Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961026017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-26
- Monat1896-10
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-A-Sgab« erscheint nm '/,7 Uhr. di» Abend-Au-gabe Wochentag« «m k Uhr. Nrdartto« «aL Erve-Mou: L-tzanne-iafie 8. Dst Expedition ist Wochentag« ununterbrochen go^lfnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ttt» kleinm's Lortim. (Alfred Hahn). UviversitntSstraße 3 (Paujinum), Louis Lösche, Kntbonnenstr. 14. vnrt. und König-Platz 7« Bezugs-Preis ti» hör tzanpterpedition oder de« im Stadt, deiirf und den Vororten errichteten An«- aavrstrllen ab geholt: vierteljährlich^ 4. SO, kei zweimaliger täglicher Zu fiel lang in« Hone K.-o. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vie««l>ädrlich 6.—. Direete tägliche Kreuzbandsrnouag tn« Au«Iaud: monatlich 7.S0. 54k. Morgen-Ausgabe. UeiMM Tageblaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Montag den 26. October 1896. Anzeigen-Preis die 8 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Virclamen unter demRedactionSslrich läge- spalten! LO^g, vor den Aamiliennachrichleu i6gespalten) 40-^ Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsa» nach höherem Tarif. Extra-yetlagcn (gefalzt), «ar mit de, Morgen - Ausgabe, ohne Postbefvrderung 60.—, m»t Poslbesördernag 70.—. ^nnalfmeschloß fiir Aryeigea: Abend-Au«gabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge ».Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. A«t den Filialen und Annahmestall«» je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets «a di« Gxpetzitioa zu richten. Druck and Verlag von E Bolz in Leipzig W. Jahrgang. allhier Amtliche^Theil. Versteigerung. DiensStag, den 27. Oktober d. IS., ' 10 Uhr Vormittag ¬ sollen im Versteigerung-raume des König!. Amtsgerichts allhier 1 Partie verschied. Möbel-, 1 großer Posten bessere Herrenkleider- stosse, 1 Partie Kurzwaaren, 1b Kilo Daunensedern, L Stück Hand tuchleinen, 1 Eassencontrolapparat, 6 Decimalwaagen, 4 große Regulirösrn, 4 Kochröhren, 4 Blumentische von Eisen, 1 EiSschrank, 3 Fliegenschränkr, 2 Blechscheerrn, 2 Aufwaschapparate, verschiedene Schreibpulte, 2 Pianino«, 2 Geldschränke und verschiedene andere Gegenstände, unter Anderem eine Actie der Leipziger Ereditbank, öffentlich an den Meistbietenden versteigert werden. Leipzig, den 24. October 1896. Der »ericht-vollzteher he» König!. Amtsgerichts. Seer. Thierbach. gehört, daß DiSmarck den „Krieg gemacht habe"; sie hatten auch vom „Baume der Erkenntniß" gegessen. Wa ich gegen ihre Behauptungen auS dem Geschichtsunterrichte und au- der gehörten Festrede an Beweismaterial anführte, wurde belächelt; innerlich entfremdet gingen wir von einander. Da- ist eins der wenigen im Gemiube haften ge bliebenen trüben Erinnerungsbilder au- der Kindheit. Die Socialdemokraten hatten bis vor wenigen Jahren genug zu tbun, ihre politische TaaeSpresse zu organisiren und die erwachsenen Glieder ihrer „Gemeinde" mit den Ergeb nissen ihrer tendenziös gefärbten Wissenschaft zu füttern. Auf dem Hallenser Parteitage wurde die Losung au-gegeben: „Unter die Jugend! Jugendschriftsteller unter den Ge nossen an die Gewehre!" Man durfte gespannt sein, Wa ste der Heranwachsenden Jugend für geistige Kost reichen würden. Die Heimath unsere- Schiller, de- Lieblings der deutschen Jugend, brachte die erste socialdemokratische Jugrndschrist auf den Büchermarkt; die Stadt, in der eins