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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.11.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961116016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896111601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896111601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-16
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Neclamea uirter dem Rrdactton.firich (<a— idaltett) 50 vor den Familiennachrickten (U gespalten) 40^. Gröber« Schriften laut unserem Preis- verzrickniß. Tabellarischer und ZtfleNisap nach höherem Tarif. Hxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung ./t 60.—, mit Postbesörderung 70 -. Ännahmeschluß für Anzeigen: ?lbrnd-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung, Sie Mrchenvorstansstvahi in der MatthSiaemelttde beir. Aus dem Kirchenoorslanve der Matthüigemeinde scheiden nach Len Bekanntmachungen vom 1., 11., 14. und 1ä. October d. Js. aus die Herren: Kaufmann Bruno Apitzsch, Hospianosonefabrikanl Theophil Krancke, Tchuldirector l)r. pdil Joh. Friedr. Ehregutt Helm, Schuiroth vr. pdil. 1»m>l ti n N, Steuerrath Mar tz Re» äuher, Schlossermen r Juliu« Lchwartze, Rechtsanwalt Hofrath Friedrich von Aahtt, deren Wiederwahl geseylich zulässig ist. Die Wahi soll stattfinden Montag, den 16 November d. IS., von Vormittag 10 Uhr bis Nachmittag 5 Uhr, in Ser Tarriftri der Matthätkirche. 1) S iiiimbereäitigt sind diejenigen Gemeindeglieder, welche sich schriftlich oder mündlich zur Wählerliste angemeldet haben. 2) Die Wahl bat durch schriftliche, jedoch persönliche Ab stimmung zu gescheben. 3) Wählbar sind alle stimmberechtigten Gemeindeglieder, die das 30. LebettSjahr vollendet haben. 4) Jeder Wahlzetrel hat 7 Namen von stimmberechtigten Gemeindegliedern zu enthalten, worauf deren Tauf- und Familienname, Stand oder Verns genau zu bezeichnen ist. Wir fordern Alle, weiche zur Theilnabme an dieser Wahl be rechtigt sind, dringend aus, von ihrem Wahlrechte Montag, den 16. November d IS., Gebrauch zu machen und ihr Augenmerk auf Männer von gutem Ruse, bewährtem christlichen Sinn, kirchlicher Einsicht und Erfahrung zu richten. Leipzig, am 7. November 1896. Ter Wahlausschuss für die Uirchenvorstandswahl in der Matthäigcmciude. 1). Kaiser. Episoden aus der Völkerschlacht bei Leipzig. Nach Berichten von Augenzeugen. VI. DaS nordwestliche Schlachtfeld mit seinen wechselvollen und cpisovenreichen Kämpfen ist ein beredter Zeuge für die Hohe, heilige Begeisterung, mit der Deutschland« Jugend und selbst da« reifere Alter bestrebt war, das drückende Joch der französischen Fremdherrschaft abzuwälzen. Mit unvergleick- iichem Heldenmutbe, mit den Tod verachtender SterbcnSlust kamen die preuhischen freiwilligen Jäger, die übrigen preußischen Freiwilligen, die unvergleichlich tapfere schlesitch« Landwehr und die Brandenburger Husaren, nm bei Gohlis, Möckern, Eutritzsch und den umliegenden Ortschaften unter Blücher'« und Dork'S energischer und umsichtiger Führung FoniHeton. Die Erbtante. Humoreske von E. Ehampagne. lNüLtruck verboten.) Sobald Jaques Dalincour — allerdings mit leichtem Herzen — da- Gymnasium verlassen batte, fing er an, fürs Theater zu schreiben. Er war elternlos, besaß ein reckt hübsches Vermögen und hätte