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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961010027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101002
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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organisationen, und dies» werden dafür sorgen, daß sie weiter mit ihnen rechnen werden." Diese Drohung wird aber nicht verfangen. Ein namhafter Theil der Conservativen hat eingesehen, daß mit dem Antrag Kanitz keine Wahlgeschäste mehr zu machen sind, daß die conservative ReichSlazSfraction durch die Unterstützung des Antrags ihr Verhältniß zur Regierung wesentlich verschlechtert und andere BerusSorganisationen mißtrauisch gemacht hat. Freiherr von Manteuffel bat es daher schon früher abgelehnt, in Versammlungen des Bundes der Landwirthc zu reden; die jetzige Auslassung der „Eons. Corr." beweist, daß er noch mehr abzulehnen entschlossen ist. Ein dieser Tage veröffentlichtes Decret der niederländischen Regierung stellt die au dem Staatsgymnasium in Pratoria abgelegte Abgangsprüsung dem Abiturienten examen am holländischen Gymnasium vollständig gleich. Bisher waren die tranSvaalschen Studenten genöthigl ge wesen, eine englische Universität zu besuchen, weil sie in Holland zu den Facultätsprüfungeu nicht zuzelassen wurden, wenn sie nicht an einem holländischen Gymnassum daß Zeugniß der Reife erhalten hatten. Dieser von den aufeinanderfolgenden Regierungen bis jetzt starr behauptete Standpunkt kam natürlich der englischen Propaganda in der südafrikanischen Republik sehr zu statten, wie sie auch der Kräftigung des holländischen Elements daselbst im Wege stand, denn die tranSvaalschen Studenten brachten mit ihrem Diplom als Theologen, Richter oder Aerzte auch die Vorliebe für englische Sprache und englische Sitten mit nach Hause, waren also unfreiwillige und unbewußte Werkzeuge der eng lischen Politik. Alle Vorstellungen bei der holländischen Re gierung waren bis jetzt fruchtlos gewesen und inmitten der Sympathien, deren Gegenstand die Republik von jeher in Holland gewesen ist, nahm sich diese Haltung der Regierung sehr sonderbar aus. Nunmehr ist der Schlagbaum glücklicher weise gefallen, und es steht zu erwarten, daß nicht mehr Edin burgh, sondern Leyden, Utrecht oder Groningen die Bildungs stätten der tranSvaalschen Jugend sein werden. In demselben Decret werden ferner auch die luxemburgischen Gym nasien hinsichtlich ihrer Berechtigung den holländischen voll ständig gleichgestellt. Die luxemburgischen Studenten waren bisher genöthigt, sich an belgischen oder französischen Univer- sttäten auszubilden, ein Umstand, der die deutschfeindliche Stimmung, die in weiten Beamtenkreisen des Großherzog- tbums herrscht, zur Genüge erklärt. Jetzt, nachdem die hol ländischen Universitäten auch der luxemburgischen Jugend offen stehen, wird dies im Laufe der Zeit wohl anders werden. In unseren im heutigen Morgenblatt veröffentlichten Zuschriften auS Äanzibar kommt übereinstimmend die Ab neigung, ja die Erbitterung der gesammten nichtenglischen Bevölkerung der Insel gegen das englische Regime und die wachsendeZuneigungfür Deutschland zum Ausdruck, dessen Protectorat man in jeder Hinsicht vorziehen würde. Auch der „Köln. Ztg." sind Briese aus Zanzibar zugegangen, welche die Mittheitungen unserer Correspondenten vollinhaltlich bestätigen. Wir entnehmen den Berichten der „K. Z." folgende Stellen: „Falls, wie kaum zu bezweifeln ist, Khalid als politischer Flücht ling behandelt und nicht ausgeliefert wird, so kann das ganze Ereigniß, so bedauerlich es an sich ist, als für Deutschland höchst vortheilhaft betrachtet werden. Mit Khalid, dem allgemein geradezu vergötterten, rechtmäßigen Sultan von