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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961022019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-22
- Monat1896-10
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Größere Echrislen laut u»f«em Preis- «erzeichnch Tabellarischer und Zifierniatz »ach hoherun Larff. Optra-Beilagen (gefalztl, nur mit de« Vtorgea-Ausgabe, ohne Postbrförderung ^l SD.—, m»t Postbeförderun, 70.—. Druck und Perlaq voi T. Pokz st, Lelvsiq Annahmeschlnß fir Änzei-e«: Abrnd-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei dm Filialen and Annahmestelle» je ein» halb« Stunde früher. Anzeige» find stets an die Orpetzttlan zu richte». SV. Jahrgang. Donnerstag den 22. October 1896. Rothschild'- Loge. Hnmorisk» von Alberte Gecond. Nachdruck v«rb»tai. richt zu gebe», hab« ich sie anfangs mit meinen Künstleraugen nur schön gefunden uud nichts weiter. Heut« liebe ich sie mit wahrer Gluth, Wit Pygmalion seine Galatbee, nur mit dem Unterschieb, daß der griechisch« Bildhauer die Götter des Olymps zu rühren wußte, während ich daS nicht verstehe. Diese Lieb« ist mir di« Quelle von tausend Freuden und gleichzeitig von tausend Leiden geworden. Sie sehen und mit ihr sprechen, ihren Bleistift spitzen, den ich ihr mit zitternder Hand zurückgrb«, ihre Haare be rühren, da« waren für mich Genüsse, die mein Her; mit Freude erfüllte». Nun aber die Kehrseite der Medaille. Du lennst meine Garderobe, Du weißt, wie bescheiden sie stets war und mit welcher wahrhaft peinlichen Sorgfalt ich mit ihr umgeh«. Aber ach! trotz einer unendlichen Zärtlich keit gegen em gewisses hellbraune« Beinkleid, da« nicht von gestern stammt, trotz meiner rührenden Verehrung für meinen einzigen Gedrock, der ebenfalls ein recht respektables Alter aufzuweisen.hat. werden diese ehrwürdigen Hüllen meines Leibes an den Nabten weiß und fasern aus. Ich will Dir nicht erzählen, welchen Schmerz ich beim Anblick diese- Ver falls empfinde. Es mag Dir genügen, wenn ich Dir sage, daß es seit Deiner Abreise furchtbar schwierig geworden ist, in Paris Anzüge aufzutreiben. Die Schneider sind eS müde geworden, die Wohlthäter der Menschheit zu spielen. Doch kehren wir zur Sach« zurück! Ai« ich gestern zu Herrn Joubert kam, um seiner Tochter Unterricht zu er- »heilen, wurde ich von einem Diener mit den Worten empfangen: „Mein Herr, Herr Joubert wünscht Sie zu sprechen; haben Sie die Hüte, in sein Zimmer einzutreten." Ich warf einen Blick in den Spiegel und lächelte mir wohlgefällig zu. Meine hellbraune Hose und mein schwarzer Rock leuchteten in ungewöhnlichem Glanze. Doch ich mochte noch so viel in meinen Taschen herumwühlen, ich fand nicht einen einzigen Handschuh. Es giebl eben auf Erden kein vollkommene- Glück. Herr Joubert sagte zu mir mit ernster feierlicher Miene: „Herr Raymond, ich bin kein Komödienvater; ich habe Augen und sehe, habe Ohren und höre. Damit will ich Ihnen sagen, daß ich Ihre Grfühl« für meine Tochter kraue." Ich blieb stumm vor Staunen. Herr Joubert fuhr nut eisiger Ironie fort: „Sie sind ein reizender junger Mann, da« gebe ich zu; Sie haben viel Talent, da« will ich gern glaube». Doch Sie haben kein Geld. Meine Tochter wird sich ui« ohne meine Einwilligung vrrmäblen, und ich sage Ihnen gleich: Sir werden nie mein Schwiegersohn Wa« haben Sie zu erwidern?" Wie Du Dir wohl denken kannst, habe ich gar nicht« erwidert; ich nahm meinen Hut und ging mit zwei