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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961114023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896111402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896111402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-14
- Monat1896-11
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Günther erhob sich, um gegen den Borwurf, daß die Richter nicht unabhängig genug urtheilten, zu prvtestiren. Dieser Borwurf, daß die Richter bei Preß- relicten sich von politischen Stimmungen, wenn auch viel leicht nicht absichtlich, leiten ließen, bildete den Kernpunct der für den freisinnigen Antrag gehaltenen Reden. Daneben wurde noch auf den alten preußischen Ministcrialerlaß, ter den Beamten regierungsfeindliche Agitationen ver bietet, zum Beweise dafür excmplisicirt, daß die Richter nicht das wünschenswertke Maß von Un ¬ abhängigkeit besaßen. Der absurdeste Vorwurf blieb wie gewöhnlich dem Abg. Stadthagen Vorbehalten, der in An spielung auf das traurige Ende eines bekannten Berliner Sirafkammervorsitzenden darauf hinwies, daß die geistige Umnachtung deS Unglücklichen vielleicht eine Folge der schwierigen juristischen Tüfteleien in politischen Strafsachen gewesen sei. Der freisinnige Antrag wurde gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. Bei der im Uebrigen ohne Debatte zur Annahme gelangenden Bestimmung über die Bildung der Berufungssenate bekannte sich der Kammergerichts rath Schroeder als entschiedenen Gegner der Berufung in Strafsachen. Wenn er meinte, daß er mit dieser Gegnerschaft im Reichstage vereinzelt dastänbe, so hat er, rein äußerlich genommen, Recht; der Gang der Debatten in diesen Tagen bat aber gezeigt, daß die einst so lebhafte Begeisterung für die Emjübrung der Berufung wesentlich nach gelassen hat. Eine sehr vernünftige Idee ist es, daß nach dem Beispiele der detacbirten Strafkammern bei Amtsgerichten detachirte Strafsenate bei den Landgerichten sacultativ eingerichtet werden tonnen; denn die Beruf». würde, wie der Abg. v. Cuny sebr richtig hervorhob, erbeblich erschwert werden, wenn auch bei sehr großen Oberlanves- zerichten die Berufungssenate nur am Sitze deS OberlandeS- gerichts eingerichtet würden. DieKosten würden dadurch erbeblich vergrößert werden und daS Priucip der Mündlichkeit würde ost einem schriftlichen Verfahren weichen müssen. Deshalb war der Antrag des Abg. Beckh, daß unter den fünf Richtern des Strassenats der Präsident und mindestens zwei Beisitzer dem Oberlandesgerichle enlnommen sein müßten, als eine Er schwerung ter Einrichtung der detacbirten Strafsenate zu verwerfen, und es ist erfreulich, daß der Reichstag demgemäß entschied. Damit war der erste Theil der Iustiznovelle erledigt. Wenn die „Post" recht unterrichtet wäre, so wäre eS wieder zweifelhaft geworden, ob die Interpellation wegen Ver Enthüllungen Ver „Hamb. Nachr." schon am Montag im Reichstage zur Besprechung gelangen wird. Was zu diesem Zweifel Anlaß giebt, sagt bas freiconservative Blatt freilich nicht; man ist also wohl berechtigt, die Berechtigung seines Zweifels in Zweifel zu ziehen. Welche Haltung die Con- ,ervativen zu beobachten gedenken, weiß das Blatt jeden falls auS zuverlässiger Quelle; es schreibt darüber: „Soweit bisher zu überleben ist, werden die staatserhalten» den Parteien nach der Begründung einer fachlichen Interpellation durch den Grafen Hompesch nur kurze Erklärungen abgeben, und zwar haben die Conservativen dazu vorläufig den Ära,en zu Limburg.Stirum und die Reicksoartei den Freiherr» von Gültlingen als Redner auserseben. Sollte durch die Be merkungen der Freisinnigen oder Socialdemokraten eine weitere bisinarckfeindlicke Diskussion herausbejchworen werden, so dürften die konservativen Parteien von einer weiteren Betheili gung an der