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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961027028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-27
- Monat1896-10
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Gröbere Schriften laut unserem Pret«» verzrichnib. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Torts. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit d« Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderuag SO.—, mit Postbesörderuag 70.—» ÄunaiMschluß für Anzeigen: AbeuL.Au«gabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen»Au«gabe: Nachmittag» «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stund« früher. Anteile« sind stet» au hie Expedition t» richten. Dkttck Mrd Verlag v", T. Pol» la Leidig Dienstag den 27. October 1896. SV. Jahrgang. Die neuesten Enthüllungen des Fürsten Sismarck. * Der in unserer SonntagSausgabe mitgetheilte, „Fürst Bismarck und Rußland" überschriebeneArtikel der „Hamb. Nachr." hat begreiflicherweise in der ganzen politischen Welt große« Aufsehen hervorgerufen durch die Behauptung, bis zum Jahre 18SV seien Deutschland und Rußland in vollem Einverständniß darüber gewesen, daß, wenn eines von ihnen angegriffen würde, da« andere wohlwollend neutral bleiben solle; also wenn beispielsweise Deutschland von Frankreich angefallen würde, so wäre die wohlwollende Neutralität Rußlands zu gewärtigen gewesen, und dieselbe Neutralität Deutschlands, wenn Rußland angegriffen worden wäre. Dieses Einverständniß sei nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismarck nicht erneuert worden und zwar nicht infolge eines Stimmungswechsels in Rußland, sondern weil Graf Caprivi die Fortsetzung dieser gegenseitigen Assecuranz ab gelehnt habe, während Rußland dazu bereit gewesen sei. Den alten demokratischen Gegnern des Fürsten Bismarck gerbt diese „Enthüllung", die in einem Borwurfe gegen den Grafen Caprivi gipfelt, willkommene Gelegenheit, den Fürsten der absichtlichen Vergeßlichkeit und der Anschwärzung seines Nachfolgers zu zeihen. Sie erinnern daran, daß seit dem 13. März 1881, da Alexander lll. seinem ermordeten Vater auf dem Throne folgte, die ganze Politik bis etwa 1889 er füllt gewesen sei von dem damaligen deutsch-russischen Gegensatz, der bereits 1879 zum Abschluß des Bündnisses zwischen Deutschland und Oesterreich - Ungarn für den Fall eines Angriffs Rußlands auf einen der beiden vertragschließenden Reiche geführt habe; sie erinnern ferner an die HeereSverstärkung von 1887, welche mit der Möglichkeit deö gleichzeitigen Krieges gegen Frankreich und Rußland begründet ward, an die demonstrative Veröffent lichung deS deutsch-österreichischen Vertrags im Februar 1888, an die große Rede des Fürsten Bismarck vom 6. Februar 1888, in der er ausdrücklich sagte, in Rußland sei dem alten zuverlässigen Freunde, Deutschland, die Thür gewiesen worben, und in der das berühmte Wort vorkam: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt." Mit diesen historischen Hinweisen glauben die BiSmarck-Gegner die Be hauptung der „Hamb. Nachr." von der bis 1890 dauernden „Assecuranz" zwischen Rußland und Deutschland abgethan und den Beweis erbracht zu haben, daß Fürst Bismarck zu Zwecken der Herabwürdigung des Grafen Caprivi die Geschichte zu fälschen sich nicht scheue. Für jeden Unbefangenen aber, der sich bei seiner Beurtheilung der Vergangenheit nicht durch die trockenen Aufzählungen de« Geschichtskalenders leiten läßt, stand eS längst fest, daß Fürst Bismarck trotz des Abschlusses deS