der besten und gelesensten Jugendblätter (Weitbrecht'S Jugendblätter) er- scheint, in der die Werke unserer größten Dichter erschienen, wurde auck die GründungSstätte des neuesten Zweiges der zeitgenössischen Litteratur. Es erschien im Herbst 1893 ein Bilderbuch für große und kleine Kinder in I. H. W. Dietz' Verlag; in den beiden nächsten Jahren erschien >e eia neues Bilderbuch. Di» norddeutschen Genossen wollten nicht zurückstehen. Im Verlage von HanS Baake, Berlin 8., Eity- Passage, erschien „Märchenbucy für die Kinder de« Proletariat»", in A. Hoffniann'S Verlag, Pankow: „Arm und Reich, der Arbeit ABE", im Verlag der Expedition de- „Vorwärt-": „Buch der Jugend. Für dir Kinder deS Proletariat- herau-gegebea von Emma Adler. Berlin 189L." Außerdem sind noch die zwei Theile de» „LesebuchrS für Kinder aufgeklärter Eltern von Theobald Werra, Leipzig, Ernst Wiest", zu nennen; von der geplanten „Schulwacht", durch die besonder- dem Lehrer auf die Finger gesehen werden soll, hat noch keine Nummer das Licht der Oeffentlichkeit erblickt. Was die „Genossen" mit der eigenen Bearbeitung von Jugendschriften erreichen wollen, iff au» den acht bis jetzt erschienenen Kerlen klar aä«, deutlich zu erkennen. Wie sie wirken und ob ihr Vorhaben gelingen wird, ist eine zweite Frage. WaS wollen und sollen die socialistischen Jugendschriften? Die Jugend soll durch sie angeleitet werden, von früh auf in den Bahnen zu wandeln, die zielbewußte Genossen al- das Ideal, al- den Weg zur neuen goldenen Zeit be trachten. Versetze man sich auf Augenblicke in den Zukunft», staat. Die FriedenSglocken läuten, der Krieg ist abgeschafft, die neue Zeit steht unter dem Zeichen der Arbeit, die rohen zerstörenden Gewalten sind verdrängt und vernichtet. Ein- tracht und Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit küssen sich, wie e» Bellamy'S Rückblick schildert. „Richt die Eroberer und Mensckenschlüchter, sonder» di» Be- schützer und Wächter wahrer Menschlichkeit, die Förderer der Kunst und Wissenschaft sollen die idealen Gestalte» der Zukunft abaeben. Diesen neuen Geist soll das Lesebuch pflegen: Za diesem Ginn» wird e« wohl sehr vereinzelt dastehen und mit Freuden von allen aufgeklärten Elter» ausgenommen werden. Wa« an Lesebüchern vorhanden ist, zielt nur darauf ab, die Kinder für politische» «ad religiösen Fanatismus, für den alten Geist zu erziehen. Diese Bücher stroien von Kriegsgeschichten und Krieg-Helden, von fanatisch religiöse» Einseitigkeiten und lehren Alles, nur keine wahr» Sitt lichkeit, wahr» Menschenliebe und am allerwenigsten die notbwendigste aller Tugenden, di» der Duldsamkeit, der Toleranz, ohne di« et nie besser auf Erden wird." (Lheob. Werra, I. Theil de» Lese- buches.) Wie erhaben, wie vielverheißend l Wer so genau die Lesebuch- und Jugendliteratur kennt wie Werra, muß doch wissen, wa- den Kinder» frommt. Eonsequent ist darum in allen Schriften vermieden, von Vaterland und Religion, Tbron und Altar» Liebe «nd Vertraue» zu Gott, Dankbarkeit gegen Menschen und Glaube an Gott zu sprechen. Doch treten wir näher, lasten wir den neuen Geist, der au» den neuen Jugendschrifte» entgegen weht, auf un» SociaWsche JugendleEre. Bon Erich AlnuS. Nachdruck v«rd»ten. Schon in früher Jugend wurde mir der Unterschied zwischen guter und schlechter, zwischen belehrender und schädigender, zwischen fegen- und verderbenbringender Jugend- lrctüre klar. Im Vaterhause wurde uns Kindern regelmäßig zu Weihnachten