Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961027019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge; Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-27
- Monat1896-10
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Tie Morgen-Ae-sgabe erscheint um '/,? Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentag- um L Uhr. Filinlea: ttt» Klnnni'S Lortim. (Alfred Hah«), Uvivrrfitnt-straße 3 (Paulinum), LoniS Lösche. Kntbarinenstr. 14. vart. und KönigSvlatz 7^ Nedaclion und LrveLition: Iohannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen grünet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Bezugs-Preis der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Au«- aavestrllen abgebolt: vierteljährlich.6 4.50, bei zweiinaliger täglicher Zustellung in« Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Tirecte tägliche Üreuzbandirndung in» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. U'sjpügcr Tagcblal Anzeigen Preis die S gespaltene Pelitzeile 20 Psg. Steclaineu unter dem RedactionSslrich c4gv- spaltens 50^, vor den Familiennuchrichte» lk gespalten) 40/^. Gröbere Schristru laut unserem Preis« «erzelchnib- Tabellarischer und Zifsernjatz nacy höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesördenm- ^tl 60.—, mit Postbesördrruug 70.—. Anzeiger. Amtskkatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Vokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Tinnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morge n-Au-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Gei den Filialen und Annahmestellen je ein halb« Stunde früher. Gültigen sind stets au die Ex-editt«» zu richten. Druck und Verlag "an E. Volz in Leipzig 548. Dienstag den 27. October 1896. Sv. Jahrgang. Oie Wiedereröffnung der französischen Kammern. 6. Paris, 24. October. Am Dicnßtag beginnen wieder die Redeschlachten deS Palais Bourbon. Der Waffenstillstand, der während der Zarenlage zwischen den Parteien herrschte, ist übrigens schon längst gebrochen. Am vorigen Sonntage bereit« haben zwei der hauptsächlichsten Führer, der Minister Barthou und der ehemalige Minister-Präsident Bourgeois, ihre Kriegs pläne entwickelt, seitdem sind die Zeitungen mit Fehdeartikeln und Interview« berühmter Abgeordneter über und über ge füllt. Auch das kleinste Blättchen sühlt sich berufen, dem Ministerium daö Horoskop zu stellen, und in den Kaffee- häuiern werden Wetten darüber gemacht, wieviel Wochen es noch am Leben bleiben werde. Tarin stimmen übrigens so ziemlich Alle überein, Saß es unmöglich ist, irgend etwa« Be stimmt vorauszusagen. Nur das scheint sicher zu sein, daß Niemand den Ministern die Arbeit der Budgetvertbel- digung abzunebmen geneigt ist, daß sie also noch so lange wohl oder übel die Geschäfte werden führen müssen. Während der vergangenen Session halte die Negierung sich fast stets auf die Unterstützung der Reckten verlassen können. Damit scheint cs jetzt vorbei zu sein. Ans den Lagern der Royalisten und Bonapartisten kommen fast täglich neue Absagen. Selbst der feine, vornehme Corn6ly schlug gestern einen sehr ironischen Ton gegen den „Gemüsemann" MSline an. Ja, er behauptete, ibm sogar dem radikalen Bourgeois vorzuzichen, der doch wenigstens „ein liebens würdiger, geschickter, amüsanter und umgänglicher Mann" sei. Dagegen ist auf der Linien, natürlich nicht auf der äußersten Linken, jetzt die Stimmung vielleicht ein klein wenig, versöhnlicher als im Sommer. Bekanntlich hatte man hier vor, den Ministern einen sehr üblen Empfang zu bereiten und ihnen alle vor den Zarentagen und während derseben begangenen Sünden in