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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961029025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-29
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7S42 bereit« unlängst tu scharfer Witterung des Kommenden der Regierung angekündigt, daß rS für eine Unterstützung der Regierungspolitik nur dann zu haben sein würde, wenn diese Politik nicht eine aggressive gegen die Polen wäre. Läßt das Centrum diese Parole nicht fallen, dann allerdings drohen den jetzigen Leitern unserer inneren Politik Schwierigkeiten, die ihnen durch die Bismarck-Enthüllung scharf vor das Hug« gerückt werden. Aber haben deöbalb deutschnationale Blätter Ursache, über die BiSmarck-Enthüllungen wie Klageweiber zu jammern? Erwächst ihnen nicht gerade aus diesen Enthüllungen eines der gewichtigsten Argumente für ihre Forderung nach einer kräftigeren, den berechtigten Forderungen Rußlands wie unseren eignen, im Falle eines französischen Angriffskrieges nicht mehr durch einen deutsch-russischen Assecuranz-Verlrag geschützten Interessen entsprechenden Polenpolitik? Drückt ihnen der eiserne Kanzler durch seinen Hinweis auf unsere Jsolirung im Falle eines solchen Angriffskrieges die denkbar schärfste Waffe gegen eine Politik in die Hand, die durch Polen-und CentrumSfreundlichkeit Ruß land immer näher an Frankreich herandrängt? Auf den Knien sollten gerade die deutsch-nationalen Blätter unserem BiSmarck dafür danken, daß er ihnen, ohne unsere auswärtigen Beziehungen im Mindesten zu ver schlechtern, wie durch einen Blitzstrahl aus heiterem Himmel die Lage erhellt und ihnen in den wichtigsten auswärtigen und inneren Fragen den Weg gezeigt bat, den sie gehen müssen, wenn das Vaterland nicht in schwere Gefahr gerathen soll. Und glauben sie in ihre Dankbarkeit deshalb einen Vorwurf mischen zu zollen, weil der Fürst Bismarck nicht daS Recht gehabt habe, „aus der Schule zu plaudern", so mögen sie bedenken, daß der Fürst nicht von einem bestehenden, sondern von einem bereits seit einer Reihe von Zähren zerrissenen Vertrage geredet hat. Wie weit er darin gehen durfte, das zu beurtheilen, ist dock sicherlich er am besten in der Lage. Und hätte er wirklich einen Fehler begangen, der dem früheren Beamten ins Schuld buch geschrieben werden müßte, so sollte doch wahrlich das deutsche Volk dem großen Wächter des Vaterlandes, der trotz seiner Enthebung aus seinen Aemtern von diesem Posten nicht weicht, auf den seine unvergleichlichen Thaten und Erfahrungen ihn stellen, Indemnität ertbeilen. Lohnte eS auf die Dauer den Wächter- und Warnerdienst, den er ibm jetzt erwiesen, mit Undank wegen eines Formfehlers, so wäre die Zeit da, m der man sich wieder schämen müßte, ein Deutscher zu sein. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. October. Eine recht erfreuliche Nachricht kommt vom Schauplatz der Vertheidigung des Deutschthums gegenüber dem an dringenden PoloniSmuS. Im Gegensatz zu 1889 werden sich diesmal die Stabtverorvnetenwahlen in Posen wieder unter dem Zeichen der bedingungslos tzeutscken Ge sinnung vollziehen. So war es rühmenswertber Brauch bis Mitte der achtziger Jabre und so wird eS hoffentlich nun weiter mit der nationalen Pflichterfüllung gehalten werden. Die unerfreulichen Jahre der Zwischenzeit mögen dann als Lehrjahre, die der politisch fortgeschrittene Liberalismus nun einmal durchmachen mußte, milder beurtheilt werden. Sckön war eS ja nicht, daß mit radikalem Beistand in Rosenberg- Graudenz und Bromberg der Pole zum Neichstagsmandat, in Posen so und so viele Polen in die Stadtverordneten versammlung gelangten, während in Könitz und Posen-Stadt von Polentbums Gnaden der Fortschritt zu Landtagsmandaten gekommen war. Die