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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961013021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-13
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Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^tl 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Dienstag den 13. October 1896. Ännahmeschlnk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgru-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. V«i den Filialen und Annahmestellen je «in» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au di« Ehprditiau zu richten. Druck und Verlnq ro«, E. Potz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Oktober. Die in Preußen geplante Aufbesserung der Beamten gehälter ist für das übrige Deutschland im Allgemeinen interessant, weil wichtige Maßnahmen des größten Bundes staates häufig vorbildlich für andere Reichsgebiete werden, und im Besonderen, weil gleichzeitig die Erhöhung der Bezüge von Reichsbeamten und Officieren beabsichtigt ist und die in Preußen leitenden Grundsätze voraussichtlich im Reiche zur Geltung gebracht werden sollen. Sicheres über die Einzel beiten der hier wie dort ins Auge gefaßten Verbesserungen ist noch nicht bekannt geworden. Es sind viele einander wider sprechende Mittheilungen in der Presse aufgetancht, und man geht Wohl nicht mit der Annahme fehl, daß sie alle „ossiciös" waren, d. h. von verschiedenen Regierungsstellen, die ihre Ab sichten gegen andere gouvernementale Pläne laut werden lassen wollten, ausgegangen sind. So viel scheint aber gewiß, daß die Aufbesserung der Gehälter den durch die Ersparnis bei der Rentenconvertirung (etwa 18 Millionen Mark in Preußen) gebildeten Rahmen nicht überschreiten und daß innerhalb dieses eng bemessenen Spielraums die Vertheilung ans eine den modernen Anschauungen nicht durchweg entsprechende Weise vor sich gehen soll. Die am dürftigsten dotirtcn preußischen Staatsstellen dürften wenig oder gar nicht berücksichtigt werden, die sachlich durchaus ungerechtfertigte und überdies politisch bedenkliche Bevorzugung der Verwaltungs- deamten vor den Richtern (und beiläufig bemerkt dieser vor den akademisch gebildeten Lehrern) scheint bei bebalten und der Satz: „Hast Du viel, sv wirst Du bald noch viel mehr dazu bekommen", sich wieder einmal bewahrheiten zu sollen. Es ist ja richtig, die Aufbesserung der wenig zahl reichen hochgestellten Beamten fällt finanziell nicht schwer ins Gewicht, und der finanzielle Gesichtspunkt ist gegenüber einem Unternehmen dieser Art für eine gewissenhafte Staats verwaltung der wichtigste. Aber eS sollte ovch nicht angcben, daß ein Beamter, weil er sein nichts weniger als be- ncivenswerthes und oft hartes Loos mit Hunderten und Tausenden theilt, leer oder fast leer auSgeht, während Staatsdiener mit recht auskömmlichen Bezügen diese erhöht sehen, weil „daS zusammen nicht viel ausmacht". Der preu ßische Oberpräsidenl bezieht heute ein Gehalt von 3l 000 dieses soll erhöht werden; ebenso das deö Regierungsprä sidenten, das sich jetzt auf 11 400 beziffert. Auch das des OberlandeSgerichtspräsidenten soll eine Ausbesserung erfahren, aber es beträgt, obwohl dieser Funktionär seiner Stellung nach einen Vergleich mit dem Oberpräsidenten sehr wohl verträgt, nur 14 000 Die Ausbesserung der Regierungspräsidenten hätte noch dazu einen eigenartigen Beigeschmack. In ost- clbischen Regierungsbezirken gicbt cs überhaupt keinen bürgerlichen Präsidenten, von den 