Ver trags mit Oesterreich-Ungarn, trotz seiner Vorkehrungen auf einen Krieg mit Rußland und trotz seiner Rede vom 6. Februar 1888 nickt nur eifrig bemüht war, einen völligen Bruch mit Rußland zu verhüten, sondern auch diesen Bemühungen den Erfolg verdankte, daß der Draht zwischen Berlin und Petersburg nicht völlig riß. Zwischen diesem Erfolg und der Aufrichtung einer „Assecuranz" ist allerdings ein großer Unterschied. Aber hätten wirklich, wie einige Blätter an nehmen, die „Hamb. Nachr." eigenmächtig aus den erfolg reichen Bemühungen des Fürsten um Erhaltung eines leidlichen Verhältnisses die Aufrichtung eines wohlwollenden Neutralitäts verhältnisses gemacht, so würde Fürst Bismarck jedenfalls diese Verwechselung aufgeklärt und die „Hamb. Nachr." zu einer Berichtigung veranlaßt haben. Allen Anzweifelungen zum Trotz hält aber das „Kanzlerblatt" seine Behauptungen aufrecht, mdem e« heute schreibt: „Unangenehm wäre nur für Deutschland, daß es für den Fall eines neuen französischen Angriffs der wohlwollenden Neutralität Rußlands nicht sicher sein könnte wie bis zum Jahre 1890, wo das diese Eventualität sichernde deutsch.russische Abkommen ablief und vom Grafen Caprivi nicht erneuert wurde." Eine solche wiederholte Versicherung beseitigt jeden etwaigen Zweifel daran, daß Fürst Bismarck angenommen wissen will, eS sei ihm trotz der bekannten Trübungen deS Verhältnisses zwischen Deutschland und Rußland gelungen, bis 1890 die russischen Staatsmänner zum Festhalten an einem Abkommen zu bewegen, das Deutschland im Falle eines französischen Angriffes die wohlwollende Neutralität Ruß lands sicherte. Ernsthafte Politiker werden nunmehr mit dieser Versicherung als mit einer historischen Thatsacke recknen müssen, auch wenn sie nicht begreifen, wie eS dem Fürsten nach all den Vorgängen zwischen 1878 und seinem Rücktritt möglich gewesen ist, einen solchen Erfolg zu erzielen. Weitere Auf klärungen werden schwerlich lange auf sich warten lassen. Vorläufig handelt es fick hauptsächlich um die Frage, warum gerade jetzt Fürst Bismarck zu seinen Enthüllungen sich veranlaßt siebt. Zunächst ist man dieser Frage gegenüber lediglich auf Bermuthungen hingewiesen. Die nächstliegende ist jedenfalls die, welche die „N. Zür. Ztg." mit folgenden Worten auSspricht: „Im Zusammenhang mit manchen anderen Erscheinungen macht es den Eindruck, als ob trotz der starken antideutschen Haltung der englischen Presse neuerdings — vielleicht von Hof zu Hof — Versuche im Bange seien, England und Deutschland unter Hinweis auf die Bedrohlichkeit de« russisch-französischen Zweibuudes einander wieder näher zu bringen, und als ob Bismarck dabei vor Unvorsichtigkeiten warnen wolle." Das in der heutigen Morgennummer nach der „N. Fr. Pr." mitgetheilte „Interview bei Bismarck über den Drei bund" verstärkt die Gründe, die für eine solche Annahme sprechen; denn ausdrücklich werden dem Fürsten Bismarck von dem Interviewer die Worte in den Mund gelegt, „die große, Alles beherrschende Weltfrage ist zur Zeit zweifellos der russisch-englische Antagonismus", und „ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Situation eintritt, in der Deutschland eS als Pflicht gegen sich selbst empfindet, eine etwa vorhandene russisch-französische Cooperation gegen. England seinerseits zu unterstützen." Die Mahnung, die in diesen Worten liegt, könnte nicht nachdrücklicher unterstützt werden, als durch den Hinweis darauf, bei welchem Abkommen Rußland trotz aller Trübungen des deutsch-russischen Ver hältnisses bis zum Jahre 1890 