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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961029025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-29
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DK Morgen<4la»gab« erscheint am '/,? Uhr. dk Abend-NoSgabe Wochentag« um b Uhr. Redaktion und LrveLitto«: Aatzan«e»,afie S. DKIkpeottiou ist Wochentag« »«unterbrech«» lM^ltuel von früh S bi« Abend« ? Ltzr. Filialen: Dit» Klemm'« Lsrttm. (Alfretz Hahn). UitversitSt-skraß« 3 (Paullnum), Loui« Lösche. NatbarmenNr. 14. part und König-Platz L BezugS-PreiS ß» d« Haaptrrpebitllm oder den tia Gtndb» beetrk und den Vororten errichteten Aut- Ladestellen abgrbolt: vierteljährlich bei -»«maliger täglicher Zustellung in« vant ^l SchO. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierrestährlich ^l 6.—. Direct» täglich« NreuzbandjeadunG sttit Au-laad: Wv-»«sssch 7 äiX Abend-Ausgabe. KtMM TaMatt Anzeiger. Amtsvratt des Aönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigerr-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 PfA Nerlame« unter dem Redactiontstrich (4g«» spalten) bv^z. vor den Familtennachrichte» (6 gespalten) 40/ch. Größere Schriften laut unserem Preit- ner-etchnist. Tabellarischer und Ziffernsatz aacy HSHerem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Ptorgea.Autgab», ohne Postbeförderung SO.—, m«t Postbeförderung ?0.—. Ännalsmeschluß für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge a-Au-gabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je ein» halbe Stunde früher. An-eigen sind stets an die Expedition -0 richte«. f —. . Druck «Üb Verlag von C. Pol- in Leipzig Donnerstag den 29. October 1896. SO. Jahrgang. Gismarck's neuester „Streich". * Die Mehrheit de- deutschen Reichstag-, die dem Fürsten Bismarck Gruß und Glückwunsch an seinem 80. Geburtstage versagte, hat Ursache, zu triumphiren. Wenn man die Auslassungen der deutschen Presse Uber die vielbesprochenen neuesten „Enthüllungen" der „Hamb. Nach richten" überblickt und von den Zeitungen auf die ihnen nahe stehenden Abgeordneten schließt, so muß man zu dem Schluffe kommen, daß dem Fürsten heute der Reichstag mit noch größerer Mehrheit Gruß und Glückwunsch bei ähnlicher Gelegenheit versagen würde. Selbst Blätter, die jene Ver weigerung als eine Schmach für die deutsche Nation be zeichneten, unterscheiven sich jetzt nur in der Tonart von der ultramontanen „Köln. VolkSztg." die ibrem alten BiSmarck- haffe folgenden Ausdruck giebt: „Was hat Fürst BiSmarck mit der von (hm veranlaßten „Ent hüllung" der „Hamburger Nachrichten" gewollt? Anscheinend wollte er lediglich dem Hasse gegen seinen Nachfolger in der Reichskanzlerschaft wieder einmal Luft machen. Was hat er damit erreicht? Daß immer weitere Kreise zu der lieber- zeugung gelangen, rS sei selbst im Interesse unserer auswärtigen Politik geboten und höchste Zeit gewesen, ihn zu be seitigen. Wenn der erste Kanzler deS deutschen Reiches in seiner Preßthätigkeit so sortfährt, wird es ihm allem Anscheine nach ge lingen, den Nimbus, welcher seinen Namen in den Augen Vieler noch umgiebt, vollständig zu zerstören." Selbst die freiconservative „Post", die anerkennt, daß, wenn Fürst BiSmarck die Enthüllung der „Hamb. Nachr." veranlaßt hat, das Motiv sicherlich die „Sorge um die Be wahrung