Diskussion Abstand nehmen." Ist das richtig — und die „Post" ist, wie gesagt, in der Lage, es zu wissen —, so erwächst für die national- liberale Fraktion die doppelte Pflicht, den Verkleinerern des Fürsten energisch cntgegenzutreten, trotz der Mahnungen der „Köln. Ztg", die an den in unserer Abendausgabe vom 12. d. M. mitgetbeiltcn Artikel ter „Hamb. Nachr." folgende Auslassung knüpft: „Der Artikel, der im Uebrigen inhaltslos ist, erhebt wiederum in gewundener Form den hämischen Vorwurf, Kaiser Wilhelm II. habe sich von England bewegen lassen, im eng lischen Interesse einen für Deutichland höchst vortheilhaflen Vertrag preis zu geben. Und dabei wollen Leute, welche die letzten sechs Jahre sieghaft verschlafen haben, uns noch ein- reden, von einem Feldzug gegen den Kaiser und von einem Versuche, die staatlichen Autoritäten zu untergraben, fei nichts zu bemerken. Uebcr das ge wagte geheime Doppelspiel selbst niag man denken, wie man will, jedenfalls stellt cs ein Stück rein persönlicher Politik dar, das gegenstandslos wurde, als aus der internationalen Situation dasjenige Moment ausschied, das durch die geheimen Abmachungen einigermaßen neutralisirt werden sollte, nämlich Las unbesiegbare Mißtrauen, das Zar Alexander III. der Person des Fürsten Bismarck entgegenbrachte. Man darf wohl erwarten, daß die nationalliberale Partei in umständ lichster Weise Sorge dafür tragen wird, daß nicht irgend ein Durchgänger, der den einfachen politischen Thatbestand möglicherweise noch immer nicht erfaßt hat, di« Partei durch eine schrullenhafte, weltfremde Haltung bloßstellt. Man täusche sich doch darüber nicht, daß die Nation der ewigen Hetze, di- »jnk/Oig von Hamburg auS betrieben wird, endlich überdrüssig wird." Tie ganze nationalliberale Reichsragssraction hat hoffent lich nicht ein einziges Mitglied, das von dieser Auslastung, die von Unwahrheiten, Widersprüchen, Bosheit und Anmaßung strotzt, nicht mit Ekel sich abwendet. Es ist nicht wahr, daß der erwähnte Artikel der „Hamb. Nachr." den „hämischen Vorwurf" erbebe, Kaiser Wilhelm II. habe sich von Eng land bewegen lassen, in englischem Interesse einen für Deutschland höchst vortbeilhaflen Vertrag preiszugeben. Im Gegentheil sagt der Artikel: „Es wird den etwaigen Erklärungen der Regierung gewiß leicht werden, der Nation die Beruhigung zu gewähren, Sag bei diesem Entschlüsse auswärtige Einflüsse von Mächten, welche» ein deutsch, russisches Abkommen unbequem sein konnte, nicht wirksam ge- weien sind." Es ist eine gröbliche Unterstellung, wenn dem Fürsten, der durch seine „Enthüllungen" die persönlichen Be mühungen des Kaiser- um Herbeiführung eines intimeren Verhältnisses zu Rußland erst in das rechte Licht gerückt hat, ein „Feldzug gegen den Kaiser" vorgeworfen wird. ES ist grober Widerspruch, wenn die „Köln. Ztg." an eio „gewagtes geheimes Doppelspiel" deS Altreichskanzlers, soll heißen an sein Astecuranz-Abkommen mit Rußland glaubt und doch glauben machen will, derselbe Zar, der seine Ein willigung zu diesem Abkommen gab und besten Erneuerung wünschte, habe der Person des Fürsten ein unbesiegbare« Mißtrauen rntgegengebracht. Er ist eine Bosheit ordi närster Art, dem Schöpfer dieses Abkommens, das uns im Falle eines französischen Angriffes die wohlwollende Neutralität Rußlands sicherte, diese Schöpfung als ein „Stück rein persönlicher Politik" anznkreidrn, und es ist endlich eine Anmaßung sondergleichen, jenen Nationalliberalen, die eine solche Verunglimpfung Bismarck's nicht dulde» wollen, den Vorwurf nicht nur einer Blödigkeit, die „den einfachen politischen Thatbestand" nicht zu erfassen vermag, sondern auch Schrullenhaftigkeit und Weltfremdheit an den Kopf zu schleudern. Wir weisen im Namen aller unsrer sächsischen Parteifreunde diese Frechheit auf daS Entschiedenste zurück und erwarten, daß