großen 539. Der Abschied -es Direktors vr. Kayser. Franz von Dingelstedt hat einmal zu einem Wiener Kritiker gesagt: „Sie glauben gar nicht, wie viel Lob ich vertragen kann." Der bi-hrrig« Director der Colonial- abtheiluag drs Auswärtig«» Amte« st«bt dem Dichter und Thratrrmann in Bezug auf Aufnahmefähigkeit mindestens nicht nach und übertrifft ihn dadurch, daß er seinen Bedarf an Ruhm in eigener Regie erzeugt. Da« Erstaunen und Mißfallen, dem wir bereit« über seine im Colonialratb grhaltrne Abschied«- und SelbstverhrrrlichungSrede Au«bruck ge- gedrn haben, ist, wie man uns au- Berlin schreibt, den dortigen amtlichen und besonder« colonialen Kreisen nicht fern geblieben; dies« suchen in der preußischen und ReickSgeschicht« vergeben« nach einem Borbilde, da« Herrn vr. Kayser vorgeschwebt haben könnte, al« er sich bei seiner Verabschiedung drn Lorbeer auf« Haupt drückte und zu mehrerer Verherrlichung der eigenen Person Andere an den Schandpfahl stellt». Man ist sich auch klar darüber, daß der Redner im Colonialratb weder sich noch der Sache, der er bisher nicht obne Erfolg gedient, einen guten Dienst ge leistet bat. Der Eindruck, den da- wohleinstudirte, in der Sprach« allzu blühende Plaidoyer überall hervorbringen muß, ist ein so ungünstiger, daß kaum mehr zu erwarten steht, Herr Kavser werd« Gelegenheit erhalten, in irgend einem anderen Amte erworbene Verdienste auf gleiche Weise ins Rosenrotbe zu tauchen. Die Art, wir er die neuerdings — übrigen« m-br dem Reichskanzler al« ibm —gezollte Anerkennung verwrrtbet, vrrräth kaum mehr Tact als die Skizzirung eine« Abrisse« der Colonialgesckickt«,der,sehrim Widerspruch mildem tdatsächlichen Verlauf, den Herrn Geheimralh Kayser zum führenden Helden hat. In dem blinden Eifer drs Selbstbelobigens dal der Redner ganz übersehen, daß er drn ihm nirgend« bestrittenen Ruf eines konsequenten Denker- compromiltirt, indem er sich da« Erfreuliche der jüngsten colonialen Entwickelung ins Haben schreibt und in einem Alhem daran erinnert, daß man vor drn wichtigsten Entscheidungen nicht einmal seiner Vorschläge bedurft habe. Noch unglücklicher ist er mit seiner Berufung auf den natonalliberalen Delegirtentag, einer Berufung, welche dir „Nationallibrrale Correspondenz" veranlaßt, folgendermaßen mit ihm in« Gericht zu gehen: „Nach seiner Darstellung giebt es nur ^zwei Abschnitte deutscher Colonialpolitik. Der erste endet mit der Ueber- nahme der Abtbrilungsgeschäftr durch Herrn vr. Kayser, der zweite schließt mit dem nunmehrigen Austritt vr. Kayser'« aus dem Amte. Vom ersten Abschnitt ist nicht viel zu sagen, er hat mit dem Zanzibarvertrag die Colonialpolitik zur Con- curserklärung reif gemacht. Der andere Abschnitt — das ist die Aera Kayser. Auch da giebt e« noch Widrigkeiten, Kämpfe nach allen Fronten, und auck Herr vr. Kayser ist von mensch lichem Irren nicht ganz befreit, er sagt e« ja selbst —, aber nur um so Heller erglänzt dann da« Bild seiner sechsjährigen Verwaltung, wenn man «S im Ganzen betrachtet. Wie keimt und sprießt es überall auf dem Gebiete sowohl der staatlichen al« der privatwirthschafllicken Thätigkeit; und welcher Erfolg »ach kurzen sechs Jahren! Urberwältigt müssen wie auS einem Munde der Katholikentag in Dortmnnd und der nationallibrrale Parteitag in Berlin in da« Lob der Kayserssckrn Verwaltung ausbrrchrn. Auch auf die treibende Kraft all dieser Berwaltuag-rrsolge wirb hingewiesen: e« ist Doch ist dies, wie