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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961015013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-15
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Größere Schriften laut unserem Preis, »«zeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnjatz »ach höherem Laris. Optra-Beilagen sgefalzt), nnr mit d« Dtoraen - Ausgabe, ohne Postdefördnuag 4» SO.—, mit Pvjtbesörherung 4» 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Marge »-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. ——- Druck und Verlag von E. Bolz in Leivzig Eine Mystifikation des Latholicismue. Der größere Theil der deutschen Presse ist mit Still' schweigen an einer Sache vorübergrgangen, welche sich mehr und mehr als eine Erscheinung von der größten Tragweite und von jetzt noch unübersehbarer Bedeutung ausgewachsen bat. Wer darüber zu vollem Verständniß gelangen will, muß neben einem sensationellen Artikel der (katholischen) „Köln. VolkSztg." (Nr. 695 vom 13. Oct.) Vie beiden Schriften I. G. Findel'»: „Katholischer Schwindel" (3. Ausl.) und „Die „Germania" und der Gockelhahn des Teufels Bitru" kennen lernen. Wenn das genannte CentrumS-Organ eine ganze Reihe literarischer Erzeugnisse katholischer Schriftsteller als „Volks- Vergiftung "brandmarkt; wenn eS von Bataille und Baughan sagt, daß die Freimaurer deren „Enthüllungen" erfinden müßten, wenn sie nicht schon da wären; wenn eS klagt, daß „findige Pariser Literaten, welche den Aberglauben dcS 19. Jahrhundert» in Cassenscheme umsetzen und bewußt oder unbewußt daS freimaurerische Anti-Kirchenthum unterstützen"; wenn es zugiebt, daß die im Kampfe wider daS Freimaurer- lkum verwertheten „Münchhauseniaden" — „die Kirche in einer Reihe ihrer Diener lächerlich gemacht und den Kampf gegen die Freimaurerei behindert und compromittirt" haben, so daß ein waschechter Freimaurer nicht mehr verlangen könne: dann deutet dies auf eine tiefgehende Wirkung hin, die von irgend einer Seite her verursacht sein muß. Und in der Tbat, diese Wirkung ist auf Findels „Katholischer Schwindel" vorzugsweise zurückzuführen, eine Schrift, welche zuerst und allem vor der Oefsentlichkeit die „Enthüllungen" Margiotta's siegreich widerlegte und durch geschickte Berwerthung katholischer Literatur-Erzeugnisse, zumal deS Feldkircher „Pelikan", der Eentrumspresse die Augen öffnete, so daß sie die dem KatholicismuS drohende Gefahr erkannte. Sonderbar genug I Zetzt sind es deutsche Jesuiten, welche in Bekämpfung dieser katholischen Auswüchse und Verirrungen mit Kindel Hand in Hand gehen, ja ihn, der sich doch noch einige Reserve auferlegen mußte, weitaus über bieten. Freilich ernten sie nur, was sie selbst gesäet haben. Derb, aber mit Recht hält ihnen Findel vor: „Wenn man jahraus jahrein Tinge predigt, die der gesunden Bernunft widersprechen und sich als handgreiflicher Blödsinn ausweisen, wenn man so dem Volke Läuse in den Pelz legt, dann darf man sich wahrlich nicht wundern, wenn aus dieser Saat Früchte emporschießen, die schließlich halbwez vernünftigen Leuten im eigenen Lager Angst machen und Unwillen erregen. Man darf sich nicht wundern, wenn dann die Mahnungen nüch terner, einsichtsvoller und wohlmeinender Geistlicher und Laien ungehört verhallen und wenn die katholischen Verleger lieber dem Mammon als Gott dienen und allen möglichen Teuselsspuk an die Oefsentlichkeit spediren. DaS um so mehr, wenn sie erfahren, daß selbst Bischöfe und Cardinäle den handgreiflichsten Schwindel unter ihren Schutz nehmen und mit Fudern von Lob aus der Taufe