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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189611180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18961118
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18961118
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-18
- Monat1896-11
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1896
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Neclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50-^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40.^ Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l M.—, mit Postbesürderung 70.—. Ilnnahmeschluß sör Anzeigen: Abend-AuSgab«: Vormittags 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde frnher. Anzeigen find stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 18. November 1896. W. Jahrgang. Laiengerichte und Gelehrtengerichte. II. Ein nettes System. Wenn, wie wir in der Besprechung der Mängel des gegenwärtigen Systems dargelegt haben, sowohl die reinen Laiengerichte, wie die reinen Gelehrtengerichte den Ansprüchen einer vollendeten Strafrechtspflege nicht genügen, so erscheint auf den ersten Blick eine Vermischung beider Systeme als das gegebene Mittel für eine Verbesserung. Dazu kommt noch, daß dieses System bei den Strafgerichten unterster Instanz, den Schöffengerichten, bereits existirt und sich im Allgemeinen außerordentlich bewährt hat. Der Gedanke der durchgängigen Einführung deS ge mischten Systems rührt bekanntlich von dem preußischen Iustizminister Leonhardt her. So sehr wir indessen theoretisch die allgenieine Durchführung deS gemischten Systems sür crstrebenswerth halten, so können wir doch an die praktische Durchführbarkeit dieses Systems nickt glauben. Wir glauben nämlich nicht, daß die Einrichtung der mittleren Schöffengerichte an Stelle der Strafkammern durchgängig durchführbar ist. Es würde eine zu große Belastung der ehrenamtlichen Thätigkeit der Staatsbürger eintreten. Bei Landgerichten, bei denen der Bezirk ganz oder zum wesent lichsten Theile mit dem Sitze deS Landgerichts zusammen fällt, wie z. B. Berlin, Breslau oder München, wird man die nöthige Zahl der Schöffen leicht finden können, ohne den Einzelnen zu sehr durck Zeitverlust oder Kostenaufwand zu schädigen. Anders verhält es sich aber in den Landgerichts bezirken, die aus kleinen Städten und Dörfern zusammen gesetzt sind und deshalb einen räumlich sehr weit aus gedehnten Bezirk umfassen. Nehmen wir z. B. das durch den Opalenitzaer Proceß allgemein bekannt gewordene Land gericht Meseritz oder das Landgericht Könitz in Westpreußen, so ergiebt fick, daß am Sitze des Landgerichts selbst nicht eine genügend große Zahl von Personen vorhanden ist, um abwechselnd die Thätigkeit der gegenwärtigen Strafkammern wahrnehmen zu können. Es Ware außerdem eine Unbilligkeit und nicht im Sinne der allgemeinen Betheiligung des Laien- elementS an der Strafrechtspflege, wenn die Schöffen für die Strafkammersachen nur am Landgerichtsorte und nicht innerhalb des ganzen Bezirks auSgewählt würden. Wählt man sie aber aus dem ganzen Bezirke, so würden sie durch die häufigen weiten Reisen, um nur einen Strafkammertermin wahrzunehmen, eine zu große Belästigung erleiden. Wir möchten deshalb einen bisher unseres Wissens noch nicht gemachten Vorschlag zur Erörterung stellen: die Straf kammern, die aus Gclehrtenrichtern bestehen, zu belassen, aber ihre Thätigkeit durch Zuweisung einer großen Zahl der gegen wärtig ihrer Rechtsprechung unterliegenden Straffälle an die an Stelle der Schwurgerichte zu errichtenden großen Schöffen geri chte erheblich einzuschränken. DurchunserenVor- fchlag werden zugleich die Schwurgerichte, die sich nicht bewährt haben, beseitigt, andererseits wird die Betheiligung des Laien elements gesteigert. Die Abgrenzung der Thätigkeit der Straf kammern und der großen Schöffengerichte müßte nack Materien erfolgen, statt wie gegenwärtig das Strafmaß zu Grunde zu legen. Bei dem gegenwärtigen System ergiebt sich, da von ver wandten, in demselben Abschnitte des Strafgesetzbuches be handelten Dclicten oft daS eine den Strafkammern, das andere den Schwurgerichten zugewiesen ist, der Uebelstand, daß oft genug im Laufe der Hauptverhandlung sich herausstellt, daß eine der Strafkammer unterstellte Thal eigentlich ein vor das Schwurgericht zu verweisendes Delict ist. Die Folge davon ist, daß das Gericht sich für unzuständig erklären und dir Sache an das Schwurgericht verweisen muß. Die Mühe des Hauptverfahrens ist dann völlig umsonst gewesen. Dieser Uebel- stand würde Wegfällen, wenn eine Scheidung nach Materien stattfände. Wir würden alle Verbrechen und Vergehen, die die Allgemeinheit berühren, den großen Schöffengerichten, die Verbrechen und Vergehen gegen daS Eigenthum deS Einzelnen den Strafkammern zuweisen wollen. Somit würden, ab gesehen von den gegenwärtig vom Reichsgerichte einerseits, von den Schöffengerichten andererseits abzuurtheilenden Delicten die tztz 80—242 und 304—359 des Strafgesetz buches den großen Schöffengerichten, die ßtz 242—303 den Strafkammern zufallen. Wir gehen dabei zunächst davon auS, daß die Betheiligung deS LaienelementeS an der Strafrechts pflege doch gewissermaßen die gesammte Volksgenoffenschaft dazu heranziehen