Zanzibar, in der deutschen Colonie hat Deutschland beim arabischen Element ungeheuer an Ansehen gewonnen und wird zur Bor- macht in Ostafrika. Auch ist ein starker Auswanderer ftrom nach der deutschen Colonie zu gewärtigen, denn Alles ist mit dem englischen Regiment unzufrieden. Die Araber trauern über den Verlust ihres Khalid; die Indier sind wüthend auf ihre Schutzherren, die sie während deS Bombardements der Raublust des Zanzibarer Straßenpöbels Preisgaben; die schwarze Negerbevölkerung hat schon so oft von Sclavenbefreiung gehört und bleibt doch so schutzlos der Willkür ihrer arabischen Herren preisgegeben, daß ihr jedes Vertrauen zu einer Besserung der Verhältnisse fehlt. Der Deutsche, der die Sache von Anfang an scharf anfaßte und strenges, aber gerechtes Regiment führte, ist in seiner Colonie nun Herr im Hause und bei Unterthanen und Nachbarn beliebt; der Engländer aber, der jahrelang mit Bakschisch und geduldigem Ertragen eingeborener Unverschämtheit um die Gunst der Bevölkerung warb, hatte in Britisch-Ostasrika kürzlich einen blutigen Ausstand zu bekämpfen und konnte der Verhältnisse in Zanzibar nur durch ein Bombardement Herr werdrn. Heute ist es so weit gekommen, daß in den Moscheen Zanzibars Bittgebete abgrhalten werden, Allah möge Zanzibar von den Engländern befreien und es den Deutschen anSltefern." Es war vorauSzusehen, daß die englische Presse über derartige Veröffentlichungen Gift und Galle spucken würde. Die „Pall MallGazette" versteigt sich sogar zu folgender Drohung gegen Deutschland: „Die deutsche Presse hat gegen das englische Protectorat über Zanzibar in der Vergangenheit gelogen und intriguirt und sie setzt das Lügen und Jntriguiren mit wachsender Energie fort. Der Bericht, den die „Köln. Ztg." über die Vorgänge anläßlich des Auf standes und der Niederwerfung Said Khalid's und des Bombarde- mentS deS Palastes veröffentlicht, ist ein Gewebe von Falschheit von Anfang bis zum Schluß — mehr brauchen wir über seinen Inhalt nicht zu sagen. (I) Gleichwohl ist es ein nützliches Document und wir sind froh, daß es zum Vorschein kam. ES wird dazu dienen, dem britischen Publicum deutlich vor das Ange zu rücken, wie Deutschland aus uns blickt und wie die bona ticke« beschaffen ist, mit der man drüben den Vertrag zu halten gesonnen ist, der uns Helgoland gekostet hat. Wenn wir richtig unterrichtet sind, wird eS in absehbarer Zeit sich als nöthig erweisen, unseren deutschen Freunden in Bezug aus Zanzibar einen Denkzettel zu geben, den sie sicher nicht vergessen werden." Wir meldeten gestern, daß daS englische Geschwader vor Zanzibar eine wesentliche Vermehrung erfahre und fügten im heutigen Morgenblatt hinzu, daß dieselbe in Zusammenhang mit der Flucht Said Khalid's stehe. Die Schlußworte des Artikels der „P. M. G" sind die Bestätigung der letzteren Nachricht. Die „Westminster Gazette" benutzt den Anlaß, um ihren Freunden wieder auseinander zu setzen, daß die gegen wärtige Lage erfordere, „mit Rußland unbedingt zu einem Einverstäudniß zu kommen — da die in Deutschland jetzt herrschende Stimmung alle Welt überzeugt habe, daß für britische Interessen auf den Dreibund nicht zu rechnen sei." — Wir möchten den Engländern aber nickt rathen, in der Hoffnung auf russische Unterstützung, vor Zanzibar mit unS anzubinden, denn jene Hoffnung wird sicher zu Schanden werden. Dem „Reuter'schen Bureau" wird mitgetheilt: „Was die Eoncession zum Bau einer Eisenbahn durch die nördliche Mandschurei betrifft, die China nunmehr Rußland gewährt hat, so handelt es sich um die große russische sibirische Eisenbahn nach Wladiwostok. In Folge des Vertrages wird die Strecke bedeutend abgekürzt werden. Anstatt das Ufer des Amur zu umgehen, wird die Bahn über den Fluß in