heben." In der soeben ausgegebenen Schrift: „Die „Germania" und der Gockelhahn", welche die ganze Blamage eines nam haften Theils der katholischen Well eindringlich enthüllt, spricht Findel die Vermulhung aus, daß der ehemalige Frei maurer Leo Ta^il die unter dem Namen Miß Vaughan erschienenen Schriften verfaßt habe. Dies bestätigt nun nicht bloS die „Köln. Volks-Ztg.", sondern sie er bringt auch den verblüffenden Beweis, daß der wesent liche Inhalt der viel erwähnten antifreimanrerischen Schriften und da» ganze Gewebe von Aberglauben, das sie untkr frommen Redensarten aufgetischt und selbst Geistlichen (Bischöfen und Cardinälen) mundgerecht gemacht, von dem Schiffsarzt vr. Charles Hacks, dem Ver fasser deS Buches „I^e gsdte" (Paris 1892) herrührt. Die „Köln. BolkS-Alg." vermuthet, daß die Schrift von Bataille „ein Compagniegeschäst, berechnet auf die menschliche Dummheit", sei, „ausgehend von dem Ge 528. Donnerstag den 15. October 1896. Sü. Jahrgang. danken, zu versuchen, wieviel man den Leuten vormachen und wieviel Geistliche man hereinfallen lassen kann". „Eine Flutb von Aberglauben drängt sich heran" — be merkt das Centrums-Organ— „in letzter Zeit namentlich von jenseits der französischen Grenze, ein Aber glauben, kein Atom weniger albern und auf die Dauer auch gefährlich, wie die schlimmsten Orgien deS Hexenwahns im 17. Jahrhundert. Starke Worte, wird man vielleicht sagen, aber es ist Zeit, daß sie gesprochen und beachtet werden, wenn die Kirche, namentlich in Frankreich und Italien, dem Schicksal entgehen soll, nicht nur nach außen compromittirt zu werden, sondern auch innerlich schweren Schaden zu leiden". Unter diesem Gesichtspunkte muß man einzelne Stellen der Findel'scheu Gockelhahn-Broschüre lesen, zumal die Abschnitte: „Die verspuckle Suppe des antimaurerifchen Con- gresses" und „Aus der Hexenküche von Trient". Nach all diesen beacbtenswertben Vorgängen dürfte die italienische Ueber- setzung vonjFindel'S „Katholischer Schwindel" auch im Vatican einigen Eindruck machen und der verfehmten Freimaurerei in Italien Wasser auf die Mühle liefern. Dem ganzen katholischen Volke aber, soweit es noch nicht unheilbar in den tollsten Aberglauben verstrickt ist, wird die Broschüre den Beweis liefern, daß die wahren Feinde der katholischen Kirche nicht die vielgefchmähten „Culturkämpfer", sondern die Züchter jenes Aberglaubens und jene protestantischen Leisetreter sind, die, um nur ja dem Centrum keinen Anstoß zu geben, spöttisch über dieselbe „Culturkämpfcrei" sich äußern, der jetzt die über ihr eigenes Werk erschrockenen Jesuiten den Rang abzulaufen suchen. Deutsches Reich. * Leipzig, 14. October. Der Vorstand de- National liberalen Landesvereins für daS Königreich Sachsen ladet seine Mitglieder auf Sonntag, den 25. d. MtS., zu einer Landesversammlung nach Dobeln ein. Auf der Tages ordnung steht: Bericht über die Verhandlungen und Ergeb nisse des Berliner Dc^grrtentageS in Bc^..g auf Sachsen (Referent Vorbehalten) und Organisation und Agitation in Sachsen, Referent Generalsecretair Breithaupt. Die Herren Vereinsmitglieder in Leipzig sind gebeten, ihre Theil- nahme der Geschäftsstelle, Färberstraße 12, II., anzuzeigen. Berlin, 14. October. Nicht ohne ein gewisses Be hagen werden die politischen Kreise davon Kenntniß nehmen, daß dem Tagesorgan der Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe vor den socialistischen Wirkungen der — ge nossenschaftlichen Selbsthilfe bange ist. In möglichst drastischer Weise wird in dem Blatte ausgeführt, wie auf diesem Wege die Müllerei und die Metzgerei, die Bäckerei