ein nützliches Buch unter den Ehristbaum gelegt, auch versorgten uns Freunde und Kameraden mit Lesestoff. Außerdem konnten die Knaben im Alter von 12 dis 14 Jahren au» einer trefflich auSgestattetrn Schüler bücherei ihr Lesebedürfniß befriedigen. Lebhaft und dankbar erinnere ich mich, wie Ehr. v. Schmib'sche Erzählungen, Bändchen der Horn'schen Jugendbiblivthek, Grimm'S Märchen, Siegi»mund Rüstig u. A. m. die jugendliche Phantasie an regten und wie manche» aufgenommene Bild in den Träumen auS- und weiter gesponnen wurde. Aber auch an einzelnen aufregenden Judianergeschichten und Räuberromanen im Stile de» Rinaldo Rmaldini wurde verstohlen genascht, bis die ernsten Vorstellungen und Ermahnungen de» Vater« der artige Erzeugnisse für immer verbannten. Den verderblichen Einfluß einer anderen Art Lesestoff konnte ich an gleich alterigen Schulkameraden beobachten. Es war an einem der ersten Sedantage, die da» deutsche Volk in nahezu einmüthiger Begeisterung feierte. In meiner Vaterstadt batten zwei ober drei Knaben au- der Nachbarschaft weder an der Schulfeier am Morgen noch am Kinderfest am Nachmittag auf dem Anger The«t nehmen dürfen. In der Begeisterung und Aufregung, ob die Dcclamation „Vom Bodensee b>- zum Meeresgestade" . . . glücklich von Statten gehen werde, hatte ich da» Fehlen der Schulkameraden nicht bemerkt. Al- ich aber am Abend dir Kameraden auf einem Wiesenwege der Stadt sich nähern sah, ging ich ihnen ent- gegen und fragte sie erstaunt, warum sie nicht „mitgemacht" hätten. Da» Gespräch mit den sonst so munteren nnd freund lichen Kameraden war durchaus nicht erquicklich. Aus ihnen sprach an jenem Abend ein fremder Geist. Sie schimpften weidlich, sie redeten viel von dem Kriege, der „gemacht" worden sei, sie sprachen sogar wider daS Militair, und doch hatten sie noch vor wenigen Wochen „Soldatens" gespielt und „Ritter und Bürger", und wie hatten sie eifrig Schilde und Schwerter, Flinten und Fahnen fertigen helfen! Woher da» unkindliche Raisonniren und altkluge Reflec- tiren? Ein Spielgenoste verrirth, wer ihm den Kopf ver keilt hatte. Ein socialdemokratisches Organ war die geistige Mutter der vorgetragenen Gedanken gewesen. Sie hatten da am Abend beim Vorlesen des Blatte» wirken! Prüfen wir möglichst unbefangen und vorurtheil»- frei! Die Hoheit deS unschuldigen und reinen Kinder- gemütheS soll uns den Maßstab liefern, mit dem wir zu messen haben. In dem einleitenden WidmungSgedichte zu dem Dietz'schen Bilderbuche 1893 heißt es zum Schluß: Ein Buch, das tröstend da« Gemütb erhebt Und Wahrheit bringt den Alten wie den Jungen, Mr haben es in treuem Müh'n erstrebt, Doch treuer Müh'n ist öfter schon mißlungen. Ob's diesmal un« gelang, in Ernst und Scherz Die rechten Saiten spielend zu erregen — DaS weiß das Volk nun, dem an- aold'n» Herz DaS schlicht« Buch vertrauensvoll wir legen. Die Wahrheiten, welche durch die gebotenen Gedichte, Erzählungen, Märchen und naturkundlichen Skizzen, sowie durch meist geschmackvolle farbige und uncolorirte Bilder den Eikern und ihren älteren Kindern an» Herz gelegt werden, beziehen sich meist auf da» sociale und da- Familien leben. Es kann den drei im Dietz'schen Verlage erschienenen Bilderbüchern nachgesagt werden, daß sie zur Erziehung und Gewöhnung an sociale Tugenden beitragen. Das in Nr. 5 Jabrg. 