auch die nationalliberale ReichStagsfraction derartiges nicht schweigend hiunimmt. Die Würde und das Ansehen der Fraktion erfordern, raß sie nirgends die Ansicht aufkommcn läßt, es gebe unter ihren Mitgliedern eine auch nur verschwindende Anzahl, die von dem Geiste beseelt sei, der in dcui „Weltblatt" am Rhein noch schlimmer sein Wesen treibt, als in der ultramontanen und der demokratischen Presse. Zu dem bevorstehenden großen Anarchisten-Protest in Barcelona schreibt man uns von dort: Es sind jetzt fünf ^"--nate her, daß von den hiesigen Anarchisten jener gräßliche Dhnamita »schlag verübt wurde, der zwölf Menschen daS bereu kostete und 22 Menschen größlentbeils unheilbare Ver letzungen brachte. Wie erinnerlich, war es eine am 7. Juni nach der Kircke Santa Maria in Barcelona sich bewegende Procession, unter welche zwei Orsinibomben geworsen wurden, nachdem unmittelbar vorher in der Nähe ter Kathedrale in Barcelona zweiDyuamitbomben gefunden worden und vor dem Hause des Pfarrers in Prendoia sechs solche explodirt waren. Wie damals vermuthet wurde, galt daS Attentat auf die Pro cession dem General Despuljos, der in derselben die Haupt fahne trug. Er blieb unverletzt. Von den Angehörigen der Umsturzpartei wurden wegen Betheilizung au diesem An schläge im Laufe der nächsten Wochen über 300 Personen, darunter etwa 60 Frauen, verhaftet, von denen allerdings ein Theil wieder freigelassen wurde. Thatsächlich an geklagt, an der Vorbereitung und Ausführung LeS Attentats betheiligt zu sein, sind gegenwärtig noch 87 Per sonen, welche auch binnen Kurzem zur Aburtheilung gelangen. Der mit der Untersuchung betraute Richter San Marzo hat über das verbrecherische Treiben der An geklagten nunmehr einen Bericht fertiggestellt, welcher Wohl auch außerhalb Spaniens Intereste erwecken dürfte. Dieser Bericht, der nicht weniger als fünfzig Druckbogen umfaßt, schildert eingehend die Tbätigkeit der verschiedenen inter nationalen Anarch istengrup Pen, mit denen die „Ge nossen" von Barcelona in Verbindung standen und theilweise auch zusammen „arbeiteten". Die betreffenden Ermittelungen des Untersuchungsrichters beziehen sich aus die anarchi stischen Umtriebe in Italien, Portugal, Frankreich, Belgien, England, Nord- und Süd-Amerika, und die Regierungen di-jer Staaten haben bereits anzekündigt, daß sie einige gewiegte Polizeibeamte zu den Verhandlungen des Protestes entsenden würden. Das Eigenartige des Protestes aber wird darin bestehen. Laß er vor einem Kriegsgericht geführt wird. Sämmtliche Angeklagte sind in den Kasematten des FortS Montjuick unterzebracht, wo auch die Verhandlungen stattfindea werden. Jedem der 83 ist ein Osficier — Haupt mann oder Lieutenant — als Officialvertheidiger beigegeben, welche gegenwärtig ebenfalls in Montjuick Quartier bezogen haben und in täglichen Besprechungen mit den Angeklagten die Bertheidigung vorberciten. Nach den Feststellungen des Untersuchungsrichter- scheint jedoch die Schuld der meisten Angeklagten außer Zweifel zu stehen, so daß nach Maßgabe des >m Vorjahre erlassenen ÄaarchistengesetzeS über zahlreiche Angeklagte die Todesstrafe und über die meisten übrige» langjährige oder auch lebenslängliche Zuchthausstrafen ver hängt werden dürsten. Hinsichtlich der von der russische» Presse eifrig be fürworteten Veranstaltung einer Conferenz, beziehungs weise eines eu ropäischen Eougresses für die Regelung der orientalischen Angelegenheiten, sowie der egyptische.