einem niederschmetternden Register vorzuballen. Hält man es wirtlich für „zu schade, die schönen Erinnerungen so zu trüben", wie man jetzt vorgiebt, oder ist man der Wähler nicht sicher? Oder will man nur bis nach den Budgetberathung warten? An Siegeszuversicht fehlt cs jedenfalls im radikalen Lager nicht. Der frühere Finanz minister Doumer, der voraussichtlich wieder stark in den Vordergrund treten wird, redet wenigstens in seinem heutigen Artikel im „Matin" fortwährend von Dem, was er und seine Freunde thun werden, wenn sie wieder am Ruder sind, und von Dem, was sie nicht thun werden. Ganz grimmige, un versöhnliche Gegner des gemäßigten Ministeriums aber sind die Socialdemokraten, besonders seit der allerdings ziemlich heftigen Rede Barthou'«. Ihr Führer Iaurös hat vor einigen Tagen einen ganzen Schlachtplan entwickelt, wie sie ihm zur Seite gehen wollen. Zunächst wollen sie die Ausweisung von Bebel und Bueb, die ja auch von anderer Seile al« eine schmachvolle Erniedrigung vor der deutschen Regierung bezeichnet wurde, zum Gegenstände einer geharnischten Interpellation machen. Herr Guesve ist dafür zum Wortführer ausersehcn. Hilst das nichts, so kommt Genosse Mirman mit einer Interpellation über das Versammlungsrecht. Während man nämlich die Versamm lung des Klerus zu Rheims geduldet hat, ist den Lehrern die Abhaltung von Congressen rundweg verweigert worden. Da« soll für den ersten Vorstoß genügen. Uebrigens hat jeder Minister etwas auf dem Kerb holz, wegen dessen er von irgend einer Seite an gegriffen werden wird. Der Minister der Colonien wird wegen der Wirthschaft des nun glücklich aus Madagaskar abberufencn Herrn Laroche zur Rechen schaft gezogen werden. Admiral Besnard hat die zahl reichen Havarien von Kriegsjchiffen während der letzten Monate und die Abverufung des beliebten Generals Dodds aus Jndochina auf seinem Conto. Herr Darlan, der Iustizminister, wird seine Notb haben, die zahlreichen Verhaftungen von Ausländern, besonders Polen, während der Zaren feste, zu rechtfertigen. Einer der scheinbar am wenigsten Belasteten ist Herr Hanotaux. Mit dem Abschluß des italienisch-tunesischen Handelsvertrages bat er einen Stein im Brette gewonnen. Aber auch ibm wird man mit der MadagaSkar-Affaire beizukommen ver suchen. Am schlauesten bat sich Herr Cochsry, der Finanz minister, aus der Schlinge gezogen. Von seinem unglückseligen Renlensleuerproject ist nicht mehr die Rete. Es ist ibm nach vielen Müben gelungen, einen Fmanzplan aufzustellen, bei dem die geplanten Neiormcn entbehrlich sind. Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben, aber für ein Jahr wenigstens ist der Staat gerettet. nous Io cki-Iu^s! Vom Budget ist jetzt überhaupt viel die Rede. Die Commission hat in der letzten Zeit geradezu fieberhaft ge arbeitet. Es ist damit wohl in allen Staaten ziemlich die selbe Sacke, aber hier in ter Republik beißt es erst recht: streichen, streichen und immer wieder streichen. Welche Freude herrschte vor einigen Tagen, als es hieß, man habe den Heercsclat um dreizehn Millionen vermindern können. Die Freute dauerte allerdings nicht lange. Bald hörte man, taß der Kriegsminister nur um zwei Millionen mit sich handeln ließe und schließlich mußte man froh sein, daß es der Commission gelang, wenigstens noch drei und eine halbe Million zu ten zweien hinzuzusügen. Daß sie übrigens durch irgend ein Hinterpförtchen, durch eine nicht „vorherzusehente" Ausgabe wieder in den Etat hineingelangen, daran zweifelt kein Menich. Eine merkwürdige Sache war es mit den Geldern für die große Ausstellung. Es fand sich nämlich plötzlich, daß dafür in den Etat