chenisisches Gebiet laufen und direct nach Wladiwostok geführt werben. Die südmand- sckurische Linie, deren Bau China nicht gewährt hat, sollte als Zweigbahn von Wladiwostok nach Talienwan laufen. Rußland hat somit nur die Hälfte seiner For derungen erreicht, und zwar die weniger wichtige Hälfte. Seinen Wunsch, die Bahn an einen offenen Hafen der Liao-Tong-Halbinsel zu bringen, hat es nicht erreicht. Man hätte natürlich die nördliche Bahn ganz durch russisches Gebiet bis nach Wladiwostok bauen können. Aber, wie oben bemerkt, ist die Linie ganz bedeutend länger. Der Taotai Scheng, der vor Kurzem noch Präfect von Tientsin war, steht jetzt an der Spitze des chinesischen Eisenbahn- und Telegraphenwesens. Unter den Europäern erfreut er sich keines guten Rufes. Die Verordnung zum Bau einer Eisenbahn von Peking nach Hankau, für welche der Taotai wahrscheinlich eine Concesfion erhalten wird, wurde schon im vorigen Jahre veröffentlicht. Der Vicekönig der beiden Hu-Provinzen, Tschang Tschi Tung, dem Tscheng die Eisen werke in Hanyung abgekauft hat, hat aber den Bau so lange zu verhindern gewußt. Tschang Tschi Tung wollte nicht, daß Eisenbahnmaterial in Europa bestellt würde. Er erklärte, daß seine Eisenwerke in Hanyung gar bald alles nölhige Material zu liefern im Stande sein würden. Bis jetzt ist das nicht möglich gewesen. Mehr als einmal versuchte der Vicekönig deshalb, sie an Europäer zu verkaufen. Da Scheng bisher keine Lieferung für den Bau der Bahn von Peking nach Hankau an englische Firmen vergeben hat, so darf man wohl annehmen, daß er glaubt, daß Hanyung den Bedarf an Schienen u. s. w. liefern kann." Deutsches Reich. * Berlin, 9. October. AuS Zanzibar wird dem „Local- Anz." über den Aufstand der Wahehe telegraphisch be richtet, daß der stellvertretende Gouverneur, Oberstlieutenant von Trotha, auf seinem Marsch vom Seengebiet zur Küste abgeschwenkt sei, den Wahehe in einem größeren Gefechte zwischen Süd-Useke und Kissalo eine schwere Niederlage beigebracht und sie aus Ugogo zurück geworfen habe. Oberstlieutenant v. Trotha sei durch von der Küste kommende Karawanen, die von den Wahehe in Ugogo geplündert wurden, von dem Einfall dieses Stammes unterrichtet worden und habe sich darauf in Eilmärschen in das gefährdete Gebiet begeben. Um in Zukunft den Wahehe die Lust an Empörungen etwas zu beschneiden, wolle Oberstlieutenant v. Trotha die angesehensten der Wahehe als Geißeln nach Dar-eS-Salaam führen. Außerdem soll der kriegerische Stamm zur Aus lieferung des größten Theils der in seinem Besitze befindlichen vielen Hinterlader gezwungen werden. Sollte diese Be dingung nicht erfüllt werden, so sehe man sich zum Ver- nicktungSkampse genöthigt. Bei den bisherigen Kämpfen gegen die Wahehe sei keiner der thcilnehmenden deutschen Osficiere und Unterofsiciere nennenswerth verwundet worden. (Es ist seltsam, daß die halbamtliche wie die amtliche Presse eine so wichtige Colonialnachricht nicht sofort in authentischer Form veröffentlicht. Red.) * Berlin, 9. October. Neuerdings wurde der „Verband der Erwerbs- und Wirthschastsgenossenschasten der Provinz Posen und Westpreußen", deren Anwalt der Mansionar und Ehrenkammerherr des Papstes Wawrzyniak in Schrimm, einer der bekanntesten und erfolgreichsten polnischen Agi tatoren, ist, zum Geschäftsverkehr bei der preußischen CentralgenossenschaftScasse zugelassen. Hierzu bemerkt die „Post": „Obwohl wir gegen die Mehrzahl der polnischen Genossenschaften ein jedenfalls nicht unberechtigtes Vorurtheil haben, weil bei ihnen die Creditgewährung, wie die Erfah rung lehrt, an verhältnißmäßig leichte Bedingungen geknüpft wird, so ist auf der andern Seite das organisatorische und Verwaltungstalent deS Mansionars Wawrzyniak anerkannter