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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961017027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896101702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896101702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-17
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Freilich wird auch die zweite Phase, die Berathung des Gesetzentwurfs im Bundeöratbe, schwerlich ganz ohne Kampf verlaufen, denn wenn der Entwurf in seinen Garantien für den Rechtsschutz der Angeklagten hinter dem bestehenden bayerischen Gesetze zurücksteht, was nicht unwahr scheinlich ist, so dürfte die bayerische Regierung dem Entwürfe Schwierigkeiten bereiten. In jedem Falle aber wird man sich für die dritte Phase, die Behandlung des Gesetzes im Reichstage, auf lebhafte Kämpfe gefaßt macken müssen. Zwar sind jetzt alle Parteien, selbst die Hochconscrvativen, im Princip für eine Verbesserung derMilitairstrafproceßordnungen, wie eine vor einigen Tagen in der „Krcuzzeitnng" veröffent liche Reihe von Artikeln darthut; aber gerade diese Artikel beweisen auch, daß über wichtige Einzclfragen weitgehende Meinungsverschiedenheiten herrschen. Die Fragen der Ocffent- üchkeit, der Berichterstattung, der Rechte des obersten Kriegs herrn in Bezug auf die Urtheile u. A. m. werden zu lebhaften Erörterungen zwischen der Regierung und großen Parteien des Reichstages führen. Man kann deshalb schon jetzt sagen, daß es großen Entgegenkommens von beiden Seiten bedürfen wird, wenn etwas Positives zu Stande kommen soll. Mit den, Näberrücken des Termins der Eröffnung der preußischen Landtagssession ist in der ultramontanen nnd ultraconservativcn Presse auch wieder das Bcdürfniß wach geworden, die Regierung an die Borlegung eines „all gemeinen VolkSschnlgcsetzeS auf christlicher Grund lage" zu mahnen. Die „Kreuzzeitung" hat bereits mehrfach m Anlehnung an die Frage des Lehrcrbcsoldungsgesctzes die „günstige Situation" für ein solches Gesetz bervorgehoben und ikrerUebcrzcugnng, d. b. in diesem Falle dem Wunsche, Ausdruck gegeben, daß das Eentrum gemeinsam mit den Conser- vativen auf der endlichen Erfüllung der Forderung eines „christlichen Schulgesetzes" bestehen werde. Die „Germania" antwortet jetzt auf diese „Anregungen", indem sie ihrerseits eine völlige Umgestaltung des Schulwesens zu Gunsten der tatbolischcn Kirche verlangt. Es ist bezeichnend, daß sie dabei die Broschüre eines Jesuiten zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen nimmt. Die letzteren gehen zunächst auf Vie Aufhebung deS SchulaufsichtszesctzeS vom 11. März 1872, iedann auf die Aufhebung des vielbesprochenen Falk'schen Schulerlasses vom 18. Februar 1876. Der Gewährsmann ter „Germania" macht dem gegenwärtigen Cultusminister den Borwurf, daß er daran arbeite, auf dem Wege der Ver ordnungen und Erlasse den katholischen Geistlichen die Einwirkung auf die Volksschule immer mehr zu erschweren und zu entziehen. Vor Allem verdächtig erscheint ibzn die Erweiterung der Befugnisse der Hauptlehrer und Rectoren an Volksschulen mit sechs und mehr Elasten. Er wittert in tiefer im Interesse der Schulaufsicht gebotenen Maßregel das Bestreben, den katholischen Geistlichen die Schulaufsicht noch mehr wie bisher zu entziehen. Es muß nach Ansicht der „Germania" und ihres jesuitischen Rathgebers