gar nichts eingestellt Worten sei. Der Finauzminister erklärte zwar, das sei auch gar nicht beab sichtigt gewesen, die Banque de France habe sich bereit er klärt, die nöihige Summe vorzustrecken, allein diese scheint vorläufig streiken zu wollen; jedenfalls ist die Sache nickt ganz aufgeklärt. Im Uebrigen scheint Alles aufs Herrlichste zu stimmen. Die Rechnung schließt sogar mit einem Uebersckuß von 3l3 000 Francs ab. Tas ist ungefähr soviel, wie wenn ein Beamter mit 3000 Einkommen am Schluß des Jahres 3 zurücklegen kann. Immerhin besser als vaS Gegentheil, wie Mr. Micawber bei Dickens sagen würde. Eine Frage für sich, die dem Finanzminister noch ziemlich viel Sckwietigkeilen machen dürfte, ist die Zuckerfrage. Als die Ausfuhrprämie in Deutschland erhöht wurde, mußte man sich darauf gefaßt macken, daß die anderen Länder bald dem Beispiel folgen würden. Zunächst hat es Oesterreich getban; hier ist man auch im Princip längst darüber einig. Die Interessenten wünschen nun aber, daß die Kosten, die sich auf über 15 Millionen belaufen, ausschließlich durch eine starke Erhöhung der Consumtionssteuer aufgebracht werden, die an und für sich schon 60 Francs für 100 kz beträgt, während die Regierung die Ueberschüsse der Production stärker belasten will. Ein Interview bei Dismarck über -en Dreibund? Die Wiener „Neue Freie Presse" veröffentlicht das Interview eines Freundes dieses Blattes mit einem „deut- Icken Staatsmann" über den Dreibund. Da die Correipondenz aus Hamburg dalirt ist, und zum Tbeil bekannte Ansichten deS Fürsten Bismarck wiedergiebt, nimmt der „Verl. Loc.-Anz.", welcher sich den hauptsächlichen Inhalt deS Interviews aus Wien telegraphisch mittbeilen läßt, als ausgemacht an, daß hinter dem deutichen Staats mann thatsächlich der Altreichskanzler sich verberge. Wir geben das Interview, ohne das Geheimniß lüften zu können, wieder, da sich voraussichtlich noch Preßerörterungen an das selbe knüpfen werden. Das Gespräch drehte sich zunächst um den Zaren besuch in Frankreich und die politische Bedeutung des selben. Der Staatsmann sprach sich über dieselbe mit voller Unumwundenbeit dabin aus, daß der Besuch zur Aufrecht- erballung des bisherigen Verhältnisses Frankreichs zu Ruß land nothwendig gewesen sei und daß die Unterlassung desselben Rußland die Vvrtheile geschmälert haben würde, die eS jetzt in seiner Politik und Finanz von französischer Seile genießt. Neue Abmachungen seien nicht getroffen worden; die wieder holte und feierliche Bekundung der alten sei nötbig gewesen, um die Franzosen bei guter Laune zu erhalten. Thalsächlich bilde der Besuch nach der Dreibundseite hin eine Erhöhung der vorhandenen Friedensgarantie. Anders liege die Sache in Bezug auf England." Die Unterhaltung wendete sich dann dem Tone zu. welchen die englische Presse gegen Deutschland anschlage, und ihrer Behauptung, daß der Dreibund sichlockere und Deutsch land bald isolirt Kästchen werde. Das Gespräch nahm etwa folgenden Verlauf: „Glauben Ew. . . . an die Möglichkeit oder Wahrscheinlich keit einer Lockerung des Dreibundes?" „Nein, in dem Sinne, wie es die Engländer meinen, ge wiß nicht. Wenn die russisch-französische Entente den Sinn hätte, den ihr die Pariser Chauvinislenpresse und die Londoner Jingobläiter zuschreiben, so würde die natürliche Folge davon nicht eine Lockerung, sondern eine Befestigung des Drei bundes sein. Wenn eine Lockerung einträte, so würde daS nur beweisen, daß in Paris nichts abgemacht wurde, was den Dreibund oder Theilnebmer desselben bedrohen könnte. Aber einstweilen glaube ich überhaupt nicht an eine solche Lockerung, weil ich noch keine