Deutschland- vor Kriegsgefahr" und die Absicht war, „selbst auf die Gefahr von Mißdeutungen bin ein für Jedermann weit sichtbares, warnendes Fanal anzustecken" — selbst die „Post" glaubt diese Enthüllung „lebhaft be dauern" zu müssen, weil sie „nach innen und nach außen nur geschadet" habe. Also auch für dieses Blatt ist Fürst BiSmarck ein urtheilSloser Greis geworden, der trotz aller löblichen Absichten nach innen und nach außen Schaden stiftet und Gefahren über daS Vaterland heraufbeschwört. ES feblt nicht- weiter, als daß auch in der „nationalgesinnten" Presse die Versetzung deS Schmiede- der deutschen Kaiserkrone in Anklagezustand wegen LandeSverrathS oder mindesten- der Wiederabdruck der sog. Steckbrief-Depeschen des Grafen Caprivi im „Reichsanzeiger" gefordert wird. Vielleicht erleben wir eS noch in der bevorstehenden Reichs tagssession, daß zur größeren Ehre des deutschen Volkes ein solcher Antrag eingebracht und angenommen wird! Und wie siebt eS in Wahrheit um den „Schaden" au-, den Fürst BiSmarck nach innen und nach außen angrrichtrt haben soll? Beginnen wir mit dem angeblichen „äußeren" Schaden. Am meisten bat man in Oesterreich-Ungarn geschrien, al- ob man dort keine größere Sehnsucht gehabt hätte, als die, Rußland zu bekriegen, und al- ob man jetzt mit Schrecken einsähe, daß Fürst BiSmarck einem solchen Beginnen bis zum Jahre 1890 einen Riegel vorgeschoben hatte. Aber schon beginnt man in Wien und in Pest einzuseben, daß dieses alberne Geschrei zu nickt- dienen kann, als Oesterreich-Ungarn in übles Licht bei Rußland zu stellen. Das Geschrei ver stummt daher und macht vernünftigeren Auslassungen Platz. So schreibt man der Münchener „Allgem. Ztg." auS Wien: „Im ersten Augenblick fühlte man sich in den Wiener Re- gicrungskreisen peinlich dadurch berührt, daß die Thalsachen von dem Altreichskanzler so nackt und ungeschminkt hingestellt wurden. Und thatsächlich ist dieser Eindruck noch nicht vrr- wunden. Aber man mußte sich erinnern, daß Fürst Bismarck in den Jahren 1886 bis 1890 amtlich und durch die Presse nach allen Seiten hatte verkündigen lassen, daß Bulgarien in dir Interessensphäre Rußlands falle und daß Oesterreich-Ungarn nicht aus die Unterstützung Deutschland- zu rechnen habe, wenn eS dem Zaren bei dem Griffe nach Bulgarien in den Arm fallen sollte. DaS war in der Sache ganz dasselbe, als wenn er dem Wiener Hofe von dem jetzt enthüllten Geheimvertrag Mitthei- lung gemacht hätte. Von einer Untreue des Kanzlers gegen seine eigene Politik, wie sich der „Figaro" auszudrücken beliebt, ist also keine Rede. Ihr einheitlicher, freilich auch unerbittlicher Charakter tritt dadurch vielmehr in Helles Licht: eS mag den Leuten etwa- grell Vorkommen, aber Fürst Bismarck hüllte sich eben nie in das Dämmerlicht schwächlicher Entwürfe. Aber noch ein Zweites sollte in Oesterreich bedacht werden. Nach den geheimen Abmachungen sicherten sich Deutschland und Rußland dagegen, daß eine dieser Mächte „unprovocirt" angegriffen würde: sie versprachen sich für diesen Fall wohlwollende Neutralität. Nun weiß man, daß Oesterreich- Ungarn eine friedliebende conservativeMacht ist und daß eS ihm nie in den Sinn gekommen wäre, aus Eroberung-- oder anderen Gelüsten über Rußland hrrzufaklrn. Fürst BiSmarck leistete also rin Versprechen, dessen Voraussetzungen