gesagt, lediglich «in Nebenumstand. Nack der Verfassung trggt der Reichskanzler allein die Verant wortung, und wie lS94 Graf Caprivi, so ist jetzt Fürst Hohenlohe Träger des System«, und nur mit ibm konnte und sollte sich der Beschluß de« Delegirtentages beschäftigen. Herrn vr. Kayser war staatsrechtlich die bescheidene Stellung de« ausführenden Beamten zugewiesen. Wäre er je gewesen, wofür er sich selbst einschätzt, so gäbe e« kein Wort der Ver» urtbeilung, da« bart genug lautet«, darüber, daß er in solche Gegensätze des politischen Systems sich gefunden hat." Der Sache, der Herr vr. Kayser mit anfänglich so großer Begeisterung seine Kraft gewidmet hat, schadet er ganz direkt, indem er einseitig die Erfolge in drn Colonien bervvrhebt, obne die dafür vom Mutterland« gebrachten Opfer ru er wähnen, und geradezu plump erscheint e«, wenn Herr Kayser sich lange bei der Steigerung der finanziellen Erträge aufdäll, obne der im Verhältnisse erhöhten Zuschüsse des Reiche« Erwähnung zu tbun. Die Gegner der Colonialpolitik werden die Beleuchtung dieser sonderbaren Art, Buch zu führen, als einer ihrer Agitation förderlichen Tbätigkeit gewiß nicht verabsäumen. Sie werten förmlich herau«gefordert, nach- zurechnrn, wie die Steigerung der eigenen Einnahmen in den Colonien seit 1890/91 von 372 700 auf 1 406 000 zu der Steigerung de« ReichSzuschusse« von 2,75 auf 9,50 Millionen sich verhält. Wa« endlich die Abrechnung de» Herr» vr. Kayser mit seinen persönlichen Widersachern angeht, so ist mit ihr nichlS anzufangen. Zum Theil weiß man nicht, wen und waS er meint, wenn er von einem hereingrbrochenen Gottesgericht spricht, zum Theil handelt eS sich um Dinge, die noch ver amtlichen Untersuchung unterliegen und sich des halb dem Abschluß des öffentlichen Unheils noch entziehen. Insoweit das vorgetragene Neue vollkommen verständlich ist, hätte man dringend wünschen müssen, daß eS zu geeigneterer Zeit und am geeigneteren Orte gebracht worden wär«. Wenn e« richtig ist, daß der preußisch« LanvtagSadgeorbnete vr. Arendt dem Director der Colonialadiheiluag mit der Agitatio." mächtiger Freunde für drn Fall gedroht hat, daß die Abtheilung ihm, beziehungsweise seinem Freunde vr. Peters nicht zu Willen fei, so hätte bi« Achtung vor dem "lbgrc'.dneten den Beamten nicht abbalten dürfen, jeden Verkehr mit dem Urheber de- angeblichen Erpressungs versuche« abzubrechea, und da« SlaaiSinteresse hätte ein Einschreiten verlangt. Wir lassen eS dahingestellt, ob die Thatsachen, die Herrn Kayser im EoloniaUath vorgeschwebt habe», ein Vorgehen auf Grund de« § 1l4 deS Strafgesetz buche« erforderten, jedenfalls mußte eine Remedur erfolgen, wenn in der Thal vr. Arendt auf die amtliche Tbätigkeit eines hoben Reichsbeamten sozusagen mit dem Revolver ein- zuwirkrn versucht hatte. Uno die« nicht obschon, sondern gerade weil e« sich um «in Mitglied eine« gesetzgebenden Körper« handelt«. Selbstverständlich ist die Vrrspaiung der angeblichen Enthüllung kein Grund, de» Sachverhalt nicht nachträglich aufzuhrllen. „Mein Gott! Sie sehen mich untröstlich, daß ich Sir in Ihrem Schlummer gestört habe; doch eS ist auch ein wenig Ihre Schuld . . . Man siebt Sie ja gar nicht mebr! Wollen Sie mir etwa Ihr« Kundschaft entziehen?" Arnold borchte erstaunt auf, und der Schneider fuhr mit doppelter Liebenswürdigkeit fort: ^Gestern Abend sah ich Sie in der Oper und wunderte mich, wir wenig Sorgfalt Sie auf Ihre Toilette verwenden. Ich