und die Zuckerfabrikation, ja schließlich auch die Leder verarbeitung u. s. w. und selbstverständlich aller Zwischen handel vergenossenschaftlicht werden könnte. Das, meint die „Deutsche Tageszeitung", würde an Wirksamkeit „all mählich" auch die der sog. großen Mittel erreichen, aber erst recht jene socialistischen Gefahren heraufbeschwören, vor denen die Gegner des Antrags Kanitz warnen zu sollen glaubten. Wir sind nicht unangenehm davon berührt, daß die Redaction deS genannten Blattes wenigsten» einen An fang macht, entwickelte Ideen bis zu Ende durchzudenken; sie wird es hoffentlich beim Antrag Kanitz jetzt auch einmal ver suchen und dabei schon etwas Ilebung, deshalb auch besseren OrientirungSsinn besitzen, al« beim ersten Versuch dieser Art, der begreiflicher Weise mißlingen mußte. Uebrigen» aiebt sich auch die „Freisinnige Ztg." einer recht überflüssigen Sorge wegen der von der Bundesleitung inaugurirten Selbst hilfe hin. Der Bund hat, wie jüngst gemeldet wurde, eine genossenschaftliche Centralcasse eingerichtet, um mittels derselben den billigen Credit der preußischen CentralgenossenschaftScasse auch den einzelnen vom Bunde begründeten Genossenschaften verfügbar zu machen. Dieses Beginnen ist in jeder Weise zu begrüßen; es liegt auf dem Wege praktischer Wahr nehmung gemeinsamer Interessen, der alle Interessenvertretung erst legitimirt; und im concreten Fall ist das ergriffene Hilfsmittel durchaus geeignet, die Gemeinschaft der Interessen zu pflegen, statt gegensätzliche Interessen innerhalb der Be rufsgemeinschaft zu wecken. Nun hegt die „Freis. Ztg." die Besorgniß, es möchte diese Centralcasse des Bundes über ihre Fädigkeit hinaus als creditwürdig behandelt werden; außerdem beanstandet das Blatt solche Gründungen an und für sich, da sie nicht aus einem selbstständigen Bedürfniß hervorgingen, sondern nur, um den billigen Credit aus Staatsmitteln zu erhalten. Was die erstere Befürchtung betrifft, so haben wir aus dem ersten Rechenschaftsbericht der Centralgenossenschaslscasse im preußischen Landtag vernommen, daß die Sorgfalt gegenüber den creditsuchenden Verbands- cassen sogar so weil geht, daß die Einschätzungen der Cassen- mitglieder für die Ermittelung der Creditsäkigkeit zu Grunde gelegt werden und daß von dem aufsummirten Betrag der Steuerkräfte nur etwa ein Drittel als Maßstab der Credit- fähigkeit angenommen wird. Da wir annebmen, daß den Ver bandskassen des Bundes gegenüber nicht anders verfahren wird, sehen wir zu Befürchtungen im Sinne der „Freisinnigen Zeitung" nicht den mindesten Anlaß. Und die allgemeinen Bedenken derselben sind uns einfach unverständlich. Der billige Credit ist doch Selbstzweck der ganzen Schöpfung; wenn ihm nachgegangen wird, fehlt kein Bedürfniß, sondern ein solches ist gerade vorhanden. Oder ist die „Freisinnige Zeitung" etwa von der Sorge gequält worden, daß eine Verbandskasse Credit nehmen würbe, nur um Credit ge nommen zu haben, nicht weil Unlerverbänve und Einzelcassen bas Bedürfniß angemeldet haben? Fast will eS scheinen, als sei das die Sorge der „Freisinnigen Zeitung" gewesen. Dann muß sie aber doch über solche Angelegenheiten ver zweifelt wenig unterrichtet sein. 4t Berlin, 14. October. Der Beitritt Deutschlands zur internationalen Union für den Schutz deS ge werblichen Eigentbum» wird anläßlich deS Beschlusses, welchen die in Berlin vorgestern und gestern abgehaltene deutsch-österreichische Gewerpeschutz-Conferenz gefaßt bat, in der Oeffentlichkeir wieder erörtert werden. Es darf des halb bemerkt werden, daß Deutschland niemals einen grundsätz lich