maßen so hervorragend, daß wir auch nicht den geringsten Zweifel hegen können, daß der von ihm geleitete Verband in Bezug auf Creditwürdizkeit allen Bedingungen zur Zulassung zum Geschäftsverkehr bei der staatlichen CcntralgenossenschaftS- casse vollständig entspricht und die Verwaltung der letzteren aus diesem Grunde keinen Anlaß haben konnte, ihn vom Geschäftsbetrieb auSzuschließen. Thatsächlich aber sind die jenem Verband angehörigen Genossenschasten in den Provinzen Posen und Westpreußen als die Hauptträger der praktischen Pole «Politik bekannt, und als solche ver folgen sie unserer Auffassung nach geradezu staatsfeindliche Bestrebungen. Wir möchten aber stark bezweifeln, daß die Mehrheitsparteien im Abgeordnetenhaus« im vorigen Jahre einer Erhöhung des Betriebskapitals der preußischen Centcal- genosseiischaftscassrn zugestimmt hätten, wenn sie vorauS- gesehen hätten, daß der Credil dieser Casse einer Corporation mit staatsfeindlichem Charakter eröffnet würde und auf diese Weise Staatsmittel zur Stärkung antinationaler Bestrebungen verwendet würden. Unserer Meinung nach lag die Zulassung des Verbandes der Erwerbs- und Wirth- schaftsgenossenschaften der Provinzen Posen und Westpreußen keineswegs im Sinne des Gesetzes, und man darf wohl erwarten, daß sie in der nächsten Landtagösession zur Sprache gebracht wird." — Sehr richtig! * Berlin, 9. October. In der gestrigen Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung hat Herr Singer wieder einmal bewiesen, daß es der Socialdemokratie nicht um eine wirkliche Besserung der Lage des Arbeiterslandes, sondern ausschließlich auf dessen Verhetzung ankommt. Die ausständigen Arbeiter der städtischen Gasanstalt haben sich bekanntlich mit dem vom Gewerbegericht gemachten Einigungsvorschlag einverstanden erklärt, nach welchem die Sonntagsschicht auf 15 Stunden herabgesetzt werben sollte. Nur Herr Singer war damit nicht zufrieden und stellte daS Verlangen, baß entgegen der mit den Arbeitern getroffenen Vereinbarung die Schicht auf 12 Stunden ver kürzt werde. Obgleich also die Wünsche der betroffenen Arbeiter durchgesetzt waren, glaubte der millionenreiche Oberproletarier die Vereinbarung wieder umstoßen zu sollen, doch lediglich, um neue Zwistigkeiten und Unzu friedenheit hervorzurufen, denn zufriedene Arbeiter sind kein geeignetes Material für die Socialdemokratie, an deren Spitze der Millionair steht. Leider werden in der Berliner Stadtverordnetenversammlung die Anmaßungen Singer's sehr selten mit gehörigem Nachdruck zurückgewiesen; die ungeschickte Aeußerung eines Redners veranlaßte den „Arbeitcrfübrer" sogar, in der Versammlung auf das Gebiet der Politik überzugehen und die Wabl erfolge der Social demokratie in der letzten Zeit hereinzuziehen. Bedauerlich ist es allerdings, daß die höhnischen Bemerkungen des ehemaligen Mäntelfabrikanten über die Siege des „Proletariats" nicht Lügen gestraft werden können. Die Berliner GewerbegerichtS- wahlen und die Landtagswahlen in Gotha und in Hessen haben der Socialdemokratie neue Erfolge verschafft, weniger allerdings durch die eigene Stärke als durch die Schlaffheit und Uneinigkeit der bürgerlichen Parteien. In Mainz haben beispielsweise nur 49 Procent der wahlberech tigten Bürger gestimmt. Wenn unter diesen Umständen der Socialdemokratie der Kamm schwillt, so ist eS nicht zu ver wundern. Es scheint, als ob man erst noch üblere Erfah rungen macken soll, ehe sich das Bürgerthum aufrafft und geschlossen den Feinden der bürgerlichen Gesellschaft gegen übertritt, bei deren Bekämpfung alle Parteistreitigkeiten ruhen sollten. (M. Z.) — Nach Privatnachrichten, die auS Dar-eS-Salaam hier eingetroffen sind, wird, wie die „Voss. Ztg." vernimmt, daS Berufungsverfahren