recht wohl einen anderen Beruf wädlen können. Es lag nur an ibm, eine Laufbahn einzuschlagen, die von vernünftigen Leuten mit dem Beiwort „solid" bezeichnet zu werden pflegt. Er hätte mit einigem Geschick ein vortrefflicher Notar oder ein bedeutender In dustrieller, oder ein gesuchter Arzt, oder auch ein hervor ragender Staatsbeamter, oder sonst irgend etwas Bedeutende iverven können. Mit einem Wort, er hätte, wenn er wollte, ein höchst gemüthlicheS Dasein führen und eine Partie ersten Ranges macken können. Aber nein! . . . Nicht» von alledem! Dalincour war bummlig, eingefleischter Junggeselle und batte sich verschwor«, einzig und allem dramatischer Dichter zu werden. Er war eS — und ist e« noch. Mindesten- zwei Jahre schleppte er die Manuskripte seiner ersten Lustspiele nutzlos von Theater zu Theater. Er ödete mit seinen vergeblichen Bitten die Directoren sämmtlicher Pariser Theater an; er war ihren Dramaturgen gegenüber von einer wahrhaft schlotternden Unterwürfigkeit, ja, er kam sogar den Portiers — männlichen wie weiblichen — mit zartester Rücksicht entgegen. Doch nicht- zog! Ueberall gab man ibm seine Stücke mit herzlichem Danke zurück. Endlich geruhte der Direktor de« Tbektre Jnlransigeant, eine breiartige Komödie de- unglück lichen Jüngling- zu lesen. Er fand darin einige-Talent und willigte nach einigen, feiner Ansicht nach unerläßlichen Aende- rungen ein, e- auf die Bühne zu bringen. Und um eS kurz zu sagen: da- Stück batte einen Bombenerfolg, und von diesem Tage an öffneten sich seinem Verfasser alle Theater von Pari». Balincour glaubte schon damals, nur moderne, lebende, Figuren auf die Bübne bringen zu dürfen, Menschen, denen man jeden Augenblick aus der Straße begegnet. Er ver kehrte damals vielfach bei einer seiner Tanten, — der Tante Martha, wie sie in der ganzen Familie hieß, einer alten Jungfer, deren zadllose Schrullen und Eigenheiten ibm einen unerschöpflichen Stoff für seine Stücke liefern konnten. Diese alte Dame halte er schon lange auf- Korn genommen, um sie dramatifch zu verarbeiten; doch iriver war ibm die Verwendung dieser wunderbar komischen Kraft streng untersagt. Die gute Tante besaß nämlich dir Empfindlichkeit einer Mimose, und ihre Freunde und Verwandten mußten sie mit der größten Rücksicht bebanveln; ja, sie forderte von ihnen sogar eine übertriebene Verehrung. Außerdem aber — und K>änze unverwelklichen Ruhme- zu erkämpfen; auf fran zösischer Seite stand diesen Führern Napoleon'- erprobtester General gegenüber, nämlich Marmvnt, Herzog von Ragusa. Wie eS in ÄohliS Während der Völkerschlacht herging und wie eS hier aussah, darüber giebt die Pslegetockter de- Schloßpachter« Fränzel einen recht anschaulicken Bericht. Diesem entnehmen wir nachstehend folgende Einzelheiten; „Vom Glockentburme der Gobliser Rath-päckterwohnung babe ich die Schlacht ganz deutlich mit angesehen. Die erschreckliche Eavallerie, die wie gemährt Heu hinsank. Ich habe die Glieder ganz deutlich wieder zusammenrücken sehen, wenn da- fürchterliche Kanonen feuer ganze große Riffe und Lücken gemacht hatte. Als Vie Preußen schon bei uns und ick mit etlichen auf dem Thurm war, schrien sie in währender Kanonade aus mich ein: „Bücken! Bücken!" Ich hatte es kaum gethan, al- eine Bombe oben durchs Schallloch hindurch