-i Frage oder gar behufs Revision des Berliner Vertrages kann, so schreibt, wie schon telegraphisch erwähnt, die „Polit. Eorr.", auf Grund von Informationen, die von competenter Seite herrübren, versichert werden, daß dieser Plan den Beifall des Petersburger EabioetS nicht findet. Man erachtet in Petersburger maßgebenden Kreisen daS Project für zu gewagt, da im Verlaufe einer solchen Eonferenz oder eines Congrestes wahr scheinlich gewisse mit den erwähnten Fragen zusammen hängende Puncte zur Erörterung gelangen würden, über welche sich die betheiligten Mächte vielleicht nicht im voll ständigen Einvernehmen befinden. AuS der dabei zu Tage tretenden Verschiedenheit der Ansichten und Interessen könnten sich nur für den europäische» Frieden bedrohliche Con slicte ergeben. Die russische Regierung zieht es daher weitaus vor, daß die Mächte, wenigstens bis zu einer neue» Ordnung der Dinge, sortfabren, auf die Pforte, wie da« seit mehr als einem Iakre geschieht, durch idre Botschafter in Konstantinopel mittels mkindlicher Mittheilungen oder diplo matischer Noten, die vorher von den Cabinctten vereinbart worden, eine Pression auSzuüben oder auch dem Sultan in Form einer formellen Forderung und unter Androhung energischer Maßregeln im Kalle der Weigerung die Annahme eines concreten von den Cabinetten ausgearbeiteten Resormprojecle« für die Türkei aufzuerlegen. Die russische Regierung will, statt sich etwa mit dem von manchen polnischen Kreisen Englands vertretenen Plane der Ab setzung des Sultans zu befassen, vielmehr auch fernerhin gerade den Sultan zum auSführeuden Organe Les Pacificationswerkes im Orient machen. Ohne das Projeci einer Conferenz oder eine« CongresseS, welche« ernste Ge fahren für den allgemeinen Frieden, sowie für die Integrität der Türkei in sich birgt, positiv abzulehnen, scheint da« Peter«- burger Cabinet entschlossen zu sein, zu derartigen gewagten Mitteln der Lösung der Krise nur im äußersten Notb falle zu greisen, taö beißt erst dann, wenn die Umstände sich schließlich derart gestalten, daß der Diplomatie ei» anderer Ausweg aus den Schwierigkeiten nicht übrig bleibt, eine äußerste Eventualität, die man dier noch vermeiden zu können hofft. Optimistische Gemüther werden an die Nachricht, daß das chinesische Tsungli-Iamen den Bau der Eisen bahnen Canton-Hankau und Canton-Sutschou genehmigt habe, große Zukunftshoffnungen knüpfen. Beide Linien würden allerdings für die Erschließung Süv-CyinaS von höchstem Werthe sein. In Hankau concentrirt sich der gesainmle Handel des SüewestenS und des Inneren von Süd-Ebina; einige der reichsten chinesischen Provinzen, wie besonders die von Szschwan, senden hierhin ihre Mineral schätze und Bodeuerzeugniffe. Würbe so die Linie Canton Hankau den Handel der bisher weit abgelegenen Gegenveu des oberen Iangtsekiaug aufschließen, so würde die Linie Canton-Sutschou den dichtbevölkerten und von Hause aus wohlhabenden, wenn auch jetzt noch und zum Theil unter den Folgen der Taizinz-Revolution leidenden Südosten öffnen. Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. NuLrrua »ert»<en. Doch wie selten findet man in unserem nervösen, zer- sabrenrn Zeitalter solche in sich ausgeglichene, trotz aller Leb haftigkeit doch wie rin beruhigendes Schlafmittel wirkende Naturen. ES schneite. Der Frost hatte noch nicht vermocht, die Wasser der Revalscken Bucht in seine starren Fesseln zu schlagen, die See trotzte dem bärbeißigen Gesellen; doch, wie bereits in Vorahnung des lähmenden Stillstandes, rollt sie sich nur träge dabin, die tanzenden, auf sie berabsinkendrn Schnee flocken Lurch ihren feuchten Kuß schmelzend. Die Baronin Hohenort befand sich in ihrem Boudoir, worin ein Kaminfener anheimelnd prasselte. Sie hatte Be such, ihr gegenüber saß Frau v. JngerSheim, welche auf einige Tage zur Siadt gekommen war. „Also bei Ihnen auf Palloküll steht Alles gut, das freut »sich", sagte die Baronin, „und Sie haben neulich meine Margaret und HanS Jürgen bei sich gehabt- Letzterer ist augenblicklich hier in Reval, er fäbrt jedoch schon morgen wieder nach Hause; Margaret war leider durch eine leichte Grippe am Mitfahren verhindert, sie hätte ihren Mann gern begleitet. Ich