hat festgehalten werden können. Die englische Presse gerath denn auch durch die Ent hüllungen der „Hamb. Nachr." außer Rand und Band; sie ist also über die mögliche und höchst wahrscheinlich beabsichtigte Wirkung dieser Enthüllungen nicht im Zweifel. Völlig mißverstanden haben diese Enthüllung die öster reichischen Blätter, unter denen die „N. Fr. Pr." sich sogar zu dem Vorwurfe verst. ipr, Bismarck enthüllt mit seiner Mit theilung über die deut: russische „Assecuranz" seine Doppel- rüngigkeit gegen Oesterr n u-Uugarn. Treffend begegnet diesem Vorwurfe die „Münch. Allg. Ztg.", indem sie sagt: „Wie bekannt, sichern die Bestimmungen deS Dreibundes dem deutschen Reiche die Hilse der gesammten österreichisch- ungarischen Monarchie, fall» es von zwei Seiten angegriffen wird, und umgekehrt. Wenn es nun dem Fürsten Bismarck gelang, sich der wohlwollenden Neutralität Rußlands zu versichern für den Fall, daß Frankreich allein den Vorstoß gegen Deutschland wagen sollte, und dafür seinerseits Rußland dasselbe Zugeftändniß machte, falls es von irgend einer Macht an gegriffen werden sollte, so hat er damit Vorsorge ge» troffen für politische Situationen und Constellationen, di» den Dreibund als solchen gar nicht« angingen und ihn schlechterdings nicht in Function treten ließen. Er hat vielmehr fein eigenes Werk nur ergänzt, und zwar in einer Weise, die ebenso wie der Dreibund selbst keinem andern Interesse diente, als dem des Friedens. Es ist also schwer verständlich und jedenfalls ungerechtfertigt, wenn einzelne Wiener Blätter, wie z. B. die „N. Fr. Pr.", die allerdings in der Behandlung von Dreibundfragen stets eine außerordentlich unglückliche Feder geführt hat, in die Be- wunderung der Genialität des Fürsten Bismarck Ausdrücke einer im Tiefsten verletzten Empfindlichkeit mischen und sich stellen, als wäre aller Grund vorhanden, die Zukunft des Dreibundes für ernstlich bedroht zu halten. Dazu ist denn doch, wie jeder Unbefangene einsehen muß, absolut kein Grund vorhanden. Es sind noch manche Fragen zu beant- Worten und dunkle Punct» aufzuhrllen, ehe man mit den Mit» thrilungen der „Hamb. Nachr." als festen und klaren politischen Thatsachen rechnen kann (die „Allgem. Ztg." kannte, als sie dies schrieb, die letzte Auslassung der „Hamb. Nachr." noch nicht. Die Red. d. „Leipz. Tgbl."); aber selbst wenn sich Alles bis zum letzten Buchstaben und im greifbarsten Sinne bewahrheiten sollte, so würde damit doch nichts Anderes bewiesen, als daß Fürst Bismarck die Freiheit, die ihm der Dreibund ließ, dazu benutzt hat, mit dem Aufgebote seiner ganzen StaatSkunst noch ein weiteres starkes Bollwerk deS Weltfriedens zu schaffen." Nicht ganz richtig ist in dieser Darlegung die Behauptung, daß ter Ällianzvertrag mit Oesterreich-Ungarn das Letztere nur dann zur Unterstützung Deutschlands verpflichte, wenn dieses von zwei Seiten angegriffen werde. Der Vertrag sichert Deutsch land die Unterstützung Oesterreich-UngarnS auch dann, wenn es von Rußland allein angegriffen wird. Dagegen verpflichtet der Vertrag Oesterreich-Ungarn nicht zur bewaffneten Unter stützung Deutschlands, wenn dieses von Frankreich überfallen wird. Gerade für diesen Fall bildete also die deutsch-russische „Assecuranz" eine willkommene Ergänzung. Dieser Ueber- zeugung werden sich denn auch die jetzt am Ruder befind lichen deutschen Staatsmänner ebensowenig verschließen, wie die österreichisch-ungarischen. Weit davon entfernt, in den Enthüllungen der „Hamb. Nachr." zugleich eine unbegründete Anschwärzung des Grafen