Zwischenzeit mußte Jedem die Augen darüber öffnen, daß bei allen solchen wablpolitischen Ge schäften daS Polentbum nebenbei noch ein sehr erkleckliches polnisch-nationales Geschäft mit abschloß, bei welchem der Deutsche lediglich gebender, das Polenthum allein nehmender Theil war. Die Zwischenzeit mußte auck erkennen lassen, daß für ein erträgliches bürgerliches Zusammenleben im Lager der Deutschen dabei die Voraussetzungen hinschwanden. Die ihres Deutschlhum« stolz bewußten bürgerlichen Kreise, die auch wahlpolitisch jede Berührung mit dem Polonismus ablehnten, wurden durch die Wahrnehmung einer Begünstigung deS Polentbums durch deutsche Wählerschaften — einer Begünstigung, deren sich Herr v. Reibnitz offen zu rühmen für gut fand — über alle Maßen erbittert. Es war drauf und dran, daß in Forlwirkung dieser gerechten und begreiflich hohen Verbitterung sogar in die bürgerliche Gemeinschaft der Deutschen in der Ostmark ein unheilbarer Riß kam. Um so mehr sind wir erfreut, zu vernehmen, daß in Posen für die nun bevor stehenden Stadtverordnetenwablen die dortigen beiden deutschen Wahlvereine, der conservative und der fortschrittliche, ein gemeinsames Vorgehen "'reinbart haben. Wir können nur aufrichtig wünschen, vag diese Vereinbarung das Signal dafür giebt, wie alle Wahlen im deutsch-polnischen Kainpfbereich vorbereitet werden sollen. Die Rede des österreichischen Ministerpräsidenten Badeni im Ausschuss« des Abgeordnetenhauses über das Verbältniß zwischen den Nationalitäten in Böhmen kann in den deutsch gesinnten Kreisen Oesterreichs, namentlich Böhmens und in Deutschland wenig Freude erwecken. Der Ministerpräsident bat sich um die ganz klaren Fragen, die von den deutschen Abgeordneten an ihn gestellt wurden, vollständig berumgewuncen. Er hat zuge geben, daß die Negierung die Absicht habe, dem wirklich unhaltbaren Zustande in Böhmen ein Ende zu be reiten, aber seine Rede kann nicht die mindeste Hoffnung erwecken, daß eie Regierung etwas thun werde, denn er bat von den Nationalitäten verlangt, daß sie durch gegen seitige Duldung die Verhältnisse bessern sollten. Diese Mahnung hätte er an die Tschechen richten sollen, denn den Deutschen hat eS an Duldung wahrlich nicht gefehlt. Wenn der Ministerpräsident sich schließlich stellt, als ob es sich um einen naturgemaßigcn wirt bsckafllichen Wett streit der Nationalitäten bandele, so zeigt er damit, daß er die politische Feindschaft zwischen den beiden Stämmen, die doch wabrlich offenkundig genug ist, nicht sehen will. Darum wird durch die Rede voraussichtlich nur der Uebermuth des Jungtschechentbums gesteigert werden. Eine weitere Folge aber wird die sein, daß die deutschböhmischen Abgeordneten nicht länger im Verbände der Linken bleiben können, wo- sern sich diese nicht endlich zum Widerstand gegen ein Mini sterium aufrafft, das auf der ganzen Linie der inneren ReickS- politlkdieFcindedeSDeutschlhumsuttd deSLiberalismus begönnert und die deutschliberale Partei, deren Stimmen es gelegentlich benöthigt, durch seine Thaten förmlich verbölint, während es sie mit liebenswürdigen, aber unverbindlichen Redensarten zu kirren suckt. Die Deutsckböbmen verlangen, die Partei solle dem Cabinet Badeni nickt allein den Dispositionsfonds, sondern das ganze Budget verweigern und machen von der Annahme dieser Forderung ihr ferneres Verbleiben in der Partei abhängig. Der Zusammentritt der französischen Kammern trug einen durchaus geschäftsmäßigen Charakter. Sowohl im Senat als in der Depulirlentammer gaben die Vor sitzenden den russenfreundlichen Sympathien, welche gegen wärtig in Frankreich zum guten Ton gehören, unter dem lebhaften Beifall ihrer Zuhörer überschwänglichen AnSdruck ohne daß die Welt etwas Authentisches über die Natur der