vermisse meine Tochter so sehr und kann mir nicht genug von ihr erzählen lassen. Sie sagten vorhin, Margaret verkehre oft mit Hortense Saliday — ich begreife, aufrichtig gestanden, nicht, welch ein Vergnügen meine Tochter an diesem Umgang findet." „DaS Vergnügen ist jedenfalls ganz aus der Seite Hortrnse'S, denn Margaret versicherte mir noch neulich, sie für ihre Person könne sich nicht nur ausschließlich für alte Kirchenspitzen und Altardeckennnister begeistern, sie zöge einen flotten Ritt vor. In der That, liebe Baronin, Herr von Lornmerd hat seine Frau zu einer perfecten Reiterin heran gebildet, Margaret sah reizend auS, al- sie letzthin von unserem Hof ritt." „Sie war zu Pferde zu Ihnen gekommen, liebste Frau v. Inger-Heun", rief die Baronin erschrocken. „Allerdings, und ich versichere Ihnen, Margaret sah süperb auS im Sattel." „Nein", murmelte die Baronin consternirt „daß Han- Jürgen Margaret jetzt so etwas gestattet, ich muß ein ernste- Wort mit ihm darüber reden, Margaret ist auch noch so unerfahren. Wo nur HanS Jürgen bleibt, ich erwarte ihn zu Tisch." Lmpus In tabula — in demselben Augenblick trat Hau- Jürgen ein. „Verzeihung, Mama, ich komm doch nicht etwa zu spät und störe die Hausordnung? Ich war im Tattersall und wurde dort aufgehalten", sagte er, chevalereSk beiden Damen die Hand küssend. „Immer der Sport", neckte Frau von Inger-Heim. „Cie wissen ja. Gnädigste, ich könnte füglich in freier Be arbeitung des Heine'fchen Asra singen: „Und mein Stamm ist drr der Lommerd, Welche sterben, wenn sie — nicht reiten." „Nun", bemerkte die Baronin trocken, „Ihr Onkel, Han- Bernhard, lieferte unS den Bewei- vom Gegentheil, er starb Lurch sein Reiten, und ich muß gestehen, manche Ihrer ver wegen au-geführtrn Ritte, lieber Sohn, haben mich mit Sorgen erfüllt. Sie setzen dabei nur zu oft Ihr Leben aus« Spiel." „Meinetwegen können Sir unbesorgt sein, beste Mama, Unkraut vergeht bekanntlich nicht. Gestatten die Damen mir eine Cigarre?" Die Baronin und Frau von JngerSheim machten eine zu stimmende Kopfbrwegung. HanS Jürgen strich ein Zündholz an, setzt« seine Cigarre in Brand und sagte dann lebhaft: „Eben habe ich im Tattersall einen Braunen gesehen, so rtwa- Elegante« ist mir lange nicht vor mein Auge gekommen. Fritch au- England importirt — drr glückliche Besitzer diese« PrachtgaulS, rin junger Mengen, Sohn eine« unserer hiesigen Finanzier-, Hal drüben Verbindungen und sich daS kostbare Vollblut kommen lassen. 2m Tattersall börte ich allrrding-, daß dir schüchternen Rritvrrsuche, welche Herr Mengen aus seinem Eapitalthirr macht, durchaus nicht darauf schließen lassen, daß er r- weit in diesem Sport bringen werde, aber solche Sonntag-reitrr trennen sich gewöhnlich hockst ungern von ihren Pferden, sonst würde ich den Versuch machen, den Braunen — „Higd l'f^, beiß« rr — käuflich an mich zu dringen, ich wrtt«, er schlägt, was Schnelligkeit anbetriffl, „Sylphide' um fünf Minuten." „Wenn Ihnen viel daran gelegen ist, den Versuch zu machen, einige Tausend auf eine gute Manier los zu werden, lieber Sohn, so kann ich Ihnen zu der Gelegenheit verhelfen", sagte die Baronin, „Anfragen kosten kein Geld und das Schicksal ist Ihnen, wie immer, auch heute günstig. Der in Rebe stehende Eigenthümer LeS von Ihnen so gepriesenen Braunen ist der Sohn deS Hause-, zu dem wir in geschäft licher Beziehung stehen und befindet sich augenblicklich im Cabinet meines Manneö. Wir haben mit unserem Bankier eine wichtige geschäftliche Abrechnung abzuwickeln, «S ist sehr liebenswürdig, daß sich der Sohn de- Hause-, der künftige Chef der Firma, selbst dieser Sache unterzogen und sich her bemüht hat, da der Arzt meinem armen Kurt cS wieder untersagt, sich der scharfen Winterluft auSzusetzen. Wenn Ihnen viel daran liegt, lieber Sohn, so kann ich Ihre Be kanntschaft vermitteln." „Tausend Dank, Mama, da« trifft fick' ja brillant, daß ich Herrn Mengen gleich beute kennen lernen und ihn in Betreff seine» Highlife auSbolen kann", rief HanS Jürgen freudig. ' Die Baronin beugte sich ein wenig vor in ihrem Sessel und drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel, welcher sich neben ihr an der Wand befand. Ein ältlicher woblgeschulter Diener erschien. „Wenn Herr Mengen auS dem Cabinet de- Herrn kommt, so bitten Sie ihn, sich in mein Zimmer hierher be mühen zu wollen." Drr Diener verneigte sich und verschwand, und Han- Jürgen sagte im Tone aufrichtigster Dankbarkeit: „Sie sind zu gütig, Mama, meinen Wünschen in solch' liebenswürdiger Weise Vorschub zu leisten. Sie lächeln ge wiß, meine Damen, über den Enthusia-mu-, welchen der Anblick eines wie für die Rennbahn geschaffenen Pferde- in mir wachruft. Margaret, meine kleine Prachtfrau, versteht mich vollkommen in diesem Punct." Der Baronin Miene wurde ernst und sorgenvoll: „Ja, Margaret — ich muß nachher »och ein paar Worte im Vertrauen mit Ihnen reden, lieber Sohn." „Stehe ganz zu Diensten." Frau r. JngerSheim raffte ihre, ihr von de» Schullern geglittene Pelzboa von der Lclmr ihre- Sessel- empor und sagte: „Ick muh nun aufbrrcken, liebe Baronin, so gerne ich noch eine Viertelstunde dabliebe, aber die LanLräthin Elben erwartet mich zu Tisch. Wie schade, daß ich beute Irma nicht gesehen, Sie wissen, ich habe ein Lidls für das Kind." „Fräulein Irma ist vermuthlich auf der Eisbahn?" Warr Haus Jürgen ein. „Nein", erwiderte die Baronin, sie ist in der Gesang stunde. Ick bin nicht dafür, daß meine Pflegetochter Li- Eisbahn besucht. Irma hatte Wohl anfangs große Lust dazu, sie ist aber zu vernünftig, um sich nicht obne große Ueber- winduug meinen Anordnungen zu fügen. „Sie fürchten gewiß, daß der Besuch der Ei-bahn nach theilig auf Irma'S Kehle wirken könne; ihre Stimme ist allerdings wunderbar, ein wahrer Schatz, der nickt sorgfältig genug gehütet werden kann", bemerkte Frau v. IngerSbeim. „Die- ist allerdings ebenfalls einer ver Gründe, welche mich bestimmen, Irma da- Schlittschuhlaufen nicht zu ge statten, allein hauptsächlich will ich cS vermeiden, daß Irma, welche sich zu einem sebr bübschen Mädchen zu entwickeln verspricht, zu früh der Hof gemacht wird. In diesem Tinii habe ich meine Margaret erzogen und von meinen Grund sätzen und meiner «inmal gefaßten Erziehungsmethode will ich nicht abweicheu. Ich bitte Sie, liebste Frau v. Ingers heim, wo böte sich ein bessere» Feld zur Courmacherei, als auf der Eisbahn; auf der eisige», spiegelglatten Fläche ist schon manche» beißsprühende Hrrzensslämmchra emporge flackert, und nicht- verderblicher für ein zunge-, noch aus ter Grenze deS Kindesalter» stehende- Mädchen, al« der Gegen stand einer uugesundea, abgeschmackten Schülerschwärmerei zu sein." „Sir habe» vollkommen Recht mit Ihrer Ansicht, meine Liebe, und hätte ich eine Tochter, Ihren Händen würer ick tiesetbe blind anrertrauen", sagte Frau v. Ingersdcim, verabschiedete sich von der Baronin und ließ sich von Hans Jürgen bis iu LaS Vorzimmer geleiten, wo der Diener ibr den pelzgefütterten Sammelmantel um die Schultern legte. Al- die Tbür sich binter der Dame geschlossen, und Han- Jürgen in da« Boudoir seiner Schwiegermutter zurückkebne, fand er Bruno Mengen dort vor. Die Baronin machte die Herren miteinander bekannt. „Wir ick börr", wandte sie sich an Bruno, „widmen auch Sie sich dem Reitsport, da werden Sie mit meinen: Sckwiegersobn gewiß unzählige Anknüpfungspunkte finden' Han« Jürgen erklärte im Stillen dir Baronin für die taktvollste aller Schwiegermütter, sie batte ihm nun Bruni gegenüber den Weg geebnet, und als ersterer, nach einer >n lebhafter Unterhaltung verbrachten Viertelstunde, sich verab-
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