Caprivi und eine Herabsetzung und Erschütterung deS Dreibundes zu finden, werben sie aus den Mittheilungen des Schöpfers dieses Bundes entnehmen, wie er eS im Interesse des Weltfrieden« verstanden hat, bis zum Jahre 1890 selbst Rußland dem Bundeszwecke dienstbar zu machen, und daß diesem Zwecke am meisten gedient sein wir»», wenn die vom Fürsten Hohenwhe aufs Neue gepflegten guten Beziehungen zu Rußland aufrecht erhalten werden trotz aller englischen Lockungen, ja um den Preis deS ohnehin niemals werthvoll gewesenen Wohlwollens unserer „Freunde" jenseits deS Canals. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. OctoLer. Die Correspondenzen der Berliner Leitung des Bundes der Landwir the suchen sich recht und schlecht mit derThat- sache abrufiuden, daß bei den gegenwärtigen Getreidepreisen an eine Wiederaufnahme deS Antrages Kanitz nicht zu denken ist. Der Trost, den man sich in jenen Kreisen spendet, geht dahin, daß in nicht zu ferner Zeit der Antrag wiederkehren und dann um so sicherer Annahme finden müsse. Dies werde der Fall sein, wenn die Getreidepreise so hoch gestiegen wären, daß im Interesse der Consumenten eine Herab minderung deS Preises auf den mittleren Durchschnitt ge- wten wäre — ja man behauptet sogar, daß dann die Durch- ührung deS Antrags noch viel leichter sein würde. Wir lnd die Letzten, die das Abrücken der gutmeinenden Freunde der Landwirthschaft von einem Anträge, welchem sie irriger weise eine momentan lindernde Kraft zutrauten, aufbalten wollten. Nur möge die Correspondenz de« Bundes der Land- wirthe auch ihrerseits diese RückzuaSbewegung ruhig ihren Fort gang nehmen lassen. Das direkte Gegentheil geschieht aber durch Behauptungen, wie die hier erwähnte, die den schlichten Landmann, soweit er sich bisher von der Parole Kanitz zut- müthig hat leiten lassen, als jene Sorte von unselbst ständiger Gefolgschaft behandelt, der man auch daS Aller- thörichtste zutrauen darf. DaS fordert denn doch den Wider druck heraus. Gesetzt, der Getreidepreis sei über den vierzig jährigen Durchschnitt hinauf gegangen — würden dann nicht die Landwirthe die heftigsten Gegner einer staatlichen Maßregel sein, welche ihnen nach einer Reihe von Jahren mit gedrücktesten Preisen nun die Ausnützung der günstigen Conjunctur wehren wollte?! Die Durchführung wäre gegen eine solche Opposition kaum denkbar, aber auch aus finanziellem Grunde unmöglich. Die Herabsetzung des höheren Welt marktpreises auf den vierzigjährigen Durchschnitt des Jnland- preiseS würde dann doch vorauösetzen, daß das Reich für den Eiufuhrbedarf die Differenz bezahlte. Woher sollte aber dazu das Geld kommen, wenn der Antrag Kanitz gerade zur Zeit un gewöhnlich hoher Getreidepreise eingeführt wurde? Will man in einer solchen Zeit, die selbstverständlich sehr höbe Brodpreise hätte, auch noch die indirecten Steuern erhöhen und somit die bei Brodtheuerungen bereits vorhandene Er bitterung der breiten Massen, welche die indirecten Steuern ohnehin als eine hauptsächlich auf ihre Schultern drückende Last betrachten, noch steigern?! Wie man in ungarischen Regierungskreisen über den Ausfall der Reichstagswahlen denkt, ergiebt sich aus folgender ungarisch officiösen Correspondenz der „Berl. Pol. Nachr.": Soweit sich die Chancen der am 28. d. M. be ginnenden ungarischen Reichstagswahlen jetzt schon überblicken lassen, ist für die liberaleRegierungspartei ein nam haft er Zuwachs zu erwarten. An diesem Ergebnisse zweifelt heute im LandeNiemand mehr, die Opposition am allerwenigsten, und diese ist daher