offenbar niemals eintretea konnten. Dagegen heimste der Kanzler eine Gegenleistung von Seiten Rußlands ein, die für da« deutsche Reich von höchstem Werth war. Er trat erfolgreich zwischen Rußland und Frankreich und schuf genau die Sachlage, die eS den deutschen Heeren 1870 möglich gemacht hatte, vor den Thoren von Pari- zu erscheinen." Und jetzt weiß man ja in Oesterreich-Ungarn auch, daß Graf Caprivi da- Assecuranz-Abkommen fallen gelassen hat und daß man also eventuell mit Rußland einen Krieg anbändrln kann, ohne die für Rußland wohlwollende Neu tralität Deutschlands fürchten zu müssen. Was will man denn in Wien und Pest mehr und welche Ursache hat man dort, nach den Enthüllungen Deutschland und seinem am Ruder befindlichen Reichskanzler weniger freundlich und ver trauensvoll entgegenzukommen? Und Rußland? Hat da- etwa Ursache, dem Fürsten Hohenlohe wegen der Enthüllung zu zürnen? Der jetzige Reichskanzler ist ja nicht Graf Caprivi und hat sein Mög liche- gethan, das von diesem gestörte deutsch-russische Ein vernehmen wieder zu einem besseren zu gestalten. Wenn nun Fürst Hohenlohe durch die Enthüllung deS Alt reichskanzlers angelrieben würde, seine Bemühungen um Befestigung dieses Einvernehmens noch zu vermehren, so könnte Rußland aus diesem Antreiben dock nur dann einen Grund zum Mißtrauen gegen die jetzigen Leiter der deutschen Politik schöpfen, wenn diese Leiter taub gegen die FriedrichSruher Mahnungen blieben. Und da- hat man doch jedenfalls nicht zu besorgen. Italien bat bereit- kundgegeben, daß eS den Lärm nicht begreife, der wegen der Enthüllungen geschlagen worden ist. DaS genügt. In Frankreich beschuldigt man den Fürsten Bismarck, er habe durch seine Enthüllung Mißtrauen zwischen Frankreich und Rußland säen wollen; man begreift an der Seine überdies, daß für Rußland die Verbindung mit Frankreich nur ein letztes Mittel war, nach dem eS griff, als das von den„Hamb. Nachr." enthüllte Abkommen mit Deutschland trotz der russischen Initiative von Deutschland nicht mehr erneuert wurde. Freilich weiß man jetzt auch, was man bisher nicht wußte: daß nämlich Deutschland, sofern eS von Frankreich allein an gegriffen wird, nicht nur die Hilfe Oesterreich- Ungarns nichtfordern darf, sondern auch die wohl wollende Neutralität Rußlands nicht mehr ver langen kann, weil Graf Caprivi eine solche Garantie entbehren zu können glaubte. Aber offenbar freut man sich an der Seine dieser neuen Kenntniß deshalb nicht, weil sie von BiSmarck in eiuer Weise an die Glocke geschlagen worden ist, die wie ein Weckruf durch Deutschland schallt, wie ein Weckruf zur Einsicht in die seit 1890 bedrohlicher gewordene Lage und wie ein Weckruf zur Reparirung de- damals gemachten Fehlers. DaS begreift man eben jenseits der Seine nicht, daß halb Deutschland diesen Ruf nicht versteht, obgleich er von seinem getreuen Eckart auögeht; für so blöd hält man in Frankreich die Deutschen nicht, daß sie ihrem Befreier au- dem Elend der Zerrissenheit und Abhängigkeit diesen Ruf mit Undank vergelten! Und England? Diese- versteht recht gut, daß da- von Bismarck eindringlich angerathene Wiedernährrrücken an Ruß land zugleich ein Weiterrabrücken von dem edlen Albion be deuten würde. Deshalb das Geschrei der englischen Presse. Aber liegt eS denn etwa im Plane der jetzigen Lenker der deutschen