34 Regierungsbezirken des ganzen Landes sind 26 mit adeligen Präsidenten besetzt. Auf diesen Umstand ist von demokratischer Seite auf merksam gemacht worden. Aber das kann nicht hindern, daß er auch in anderer Leute Augen Gewicht erlangt, zumal da .'S sich um ein Land bandelt, in dem man, hinter den meisten ceutschen Bundesstaaten zurückbleibend, den Volksschullehrern ein Maximalgehalt von nur 900 kürzlich sichern wollte, dies aber nicht erreichte, weil die Mittel zu dieser allgemeinen Lchreraufbesierung zum großen Theil einfach auS den (Lassen der großen und größeren Städte genommen werden sollten. Im Allgemeinen scheint, wie schon angedeutet, eine Auf besserung der Anfangsgehälter nicht oder nur im aller bescheidensten Maße beabsichtigt zu sein und die Berück sichtigung sich nur dem höheren Dienstalter ernstlich Ferrttleton. Die Schuld des Fürsten Romanskoi. 13) Roman von Conr. Fischer-Sallstein. Nachdruck verboten. Ilija Andrej zuckte ordentlich zusammen und wurde bleich. „Ich weiß wirklich nicht, wie Sie auf eine solche Ver- mnthung kommen? Wie sollte sich hierher eine Dame ver irren, ick werde von dem Patientendiener bedient." Eine Hand breit vom Tisch entfernt, aber hübsch von dem rotben Lickt der Petroleumlampe beleuchtet, lagen zwei Haar nadeln. Etwas weiter zurück, halb von dem berabbängenden Zipfel des TiscktuckeS beschützt und verdeckt, eine blauseidene Schleife, wie sie Damen zuweilen im Haar zu tragen be lieben. Der Fürst starrte zuerst perplex diese schönen Dinge an, dann lächelte er boshaft vor sich hin, und wandte sich seinem Neffen zu. „Du mußt Dir einen Diener halten, mein Sohn, damit Deine Haarschleifen und Haarnadeln sich nicht so herrenlos im Zimmer Herumtreiben." Der Fürst lachte hier beinahe wild auf, so daß die Fenster klirrten. Ilija Andrej krümmte sich unter seiner Bettdecke wie eine getretene Schlange. Scham und Wuth verzerrten ihm daS Gesicht. Die gute Laune de» Fürsten indessen gewann und behielt die Oberhand. Es wurde ihm leichter nm daö Herz, als er jetzt überzeugt sein durfte, daß daS Gebeimniß seine» Neffen sch nur um ein weibliches Wesen drehte. Gott sei Dank, Keiler ist es also nicht»! Die Befürchtung, daß Ilija, trotz jener Erziehung, eine» TageS in die Fußstapfen seine» Vater« trgen könnte, war also vollständig unbegründet. Der alte Herr atbmete ordentlich auf und blickte mit Daikbarkeit zu dem jungen Manne hinüber, auf den er seine ZukinftSpläne aufgebaut. Nicht für einen Freund, der, und daS fand ihm immer wie ein Gespenst vor Augen, ein ver kappte- Verschwörer sein konnte, sondern für eine Freundin gebrauhte er da« Geld. Gut, diese Freundin will er ihm verzeihe.. Wozu wäre er auch jung? Die Rechte der Jugend ollen ihm nicht beschnitten werden. Auch er ließ sich diese Rechte nicht beschneiden in Ilija Andrej'« wahren! Könnte e» auch ander« sein, darf eS denn zuzuwenden. Ob das billig und politisch richtig ist, kann wohl bezweifelt werden. Die älteren Beamten baben sehr häufig einen geringeren Aufwand zu bestreiten als die im mittleren Alter stehenden, weil diesen die kostspielige Er ziehung ihrer Kinder obliegt: nicht selten kommt auch die Auf besserung im vorgerückten Alter zu spät und ist zu gering fügig, um die wirthsckaftlicke Zerrüttung zu beheben, die Lurch die Jahrzehnte währende unzureichende Bezahlung ver ursacht worden ist. Der Verzicht auf die Erhöhung der AnsangSgebälter bedeutet ohne Zweifel den Verzicht der Justiz und noch mehr der Verwaltung auf den Zuzug