flog. Grausam war es anzusehen, wie die Tobten ums Dorf der lagen. Wir mußten über sie wegsteigen und mit be graben helfen, vierzig in ein Grab. — Wir batten viel Hunger und kein Brod, die Franzosen aber viel ärgeren. Heißhungrig haben sie dort Pfervrfleisch mit größten Appetite verschlungen. Durchs Schloß sind auch schon die Kanonenkugeln ge gangen und sonst sind inS Dorf schon Kugeln geschlagen; Brandschäden aber haben wir in Gohlis nicht gehabt. Doch Schaden genug. Es rechnet mein Mann für seine Person allein 7000 Thaler. In welcher Todesgefahr wir übrigens waren, und wie der Schreck allein die Menschen umwersen kann, da« habe ich bei einem Tienstmävchen gesehen, die wir damals batten, und oben uur in der Stube an der Kammer- tbür angelednt stand, al- eine Kugel, eine Flintenkugel versteht sich, gerade über ihre Achsel wegstreifend in die Wand schlug. Schreck und Sturz war Eins! Sie stürzte zu Boden als wäre sie tobt, unv hatte ihr doch nichts geschadet als einen nur matten Streif über die Achsel." Ueber die barbarische PlünderungSwuth der Franzosen be richtet ein anderer Gvhliser Einwohner Folgende«: „Mich hatten sie mitgenommen, daß ich am Sechzehnten Morgen» .iS von« 2-„»bai gäbe mit ihnen „Pötsch" laufen müssen. Hinv.e gings; aber herüber! —- Sie hatten mir meine Stiefel . uSgezogen und ich mußte in Strümpfen lausen, in der Kälte und Nässe. — Als ich zurück ging und an den Grenzrain zwischen Möckern und Gohlis kam, da standen die Kanonen, die die Preußen den Franzosen ab genommen batten nnd welche die Franzosen do>t, alle auf einem Puncte wider dir Preußen postirt und halten im Stich lassen müssen. Vor Tovten war dort nicht zum Fortkommen, und doch trieb und jagte mich die Angst nach Hause. Ich mußte über die Tobten hinweglreten uud auf ihnen laufen und trat inS Blut, Gebirn und Gedärm der Franzosen, die da niedergehauen, zerrissen und niedergesckoffen dalagen, daß mir schauderte, mich fror und mir ekelte, als ich nach Hause kam. da- war die Hauptsache — gehörte sie der für jeden Neffen höchst interessanten und wertbvollen Kategorie der Erbtanten an, und Alle-, wa« sie besaß — 300 OVO Frc». — sollte Valincour dereinst als Nächstberechtiglem zufallen. Sie hatte ibm da- selbst eine- Tage- zugesagk. „Aber — unter einer Bedingung, — mein schöner Neff«! Keine Streiche, keine Ungehörigkeiten, oder ich vermache mein Vermögen den kleinen Brustkranken von Montrelout." Nun brachte Valincour den Woblthätigkeit-anstalten aller dings eine große Sympathie entgegen, doch so philanthropisch er auch gesinnt war, er war doch vernünftig genug, eine Erbschaft von 300 000 Franc- nickt zu verachten. So sehr er daher auck wünscht«, sich der ,.ckocuweut» Immniuz" zu bedienen, die ihm seine Tante lieferte, so viel lag ibm andererseit- daran, die Empfindlichkeit der alten Dame nicht zu verletzen. Der Kamps war lang und grausam. Doch der Tbeater- teufel bedielt schließlich die Oberhand über den Erbschaft-- teufel, und der junge Mann beschloß, Tante Martha zu ver arbeiten. Zu derselben Zeit, da Dalincour sich an- Werk machte — e- war im Oktober — ließ ibn Tante Martba eine- Morgen- zu sich kommen und tbeille ibm mit, daß sie den Winter auf den Rath ihres Arztes in Italien verleben werde. „Ich werde dort bis zum April bleiben und die Gelegen