eifrig bestrebt, die eigene Schlappe von vorn herein als daS Ergebniß von Regierungsdruck hinzustellen, den voraussichtlichen Sieg der Liberalen aber rechtzeitig als einen Pyrrhussieg zu behandeln. Sehr bezeichnend für den gründlichen Umschwung, der sich die letzten Jahre hindurch im politischen Leben Ungarns vollzogen hat, ist der Umstand, daß die auf der Basis deS 1867 er Ausgleichs stehende liberale Regierungspolitik hauptsächlich in den rein ungarischen Wahl bezirken an Terrain gewonnen hat. Es geschah dies auf Kosten derjenigen Parteien, welche die erwähnte staatsrecht liche Basis entweder im Princip bekämpfen oder den Rahmen derselben im Sinne gewisser national sein sollender Aspirationen erweitern möchten. In letzter Hinsicht hat die haarspalterische Nörgelpolitik der National partei so gründlich abgewirthschaftet, daß ihr hervor ragendster Vertreter, Graf Apponyl, nicht nur etwa die Hälfte seines Anhanges verlieren, sondern auch für seine eigene Person kaum im Stande sein dürfte, den seit fünfzehn Jahren innegehabten Stammbezirk JLßberöny zu behaupten, und er soll die Absicht haben, fall« er hier durchfällt, sich um kein Reichstagsmandat mehr zu be werben. In nicht viel geringerem Maße hat auch die linksextreme Unabhängigkeitspartei Aussicht, hart mitgenommen zu werden. Die Vertreter dieser, sowie der Apponyi'schen Nationalpartei recrutirten sich fast aus schließlich aus den urmagyarischen Gegenden des Landes. Sowohl die städtische Intelligenz als auch die vermögende FririHetsn. Die Schuld des Fürsten Nomanskoi. 25j Roman von Conr. Fischer»Sallstein. Nachdruck verboten. Die Gräfin ließ sich von Lidia und Jean die Treppe hinauf führen, erreichte seufzend und stöhnend daS Vorzimmer der fürstlichen Gemächer und hier fand sie auf einmal wieder die Kraft, den Pelz von den Schultern gleiten zu lassen, und ohne jede Unterstützung, selbst ohne zu frieren, trotzdem die Räume kalt waren, die Fenster standen sogar offen, in das nächste Gemach zu schreiten. Die tiefe Ruhe, die hier nach den aufregenden Stunden eingekehrt, der Weihrauchduft, da« Kerzenlicht, daS auS dem Todtenzimmer herauSfluthete, machten sie beklommen. Sie blieb stehen, al« scheue sie sich, weiter zu gehen, und blickte sich nach Lidia um. Als diese, auf den Fußspitzen schreitend, hinter ihr nachkam, raffte sie alle ihren Muth und ihre Ent schlossenheit zusammen und trat furchtsam über die Schwelle deS Verblichenen. Ihre unruhig umherirrenden Blicke scheuten sich offenbar, die Leiche zu sehen und klammerten sich darum ängstlich an der Petuschkiwna fest, die still und stumm vor der Bahre saß. Die Züge ihre- bedeutenden Geficktes waren wieder wie aus Marmor gemeißelt, ein gewaltiger Schmerz hatte sich dort gleichsam versteinert. Etwas Erstorbene- lag in ihren Augen, die auf das blaßgelbe Gesicht deS Fürsten ge richtet waren und sich selbst dann nicht von diesem ab wandten, al« Darja Alexandrowna im Zimmer erschien. Sie selbst hatte ihn gewaschen, ihm seine Uniform an gelegt und dann in Biumen arbeitet. Wie eine Blinde, — die brennenden Wachskerzen mochten sie in der That blenden — kam vie Gräfin auf die verlafsene Braut zu. E« schien, als ob sie dieser die Hand reichen wollt«, doch nein, sie tastete damit nach einer Stuhllehne und hielt sich daran fest. Jetzt bemerkte sie den glänzenden Ver- lobungSring der Sofia Andrejewna, starrte diese fassungslos an und ihr Gesicht verfiel in Zuckungen. „Sie haben entsetzlich viel verloren, meine liebe Sofia Andrejewna", begann sie, und ihre Stimme zitterte