weniger bemittelter junger Leute, die nicht Söhne von iLtaalSbeamtcn sind. Nebenbei scheint eine Absonderlichkeit geplant, von der wir hoffen wollen, daß sie nicht auch den Ncichsbeamten nnd Officieren applicirt werden soll. Ein bockgestellter preußischer Beamter hat kürzlich allen Ernstes verlangt, bei der Bemessung der Beamtenbesoldung solle die — Anzahl der Kinder der Beamten berücksichtigt werden. Dieser stark antimalthusianische Vorschlag hat nun allerdings keinen Anklang gefunden, aber dem ihm zu Grunde liegenden Ge danken ist, wie bestimmt versichert wird, insofern die Verwirk lichung zugedacht, als den unverbeiratheten Beamten nur die Hälfte des Wobnungsgeldzuschusses gewährt werden (oll! Ter Wohnungsgelvzuschuß ist in Preußen nicht üppig bemessen. Er beträgt für die Unterbeamten 60 bis 240 für die Subalternbeamten 180 bis 540 und für die höheren und höchsten Beamten in drei verschiedenen Elassen 360 bis 1500 Der unverheiratbete höhere Beamte ist schon heute häufig genug in der Lage, für seine Wohnung mehr außgeben zu müssen, als der Wohnungsgeldzuschuß be trägt. Aber davon abgesehen, der WobnungSgeldzuschuß ist thatsäcklich ein Theil der Bezahlung, den der Beamte für seine Thätigkeit erhält, und wohin würde man gelangen, wenn» man den Beamten nicht nach Leistungen, scndern nach seinem Personenstände besolden wollte? Jeden falls zunächst dabin, daß bei der Besetzung besser dotirter Stellen der Trauschein und die Kinderzahl vor der Quali fikation Beachtung fänden. Daß der verheirathete Beamte durch eigenes Vermögen oder Mitgift sehr oft dem un- verheiratheten wirthschaftlich voraus ist und daß der Letztere nicht selten für Eltern oder Geschwister zu sorgen hat, braucht Angesichts der principiellen Unzulässigkeit der Unter scheidung zwischen „ledig" oder „verheiratbet" gar nicht in Betracht zu kommen. Allerdings einen Vortheil böte die vorgeschlagene Einrichtung: eine Bereicherung unserer Sprache. Zu den vielen Ausdrücken, die der Deutsche für das Eingehen einer ehelichen Verbindung besitzt, käme für den Beamten ein neuer: „Er hat sich in den Genuß des vollen Wohnungs- gcldzuschusscs gesetzt." Vielleicht könnte die Erwähnung vieles Momentes auch in die etwas eintönigen Verlobungs- und Vermiethungsanzeigen einige Abwechselung bringen. Auf dem socialdcmokratischen Parteitage in Gotba Wurde gestern bei Erörterung deS PreßcapitelS auch die Stellung der Partei zur „modernen Kunst" gestreift. Es zeigte sich dabei, daß mancher „Genosse" angewidert wird von den Erzeugnissen jener „Künstler" und „Dichter", die nur das Häßliche und Abstoßende in der Welt für dar stellungswürdig erachten und bei der Ausmalung dieser würdigen Vorwürfe Pinsel und Federn in SchmuS tauchen; eS zeigte sich, daß eS auch im socialdemokratischen Lager noch Leute giebt, die von Werken der Kunst über daS Gewöhn liche und Alltägliche hinauSgehoben und zu einer höheren, abgeklärteren Auffassung der Wirklichkeit angeregt sein wollen. Aberes zeigte sich andererseits auch, welchen politischen ander- sein? fragte sich der Fürst und rückte sich einen Stuhl an das improvisirte Lager seines Neffen. „Mein lieber theurer Ilija," begann er und ergriff, voll ständig mit ihm versöhnt, dessen Kand, „ich sehe ein, daß es nun Zeit wird, Dich zu verheiratyen. Nichts ist natürlicher, als daß Du Dich auf diesen Beruf, der Dir nun am nächsten liegen muß, gewissermaßen vorbereitest. Man muß eS ver stehen lernen, eine Frau zu behandeln und dazu gehört einiges Studium. Ein