heit benutzen, mir Rom anzuseben." Valincour umarmte mit tiefer Rübrung die alte Jungfer und machte sich sofort wieder an die Arbeit, um sein neuestes Werk so schnell wie möglich zu beenden. Zwei Monate später gelangte „Tante Martha" — so lautete der unverfrorene Titel des neuen Stückes — in den „Fantaisies Gauloise«" zur Aufführung, und zwar mit riesigem Erfolg. Von allen Zuschauern, die allabendlich da- Tbeater füllten, amüsirte sich keiner mehr über Tante Martba, al ber Autor selbst. Die Schauspielerin, die die Rolle der Tante spielte, hatte nach den Angaben ValircourS ein Meister werk von photographischer und phonograpbischer Aehnlichkeit geschaffen, die Gesten, da- Eostüm, die Betonungen der alten Jungfer wurden von ibr mit einem Reali-mu- der Darstellung wiedergegeben, über den Valincour jeden Abend Tbränen lachte, denn er versäumte auch nicht eine einzige Vorstellung. Eine» Abend- — eS war kurz vor der hundertsten Auf führung — fielen seine Blicke auf der Wanderung durch reu Zuschauerraum plötzlich auf ein runzlige«, düsteres Gesicht, da- zu der lachenden Umgebung in grellstem Gegen sätze stand. Diese« Gefickt gehörte einer alten Dame an, die mit znsammengekniffentn Lippen aufmerksam dem Spiel der Schauspieler folgte, unv diese- Gesicht war — entsetzlich! dreimal entsetzlich! — da- der Tante Martha, aber der richtigen!! . .. Am nächsten Morgen, al- Balincour in schlimmer Ahnung seinen Kaffee schlürfte, brachte ihm der Portier «inen Bries. Während des Kampfes habe ich mit Patronen und Mu nition aus den Wagens mit an die Preußen vertheilt. Dafür wurde ich auch von dem General Sacken gelobt, als ich ihm die Aepfel brachte, denn es gab zur Zeit viel Aepfel, eine wahre Wohltbat für die armen Menschen. General Sacken rühmte die Dreistigkeit, die zum Verwundern wäre. Wir kannten freilich unsere Gefahr nickt und vertbeilirn darauf los, obgleich die Preußen uns viele Male zuriefen: „Kinder! rückt die Wagen weg". Der Besitzer des Grundstücke«, in dem sich die „Schiller- Stube" befindet, erzählt seine Erlebnisse während der Schlacht folgendermaßen: „Sonnabend Mittag, den lk October, i/z2 Uör, saßen wir hier inmitten der Stube in guter Ruhr beim Essen und dachten nicht daran, daß eS möglich wäre, — als eine erstaunliche Explosion den Erdboden erschüttern machte und unsere Fenster zersprangen, daß uns das Glas um die Köpfe und in die Suppe flog. Wir, auf und davon! ließen Alles im Stiche, flüchteten, wohin wir konnten und rekirirten ins Rosenthal, wo wir von Sonnabend bis Diens tag von Furcht, Angst und Schrecken gepeinigt uns umher trieben. Im Rosenthal hatten die Franzosen Batterien aus gepflanzt und gleich am Eingänge, wenn man von hier aus binrinwill, standen die Kanonen und vertheibiglen die enge Passage. Sonntag, den 17. October, war eS ruhig, aber Montag, den 18. Oktober, ging- bei Zeiten los. Die Russen halten am Kikkerlingsberge vor Pfaffendorf harten Stand, und die Preußen wollten durchs Hallescke Thor in die Stadt. DaS ging nicht so leicht. Aus Löbr'S Garten heraus vertheivigten die Franzosen mit lk Kanonon die ganze Plaine, welche zwischen der Stadt, Gohlis und Psaffcnvorf liegt, und beschossen den ganzen Wiesenraum; acht Batterien standen noch im Rosenthale und beschossen über die Pleiße herüber die