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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961105013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896110501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896110501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-05
- Monat1896-11
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Tabellarischer uub Zisstrusap aacy höhernn Tarif. Extra »veilaaen (gesal-t), »»» mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderuu, » vO>—, mit Postdrsörderung 7V.—. Anna-meschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uh». Morge a-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» j« et», halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« aa di» Erpröttta» zu richt»». - Druck und Verlni --nn Bolz in Leipzig Donnerstag den 5. November 1896. W. Jahrgang. Kaiser und Altreichskanzler. * Wie un« der Telegraph au« Berlin meldet, veröffentlicht der „Neich-anzeiger" rin« neue, durch dir Erörterungen der Presse über die „ Bi«m arck-Enthüllungen " brrvor- grrusrnr Erklärung. Sir lautet: .Au« dem Artikel eine« hiesigen Blatte« über »Den Zweck der Enthüllungen* sind nachstehende Behauptungen iu verschiedene Zeitungen übergegangen: Sar Aieotau« ll. batte di» Absicht, während seine- Aufent halte« in Deutschland dem Fürsten Bismarck in Friedrichs- ruh einen Besuch abzustatten. Der juagr Zar hegt sllr den deutschen Staatsmann da« Erfühl aufrichtiger Verehrung und Zu neigung. Da» Vorhaben seine« Besuche« war kein Geheimniß. Der Besuch ist unterblieben auf »iur Anregung hin, die nicht von niedriger Stelle kam. Wenn der Zar auf die Erfüllung seine« Vorhaben» und Wunsche« verzichtete, so konnte e» nur geschehen sein, weil ihm von höchster Regierungsstelle der Verzicht nahe gelegt wurde. Wie wir zuverlässig erfahren, ist das auch der Fall gewesen. Wir sind zn der Erklärung ermächtigt, daß weder an allerhöchster Stelle, noch in amtlichen Kreisen von einer Absicht de« russischen Kaiser«, den Fürsten Bismarck zu besuchen, etwa« bekannt geworden ist. Die vorstehenden Angaben über die Gründe, warum der Besuch unter blieben sei, beruhen daher auf Erfindung." Diese prompte Erklärung de« „NeickSanzeigers" verdirbt jener Sorte von Hetzern, die den Fürsten Bismarck gegen den Kaiser aufreizen möchte, da» Cvncept gründlich. Der anderen Sorte, die den Fürsten beim Kaiser in da« Licht eine« rachsüchtigen Intriganten zu rücken sucht, wird e« peinlich sein, zu sehen, daß die „Hamb. Nachr." beute an der Spitze ihrer „Uebersicht der Presse" pj, s^lgend^n Sätze au« dem Leitartikel der Abend-Ausgabe de« „Leipziger Tageblattes" vom letzten Montage ciliren: „Au- diese» Auslastungen geht der Zweck der Enthüllung über das deutsch-russische „Affecuranz-Abkoinmen" klar hervor. Zunächst sollte den anläßlich de« Zarenbesuche« in Frankreich au»gestreuten unbegründeten Behauptungen über einen Schuldantheil der Regierung Kaiser Wilhelm'«!. an der Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehung der Boden entzogen und der Welt der wahre Schuldige gezeigt werden. Damit sollte zugleich La« deutsche Volk darüber aufgeklärt werde», Latz e« im Falle eines französischen Angriffskrieges eine für Deutsch, land wohlwollende Neutralität Rußlands nicht mehr zu fordern, vielmehr auf eine für Frankreich wollwollende Neutralität Ruß land« sich gefaßt zu machen habe, sofern e» nicht gelinge, Rußland