mit dieser Maß regel und mit allen Erlassen tabula ra8a gemacht werden, welche sich der geistlichen Schulaufsicht enlgegenstellen. Nicht nur die Ortsschnlaufsicht, sondern auch die Kreisschulaufsicht soll in die Hände der Geistlichen gelegt werden. Darum muß das Institut ver Krcissckulinspectoren im Hauptamt beseitigt werden. Nebenbei erhebt die „Germania" wieder den Vor wurf der Imparität in der Behandlung der Kreisschulaufsickt, indem sie behauptet, die evangelischen Geistlichen würden mehr zur Kreisschulaufsicht heraugezvgen als die katholischen. Die Erklärung des Cultusminister« für diesen Umstand, die sehr einfach darin zu finden ist, daß die katholischen Geistlichen sich nur in sehr seltenen Fällen zur Uebernabme der KreiSsckul- aufsicht im Hauptamte versieben, cxistirt für das Blatt offen bar nickt. Die Krönung ter Wünsche der „Germania" und ihres Gewährsmannes muß natürlich der Erlaß eines „christ lichen Volksscknlgesetzes" bilden, das als „eine Lebensfrage für das christliche Deutschland" bezeichnet wird. Es ist gut, daß die ultramontanen Forderungen in Bezug auf die Volks schule fick wieder einmal in ihrer Totalität präsentiren. Man übersieht dann auch außerhalb des Centrums leichter, wohin die Forderungen jener Seite zielen. Nachdem die „Times" das Losungswort gegeben, fährt die englische Presse fort, sich mit der Haltung Deutsch lands dem vereinsamten Jnselreich gegenüber zu beschäftigen und in halb drohendem, halb lockendem Tone den deutschen Vetter an seine Pflicht zu erinnern, die ibn „nalurnotb- wendig" an Englands Seite führt. „Daily Telegr." meint, Deutschland habe nicht die mindeste Rechtfertigung für die von einem so großen Theile der deutschen Presse be kundete Unfreundlichkeit England gegenüber. Die Freund schaft Englands dürfte anderswo besser gewürdigt werden. „Es ist nicht unmöglich, sagt das Blatt, eine Politik zu verstehen, obwohl wir sie nicht bewundern, die dazu angetban ist, die Schwierigkeiten, die Groß britannien und Rußland von einander entfernt hielten, zu steigern, aber was gänzlich unverständlich ist, das ist eine Politik, die, wenn sie überhaupt ein Ergebniß hat, nur damit endigen könnte, Großbritannien in die Arme des furchtbarsten Nebenbuhlers Deutschlands zu treihen. Wir sagen nicht, daß dies die Folge der Fortdauer dieser kleinlichen Angriffe auf England sein werde, denn Niemand legt ihnen große Wichtigkeit bei (?!), aber es muß betont werden, daß dies ihr einziger denkbarer Ausgang sein könnte. Wenn dies die Politik ter deutschen Presse ist, kann sie kaum die wcitsehender deutscher Staatsmänner sein." Und der „Standard" schreibt: „Wir wollen die Rechte Deutschlands in allen Welttheilen gewissenhaft respectiren, die Deutschen müssen indeß lernen, auch die unserigen zu respectiren, und wir hoffen, daß sie dies als praktische Leute mit Höflich keit und gutem Humor thun werden." Daß wir richtig zwischen den Zeilen der „Times" gelesen hatten, erhellt am deutlichsten aus dem letzten Deutschland betreffenden Artikel der „Morning Post", in welchem,wie uns telegraphisch mitgetbeilt wurde,offen herauSgesagt wird, auf was es den Politikern jenseits des Canals ankommt: auf ein „Abkommen mit Oesterreich-Ungarn und Deutschland", um dadurch „Frankreich und Rußland zu überzeugen, daß durch ihre Verlheidigung des Sultans das europäische Gleichgewicht