ablehnenden Standpunct der Union gegenüber eingenommen bat, was ja auch schon daraus hervorgeht, daß eS zu den UnionS- conferenzen besondere Bevollmächtigte sowohl nach Rom als nach Madrid entsandt hatte. Wenn eS bisher der Union nicht beigetreten ist, so waren dafür Zweckmäßigkeitsgründe, die auch wohl nicht immer blos auf wirtdschaftlichem Ge biete lagen, maßgebend. Auch der Abschluß von Sonder verträgen, wie er mit Oesterreich-Ungarn, Italien und der Schweiz bezüglich des Patent-, Marken- und Musterschutzes und mit Serbien bezüglich des Marken- und Musterschutzes erfolgt ist, beweist nichts dagegen, daß dsr Anschluß an die Union als eine eventuelle Möglichkeit im Auge behalten wurde. Daß Deutschland von diesen Sonderverträgen Vor theile gehabt hat, wird nicht bestritten werden können. Ebenso ist es zweifellos, daß daS Fernbleiben Deutschlands von der Union für daS heimische Erwerbsleben Nachtheile im Gefolge bat. Es braucht nur daran erinnert zu werden, daß in Frankreich bei der Einführung patentirter Gegen stände au» Nicht-UnionSländern das Patent erlischt und daß Schweden deutsche Wortzeichen im Gegensatz zu solchen aus Unionsstaaten nicht schützt. Ueber die Sachlage ist also ein Zweifel nicht möglich. Fraglich bleibt nur, ob sich die Ver hältnisse inzwischen so geändert haben, daß ein Beitritt Deutschlands zur Union für da» heimische Erwerbsleben von Nutzen ist. Hierüber kann nicht das Vorgehen anderer Staaten entscheiden, also nicht der Hinweis darauf, daß Oesterreich und Rußland eventuell geneigt sein werden, den Anschluß an die Union demnächst zu vollziehen, sondern lediglich die Abwägung der für die heimischen Verhältnisse in Betracht kommenden Momente. Daß in dieser Beziehung Manches nicht so ist, wie es von dem deutschen Standpuncte aus gewünscht werden muß, wird auch von den Freunden des Anschlusses zugegeben. Vielleicht werden hier aber durch die bevorstehende Ünionsconferenz, die ja Wohl für das nächste Jahr in Brüssel geplant wird, Aenderunzen vollzogen. Jeden falls wenden auch in Deutschland die zuständigen behördlichen Stellen der Frage des Anschlusses an die Union stete Auf merksamkeit zu, und die neu ausgetretenen Momente sind zum Anlaß von Erwägungen über die Zweckmäßigkeit des Anschlusses genommen. * Berlin, 14. October. Aus militairischen Kreisen wird den „Berl. N. N." geschrieben: „Daß im deutschen Reiche die deutsche Sprache als Heeres« spräche im Gebrauch ist, wird besonders zu beweisen kaum nöthig sein. Deshalb muß es ausfallen, wenn man zur Zeil der Recruten- einstellung alljährlich Bücher für die polnischen Recruten angekundigt findet, wie z. B. „Kurzer Dienstunterricht für den Infanteristen (Recruten) in deutscher und polnischer Sprache, zu gleich Lesebuch für den polnischen Sprachunterricht im deutschen Heere". Dieser Zusatz sollte fast glauben lassen, daß im deutschen Heere auch polnischer Sprachunterricht ertheilt wird, was man doch kaum für möglich halten kann. Dann giebt es wieder ein Buch: „Deutscher Unterricht für Recruten, die nur der polnischen Sprache mächtig sind". Ein solches Buch könnte man schon eher gelten lassen, wenn man nicht bedächte, daß es doch nur verschwindend wenig Recruten geben kann, die nur der polnischen Sprache mächtig sind. Dies können höchstens die paar Analphabeten sein, da alle klebrigen doch die deutsche Volksschule vom 6. bis 14. Lebensjabre besucht haben, und darin doch so viel Deutsch gelernt haben müssen, daß von nur der polnischen Sprache mächtigen Recruten kaum die Rede sein kann. Es fehlte nur noch, daß man polnische Commandoworte zur