auswärtigen Politik, durch Näherrücken an Eng land Rußland noch weiter abzustoßen, als eS 1890 durch die Eaprivi'sche Ablehnung einer Verlängerung de- Assecuranz- Abkommen- von 1884 gestoßen wurde? Gewiß nicht. Also !ann die Enthüllung der „Hamb. Nachr." auch eine Ver- chlechterung de- Verhältnisses Deutschland- zu England nicht zur Folge haben. Wo ist denn nun also der nach außen angerichtete Schaden der Enthüllungen? Wir suchen ihn ebenso vergebens, wie den angeblich im Innern angerichteten. Die Notb- wendigkeit und Verdienstlichkeit der russenfreunvlicheren Politik deS jetzigen Reichskanzler- und der persönlichen Bemühungen unseres Kaisers konnte nicht in besseres Licht gestellt werden, als durch die „Enthüllung"; die Mahnung, die Waffen blank zu halten und auch für den denkbaren Fall eine- Angriffs Frankreich- auf Deutschland, der weder Oesterreick-Ungarn zu einer bewaffneten Unterstützung deS Letzteren, noch Rußland mehr zu einer wohlwollenden Neutralität gegen Deutschland zwingt, sich vorzubereiten, konnte nicht eindringlicher an die deutsche Nation gerichtet werden. Ein Schaden im Innern könnte also durch die Enthüllung nur angrrichtrt werden, wenn daß deutsche Volk und seine Vertretung hartnäckig dem Verständ nisse der Bedeutung der Enthüllung sich verschlössen. Dieses Verständniß zu erwecken, ander-, als es im „Reichs anzeiger" geschehen ist, ist freilich eine etwas unbequeme Auf gabe für unsere leitenden Staatsmänner, weil mit dieser Auf gabe die Pflicht zusammenhängt, eine schärfere und energischere Polenpolitik al- die unerläßliche Voraussetzung «ine- noch besseren Verhältnisses zu Rußland hinzustellen. Und da- könnte das Cent rum kränken. Wahrscheinlich haben die Hintertreppenpolitiker de- Cen- trums größeren Antheil an der Nichterneuerung deS deutsch russischen Affecuranz-BertrageS, als sie eingestehen mögen. Ein schon kürzlich von uns erwähnter Artikel der „Köln. Ztg.", der dem Centrum allerlei schöne Dinge sagte, begann mit den Worten: „Ein hervorragender Russe führte dieser Tage dem „Rhein. Courier" zufolge gesprächsweise die THatsache, daß die freund lichen Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland nicht einen herzlicheren Charakter annehmen, auf den Umstand zurück, daß da- Centrum in Deutschland sich «ine bedeu tend« Machtstellung erworben hab,." Die Schutzherrschaft, die daS Centrum den deutschfeind lichen Bestrebungen der Polen zu Theil werden läßt, entspringt nicht nur den „deutschnationalen" Gefühlen der Jünger Windthorst's, sondern auch den Empfindungen dieser Politiker gegen Rußland. Und wenn Graf Caprivi eine Erneuerung de- Assecuranz-Vertrages ablehnle, so entsprach er damit ebenso den Wünschen de- CentrumS, wie mit seiner „Versöhnungspolitik" gegen die Polen Beide Maßnahmen entstammten denselben Motiven: dem Wunsche, da- Centrum vor seinen Wagen zu spannen. Dieses hat denn auch Die Schuld -es Fürsten Nomanskoi. 