wie ein Espenlaub, „wer ihm so nahe stand, wie ich, wer da weiß, welch ein Engel er war —" Ihre Blicke hatten sich jetzt in daS Angesicht deS Ver- lorbenen verirrt, sie bekam einen Schrecken der dem Anblick eines weißen BarteS und seines gelblichen Gesichtes, wich zurück nack der Thür und sagte furchtbebend: „Meine Theure, kommen Sie mit mir inS Vorzimmer heraus. Ich dachte, ich würde gewappneter sein meinem Schmerz gegenüber, sehe aber ein, daß ich ihm wehrlos gegenüberstehe. Und dann die Luft, ich fürchte, mir vergehen die Sinne." Die Petuschkiwna wandte daS Haupt und sah die alte Dame an, als wolle sie sie fragen: „WaS könntest Du mir zu sagen haben? — Warum störst Du mich?" — Nun aber er hob sie sich, und mit einer eisigen Ruhe und Würde folgte sie der Darja Alexandrowna ins andere Gemach. „Unsere Unterhaltung könnte ihn stören, den Unvergeß lichen", stammelte sie und blickte fast bewundernd zu der imponirenden Erscheinung der Sofia Andrejewna auf, argen die sie ein Kind war, „ich werde diesen Tag nicht lange überleben, ich fühle, daß mir sein Tod daS Herz ge brochen hat." „Er war mein Verlobter", bezan Sonja unvermittelt, „ich war die Braut deS Fürsten Romanskoi — und bin nun verurtheilt, meinen Bräutigam begraben zu müssen." Die Gräfin drückte sich die Hand aufs Herz. Dann schien sie eS nicht begreifen zu können, wie sich Stepan Wassilitsck so weit vergessen, wie er so tief sinken konnte. Sie suchte mit den Augen nach dem Ring an den gefalteten Händen der Braut und ,n ihrem Herren stieg eine Art von Versöhnung mit dem jähen Tode des Fürsten auf. Gewiß, e« war besser für ihn, zu sterben, als der Gatte einer solchen Person zu werden. Ja, sie urtheilte sogar milder über den fürchter lichen Nahim, der vielleicht doch nur ein willenlose« Werkzeug der Vorsehung war. „Also doch", flüsterte sic und blickte zurück in da« offen stehende Sterbezimmer und sah, wie Lidia fromm in edlem Schmerz vor der Bahre niederkniete, „ich war immer über zeugt, daß der große Todte so Ihre Verdienste belohnen würde. Ach Gott, und nun müssen Sie den Bräutigam be graben. Und wie gerecht er war, — er wollte eine Sckuld tilgen und Ihrem Sohn den Vater geben." Eine dunkle Röthe bedeckte für einen Moment die bleichen Wangen der Sofia Andrejewna. Sie zuckte förmlich zu sammen und ihre Hippen öffneten sich wie zu einem Schmerzens schrei. „Sie wollen mich schänden, Frau Gräfin, oh, Sie haben e« schon früher gethan!" „Allmächtiger Gott, meine theure Sonja Petuschkiwna, wie konnten Sie mich mißverstehen! — Angesichts unseres großen Tobten beschwöre ich Sie, nur Gutes und Edles von Darja Alexandrowna zu denken. Sie haben in diesem Augenblicke keine bessere Freundin als gerade sie. Stehen wir unS denn nicht so nahe, wir haben ihn ja Beide geliebt! — Ich werde Jlija Andrej zwingen, Sie auf Händen zu tragen. Er soll schon vor Lidia'S Hochzeit Ihr Gehalt ver doppeln! Sie werden mit mir auf Slekok wohnen und Sie sollen wie eine Fürstin geehrt, geliebt und von Allen an gebetet werden. Ja, ich werde sogar darauf dringen, daß Ihnen, die Sie so ganz ohne Vermögen sind, von dem Erben eine größere Summe auSgerahlt wird als Belohnung für Ihre unvergeßlichen Verdienste um unseren Stepan Wassilitsch." „Sie haben mich immer nur für eine Dienstmagd im Hausstand deS Fürsten gehalten, und immer kannte ich Ihre Meinung und Ihr Urtheil über diese Dienstmagd. Aber ich babe e« stets unter meiner Würde gefunden, mich mit den Meinungen der Frau Gräfin Stroganowna zu beschäftigen und werde die« auch fernerhin