zur Erneuer uog de« im Jahre 1890 vom Grafen Caprivi ab gelehnten Abkommen« zu bewegen. Die jetzige Regierung sollt» veraalaßt weroen, eine solche Erueurrung anzustreben und zu diesem Zwecke das ganz« A bkommen zu veröffent lichen, dessen Wortlaut nach der Ueberzeugung des Fürsten in Oesterreich-Ungarn und Italien jedes Mißtrauen in die Absichten Deutschland» beseitigen wird. Das Alles geht so klar aus den Auslastungen der „Hamb. Nachr." hervor. Laß man beim besten Willen nicht begreift, wie noch Fragen über Len Zweck der Enthüllung in der deutschen Presse laut werden können." Wir glauben nicht, daß wir unsere Leser auf die Be deutung der Hervorhebung gerade Vieser unserer AuS- sührungen durch das Organ deS Fürsten besonder« aufmerk sam zu machen brauchen, und lassen sogleich zwei wichtige Telegramme folgen, die un« soeben zuzehen: Wien, 3. November. (Telegramm der „Allgem. Ztg.") Wie von zuverlässiger Seite verlautet, darf die Annahme als au«, geschlossen gelten, daß dir österreichische Regierung erst auS den „Hamburger Nachrichten" von der deutsch-russi schen Abmachung Kenntniß erhalten habe. Sonach konnte das Wiener Auswärtige Amt auch von den E thiillungen nickt so überrascht fein, wie die öffentliche Meinung. Nicht die Thatsache d.S Vertrags, sondern ihre Bekanntgabe Lurch das Hamburger Blatt soll hier an amtlicher Stelle verstimmt haben. Wie», 4. November. (Tel. d. „Bost. Ztg.") Die „N. Fr. Pr." erzählt zur Vorgeschichte des deutsch.russischen Ab- kommen«: Ein hoher Russendiplomat äußerte Mitt» der siebziger Jahre in einem Gespräch mit einem hohen deutschen StaotSmanne, Rußland sei unruhig, habe zwanzig Jahre Frieden gehabt, seine Armee verlange Beschäftigung. Das Bedürfniß nach Orden und Avancements erheische irgend welche kriegerische Unternehmungen. Einige Zeit später erhielt Bismarck nach Barzin ein eigenhändiges Schreiben des damaligen Zaren au» der Krim, worm dir directe Anfrage gestellt war, ob Deutschland ruhig bleiben würde, wenn Rußland Oesterreich in Galizien angreifr. BiSmarck antwortete nicht, sondern schickt» da« -schreiben dem Kaiser Wilhelm mit entsprechendem Begleitschreiben rin. Inzwischen lies bereits eine zweite russische Anfrage, durch den damaligen deutschen Bot schafter übermittelt, ein. Dieser Umstand veranlaßte Bismarck, nochmals an den Kaiser zu schreiben und ihn zu bitten, den Bot schafter abzuberusen, da dieser offenbar zu frieden-gefährlichen Machenschaften mißbraucht werde. Ter Erfolg dieser fried liebenden Haltung der deutschen Politik russischen Zu- muthungen gegenüber bestand darin, daß der Angriff auf Oester- rfeich unterblieb. Da aber da- russische Bedürsniß nach Krieg sortbestand, wendete man sich in Petersburg nunmehr an Oester reich und schloß mit diesem einen Vertrag, auf Grund besten da- russische Kriegswetter über dir Türken sich entlud. Rußland mach tebei dem damal- mit Oesterreich geschlossenen Reichenberger Vertrage zur Bedingung, daß er vor Deutschland geheim gehalten werde. Oesterreich hat ihn jedoch nach Berlin mitgrtheilt, nachdem zu seiarr Kenntniß gelaugt war, daß der früher geplante russische Einfall in Galizien durch die pflichtbewußte Treue verhütet war, die Deutschland beiden befreundeten Kaiserreichen erwiesen hatte. Man verspreche sich in unterrichteten Kreisen von den Hamburg-Wiener Veröffentlichungen einen Nutzen nach verschiedenen Richtungen. Zunächst komme der