junger Mann hat aber auch Geheimnisse, die ihm rin Anderer nicht entreißen soll, man geht daran vor über und hat Nichts gesehen. Verstehst Du mich, Ilija An drej? Ich rieche nun wirklich nicht mehr, daß eS hier nach Parfüm duftet, ich habe die Haarnadeln und die schöne Schleife nicht gesehen!" Der junge Mann blickte zu dem Sprecher auf und schien ihm sagen zu wollen: Warum marterst Du mich, ebe Du den vernichtenden Schlag gegen mich führst? Ich weiß, Du bist ein grausamer Tyrann und die Gewalt, die Du über mich hast, wirst Du übenl „Nachdem wir auf diesen Standpunkt gekommen", fuhr der Fürst fort, „hat eS gar keinen Zweck mehr, zu erörtern, ob der edle Aptekar mit Dir oder Du mit dem Aptekar durchgegangen bist. WaS bekümmere ich mich jetzt noch um daS Gerede im Hotel Bristol? Mögen sie schwatzen, der kleine Skandal macht Dich höchsten« auch in den Augen der Gräfin Stroganowna interessant. Also eS stehl jetzt nicht» zwischen unS, mein Sohn. Die Hauptsache ist, daß Du als schneidiger Gesellschafter auS Deinen Studien hervorgehst und gehörig Eindruck auf die schöne Lidia machst." Wo will er hinaus, von welcher Seite will er mich treffen? fragte sich Ilija, der sich jetzt mit verschlossenem Trotz zu wappnen begann. „Es thut mir leid, daß Du Dich hierher verkrochen hast, und ich möchte Dich am liebsten mit sortnebmen. Aber ick will mit Deinem Doctor nicht in die Haare gerathen. Er erfand Dir sehr geschickt eine Krankheit, die mich hätte be unruhigen können. Du wirst Dich also morgen früh im Hotel Bristol einfinden und wir werden alSdann unseren ersten Be such bei der Stroganowna machen." „Ich werde kommen", kam eS von den Lippen des An geredeten. „Du bist rin wenig verdrossen, meine Anwesenheit mag Dir peinlich sein, aberberuhige Dich, ich werde gleich wieder gehen. Nur erlaube mir, Dir in wenigen Worten mit- zuthrilrn, wir ich e» für die Zukunft zu halten gedenke. Du Zweck die socialdcmokratischen Vertreter der „modernen Kunst" verfolgen. Sie wollen „der heutigen Welt die Maske vom Gesichte reißen", um zu zeigen, daß „überall Todesmoder" sei und mithin die Socialdemokratie die Pflicht habe, die Grundlagen dieser modernden Welt umzustürzcn, damit auf ihren Trümmern der Staat und die Gesellschaft der Zu kunft erwachsen können. Daß ein namhafter Tbeil aller „Modernen" unbewußt auf das gleiche Ziel binarbeitet, ist schon oft gesagt und ebenso oft bestritten worden. Es ist daher von Werth, daß die socialdemokratischen „Modernen" offen und zielbewußt erklären, waS sie mit ihrer „Schilderung der Welt, wie sie ist", bezwecken und erreichen zu können hoffen. In diesem offenen Eingeständniß liegt auch indirekt das Zugeständniß, daß cs dem Zwecke wenigstens der social demokratischen „Modernen" entspricht, wenn sie bei der Schilderung der „todesmoderigen" Welt den Moder noch stärker hervortreten lassen, als er in Wirklichkeit bervor- tritt. Hieraus ergiebt sich aber auch, daß der Staat seine Pflicht verkennen und verabsäumen würde, wenn er die auf seinen Umsturz gerichtete Thätigkeit der socialdemokratischen „Modernen" ignoriren oder Wohl gar auf irgend eine Weise fördern wollte. Wir sind keine Freunde der Censur, die sich selbst zu allen Zeiten die schlechteste Eensur ausgestellt hat. Aber wenn die social demokratischen „Modernen" die Erzeugnisse ihrer Kunst offen und ungescheut dem Arsenal ihrer Umsturzmittel einfügen, sv zwingen sie die berufenen Hüter der staatlichen und gesell schaftlichen Ordnung, diesen Erzeugnissen die