sich gegen sie wenden würde". Also Deutschland als Helfershelfer Englands im Orient und wer weiß wo noch contra Rußland und Frankreich! Das wäre der sicherste Weg, uns in einen Weltkrieg zu verwickeln, den zu verhüten die ehrliche Politik Deutschlands seit zwei Jahrzehnten bestrebt ist. Uebrigcns ist aus den Aeußerungen eng lischer Blätter zu entnehmen, daß ein osficiöser Artikel des „Hamb. Corr.", welcher sich mit der Zanzibarfrage beschäftigte, jenen den Muth gestärkt hat, cS nochmals mit Deutschland zu versuchen. Sie erblicken nämlich in diesem Artikel einen „verschleierten Rückzug" Deutschlands und eine „ossicielle Entschuldigung", aus welcher die An erkennung der Thatsacke hervorgehe, daß Deutschland nach den Pariser Festtagen sich in einer Jsolirung befinde, die gar nicht mehr „glänzend" genannt werden dürfe. Schließlich wird der deutschen Regierung zu ihrer „weisen Mäßigung" aratulirt. Unsere Leser kennen den Artikel des „Hamb. Corr.", aber nicht einer wird aus demselben herausgelesen haben, baß Deutschland darin den Rückzug antritt. Es war darin lediglich der Verwunderung Ausdruck gegeben, daß England in derBefürcktung, der aus deutschen Grund und Boten geflüchtete Zanzibarer Thrvnprätendcnt Said Khalid könne von da aus gegen England intriguiren, vor Zanzibar eine unverbältniß- mäßig große Flottenmacht concenlrirte und außerdem war be merkt, auch der Schatten eines Verdachls, Deutschland könne englandfeindliche Umtriebe Said Khalib's zulassen, entbehre jedes Grundes, da die deutschen Behörden sich ihrer Pflicht bewußt seien, jeden Bruch des Asylrechts durch Ausweisung zu sühnen. Im Uebrigen war die Drohung der englischen Blätter, Deutschland einen Denkzettel wegen Zanzibar zu geben, mit der verdienten Ironie zurückgewiesen. Aus diesen Aus führungen, die ebenso entschieden abwehrend, wie loyal waren, einen Annäherungsversuch Deutschlands herauszulesen, dazu gehört schon ein Geschick und eine Dreistigkeit, wie sie nur den englischen Preß-Prestigiateuren eigen ist. Und warum dieser Auf wand in Taschenspielerkunst? Lediglich, um nicht zuzugeben, daß England uns sucht, vielmehr der Welt glauben zu machen, daß wir ihm nachlaufcn, um schließlich, wenn wir irgend wo aus der Klemme geholfen haben sollten, uns mit der Rolle des Mobren abzuspeisen. Wir durchschauen zum Glück das Gaukelspiel, denn wir haben zu oft hinter die Couliffen ge sehen, und deshalb lassen wir uns auch nicht mit der Drohung bange machen, Großbritannien könnte sich schließlich in die Arme unseres furchtbarsten Nebenbuhlers getrieben sehen. Diesen salw mortale an die Brust Frankreichs, d. h. seines Todfeindes, wird England nie tbun, denn es würde dabei unfehlbar Egypten aus der Tasche verlieren. Wenn der „Köln. Volksztg." aus Berlin geschrieben wird: „Uns geht die Nachricht zu, und zwar von so zuverlässiger Seite, daß wir sie vertreken können: im Quirinal wirkt England recht eifrig gegen Deutschland, so verträgt sich das in den Augen englischer Politiker sehr Wohl mit den An näherungsversuchen an Deutschland, denn man calculirt: haben wir Deutschland erst seine Verbündeten durch Jn- triguen und Hetzereien abwendig gemacht, haben wir es isolirt, so bleibt ihm keine Wahl als Anlehnung an England. Das aber ist es, was wir erzielen möchten. Man wird gut tbun, den Spuren der englischen Machinationen in Italien