Eindruck in Betracht, Len sie und ihre laute Besprechung in der europäischen Presse auf den Zaren, der sehr viel liest, machen muß; Aehnliches bleibe bezüglich des deutschen Kaisers abzuwarten. Der Eindruck sei auf beiden Seiten stark. Mau nimmt an, daß die Einwirkung zur Wiederannäherung der Kaisermächte führen werde. Besonder« aus der letzteren Depesche werden jene ge hässigen und kurzsichtigen Beurtbeiler BiSmarck's, die ihm gleich der „Köln. Zeitung" die Anstrebung „hochragender politischer Ziele" nicht mehr zutrauen, ihres Jrrlbums überführt werden uno überdies erkennen, daß der größte Diplomat unseres Jahrhunderts die Mittel genau kennt, durch welche die anfängliche Verstimmung in Oesterreich - Ungarn in das Gegenlh.'il verkehr! werden kann. Erkennt man aber dort die Gründe, die den Fürsten BiSmarck zum Abschluß des Assecuranz-AbkommenS mit Rußland trieben, und den emi nenlen Fnedenszweck seiner Enthüllungen an, so fällt auch die größte Schwierigkeit hinweg, die einer vom Kaiser offen kundig erstrebten Wiederannäherung der drei Katsermachle noch >m Wege steht. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. November. Den Verehrern des Fürsten BiSmarck wird e« von Interesse sein, au» dem nachfolgenden Schreiben, da« unS mit Erlaudniß Sr. Durchlaucht zur Verfügung gestellt worden ist, zu ersehen, mit wie lebhafter Theitnahme der greise Staatsmann noch die neueren Er scheinungen der historischen Literatur versolgt: Seiner Hochwohlgeboren Herrn Professor vr. Kaemmel, Director de« Nicolai-Gymnasiums — Leipzig. FriedrichSruh, den 24. Ocwber 1896. Geehrter Herr Director. Für die freundliche Zusendung de« Werdegangs sde« deutschen VolkeSj und deS neuen Bande« der (Illustrierens Weltgeschichte sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank, und werde beide Werke mit dem Interesse einsehen, welche die Lectüre Ihrer früheren Schriften mir erweckt bat. Bei flüchtiger Durchsicht de« illustrirten Buch« wiederholt sich mein früherer Eindruck, daß durch die bildliche und kartographische Darstellung der geschichtlichen Existenzen und Grenzen die historische Anschaulichkeit der Vergangenheit ge steigert wird und sich fester rinprägt. Ich freue mich der Entwicklung dieser Art der Ausstattung und der ihr dienenden Forschung in Archiven und Museen. Die« trifft besonders bei den Karten zu. Mir zeigten sich Zustände von anno 500 oder 1500 schärfer in der Illustration wie durchs Lesen, und die kartographische Anschauung ist in dieser Hinsicht besser und dauerhafter wie die mittelst Wort und Druckerschwärze. Ich höre mit Freude, daß in den Schulen auf die Lehrmittel der Anschauung jetzt mehr Gewicht gelegt wird. In angenehmer Erinnerung an Ihren Besuch in Varzin bin ich (gez.) der Ihrige v. BiSmarck. 6.11. Berlin, 4. November. Die Durchführung der gewerblichen Sonntagsruhe ist bekanntlich seiner Zeit in Versammlungen, in Eingaben an den Reichstag und in diesem sebst als schwer möglich bezeichnet worden. Hvch- inieressant ist es deshalb, zu erfahren, wie die amtlichen Berichte aller deutschen Gewerbe-Aufsichtsbeamten sich über den Gegenstand auslassen; unseres Wissens ist es die erste Berichterstattung hierüber. Wie die meisten Berichte bervorheben, waren die Aufsichtsbeamten bemüht, durch häufige Rücksprachen mit den einzelnen Unternehmern, durch Vorträge, Zusammenstellung und Verbreitung von Broschüren Über die einschlägigen Bestimmungen und in anderer geeigneter Weise das beim Inkrafttreten der Bestimmungen über die gewerbliche Sonntagsruhe noch vielfach mangel hafte Verständniß derselben zu fördern. Die Berichte beben dann in ihrer überwältigenden Mehrzahl hervor, daß die gesetzlichen Bestimmungen über die gewerbliche Sonntagsruhe am Schluß deS Berichtsjahres im Großen und Ganzen durchgeführt waren und daß dies ohne erhebliche Nachkbeile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich gewesen ist. Vielfach batten die schon bestehende Gepflogenheit, Sonntagsarbeilen auf daS äußerst notbwendigc Maß zu beschränken, und vorder erlassene Polizeiverorknungen über die Beschränkung der SonnlagSarbeil der Durchführung der neuen Bestimmungen die Wege geebnet. In mehreren Bezirken sind die Aussicktsbeannen bei der Kürze der Zeit, die seit E nfiibrung der neuen Bestimmungen verflossen ist, zu einem abschließenden Urtbeil über die Durchführung und die Wirkungen der gewerblichen Sonntagsruhe noch nicht gekommen. Wenn auch wiederholt Klagen der Arbeiter über die ihnen durch die Einführung der Sonntagsruhe entstandenen LobnauSfälle berichtet werden, so hat doch nach dem Urtheil der Auft'icbtsbeamten die Arbeiterschaft überwiegend die Sonn tagsruhe dankbar begrüßt. Auch die in weiten Kreisen der Unternehmer anfänglich bestehende Abneigung ist mehr und mehr geschwunden; es ist wiederholt die Meinung der Arbeitgeber zu Tage getreten, daß die geringen Belästigungen und der Zwang, die mit der Erjüüung der Vorschriften ver bunden seien, sich mit Rücksicht auf den guten Zweck der Vorschriften wohl ertragen ließen. tt Berlin, 4. November. Wie schon gemeldet, hat das Reichs-Versicherungsamt i» letzter Zeit auch Gelegenheit Feirillrtsn. Luther un- seine Geschwindschreiber- Bon vr. Fritz Specht (Lharlottenburg). Nachdruck »eriotm. Unsere Zeit hat keine Zeit mehr. Wir leben im Zeit alter deS Verkehrs. Dieser Satz trifft nicht nur auf den geschäftlichen Verkehr zu, den alle künstlichen Schranken nicht auf den Raum zwischen den Grrnzpsähleu «ine« Lande« ein- zuenzen vermögen, sonder» in gleichem Grade auf de» Gebaukenvrrkehr. Zwingen doch allein die Zeitungen schon den im öffentlichen Leben ver Gegenwart Stehenden, unendlich mehr zu lesen, zu denken und z« bebalten, al« unsere Groß väter genöthigt waren. Da hat der Mann, der an hervor ragender Stelle steht, nickk mehr die Zeit, so langsam zu schreiben wie früher, za vielleicht gar keine Zeit dazu. Aber er braucht e« auch nicht. Nicht blo« dem Geschäftsverkehr sind schnelle und zuverlässige Betriebsmittel erfunden worden, nein, al« unser Jahrhundert anhub, mit dem Dampft zu fahren, mit der Sonne zu zeichnen und dem Blitze zu schreiben, da wurde auw der zeitersparenbe Vermittler zwischen Wort und Schrift, zwischen Sprecher und Publicum geboren, der modern« Stenograph, diese geistige Maschine, deren halb maschinelle, halb intellectuelle Tbärigkeit e« ist, in derselben Secund« zu hören, zu verstehen und in Zeichen da« Gehörte zu übertragen und niederzuschreiben. Wie sicher und zuverlässig ein gute« Exemplar diese« modernen GrdankenbrsorderungSmittel« arbeitet, ist so all gemein bekannt und anerkannt, daß nicht blo« Hohr Beamte, wie unser Finanzmioistrr Vr. Miquel, nicht blo« Parla mentarier und Journalisten die Stenographie nicht mehr entbehren möchten, sondern auch Dichter und Männer der strengen Wissenschaft sich vom Stenographen ihre Arbeits kraft vervielfältigen lassen. Ich führe z. B. au, daß der Mrdiciner Rudolph Virchow da- Werk, da« ihn mit einem Schlage unter die Fürsten der Wisseuschaft einreihte, seine Cellularpatbologie nach dem Stenogramm eine« damit de- auflragteu Hörer« seine« Eolleg« hrrauSaab. Ja, der heutige Schriftsteller hat e« gut, dir Qual de« Schreibeu« kan» er sich ersparen. Ader e« war nicht immer so. Ein halbe« Jahrtausend ist e« der, da begann eia fieberhafter Aufschwung der geistigen Tbätigkeit, wie er vordem nie erhört war und den wir nur mit dem gewerblichen Ausschwuna unsere« Jahrhundert« in seiner da- gesammte bürgerliche Leben umgestalteoden Weise vergleichen können. Die Entdeckungen und Erfindungen häuften sich, und es erstand der Mann, der seiner Kirche nicht blo« die drutsck»e Bibel in die Hand gegeben und zum Eentrum seiner Theologie gemacht bat, sondern auch di« deutsche Predigt und den Kirchengesang auf sie neu begründet hat. Durch ihn und seine Mitstreiter wurde die Umvrrsttät Wittenberg de» geistige Mittelpunkt Deutschland«. Dorthin strömten alte und junge Studirende. Ihr Bestreben mußte sein, möglichst viel Frllcbte von ihrem Wittenberger Aufenthalt mit beim zu bringen, die Worte der Meister möglichst alle schwarz auf weiß nach Hause zu tragen. Da« hatte aber, trotzdem Wittenberg die Hauptpflegrstätt« de« »behende Aufzeichneo«" war, damal« seine Schwierigkeiten. Bei den akademischen Borträgen Luther'« ging e« noch leidlich. Wie manche der modernen Professoren — ich er innere z. B. an den jetzt im Ruhestand lebenden Philosophen Eduard Zeller — am Schluffe einer länger entwickelten, freigesprocbene» Gebankenreibe den Inhalt in wenigen Worten zusammenfaffen und dem Gtubirenden dictiren, so thal auch Luther, lleberbie« pflegte er sich bei seinen akademischen Vorträgen der lateinischen Sprache zu bediene», nur baß ihm bei dem Eifer, mit dem er sich an DociordiSputationen zu betdeiligen pflegte, mitten im lateinischen Redefluß ab und ZU deutschr Ausdrücke und Wendungen entschlüpften. Die Sprache der Gelehrten war da« Latein noch immer. In ihm verstanden sie sich geläufig zu bewegen. Die Nieder schrift de« Latein zu erleichtern, war man seit Erfi idung ter „lironischen Noten" fortgesetzt bestrebt gewesen; „Signa Charactere« und Abbreviaturen", die da» ermöglichten, hallen sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. Sir bestände» in willkürlich gewählten Zeichen für ganz« Worte, Verein fachungen und Verschlingungen von Buchstaben und der Unterdrückung von Wortbestandtheilrn, deren Fehlen durch ein angebrachte« Zeichen angedeutet wurde. Diese Hilf»- mittel waren primitiv; sie Haden sich aber tbeilweije bi« deute erhalten. Im Laufe der Jahrhunderte batte sich an den Hochschulen ein ziemlich fester Stamm solcher Schreib erleichterungen eingenistrt, den der befähigte Studirende nach eigenem Geschmack und Vermögen ergänzte. Wer ver traut mit diesem Kürzung«weseu gute Auffasiung-gabe und Fiagerfertigkeir besaß, der konnte wohl den Gedaukengaug eine« lateinischen Vorträge« unter Bewahrnng einzelner wörtlicher Wendungen so aufzeichnen, daß da« Ganz« den Eindruck großer Treue hrrvordrachle. Schwieriger gestaltete sich da» Nachschreiben der Predigten; in der Kirche redete der Rrformalor selten lateinisch. Dem Nawschreider bot der deutsche Vortrag gegenüber dem lateinischen große Unbequemlichkeiten. Die deutsche Sprache schleppt sich mit Artikeln und Für- und HilfSwörtern, die da- Latein verschmäht, die deutsche Orthographie mit einer Menge überflüssiger Buchstaben. Die Ungewandtheit und Unbeweglichkeit der damaligen Gelehrten im deutschen Aus druck erhöhte die Pein de« Nachschreibens. So halfen sich die Nachschreiber lieber in der Weise, baß sie von dem deutsch Gehörten die Hauptsache im Kopse al«bald in« Lateinische übertrugen und nun iu dem ibaen geläufige» und durch viele Abkürzungen schneller fixirbare» Latein zu Papier brachten. Nur wo deutsche Wendungen besonder« treffend waren oder die Eile e« nicht erlaubte, wurde da« deutsche Schriftbild beibebalten. Wa« dabei heraus kam, ist leicht auszurechnen. Un« siud eine Reih« solcher Nachschriften erhalten. Um dem Leser ein, wenn auch sehr dürftige« Bild davon zu geben, lasse ich in wort- und zeilengetreuer Umschrift ein Stück eine« Eodexin der Zwickauer RatbSschulbibliotbek folgen, der von dem Zwickauer Kämmerer und Stadtschulinspeetor Roth herrübrt: „ ... E« muß vor versucht werden, ckeincks veult Trost. 1t» üc ein christlich Kirch ouß den 2 Weibern. Die 2 Moide muißen auch her, urraque siizniLcar äußerlich Mensch gar miteinander. Ouro «lebet parcrs zpiritm. Die Frauen musßru Neider haben. Omnes " Die« gräuliche Kauderwelsch stellt nicht- Andere« dar, al« ein Stück Originalnachschrift einer deutschen Predigt, die Vr. Martin Luther in Wittenberg am Sonntag Judica lS24 über da« Sl. Eapilel de« 1. Buche« Mose« gehalten bat. Noch andere Geschwindschreiber baden sich au derselben Predigt versucht. Nach dem Wittenberger Diakonn« Georg Rörer lautete die 2. bi« 5. Zeile de« oben gedruckten: ,Lic er äuudus uroridus üt »»» eccloeiu. musßen auch her. Lat ertcr»»» amor. Paulus: Unser Fleisch und Blut sol gehorsam se,n." Und auch diesem wurde von seinem bewundernden Zeit genossen das Zeugniß ausgestellt, daß er Reden „Wort für Wort" auszeichne. Lutber selbst war von dieser „wörtlichen Wiedergabe" seiner Reden ebensowenig erbaut, wie manche unserer heutigen Parlameotarier. Ader während diese dem Stenographen e« nicht verzeihen mögen, daß seine Aufzeichnungen nicht da enthalten, wa« sie gern gesagt haben möchten, so hatte der große Reformator Grund zu der Klage, man „verhümpele ibm seine Predigten, daß er sie selber nicht versiebe". Sein Unmuth wurde noch dadurch gesteigert, daß manche dieser Schnellschreider im Solde von Buchhändlern standen und ohne sein Wissen seine Predigten und Reden auf Grund ihrer mangelhaften Nachschriften in den sogenannten Raub drucken Herausgaben. Bei feiner Ueberbürdung mit Schreibwerk waren ihm freilich di« „behende Auszeichnrr" a-legentlick, ganz scdätzens- wertbe Gehilfen. So hatte er auf Veranlassung Friedrich'« de- Weisen eine Postille (Predigtsammluug) für alle Sonn tag« de« Jahre- begonnen. Zu ihrer Vollendung zog er „seinen lieben Freund Magister Stephan Rodt" und später seinen Schüler Caspar Cruciger heran, die — beide be rühmte Geschwindschreiber — nach ihre» und fremden Auf zeichnungen sich de« Werke« annahmen. Die „Wörtlichkeit" dürfte allerdings zu wünschen übrig gelassen habe». Aeußerl« doch Luther später den Wunsch, da« ganze Buch möchte au« der Welt vrr,chwinden und in besserer Gestalt wievergedruckl werden. Mitbestimmend mag hierbei die Erkenntniß gewesen sein, die Lutber in die Worte kleidet: „E« ist ein groß Umerschryd, etwa« mit lebendiger Stymme odder mit todter Schrift an Tag zu bringen»." Deshalb arbeitete er bei genügender Muße seine Predigten, wenn er sie drucken lassen wollte, zu volkethümlichen Abhandlungen au«. Ueber dir Technik dieser Vorläufer der Stenographen werden wir — abgesehen von den Originalnachschriften — durch einen Brief de« kursächsischen Kanzleischreiber« Nikvlau« Güntber an Stephan Roch, der mit Erläuterungen und einem Elich« au« der Eingang« erwähnten Handschrift vom Weimarer Archivar vr. Mitzschke im „Archiv für Stenographie" 1894 veröffentlicht worden ist. Güntbern war nämlich der Auftrag geworden, beim Religionsgespräch zu Worm« vom Herbst 1540, die „muntlichen Reden gegeneinauder von Wort zu Wort auszuzeichnen". Nun hatte der gute Günther in seiner Kanzlei zwar manche« Schriftstück mit der üblichen Bedächtig keit abgesaßt, auch al- Protokollführer „die Meinung mit wenig gemeinen Worten" leiblich wiedergegeben, d. h. den Sinn m ter Kurrentschrift kurz niedergeschrirbro, aber sich bisher noch nicht in der „Behendigkeit" versucht, „alle Worte zu behalten" (sestzuhalten). So bittet er den hierin erfahrenen Roth um einen Schnrllcursu» in dieser Fertigkeit. Aber das Erlernen dieser Kunst erforderte „Mühe und Arbeit" und Beweglichkeit de« Hirn« und der Hände; einem Manne in reiferen Jahren kam e« schwer an, die Sache „in Uebung zn bringen" ganz wie bei der heutigen Stenographie. So bat auf jenem NeligionSgeipräch zwar Cruciger durch seine Schreibaeschwindigkeit die Mitwelt, insonderheit den Cardinal Gcanvelli, in Staunen gesetzt; Günther scheint aber auf den Auftrag verzichtet zu haben. In Viesen Verhältnissen liegt die Erklärung für daS wunderliche Kauderwelsch dieser Nachschriften und zugleich der Beweis, daß von einer wortgetreuen Auszeichnung dieser Predigten, wie man sie vom modernen Stenographen ver langt, nicht die Rede sein kann. Diese Stenogramme be durften erst einer Rückübersetzung au« dem Lateinischen, die den ursprünglichen deutschen AuSbruck natürlich nm so leichter und sicherer wiebertraf, je besser da« Gedäcbtniß eeö Schreiber« und je kürzer die Zeil war, die seit dem Hören verflossen war. Wo so viele Worte unter den Tisch des Stenographen sielen, war eifrige Ausfüllung der Lücken unverlaßlich, die je nach der größeren oder geringeren Be wrzlichkrit de« Schreiber« recht verschieden auSfiel. Schwellte doch der Verebter Luther'«, Andrea« Poach, eine einzige Predigt Luther'« in seinem Uebereifer auf 60 Druckseiten an. Die selbstständigen Geister unter Luther'« Geschwind schreibern stellten sich zu ihrem Original überdies tbeilweisc kritisch. So billigte der rubig« Roth nicht überall Luther'S scharf zugelpitzren Arußerungen und legteßbiSweilen die Feder einsach bei Seite, „bi« Luther seinen überschäumeoden Eifer gemäßigt hatte". Gewissenhaft bemerkt er die« in seinen Nachschriften. Wer diese Thatsachen kennt, wird sich nicht mehr wundern, bekommt er die große Weimarer Lnther- auSgabe in die Hand und siebt im 14. Band die verschiedenen Fassungen von ein und derselben Predigt Luther « synoptisch in stattlicher Reihe neben einander, der wird aber auch den alten Grschwiavschreibern keinen Borwurf machen. Sic leisteten, was sie mit ibren unvollkommenen Hilfsmitteln leisten konnten, und ohne ihre Anstrengungen würden.wir un« vom gesprochenen Worte Luther'S heule schwerlich eiue Vorstellung machen könne».
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