Stätten zu ver schließen, von denen aus sie die beabsichtigte Wirkung auf das Volk ausüben können. Unter dem Titel: „Besteht ein franco-russisches Bündnitz!" veröffentlicht der „Gaulois" einen Artikel, in dem er in ge nauer Uebereinstimmung mit den Verlautbarungen der „N. Hr. Pr." gelegentlich des Zarenbesuches in Wien erklärt, eine hochgestellte Persönlichkeit, welche die Frage beurtbeilen könne, habe ihm mitgetheilt, eS bestehe ein redigrrtes, paragrapbirtes und unterzeichnetes Papier, das mit dem Siegel beider ver tragschließenden Parteien versehen sei. Es bestehe eine Militairconvention zwischen Frankreich und Rußland, die von Casimir Perier unterzeichnet sei, nicht als er Präsident der Republik, sondern als er Ministerpräsident und Minister des Aeußeren unter der Präsident schaft Carnot'S gewesen sei. Der russische Beamte, der die Uebereinkunft unterzeichnet bade, sei Herr von Giers gewesen. Die Abmachung sei langer Hand vorbereitet worden und gehe dahin, daß im Falle einer Kriegs erklärung an Frankreich oder Rußland von einer Macht des Dreibundes die eine Bundesmacht des Zweibundes zu gleich mit der andern mobil machen und ins Feld rücken solle. Für Frankreich sei besonders der Fall vorgesehen, daß Deutschland und Italien gegen Frankreich vorgehen würden. Die Mitglieder des französischen KriegsratheS, des Generalstabs, der Marinebehörden Härten mit ihren russischen College« sich über das gleichzeitige Ausrücken der französischen und russischen Armee und über die gemeinsamen Flottenoperationen ver ständigt. Gelegentlich deS Besuches deS Zaren, der durch den verlängerten Aufenthalt Schischkin's in Paris alr Wichtigkeit gewonnen habe, habe, wie man annehmen könne, eine neue Convention geschlossen werden sollen, vielleicht sei dieselbe schon unterzeichnet. — An den Abschluß einer neuen Convention glauben wir nicht, es müßte denn sein, daß die Hauptgrundzüge der bisherigen übernommen und nur den veränderten Zeilverbältnissen entsprechend ergänzt wurden. Der defensive Charakter des Bündnisses wird wirst Lidia als Deine Frau nach Slekok führen, und zwar soll das bald geschehen! Du bist mein Rechtsnachfolger, mein Erbe, diese Verfügungen sind testamentarisch nieder gelegt. Im Kreise Deiner Familie will ich einst sonnige Tage sehen, mein lieber Ilija Andrej!" „Wenn aber die Conitessc Lidia eine andere Neigung bereits gefaßt hätte, eine Neigung, die ihr nicht gestattet, mir zum Traualtar zu folgen?" „DaS sprichst Du am Ende von Dir", brauste der Fürst auf, und in seinen Augen zeigten sich die unheimlichen Flammen, „denn woher willst Du wissen, daß die Tschirwa- newna eine Neigung habe? Bei Gott, wenn ich die Stunde erleben müßte, daß Du mir auch hier eine schwere Enttäuschung bereitest, dann stoße ich mein Testament um und schicke Dick ohne Gnade zu Deiner Mutter nach dem fernen Tobolsk. Noch bin ich nicht zu alt, Slekok eine Herrin geben zu können, die meinen Namen führt!" „Wie könnte ich von mir sprechen", entgegnete der junge Herr eingeschüchtert, „ich sprach nur Vermuthungen auS." „Um so besser für Dich, wenn Du nickt von Dir ge sprochen. Ich erwarte Dich morgen früh im Hotel Bristol." Trotz der Erklärung des jungen Mannes war ein wahr haft düsterer Groll in der Brust des eigensinnigen Manne- zurückgeblieben» die noch durch seine Stimme bebte. Man konnte eS ihm ansehen, welche Mühe er sich gab, diese GemüthSstimmung niederzuringen. Aber es gelang ihm nicht, um so weniger, al» ihm gerade jetzt da« Bild seiner