1894 der „Jugendschriften-Warte" enthaltene Urtbeil der dreizehn vrrrinigteu Ausschüsse ^r Deurtbeilung von Jugendschriflen sagt ganz zutreffend: „In einer großen Zahl von Familien wird e» für ältere Kinder, für Vater und Mutter ein Schatz sein, der also kein Unheil anrichlen wird; denn neben aller Tendenz durchwebt seine Blätter ein Hauch edelster Menschenachkung, so daß auch der Gegner da» Buch nicht ganz ohne Anerkennung au» der Hand legen wird." Nur zwei Beispiele, wie nach Inhalt und Form An- muthenveS, echt Kindliches und Belehrende- geboten wird. Frida, die stet» brav und fleißig gewesen, hat vom Weihnacht-- mann «ine schöne Puppe bekommen. „War gar eine schöne Puppe, Hatte goldig blonde» Haar, Oeffnrn oder schließen konnte Sie ihr blaue- Augenpaar. Frida hat sie froh empfangen, V<it geherzt sie und geküßt. Bis st« neben ihrer Puppe Endlich einaeschlafen ist. Al- »ach Stunden st« erwacht« Zog die Mitternacht herauf, und — o Wunder — sich di« Papp» Schlug von selbst die Auge» auf. Ward lebendig, und fi« sagte: „Gei nicht bange, liebe» Kind, Giebt eS doch so viele Mädchen, Welch« nicht« al« Puppen find. Die voll Eitelkeit sich ziere» Und mit Putz nur schmücke» sich, Statt im Gute» sich zu üben, Puppen sind sie, so wie ich. Die da- Lerne» ängstlich meiden, DaS den Kindern dient zum Wohl, Deren Köpse bleiben immer Wie die Puvpenköpfe hohl. Die nur Lust und Kurzweil treiben Und versäumen ihr« Pflicht, Dir Gemltth und Herz nicht bilden — > Mehr al« Puvvea find si« nicht. Du jedoch sollst Bessre« warben. Kein« todt« Puppe sein, Drum vermeide solche Fehler, Präg' dir mein« Wort« eint" Al« die Puppe die- gesprochen, Ward sie wieder stumm und still, Fttda wundert sich »och heute, Daß sie nicht mehr sprechen will. Doch der kluge» Puvpe Lehr« Stets ihr im Gedächtnis» blieb, Und «S bot dir küin» Frida Ihre Pupp« doppelt lieb." Am Scheideweg«. E» war um die Osterzeit. Max, ein blühender Knabe von 14 Jahren, sollte in wenigen Wochen auS der Schul« entlassen werden. Er weiß nicht, für welchen Beruf er sich entscheiden soll. Da geht er, in tiefes Nach denken versunken, eines TageS in den Wald; er bemerkt nicht, daß die Gegend immer einsamer wird. In einer Felsschlucht treten ihm zwei Frauengestalten entgegen. Die eine zeigte in ihrem Wesen Anstand und Würde, sah dabei aber dennoch bescheiden au». Sie trug ein einfache- reine» Kleid, da» zu ibrer sittsamen Haltung paßte. Die andere trug prächtige Kleiber, hatte aber ein gemeine», rohe» Gesicht, das durch tark aufgetragene Schminke nur noch abstoßender erschien. AuS ihrer ganzen Haltung sprachen Eitelkeit und Gefallsucht. Nicht Tugend und Laster, wie man erwartet, sind es, die den Knaben zur Entscheidung drängen, sondern die Mammons- göttin und die Arbeit. Gewiß ganz modern und vom Stand- puncte der Socialdemokratie au» zu verstehen. In Wort und Bild ist da» Verlockende der Mammon-göttin und die Hoheit der Arbeit, die den Knaben für sich gewinnt, dar gestellt. Zu wahrer, reiner Menschlichkeit suchen die Verfasser die Leser zu begeistern, aber, so fragen wir, sind denn die KnoSpen am Baume der Menschheit nicht in erster Linie Kinder werdende Menschen? Muß für sie nicht al» erstes «nd oberste- Ziel lauten: Erhaltung und Wahrung reiner, echter Kinblickkeit? Müssen sie sich nickt zuerst im Kreise der Familie unter den Geschwistern, den Kameraden und Gespielen bethätigen? Müssen sie nicht, ehe sie die Welt und Menschen kennen und verstehen lernen, die Scholle, die Heimath lieb baden und kennen lernen, oder dürfen sie nicht als deutsche Kinder deutsch denken und fühlen? Hören