Ursache dazu sehe." „Ew. . . . sagen „einstweilen"; das scheint doch auf die Möglichkeit einer späteren Lockerung hinzuveuten." „Ein Bündnißvertrag ist als Menschenwerk natürlich den Gesetzen der Vergänglichkeit unter worfen, aber Niemand kann voraussehen, wann und unter welchen Umständen er der Einwirkung dieses Naturgesetzes unterliegt." „Ist in absehbarer Zeit eine solche Wandlung wahr scheinlich?" „Darauf kann ich nur erwidern: Legsauts causa cossat effeotus." „Und wie wäre das in diesem Falle zu verstehen?" „Die Oausa des deutschen Vertrages mit Oesterreich ist bekannt, die der Verträge mit Italien ihr analog. Ter deutsche Vertrag mit Oesterreich hatte, wie Sie ja wissen, seinen Ursprung in Verstimmungen, Empfindlichkeiten und Eifersüchteleien, in welche Gortschakoff die russische Politik gegen Deutschland bineingelrieben halte; es wurden von russischer Seite Zumuthuugen an Deutschland gestellt, deren Erfüllung unser Land in russische Abhängigkeit gebracht hätte, ohne die weitere Sicherheit gegen fernere Ansprüche zu ge währen; dadurch wurde Deutschland zu der lange ver miedenen Option zwischen Rußland und Oesterreich, zum Abschlüsse des Bündmßvertrages mit letzterem Staate ge- nölhigl. Dieser Bündnißverlrag hatte aber lediglich den Zweck, die Gefahr eines russischen oder eines russisch-fran zösischen Angriffskrieges auf einen der beiden Contrabenten abzuwenden. Daß diese Gefahr von der betheiliglen Diplo matie jetzt noch als vorhanden angesehen wird, ist mir sehr unwahrscheinli ck." „Ew. — sind der Meinung, daß mit dem Schwinden der Ursache auch die Wirkung aufhöre, also der Vertrag demnächst erlöschen werde?" „Das will ick damit keineswegs gesagt haben. Die Einzelverträge sind ja erst kürzlich wieder erneuert worden, und der Dreibund ist auch schließlich mehr geworden, als eine Versicherung«-Anstalt gegen Rußland. Er bildet eine eminente Friedensgarantie, bedroht Niemanden und stellt einen festen Factor der europäischen Rechnung dar; wenigstens bis jetzt." „Aber wie lange wird die europäische Situation sort- iesteben, wo es jedem der am Dreibunde betbeiligten Staaten möglich ist, den Vertrag aufrecht zu erhalten?" „Das kann Niemand wissen; nur daS Eine ist sicher, daß kein Staat, der selbstständige Politik treibt, ein en Vertrag ballen kann, wenn dieser anfängt, ihn an der wirksamen Vertretung seiner eigenen Interessen zu hindern; dann tritt der Fall ein, den der üheber des Dreibundes im Auge hatte, als er seiner Zeit im Reichstage erklärte, keine Großmacht könne auf die Dauer im Widerspruche mit den Interessen ihres eigenen Volkes an dem Wortlaute irgend eines Vertrages kleben, sie sei schließ lich genöthigt, offen zu erklären: Die Zeiten haben sich ge ändert, ich kann den Vertrag nicht mehr hallen und muß von demselben zurücklreten." „Wie hätte man sich eine solche Peripetie in Bezug auf den Dreibund vorzuslellen?" „Sie wird sich aus der Logik und dem Schwergewichte derjenigen Thalsachen vollziehen, die sich, unbekümmert um Vertragsparagraphen, nach Maßgabe der realen Interessen der Völker entwickeln." „Zum Beispiel?" „Solche Beispiele liegen doch nahe genug. Wenn sich z. B. ein russisch-sranzösischesEinvernehm en gegen England herausbilvet, so können Umstände eintreten, die bewirken, baß Italien, daS in Afrika mit England ge meinschaftliche Interessen hat und auch auf den maritimen Schutz Englands gegen Frankreich angewiesen ist, durch Eng land in die Versuchung gebracht wird, sich von seinen Bundesgenossen abzu sondern, falls diese cs in ihrem Interesse sür ersprießlich erachten sollten, die russlsch-sranzösijcke Action gegen