Schwester Maria Feodorowna, der er einst den Sohn ge nommen mit der Unbarmherzigkeit eines Bojaren, au« längst vergangener Zeit, vor seinem geistigen Auge erschien. „Ich werde kommen", sagte Ilija Andrej nun abermals, „und hoffe daß Sie mit mir zufrieden sind, Onkel Stepan Wassilitsch." „Es liegt an Dir, Dein LebenSglück zu gründen, oder zu verscherzen. Vor Deiner Reise um die Welt war ich im großen Ganzen immer mit Dir zufrieden, und ich hoffe, daß wir uns nach Deiner Hochzeit wieder so nahe stehen, wir ehedem. Gute Nackt, Ilija Andrej." Er erhob sich. DaS Gemach, mit allem wa« darin war, machte auf einmal den Eindruck de« Düsteren, de« Unheim lichen auf ihn. Die warme nnt Parfüm geschwängert« Luft beengte ihm die Brust. Er rang mit Visionen und ohne nockmal« nach seinem Neffen sich umzublickrn, in dessen Wesen etwas lag, daS ibm nicht gefiel, verließ er das Zimmer uud trat auf da« Vestibül hinau«. zweifellos gewahrt geblieben sein, und darin dürfte auch einer der Gründe für die Nicktveröffentlichung der Uebereinkunft liegen, von welcher der französische Chauvinismus, der nicht enttäuscht werden soll, voraussetzt, daß sie eine Defensiv- und Offensivalliance ist. Daß die französische Regierung nicht daran denkt, den Schleier zu lüften, zeigt die Antwort, welche der ofsiciöse „Tcmp s" dem socialistiscken Abgeordneten IauröS giebt, der im „Matin" die Veröffentlichung deS Ver trages fordert. Der „Temps" schreibt: ES weide Herrn Jaurös nicht gelingen, der Regierung förm liche Erklärungen über den Vertrag zu entwinden. „In der Ver fassung wird sehr weise dem Präsidenten der Republik Freiheit gelassen, Verträge zu unterzeichnen und sie dem Parlament mit- zutheilen, wenn er den Zeitpunkt dafür für gegeben hält. ES giebt übrigens bei Verträgen dieser Art stets zwei Mächte, die gegenseitig gebunden sind, und wer die eine zur Rede stellt, wendet sich selbstverständlich auch an die andere. Wer vermag zu behaupten, daß Rußland die bisher beobachtete Verschwiegen heit nicht weiter für nothwendig eracht»? Wie weit werden unsere Abgeordneten geben? Werden sie die russisch« Kanzlei um die Gründe ihres Schweigens fragen? Ob die Regierung nun spricht oder schweigt, je nach den Umständen, es kann keine Rede davon sein, sie des Bruchs irgendeiner parlamentarischen Gepflogen heit der Untreue gegen die Berfassungsgesetze zu beschuldigen." „TempS" beruft sich auf daS Beispiel Bismarck s, der die Verträge mit den süodeutschen Staaten und mit Rußland bis 1870 geheim dielt und eben daraus, daß deren Bestehen un bekannt war, Nutzen gezogen hat. Er hätte sich gleichzeitig darauf berufen können, daß auch der Dreibundvertrag erst geraume Zeit nach seinem Abschluß bekannt gegeben wurde. Sehr bezeichnend ist, daß der „Temps" bei seiner ganzen Polemik gegen den „Matin" die Existenz eines Ver trages als selbstverständlich voraussrtzt. Auch sonst mehren sich, wie aus Mittheilungen an anderer Stelle zu ersehen ist, die Stimmen, welche eine mit Alliance gleich- werthige Militairconvention als in aller Form bestehend be zeichnen. AnS dem Umstande, daß der gegenwärtige Verweser des russischen Auswärtigen AmtesSchisckkin während der Zarentage in Paris wiederholt längere Besprechungen mit dem französischen Außenminister Hanotaux hatte, wollen dortige politische Kreise die Gewißheit erlangt baben, daß Schischkin bereits zum Nachfolger des Grafen Lobanow er nannt sei. Einstweilen fehlt noch die Bestätigung dieser Nachricht, dock scheint so viel sicher zu