der Verein denn wahrhaft eine vaterländische Schule; er blieb auf dem rechten Wege, nickt au» Furcht, sondern au» gesundem Gefühl für da» Rechte. Nie trieb er Partripolitik, nie eigentlich active Politik al« Ge- sammtverein, und doch nahm er in seiner Gesammtheit wie in seinen einzelnen Mitgliedern warmen Anthril an allen vaterländischfen Fragen. Alle waren ja einig in der Vaterlandsliebe, so verschieden auch ihre politischen Ansichten waren, ihr praktische» Ziel war die Idee der schweizerischen Nationalität. Dafür arbeite ten sie unermüdlich. DaS Volk sollte seine Eigenthilm- lichkeit, seinen Charakter erhalten! 1821 sprach u. A. F. Curti in Zofingen üb» da« Thema: „Wie soll der Schweizer, wie die Schweizerin in geistig» und körperlicher Hinsicht erzogen werden?" Nationale Feste und Schriften schienen ihnen von hohem Werth, wie die Kenntniß der vaterländischen Geschickte, Sitten und de« Heimathlande« selbst. Nach außen sollte man also selbständig, im Innern einig, straffer centralisirt sein. Auf ihr Baterland wollten di« Zoflnatt vor Allem stolz sein; al» in Zo- singen I82l Lausanner von Deutschschweizern al» Bur gunder, also als Angeböriae v» germanischen Raffe begrüßt wurden, lehnten st» diese Eure ab. Sie kamen al- Schweizer, nickt al» Burgunder, zu ihren Brüdern, den Sühnen desselben Vaterlandes, nicht desselben Stamme». Auüländrrei warb verpönt, sprachliche Verständigung erstrebt. So lange die längst «ruoffte vaterländische Hochschule ihnen nicht be- schieden war, mußte deren Ersatz die Zofingia sei«' der Pflege vaterländischer Geschichte und Literatur warb viele Zeit geweiht, zu gemeinnützigen Unternehmen waren die Zosinger stets zur Hand. Wenige finanzielle Anforde rungen stellte damals bet Verein an seine Mitglieder; aber stets waren sie bereit, zu opfern für wohlthätige Zwecke, um Großes zu Stande zu bringen. Für die um ihre Freiheit kämpfenden Griechen traten sie, ander» als die verbündeten Monarchen, ein; in den Jahren 1828 und 1827 wurden über 2000 Franc« von ihnen gesammelt, eine Summe, die zum Mindesten um da» Doppelte die jährlichen Vereinsauflagen überstieg. Außerdem erboten die Lausanner Zosinger frei willig sich zur öffentlichen Sammlung für die Griechen. Aber noch mehr bot die Verbindung den Bedrängten im eigenen Lande die Hand, wie e» so natürlich ist. Aus dem Ge biete deS Erziehungswesen» suchten die Zosinger vor Allem zu wirken; sie waren rührig für die Ausbildung von Lehrern, wo r» dringend nötlsia war. Man wandte sich an sie um Hilfe, als Niemand ander« kalf. Patriotische Schriften wurden durch sie verbreitet, praktischer Patrioti»muS zu üben gesucht, wo rS nur ging. Die Schweiz durfte stolz sein auf diesen Verein. Welche Männer ge hörten ihm aber auch an in jener Zeit! Lanz ist die Liste der Großen, Würdigen und Edlen unter den ehemaligen Zosinger^ wir können sie hier nicht alle »»führen, aber des SckwrizerlandeS beste Namen gehören dazu. Und so wie damals blieb eS auch später, die heute lebenden, die jüngst verstorbenen unter der Altzosingia sind meist nicht minder deS Ruhme» werth als ihre Vater und lasten uns auf ihre Söhne hoffen. Damals war rS u. A. der erste schweizerische Bundespräsident, Jona« Furrer, in dem der leitende Gedanke jenes Verein» verkörpert ward drei Jahrzehnte nach seiner Gründung; e- waren der Dichter BitztUS (Gvtthelf), der Historiker Vulliemin. der Militair Ochsenbein, der Staat-recht-lehr» Bluntschli und so viele Andere, die damals mit Stolz sich Zosinger nannten, und di« die Zoflngia noch heute stol» zu ven Ihren zählt. „Dir Zosinger als Förderer der Turnerei und de« Gt- sänge».- So ist eist eigenes Capitel (da» IX.) in Bering»'« Werk betitelt. (285 ff^. Und mit Recht, denn es giebt wohl eigene Turn- und Gesangverein« unter den Studirenden, denen manche« Verdienst nicht abzusprechrn ist; aber alle ihr« Bestrebungen vereinigt« die Zofingia und gab nock mebr hinzu. Vor Allein die Turnerti, die gleich der Gesangspflege so angesthc» und so bedeutsam heut' im Schweizerlanke ist, verdankt ihre Blüthe den Bemühungen de- Zosingervrrein«, der ihr von Anfang an, als sie nock ganz mißachtet war, sein« Aufmerksamkeit geschenkt hatte, trotz aller Vorurtheile »rett Antheil. . , ibmle Grütli l«t" von I. G- Krau», u. A. der Philister und Spießbürger in Basel, wie der beschränkten Leute allenthalben. E» muß ihm als hohe« Verdienst unge rechnet werden, daß er allen Anfeindungen zumTrotz die guteSache nicht fallen ließ; und wie in Bern die Zofingia recht eigent lick aus einem Turnverein erwuchs, so war vor Allem hier an, meisten dafür gethan; und groß war hier wie Überall der Nutzen. Ausführlich wird auck hierüber von Pfarrer Bering» berichtet. Biel that in Zürich der nachmals so berühmte Wolfgang Menzel, damals ein deutscker Flüchtling, dafür, in besten „Denkwürdigkeiten" wir seinen Bericht hierüber und über seine Betheiligung am Zofingerfeste verglichen haben (s. dort S. 156 ff). Manche- Interessante fanden wir bi» erzählt. Groß ist sein Lob der schweizerischen Jugend. Auck» viele militairische Hebungen, Schieße» rc., wurden seitens der Zosinger betrieben, Turnfabrteu unternommen. So trafen sich verschiedentlich die BaSler und die Berner auf dem Weißenstrin, 1830 auch die Berner und Luzerner auf dem Napf. (S. 277). Und der Erfolg war groß. Bald ward das Turnen eine Volkssache, abgelkst nun freilick von dein Verein, der ihm den Weg geebnet, und besten Stütze eS nickt mehr bedurfte. Und ähnliche Verdienste erwarb sich die Zofingia auck um die Hebung deS GefangeS, der vormals ganz darnieder lag. Rohe und sentimentale, oder fremd ländische Lieder gab eS noch fast allein. Aber die Zosinger waren Schweizer voll jugendlicher Kraft, Freudig kcit und Gesundheit, sie machten sich unter einander, sie machten das Volk mit besseren Liedern bekannt. Ein eigenes präcktigrs Liederbuch ward berauSgeaeben und fand den verdienten Erfolg. Mancher fähige Dichter, mancher Com vonist war damals wie jetzt unter den VundeSbrübern. Ernst und Areubiakeit fanden beiv« hier ib Ein eigentliche» Zo ingerlied ist u. A. da« berü! lied: „Von ferne «i herzlich gegrüßt " . dem Stifter der Fre bürg» Sectio», über den kürzlich übrigens ein treffliche« Buch erschien, sowie Abel Burckbardt'S „Was brausest du, mein junge« Blut", um nur einig« der deutschen zu nennen. Wie uns scheinen will, mit großem Rechte, Ward aus den Text mehr als auf die Melobit gegeben, wahrend letzter« heutzutage so ganz allein oft im Vorder gründe steht, so daß man allein den EvMponisten nennt. Im SectionSgesaug Ward freilich wie auch im Turnen noch nicht so viel geleistet, wie man erhoffte, doch immerhin Ve» achtenSwerlheS Und Erfreuliches. Trotz feint» tiefen sm»
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