Aus- bildung dieser sogenannten nur polnisch Sprechenden einsührte; wie man sich in richtiger Erkenntniß hierin auf keinerlei Zugeständniß einläßt, so sollte es auch bei der Instruction sein. Man setze keine Prämien für die Erlernung der deutschen Sprache beim Heere für die polnisch Sprechenden mehr aus. sondern zwinge sie zum alleinigen Gebrauch der deutschen Sprache ohne jedes polnische Hilfsmittel, dann wird man gewiß rascher zum Ziele kommen, als mit derartigen Zugeständnissen, die heute weniger an der Zeit sind als je. Ebenso gut könnte man Jnstrnctionsbücher in wendischer, dänischer und französischer Sprache einsühren, was wohl Jedermann mit gerechtem Kopsschülteln vernehmen würde; warum wird nun eine Ausnahme mit der polnischen Sprache gemacht, wozu gar kein Grund vorliegt! Ein Versuch, einen Jeden, der in der zweijährigen Dienstzeit nicht genügend Deutsch gelernt hat, noch ein drittes Jahr dienen zu lasten, würde sprachliche Wunder bewirken. Man sollte Loch bedenken, daß im Heere nur deutsch gesprochen wird und an keine fremde Sprache, welche es auch sei, Zugeständnisse gemacht werden wie die angeführten. Es erscheint nicht unbedenklich, dem polnischen Element nach dieser Richtung hin eine Ausnahmestellung anzuwcisen, zumal die preußische Armee die bitteren Früchte solcher Experimente schon einmal gekostet hat'" Diese Bücher für die polnischen Recruten sind Wohl Be- standtheile des politischen Nachlasses des Grafen von Caprivi, die mit der Verpflanzung der polnischen Recruten nach rein deutschen Gegenden außer CurS gesetzt werden dürften. Berlin, 14. October. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin unternahmen im Laufe des gestrigen Nachmittags einen gemeinsamen Spaziergang. Abends kam der Kaiser vom Neuen Palais nach Berlin und wohnte der Aufführung des Lustspiels „Ein Königsidyll" im Schauspiel haus« bei. — Heute Vormittag hörte der Kaiser von 9 Uhr ab den Vortrag des Chefs des Geheimen Civil-CabinetS und empfing um 12 Uhr in Gegenwart deS türkischen Botschafters am hiesigen Hofe, Ghalib Bey, und des Staatssecretairs des Auswärtigen, StaatSministerS Freiherr» Marschall von Bieberstein, den in besonderer Mission des Sultans hier eingetroffenen General von Grum bckow-Pascha, welcher dem Kaiser ein Schreiben des Sultans über reichte. Mittags concertirte vor dem Kaiserpaar die Hof- und Militaircapelle des Chedive. Um 1 Uhr 50 Minuten meldete sich Prinz Heinrich von Preußen, welcher kurz vorher aus Kiel eingetroffen war, bei dem Kaiser. Zur Meldung wurde ferner noch der.Corvetten-Capitain mangelnde Zusammenwirken der beim Arrangement deS Volksfeste» betheiligten Behörden hingewiesen und bezüglich de» Großfürsten hervorgehoben haben, daß es falsch sei, einen unverantwortlichen Mann auf einen verantwort lichen Posten zu stelle». Damit hat Graf Pahlen aller dings den Nagel auf den Kopf getroffen. Als Grund für die Rückkehr de» Großfürsten und seiner Gemahlin nach Peter»burg wird auch der Wunsch der jungen Kaiserin angeführt, ihre ältere Schwester, die Großfürstin Jrlisawata Feodorowna beständig in ihrer Nähe zu haben. Hier würde man die Hobe Dame, die durch Gründung von Krippen, Asylen und anderen WohlthätigkeitSinstituten viel Gute» gestiftet bat, nur ungern scheiden sehen. In diesen Tagen haben wir endlich auch wieder einen neuen Oberpolizeimeister erhalten in der Person de» Obersten Trepow vom Leibgarde-Regiment zu Pferde. Er ist ein Sohn de» früheren Petersburger StadthauptmannS, auf den di« Nihilistin Wera Sassulitsch daS bekannte Attentat auSfübrte. E» ist zu wünschen, daß Oberst Trepow