franco-russischen Beziehungen erfahren hätte, die vorsichtig als „Bande", „gefestigtes Einvernehmen" und „Freundschaft" be zeichnet wurden. Die radikale und socialdemokralische Opposition, welche für den Beginn der Herbsttagung einen Hauptsturm gegen das Cabinet angekündigt und dessen un vermeidliche Niederlage prophezeibet halte, kam trotz aller Anstrengungen gar nicht zn Worte. Sie wird, wenn sie nicht von Leidenschaft verblendet ist, sich überhaupt einst weilen möglichst wenig rühren, denn sowohl das Land als die Kammermebrheit findet den Augenblick für die Provo- cirung einer Ministerkrise ungeeignet, eben aus Rücksicht auf das Verhältniß zu Rußland, dem eS schwerlich fördersam sein könnte, wenn die Volksvertretung es ihre erste Sorge sein ließe, der Regierung, welche den glanzvollen Empfang der russischen Majestäten so esseclvoll vorbereitet und durch- gefübrt bat, für ihr patriotisches Verdienst mit einem Mißtrauensvotum zu lohnen. Das Cabinet seinerseits will keine Zeit verlieren, sondern ungesäumt die jegislatorischen Arbeiten beginnen lassen. Es ist bas auch jedenfalls das beste Mittel, müßigen Demonstrationen und Interpellationen den Weg zu verlegen, und auch hierin begegnen sich die Wünsche der Kammermebrheit mit jenen der Regierung. Von den anderthalb Dutzend angekündigten Interpellationen kommt deshalb vorerst wobl nur eine einzige, und zwar betreffs der Orientdinge, zur Verhandlung, und zwar im Ein vernehmen mit der Regierung. Die Debatte hierüber sowie einige wichtigere Regierungsvorlagen mag un gefähr eine Woche beanspruchen, woraus, wenn alles programmgemäß sich abspielt, alsbald die Budgetberathung auf die Tagesordnung der Deputirtenkammer gesetzt werden dürfte. Im Senat herrscht wesentlich dieselbe parlamentarische Constellakion wie in der Deputirtenkammer. Auch dort liegt weder Anlaß vor, noch ist Neigung zu aufregenden Debatten erkennbar. Man wird daher in der Vermulhung schwerlich fehl greifen, daß zwischen jetzt und Weihnackten die Tagung der französischen Bertretungskörperschaflen von sensationellen Zwischenfällen verschont bleiben dürfte. Wa» bezweckt die englische Presse mit ihren Versuchen, die Welt an eine Abwendung Italiens vom Dreibünde glauben zu machen? Schwerlich kann man in London an einen neuen aus England und Italien bestehenden Zweibund denken. England ist aus bekannten Gründen kaum in der Lage, seine auswärtige Politik vertragsmäßig zu binden, und woher in Italien die Anregung kommen sollte, seine Ver bindung mit den beiden mitteleuropäischen Kaisermächten zu Gunsten einer solchen mit England auszugeben, ist nicht ersichtlich. Man legt in Italien auS selbstverständlichen Gründen auf ein gutes Verbältniß zu England ein großes Gewicht, aber die eigen- thümlichen Erfahrungen, welche man bei Gelegenheit des letzten abessinischen Feldzuges mit der britischen Freundschaft gemacht hat, haben die Hoffnnngeu der Anglo-Enthusiasten stark enttäuscht und überhaupt der Sympathie des italienischen Volkes für England einen argen Stoß versetzt. Tritt aber Italien bei seiner etwaigen Abwendung vom Dreibunde nicht auf die Seite Englands, so kann es nur die Zahl der Gegner desselben vermehren. Eine Politik der freien Hand, wie damals, als es die Anwartschaft auf Tunis einbüßte, wird es nicht noch einmal, am allerwenigsten unter den heutigen europäischen Verhältnissen, unternehmen wollen, es blieben ihm also nur der Anschluß an die französisch-russische Gruppe. Die Zugehörigkeit zum Dreibünde bat Italien nie gehindert, die besten Beziehungen zu England zn pflegen, wenn auch die naive Erwartung mancher britischen Politiker, daß der Dreibund aus Rücksicht auf einen seiner Theil- neömer sein ganzes Gewicht für englische Interessen einsetzen werde, sich nicht hat erfüllen können. Mit ter Zugehörigkeit zu jener anderen Gruppe aber wäre eine englisch-italienische Cooperation im Mittelmeere ausgeschlossen. Die englische Presse kann also in Wirklichkeit uichtS weniger wünschen, als daß ihre Aufhetzung Italiens gegen den Dreibund Erfolg habe. Es kann sich also bei der englischen Preßbetze nur um eine Einschüchterung Deutschlands handeln,das durch die Perspective auf den Zerfall des Dreibundes mürbe gemacht werden soll für englische Zwecke. Daß auch dieses Manöver vergebliche Mühe ist, wird man in London bald einsehen lernen. Deutsches Reich. * Berlin, 28. October. Die Seminarzöglinge er kalten bekanntlich jetzt nach bestandener Abgangsprüfung ein Zeugniß, auf Grund dessen sie die Berechtigung zum ein jährig-freiwilligen Dienst nachsuchen können. Ein Runderlaß deS preußischen UnterrichtsmmisterS vom 16. Sep tember bestimmt das Nähere darüber. Danach ist Folgendes zu beachten: Solche Lehramtsbewerber, welche diese Berechtigung zu erlangen wünschen, aber nicht in der Laae sind, die EnNassuiigsprüsung bis zum 1. April ihres ersten Militairjahres — d. i. des Kalender- lahres, innerhalb dessen sie ihr 20. Lebensjahr vollenden — abzu legen, haben beim Eintritt in dieies Alter ihre Zurückstellung unter Beifügung einer entsprechenden Bescheinigung des Seimnardirectors bei der Ersatzcommission, wie schon bisher, zu beantragen. Diese Zurückstellung kann von der Erjatzcoinmission bis zum sünsten Militairpslichtjahre genehmigt und geeignetensalls in der Ministerial- inslanz noch verlängert werden. Haben die zurückgestellten Semi naristen die Abgangsprüfung bestanden und das Zeugniß über die wissenschaftliche Befähigung zum einjährig - freiwilligen Dienst er hallen, >o müssen sie sich behufs Erlangung der Berechtigung hierzu unter Beifügung der übrigen in 8 89, 4 der Wehrordnung vor geschriebenen Papiere sofort außerterminlich mit schriftlichem Gesuch an die Ersatzcommijsion wenden. — Die Zahl der Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt soll um einen erhöht werden. Derselbe soll in der handels politischen Abtheilung angestellt werden. — Die Luftschifferabtheilung, die jetzt aus dem Tempelhoser Felde untergebracht ist, soll, wie die „Kreuzztg." hört, nach dem Tegeler Schießplätze verlegt werden. Man beabsichtigt, die Zustimmung des Reichstages voraus gesetzt, dort eine Caserne für die Abtheilung zu erbauen, da sie dort ihre Uebungen besser und ohne Gefahren für die dortige Umgegend ausfübren kann, zumal da der Schießplatz nicht so belebt ist, wie das Tempelhofer Feld. — Im Wahlkreis Brandenburg-Westhavelland findet morgen (Donnerstag) die Ersatzwahl zum Reichs tag statt. Die beiden gegen den Socialdemokraten PeuS im Felde stehenden Candidaten, Landrath v. Loebell (kon servativ, vom Bund der Landwirtbc und den Nationalliberalen unterstützt) und Blell (freis. Volksp.) rechnen darauf, daß der Socialdemokrat im ersten Wahlgang nicht den Sieg davonträgt, sondern daß eine Stichwahl folgen wird. — Am 8. und 9. November wird in Dresden eine Delegirte n Versammlung der conservalivenPartei stattfinden. — Wie der „Deutschen Tagesztg." berichtet wird, gedenkt die conservative Partei die Margarinefrage im Reichstage wiederum anzuregen. Man erwäge noch, ob man zunächst die Form der Interpellation wählen oder einen Gesetzentwurf einbringen solle, der die alten Forderungen enthalten würde. — Auf Grund einer Verfügung deS Landraths des Kreise« Nieder-Barnim, welche die Polizeistunde für Versamm lungen auf 10 Uhr Abend« festsetzt, wurde gestern Abend eine socialdemokratiscke Volksversammlung polizei lich aufgelöst, weil der Vorsitzende der Aufforderung des Beamten, um 10 Uhr zu schließen, nicht nachkam. — Landgerichtsrath vr. Jungk vom Landgericht l in Berlin und Londgrrichtsrath Nosl in Potsdam wurden zu Kammer- grrichtsräthrn ernannt. — Sidney O'Danne, früher Hauptmann im I. Garde- Regiment zu Fuß, dessen Processe seinerzeit Aussehen erregten, wird heute auS dem Strasgesängniß zu Plötzensee nach Abbüßung seiner Strafe entlassen. O'Danne stand bekanntlich der Familie deS deut schen Kronprinzen nahe, war auch einige Zeit militairifcher Erzieher des Kaisers. Wegen verschiedener Verbrechen unter Anklage gestellt, wurde er zu acht Jahren Gesängniß verurtheilt. O'Danne soll, dem Vernehmen der „Post" nach, ausgewiesen und au die Grenze gebracht werden. — Der Afrikareisende Josef Rindermann, der den Geh. Regierungsrath Bormann bei den Vorarbeiten der Ostafrtka- Nischen Centralbahn unterstützt und ihre Trace festgelegt hat, kehrt jetzt nach Beendigung seiner Arbeiten nach Europa zurück. * Ans Westpreuflen, 27. October. Auf der westpreußischen Provinzial-Synode wurde nachstehender Antrag gegen das Duell eingebracht: Provinzial-Synode wolle erkmren, „daß daS Duell wider Gottes heiliges Wort und Gebot und daher Sünde ist, daß die jetzigen Bestimmungen zum Schutz der beleidigten Ehre nicht auSreichen und ihre Verschärfung auf gesetzlichem Wege zu erstreben ist". * Flensburg, 28. October. Sämmtliche landwirth- schaftlichen Vereine Nordschlcswigs mit dänischer Tendenz haben in einer in Flensburg abgehaltenen Delegirten- versammlung auf Antrag des Hofbesitzers Mußmann-Marias- minde beschlossen, sich der schleswig-holsteinischen Landwirth- schaftSkammer anzuschließen. * Lübeck, 28. October. Die Firma Thiel L Söhne hat gegen die Socialistensührer Schwartz, Barthels, Friedrich und «schweizer Strafantrag wegen öffentlicher Beleidigung und Verleumdung gestellt. (Hamb. Corr.) * Hamburg, 28. October. Die telegraphisch in einem Theile der Auslage des letzten Morgenblattes schon gemeldete Auslassung der „Hamb. Nachr." lautet wörtlich: „Die „Neue Freie Presse" hatte dieser Tage einen Bericht über eine Unterhaltung veröffentlicht, die einer ihrer Freunde mit einem deutschen Slaatsmanne über die europäische Lage gehabt habe. Obwohl in dem Wiener Organe keinerlei nähere Angaben über die Urheberschaft gemacht waren, hat ein Theil der deutschen Presse, wohl in Folge des Umstandes, daß der Bericht aus Hamburg datirt war, „angenommen", daß der Staatsmann Fürst BiSmarck ge- wesen sei. Das trifft indeß, wie wir auf Erkundigung erfahren haben, nicht zu. Fürst Bismarck hat den Inhalt des ihm zu geschriebenen Interviews vielmehr erst auS den Zeitungen kennen gelernt." Der Darstellung, welche die „Neue Freie Presse" über die Vorgänge von 1890 in der Angelegenheit des Neutra litätsvertrages mit Rußland gab, stimmen die „Ham burger Nachrichten" bei, indem sie sagen: „Wir glauben, daßdiese Dar stellungden Verhältnissen entspricht." * BrcSlau, 27. Oktober. Zum Besuche bei dem Cardinal Fürstbischof 0. Georg Kopp sind die Bischöfe von Ermland und von Kulm eingetroffen. * Essen, 28. October. Der Kaiser kehrte gegen 5 Uhr nach der Villa Hügel zurück. An der Abendtafel, zu welcher etwa 50 Gedecke aufgelegt waren, nahmen außer dem Kaiser, dem Prinzen Heinrich mit Gefolge und dem Geheimen Commerzienrath Krupp und Gemahlin Theil: Admiral von Knorr, Staatssecretair Hollmann, Oberpräsident Nasse, Regierungspräsident von Rheinbaben, der Comman- deur der 14. Division Generallieutenant Freiherr von Funck, Arthur Krupp und Gemahlin, Hauptmann Frhr. v. Ende und Gemahlin, ferner Oberbürgermeister Zweigert, Bürgermeister Göring, Landrath v. Hövel» Frhr. v. Vietinghoff-Schell, Frhr. v. Schirp, sowie 20 Directoren und andere Beamte der Krupp'schen Werke. Die Tafelmusik wurde wiederum von dem Westfälischen Pionier-Bataillon Nr. 7 gestellt. Während der Tafel lief ein Huldigungstelegramm des Vor standes des BeamtcncasinoS der Krupp'schen Werke ein. Der Kaiser ließ dem Beamtencasino für die treue Gesinnung danken und stiftete für das Casino, für das Vereinigungs local ves Meppener Schießplatzes und für den Sitzungssaal des Essener Ratbhauses je ein Exemplar des Bildes „Deutscher Michael" und schenkte auch Herrn und Frau Krupp je ein Exemplar. Oesterreich -Ungarn. Die Erklärung des deutschen „ReichSanzeigerS". * Wien, 28. Oclober. (Telegramm.) Die „Neue Freie Presse" schreibt: Wenn der „Reichsanzeiger" betont, daß die Zuversicht zu der Aufrichtigkeit unvVertrags- Frau au« Sibirien nicht an da«, was sie sprach, Sofia Andrejewna sah ihr e« an, sonvern all ibr Sinnen und Denken conceutrirte sich um den Bruder Stepan Wassilitsch, sie suchte sogar mit den umherschweifenden Blicken nach Spuren von ihm, schien eS aber noch nicht au der Zeit zu finden, von ihm zu sprechen. „Daß Michael Geld schickte", versetzte Sofia Andrejewna, „hat mich gerührt. Ich glaube, er hat Nebenverdienste, er ist ein braver Sobn." Maria Feodorowna nickte mit dem Kopfe und sah dann Sonja an, als wolle sie ihr sagen. Du weißt wohl, waS mir wein Michael ist, ich brauche Dir da« nicht erst zu sagen. „Mein Sohn Jlija Andrej war gerade wie Michael be- anlagt. Sie glauben nicht, wie ich darunter gelitten, daß er niemals an mich schrieb." Sie wollte weiter sprechen, dielt aber wie erschreckt inne, weil sie in diesem Falle in die Lage kam, den Namen ihres BruderS auSzusprechen, was sie verbüten zu wollen schien. Vielleicht nur darum fügte sie, mit einer gewissen Verlegen heit ringend, hinzu: „Sie glauben nicht, meine liebe einzige Sofia Andrejewna, wie mir daS Herz scklug, als endlich der Zug in der Zarenstabt dielt und ich meinem lieben Michael und meiner guten Sonja so nabe war! — Aber wie soll nun Alle« werden? — Sie sind nicht auf Slekok, und wenn ich mir an« Ihren Briefen ein Urtbeil bilden darf, dann bin ich überzeugt, daß Sie auch nicht mehr dahin zurückgehen. — Die Verhältnisse sind so ganz andere geworden." Der Kellner stellte sich endlich ein, und die Petuschkiwna bestellte Thee und Gebäck. Als der Mann gegangen, legte sie zärtlich ihren Arm um die Schulter Marias und flüsterte 'hr zu: „Willkommen in Petersburg. Ich bin nun nicht mehr allein, wir werden uns einander sehr nabe sieben, schon darum, weil wir Beide in dieser Welt nickt glücklich waren. — Ich brauche Ihnen nickt zn sagen, was sich ereignet hat hier im Hotel Bristol, denn ich sehe eS Jbnen an, daß Sie e« wissen. Sollte e« unmöglich sein, daß wir einen Schleier über die Vergangenheit decken und als neue Menschen einer neuen und vielleicht glücklicheren Zukunft entgegengeben?" „Wie sanft Ihre Stimme und Ibr Gesicht ist! — Legen Sie Ihren Kopf an den meinen, ach Gott, Sie glauben nicht, wie gut da« mir ist. Nur so kann mein Herz aufthauen, O, gewiß, mit jedem Tage wird man neu geboren, und wie leicht muß r« un« werden, neue Menschen zu sein. — Sie sagen, ich weiß Alle«, ja, aus den Zeitungen habe ich viel erfahren, — und doch, ich weiß gar nicht«. Aber ich will Ihnen nicht wehe thun, sprechen wir nickt davon, wenden wir un« der Zukunft zu, werden wir neue Menschen" Sie streichelte zärtlich mit ibrer rotben Hand die Wangen Sonja'« und dieser wurden di« Augen frucht. Sie fühlte, daß sie das Haupt in den Schooß dieser Frau legen und sich satt weinen könnte. „Die Wittwe eines Sträflings und eine verlassene Braut, — Golt sei un« gnädig, meine einzige Sofia Andrejewna!" „Und ich habe mich gefürchtet, als ick Sie auf dem Corridor erscheinen sah, denn Sie mußten schwere Anklagen gegen Stepan Wassilitsch erheben, — und ich war seine Braut!" „Wenn etwas mich mit dem Bruder versöhnen könnte, mit ihm, der so unversöhnlich war, dann ist es Ihre Liebe zu ihm. Mein Mann, mein theurer Jwanoff Petrowitsch, gekörte nicht zu den Glücklichen, deren Unschuld vor dem Ende zu Tage kommen sollte. Gott im Himmel, der Alles geseben, weiß, wie leicht es meinem Bruder Stepan Wassi litsch geworden wäre, den Schwager zu retten. Es war ibm leichter, an seine Schuld zu glauben, als einen einzigen Schritt zu thun, der seine Unschuld zu Tage gefördert haben würde. Aber ich will nicht klagen, meine liebe Sofia Andrejewna, ich will nicht davon sprechen, daß er von mir verlangte, den Gatten, von dessen Unschuld ich überzeugt war, im Unglück zu verlassen, das heiße Weh des Mutterberzens, dem man daS Kind entriß, soll ihm nicht zugewogen werden, sondern ich will nur der Ueberzeugung Ausdruck verleiben, daß Ihre Liebe, meine theure Sonja, ihn gelehrt baden würde, wie unbegreiflich seine Handlung von damals war. Und gerade jetzt mußte er ein so schreckliches Ende finden. „Sie wünschen, daß er noch lebe, um sich in Reue zu verzehren? — Oh, Maria Feodorowna, Sie sprechen und denken gerade, wie er gesprochen und gedacht haben würde! — Wie ähnlich sind Sie doch Jbrem Bruder Stepan Wassilitsch! — Ist e« denn noch nicht genug mit seinem entsetzlichen Tod? — Kann ich nicht sühnen, wa« noch zu sühnen ist?" „Ack Gott, WaS habe ich denn gesagt, meine liebe Sofia Andrejewna! Seien Sie doch barmherzig mit mir. Lehren Sie mich, ein Engel zu sein, der so hoch und edel denken und bandeln kann wie Sie! WaS bat da« grenzenlose Un glück auS mir gemacht? Aber sprechen wir nicht mehr von Stepan Wassilitsch, sprechen wir nicht mehr von ibm. In meinem Herzen ist kein Groll zurückgeblieben, ich schwöre rS Jbnen, meine theure Petuschkiwna." DaS Weib des Sträfling« batte sich vom Stuble erhoben und klammerte sich mit beiden Händen an die vor ihr zurück weichende Sofia Andrejewna fest. Diese fad sie an und war überzeugt, daß da« Unglück, ein solches Unglück, wie r« über diese Frau gekommen, nie- mal« veredelnd wirken kann. Die Kluft, die sie von dem Bruder trennte, war nie zu überbrücken, ihr Plan, Bruder und Schwester zu versöhnen, hätte scheitern müssen. „Lernen wir vergessen, versuchen Sie eS, dem Tobten ein freundliches Andenken zu bewahren, und welch ein Trost liegt nicht im Verzeihen? Stepan Wassilitsch Romanskoi batte seine Fehler und seine Tugenden, sind wir besser als er! Gott läßt die Sonne der Versöhnung über die Gräber scheinen, und warum wollen wir als schwache Menschen, die nur einen Hauch in dieser Welt bedeuten, uns dieser lieblichen Sonne nicht freuen? Meine liebe Maria Feodorowna, wie groß und schön ist die Aufgabe, die gerade Jbnen nun gestellt ist. Es h rndelt sich für Sie darum, Jlija Andrej Matscherskoff Ihrem Mutterherzen zurückzugewinnen." Das Angesicht der Frau schien in Zuckungen zu liegen. Ihr Auge war umflort und batte jetzt etwas von dem nach innen gewendeten Ausdruck Jlija Andrej'S. Sie blickte zu der Petuschkiwna empor, die sie unerreichbar doch über sich stehen sah, und gab sich Mühe, diese zu begreifen. „Ich füble, welch ein Kind ich bin", stammelte sie, „ich fühle, daß ich alles ablegen muß, wa« ick aus Sibirien mit gebracht. Führen Sie mich, Sonia!" Der Thee wurde aufgetragen. Sofia Andrejewna setzte sich mit der Frau mit dem schneeweißen Haar an den Tisch. Mit Ungeduld wartete man, bis der Kellner daS Zimmer verlassen. Und als sie mit sich allein waren, streckten sie sich, von gleichem Verlangen getrieben, beide Hände entgegen, und otme ein Wort zu sprechen, wurde damit ein HerzenSbund gegründet, der die Vegriffe von Zeit und Raum überdauert. Dieser Bund galt nicht dem tobten Stepan Wassilitsch, sondern dem lebenden Jlija Andrej; dem Mutterberzen sollte der entfremdete Sohn zurückgeführt werden. Mit wahrem Feuereifer widmete sich Sofia Andrejewna dieser Aufgabe. Sie vergaß eS dabei ganz, daß sie schon auf Slekok so manche« Mal umsonst versucht, eine Saite in der Brust de« Jlija Andrej zu berühren, au« der etwas wie Sehnsucht nach der Mutter wiederklingen würde. Alles Andere mußte zurücktreten vor dieser Aufgabe, selbst die Interessen Michael'«. Rückhaltlos, klar und bestimmt zeichnete die Petuschkiwna der heimkehrenden Mutter ihren Sobn. „Man hat Alles in seinem Herzen auSgetilgt, ich komme zu spät", klagte nun Maria Feodorowna, „ich fühle e«, ich habe mein Kind verloren." „Und wenn die« wahr sein muß, dann muß dieser Verlust ertragen werden", entgegnete die Petuschkiwna, „um so höher schätzen wir al«dann unseren Michael. Im klebrigen werden wir eS halten, wie ich Jbnen bereits brieflich mitgetheilt. Wir bilden zusammen eine Familie, ich, Sie, meine liebe Maria Feodorowna JaSmorin, und Michael." Nach dem Thee bat die Wittwe ihre gute Sofia Andre jewna, sie zu ihrem Sohn Michael zu führen. „Ich wanderte sofort nach dem Hotel Bristol", fügte sie ihrer Bitte bei, „und e« war die« ja auch so begreiflich, nach Dem, WaS ick in den Blättern über daS Ereigniß ge lesen. Und wie richtig war das! War eS nicht, als ob mich Gottes Hand führte, denn ich traf Sie, meine einzige Sonja." „Ja, lassen Sie unS zuerst zu Michael gehen", entgegnete Sofia Andrejewna, und der Gedanke, daß er erkrankt sein könnte, trat ihr so nahe, daß sie erschrak, „gewiß, wir werden ibn bei guter Gesundheit antreffen, und der glückliche Augenblick, in welchem er sein Mütterchen umarmen kann, ist für ihn gekommen. Von tausend Befürchtungen über Michael gequält, denn sein Fernbleiben war ihr so unbegreiflich, machte sie Toilette. Wie hart für die schwergeprüfte Maria Feodorowna, wenn sie ihren Michael auf dem Krankenbette liegend vorfinden würde? Sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihn nicht sofort auf gesucht, als sie von Slekok zurück kam. Und doch, warum hat er ihren Brief nicht beantwortet? — Sind Ereignisse eingetreten, die ihm selbst dies unmöglich machten? . . . Sie batte es nun selber eilig. Mit einer wahren Hast verließ sie mit der Wittwe das Hotel. Vor dem Hotel nahmen sie einen Wagen und fuhren nach dem Hause des StaatSrathe« Orkieneff. Sechzehntes Capitel. „E« bleibt dabei, ich laß Dich nicht allein weg, jetzt nicht beute nicht! — Willst Du geben, dann komme ich mit. Dein Zustand gefällt mir nicht, ich weiß selbst nicht, waS daraus werden soll, aber das weiß ich, daß ich Dich nicht allein vor die Tbür meiner Stube lassen kann." „So sei doch vernünftig, mein bester Michael, ich muß mich doch endlich bei dem Notar de« Fürsten blicken lassen, ich muß hinaus nach Krestowsky. Es sind genau betrachtet nur geschäftliche Angelegenheiten, die geordnet werden müssen, aber ick kann Dich dabei nicht gebrauchen." Entschlossen zog Jlija Andrej seinen Rock an und griff nach seinem Hut. „Du gehst und kommst nicht wieder", fuhr Michael fort, „aber ich lasse Dich nicht! — Ich will Dir ein ganzer Freund sein. Sei vernünftig, Jlija Andrej Matscherskoff, vertraue mir Deinen geheimen Kummer an. Du bist verpflichtet, offen gegen mich zu sein. Zwei tragen etwa« leichter al« Einer." „Da« ist e« ja, waS mich allein noch trösten kann, daß Du keine Ahnung hast! Aber Du sollst Alles wissen, indessen — ein ander Mal. Ich batte nur zwei Freunde in der Welt, — und wie viele hätte ich gewinnen können, wenn Stepan Wassilitsch sie mir nicht immer vertrieben haben würde. Nahim brach unter meinem Geheimniß zusammen und liegt nun darunter begraben. Du sollst e« nicht, mein guter Michael JaSmorin!" (Fortsetzung folgt.)
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