wir, was uns „Hüben und Drüben" (Bilderbuch I) erzählt! Die Grenze und die Thatigkeit der Grenzwächter zwischen Frankreich und Deutschland werden geschildert — ob Elsaß Lothringen deutsche» Land ist, erfährt man nicht —, und dann eine Satyre über den Begriff Vaterland loSgelaffen. Der Schlagbaum war auf der einen Seite schwarz-weiß-roth, aus der andern blau-weiß-roth angestrichen, und auf einem großen Schild stand an einem Hause „Deutsches Reich", an dem andern „ksxub- Ugus kranzaiis''. Di» Grenzwächter hatten zwar hüben und drüben verschiedene Uniformen, in ihrem unfreundlichen Wesen aber waren sie gleich; die »inen sprachen zwar französisch, dir andern deutsch, den Wanderer aber behandelten sie gleichmäßig wie einen Spitzbuben, der sie zu betrügen sucht; di« einen hatten zwar Vollbärte, die andern Schnurrbärte und spitze Kiunbärtcheo, aber die Körbe der Markt weiber durchwühlte» sie mit dem gleichen Eifer. Den Mcujchen, die von Osten oder von Westen her die Grenze überschritten, war r« äußerlich nicht anzusehen, ob sie aus dem deutschen Reich oder aus der französischen Republik kämen; sie sprachen gewöhnlich in Deutschland deutsch, in Frankreich französisch, denn si» hatten, wie überall an den Grenzen, beide Sprachen ge- lernt, sie wußten selbst nicht wie. Abends, namentlich aber Sonntags, gingen viele Männer und junge Burschen hinüber in das erste französiiche Dorf und tranken dort rothen Wein, di» Franzoien aber kamen herüber nach Deutsch land und ließen sich im ersten deutschen Dorfe das braune Bier mit dem weißen Schaum gut schmecken, und wenn dann Deutsche und Franzoien plaudernd, rauchend und winkend beisammen saßen, waren sie ein Herz und eine Seele, und e« war sehr schwer, sie von einander zu unterscheiden. Nun passirte ober zuweilen etwa» ganz Merkwürdige«. Wenn die Männer, von denen manche Narben im Gesichte trugen, und die jungen Burschen «in Glo« mehr als nöihig getrunken hatten, fingen di« auS Frankreich an zu singen: „Hlooo, eutanta üe la vamel" und die auS Deutschland sangen dann regelmäßig: .Lieb' ^Vaterland, magst ruhig fein!" und schrie» noch etwas mehr al- die Franzosen; diese fingen bei dem Worte „Mris" vor Eifer an zu krähen, und dir Drutlchen nahmen bei dem Wort» „Vaterland" den Mund so voll wie nur möglich, und daS war um so sonderbarer, al» „pTtrio" und „Vaterland' ein und dasselbe bedeuten. Tann flogen spitze und anzügliche Bemerkungen herüber und hinüber, und darüber bekamen daun Deutsche und Franzosen rothe Köpfe, schlugen mit den Fäusten auf den Tisch, daß di« Gläser tanzten, und manch- mal sogar schlugen sie mit ihren Fäusten sich auf die Köpfe. DaS war gewiß sonderbar, noch sonderbarer aber war es, daß die Kinder, wenigsten- die Buben, früh schon anfingen, über „patrie und „Baterland" allen Ernste« in dir Haare zu gerathen. Die französischen Bäter hatten ihren Jungen erzählt, es sei dir größte Ehre, dem ruhmreichen französischen Volk» anzugehören, und die Deutschen hätten viereckige Holzküpse und seien viel, viel dümmer al« di« Frauzofen; die deutschen Väter aber sagte» ihren Buben, ein Franzose fei rin liederlicher Prahlhans und Windmachrr; das mächtigste Volk auf Erden seien di« Deutschen, die ihr alte« Reich Versteigerung. Mittwoch, den 28. »ief. Man. Vocm. 10 Uhr sollen im Bersreigerungsraume deS Köniql. Amtsgerichts verschiedene Möbel, 1 Regulatoruhr, Bilder, 1 Bettstelle mit Matratze und 4 Weinkühlrr versteigert werden. Leipzig, den 