Russen. Dennoch aber drangen sie vor und stürmten Psaffendorf viele Male. Die Menschen massen vom Militair wogeten hin und her unv de- Abend waren sie noch nicht fertig; doch aber Psaffendorf hatten sie erstürmt, und die Franzosen, als sie sahen, daß sie eS nicht halten konnten, steckten eS in Brand. DaS Gebrüllr und Geheule der unglücklichen Verwundeten, welche dort in den Flammen umkamen, war fürchterlich Da lagen sie halb verbrannt lind verkohlt — wir konnten den schauerlichen Anblick nicht ertragen! — Stumm und betäubt sind wir vorübergegangen und haben die Hand vor die Augen gehalten, daß wir den unerträglichen Anblick nicht sehen durften." Die Zahl der Unglücklichen wird auf der einen Seile auf 800, von anderer Seite auf 3000 angegeben. Ein aufmerksamer Beobachter der Schlacht schreibt darüber in seinem Tagebuche: „Ungeachtet de« heftigen Kanonendonners Hal man dennoch das Brüllen der Unglücklichen gehört." Am 19. Oktober brachen von Gobli« aus 3000 Mann russische Infanterie ins Rosenthal auf, der Osficier nahm mich als Boten mit, hielt mich immer am Arme und frug: „Biel FranzuSky? Biel Franzu-ky?" Ich: „Nicht viel! zurücke, zurücke!" Langsam marschirten wir in Keil form durch den Wald; ich und der Osficier voraus. Auf Schon an dem Couvert sah er, wer der Absender war. Er öffnete es mit zitternden Händen und la«: Mein Herr Neffe! Ich mußte, um einige Geichäftsangeleaenheiten zu ordnen, nach Pari« zurückkehren. Natürlich wollt« ich mir auch Dein neue« Ttück ansehen. Ich bedaure sehr, daß Du meine arme Person für würdig errachtet hast, dir Aufmrrkjanikeit de- Publicum- zu erregen. So verrückt, wie Du mich schilderst, bin ich nun aller dings Gott sei Dank nicht, aber auch nicht so liebenswürdig, denn Dein» Tante Martha verzeiht im letzten Acte Denen, die sie lächerlich gemacht haben. So großnillthig ist die wirkliche Tante Martba nicht, da- wirst Du bei der Verlesung meines Testaments erfahren. Man hat mir versichert, daß Tein Stück Dir jeden Abend 100 Francs einbringt. Durch die Ausbeulung meiner Schwächen verschaffst Du Dir also jeden Abend 100 Francs. Ich finde eS also nur gerecht, wenn Du mir, al- Deinem Modell, da« Zehnfache zahlst. Dein Stück wird morgen dir hundertste Aus- flibruug erleben, ich ziehe also von der Lumme, die ich Dir zu hinterlassen gedachte, 100 000 Franc- ob, außerdem behalte ich mir vor, Dich bei jeder weiteren Aufführung mit 1000 Francs zu strafen. Mit herzlichen Grüßen Deine Dich liebende Tante Mariba. Kaum batte Balincour diese Epistel gelesen, al- er au- seinem Zimmer stürzte, in einen Wagen sprang und zu seiner Tante fuhr. Verdammte-, pyramidale- Peck! — Tante Martba war bereits mit dem Schnellzug nach Italien zurückgereist! Da Ballincour nun die bittere Pille von 100 000 Francs Abzug binunlerwürgen mußte, so blieb ihm nichts weiter übrig, als sich in Zukunft zu sichern. Er begab fick daher unverzüglich zu dem Director der FantaisieS Gauloisc« und bat ibn, das Stück vom Repertoire abzusetzen. Dieser aber weigerte sich standhaft: er batte endlich einmal ein erfolg reiche- Stück und wollte eS nun auch au-nutzen. „Tante Martba" setzte in Folge dessen ihren Triumphzug fort, und man erreichte daS zweite Hunrert. An diesem Tage traf Balincour auf dem Boulevard einen berühmten Collegen, ter ihn