die Energie seine» Vater» geerbt haben möge: in Moskau kann er sie brauchen. Der behäbige russische Kaufmann, der hier da» Gro» der Bevölkerung bildet, befolgt die auf Ordnung und Sauberkeit abrielenden Verordnungen der Polizei nur dann, wenn er sich durch empfindliche Geldstrafen dazu ge- zwunarn sieht. DaS verstand Trepow« AmtSvorgangrr, Oberst WlasowSki, am besten. Mit rücksichtsloser Schärfe ging er gegen jede Uebertretung seiner Anordnungen vor, und r» gelang ihm wirklich, in verhältnißmäßig kurzer Zeit Ordnung ru schaffen, freilich nicht ohne harte Kämpf« mit der Duma (Stadtverordnetenversammlung), die sich häufig seinen Forderungen widersetzte. Durch seine oft allerdina» zu weit gehende Rücksichtslosigkeit schuf er sich naturgemäß eine Menge von Feinden, man tann sagen, er war der best gehaßte Mann in Moskau, und als man nach der Katastrophe auf dem Ebodynfkyfelde einen Sündenbock brauchte, nahm man ihn, der wohl kaum der Hauptschuldige war. Er wurde seine» Amte» rnffetzt uud gänzlich au» dem Staatsdienste ausgeschlossen. Damit verlor er Rang und Pension, sogar daS Recht, Uniform zu tragen, gewiß eine harte Strafe für einen Mann, der streng, aber unbestechlich war und heute auf die schmalen Einkünfte eines kleinen Gutes angewiesen ist. Kaum bat WlaSsowSki Moskau den Rücken gekehrt, so ist Alles wieder in den alten Schlendrian verfallen. Die Straßen werden nicht mehr ordentlich gekehrt, die Miethfuhrleute, die WlaSsowSki, der überall und nirgend» war, wie den Teufel fürchteten, sind wieder unverschämt und schmutzig geworden, allerlei Gesindel ist wieder au» seinen Schlupfwinkeln hervor gekrochen und macht die Stadt unsicher, — kurz, der neue Oberpolizeimeister wird bei seinem Eintreffen in Moskau Arbeit genug vorfinden. Hoffentlich wird der elegante Peters burger Gardevfficier ihr gewachsen sein. Nicht weniger al» der Wechsel im Amte deS Oberpolizei- meisterS wird gegenwärtig in der Moskauer Gesellschaft ein Wechsel in der Person des CbefredacteurS der „MoSkows- ija Wjedomosti" deS bekannten, streng national-orthodoxen Blatte«, besprochen. Zur Zeit de« vielgenannten Publicisten batkow war diese Aitung die einflußreichste Rußlands, die elbst Minister und hohe Beamte, welche im Gerüche deS Liberalismus standen, zu stürzen vermochte und deshalb in den Beamtrnkreisen geradezu gefürchtet wurde. Indessen Katkow starb und sein Nachfolger Petrowski hatte wohl die Gesinnung aber nicht daS bedeutend« Talent seines Vor gänger« geerbt. Der Ton de« Blatte- verrohte immer mehr, öde Schimpfereien, gehässige, vornehmlich gegen da- Deutsch- thum gerichtete Denunciationen füllten die Spalten, so daß sich zuletzt auch der gebildetere Theil der gut national und orthodox gesinnten Russen mit Widerwillen von dem Blatte abwandle. Die Abonnrutenzahl schmolz be- denklich zusammen und ein Wechsel in der Oberleitung wurde unvermeidlich. An Petrow-ki- Stelle tritt vom 1. Januar 1897 an der bisherige Dirrctor de« von Katkow begründeten Lyceum«, Wirklicher StaatSrath W. Gringmuth, ein früherer Mitarbeiter der „MoSk. Wjed.". Ein Sohn kern deutscher Eitern, lutherisch getauft und confirmirt, trat er später freiwillig zur orthodoxen Kirche über und drbutirte alsbald in dem genannten Blatt« mit dem Feuereifer de- Renegaten als Lobredner und Vertheidiger der Rechtgläubig keit. Vielleicht wollte er dadurch den deutschen Klang seines Namen« und den Umstand vergessen machen, daß in seinen Adern auch nickt ein Tröpflein Slavenblut rollt. Als Leiter der „MoSk. Wjed." wird Gringmuth, der übrigens ein tüch tiger Gelehrter und kluger Mann