22. Oktober 1896. Sekretär Trauer. il tt tt ISE-SMMSMlchiit! i FereiHetoir. Migräne. Humore-ke von B. W. Zell. «achdrnck «erboten. Sir Warrn nun schon mehr al» drei Monate verhrirathet. Trotzdem erklärte Assessor Hartig jeden Tag, der dem glück lichen Paare heranzvg, daß er eigentlich tollköpfig verliebt in seine kleine Frau sei, mehr noch denn al- Bräutigam — falls dies überhaupt im Bereich der Möglichkeit löge! Sir war aber auch allzu lieb und süß, die blouoe Hanna mit der zierlichen Figur und dem feinen Kindergesichtchen. Und dabei so reizend frauenhaft und mütterlich, wenn r» vorläufig ja auch nur der Gatte war, den si« nach Kräften verzog und verhätschelte. Wer hätte je gedacht, daß da verwohnte Prinzetzchen so wirtbschaftStüchtig sein und sich nickt nur eingehend um den Haushalt kümmern, sondern auch mit den kleinen Händen selber wacker zugreifen würde! Sogar daß Kochen besorgte sie höchstselbst und erlaubte der Köchin nur, ihr dabei hilfreiche Hand zu leisten. Freilich war Hanna» HauSfrauentugend auch zugleich ihre Schwache. Gerade, weil sie ihre Pflichten so ernst nahm und stet- die unfehlbar« Herrin im Gecrieb« de- Haushalt«» sein und bleiben wollte, gerieth st« häufig mit den Mädchen aneinander, die manche» besser zu verstehen meinten al» so ein junge» Frauchen. Da» aber vertrug die kleine Frau Affrssorin nicht, und wo sie je auf dergleichen Rebellion stieß, kündigte si« dem Mädchen sofort. Und so geschah e», daß m den sechs Wochen eigener ÄirthschaftSführung bereit» da» siebente Mädchen im Hause war. Da» junge Ehepaar hatte noch keine Besuche gemacht, sondern bi» jetzt ganz sich selber gelebt. Aber gerade al» da- achte Mädchen angezogen war und der junge Hau-Herr e» mindesten» etwa» unbequem, wenn nicht gar peinlich em pfand, schon wieder eine polizeilich« Ab- und Anmeldung in doppelten Exemplaren ausfüllen zu müssen, erhielt er einen Brief seine» Vetter» Alfred, der eben von einer italienischen Reis« heimkehrte, den Weg über Berlin nahm und darauf „brannte" — wi« er schrieb — da» neue Väschen kennen zu lernen. „Am liebsten wäre ich ja unangemeldet bei Euch ringe- schneit und hätte ä !» kottuos äu xot einen Löffel Suppe mitgegessen. Aber eine so junge Hausfrau, wie Deine Hanna e» ist, könnte da» in Verlegenheit bringen. Da meine ick denn, e« ist da« Beste, Du besuchst mich heute erst im Hotel Reichshof und meldest mich Deiner gewiß r«izendrn HauSehre für morgen feierlich an!" „Mein guter, lieber Fred!" sagte der Assessor ganz ge rührt, nachdem er die» Schreiben, wie alle nichtamtlichen, laut vorgelesen. „Immer rücksicht-voll, immer auf Alle- bedacht —" Frau Hanna aber zog ein Mäulchen. „ES hatte mich aber gar nickt in Verlegenheit gesetzt, wen» Dein Fred ungemeldet erschienen wäre", grollte sie. „War unsere Kartoffelsuppe heute nicht ausgezeichnet nnd daS Filet auch?" „Aber selbstverständlich, Liebchen! Und doch ist » besser, er kam heute nicht; denke dock, da- funkelnagelneue Mädchen, da- mir übrigen- nicht» weniger al- gewandt aussieht —" Frauchen nickte seufzend. „Und vielleicht kaum weiß, wie man einen Gast eintreten laßt und meldet —" „Da hast Du recht! Und wa- hatte D«i» Beiter von mir und meiner HauSbaltungSführung für einen Begriff be kommen, wenn da» nicht Alle- tadellos verläuft!" „Nun also, Herzlieb. Und darum ist'» am besten, ich gehe heute noch einmal hm und Du benutzest die Zeit meiner Abwesenheit, dem uruka Hau-geist em wenig auf den Zahn zu fühlen." „Du