auf da- Lebhafteste beglückwünschte: „Ha, junger Mann, das ist ein Erfolg! Zweihundert Ausführungen! Sie verdienen ja ein Vermögen!" „Sagen Sie lieber, ich verliere ein«!" murmelte der glückliche Autor und erzählte seine Leidensgeschichte. Endlich kam der Tag, wo „Tante Martha" nicht mehr zog, und das Stück wurde abgesetzt. Balincour stieß einen Seuf,er der Erleichterung auS. Eine Wocke später erhielt er folgenden Brief: „Von den 300 000 Franc-, die ich Dir zu hinterlasse« gedachte, babe ich bis jetzt für 210 Vorstellungen 210 000 Franc abgezogen. Mit vielen Grüßen Tante Martba." Valincour zerknitterte wütbend den Brief der alten Jungfer und verfluchte wieder einmal in sehr energischen Ausdrücken seine Sucht nach dramatischem Reali-muS. einmal schossen etliche Franzosen auf un- und rissen dann aus. Ein Russe hinter unS stürzte, die Kugel war ihm durck den Leih gegangen. Endlick schrie der «ine Flügel „Hurrah" unv warf sich, ohne einen Schuß zu thun, auf die Franzosen, die nickt durch die Elster konnten unv nahmen gegen 20t)" gefangen. Der französische Osficier ritt dem russischen ein gegen und gab ihm seine beiden Pistolen, welche die Russen abschossen und ihm verkehrt in seine Pistolentaschen steckten. Dann brachten sie die französischen Ossiciere in dir Gobliser Schenke, wo sie sich mit den russischen beim Weine haben gar wohl sein lassen. Die anderen Gefangenen aber und gemeinen Leute kamen übel weg und hätten verhungern mögen. In dem Schlachtentumulte kamen aber auch heilere Episoden vor. Ich vergesse es nicht, welche unerhörte Meng« von Hasen durch den Spectakel von Düben herüber zu- sammengetrieben, immer vor den Preußen herliefen, bis endlich an Stelle der Hasen die Franzoscn liefen. Auch bleibt cs mir unvergeßlich, was eine alle Mutter lhal. Mil einem ganzen großen Topfe voll Pflaumenmus lief sie aus dem Hause und wollte damit fort. Ein Preuße gleich hinter ihr her, hielt die süße Beute fest und schrie in die Alle hinein: „Mutter, sie wird erschossen hier! Geh weg!" Sie aber hielt den Topf fest und nun ging das Zerren über den Tops los." Ein anderer Augenzeuge berichtet, daß man noch zu Ostern des solgenden Jahres (l814) in ter Elster todte Soldaten angeschwemmt fand, die den Winter über in den Sckollen und im Grunde des Elsterbettes eingefroren lagen; riese entstammten zum guten Theile mit aus den grimmigen Kämpfen, die um Möckern her sich abspielten. Ueber diese giebt nun der LOtsrichter Findeisen, der zur Zeil der Völkerschlacht Ortsrichter in Möckern war, genauen Bericht, nicht minder ter Vicerickter Oberländer, der ebenfalls die Schlacht in Möckern erlcble. Dielen Berichten solgen wir nun im Nachstehenden. Der Ortsrichtcr Findeisen erzählt: Kosakin schwärmten schon wochenlang hier um Möckern umher und kamen bi» inS Dorf herein, ob es gleich voller Franzosen lag — Marincsoldaten. Am lO. Oktober kamen zwei Kosaken bis der an dir Schenke, steigen schnell vom Pferde, lassen sich schnell ein GlaS Branntwein schenken, und als sie wieder aussitzen wollen, stürzt dem einen das Pferd. Ein Franzose hat ibn bemerkt und anstatt ihn, das Pferd getroffen. Der Kosake schnallt den Sattel ab, und „hast du gesehen!" zieht er aus. TeS Abend-, eS war schon spät in der Nackt, wurde ick auf den Hof (Rittergut) verlangt, weil