ist, voraussichtlich dasselbe Garn spinnen wie sein Vorgänger, nur eine etwas feinere Nummer. , Eme etwas gedrückte Stimmung herrscht augenblicklich in der Moskauer Kaufmann-weit, wie immer, wenn die Nischnyrr Messe schleckt ausgefallen ist. DaS war Heuer leider der Fall, eS herrschte unter den Käufern eine große Geldknappheit, die Prolongation der ohnehin schon langsichtigen Wechsel, Zahlungseinstellungen, geringen Umsatz rc. zur Folge batte. Und gerade in diesem Jahre hatte man anläßlich der großen Allrussischen Ausstellung aus einen besonders gün stigen Ausfall der Messe gerechnet. Daß diese Ausstellung in dem entlegenen Nisckny und nicht in Moskau, dem „Herzen Rußland»", der größten Handel»- und Fabrikstadt des Landes und dem Centrum de» russischen Eisenbahnnetzes stattfand, daS hatten unsere Moskauer Kaufleute dem Finanzminister Witte schon sehr übel genommen, daß die Ausstellung ihnen aber, nach ihrer Auffassung, auch noch die Messe ruinirte, steigerte noch ihre üble Laune und dem armen Finanzminister müssen manchmal die Obren geklungen haben, so viel und gründlich ist in diesen Kreisen über ihn raisonnirt und auf ihn geschimpft worden, denn diese Herren pflegen kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Schlechte Geschäfte machrn bi» jetzt auch noch unsere Theater, wohl de» noch immer anhaltenden schönen Herbst wetter» wegen. Wir besitzen augenblicklich in Moskau sechs größere Bühnen, von denen die beiden kaiserlichen Theater» das „große" und da« „kleine", die hervorragendsten sind. Das erstere, nach der Mailänder Scala da» größte Theater Europa«, ist zur Krönung-feier gänzlich renovirt und mit verschwenderischer Pracht au-gestattet wordrn. Der gewaltige Zuschaurrraum mit s«inrn sechs Galrrira und s«inrn reichen Moskauer Briefe. Bon V. Fedorow. Nachdruck v«rb»tkN. I. Auf den Jubel und Trubel der Krönungszeit ist ein stiller Sommer gefolgt. Nachdem da» Kaiserpaar und seine hoben Gäste davongezogrn waren, verschwanden mit den glänzenden Hofeauipagen auch die Dekorationen der Häuser, die Fahnen und Ehrenpforten von den Straßen und Mütterchen Mo-kwa legte wieder ihr Alltagskleid an. Die meisten ihrer Söhne und Töchter aber wendeten ihr den Rücken und zogen hinaus in einen der zahlreichen Datschenorte, die Moskau in weitem Kreise umgeben, oder begaben sich nach Nischny-Nowgorod zum Besuch der Allrussischen Ausstellung oder reisten endlich in ausländische Badeorte, die im verflossenen Sommer förm lich von Russen wimmelten. Jetzt sind die Ausreißer fast alle wieder zurückgekehrt und die Wintersaison tritt trotz de» anhaltend schönen Herbst wetter» allmählich in ihre Rechte. Die Schulen, deren Zög linge in diesem Jahre zur Feier der Krönung volle vier Monate Ferien (vom 1. Mai bi» zum 1. September a. St.) hatten, haben endlich wieder begonnen, die Behörden nehmen ihre Sitzungen, di« Thrater ihr« Vorstellungen wieder auf. Noch fehlt der Stadt freilich ihr Oberhaupt: der General gouverneur Großfürst Sergei Alexandrowitsch weilt mit seiner Gemahlin noch immer im Ausland«, augenblicklich am Darmstädter Hofe znm Besuche seiner hohen Verwandten und wird dort wahrscheinlich mit dem russischen Kaiserpaare zusammentreffen. Man glaubt nicht, daß d«r Großfürst wieder auf feinen hiesigen Posten zurückkehren werde und erzählt sich, Graf Pahlen, der frühere Iustizminister, den der Kaiser mit der Untersuchung über die Ursachen der entsetzlichen Katastrophe auf dem Chodynskyfelde während der KrönungS- zeit beauftragt hatte, soll« in seinem Berichte auf da»
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