gegen Friedrich Schröder in diesen Tagen unter dem Vorsitz des stellvertretenden Ober- richterS Raffel zur Erledigung kommen. — Wie die „Zeit" hört, ist Leipzig als Ort des nächst jährigen evangelisch-socialen Congresses in Aussicht genommen. Die Verlegung nach einer rheinisch-westfälischen Stadt, wie sie in Stuttgart verabredet war, soll mancherlei Schwierigkeiten bereitet haben. Wird an Leipzig wirklich fest gehalten, so wäre vom nächsten Jahre ab die Tagung der Delegirtenversammlung der evangelischen Arbeitervereine Deutschlands — die nächstes Jahr auf besonderen Wunsch der rheinisch-westfälischen Vereine in Rheinland-Westfalen slattfinden sollte — von der Tagung deS evangelisch-socialen Congresses getrennt. Eine solche Trennung, voriges Jahr schon einmal aus praktischen Gründen beantragt und vom Ausschuß der evangelischen Arbeitervereine Deutschlands be schlossen, wurde auf Wunsch zahlreicher Mitglieder und Führer der Arbeitervereine wieder rückgängig gemacht. — Zur Frage der Convertirung wird in der „Kreuzztg." Folgendes mitgetheilt: „Es soll eine längere Umtauschfrist bewilligt werden, und außerdem wird dem Landtage vor geschlagen werden, eine Convertirung der 3^/, procentigen Anleihen auf e^ie Reihe von Jahren auSzuschließen. Um den Wittwen und Waisen von Beamten und Officieren die Verluste, die ihnen eventuell aus dieser Convertirung nachweislich entstehen, einigermaßen zu ersetzen, soll ein Dispositionsfonds geschaffen werden . — Von einigen Trupp en commandoS sind, den „Berl. Neuest. Nachr." zufolge, in letzter Zeit die Ungebörigkeiten in der Beschaffenheit der Uniformstücke der Osficiere erneut verboten worden. Namentlich bezieht sich dieses Verbot auf die zu kleinen und niedrigen Mützen und die zu kurzen Ueberröcke. — Die Angriffe auf den „Vorwärts" auS dem Kreise seiner Abonnenten mehren sich, je näher der Parteitag heranrückt, auf dem man die große Abrechnung mit dem „Centralorgan der socialdemokratischen Partei" halten will. Im zweiten Berliner Reichstags - Wahl kreise nahm Genosse Antrick Gelegenheit, bei der Berichterstattung über die Provinzialconferenz der Provinz Brandenburg sein Herz über „die traurige Haltung" des Blattes auSzuschütten. Ihm gefiel von allen Be schlüssen der Conserenr der, den Parteitag aufzufordern, den Punct Presse als besonderen Gegenstand der Tagesordnung zu bebandeln, am besten. Der „Vorwärts", sagte Antrick nach dem Bericht der „Post", biete das nicht, was er als Central organ der „größten Partei Deutschlands" zu bieten habe. Sein größter Fehler sei, daß er mit seinen Nachrichten immer hinter anderen Blättern herhinke. Ueber die aus wärtige Politik würden die Leser ganz falsch unterrichtet. Man lese z. B. ständig von „großen Erfolgen der französischen Genoffen", obwohl die Sachlage in Wahrheit eine ganz andere sei; die bürgerliche Presse gebe da immer die Correctur dazu. Die Genossen hätten die Nachricht so plötzlich erfahren müssen, daß der vielgerühmte socialistische Pariser Gemeinde rath Gelder für den Zarenempsang bewilligte. Von einem Blatte, wie der „Vorwärts", könne man verlangen, daß es seine Leser wahrheitsgemäß über den Stand der Dinge unter richte. Dann würden keine überschwänglichen Hoffnungen in Bezug auf die Fortschritte der Bewegung in anderen Landern genährt werden. Reichstagsabgeordneter Zubeil hatte mit dem Versuch, Antrick zu widerlegen, keinen Erfolg. Auch Genosse vr. Arons erkannte an, daß Vieles, was Antrick gesagt, richtig sei, er hielt eine Conferenz von Vertretern der socialdemokratischen Presse für sehr nöthig. — Wie der „N. Pr. Z." mitgetheilt wird, ist eS dem Verleger der „Allgemeinen Conservativen Monats- schrift" im Verein mit dem Herausgeber Professor vi. v. Nathusius