sein, daß Sckischkin allein bei Besetzung des Postens in Frage kommt. Don dem Grafen Kapnist ist in letzter Zeit nicht mehr die Rede gewesen, von Staat wurde seines Alters wegen nicht mehr in Betracht gezogen und v. Nelidow ist unter den gegenwärtigen Umständen in Kon stantinopel unentbehrlich. Da bleibt also nur Schischkin übrig. Der künftige russische Minister deS Auswärtigen ist noch nicht 60 Jahre alt, steht aber doch schon in der zweiten Hälfte der Fünfziger. Er stammt vom kleinen Landadel, obschon er nicht wie GierS das „äs" gebraucht. Herrn Schischkin'S Carriöre ist rein bureaukratisch, er hat sich im diplomatischen Dienst ausgedient. Vor vielen Jahren wurde Sckischkin als Gesandter in Belgrad, später in Athen und zuletzt als Gesandter in Schweden verwendet. Von dem letzteren Posten wurde Sckischkin vor vier Jahren von GierS an Stelle Vlangali'S in das Ministerium berufen. Als Diplomat hatte er wenig Gelegenheit, eine Der Fürst atbmete erst wieder auf, als er seinen getreuen Nabim sah. Auf dessen Arm gestützt, verließ er rasch das HauS, ohne den hinter ihm nachkommenden Arzt auch nur eines BlickeS gewürdigt zu baben. Als er im Wagen saß und dieser davon rollte, sagte er zu Nahim in verwarnendem Tone: „Unsere liebe Sofia Andrejewna darf nie erfahren, in welch' einer Mördergrube Ilija Andrej Heilung sucht. Ich verlasse mich auf Deine Verschwiegenheit. Nabim. Kaum war der letzte dumpfe Stelzentritt des Fürsten draußen auf dem Hausflur verhallt, so sprang Graf Mat- sckerskoff vom Bette auf, warf die rothe Decke zurück und trat mit drobend erhobener Hand gegen die Tbür zu, die im Schloß lag und durch die soeben sein Peiniger gegangen war. Er war nur mit Hosen und Strümpfen bekleidet. „Die schöne Zeit soll wiederkommen", zischte eS von seinen Lippen, „die Zeit, in der ick der Hund und Du die Peitsche warst! Jetzt wird der Hund an eine Hündin gekoppelt und die Dressur ist fertig! Aber ich habe ein Weib, Stepan Wassilitsch! — Du schicktest mich selber dahin, wo ich sie fand, das süße Geschöpf, welches mich zum ersten Mal lehrte, was Liebe bedeutet, lieber Dich hinaus führt der Weg zu meinem Glücke und über Dich hinaus führe ich sie als Herrin nach Slekok! — Meine Novelle wolltest Du nicht verstehen, — gut, ich werde zeigen, daß ich die Novelle nicht nur zu beginnen, sondern auch zu vollenden weiß." Dort drüben, recht« an der Wand, befand sich eine Tbür, die in ein anstoßende« Gemach führte. Auf diese Tbür eilte nun Ilija Andrei zu und öffnete sie. Gedämpftes Licht fluthete heraus. Man hörte eine weiche, zarte Frauenstimme. Mit verschränkten Armen, mit einem Trotz im Angesicht, der nur dem Fürsten galt, trat er auf die Schwelle und blickte in« Zimmer hinein. Auf dem Divan, zwischen umher geworfenen Kissen, saß rin junge« Weib, mit gelbem sammet weichen Teint, mit großen, nacktschwarzen Augen, aus denen wie «in hoffnung«lose« Lied ein glutkvolleS Verlangen sprach. Da« blauschwarze üppige Haar war mit blauen Schleifen geschmückt, mattglänzendr Perlen wiegten sich auf ihrem entblößten Hals. An dem Finger ihrer rechten Hand blitzte rin Trauring, den sie jetzt an die geschwellten Lippen führte und küßte. Gerade die großen Brillanten, die ibrr kleinen Ohren zierten, im Bunde mit der nachlässigen Manier, mit der die kostbare Seidrnrobe um ihren binsrnrunden Körper hing, ver liehen ihr etwas Fremdartiges, Zigeunerhaftes. Und während ihre Augen, mit dem stumpfen Dunkel, ab«
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