27j Roman von Cour. Fijcher-Sallstein. Nack druck »erboten. Die Befürchtungen Lidia's theilt Sofia Andrejewna nicht. Nein, Graf Matscher-koff wird sich niemals eine Kugel durch den Kopf jagen! So nahe, wie die Gesellschaft glaubt, gebt ihm der Tod seines Onkel» nicht. Niemand weiß da« besser, al- gerade sie. Gewiß absorbirt daS weibliche Wesen, da- sich Jlija Andrej aus Indien mitgebraLt, seine ganze freie Zeit. Sie wäre also in der Lage gewesen, der Gräfin anzudeuten, wo Jlija Andrej gefunden werden konnte, that eS aber nicht, weil sie der Braut, weil sie der sanften Lidia nicht wehe thun wollte. Und wie sie gealtert war in der kurzen Spanne Zeit! Wie hart ist eS doch, eine Braut zu sein, die ihr Glück zu Grabe trägt! WaS bot ihr denn das Leben, unv was kann es ihr jetzt noch bieten? — Gott sei Dank, daß sie sich von Slekok sortgrflüchtet; di« Gräfin Stroganowna mag so lange mit Lidia dort weilen, bi- eS dem Jlija Andrej gefällig ist, sich dort z« zeigen. Etwa- gebückt wandelt Sofia Andrejewna im Zimmer auf und ab, als suche sie nach irgend etwas, da« sie nicht finden kann. Oft bleibt sie mitten im Zimmer stehen, als besinne sie sich auf dir- und da-, und dann fäbrt sie wieder unruhig auf, weil eS ihr ist, als rausche au- weiter, weiter Ferne die ergreifende Tranermusik zu ihr herüber. Und doch ist Alles vorbei und liea» hinter ihr, wie ein schwerer Traum. Der feierlicke Leichenzug mit seinen Hunderten von Carrossen, seiner EbreneScorte, seiner Trauer musik, die dem Verblichenen da« Geleite bi- nach der Gruft auf Slekok gaben, bat sich aufgelöst, um sich vielleicht nie wieder mit einem solche« Glanz auf den einsamen Land straßen ru zeigen. Di« Blumen sind verwelkt, dir Ehrensalven sind verflogen, und Majestät der Zar hat die Orden zurückerhalten. Strpan Wassilitsch Roman«koi gehört nur noch mit all seinen Tugenden, Würde» und Fehlern der Erinnerung an. Nur «in Herz schlägt ihm nach, bi- über da- Grab hinau«, nur Eine weint ungesehen, bi- auch ihr da- Auge bricht, «- ist Sofia Andrejewna. Aermer, al« sie war, damal-, wo sie mit dem Schwerverwundeten ihren Einzug hielt auf Slekok, ging sie wieder weg, nickt« ließ ibr Stepan Wassilitsch von all sein«« uaaützen Neichthum zurück, al- eiuea Ring. Und mit diesen Errungenschaften steht sie vor der Pforte jener Altersgrenze, in der die Haare bleichen, näbert sie sich dem Herbst deS Leben«, obne Ernte kalten zu können. Und wie reich sie war an hinreißender Sckönbeit, Tugend und Herzensgüte, mit der göttlichen Barmherzigkeit ging sie Hand in Hand, um selbstlos die Wunden zu heilen, welche die Menschen sich geschlagen im wüsten Streit; welche Saaten hat sie gesäet und nicht- geerntet! Sofia Andrejewna empfindet schmerzliche- Stechen an den Sckläfen. Jede« Haar auf dem Kopfe thut ibr web. Sie rollt sich da- goldige Haar auf und setzt sich auf einen Stuhl und möchte am liebsten nicht- mehr denken. Wie batte sie sich bei den BeisetzungSfeierlickkeiten nach einem ruhigen Winkel gesehnt, in dem sie mit ihrem Leid allein, ganz allein sein könnte, und nun, nachdem sie da- Ziel erreicht, drückt diese Einsamkeit sie nieder. Es ist ihr, al« habe sie ein fürchterlicher Sturm auf eine öd« Insel verschlagen, sie liegt wie hilflos am Ufer und blickt über da- große Wasser herüber nach dem Festlande. Und alle Die, die der verlassenen Braut die Hand gedrückt, di« ihr Geschick beklagt und sie mit schönen und frommen Worten, die ja unter Umständen so billig sind, zu trösten versucht, promeniren am Ufer deS Festlandes umher, und Niemand denkt daran, sie herüberzubolen. Du lieber Gott, für die Gesellschaft ist Stepan Wassilitsch todt und mit ihm auch seine Braut, Sofia Andrejewna. Da- ist der Lauf der modernen Welt; sie ist nicht undankbar, aber st« vergißt, — Gedächtnißschwache ist die Signatur der Zeit. Ein Hotelkellner, derselbe Deutsche, welcher sich schon um Stepan Wassilitsch Roman-koi verdient gemacht, tritt in« Zimmer. „Ich habe nicht geklingelt", redet ibn di« Petuschkiwna an und ist über da- Erscheinen de« Manne- erstaunt. „Verzeihung, gnädige« Fräulein, ich wollte Ihnen nur eia Anliegen »ortraaen. Ä ist eine Bäuerin im Hotel, viellrichi ist eS auch «ine Kaufmann-frau, denn sie spricht sehr gebildet, man kann sich in solchen Fällen sehr leicht täuschen." Unwillkürlich dacht« Sofia Andrejewna an da- Mütterchen Ja-morin'S und richtete sich vom Stuhl« auf. „Fahren Sie fort", sagte sie zu dem Kellner, al- dies,, inne hielt. „Die Fremde, st« kommt offenbar au« den Provinzen, wünscht Nähere» über da» Ableben de- Fürsten »u hören. Uo- ist r» aber verboten, üb«, da- Ereigniß überhaupt zu sprechen. Ter Cb«f wünscht, daß die Sach« so bald wir möglich vergessen wird. Nun läßt sich aber di« Frau nicht abwrisen. Sie verlangt Ausschluß über dir Zeitungsnach richten, die bi» über die Grenzen Rußland- hinaus gedrungen sind. Ableugara können wir doch nicht, wa- vorgefallen ist, sprechen dürfen wir nicht, — — Sie begreifen, meine Gnädige, daß wir da nicht recht wissen, wa- wir thun sollen? Ich babe mir nun erlaubt, zu Jbnen zu kommen." „Fübren Sie die Dame sofort zu mir! Gewiß, sie soll Alles erfahren, was sie zu wissen wünscht." „Ich danke Ihnen, gnädiges Fäuleinl Vielleicht ist die Dame auch nicht einmal «ine Kaufmann-frau, sondern au« nirdrigem Adel. Und man kann immer nicht wissen, in welchen Beziehungen sie zu dem Heimgegangenen stand." „Geben Sie, geben Sie!" Der Kellner zog sich zurück. Sofia Andrejewna ordnet« rasch ihr Haar, dann eilte sie auf den Eorridor, um der Fremden entgegenzugeben. Gewohnt, ;ene sanfte versöhnende Rübe nach außen zu zeigen, die es dann noch verstebt, dem Leidenden Trost unv Mutb zuzubauchen, selbst wenn ihr da« eigene Herz ver zweifeln will, so steht sie auch jetzt da und blickt den Corridor entlang. Nur haben sich die feinen Linien in ihrem Angesicht vertieft, in der Rub« ihre» Wesen- liegt etwa- Erstorbenes. An ihrer Haltung siebt man e», daß da- nicht mehr die Petuschkiwna von Slekok, sondern die verlassene Braut vom Hotel Bristol ist. Und dort unten, dicht am Treppenbau- taucht nun eine Frauengestalt auf, deren äußere Umrisse schon so lebhaft an Stepan Wassilitsch erinnern, daß Sofia Andrejewna um einen Ton blässer wird und die Hand auf- Herz preßt. E- ist begreiflich, daß die Angestellten de- Hotel» nicht recht wissen, ob diese Frau eine Bäuerin oder eine Kaufmann-- frau ist. Auf ihrem schneeweißen Haar trägt sie einen rauhen Filzhut, der mit einer dunklen Bandschleife geschmückt ist. Das Gesicht ist bis zur Hälfte mit einem schwarzen Schleier beveckt, der zugleich dir Aufgabe hat, den Hut auf dem Kopf« festzuhalten. Sie trägt «in einfache« Kleid au» dunklem Wollenstoff. Ein selbstgehäkelte- Dpitzentuch, da- gegen Wind und Wetter schirmen soll, ist um Brust und Schultern geschlungen. In der Hand trägt sie einen Stock, wie ihn die Verschickte» bei dem Antritt ihrer schrecklichen Reise über die Schneefelber Sibirien» haben. Diese Frau entdeckt jetzt Sofia Andrejewna, bleibt über rascht «inen Augenblick stehen und kommt dann rasch näher. E» liegt etwa» Rauhe« und Harte» in ibren Bewegungen. DaS bleiche welke Gesicht ist mit roth unterlaufenen Flecken bedeckt. Wie viel Harte«, Herbe- und Verstörte- liegt nicht in diesem Fravenangestckt. Und doch ist diese Gestalt nicht -«beugt; wie eine ruhelose Streiterin mit einem grausamen Geschick, die unbesiegbar erscheint, kommt sie heran. Ein weiblicher Soldat gegen Elend und Noth» gegen Sturm und Wetter, »in Soldat, der de« Morgen« sich erhebt, um den Kampf zu beginnen, einen Kampf, der nickt ruht und rastet, bi« da- Haupt zum Schlummer niedersinkt. Sie steht jetzt vor der Petuschkiwna als eine Vertreterin jener großen und tapferen Armee, bei der eS keine Invaliden giebt, die, jeden Tag besiegt, immer wieder den Kampf von Neuem aufnimmt und streitet bis zum letzten Atbemzua. In der Jugend und im Alter sind sich die Geschwister am ähnlichsten, und für Sofia Andrejewna giebt eS keinen Zweifel mehr, daß diese Frau die Schwester des Fürsten Maria Feodorowna MatscherSkoff ist. „Ich bin vie Petuschkiwna", begann diese und reichte der Frau die Hand, „ich täusche mich nicht, Sie sind die Gräfin MatscherSkoff, Maria Feodorowna?" Die Züge der Angeredeten belebten sich nicht, vielleicht weil sie eS nicht mehr konnten, zu viel Erstorbenes und Er starrte- lag darin, aber in ibren kleinen schwarzen Augen zeigte sich ein dunkler Glanz. Wie eine weiße Taube nahm sie die dargereickte Hand der Sofia Andrejewna in die ihrige und blickte ihr unverwandt in- Angesicht, in die Au^en. „ES giebt nur zwei Menschen in dieser Welt, für die ick bete, da- sind Sie und Mickael, mein Sonn. Aber haben Sie eS vergessen, meine liebe Sonja Petuschkiwna, daß mein Mann mir und meinem Sohn einen anderen Nanien gab? — Dieser Name ist mir heilig. Ich bin die Wittwe JaSmorin. Und darf ich Sie bitten, mir diesen Namen zu lassen? Auck in Petersburg bleibe ich da-, wa- ich in Tobolsk war." „Kommen Sie in mein Stübchen, Mütterchen Jas morin" bat die Petuschkiwna, und da- war Alles, ma ste zu sagen wußte in diesem Augenblick. Sie schien über wältigt zu sein von dem Anblick einer Frau, die einstmals Fürstin geboren wurde, um al- di« Wittwe eine- Sträfling- zu enden. Sie trat der Petuschkiwna voran in da- bescheidene Zimmer und setzte sich dort sofort auf einen Stuhl. Ihre kleinen dunklen Augen, die denen des Stepan Wassilitsch so außerordentlich ähnlich waren, schweiften durch da- Zimmer, al» suchten sie nach Jemandem. Sofia Andrejewna zog die Klingel, um Tbee und Gebäck kommen zu lassen, dann setzte sie sich an dir Seite der Zurück gekommenen. „Ick habe eine sehr glückliche Reise gehabt, meine liebe Sofia Andrejewna; der Weg nach Sibirien ist ein fürchter licher, der Weg zurück ist sehr leicht. Ich bringe nock Geld mit, nicht di« Hälft« von d«m, wa» Sie mir geschickt, habe ich aufgebraucht. Aber wi« kam da», daß Michael mir Geld schickte, und auch Sie, mein« einzige Sonja Petuschkiwna? Kam nicht da» ganze Geld von Ihnen?" Nicht» war für die von Noth und tausend Sorgen ge- drückt« Frau bezeichnender, al« daß sie di« Geldfrage zuerst erörtert seben wollte. AuS diesem Verlangen klang für die Petuschkiwna das Lied einer trostlosen Vergangenheit heran», da« sie auf da» Tiefst« ergriff. Und doch dachte di« ar«,
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