England zu begünstigen." „Kann nach Ew. . . . Auffassung der Fall einer solchen Begünstigung leicht eintrelen?" „Zn Bezug aus Oesterreich-Ungarn Wohl nicht, weil dessen Interessen auf dem Balkan und am Mittelmeer vielfach mit den englischen parallel gehen. Aber in einer ganz anderen Lage befindet sich doch Deutschland, und ich tann mir sehr Wohl vorslellen, daß Situationen eintreten, in denen dieser Staat es als Pflicht gegen sich selbst empfindet, eine etwa vorhandene russisch-französische Cooperation gegen England seinerseits zu unterstützen. Die Anfänge dazu liegen ja auch bereits vor." „Ew. ... meinen die ostasiatische Sache..." „Ja, und ich glaube, daß Deutschland nickt mehr in der Lage ist, sich den Consequenzcn seiner damaligen Handlungs weise zu entziehen, selcht wenn es wollte. Aber ich glaube auch nicht, baß cs wollen wird. Wenn damals die Be- theilizung Deutschlands politisch geboten erschien, so war das bock> nur aus dem Bedürfnisse zu erklären, mit Ruß land die Fühlung wiever zu gewinnen, die durch manche Erlebnisse der letzten Jahre verloren gegangen war Ist das aber der Fall und bat man seitdem aus deutscher Seite sich auf dem damals eingeschlagenen Wege fortbewegt, so wirb man sich jetzt sicherlich vor Halbheiten hüten, die mit dem Sitzen zwilchen zwei Stühlen endigen könnte, von denen alsdann keiner eine Stütze bieten würde. Es sind auch keine deutschen Interessen zu entdecken, die uns den Zwang auf erlegten, von Rußland abzufallen und seinen Bestrebungen feindlich gcgenüoerzulreten. Wir haben Frankreich jahrzehnte- jang die Freiheit seiner Eutwick.ung in jeder anderen Richtung als in der Elsaß - Lothringen« gegönnt, ja wir haben sie sogar gefördert, zum Beijpiel in Tunis, in Indien, in Afrika, und wir haben doch mindestens denselben Grund, es als wichtig für das deutsche Interesse zu betrachten, wenn Rußland seine Be friedigung mehr im Osten gegen England, als im Westen gegen uns sucht. Ich sehe absolut kein deutsches Feuilleton. Euriose Testamente. Ein Beitrag zur beschichte der Sonderlinge. Von Hermann Pilz. NaLdruck «erboten. Daß die Menschen selbst im Angesichte des TodeS oft nicht den Humor verlieren, daron giebt es Tausende von Bei spielen. Man spricht deshalb von „Galgenhumor". Der Historiker weiß, daß große Männer von weltgeschichtlicher Bedeutung oft mit einem Wort deS Scherzes, mit einer feinen ironischen Bemerkung von der süßen, freundlichen Ge wohnheit dieses Daseins Abschied genommen haben.« Es ist das immer ein Zeichen souveräner Selbstbeherrschung, ein Zeichen der Todesverachtung, die ihren Grund in der Welt verachtung oder auck in der Zufriedenheit deS Sterbenden mit dem abgeschlossenen Leben und der Hoffnung auf ein ewige« haben kann. Daß sich der Humor aber auch dort einen Platz erobert, wo man, in der Erinnerung an die Hin- iälligkeit deS menschlichen Lebens, seinen letzten Willen aufletzt, soll in Nachstehendem gezeigt werden. ES giebt curiose Testamente, bei denen der Schalk zwischen den Zeilen hindurch guckt. Wer sie eröffnet, siebt den Erblasser im Geiste mit einem sarkastischen Lächeln vor sich stellen und sich an den ver blüfften Mienen der eingesetzten Erben weiden. Es giebt curiose Testamente von Sonderlingen, di« selbst bei ihren Zuwendungen aus den Todesfall hin von ihren sonderbaren Liebhabereien und Schrullen nicht ablafsen können und letzt willige Verfügungen treffen, über welche die Nachlabrichter mit den Erben zugleich den Kops schütteln. Eine schwierige Verpflichtung legte der verstorbene Pro fessor Ignaz Hoppe in Bonn seinen Erben auf. Der gesammte Nachlaßwar letztwillig Demjenigen