kommst doch aber bald wieder, Heinz?" „Natürlich. Zum Abendtbre bin ich wieder da." „Es ist da» erste Mal, daß Du allein au-gehst, Schatz, ohne daß Dein Amt Dich ruft," sagte sie feierlich mahnend. „Ja, Kind, einmal muß «S doch da» erste Mal sein," ent gegnete er leichtfertig, küßte ihr alle ferneren Unhkil-prvphe- zeihungen von den rosigen Lippen und ging. Frau Hanna stand noch rin Weilchen, überlegte die Speisenfolge de» morgenden Mittagessen» und begab sich bann rur Küche, da» neue Mädchen auf da» große Ereigniß de» ersten Gaste» vorzubereiten. „Kochen werde ich selber," sagte fir wichtig. „Damit haben Sie nicht- zu thun — wissen Sie aber auch, wie man «inen Gast einführt und meldet?" „Aber gnädige Frau, Besuche kommen doch allerwegen," meinte Minna etwa« beleidigt. „Gewiß. Dennoch möchte ich Ihnen sagen und »«igen, wie e- in meinem Haus« damit gehalten wird. Da s«hen Sir einmal — hier tue silberne Schal, auf der Spiegelconsole im Borflur ist dazu da, die Visitenkarte auszvnehmen, durch welche der Fremde sich melden läßt. Diese Katt« bringe» Sie mir, nachdem Sie den Gast sehr höflich gebeten haben, rin wen,g zu verziehen. Dann führen Sie ihn, vorausgesetzt, daß ich den Besuch annehme, in den Vorflur, schließen sehr leise die Tbür und sind beim Au-kleiden behilflich." „Beim Au-kleiden?" „Natürlich! Herren müssen doch dm Palttot ablegen, bevor sie eintreten." „Ach so — ja freilich, Frau Assessor." „Dann öffnen Sie die Thür zum Empfangszimmer und bitten wieder sehr höflich, dort eintreten zu wollen." „Schön, gnädige Frau. Wa- kommt nun?" „Damit sind vorläufig Ihre Obliegenheiten erfüllt und Sie habe» sich, wenigstens morgen, schleunigst wieder in die Küche zu begeben, damit daS Essen nicht inzwischen an brennt." Hinter der brodelnden Theemaschine saß am zierlich ge- deckten Tisch Frau Hanna und studirte eifrig da- Kochbuch. ES war acht Uhr, Heinz mußte jeden Moment eintreten. Als sie sich eben in die Schöpfungsgeschichte eines Wein puddings vertieft hatte, schreckte ein tonender Schlag der Uhr ße auf — wa-, schon halb Neun und ver sonst so pünktliche Gatte noch nicht da? Erregt blättert sie weiter und liest eonfuse» Zeug durcheinander, ohne e- zu verstehen — wo er nur bleibt? Zehn Uhr! Sie liegt schluchzend im Sessel. Es mußte sicher rin Unglück passirt sein — wa» kann in der Großstadt nicht Alle- gescheh««? Ob man der Polirei Meldung machte? Sie rang die Hände in maßlosem Jammer; das, da» schon nach dre, Monate glücklichster Ehe! Elf! Nun Hilst nicht- m«hr, sie muß hinaus in die Nacht, den Verschwundene» suchen. Am ganzen Leibe zitternd hüllt sie sich draußen im Vorflur in einen Mantel, zieht Kapuze und Schleier über'» Gesicht, ganz wie sie da» immer ,n Romanen gelesen, steckt den Hausschlüssel zu sich und wendet sich zur Thür. Da — wa» ist da«? Draußen «in Schleifen, Tasten und Klirren am Thürschloß, al» ob eine unsichere Hand sich vergeblich mühte, den Schlüssel an rechter Stelle einzusckieben — eine freudige Ahnung durchzuckt sie — Heinz! Sie reißt di« Thür auf und wirft sich dem endlich Heim gekehrten mit einem unterdrückte» Jubrlsckrei an den Hals. Der Anprall muß etwa» stürmisch gewesen sein, denn Hein; schwankt so bedenklich dabei, daß beide beinahe die Treppe hinabgeflogen wären. „Geliebteste — Engel!" stammelt der zärtliche Gatte. „Ich fürchtete, Du — Du würdest bös« sein — und nun — dieser liebevolle Empfang —"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite