02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961107026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896110702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896110702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
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Volz in Leipzig ^nnalimeschlnk fnr Alyri-ein Ab end.Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. vtorgea-Ausgabe: Aachmlttng« «Uhr Vei den Filialen and Annahmestellen ft elu» halbe Stund« früher. Anzeigen stad stet« au die vtßkdittt» t« richte» Extra-Beilagen (gefalzt), nur Nit der WtoratN-Aurgadl, ohne PastbeslirVerunU ^l »O>—mit PostbrfSrderNng ^l 7L—. A«zeige«'Prei- di« tzßrspaltrn« Pttitzeilt IE Pftz» ßierlaMrn unter dem Aedactionsstrich (hße- spalten) 50/4, vor den Familiennachrichtra (8 gespalten) 40^. «ach Höher«« LaM 588. Sonn<»beud den 7. November 1896. so. Jahrgang. PoMche Tagesschau. * Leipzig, 7. November. Daß die Enthüllungen der „Hamb. Nachr " dir Beziehungen der jetzt die Zügel der deutschen Politik führenden Staats männer za den Regierungen der übrigen europäischen Staaten — Frankreich und England eingeschlofsen — nicht im Mindesten verschlechtert haben, ist eine Thatsache, die selbst die verbissensten Gegner des Fürsten BiSmarck nicht mehr zu leugnen wagen dürfen; denn in den Cbor der officiösen auswärtigen Stimmen, der noch dem Enthüller deö im Jahre 1884 zwischen Deutschland und Rußland abgeschlossenen Assecuranz-AbkommenS grollt, mischt sich nicht eine, die diesen Groll auf den Fürsten Hohenlohe überträgt. Daß durch die Enthüllungen dem deutschen Volke ein Nachtbeil im Innern entstanden sei, daS zu behaupten, hat gleichfalls keiner dieser Gegner mehr den Muth; denn eS liegt zu klar auf der Hand, daß eS besser für uns ist, wenn wir wissen, daß wir im Falle eines französischen Angriffs eine woblwollende Neutralität Rußlands nicht mehr zu fordern Haden, als wenn wir darüber im Ungewissen uns befinden. Daß endlich Fürst Bismarck kein StaatS- geheimniß preisgegeben hat, das ihm als solches bekannt ge worden war, ist seinen Feinden allmälig ebenfalls klar geworden. Sie weisen selbst darauf hin, daß er daS „Geheimniß" der Nichterneuerung jenes Abkommens nur von einem der damals die Verhandlungen führenden Diplomaten erfahren haben kann. Mag nun sein Gewährsmann ein Deutscker oder ein Russe gewesen sein, jedenfalls hat er nicht binzugefügt, daß er ein streng zu wahrende« StaatSgeheimniß wider seine Amtspflicht auSplaudere. Und wurde dem Fürsten die Mil theilung über daS Scheitern der ErneuerungSverbandlungen nicht alS streng zu wahrendes StaatSgeheimniß anvertraut, so mußte der Fürst annehmen, daß die Staatsmänner, die daS Afsecuranz - Abkommen fallen ließen und dieses Fallen lassen zur Kenntniß deS VaterS des Abkommens gelangen ließen, auch keinen Werth mehr auf die Geheimhaltung de» Abkommen» selbst legten, über das übrigens schon im Jahre 1884 der Londoner „Standard", jedenfalls auf Grund russischer Eröffnungen, Mittheilungen gemacht hatte. Wissen nun aber die BiSmarckhetzer, daß der Fürst mit seinen Enthüllungen weder die Beziehungen der jetzigen Lenker der deutschen Politik zu den auswärtigen Regierungen verschlechtert, noch dem deutschen Volke eine ihm schädliche Mittheilung gemacht, noch endlich ein ihm als solche» anvertrautes StaatSgeheimniß verratben hat, so drängt sich gebieterisch die Frage auf, welchen Zweck die wüste Bismarckbetze verfolgt, die in Folge der Enthüllungen in Scene gesetzt wird. Der „Schwäb. Merk." beantwortet sich die Frage folgendermaßen: „Den heißen Rachedurst zu stillen, ist natürlich Allen, die jene Hetze vollsühren, eine Wonne, aber r» ist doch nur für dir Weingstrn der einzige oder auch nur der hauptsächlichste Zweck; höchstens der demokratische oder freisinnige Philister ist damit zufrieden. Woraus es den Sociatdemokraten ankommt, braucht kaum erst gesagt zu werden. Den Begründer des deutschen Reich», den erfolgreichen Befestige! der monarchischen StaatSanjchauung, den scharfblickenden und unerschrockenen Bertheidiger der bestehenden tLesellschastsordnung ungestraft in den niedrigsten Ausdrücken be schimpfen zu können, da» ist sicherlich «Ine ungleich wirk samere Handhabe zur Untergrabung und Auflösung de« Staatsgesüges, alS alle die abgedroschenen Marxi stischen Declamattonen zusammengrnommrn. Was auf diese Weife erreicht wird, kann erst die Zukunft lehren. Von unmittelbarer politischer Bedeutung aber ist der Plan der Centrum »Politiker. Sie glauben den Zeitpunkt gekommen, mit dem ganzen „BtSMarck'schen Regierungssyslem" den „KehrauS" machen zu können. An Stelle der „UnterdrückungSvolitik" des ersten Reichskanzlers soll »lne andere treten, welche alle Deutschen zu einem „einigen Volk von Brüdern" macht, die „in keiner Notb sich trennen und Gefahr". Man könnte auf den ersten Blick einigermaßen zweifelhaft sein, was unter dem Bismarck'fchrn RegierunoSsystem, das jetzt Mit Stumps und Stil ausgerottet, werden soll, zu verstehen sei. Seit dem Sturze des ersten Kanzler« sind 6'/., Jahre vergangen, Graf Caprivi steht nicht in dem Rufe, die Regierungsweise seines Vorgänger- ängstlich nachgeahmt zu haben, und Fürst Hohenlohe wiederum geht auch seine eigenen Wege. Welches ist das „Bismarckische" an den heutigen Zuständen, wogegen das Lentrum zu Felde zieht? Nichts Anderes, als daß sie noch immer nicht in allen Puncten auf den Ton des ultramontanen Instruments gestimmt sind. Z. B. die Polenpolitikl Warum bat sich die Regierung nicht längst von jenem Geiste losgesagt, der die Polen mit Mißtrauen beobachtet und sie dadurch, ganz gegen ihre loyalen Absichten, zu einer nationalen Opposition heraussordert? Hätte man den Rath deS Centrum» befolgt, jo herrschte in unseren polnischen Landestheilen tiefer Friede. Es ist ja so ungeheuer einfach, dort Wandel zu schaffen. Man braucht nur an Stelle der deutschen Verwaltungsbeamten polnische zu setzen, und Alles ist in Ordnung! Nach demselben Recept ist der ewige Frieden mit dem Eentrum oder mit der von demselben vertretenen Hierarchie im Handumdrehen zu haben, sobald der Staat endlich ein Einsehen hat und alle ultramontanen Forderungen als berechtigt anerkennt. Geschieht dies, dann ist der letzte Rest des Bismarck- scheu Regierungssystems verschwunden, und bas „einige Volk von Brüdern" fertig. Das ungefähr ist Las Leitmotiv, welches heute, wenn auch unter allerlei Beiwerk, noch mehr oder weniger versteckt, aus dem ganzen klerikalen Preßorchester herauslönt. Aber haben wir das hohe Lied von der auf Len Trümmern der Aera Bis marck hereinbrechenden neuen Zeit vor 6'/, Jahren nicht schon einmal gehört? Ja, es will uns scheinen, als hätte damal-, in Len wonnigen Frühlingstagen von 1890, der hosfnungs- srohe Sang noch viel zuversichtlicher geklungen. Und was geschah, al« man an die Verwirklichung der schönen Träume ging? Die preußische Bolk-schulvorlage, die recht eigentlich ersonnen war, um das Centrum zu befriedigen, mußte ausgegeben werden, weil sich herausstellte, daß ihre Annahme den Feuerbrand in die Nation geschleudert und der Regierung diejenigen Volkslheile, auf deren opferfreudige Mit wirkung die ganze moderne Staatsentwicklung gestützt ist, ent fremden würde. Und wie wenig die andauernde Mitwirkung dieser Volkslheile entbehrt werden konnte, das sollte der Regierung alsbald bei der Heeressrag« von 1893 klar werden. Es ist kein Zweifel, daß Gras Caprivi auf dir Zustimmung des Centrums zu derselben gerechnet halte. Im entscheidenden Augenblicke aber erklärte Vr. Lieber, daß die Einigkeit des Centrums für Deutsch land von größerem Werihe sei, al« das Zustandekommen der Militairvorlage, und das Centrum stimmte gegen dieselbe. So versteht die ultramontane Partei da» „in keiner Noth sich trennen und Gefahr". Man wird doch nicht umhm können, sich dieser Vorgänge zu erinnern, ehe man sich daran macht, Arm in Arm mit dem Lentrum daS „Volk von Brüdern" herzustellen. Dem Lentrum ist der Kamm in dieser letzten Zeit gewaltig geschwollen, sein« Pr«ss« grberbet sich, al- sei ihm di« Regierung auf Gnade und Ungnade in die Hand gegeben. Der Uebermuth geht jo weit, daß man dem Kaiser mit Bezug nahme auf sein bekauntr» Entrüstungstrlegramm über die Versagung d«r Bismarckehrung zu verstrhen giebt, er werde dem Lentrum nunmehr wohl noch nachträglich Lomplimente für den 23. Mär» 1895 machen. Ob derartige Zudringlichkeiten d«n Einfluß deS Centrums zu fördern geeignet sind, ist hi«r nicht zu rntscheiden. SS genüg», gezeigt zu haben, wie man die durch den Zwischenfall der „Enthüllungen" geschaffene Lage für die Be- festigung der Herrschaft der Ultramoatauen in Deutschland auszunützen gedenkt." Vielleicht geht selbst der „Köln. Ztg.", trotz der un heilbaren Blindheit, mit der sie jetzt geschlagen zu fein scheint, noch ein Licht darüber auf, wessen Geschäfte sie mit ihren bald klobigen, bald winselnden Angriffen aus den „Enthüller" besorgen Hilst. Einstweilen darf sie dir Nase noch Köber heben in dem stolzen Bewußtsein, in treuer BundeSgenosseiischaft mit Social- und ordinären Demokraten, Ultramontanen und Polen bas Ansehen Deutschlands im Auslands schwer geschädigt zu haben, besonders in der Schweiz, wo die „N. Zür. Ztg." mit berechtigtem Abscheu folgende Bemerkungen eine» deutschen Blattes ab druckt: „Bismarck hat kein physisches Recht auf ein seelen- und geistessrisches Alter, wie Gladstone und Moltke. Körper undNerven sind zermorscht unter den tückischen Einflüssen eines unregelmäßigen und unhygieinischen Lebens, so daß es natürlicher und gerechter ist, die Be dingung für solche Unbegreiflichkeiten, wie die letzte Ent hüllung, in feinem greisenhaft verfallenen Gehirn, als in ständigen moralischen Perversitäten zu suchen." Es wäre Schade, so bemerkt das schweizerische Blatt dazu, wenn solche Dinge nicht die allerweiteste Verbreitung fänden. „Sir sind — für Deutschland — ein Zeichen derZeit, wie eS schrecklicher nicht gedacht werden kann." In zwei hessischen Wahlkreisen, in (Kirsten und in Mainz-Oppenheim, haben vorgestern ReickStagSersatz- wahlen statlgefunden. Gießen war, wie bekannt, durch den Antisemiten Köhler, Mainz durch den Sooaldemokraten Joest vertreten. In beiden Wahlkreisen entschied erst die Stichwahl; auch diesmal wirb eine solche hier wie dort über den Besitz deS Mandats zu entscheiden haben. Wie schon bei den Wahlen de» Jahres 1893 sich zeigte, haben beide Wahlkreise mit einander gemein, daß infolge einer bei spiellosen Unterwühluug die Gegensätze auf daS Schroffste zuHespitzt sind und somit die Agitation, welche mit den gröbsten Mitteln operirt, auch die besten Aussichten auf den Erfolg hat. Und hierin bat sich seither offenbar nichts gebessert. In Gießen wurden 1893 im ersten Wabl- gang 4300 nationalliberale, 5606 antisemitische und 1883 freisinnige Stimmen abgegeben. In der Stichwahl gaben dann 2852 Socialdemokraten dem Antisemiten daS Mandat. Die abschließenden Zahlen über den AuSgang des diesmaligen Wahlgangs liegen noch nicht soweit vor, um sie zuverlässig dem Ergebniß von 1893 gegenüber zu stellen. In Mainz-Oppenheim waren im Jahre 1893 8965 Stimmen auf den Socialdemokraten gefallen, 5269 auf den Nationalliberalen, der somit nur rund um 100 Stimmen dem Centrumscandidaten voraus gekommen war. Dazu brachte die Süddeutsche Volkspartei 2000 Stimmen auf. Bei der Stichwahl blieben 3000 VolkSpartriler und Centrumswähler zu Hause. So siegte denn mit 10 684 Stimmen „Genosse" Joest, Dank seiner „persönlichen Beliebt heit", über den nationalliberalen Candidalen, der 8199 Stimmen erhielt. 35 Proc. der Wäbler hatten damals ihre Wahlpflicht gröblich vernachlässigt. Diesmal ist die Mißachtung der Wahlpflicht noch größer gewesen. Nach den bisherigen Mittheilungen — die abschließenden und amtlichen Zahlen liegen unS auch hier noch nicht vor, — haben sich bei dem diesmaligen Wahl gange noch weniger Wähler betheiligt, als 1893 bei der Stichwahl. Von mehr als 30 000 Wahl berechtigten haben mindestens 12 000 keinen Wahlzettel ab gegeben. Der CentrumScandidat, Rechtsanwalt Schmitt, wird mit dem Socialdemokraten vr. David in die Stich wahl kommen. Die Entscheidung steht bei den National liberalen. Da sie dem Socialdemokraten gegenüber schwer lich daS Beispiel deS Centrum» vom Jahre 1893 nachahmen werden, wird Mainz füt dkl» Rest der Session voraussichtlich im Reichstage nicht socialdemokratisch vertreten sein. Die Spaltung in der liberalen Partei Oesterreichs ist nunmehr vollzogene Thatsache. Wir erhalten folgende Meldtlng: * Wien, 6. November. Nach einem ausgegebrnrn Communiquö versammelte sich heute Abend eine Reihe von Mitgliedern dec Vereinigten deutschen Linken »nd beschloß, an» dem Club der deutschen Linken au-zutreten. 85 deutsch böhmische und 2 mährische Abgeordnete sind darauf au-gelrettn. Außerdem haben 2 kärnthnrrische Abgeordnete ihren Austritt au» der Partei schriftlich angezeigt. Die versammelten beschlossen sodann, einen freien Verband unter der Führung de« Ab geordneten Vr. Friedrich Nitfche zu bilden. Vorbereitet war der Austritt schon geraume Zeit, da man in Deutsckböbmen erkannt batte, daß der österreichische Libera lismus abgewirths taflet hat. Zuletzt waren dir Führer fast von aller Gefolgschaft verlassen. Der Grund der Fahnen flucht der Bevölkerung liegt auf der Hand. Seit Jahren ist die liberale Partei nur noch dem Namen nach liberal gewesen, im Wiener Gemeinverath sowohl wie im Landtag und im Reicksrath. Als in Oesterreich immer reactionärer regiert wurde, hatte e» die liberale Partei, die in der Regierung verwöhnt war, längst verlernt, in die Opposition zu gehen. Die Wählerschaft, dir allmählich unzufrieden wurde, suchte man anfangs mit hochtrabenden Phrasen abzuspeisen, und als dies nicht mehr ging, suchte die Partei sich zu häuten, indem sie sich energisch klingende Namen wie „Fortschritt-Partei" gab und mit dem alten Material Neubildungen versuchte. Auch die» half schließlich nichts, und jetzt herrscht im deutsch-liberalen Lager die belle Auflösung. E» ist sogar soweit gekommen, daß, wie der „Franks. Ztg." mitgetheilt wird, in Wien»Leopoldstadt jüdische Wäbler, der liberalen Partei überdrüssig ge worden, sich