in nächster Zeit genau zu folgen. Es wetterleuchtet in Indien. Unter den Bergstämmen an der Nordwestgrenze gährt es, wie der Ucberfall einer Eisenbahnstation auf der Strecke nach dem wichtigen Sperr fort von Quettah zeigt, und die drohende HunzerSnotb, von welcher die neueren nach England gelangenden Berichte sprechen, erinnert ebenfalls daran, daß die britische Herrschaft über Indien auf einem Vulcan ruht. Die russisch-englische Welt- m acktconcurrenz in Asien spitzt sich dabei so rasch und intensiv zu, daß auch daS scheinbar gering fügigste Symptom, welches aus der einen oder anderen Seite zu Tage tritt, nickt außer Acht gelaßen werden sollte, weil es im Stande sein könnte, das Zünglein der Waage ent scheidend zu beeinflussen. Die nach langen Schwierigkeiten endlich zu Stande gekommene afghanische Grenz- regulirung scheint das Berbältniß zwischen England und Rußland in Westasien ja definitiv geregelt zu haben — aber es scheint auch nur so, da Rußland mit der elemen taren Wucht eines Gletschers vorwärts dringt. In dem die Engländer mit bcwundernswerthem Geschick Vie afghanische Grenzregulirung in der für sie denkbar günstigsten Weise durchsetzten, trugen sie zwar, wie der Laureat der französischen Akademie Henri Pensa in seiner Broschüre „I-es Kusses et Io8 .-Vuglul? en L.fgbam8tLn" aussührt, einen Erfolg auf dem Papiere davon, aber ihrem künstlichen Machwerk fehlen alle natürlichen Lebensbediagungen, und deshalb ist es im Voraus condemnirt. Bereits bat Rußland eine Kette von Kosakenposten längs der afghanischen Grenze vom Zulficar-Engpaß am Heri-Rud bis nach Bosaga am OruS gezogen, ein großes befestigtes Lager in Scheikh Junaid, kaum 180 km von Herat entfernt, errichtet und mit einer starken Garnison belegt. Hinter dieser Linie läuft die Eisen bahn nach Samarkand und ermöglicht den russischen Truppen eine leichte Verproviantirung. An der Vervollkommnung dieser militairischen Position wird unablässig gearbeitet, und nichts vermag nach Ansicht Pensa's die Russen, wenn sie den Augenblick gekommen erachten, zu Hintern, gegen Herat vor zubrechen, riese Stadt zu nehmen und sofort weiter auf Kandahar zu marschiren. England darf keine Zeit ver säumen, Kandahar in seine Gewalt zu bekommen, und zwischen beiden Städten wird sich das Schlachtfeld aus breiten, auf welchem um das Schicksal des anglo-russischen Machtwettstreites in Asien die Entscheidung fallen muß. Rußland hat dabei den Vortbeil einer gesicherten rückwärtigen Conimunication, nebst den Sympathien der mohamedanischen Bevölkerungs-Elemente Persiens, Afghanistans und auch Indiens, auf seiner Seite, während England isolirt dastehl und den Kampf schon verloren haben wird, ehe er noch begonnen bat. Diese Perspective ist zugleich charakteristisch für den Standpunkt, den die Franzosen zu der Sache einnehmen. Deutsches Reich. U Berlin, 16. October. In der dem BundeSratbe vor gelegten Novelle zu den Gesetzen über die Po st dampf- 1 chiffsverbindungen mit überseeischen Ländern dürfte eine Aenderung in den Best mmungen über die ge schaffenen Verbindungen vorgeschlagen sein, welche den Anforderungen des Verkehrs der neuesten Zeit entspricht. Aenterungen, die durch die VerkebrSanforderungen bervor- gerufen wurden, sind schon mehrfach auf diesem Gebiete vor genommen worden. Tas Gesetz von 1885, welches die Tampferverbindungen, bezw. die Subvention derselben durch das Reich schuf und in welchem die Hauptlinien zwischen Deutschland einerseits und Ostasien, sowie Australien andererseits, sowie die Zweiglinie von Triest über Brindisi nach Alexandrien festgesetzt wurden, war kaum zwei Jahre alt, als es sich herausslellte, daß der CurS der Anschluß zweiglinie den Verkehrsverhaltnissen nickt entsprach. Ein besonderes Gesetz vom 27. Juni 1887 ermächtigte deshalb den Reichskanzler, diesen CurS abweichend von den zuerst getroffenen Bestimmungen fcstzusetzen. Aber auck damit war nickt so viel erreicht, als man gehofft batte. Man sah sick schließlich genötbigt, die Anscktußlinie im Mittelländischen Meer fallen zu lassen und an Stelle der dafür ausgesetzt ge wesenen Beihilfe eine solche für das Anlaufen eines südlichen europäischen Hafens auszusetzen. DaS Gesetz vom 20. März 1893 regelte Vie Angelegenheit in diesem Sinne. Wenn also FerriHetsn. Die Schuld des Fürsten Romanskoi. 17s Roman von Conr. Fischer-Sallstein. Nachdruck vtrdotcn. Dieser Befehl klang rauh. Nahim zuckte zusammen: er stand selber nicht so fest auf den Beinen wie sonst. Auch strebt der Fürst, auf feinen Arm gestützt, vorwärts und er weiß nicht, wohin. „Bist Du betrunken, dort hinüber zur Sonja Petusch- tiwna!" Diese Worte wirkten wie eine Erlösung auf den alten Diener. Sein gelbes Gesicht begann zu glänzen und mit sicherem Schritt geleitete er seinen Herrn nach der Flügel- thür hinüber. Stepan Wassilitsch öffnete, senkte daS Haupt und trat wie ein Bittender über die Schwelle. Vollständig angekleidet stand die Petuschkiwna mitten im Gemach; offenbar war sie im Begriff, das Hotel, und den Fürsten für immer zu verlaßen. Nahim führte seinen Herrn nach einem Sessel hin und verließ alödann sofort das Zimmer. Nur flüchtig batte der Tatar in daS Angesicht der Petusck- tiwna gesehen, die er wie eine Göttin verehrte, schon seit der Stunde, in der sie sich seines Herrn in jener fürchter lichen Nacht annahm, und er war erschrocken über die harten und herben Züge in ihrem Gesicht. Nun geht er mit seinen Katzentritten allein im Gemach dcS Fürsten herum und fragt sich umsonst, was vorgefallen sei zwischen Sofia Andrejewna und Stepan Wassilitsch. Oft bleibt er an der verschlossenen Flügelthür stehen und lauscht, denn bald hört er die gedämpfte Stimme der Petuschkiwna, bald die seine« Herrn, aber kein Wort kann er verstehen. Und so geht eine qualvolle Stunde für ihn hin. Endlich öffnet sich die Tbür und Stepan Wassilitsch Ro- manskoi trat, von Sofia Andrejewna geführt, über die Schwelle. Die Gesichtszüge de« Fürsten sind ernst und rubig, aber au« seinen Augen leuchtet etwas, da« dem Nahim hätte sagen können, daß er soeben einen schweren Kampf ent schieden und al« Sieger anS diesem Kampf bervorgegangen sei. Die Petuschkiwna ist aufgeregt, unrubig hebt und senkt sich ihr Busen. Die Anwesenheit de« Nahim scheint sie zu geniren, sie wagt nicht einmal den Blick zu diesem zu er heben. Ihre Waagen sind geröthet, wie die eine« siebzehn jährigen Mädchens, das vor einem beglückenden Ereigniß steht. Etwas Inniges, Zärtliches liegt in der Art und Weise, mit der sie den Fürsten führt. Der Nabim sieht und schweigt. Mit frohem Herzen stürzt er weg, um den Tbee bei dem Oberkellner zu befehlen. Was würde, was sollte er auch anfangen mit seinem Herrn ohne Sonja Petuschkiwna? Wie immer, in Gesellschaft seiner Pflegerin, nimmt der Fürst den Thee ein. Kein Wort wird gesprochen, ein ge- heimnißvolles Schweigen macht sich bemerkbar, das selbst dem Nahim auffällt. Nun erhält der Tatar den Befehl, die Generaluniform auS dem Koffer zu holen und diese in Ordnung zu bringen. Gegen die elfte Vormiltagsstunde hat Stepan Wassilitsch die Uniform seit vielen Jahren wieder einmal angelegt und Nahim ist entzückt über da« stattliche Aussehen seines Herrn. Die Petuschkiwna hatte sich in ihre Gemächer zurückgezogen und erscheint nun in großer Toilette bei dem Fürsten. Nabim sieht jetzt, wie der Fürst ihr die Hand reicht und diese küßt. „Laß den Wagen vorfahren", befahl nun Stepan Wassi litsch, „sage dem Kutscher, daß er am Palais Seiner Heilig keit de« Herrn Erzbischofs Bußlajeff vorzufahren habe." Als Nahim wegeilen wollte, rief ihm der Fürst nach: „Ich gebrauche Dich heute nicht, Nahim, Du hütest daS HauS." Auch dieser Befehl war wunderbar, denn noch niemals, seitdem er sich von dem Schmerzenslager erhoben, balle sich Stepan Wassilitsch auch nur in den Hof von Slekok hiuauS- gewagt ohne die Begleitung seines Nabim. Eine Viertelstunde später saß der Fürst mit der Petusch kiwna im Wagen, und beide fuhren nach dem Palai« des kaiserlichen Erzbischofs. Seit den verhängnißvollen Schlackt- tagen halte weder Stepan Wassilitsch, nock Sofia Andrejewna den verdienten und vom Zaren so vielfach ausgezeichneten Priester gesehen. Kaum hat der Tatar sich im Zimmer seine« Herrn in einer Sophaecke mit unterschlagenen Beinen niedergesetzt, um ein Stündchen nach dieser aufregenden Nackt sich au«- zuruben, vielleicht auch, um von Slekok zu träumen, als der Oberkellner inS Gemach stürzte und dem Manne ohne Obren meldete, daß soeben die Gräfin Stroganowna vor- gefahren sei. Nahim war kein geschulter Domestik im modernen Sinne und darum keineswegs mit dem französischen Diener der Frau Gräfin Stroganowna vergleichbar. Er verstand e« zwar, sich die Achtung der Knechte uud Mägde auf Slekok zu er halten, so daß diese wie zu einem zweiten Herrn zu ihm aufsahen, er trug geschickt den Pelz seines Herrn und ver stand es, diesem die Wünsche von der Stirn zu lesen, aber wie er in Abwesenheit seines Herrn eine Gräfin Stroga nowna empfangen soll, das wußte er nicht. Darum blieb er rubig in seiner Sophaecke sitzen und sagte zu dem Angestelltten des Hotel«: „Der Fürst ist nicht da." „Das habe ich bereits gemeldet. Ich glaube, die Frau Gräfin wollen auf die Rückkebr des Fürsten warten." Nabim legte seiner Gewohnbeit gemäß den Kopf etwas auf die Seite, lächelte und rübrte sich nickt vom Platze. „Aber so stehen Sie doch ans, die Hobe Dame kommt!" Jetzt erst glitt Nahim vom Sopba herunter, schien eS aber auch sofort zu bereuen. „Kann nichts machen, der gnädige Herr ist fort." In diesem Augenblick tauchte ein ungeheurer Pelz unter der Tbür auf, die der Oberkellner hinter sick offen stehen ließ, und in diesem Pelz befand sich die Frau Gräfin Stro- gaoowna, Darja Alexandrowna. Freundlich ging Nahim mit auf die Seite gelegtem Kopfe der Dame entgegen. Ergebenst wartete er bis die Hobe Dame ibn einer Anrede würdigen würde. Er sah jetzt, daß hinter ihr Natascha Mekelaj und Jean, deren Bekanntschaft er gestern auf der Billa gemacht, nachfolgten. „Der Mensch ist mir entsetzlich", wandte sich die Gräfin an Natascha, „besonders