unter meiner Würde finden. Arm kam ich einst nach Slekok, ärmer gehe ich wieder fort. Sagen Sie dem jungen Erben Jlija Andrej, daß ich weder ein verdoppeltes Gehalt, noch sonst irgend ein Almosen an nehme. Ihre Anwesenheit verscheucht mich von der Bahre meines Verlobten, Rechte will und kann ich keine geltend machen. In meinem Herzen aber habe ich ihm ein Denk mal gesetzt, daö nie zu entheiligen ist." Die Petuschkiwna verbeugte sich bei diesen Worten, die nichts von den Gefühlen Wiedergaben, die in diesem Augen blick ihre Brust durchzogen, vielleicht weil ihr diese Gefühle zu heilig waren, — und zog sich in ihr« Grmächer zurück. „Sie will mich allein mit dem Tobten lassen," schrie Darja Alexandrowna auf, „sie weiß, wie ich mich vor einer Leiche entsetze und läßt mich dennoch mit ihr allein! — Sofia Andrejewna, meine theuere Sonja! — Soll e« denn keine Möglichkeit geben, daß wir un« verständige»? — Wie weit vergessen Sie sich, Stepan Wassilitsch war Ihr und nicht mein Bräutigam!" Aber die Petuschkiwna kehrte nicht zurück, und in ihrer Herzensangst vergaß sie ganz, daß ja noch Lidia zu ihrem Beistand da war und zog die Glocke. Jean und einige Angestellte de« Hotels stürzten ins Gemach. „Man rufe den Grafen MatscherSkoff, ich sehe ihn nicht, wo ist er?" Niemand wußte, wo der junge Herr sich befindet; spurlos war er au« dem Hotel verschwunden. Aber Darja Alexan drowna wollte daS nicht glauben, sie war mißtrauisch gegen Alle, die ihr da« sagten. Sie verlangte, daß man nach ihm suchen soll, denn sie hat so viel mit ihm zu besprechen. Jean war der erste, der davonstürzte, aber im nächsten Augenblick wünschte sie wieder, daß Jean zu ihrem Beistand da bleiben soll. Dabei schwebte ihr immer das weißgelblich« Gesicht des Fürsten mit seiner starren absoluten Ruhe vor Augen und sie schien sich vor Entsetzen verzehren zu wollen. Al« sie fühlte, daß sie schwach und immer schwächer wurde, ließ sie sich forttragen, hinunter in ihren Wagen, und fuhr nach Krestowsky zurück. Nur Lidia blieb bei dem Fürsten und sprach aufrichtige Gebete für sein Seelenheil. Vierzehntes Capitel. Michael JaSmorin erhielt soeben «in Schreiben von Sofia Andrejewna, da« er, auf einem Stuhl dicht am Ofen sitzend, andächtig durchlaS. Sein« gesunden Augen gestatteten ihm, selbst jetzt in der Dämmerung zu lesen. „Ich bin vollständig gefaßt," schrieb Sonja, „das ge- heimnißvolle Wirken der Vorsehung sind die Verfügungen der göttlichen Majestät und man schlägt sich selbst, wenn man sich dagegen erheben möchte. — Ich bin frob, daß Sie nicht hier im Hotel waren und wünsch« auch nicht, daß Sie kommen. Wie ich r« beklage, daß Sie keine» Ueberrock haben, mein lieber Michael. Der Tod de« Fürsten ist für Sie «in ver nichtender Schlag, aber er muß überwunden werden. Der schöne Traum de« Moaatswechsel« von vierhundert Rubel ist mit dem Tode Stepan Wassilitsch's zerronnen. Ich weiß nicht, wir eS mit Ihrem Studium werden soll? Vorläufig studirrn Sie weiter, aber nachher? Ich möchte nickt, daß Sie unter da« Heer der Schreiber gehe». Haben Sie »och immer kein« Nachricht vo» Ihre» gute« Mütterchen Maria Fevdorowna? Ich weiß nicht, wann wir un« Wiedersehen, e« häagt da« von den Verhältnissen ab. Da Graf MatscherSkoff sich nirgends blicken läßt, so ist e« mein« Aufgabe geworden, die sterblichen Ueberrrfte de« Fürsten »ach Slekok zurück zu bringen. Ach, wa« wird da« für eine traurige Reise sein! Vielleicht werde ich meinen lieben Michael bitten, mich zu begleiten.
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