habe hier eine Musterkarle mitgebracht; treffen Sie Ihre Wahl; in acht Tagen sollen Sie wie «in König der Mode gekleidet sein." Während Arnold nicht wußte, ob er wache oder träume, bestellte er sechs Hosen, drei Röcke, zwei IacketS„ einige PaletotS und mehrere Westen. Der Schneider sagte zum Abschied: „Sie besuchen häufig die Oper?" „Ich versäumt nicht eine Vorstellung." „Und Sie sitzen häufig in der Loge, in der ick Sie gestern sah?" „Immer!" Der Schneider fragte nicht weiter, und acht Tage später paradirte unser Künstler mit einem prächtigen neuen Anzug in der Oper. Am nächsten Freitag nahm ibn sein HauSwirtb, der ibn im Foyer traf, freundschaftlich unter den Arm und rief, al lein Mietber sich zu entschuldigen suchte, baß er ihm die rück ständige Mieth« noch nicht bezahlt habe: „Kein Wort davon, wenn Sie mich nicht böse macken wollen. Mein Hau« steht Ihnen offen, und ebenso mein Herz. Und wenn Sie augenblicklich in Verlegenheit sein sollten, so machen Sie keine Umstände meine Börse steht Ihnen ebenfalls zu Diensten. Mein Gott! Sie geben mir eben Alle« zusammen wieder Wenn Jemand so schöne Beziehungen hat, wir Sie, braucht mau wegen seines Geldes keine Angst zu haben." Sprach'«, druckte ihm eine» Fünshundrrtfraukenschein in die Hand uud verschwand. M. Einig« Wochen später schrieb Arnold an seinen Freund Philipp folgende Epistel: „Mein theurer PytadrSl Die Briefe folgen sich, aber sie gleichen sich nicht. Kürzlich noch floß mein Herz von Ver zweiflung, heute fließt r« von Freude über. Philipp, ick bin verheirathet, verheirathet mit Fräulein Francine Joubert! . Ich habe Dir erzählt, in welch brutaler Weise ihr Vater mich verabschiedet«. Gott sei Dank, war seine Ungnade nicht von langer Dauer, und kurz nachher kehrte ich mit allen Ehren auf meinen alte» Platz zurück. die reine Begeisterung, die Herr vr. Kayser ins Amt mit-I gebracht bat. Zwar ist sie jetzt verbraucht, und nur weil sie verbraucht ist, macht Herr vr. Kayser einem Nachfolger Platz. Aber welches Glück, daß sie just bis hierher auS- gereicht hat. Denn wie MoseS kann der Träger dieser neuen Aera nun scheiden: er siebt, daß alle Entwickelung auf sichere Bahnen in die Richtung zum gelobten Lande eingelenkt und eingerenkt ist. Mit dem Dichter besingt er selbst sein Werk als eherne«, unvergängliches, Lors persnuius, und diese „Arbeit der letzten sechs Jahre" ist keines Anderen Werk. „Auch bei großer Bescheidenheit und Zurückhaltung darf ich sagen: magna pars kui." So Herr vr. Kayser. Hätte er zum Mindesten die Berufung auf den nationalliberalen Delegirtentag unterlassen! Wir hätten dann, trotz aller Mißdeutungen desselben Delegirtentagbesckluffe« von anderer Seite, mit einer kurzen Bemerkung un« begnügen können. WaS konnte auck ven öffentlichen Kreisen daran gelegen sein, ob ein ver abschiedeter Beamter etwa« mehr oder weniger übersckwäng- liches Selbstgefühl in den Ruhestand mit sick fortträgt? Aber wenn er seinen Gegnern bestätigt, baß gerade ihm der colonial politische Beschluß unsere« Delegirtentages gegolten hat, so muß die historiscke Berichtigung auf dem Fuße folgen. Die nationallibrrale Parte: unterscheidet aber drei Ab schnitte in der colonialpolitischen Entwickelung. Den ersten bezeichnen vir als die Grundlegung einer deutschen Colonial politik durch den Fürsten Bismarck: ein bedächtige« Ab wägen, insbesondere unter Berücksichtigung der Interessen unserer auswärtigen Politik, und grundsätzliches