wenn er freundlich wird! Ein Sub- ject ohne Ohren, wie der Kürst ihn nur in seiner Nähe dulden kann! Frage ihn einmal ganz genau, wohin der Fürst gegangen ist!" „Der gnädige Herr ist nicht zu Hause?" fragte die dicke Natascha den Nabim, und war so höflich gegen ihre Herrin, den Menschen nun ebenfalls abscheulich zu finden. Nahim schüttelte den Kopf. „Der Portier batte recht", wandte sich Natascha an ihre Herrin, „der Fürst ist wirklich nicht da." „Selbstverständlich, Natascha, was fällt Dir ein, daran zu zweifeln! Wassilitsch NomanSkoi wird untröstlich sein, wenn er bört, daß ich seinen Besuch so bald erwidert. Aber ich befinde mich doch in einer wirtlichen Nothlage. — Gut, man muß eS lernen, sich in diese unerquicklichen Zufälligkeiten zu schicken. Dann sage dem Menschen, daß er un« dem Grafen Jlija Andrej MatscherSkoff meldet." „Haben Sie die Güte", wandte sich jetzt wieder die Na tascha an Nabim, „dem Herrn Grafen Jlija Andrej MatscherSkoff zu melden, daß die Frau Gräfin Stroganowna da sei." Wieder schüttelte Nabim den Kopf. „Nickt da!" kam es von seinen Lippen, und dabei öffneten sich seine Schlitzaugen und erstaunt blickte er die Gräfin an. „Pfui, Sie verlogener Mensch", platzte die Natascha los, die es dem armen Nahim fühlen lassen wollte, daß er keine Obren habe und darum niemals die Gunst der Stroganowna gewinnen könne, „Sie sind zu faul, um uns zum Grafen zu übren. Wo sollte er denn sein, wenn er hier nickt im Hotel ist ? Er zog sich gestern Abend in seine Gemächer zurück, die so angenehm durckwärmt waren, und von da ab war er ver- chwunden. Um 10 Uhr traf ihn Jean schon nickt mebr an. Sagen Sie es ihm doch, Jean, der Mensch glaubt es mir nickt." Der prächtige Jean trat jetzt mit vielem Ernst und ekler Würde auf Nahim hinzu, legte seine Hand vertraut auf dessen Schulter und redete ihn in kollegialer Manier an: „Sagen Sie mal, mein Lieber, ist der Herr Graf wirklich nicht da? Vielleicht ist er ausgefahren? Warum wollen Sie nichts sagen?" Lächelnd schüttelte Nahim den Kopf. Offenbar hielt er eS für überflüssig, nochmals mit Worten zu versichern, daß Dija Andrej nicht da sei, vielleicht weil er der Meinung war, daß man ihm dock nicht glauben würde. „Ja, mein Gott, wa« soll ick denn davon halten", ries die Gräfin auS, „wir können doch nicht von hier Weggehen, ohne eme tröstliche Mittheilung für Lidia mit fort zu nehmen! Wie soll ich ihr nun die Thränen trocknen? Und dabei ist hier gar nicht geheizt, man kann sich dxn Tod holen. Die Art, wie der Graf mein HauS verließ, ist viel zu merkwürdig nnd räthselhaft, als daß sie nicht der Aufklärung bedürfe. Aber ist denn die Wirthschafterin Sofia Andrejewna Petusch kiwna nicht hier?" Nabim wandte sich nun der Gräfin zu und berichtete dieser, daß der Fürst mit Sonja Petuschkiwna sich in das Palais seiner Heiligkeit de« kaiserlichen Erzbischofs Bußlajeff begeben habe. „Jedenfalls in der VermählungSangelegenheit", entgegnete die Gräfin, wurde etwas aufgeregt und vergaß darüber ganz ibre Abneigung gegen den Menschen ohne Ohren, „aber mein Gott, schon jetzt tbut der Fürst solche Schritte, die Sacke ist ja noch gar nicht zur förmlichen Verlobung gediehen! Und warum findet eS der Fürst für überflüssig, mir auck nur ein Wort zu sagen? Laz nicht für ihn dir Verpflichtung vor,
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