auSgesetzt, welcher sich verpflichten würde, in seinem Hause unausgesetzt über da« Wesen der menschlichen Seele nachzudenken. Das Testament mußte für ungiltig erklärt werden; denn so dank bar das Nachdenken über das Wesen der menschlichen Seele auch sein mag, e« fand sich doch kein Erbe, der darüber alle anderen Lebensfragen hätte vergessen mögen. Schwierigkeiten hinsichtlich der Erfüllung der Bedingungen deS letzten Willens bereitete auch ein begüterter Sonderling I. M. in HaderS- dors am Kamp in Nicderösterreick seinen Erben. In seinem Testament beißt e«: „Ich vermache mein gejammtes bewegliches und unbewegliches Vermögen meinen sechs Neffen und sechs Nichten, aber unter der einzigen Bedingung, daß jeder der Erben, und zwar die Männer ein Mädchen mit dem Namen „Antonie" und die Mädchen einen Manu mit Namen „Anton„ ehelichen müssen. Ferner müssen fick alle zwölf Brautpaare verpflichten, ihren erstgeborenen Kindern den Namen Anton, beziehungsweise Antonie zu geben, sowie sich nur an den Antonstagen, 17. Januar, 10., Mai, 13. Juni, traune zu lassen." Weiter stebt in dem Testamente: „Als Termin setze ich für die Verehelichung längsten- die Zeit bis 20. Juli 1896. Wem von meinen Neffen und Nickten es bis dahin nickt gelingt, meinen letzten Willen zu erfüllen, der erkält nur die Hälfte de« ErdtheilS, und der Rest wird gleichmäßig auf die anderen schon verehelichten vertheilt." Daß in Folge dieser Bestimmung die „AntonS" und „Antonien" in der Gegend von Hadersdorf im Ansehen stiegen, war zu erwarten. Ein alter Hagestolz in Wien setzte in seinem Testament seinem Weiberbasse noch ein besonderes Denkmal. Er wurde im VolkSmunde „vr. Ungern" genannt und war eine bekannte Straßenfigur. In seinem Stammgasthause wußte er durch gute Trinkgelder dafür zu sorgen, daß die Kellner kein weib liches Wesen in seine Nähe ließen. Ging er in« Tbeater, so nahm er stet« drei Sitze, um nickt etwa eine Dame neben sich zu haben. Auf der Tramway, im Omnibus, aus der Bahn rauchte er eine Pfeife, die mit ordinärem Tabak gestopft war, um sich dir FrauenSleut' vom Leibe zu halten. Seine Misogynie war in ganz Wien bekannt. Als seinen Ver wandten da« Testament kr« Sonderling« eröffnet wurde, fand sich darin folgende charakteristische Stelle vor: „Ich lege meinen Verwandten auf, dafür Sorge zu tragen, daß aus dem Friedhof, wo ich beerdigt werde, neben mir keine Frauen leichen beerdigt werden. Sollte da« unthunlich sein, so bitte ich, sür mich einen Gruftplatz sür drei Personen zu kaufen und mich in der Mitte zu beerdigen, die Räume recht« und link« aber frei zu lassen." Beigefügt war dem Testament ein Packet mit der Aufschrift: „Versuche meiner Verwandten, mich ins Ebejoch zu zwingen." Das Packet enthielt 62 Briefe, die vom Jahre 1845 bis 1893 liefen und mit spöttischen Randbemerkungen versehen waren. Ein weiteres Päckchen fügte noch „Briefe mit Anträgen von beiratbsbedürfkigen Mädchen und Wittwen" hinzu, „welche ein Gesammtvermögen von 1 760 000 Gulden ins Feld stellten, um mich zu ködern". Seine Abneigung gegen das schöne Geschlecht verließ den alten Privatier auch in der ernsten Stunde nickt, da er seinen letzten Willen zu Papier brachte. Erhebliche Schwierigkeiten hatten auch die Erbinnen eines alten Sonderlings, der kürzlich in Odessa mit dem Tode abging. Er hinterließ ungefähr 4 Millionen und als „lackende Erben" vier Nichten, die sich nicht gerade in günstigen Verhältnissen befinden. Die Freude derselben wurde etwa» abgekühlt, als sie die Bedingung des Testators vernahmen, unter welcher ihnen das Vermögen desselben zufällt. Tie liebenswürdigen Nichten haben den Nachweis zu