ick im Orte Richter war. Es war der alte Blücher, welcher mich vor fick kommen ließ. In der Unterslube lagen vier blessirte Große, schwer verwundet, im Sterben. In der Oberstube ging der alle Blücker mit starken Schritten auf und ab, und ließ mich vor sich kommen. Er fuhr mich gar häßlich an: „Wo seid ihr Leute! Daß ihr alle zur Stelle kommt, oder ich Ein Jahr verging. Die Zeit heilte die Wunde ein wenig, denn Balincour bekam ja beim Tode seiner Tante immerhin noch 90 000 Francs, Vas war nicht zu verachten. Er batte sich schon in da- Unvermeidliche gefügt, als er an einem Morgen de« Monats März auf der Straße den Director der „Fantaisies GauloiseS" traf. „Ich wollte Ihnen noch heute schreiben", sagte dieser im lieben-würdigsten Tone zu ibm, „ick habe die Absicht, „Tante Martha" wieder aufs Repertoire zu setzen; ich bin überzeugt, Ihr Stück wird uns den Sommer über Wasser halten." „Um Gotteswillen!" rief Balincour entsetzt, „thun Sie mir das nickt an! Wollen Sie mich durchaus unglücklich machen? Warum denn überhaupt dem Publicum immer dasselbe verführen? Ich babe gerate einen Dreiacter fertig, der sich brillant für Sie eignen würde." „Nein, nein, ick tanke vorläufig, ich bringe „Tanle Martha" unv nicktS antereS ans die Scene, ich ziehe das Gewisse dem Ungewissen vor! Tbut mir übrigens leid, -daß ick Ihnen nicht dienlich sein kann! Auf Wietersehen, cder waktre!" „Was war da zu macken? Der Director der Fantaisies Gauloisc- batte einen festen Vertrag in ter Tasche, ter ihm gestattete, über „Tante Martha" zu verfügen, wie und wann es ibm beliebte, und Balincour mußte den Kelch bi- zur Hefe leeren. Sein Stück batte abermals einen sehr hübschen Erfolg, eS wurde neunzig Mal gegeben, und nachdem sein neues Lustspiel aufgeführt worden, erhielt Balincour folgendes lakonische Schreiben: „Mein ganze- Vermögen gehört jetzt dem Ho-pital von Montretout. Tante Martha." Balincour blieb bei der Lecture diese« BillelS ziemlich ruhig und nakni diese letzte Ealamität mit der Kaltblütigkeit eines alten Spieler« auf, der sich über einen großen Verlust nicht mehr aufregt. Zwei Monate später entschlief die gute Tante Martba in Fiieven und hinterließ ihr ganze« Vermöge» von 300 000 Franc- dem Ho-pital der Brustkranken EmeS Tages kam Balincour auf die Idee, vieseS HauS, ta« er beinahe als von ihm gestiftet anseben konnte, zu be suchen und machte die Wahrnehmung, daß man dort das Aneenken seiner Tante in liebevollster Weise cbrte. Tie Be wohnerinnen de« HoSpitalS — blaffe, schwächliche Mädchen mit schmalen Dangen und farblosen Lippen — lebten fast fröhlich die kurze Spanne Zeit dabin, die ibnen beschicken war, und da es ibm im Grunde genommen weder an Philo sophie noch an Gutmütbigkeit fehlte, so sagte er sich ohne Hintergedanken, als er taS HoSpital verließ: „Wenn ich AUeS richtig betrachte, war cS ein guter Ge danke von meiner Tante, mich für diese unglücklichen Wesen zu enterben. Ich hätte ibr Geld jedenfalls toch nur durch gebracht. Und da mein Stück über meine Eiwartungen Er- tolg gehabt bat, so bereue ick nicht mcbr, Tante Martba's Erbschaft verloren z» haben. So habe ich wenigstens einmal in meinem Leben ein gutes Werk in ter koppelten Bedeutung de- Worte- zu Stand« gebracht."
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