endlich gelungen, in dem Oberstlieutenant a. D. v. Hassel! in Berlin einen Redacteur zu gewinnen. — Die SiedelungSgenossenschaft „Freiland", die von einem vr. Oppenheimer angestrebt wird, soll demnächst ihrer Verwirklichung entgegengeben, da dem fast vergessenen Projekt in neuester Zeit angeblich einflußreiche Gönner erstanden. Bei dieser Gelegenheit erinnert die „Post" an die vor Jahren so kläglich gescheiterte Freilandexpedition deS vr. Hertzka, bei der eine ganze Reihe wenig bemittelter Leute Hab und Gut eingebüßt haben. — Der Landgemeinde Herne im Landkreise Bochum ist die Städteordnung verliehen worden. — Der „Kreuz-Ztg." zufolge werden in der nächsten Landtagssession auch die Gehaltsverhältnisse der Universitäts-Lehrer einschließlich der Collegiengelder- frage geregelt werden. — In der heutigen Sitzung des Magistrats stand die Frage der eventuellen Uebertragung des EigenthumS der Aktien-Gesellschaft Berliner Elektricitätswerke auf die Stadtgemeinde zur Berathung. Dem Collegium war eine größere Zahl von Berichten und Gutachten über diese Frage, sowie der Vorschlag der zur Vorberathung ein gesetzten Subcommission mitgetheilt worden. Es beschloß, die Angelegenheit der für diese Frage seit circa einem Jahre eingesetzten gemischten Deputation znr Berathung zu überweisen. — Der preußische Gesandte beim päpstlichen Stuhl Wirkliche Gebeime Rath Otto von Bülow ist vom Urlaub nach Rom zurückgekehrt. * Danzig, 8. October. Die fünfte Generalversammlung des Verbandes katholischer Lehrervereine Westpreußens bat der „Gaz. gdanska" zufolge dieser Tage stattgefunden. Das genannte Blatt ist übler Laune darüber, daß man an geblich in dieser Versammlung kein polnisches Wort gehört habe, ja, die Herren Lehrer hätten sich selbst im privaten Verkehr untereinander des Gebrauchs der polnischen Sprache enthalten. Ferner rügt es die „Gaz. gdanska", daß man in der Versammlung die brennendste Frage unberücksichtigt ge lassen und nicht den Muth besessen habe, darauf hinzuweisen, daß das heutige Unterricktssystem, welches die polnische Muttersprache als Unterrichtssprache verwerfe und aus Gründen der Staatsraison Geist und Herz der Kinder unentwickelt laffe (!), nichts tauge. Da die Herren Lehrer das Licht ver ¬ fertig sind. Mit so etwas findet man sich nicht so leicht ab! Ich habe schon Menschen gekannt, die an dieser Klippe gescheitert und ihr ganzes Leben hindurch unglücklich ge worden sind." Ihre Stimme bebte leise bei diesen Worten; sie fühlte, daß der Blick des jungen Mannes erstaunt aus ihr ruhte, und wagte eS nicht zu ihm aufzusehen. „Sie haben mir noch nicht Alles gesagt?" rief sie ihm ärgerlich zu und zerrte an seiner Hand. Die Befürchtung erschütterte sie jetzt, daß JaSmorin ihr etwa» auS dem Herzen lesen könnte, was sie immer so sorgsam behütet und daS der ganzen Welt Geheimniß war und eS auch bleiben sollte. „Ja so, wegen der Jndierin! Die Comteffe Lidia ließ mich mit dem Wagen nach dem Musikinstitut der Madame Gramont abholen." „So weit ist es schon gekommen!" „Aber das will ja gar nichts besagen! Sie stellte mir dort ihren wirklich kindlichen Antrag, und dann drückte ich mich wieder. In meinem Leben gehe ich nicht wieder zu Madame Gramont. Schon in dem Augenblick, als ich ari dem Wagen sprang, nannte mich Jean, der Diener der Gräfin Stroganowna — Graf JaSmorin! — Im Concert- saal behaupteten sie, ich wäre der Graf MatscherSkoff, ich glaube, der General hätte einen Eid darauf geleistet, daß ich der Graf MatscherSkoff sei. Wäre ich noch ein paar Minuten geblieben, dann hätte man mich noch zum Fürsten Kitifigilitzki gemacht." Michael lachte hier ganz fürchterlich. Sofia Andrejewna indessen blieb ernst. Sre sah ihm prüfend ins Angesicht und schien nicht zu begreifen, warum er so heftig loSlache. „Hier liegt eine Personenverwechselung vor, mein bester Michael, Sie haben mit der Jndierin nichlS zu thun, das ist klar. Aber Sie schweben trotzdem in einer großen Gefahr, und die möchte ich von Ihnen, um Ihre« Mütterchens willen, abgewendet sehen. Geben Sie mir das Versprechen, nie wieder nach Lidia Tschierwanewna zurückzublicken." „Selbstverständlich!" rief Michael erfreut aus und legte treuherzig seine Hand in die der Petuschkiwna. „Ick glaube eS, daß Sie sich bemühen werden, und Gott möge Ihnen auch die Kraft dazu verleihen. — Lasten Sie unS jetzt von etwas Vernünftigem sprechen." „DaS ist mir auch ein Bedürfnis Mütterchen Sofia Andrejewna! Aber ich werde zuvor Kuchen und Thee holen." «Mit Ihren zwei Rubeln, Sie leichtsinniger Mensch! Bleiben Sie hier! Wollen wir nicht Ihr Mütterchen Maria Feodorowna nach Petersburg kommen lassen?" „Ach, daS wäre auch mein Herzenswunsch!" „Sie wachsen mir über den Kopf", scherzte sie, „ich kann Sie nicht mehr allein beaufsichtigen. Ihre Angelegenheit mit der Lidia Tschierwanewna macht mir mehr Sorgen, als Sie denken. Eine Mutter muß um Sie sein, damit Sie nicht straucheln, Michael, denn um Sie wäre es schade." „Ich straucheln —", versetzte Michael, dachte aber gar nicht an Das, waS er sagte, sondern seine Gedanken weilten bei seiner Mutter in Sibirien, „ich stehe fest! Die Kinderei mit der Comteffe liegt bei den Acten. — Aber wann soll mein gutes Mütterchen kommen? Noch vor dem Winter, er steht ja schon vor der Thür! Und doch möchte ich wünschen, daß sie so bald wie möglich auS der feuchten, vom Schwamm zerfressenen Holzbude, die in diesem Frühjahre wieder bis unter daS Dach überschwemmt war, herauS- kommt! Vergessen wir aber nicht, Mütterchen Sofia Andrejewna, daß Tobolsk 3112 km von Petersburg entfernt ist ". „Ich habe mir Alles überlegt, mein lieber Michael", ver setzte die Petuschkiwna, „in vier Tagen legt sie tausend Kilo meter zurück, mithin kann sie ganz bequem in vierzehn Tagen hier sein. Sie wissen ja selbst recht gut, mein theurer Michael, daß man mit Geld auch durch Sibirien bequem reisen kann. Ich habe triftige Gründe, zu wünschen, baß sie recht bald nach der Residenz kommt, und darum will ich heute noch ein Telegramm nach Tobolsk aufgeben. „Welche Gründe könnten das sein?" fragte sich Michael, und unwillkürlich lächelte er, als er die Möglichkeit ins Auge faßte, daß Mütterchen Sonja der unhaltbaren Geschichte mit Lidia eine übertriebene Bedeutung beimeffen könnte. Daß aber die Petuschkiwna noch ganz andere, schwer wiegendere Gründe haben könnte, Maria Feodorowna JaSmorin nach Petersburg kommen zu lassen, das konnte er nicht ahnen. „Und wenn sie kommen würde", rief JaSmorin aus, und seine Augen strahlten in Hellem Jubel, „wo würde sie wohnen? Ich werde alsdann gewiß Tag und Nacht daraus versessen sein, Stunden zu geben — ein paar Inserate müßten in di« Welt hinaus gejagt werden — oh, ich will mich schon rühren! An nicht« soll eS ihr fehlen. Wenn sie nur erst da wäre! Ich will nur ihr leben, sie auf Händen tragen!" Er lief aufgeregt im Zimmer auf und ab, und dabei war eS ihm zu Muthe, al» habe er nur die Thür zu öffnen, um Maria Feodorowna eintreten zu lassen. Dann machte er sich Gedanken darüber, ob Wohl die Stube, in der er seit drei Jahren hauste, groß genug wäre für ihn und sie? „Sie sind ein braver Mensch, Michael", rief die Petusch kiwna ihm nach, „aber was ist Ihnen denn? Warum laufen Sie denn umher, al» wenn Sie Feuer unter den Fußsohlen hätten?" „Werden wir hier wohnen können?" platzte er heraus: „wenn Maminka auf dem Sopha schläft und ich am Boden, in ihren großen Pelz gehüllt, dann ginge es wunderschön. Ich schlief ja immer an der Erde, noch zu Lebzeiten Papas. Erst wenn er fortgegangen war, am frühen Morgen, hinauf in die Festungswerke, um Felle zu salzen, dann schlüpfte ich in sein Bett. Das war eine schone Zeit, Mütterchen Sofia Andrejewna! Nur im Winter weinten wir oft, weil dann Papa so sehr viel zu leiden hatte, denn das Salz machte ihm die Hände geschwollen und wund. Es war dann aber auch hart für ihn, mit den nassen Kleidern an der Uspenski Kathedrale vorüber, bei der furchtbaren Kälte, herunter in die untere Stadt zu gehen, so daß ihm die Kleider auf dem Leibe hart gefroren waren wie Holz! Und da» ertrug er Alles, ohne zu klagen, bis ihn auf einmal da» Fieber niederrieß." Die Thränen waren ihm in die Augen getreten, ohne daß er es wußte. Er raffte sich auf, trat zu Sofia Andrejewna zurück und ergriff deren beide Hände. „Ich würde heute als Fischer auf dem Tobol und dem Jrtysch herumfahren, wenn damals nicht Ihr Brief gekommen wäre, Mütterchen Petuschkiwna. Ich konnte nun ins Gym nasium gehen, und — ach — eS hat gar keinen Zweck, das Alles zu sagen", unterbrach er sich selber, „wenn ich nur wüßte, wie ich Ihnen da» einst vergelten könnte, was Sie für mich und Maminka gethan." „Muß denn Alles vergolten werden? Werden Sie ein tüchtiger Mensch und dann bin ich zufrieden. Trocknen Sie sich doch die Augen, Michael, ick kann nicht sehen, wenn ein junger Mann Thränen in den Augen hat." Und während sich diese Worte beinahe hart auSklingend von ihre» Lippen lösten, blickte sie ihm tief ergriffen in die Augen. „Es kam mir da» früher gar nicht so trostlos vor wie jetzt", entschuldigte sich JaSmorin, „erst jetzt kommt mir die Erkenntniß, daß mein armer Papa' richtig zu Grunde ging. Warum gaben sie ihm keine trockene Arbeit in den Seilereien? Vor dem Denkmal Jermak Timofejeff'S war er einmal kraftlos zusammengebrochen. Die Herren vom Central- gefänznißcomits hatten nur mit ihm kein Erbarmen. Und warum? Was hat denn mein Vater verbrochen, daß man so grausam mit ihm verfuhr?" Zorn und Entrüstung blitzten jetzt dem jungen Mann aus den Augen, so daß die Petuschkiwna erschrak. „Ick weiß es nicht", versetzte sie rasch, „aber warum regen Sie sich denn auf, daS sind doch Dinge, die längst hinter Ihnen liegen!" „Einmal werde ich eS doch erfahren, einmal wird mir Maminka beichten müssen! Ich habe ein Recht, zu erfahren, warum man Papa verbannte!" Wie umgewandelt stand JaSmorin da, sein Tiefinnerstes befand sich in Aufruhr. Mit dem Ausdruck der Sorge im Angesicht erhob sich die Petuschkiwna, sie legte ihre weiße Hand auf seine Stirn und blickte ihm mit mildem Ernst ins Angesicht. „Sie haben eS nicht nöthig, zu warten, bis Ihr Mütterchen aus Sibirien zurückgekommen sein wird, ick könnte es Ihnen sagen, aber ich tbue eS nicht, und zwar um Ihrer selbst willen nicht. — Michael, Ihr Mütterchen hat mir vor zehn Jahren geschrieben, daß, als sie geboren wurden in Sibirien» Ihre Eltern mit der Vergangenheit gebrochen haben. Und daS nur, um auch Ihr LebenSglück nicht zu zerstören, daß nicht auch einmal Sie unter den Ereignissen zu leiden haben würden, dir die Verbannung Ihrer Eltern herbeigeführt, und die in Rußland nie ver jähren, nie vergessen werden. Sie sollten ein neuer Mensch werden, sollten sich eine geachtete Stellung in der Gesell schaft erwerben, Ihr Glück machen, und daran mußte die Vergangenheit Ihre» Vater» Ihnen hinderlich sein. Be unruhigen Sie sich nicht, diese Vergeben, die seinen Unter gang herbeiführten, sind politischer Natur, kein niedriges Verbrechen haftet an ihm, mit reinem Herzen ist Iwanow Petrowitsch JaSmorin vor seinem Gott erschienen! Er hat Vielem entsagt im Interesse seine» Sohnes, sogar seinem Namen. " „Seinem Namen? " (Fortsetzung folgt.)
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