bringen, daß sie vorher fünf zehn Monate bei guter Führung in dienender Stellung gewesen sind. Die Dienststellen sind die eines Stuben mädchens, eine« Waschmädcbcn«, eines ScheuermädchenS und einer Kohlengehilfin, wie sie beim Abladcn der Koblenwagen gebraucht werden. Jeder Tag ibres Dienstes muß mindestens 12 Dienststunken betragen und bat die Bezirkspolizei letztere zu beglaubigen. Die jungen Damen haben übrigens die Millionen nickt fahren lassen, sondern ihre Stellungen an getreten und bereit« zahlreiche Heiralbsofferten erhalten. Mit vier Millionen beirathet auch ein Baron ein hübsches Stuben mädchen oder eine liebenswürdige Koblengehilfin. Ein reicher Pole, M. Zalewsky, der in Tauris im März 1889 verstarb, binterließ ungefähr 100 000 Rubel. Auf dem Testament, welche« versiegelt aufgefunden wurde, standen die Worte: „Nach meinem Tode zu öffnen". Al« die Testaments vollstrecker dies tbaien, fanden sie ein zweite« versiegeltes Couvert vor mit der Bemerkung: „Sechs Wochen nach meinem Tode zu öffnen". Und so ging eS weiter, daS dritte Couvert: „Ein Iabr nach dem Tode" rc. bis zum Jahre 1894, wo man endlich die Bestimmung über den Nachlaß vorsand. Die Hälfte des Vermögens erbte derjenige seiner Erben, der die mktsten Kinder besaß, die andere Hälft« sollte in die Reich»bank gegeben und dort 100 Jahre verwaltet, dann aber allen Erben zu gleichen Antheilen auSgezahlt werden. Kannte Zalewsky die Eile lachender Erben und wollte er ibnen Geduld lernen? Reichliche Enttäuschung blübte auch den Erben eines Sammler- Sonderlings, der als Bankier bei Pontefract in Wales lebte und sein Vermögen, da« an auswärtige Erben fiel, in einer Sammlung alter Thüren angelegt batte, zu denen sich die Erben die entsprechenden Häuser sollten bauen lassen. Das Original Iobn Kaufmann in dem amerikanischen Städtchen Brazil beglückte dagegen testamentarisch seine Erben mit einer Sammlung von allen Damenscbuhen und Stiefeln, auf welche er Riesensummen verwendet hatte. Ob die Erben über einen alten Schuh der Charlotte Corday in hochgradiges Ent zücken geratben sein werden, obwohl er mit 500 Franken bezahlt und ausgezeichnet ist, ist zu bezweifeln. Jedenfalls wäre ihnen baares Geld lieber gewesen als diese „lederne Erb schaft". Pousset, der die erste bayerische Bierballe in Paris eröffnete und ein Freund der schönen Künste war, hinterließ drei Millionen in Werthpapieren. Universalerben wurden seine — Stammgäste! In einer Cassette fand man ein genaues Vcrzeichniß darüber, waS diese fidelen Stamm gäste, zu denen in der Hauptsache Dichter, Journalisten, Künstler und auch die Musrnsöhne vom Montmartre ge hörten, im Laufe der Zeit bei Pousset — gepumpt batten! Die beiliegenden Schuldscheine, die zusammen die respectabie Summe von 200 000 Francs ausmachten, bildeten ihr Erbe. Achtzehn andere alte Stammgäste, von denen es im Testament heißt, daß sie die Pioniere des bayeri schen Bieres in Paris waren, wurden zu 1>/» Million Francs eingesetzt. Dazu gehören unter Anderen vier Dichter, darunter Francois Coppüe, zwei Maler, drei Journalisten und ei» Capellmeister. Der Nachlaß enthält auch eine Liste über den Verkehr der Gäste mit Randbemerkungen über den etwa an gelegten Pump, die Zahl der geleerten Maßkrügc, die bei Pousset geholten „Räusche" und Anderes mehr. Dieses Buck soll nach dem Willen deS Testator« in Gegenwart der Stammgäste feierlich verbrannt werden, ohne daß vorder eine Verlesung der Glossen deS BuchführerS stattfindet. Sie mögen für Viele ein Sündenregister entbalten! Pousset wußte wenigsten», wen er bedacht« und daß «
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite