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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961102020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896110202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896110202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-02
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Extra-Beilagen (gefalzt), »ar mit de, Etorarn«Ausgabe, ohne Postbesörderung so.—, mit Postbesörderung ^tl 70.—. Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, des Rtttljes und Polizei-Amtes der Lta-1 Leipzig. Invahmeschluß für Anzeige«: Ab end «Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags »Uhr. Set den Filialen und Annahmestelle« je ein« halbe Stunde früher. Autrigen sind stet» au die Expedition zu richten. Druck und Berlin v"n E. Pol» tn Leipzig Montag den 2. November 1896. 9V. Jahrgang. Die Antwort des Fürsten Bismarck. * Wie vorauSzusehen war und wie der Telegraph bereits gemeldet hat, weisen die „Hamb. Nachr." den im „Reichs - anzeiger" erhobenen Vorwurf, die von dem Organe des Fürsten Bismarck gebrachten Mittheilungen über das bis zum Jahre 1890 in Kraft gewesene deutsch-russische Asse- curanz-Abko mmen seien nicht nur unvollständig und zum Theil falsch, sondern bedeuteten auch die Preis- gebung eines „strengsten Staatsgeheimnisses", das zu wahren eine internationale Pflicht sei, deren Verletzung eine Schädigung wicht i ger Staatsinteressen bedinge, mit Entschiedenheit zurück. Diese Zurückweisung lautet wörtlich: „Wir beabsichtigen nicht, in eine Polemik mit der Redaktion des „Reichsanzeigers" auch in ihrem außeramtlichen Theile einzutreten, sind aber doch genöthigt, gegen einige Sätze ihres Artikels Ver wahrung einzulcgen. Einmal geben wir nicht zu, daß diploma- tische Vorgänge der in Rede "stehenden Art zu den „strengsten Staatsgeheimnissen" gehören. Die besprochenen russisch deutschen Verhandlungen gehören der Geschichte an und den Archiven; ihre Geheimhaltung war für uns wie für Len Dreibund von Hause aus kein Bedürfniß, sie erfolgte lediglich auf russischen Wunsch, und die Situation, aus welcher dieser Wunsch damals beruhte, be steht heute nicht mehr. Im deutschen Interesse hätte unserer Ansicht nach die volle Veröffentlichung gelegen, da der ganzen Sache für uns nicht etwa ein Pudendum zu Grunde liegt, sondern ein berechtigter Anlaß für alle friedliebenden An gehörigen Les Reiches wie des Dreibundes, mit Genugthuung auf den Vorgang zurückzublicken. Staatsmänner, die drn Frieden überhaupt pflegen wollen, die sich die Schwere der Verant wortlichkeit stets vor Augen halten, welche die Schuld an einem Kriege der größten europäischen Mächte untereinander mit sich bringen würde, sind sich der Pflicht bewußt, jedes sich ihnen bietende Mittel zur Erhaltung des Friedens, welches mit den Interessen des eigenen Lande» verträglich ist, auch anzuwenden und zu vertreten. Die Behauptung, daß das 1890 abgelausene deutsch-russische Ab kommen mit der Treue gegen den Dreibund nicht verträglich wäre, ist vollständig aus der Luft gegriffen für Jeden, der es kennt und der die Dreibundverträge auch nur oberflächlich liest. Schon dieser Text wahrt der österreichisch-ungarischen Monarchie in Bezug auf etwaige neue deutsch-franzö sische Verwickelungeu die Freiheit, sogar bei einem An griffe Frankreichs auf Deutschland neutral zu bleiben, und Niemandem ist es eingefallen, deshalb von einer Duplicität der österreichischen Stellung im Dreibunde zu sprechen. Auch wenn, wie man theoretisch bei aller praktischen Unwahrscheinlichkeit sich zurecht legen kann, Rußland vom deutschen Reiche unprovocirt angegriffen würde, so wäre au» dem DreibundSvertrage eine Verpflichtung zur österreichischen Betheiligung an dem deutschen Er- obrrungskriege gegen Rußland nicht herzuleiten. Der ganze Dreibund in oorpors könnte, wenn Rußland dazu bereit wäre, mit letzterem ganz dasselbe Abkommen treffen, was bis 1890 zwischen Rußland und Deutschland bestanden hat; er würde deshalb auf seinen Hauptzweck, die gemeinsame Vertheidigung gegen russische Angriffe, nicht zu verzichten brauchen, und es würde gewiß allen Freunden deS Frieden» in Europa eine erhebliche Be- ruhigung gewähren, wenn die drei verbündeten Regierungen der russischen gemeinsam ihre Neutralität für den Fall eines unprovocirten Angriffes auf Rußland zusagten. Wenn bei der russischen Regierung Neigung dazu voraus zusetzen wäre, so würde e- sich unserer Ansicht nach empfehlen, noch heute denselben Vertrag zu erneuern, dessen Fortsetzung im Jahre 1890 von uns abgrlehnt wurde und dessen jetziges Bekanntwcrden in so hohem Maße die sittliche Entrüstung aller derjenigen Parteien in der Presse erregt, welche vor 1890 dem Reiche unfreundlich und kämpfend gegenüber standen, nach 1890 aber sich für die Stützen desselben ausgaben. Wir finden bei dieser Sachlage die Behauptung, daß „Staats geheimnisse" zum Nachtheile des deutschen Reiches preis gegeben worden wären, unbegründet und werden in dem leider nicht mehr bestehenden russischen Vertrage stets einen Beweis der Einsicht uud der Gewissenhaftigkeit der Regierung Kaiser Wilhelm's I. erblicken. Noch weniger können wir die Wendung des „Reichsanzeigers" unbeanstandet kaffen, in welcher er darauf „verzichtet", „Falsches zu berichtigen" oder „Unvoll ständige» zu ergänzen". Letzteres würde der „Reichsanzriger" nur können, wenn er den Text des so heftig angefochtenen deutsch- russischen Vertrages vollständig veröffentlichte; Falsches aber ist in unseren Anführungen überhaupt nicht enthalten gewesen, und die Andeutung, als ob es wäre, würde uns wohl eine Berechtigung geben, im nichtamtlichen Theile des „Reichsanzeigers" eine Berichtigung im Sinne deS 8 11 deS Preßgejetzes zu ver langen." Dieser Zurückweisung lasten die „Hamb. Nachr." zwei weitere Auslastungen folgen, von denen die eine den albernen Vorwurf gegen den Fürsten Bismarck, er habe durch seine Entbüllung den von ihm geschaffenen Dreibund zerstören wollen, mit folgenden Worten zurückweist: „LS ist ja nicht neu und kam schon wiederholt vor, als der Fürst im Amte war, daß er gegen die Auslegung kämpfen mußte, als ob der Dreibund eine Erwerbsgenossenschast sei, deren Mitglieder sich verpflichtet hätten, auch einer jeden aggressiven Feindseligkeit der Bundesgenossen Heeresfolge zu leisten. Ter Dreibund ist aber eine defensive Friedens garantie und als solche von verdeutschen Politik früher unbedingt aufgefaßt worden; seiner Ausgabe, Europa den Frieden zu erhalten, wie er sie seit nun bald 17 Jahren mit Erfolg gelöst hat, wird er noch immer gewachsen fein, auch wenn alle drei Mitglieder einzeln oder solidarisch sich auf ähnliche Rückversicherungen gegen Aggressivkriege einlassen wie diejenige, welche für Deutschland leider seit sechs Jahren abgelaufen ist und deren Existenz der Regierung Kaiser Wilhelm s l., unter der sie entstanden ist, jetzt jo heftig zum Vorwurfe gemacht wird." Die zweite berichtigt oder ergänzt die Angabe der oben mitgetbeiltcn Zurückweisung, daß daS deutsch-russische Ab kommen auf Rußlands Wunsch geheim gehalten worden sei, dabin, daß diese« Abkommen Oesterreich-Ungarn und Italien nicht unbekannt geblieben und schwerlich un erwünscht gewesen sei. Ueber diesen wichtigen Punct sagt das Bismarckorgan: „Denselben (unfern beiden Bundesgenossen im Dreibünde) war die Rückversicherung mit Rußland nicht unbekannt und schwerlich unerwünscht; im Gegentheil, man hat mit Befriedigung gesehen, daß Deutschland die Beziehungen, die es mit Petersburg unterhielt, jeder Zeit benutzte, um Verstimmungen zwischen beiden benachbarten Kaiserreichen zuverhütrn, respective beizulegen. Unsere Bundesgenossen werden zwar daS Vertrauen gehabt haben, daß der Dreibund einen Krieg nach zwei Seiten bin werde bestehen können, aber im Interesse Les Frieden» wird es ihnen doch lieber sein, wenn ein Krieg, der vou allen continentalrn Mächten die ungeheuerlichsten Opfer an Blut, Geld und Vermögen fordern würde, überhaupt vermieden werden kann. Dächten die betheiligten Regierungen anders, so würden sie schon unter Kaiser Wilhelm I. die russischen Beziehungen Deutschlands zum Gegenstände von Besprechungen gemacht haben. Es ist dies niemals der Fall gewesen, obschon ihnen die Pflege der politischen Beziehungen zu Rußland, wie sie von Berlin aus trotz aller Rüstungen und Börsen maßregeln niemals unterblieben ist, und selbst die jetzt ver schrienen Abkommen nicht fremd waren. Wir glauben, die aufgeregten Blätter in der Presse zerbrechen sich ohne Noch den Kopf der zum Dreibünde verbündeten Regierungen." Dann beißt es weiter: „Wir sind zu der ganzen Besprechung dieser Verhältnisse, außer anderen Zwecken, über die wir Niemandem Auskunft schuldig sind, äußerlich durch die fortgesetzte Geschichtssälschung veranlaßt worden, die von der klerikal-librralen Presse nicht ohne Beihilfe der vfficiüsen in der Richtung betrieben wird, die Re- gierung Kaiser Wilhelm's I. und seines Kanzlers unehr licher Weise für alle Nebel verantwortlich zu machen, über die jetzt nach verschiedenen Seiten hin geklagt wird, namentlich aber für den Abbruch der früheren günstigen Beziehungen zu Rußland, der die europäische Stellung des deutschen Reiches sicher nicht bessert. Wir haben deshalb die uns mitgetheilte Thatsache an die Oeffentlichkeit gebracht, daß dieser Abbruch erst unter der Regierung des zweiten Kanzlers und durch die unzweideutige Zurückweisung des russischen Ansuchens um Fort- setzung des bisherigen Verhältnisses herbeigeführt wurde. Gegen diese» actenmäßigen Beweis, daß der Bruch deS russischen „Drahtes'' unter Eaprivi stattfand, kann die unehrliche Verleumdung der deutschen Politik unter Kaiser Wilhelm I. nicht Stich halten. Wir hätten es richtiger gefunden, wenn von amtlicher Seite, ebenso wie früher bei Gelegenheit der Fälschung der „Emser Depesche", eine acten- mäßige Klarstellung derWahrheit stattgefunden hätte» und möchten dieselbe noch heute empfehlen." Aus diesen Auslastungen geht derZweck der BiSmarck'schen Enthüllung über da» veutsch-russifche „Assecuranz-Abkommen" klar hervor. Zunächst sollte den anläßlich desZaren- besuchcs in Frankreich auSgestreuteu unbegrün deten Behauptungen über einen Schuldantbeil der Negierung Kaiser Wilhelm's I. an der Ver schlechterung der deutsch-russischen Beziehung der Boden entzogen und der Welt der wahre Schuldige gezeigt werden. Damit sollte zugleich das deutsche Volk darüber aufgeklärt werden, daß eS im Kalle eines französischen Angriffskrieges eine für Deutschland wohl wollende Neutralität Rußlands nicht mehr zu fordern, vielmehr auf eine für Frankreich wohl wollende Neutralität Rußlands sich gefaßt zu machen habe, sofern e» nicht gelinge, Rußland zur Erneuerung des im Jahre 1890 vom Grafen Eaprivi abgelehnten Abkommens ru bewegen. Die jetzige Regierung sollte veranlaßt werden, eine solche Erneuerung anzustrebeu und zu diesem Zwecke das ganze Abkommen zu veröffentlichen, dessen Wortlaut nach der Ueberzeugung des Fürsten in Oesterreich -Ungarn und Italien jedes Mißtrauen in die Absichten Deutschlands be seitigen wird. DaS Alles geht so klar auS den Auslastungen deS „Hamb. Corr." hervor, daß man beim besten Willen nicht begreift, wie noch Fragen über den Zweck der Enthüllung in der deutschen Presse laut werden können. Und noch unbegreif licher ist eS, daß die „Köln. Ztg." nicht nur noch im Zweifel darüber zu sein behauptet, ob Fürst Bismarck die Enthüllung verursacht bat, sondern auch für diesen Fall den Fürsten und seine Vertheidiger auf folgende Weise verunglimpft: „Tie nationalgesinnten Männer fragen weiter vergeb lich, welchen politischen Zweck man verfolgt hat, der den BertrauenSbruch halbwegs entschuldigen könnte. Tie „Hamburger Nachrichten" hüllen sich nach beiden Richtungen in Stillschweigen, sie begnügen sich damit, zustunmende Aeußerungen von untergeordnete» Blättern abzudrucken. Es handelt sich dabei vorwiegend um Blätter, die, wie die „Schlesische Zeitung", in Len letzten Jahren Anzeichen einer gewissen geistigen und moralischen Verkommenheit aufweisen. Dagegen fällt es doch sehr schwer ins Gewicht, Laß kein ernsthaftes Blatt Leu Versuch gemacht hat, das Doppelspiel und seine nach trägliche Enthüllung zu rechtfertigen." Wir sehen von der Lüge, die in der letzten Behauptung liegt, ganz ab, bedauern aber, daß der nationalliberale Delegirtentag nicht noch bevorsteht. Das „Weltblatl" am Rhein würde daun sicherlich noch ein weit schärferes Urtbeil über sich ergeben lassen müssen, als die „Nal.-Ztg." eS über sich ergeben lassen mußte. In der österreichischen und in der italienischen Presse werden erfreulicher Weise immer mehr Stimmen laut, die den Altreichskanzler gegen seine deutschen Verlästerer in Schutz nebmen und daS von ihm enthüllte Abkommen in gerechter Weise beurtheilen. So wird heute aus Wien gemeldet: „Die „Neue Freie Presse" hat von unterrichteter Seite Nachrichten über die Gründe erhalten, welche den Fürsten Bismarck zu Leu bekannten „Enthüllungen" veranlaßt haben könnten. Hierin heißt es: Fürst Bismarck mag befürchtet haben, daß eine Wiederholung des Fehlers, welcher im Jahre 1890 zur Lösung der Beziehungen Deutschlands zu Rußland führte, durch ein etwaige» Ausgeben Ser gegenwärtigen Unterstützung der russischen Politik zu Gunsten einer erneuten Annäherung an England nicht ausgeschlossen sei. Ein solcher Rücksall Deutschland« wäre um so gefährlicher, als er ja zweifellos dasjenige zur Folge haben würde, was die Franzosen bisher nicht erlangen konmen, nämlich ein Bünduiß Frank- reichs mit Rußland, dessen Wirksamkeit gegen Deutsch land nur noch eine Frage der Zeit und der Umstände wäre. Als weiteres Motiv wird angegeben, daß durch die „Enthüllungen" den Franzosen klar werden sollte, wie wenig sie ihr jetziges Verhättniß zu Rußland sich selbst und der werbenden Kcast ihrer Revanche-Jd-en zuzuschreiben haben, sondern vielmehr den Fehlern, welche Deutschland »ach der Verabichieduttg des Fürsten Bismarck in der Behandlung Rußlands gemacht hatte. Der Vorwurf, daß Fenillets«. Die Schuld des Fürsten Nomanskoi. Nj Roman von Tour. Fischer-Sallstrin. Nachdruck «ertotm. Der Schlitten schleift über Weidengestrüpp hinweg, deren Ruthen ibm fast inS Gesicht schlagen, er jagt durch Tbal- mulden hindurch uud gleitet Böschungen hinab, so daß sich der Graf festhalten muß, nur um nicht auS dem Schlitten geschleudert zn werden. Er denkt an seine Heimkebr von der Reise um die Welt. Auch damals näberte er sich mitten in der Nacht dem einsamen Herrenhause. Welch' einen grausigen Sckluß hat er zu seiner so mübsam ersonnenen Novelle geschrieben! — Sie mußte aber vollendet werden und er hat sie vollendet! — Wie wäre Alles anders geworden, wenn Stepan Wassilitsck, so wie er eS gewünscht und erwartet, den Schluß geschrieben hätte? — Aber er wollte nicht, der Tyrann, trotzdem alle seine Hoff nungen auf rin Glück in dieser Welt, auf diese Novelle gesetzt waren. Er mußte selbst zur Feder greifen, der Jlija Andrej MatscherSkoff, und er schrieb den Schluß mit Blut. Wie rotb das Licht dort in die Schneenacht hinauSstrablt! Einem Strablenbündel, nein, einer feurig Ruthe gleich, gleitet eS über die irisirende Fläche hin. Und die WolfSherrde seiner Gedanken zwingt ibn, sich Betrachtungen binzugeben, Möglich keiten zu erwägen, die ihn bebend machen. Auch in den Gemächern de» Fürsten ist Licht, er siebt eS klar durch da» Gebüsch de« Vorgarten» hindurch leuchten. Erwartete man ihn, den jungen Herrn? — Je näher Jlija Andrej dem Herrenbause kommt, um so größer wird seine Erregung, um so rascher fliege» seine Pulse. E« ist ihm, al» höre er die Stimme seine« Onkel», al« sebe er da« bleiche, breite Gesicht mit dem weißen Bart und den kleinen Augen zwischen den Gesträuchern der Vorgärten hindurch. Gewiß, er schaut nach ibm au«, er erwartet ihn. Endlich am Ziel! DaS Hofthor steht offen wie immer. Der Schlitten rast mit seinem Schellrngerassel durch den Eingang. Die LaSka, der Hofhund, der schon seit Jahren seine Nächte in den Ställen verbringt, treibt sich im ver- schneiten Hof herum und macht nun einen Höllenlärm. AuS dem Herrenhaus hervor brechen einige struppige Gesellen. Jlija erkennt Wolodja und Wassily. Hinter diesen folgt ein schwarzbärtiger Kerl in einen dicken Pelz gehüllt, eS ist Grischa Fibinitineffkoff. Grischa, der daS große Wort im Herrenhaus führt, flucht hinter den beiden Knechten her, denn er will sich allein dem Schlitten näbern. Diese ducken sich, denn eS scheint, daß sie den Bärbeißer fürchten. Jlija Andrej kann die Anwesenbeit deS Grischa auf Slekok nicht begreifen. Er verläßt den Schlitten, und sofort pflanzt sich ibm der Kutscher der Gräfin Stroganowna in ven Weg. „Darja Alexandrowna schläft seit einer Stunde, Herr. Wir müssen uns ruhig halten, unv doch macht daS Gesindel solch einen Lärm. Sie fror, bi» sie rinschlief, e» ist ihr zu kalt auf Slekok." „Darja Alexandrowna", fragte Jlija Andrej, und konnte immer noch nicht begriffen. „Wir sind noch von der Beisetzung da", fuhr Griscka fort, „die Herrin Darja Alexandrowna Stroganowna wollte hier bleiben, um immer bei dem tokten Herrn beten zu können; freilich, sie bat nickt bedacht, daß eS bier so kalt ist. Natascha und Lidia Tsckierwanewna ist auch dageblieben. — Mir war daS nicht recht, ich möchte mich nicht von den Bären fressen lassen." „Warum brennt denn überall Lickt?" „Weil wir die ganze Nacht beizen müssen! Wir haben schon einen ganzen Wald in die Offen geschoben. Ich Hause in drn Stuben Nabim'S, Darja Alexanvrowna bewohnt die Gemächer des Fürsten und Livia Tsckierwanewna sitzt in den Zimmern der Sofia Andrejewna. Platz ist genug im Hause, aber überall ist eS zu kalt." „Ich wünsche nicht, daß die Damen meinetwegen gestört werden, und darum wirst Du Niemandem meine Anwesen heit melden. Ich selbst bin müde und möchte schlafen." „Wünscht der Herr Gras elwaS zu genießen? — In der Leutestube haben wir Tbee und Grog." „Nickt«", gab Jlija Andrej mit einer abwehrenden Be wegung zurück, „sorge für meine Schlittenpferde und für den Kutscher." Der Graf begab sich inS Hau» und schloß sich in seine Wobnräume^ ein. In den dunkeln kalten Zimmern ging er wohl eine Stunde hindurch auf und ab. Er wurde ruhiger, tie Stürme in seinem Innern hatten sich gelegt. Wenn e« für ihn in dieser trostlosen Nacht einen Sonnen blick gab, so war eS der Gedanke an Michael. Wie immer steht die Lampe auf seinem Schreibtische. Jlija Andrej zündet sich di« Lampe an und beainnl zu schreiben. Zuerst verfaßte er einen Brief, der seinem Bruder Michael gewivmet war. Mit kaum begreiflicher Ruhe und Klarheit schilderte er Punct für Punct die Ermordung seines Onkel» Stepan Wassilitsch. „Nicht Nabim, sondern ich bin brr Mörder!" schloß daS Schreiben, welche» mit peinlicher Sorgfalt stilisirt war. Zwei weitere Episteln richteten sich an seine Mutter Maria Feotorowna und an Sonja Petuschkiwna. Auch ibnen gestand er rückhaltlos seine Thal ein, aber mit keinem Worte sprach er von Reue, sondern behandelte den Fall als etwas, was geschehen mußte, was Fürst Noinanskoj selber berauf- beschworen. Ueberhaupt documentirten die drei Briefe das Bestreben, feinen Gemütbszustand ängstlich zu verbergen. Die Zeilen lasen sich trocken, fast raub, und nur wenn er von Nahim sprach, zuckte etwas wie wildes Weh in seinen Worten auf. Er schrieb, bis der Morgen graute. Dann couvertirte er jedes einzelne Schreiben, adressirte diese und ließ die CouvertS auf dem Schreibtisch liegen. Nun aber verlangte die Natur ihre Reckte, Jlija Andrej ließ den Kopf in den Sessel zurücksinken und schlummerte vor der trübe brennenden Lampe ein. Eine Stunde später, eS dunkelte immer noch, öffnete sich die Tbür und auf der Schwelle erschien, in einen Pelz gebüllt, Lidia Tsckierwanewna, seine Braut. Auf den Fuß spitzen kommt sie näher und als sie sich überzeugt, daß er schläft, kreuzte sie die Arme über der Brust und blickte voll Unrube und Angst den jungen Mann an, dem sie laut Beschluß ihrer Großmama angehören soll für das ganze Leben. Sie verglich dabei den Schlummernden mit Michael IaSmorin und Tbränen traten ihr in die Augen. „Niemals werbe ich eS lerne», ihn zu lieben, niemals!" flüsterte sie sich zu. Siebzehntes Capitel. Unruhig fuhr Jlija Andrej aus seinem Schlummer auf. Er bemerkte Lidia nicht gleich, sondern^ seine Blicke flogen über die auf dem Schreibtisch liegenden CouvertS, die er jetzt mit der Hand bedeckte, obne sich recht klar zu sein, warum. War e» ibm selber unangenehm, sie zu sehen, oder bereute er, was er hier niedergeschrieben? — „Guten Morgen, Jlija Andrej MatscherSkoff." Lidia streckte ibm mit diesem Gruß zugleich die kleine weiße Hand entgegen. Dieser starrte sie an und zwar mit ausgesprochenem Mißtrauen und konnte e« nickt begreifen, wie sie sich zu ihm in dieses Gemach verirren konnte. Was wollte sie, batte sie ibn im Traume belausch«? — Er zog jetzt die Hand von den Briefen zurück und rickt'te sich aus. „Die Großmama sendet mich", fuhr Lidia schüchtern und verlegen fort, „sie würde sich selbst bierher bemüht baden, aber sie fürchtet den Zug auf den Gängen. Sie findet es furchtbar kalt auf Slekok." Jlija Aiidiej sah sie schweigend an und seine Augen fragten sie, ob e» wirklich nur Das sei, waS sie bierber ge führt? Er wollte die wahren Gründe ihre« Erscheinen» kennen lernen und seine Augen fitzten darum die Fragen so lange fort, bis Lidia errölhele und eine wahre Angst sie ergriff. „Ich freue mich, «vir hier zu finden", begann er endlich, „Ich werde nachher Darja Alexandrowna begrüßen. — Ich hörte schon gestern, daß Sie nach der Beisetzung hier ge blieben sind. — Sie muffen mich entschuldigen, ich bin nicht bei gutem Wohlsein, aber daS wird sich geben, wenn ich erst ein Glas beißen Tbee getrunken habe." „Sie sehen erschreckend leidend auS — auch ist das Zimmer nicht gebeizt. Großmama erwartet, daß Sie den Tbee in ihrer Gesellschaft einnebmen. Sie glauben nicht, wie sie sich immer um Sie geängstigt hat. Sie waren spurlos verschwunden." Er stand jetzt vor Lidia und schirmte die Hand über die Augen, wie Jemand, der seine Gedanken sammeln will, dann deutete er auf einen Sessel und bat Lidia, sich niederzusetzen. „Wenn eS Ihnen angenehm ist, mein« Liebe, dann werde ick den Tbee in Ihrer Gesellschaft einnehmeu. Wir haben un» Einige- zu sagen." „Dars daS Großmama nicht wissen? Ich darf vor ihr keine Geheimnisse haben. Auch ist eS bier so kalt, und Darja Alexandrowna erwartet Sie mit Ungeduld." Wieder blickte der Graf nach seinen Briefen, dann nahm er beinahe zärtlich Liria an der Hand und nöthigte sie, sich in den angebotenen Sessel niederzulassen. „Wir haben zwei Dinge mit einander gemein, meine tbeuere Lidia Tsckierwanewna, und zwar die Sklaverei von Jugend auf und unsere Verlobungsringe. — Dabei aber be greife ich nicht, wie Sie so gut und edel bleiben konnten. Sie wurden wir eine Taube erzogen und finden e« auch ganz natürlich, daß Sie wie eine solche geschlachtet werden, ge schlachtet für die Küche der Großmama! — Wie ähnlich ist doch Darja Alexandrowna ibrem Iugendgeliebten Stepan Wassilitsch! Wenn Sie wüßten, wie ich Sie schon be klagt habe." Warum sagt er mir da«? — fragte sich Lidia und ent setzte sich vor seinem ironischen Lächeln. „In dem Augenblick, wo mein« Ketten zerrissen waren, sollen e» auch die Ihrigen sein! — Die Großmama schickt Sie zu dieser Stund« hierher und Sie folgen, trotzvem Ihr Herz vor Furcht bebt, ich sehe e- Ihnen an, dieselbe Dame legt morgen Ihr schönes kindliche« Haupt auf den Block, um es abzuschlagen und Sir murren nicht einmal! Over sie schickt, nein verkauft Sie in eine Sklaverei, in die moderne Sclaverei einer Ehe, in der Sie von einem Manne, den Sie niemals lieben können, langsam zu Tode gequält, gemartert und gefoltert werden. Und Sir sehen diesen Tod vor Augen und folgen dennoch still und stumm. Man sagt, r» giebt keinen Heroismus und keine Heiligen mebr in der Welt, die Narren, sie wollen nur nicht seben! — Hier steht Lidia Tschierwanewna, aber wo ist daS Volk, daS in Hellen Hausen herbeiströmt, um sie anzubeten, wer zeichnet sie in den Kalender em?"
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