entweder der Stimmabgabe enthielten oder für den Antisemiten stimmten. Deutlich ist der Hauptriß erkennbar, der die deutsch-liberale Partei in zwei Theile schneidet, in eine Hälfte de» Bürgerthum» »er Judustrie und in eine Hälfte der Großgrundbesitzer/ welche, immer erkennbarer die Geschäfte der Klerikalen und der Antilibrralen besorgen. Die Letzteren sind das Verbängniß der liberalen Partei gewesen; ihnen und der angeblichen Einigkeit KU Liebe bat man stets nachgegeben und die Verwirklichung des liberalen Parteiprogramms auf bessere Zeiten verschoben. Nir wollten diese besseren Zeiten kommen, und so benutzten die deutsch-böhmischen Abgeordneten, die beiden bekannten Reden des Ministerpräsidenten Badeni, in welchen dieser den nationalen Streit im Lande der Wenzelskrone als etwas höchst Uederflüssiges bezeichnete, da» durch gegenseitiges Nach geben so bald als möglich aus der Welt zu schaffen sei, als Anlaß, ihren Austritt au- dem Club der Linken zu erklären, nachdem sie bereits im Gegensatz zu dem Gro» der übrigen Mitglieder beschlossen batten, das Budget zu ver weigern. Daß die Secession noch nicht abgeschlossen ist, scheint sich daraus zu ergeben, daß dieselbe über da deutsch-böhmische Gebiet ubrrgeariffen und sich bereits auf Kärnthtn erstreckt hat. Ein mannhafter Artikel der gestern erschienenen Prager „Bohemia" kündigt an, daß ihr« Abgeordneten entschlossen sind, die bekannten Grundsätze der Deutschböbmen mit rücksichtsloser Thatkraft nach oben und unten zu vertreten und, falls sie in diesem Bestreben bei der Regierung auf Widerstand treffen sollten, in die schärfste 8, Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. rioitdrea verlöt«. Wie er nun vor ihr stand an ihrer Beider Hochzeitstag und sie ihm in ihrem Brautgewand, in Kranz und Schleier, doppelt so reizend erschien wie sonst, da gelobte er sich« wiederum, sie hoch und theurr zu halten als sein kostbarste« Kleinod. Der Polterabend war großartig gefeiert worden, zur Trauung war ebenfall» eine stattliche Anzahl Gäste geladen worden. Vor der Rampe de« Hause« hielt das nagelneue Coup« HanS Jürgen'-, welches ihn und Margaret in die unweit gelegene Kirchspielskirche l ringen sollte. Letztere lag ungemein malerisch auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von alten Rüstern und Kastanien, welche die Gräber de- kleinen Friedhöfe« beschatteten. Eine verwitterte Grabcapelle, deren Thür vor Kurzem vermauert worden, da die Sargnischen sich alle gefüllt, lag seitwärts an der KirckhofSmauer. An die Kirchenwand lehnte sich ein grauer altertbümlichet Grabstein mit kaum noch zu entziffernder Inschrift: Anno 1674 den 17. NovembriS ist Rassomeh« Hans von Lommerd gestorben. Der letzte seines Stamme« ist e«, dir an dem Grabstein seine« Ahnen vorüber heute sein« junge Braut in da« GotteShau« zur Trauung führt. Bolle Orgelaccorde schallen dem Brautpaar entgegen: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, wa« er dir Gute« gethan", erklingt der Choral und über Herbstblumen und grüne Reiser schreitet Margaret Hohenort am Arme de« stattlichen, aller Äugen auf sich ziehenden Manne« zum Alt,». Letztere« ist mit Blumengewinden und hohen blühenden Topfgewächse« reich vecorirt. Bon Pfeiler zu Pfeiler riehen sich Guirlanden, und gar seltsam sticht der sonnige Schmuck von den düsteren Wappenschildern ab, welche an den Wänden der alten Kirche hängen. Dort, neben dem Altar, sieht «an die Wappen der Hohenort und der Lommerd und über ihnen hängt ein Schild, da« keinen Träger mehr unter den Lebenden zählt, eS ist daS Wappen derer von Silverbarnisch. Die Kirche ist mit außerordentlich viel HochzeitSgästen zefüllt, auf dem Friedhof drängt sich da« Landvolk, für welche« eine herrschaftliche Hochzeit eine so große Begeben heit ist, daß sie noch auf lange Zeit auSgirbigen Gesprächs stoff liefert. Weiber in den hohen landesüblichen Mützen heben kleine Kinder empor, damit diese die schönen Kleider der Herr schaften auch bewundern können. Auf der Straße vor dem Kirchhos-thor halten in langer Reihe die mit Meist edlen, in blitzendem Geschirr prangenden Pferden bespannten Equwagen der Hoch,«it»gLste. Die Gutsbesitzer in Csthland haben fast durckweg schöne Equipagen und halten etwas darauf, daß ihr Stall stet» gut im Stande sei. „Sahst Du", flüstert ein Bauernweib seiner Nachbarin zu, „wie der Wagen unsere» gnädigen Herrn Vorkain, fuhr der Jahn an der Kirchbosspforte vorbei, und da« Fräulein, da« beute unsere gnädige Frau wird, mußte rin paar Schritte rurückgeben, um auf den Teppich zu treten, der bis zur Kirckentyür gebreitet ist. DaS ist ein bvseS Vorzeichen, wenn der Wagen, der die Braut »ur Trauung führt, nicht ganz vor der KirchentbÜre andält." Drinnen in der Kirche spricht der Prediger den Segen über die Neuvermählten und dann setzt die Orgel wieder ein. Der Cborgesang klinat ziemlich voll, aber, all« anderen Stimmen übertönend, schwingt sich eine glockenhelle reine Menschrnstimme empor. Vom Chor herab erschallt sie, und viele Blicke wenden sich dorthin, um hinter der Brüstung die weißgekleidete Ge stalt eines kindlichen Mädchen« ,» bemerken, welche« mit noch ungeschulter, aber unbeschreiblich klangvoller Stimme singt. „Wer ist die Kleine? Wie mag sie hierher kommen?" hört« man fragend flüstern, aber Niemand vermochte rechte Auskunft darüber Zu geben. Margaret schritt mit von Tbränen schimmernden Augen, fest aus HanS Jürgen'- Arm gestützt, au- der Kirche. Die heilige Handlung hatte sie tief ergriffen, ihre zarte Gestalt erschauerte leicht, al« der herbst liche Luftzug sie umsing. Borsorglick hüllte Han» Jürgen seine junge Frau in den weißen Plüschumwarf mit Fever- belatz, einen Moment lang stand da« Neuvermählte Paar neoer der vom Orgelchor herabführenden Treppe, hinter sich die nachströmende Fluth der Gäste, vor sich dir gaffende Volksmenge, da entglitt, während sie ihren Schleier empor raffte, da- kostbare Spitzentaschentuch Margaret'» Hand, sie und Han« Jürgen bemerkten «S nicht, da griff eine schmaie, gebräunte Hand nach dem feinen Gewebe und, schüchtern vor tretend, bot ein schmächtiges hochaufgeschossene» Mädcken, das noch auf der Grenze de« KinbeSalters stand, der jungen Frau da» Verlorene. Margaret nickte freundlichen Dank, HanS Jürgen'» Blick streifte nur flüchtig da» fremde Mädchen, welches bescheiden wieder zurücktrat. Han« Jürgen'» EoupS stand bereit, er hob seine reizende Frau hinein, folgte nach, der Diener schloß die Thür und dahin stoben die feurigen Schimmel, daS junge Paar einem sonnigen, ungetrübten Glück entgegentragend. Ein Wagen folgt» nun dem andern, die staunenden Bauern sahen Seidenschleppen vorüberrauschen, Brillanten blitzen und Orden schimmern, dann verhallte da« Räderrollen der letzten davonsausenden Equipagen, der Küster verlöschte die Kerzen auf dem Kronleuchter und dem Altar. Laut hallte der schlürfende Schritt des Alten durch das leere Kirchenschiff, durch welches süßer Blumenduft zog, der die alten Wappen schilder, welche s» ernst und duster herabschauten, um schmeichelte. Draußen auf dem Friedhof war e« ebenfalls einsam ge worden, nur der Wind fegte gelbe, halb zusammengerolltt Blätter zwischen den Gräbern dahin. Um den alten Grabstein neben der Kirch« schlang sich eine Ackerbeerranke — leise schwankte sie hin and her, da wurde sie plötzlich bei Seite geschoben, zwei weiß« Astern fielen auf den Stein nieder und eine wundersam weiche Stimme flüsterte: „Deiner bat heut Niemand gedacht, du grauer verwitterter Stein, drüben die stolzen, weißen Marmor kreuze, auf denen in goldenen Lettern ebenfall» der Namt Lommerd leuchtet, hat man verschwenderisch mit Blumen ge schmückt, weil der Erbe de« Namen« heut« seine Hochzeit feiert." Sinnend blickte da« schlanke, weißgekleidete Mädchen ans den schmucklosen Stein hernieder. Ob der Ritter, der hier unter der Steinplatte den letzten Schlaf schlief, wohl ebenso stolz dabergeschritten war und ebenso kühn geblickt hatte wie sein Nachkomme, in dessen Hause jetzt ein Licht nach dem andern aufblitzt«, wo man bereit war, di« schön« junge Herrin zu empfangen. Der kurze Septrmbertag neigte sich seinem Ende entgegen; zu dem einsamen Mädchen auf dem Friedhof schallten die gestimmten Heerdenglockett vom nahen Gut Salisfer herüber und dort links lag, in ebenfalls nicht allzu weiter Entfernung, Schloß LommerdSboff. Hell «nd festlich schimmerte daS statt liche GutShaus zwischen den schon ziemlich entlaubten Baum gruppen hervor. Der Küster ging Mit etwa« erstauntem Gruß an der Träumerin am Stein vdrübtr, da fuhr auch letztere aus ihrem Sinnen empor und verließ langsam den Kirchhof, den ausgetretenen Fußpfad, der über einen Heuschlag nach Salisfer führte, «inschlagend. * * * „ „Nennst Du das Dreschen — ich nenne e« eine Lodderei. Du weißt, ich bin kein Herr, der an» dem Fenster wirtb- schaftet, ich sehe Euch Allen aus die Finger, und wer bei mir dienen will, der muß arbeiten. Daß ich meine Leute gut halte, das weiß ein Jeder, aber daß ich von Euch, Spitzbuben, auch pünktliche Arbeit verlange, daS wißt Ihr ebenfalls. Wenn Ihr da« Feuer in der Locomobile ausgehen laßt und dasteht und gafft, weil ein HochzeitSzug auf der Landstraße voriiberfährt und dann darüber sckwatzt, al» wäret Ihr in Lear auf dem Jahrmarkt, so können keine achtzig Fuder Roggen heute gedroschen werden, and soviel leistet die Dreschmaschine, wenn sie ordentlich bedient wird." Diese grollenden Worte kamen an« dem Munde eines alten, aber noch strammen rüstigen Herrn, der in Lederjacke und bohen Stulpstiefeln, seinen grauen Schnauzbart ingrimmig zwirbelnd, vor der großen, fast ganz mit Roggen gefüllten Kornscheune berumstampfte. Wenn Herr von BeverSdorff auf Salisfer seine Wirt schaft iuspicirt« — und da« tyat er vom Morgen bi» zum Abend — so hört« man feine kräftige Stimm« ununter brochen in grollenden Lauten, doch seine Leute liebten ihn trotz seiner Streng«. Er verlangte Pünktlichkeit und eisernen Fleiß bei der Arbeit, aber er sorgte für seine Hofsleute auch wie ein gerechter und wohlthätlger Gutsherr. In Salisfer herrschte eine Musterwirthschaft dessenungeachtet, daß Herr v. BeverSdorff eine tief eingewurzelt« Abneigung gegen alle landwirthschaftlichen Neuerungen besaß. Er verhielt sick mißtrauisch allen neuerfundenen Maschinen gegenüber, erst nach langer Prüfung und Neberlegung verstand er sich zu dem Ankauf einer Novität. In der Nachbarschaft spottete man vielfach laut über seine veralteten Begriffe von Landwirthschast and ärgerte sich im Stillen über die reichen Erträge, welche der alt« Sonder- liag au« seinem Bodea «rzi«U«.
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