Festhalten daran, daß die Flagge dem Handel nur folgen soll. Von diesem Abschnitt wissen wir, im Gegensatz zu Herrn Vr. Kayser, sehr viel Gutes zu berichten. Darüber brauchen wir uns hier nicht zu verbreiten. Die Bücher der Geschichte beginnen schon, davon zu reden. Dann kommt die Aera Caprivi, deren ausführendes Werkzeug Herr vr. Kayser gewesen ist, die aber so bedenklich« Früchte zeitigte, daß der nationalliderale Delegirtentag in Frankfurt a. M. im Jahre l894 dem ehrlichen Zorn aller guten Deutschen Ausdruck verleiben mußte. Da, im Jahre 1894, schien thatsächlich alle Colonialpolitik auf den tobten Strang gelaufen zu sein. Man durfte wahrlich froh sein, daß diese Aera eben »och zu Ende ging, ohne dem Grafen Caprivi seinen Licfflingswunsch, die Vergeudung aller unserer colonialen Erwerbun gen, erfüllt zu haben. Ader wir haben niemals, auch nachher nicht gehört, daß e« an den beamteten Werkzeugen der Aera Caprivi gelegen hätte, daß dieser Wunsch unerfüllt bleiben mußte. Dieselben beamteten Werkzeuge wurden demnächst auf die Aera Hob enlo he übernommen, und aller dings erfolgte nun ein totaler Systcmwechsel, der di« nationalliberale Partei veranlassen durfte, im Jahre 1896 ein günstiges Unheil über die letzten zwei Jahre zu fällen. Wie weit Herr Vr. Kayser die- auf sich zu beziehen daS Recht hat, mag sein Vorgesetzter bemessen. Diesem allein wäre es unseres Erachten- zugekommen, die ihm selbst, dem Reichs kanzler, gespendete Anerkennung auf daS untergebene Werk zeug adzulenkcn. Für die nationalliderale Partei konnte es alleafallS al« Nebenrrwäauug in Betracht kommen, daß derselbe Beamt«, der vier Jahre in der Aera Caprivi aus« gehalten hatte, sich mit Geschick auch in die Aera Hohenlod« zu finden wußte. Aber dann hätte Herr vr. Kayser bither höchstens wett gemacht, wa« er vorher mit verschuldet hatte. Nun erläßt Herr Liebknecht, wie wir nachträglich aus der „Nat.-Ztg." ersehen, im „Vorwärts" eine Erklärung, in welcher er bestreitet, diese Aeußerung gethan zu haben. Da auch bürgerliche Berichterstatter jene Stelle ebenso wie der „Vor wärts" Wiedergaben, so könnte man über die Correctur des Herrn Liebkneckt sich wundern, wenn man sich nicht an die letzte AbonnementSeinlavung deS „Vorwärts" erinnerte. Darin heißt e«: „Der locale Theil des „Vorwärts" verzeichnet olle Begeben heiten de« Tages und giebt ein getreue« Bild des Vereins- und VersammluugSlrben«, welche« in Berlin besonder» starke Wellen schlägt." Die Abonnementseinladung deS „Vorwärts" scheint hier nach die höhere Einheit zu sein, welcher der Parteitag-Berickt- rrstattrr deS „Vorw." sich unterzuordnen bat. * Berlin, 2l. October. Den Fall Brüsewitz hält die „Köln. Z." mit Recht für geeignet, jenen Militairs, die sich gegen die Einführung der Oeffentlichkeit in die Militair- strafrechtSpflege stemmen, endlich die Augen zu öffnen. Die Darstellung, welche die Freunde deS Erschlagenen über den Verlaus des Streites geben, steht zu den Erklärungen, die von dem Commando deS 1. badischen Leib-Grenadier- RegimentS veröffentlicht worden sind, im schroffsten Gegen satze. Nur daS Aericht-verfabren vrnnag diesen Wider spruch aufzubellen und zu beseitigen; nach dem jetzigen Verfahren aber ist eS ausgeschlossen, daß die Oeffentlickkeit über diese Aufklärung zuverlässige Kunde erhält. E« ist aber unbestreitbar, daß das nicht im Interesse deS Heeres liegt. Unser Heer ist ein Volksheer. Es wurzelt und bat seine wichtigste Kraft in dem festen Vertrauen, in der un erschütlerlicken Anhänglichkeit, die unser Volk dem Heere und seinen Einrichtungen enlgeaenbringt. Bisher haben deshalb auch in Preußen und in Deutschland alle leitenden Kreise streng darüber gewacht, daß nie dieses innige, wechselseitige Verhältniß gestört, daß nie Dinge geduldet werden, die den Anfang eines Gegensatzes zwischen Volk und Heer bilden könnten. DaS Heer bat selbst daS dringende Interesse, dafür zu sorgen, daß niemals im Volke der Gedanke auftauchen rann, baß dort Dinge vorkommen, die daS Licht der Sonne zu scheuen haben. Der Schild unseres HeereS ist so flecken rein, daß er zu jeder Zeit volles Tageslicht vertragen kann. Gewiß, auch im Heere kommen Vergeben und Verbrechen vor. Menschen sind eben Menschen. Ader ebenso gewiß ist, daß solche Tbaten mit aller Entschiedenheit und Rücksickts losigkeit verfolgt und bestraft werden; und Niemand kann im Heere ein Interesse daran haben, daß dieses strenge Walten der strafenden Gerechtigkeit durch völlig veraltete und den, Heere nicht zum Ruhme gereichende RechtSeinrichlungen künst lich verschleiert wird. * Berlin, 21. October. In dem zu Hattingen erscheinenden Organ des GesammtverbandeS derevangelischenArbeiter vereine Deutschlands, dem „Deutschen Arbeilsboten", strbt ein Aufsatz über „Die Alten und die Iuugen". Dessen Schluß lautet: „Eine Partei, die mit ihrer Politik ernst genommen werden will, kann und darf nur die Interessen aller werthschaffenden und der Allgemeinheit nützlichen Stände wahrnrhmen. Eine Schwierigkeit für dir Naumann',ch» Partei wird fernerhin auch in ihrer Stellung zur Religion liegen. Sie nimmt einen viel freieren Stanüpunct »in, al« dir christlich-sociale Richtung des Herrn Stöcker. Und Manche meinen, die Partei müsse, um politischen Einfluß gewinnen zu können. Al« ich Gelegenheit hatte, iba kevuea zu lernen, war Arnold Raymond ein armer Teufel von Künstler, der schlecht und recht von feinen Pinseln lebte. In den Schaufenstern der Kunstläden der Rue Lafitte hingen Aquarelle von ibm, die nickt verkauft wurden, und für die jährliche Ausstellung im Industrirpalast pinselte er Landschaften, die man selten annahm, und di« noch seltener Käufer fanden. Zu dieser Zeit bewohnt» er in einem verfallenen Hause der Rue Neuve- Coquenard eine Dachstube, in der es ihm recht kümmer fach einigen Monaten wohnte derselbe Arnold Raymond in einem hübschen, kleinen Hotel der Avenue d'Eylau und war mit einer reizenden Frau verheirathet, die er liebt und die ihn wieder liebt. Er besaß und besitzt noch ein be deutende« vermögen und führt ein ruhige-, behagliche« Leben. Und doch Hal er keine Erbschaft gemacht und auch nicht in der Lotterie gewonnen. Wie da« zuging, will ich in Nachstehendem erzählen. Al« wir Arnold Raymond zum ersten Mal begegneten, lebte er von der Hand in den Mund; feine Lage war ein« ziemlich traurige. Eines Abend«, al- er noch mürrischer, noch verzweifelter al- gewöhnlich nach Hause kam, setzte er sich erschöpft an seinen kleinen wackeligen Tisch und schrieb br»m flackernden Lickte einer Kerze folgenden Brief: „Mein lieber Pdilipp! Ich bin verliebt, wahnsinnig ver liebt, verliebt bi« über die Ohren! Meine Liebesgeschichte ist sehr einfach, e« ist die alte und doch ewig neue Gesckichte von Abälard und Heloise, von Romeo und Julia. Meine Julia (in Wirklichkeit beißt sie Francine) ist die Tochter eines reichen Industriellen, der sich mit mehreren Millionen von den Geschäften zurückgezogen hat und nie einen vermögenslosen Maler zum Schwiegersohn wählen wird; ein barbarische«, aber väterliche« Verfahren, da» ich nicht umhin kann, unendlich vernünftig »n finden. Fräulein Francine Joubert ist 18 Jahr alt und schön wie Aphrodite. Wenn ich ihr Signalement aufsetzen müßte, so würde ich schreiben: Besondere« Kennzeichen: eine wahr« Zauberin. Da« ist da« Mädchen, da- ich liebe, mein guter Philipp! Bon ihrem braven Barer dazu au-ersehen, ihr Zeichenunter- Deutsche- Reich. * Leipzig, 21. October. Nach dem Bericht de« „Vor wärt«" hat Herr Liebknecht in einer Sitzung des social demokratischen Parteitage« gesagt: „Ich gebe zu, daß wir oie Pariei munr, um poi>nia>en irinslug gewinnen zu rönnen, Vie schlecht strnBersammlungSbrrichterstattrr haben". I »och weiter gehen und da« Edrtstenthnm und di« Religion völlig aus den Tbränen in den Augen von dannen . . . Theure kleine Francine! Ich werde fie nirmal« Wiedersehen! Go steht es mit mir, mein lieber Philipp! Ich habe Dir meine Bilanz mit solcher Offenheit gezogen, daß ick Dir, nachdem ich Dir meine Passiva genannt, auch meine Activa auszählen muß. Beruhige Dich, da« wird nicht allzu lang« dauern. Meine Activa bestehen au« Folgendem: ich habe freies Entrse in der Großen Oper; für ein Aquarell, da« ich dem Director verehrt hab«, hat er mir diese so viel be neidete Gunst zu Tdeil werden lassen. Ich werde mich be eilen, davon Gebrauch zu machen, denn ich sehe voraus, daß der Zustand meiner Garderobe mir in sehr naher Zukunft eine unendlich« Ouarantaine auferlegen wird." ll. Arnold Raymond wollte sein freie« Entrse in der Oper benutzen; in Wahrheit aber mißbrauchte er eS. Ob rin be rühmter erster Tenor sang oder das Theater Künstlern vierten Range« überlassen war, da« kümmerte ibn wenig. Mit gleicher Pünktlichkeit sah er sich die graciösen Pirouetten der ersten Tänzerin und die zweifelhaften Luftsprünge der letzten Koryphäen an. Er hatte sich die linke Seite vom Orchester gewählt, und hier war sein beständiger Platz. Unter den Logen, die sick hier befanden, war eine, die sich von den anderen wesentlich unterschied. Es war weniger eine Loze al- «in Fauteuil, groß, bequem und elegant. Diese Loge gehörte dem Baron IameS Rothschild, und da der bekannte Bankier nicht ganz dieselben Gründe hatte, wie Unser Künstler, beständig die Oper zu besuchen, so folgt daraus, daß der Fauteuil häufig unbesetzt war. Dann gehörte er dem ersten Besten, der sich darauf setzte, und unter diesen Umständen hatte Niemand mehr Anrecht darauf, al« Arnold Raymond, der mit den Laaipenanzündern kam und mit den Controleuren sortging. Eine« Abends, al« er auS dem Theater kam, glitt er auf dem Bürgersteige der Rue Rossini au« und fiel der Länge nach auf daS Pflaster. Zu Hause bemerkte er mit tiefem Schmerze, daß dieser unAlückfrligr Fall seiner hell braunen Hose und dem schwarzen Gehrock den Todesstoß versetzt batte. Am andern Morgen ertönte an Arnold'« Thür zu früher Stunde ein heftiges Klingeln. Er öffnete und war entsetzt, als er in dem frühzeitigen Besucher den Schöpfer deS Rocke« und der Hose erkannte. Traurig huschte er wieder in sein Bett und streckte sich seufzend in demselben auS. Man hätte ihn für einen Märtyrer halten können, der sich auf den Tod vorbereitet. Indessen sagte der Schneider, der noch immer seinen Hut in der Hand hielt, nach kurzer Pause:
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