will, daS Unrecht zu ahnden. Die BolkS- genossenschaft aber wird naturgemäß durch die Delikte am meisten berührt, die sich theilS gegen den Staat, theils gegen die Person deS Staatsbürgers richten, während sie für das Vermögen des Einzelnen ein geringeres Interesse hat. Deshalb wollen wir die Delikte gegen den LandeSberrn, gegen die Staats gewalt, gegen die staatsbürgerlichen Rechte, gegen die öffentliche Ordnung, gegen die Religion, dann die gemein gefährlichen Verbrechen, sowie die Verbrechen und Vergehen im Amte, endlich alle Verbrechen gegen die Person den großen Schöffengerichten Vorbehalten wijsen, sofern sie nicht, wie erwähnt, dem Reichsgerichte einerseits, dem Schöffengerichte andererseits gegenwärtig bereits Vorbehalten sind. Erst die Durchführung dieses Grundsatzes wird die großen Schöffengerichte zu dem machen, waS die gegenwärtigen Schwurgerichte durchaus nicht sind, zu einer wahrhaft und im besten Sinne liberalen Institution: dem Urtheile der VolkSgenossenschast wird daS unterstehen, was die Volks gemeinschaft gefährdet oder das VolkSempsinden verletzt. Gerade wenn den Laienrichtern auch die Vergehen im Amte unterstellt werden, wird daS gegensätzliche Gefühl zwischen Staatsbürgern und Beamten gemildert, und wenn ihnen die Vergehen gegen den Staat unterstellt werden, '.^ed daS Verantwortlichkeitsgefühl deS Staatsbürgers für die staatlichen Einricklungen und daS Gefühl der Zusammen gehörigkeit mit dem Staate gesteigert. Und wenn wir den Strafkammern die Vergehen gegen das Eigen thum Vorbehalten wollen, so geschieht es einmal, weil, wie bereits erwähnt, das Volksempfinden durch Vergehen gegen das Vermögen deS Einzelnen nicht so sehr berührt und darum auck durch daS Urtbeil des Gerichtshofes nicht so leicht verletzt wird, wie eS gegenwärtig zuweilen durch Urtheile der Strafkammern in Angelegenheiten, die daS Volk sehr interessiren, verletzt wird; zweitens aber sind gerade bei den Vergehen gegen das Eigenthum so oft schwierige juristische Unterscheidungen zu machen und civilrechtliche Fragen heran- zuziehen, daß gerade über diese Dinge ein reines Gelehrten gericht am besten entscheiden wird. Nach unserem Vorschläge würde die Thätigkeit der großen Schöffengerichte eine weit erheblichere sein, als eö die Thätig- keit der Geschworenengerichte zur Zeit ist. Nimmt man aber die Zusammensetzung eines großen Schöffengerichtes aus vier Laienrichtern und drei Berussrichtern an, so würde für jede Tagungsperiode eine etwa sieben Mal so geringe Zahl von Schöffen einzuberufen sein, als gegenwärtig Geschworene ein- I berufen werden. Die Schöffengerichtsperioden könnten also viel häufiger stattfinden, ohne daß eine größere Belästigung deS Einzelnen einträte. Wir möchten im Gegensätze zu den Vorschlägen von anderer Seite vier Laienrichter und drei gelehrte Richter der Zusammensetzung mit drei Laienrichtern und vier gelehrten Richtern verziehen. Einmal verhält sich die von unS vor geschlagene Zusammensetzung mehr analog der Zusammen setzung der kleinen Schöffengerichte, zweitens wird das nume rische Uebergewicht der Laienrichter durch daS Uebergewichl der gelehrten Richter an Kenntnissen und Stellung, sowie durch den Einfluß deS natürlich den gelehrten Richtern zu entnehmenden Vorsitzenden durchaus ausgewogen. Wir haben hier einen Vorschlag kurz skizzirt, der unS Wohl der Beachtung werth erscheint. Wir haben selbst be tont, daß wir diese Fragen nicht mit der gegenwärtig dem Reichstage vorliegenden Iustiznovelle verquicken möchten, weil daS Hineintragen einer so wichtigen Materie in die Iustiz novelle das Zustandekommen in dieser Session unmöglich machen würde. Wir haben aber die Fragen erörtert, einmal weil sie infolge deS Antrags deS Centrnms zur Sprache kommen werden, und zweitens weil sie nicht eher von der Tagesordnung verschwinden werden, als bis mit dem gegen wärtigen schematischen und dabei doch verworrenen System aufgeräumt ist. Deutsches Reich. * Leipzig, 17. November. In der „Frankfurter Ztg." lesen wir folgendes Inserat: „Prinzessin von Pleß auf Schloß Fürsten stein in Schlesien bittet eines nationalen Zweckes wegen alle an Deutsche Verheiratbete Eng länderinnen ohne Unterschied deS Standes um Ein sendung ihrer Adressen zu Händen des Sekretariates derselben. Antwort wird alsbald erfolgen." Die Prinzessin von Pleß ist Engländerin, und zwar More» z'.:-> Ru'hin Castle am 28. Juni 1873 als Tochter deS William Cornwallis West auS dem Hause der Earls Delawarr. AuS obigem Inserat geht nicht hervor, ob eS sich um einen deutsch-nationalen oder um einen englisch nationalen Zweck handelt. Q Berlin, 17. November. Wie angesichts der aus- gesprochenermaßen nur formellen Verwahrung des Mainzer localen Parteivorstandes nicht anders zu erwarten war, haben die Nationalliberalen im Reichstagswahlkreise Mainz- Oppenheim, der Anregung der Gesammtparteileitung folgend, am Sonnabend dem Centrum zu einem Mandat verhelfen. Die Wahlziffern tbun daS auf eine jeden Zweifel ausschließende Weise dar. Aus eigener Kraft haben die Kleri kalen den Sitz nicht erobert und nicht erobern können, denn die Flunkereien ihrer Zeitungen schaffen die Tbatsache, daß daS Eentrum keine „Reserven" mehr babe, nicht auS der Welt. DaS Centrum bat überhaupt bei Stichwahlen nirgend« über beträchtliche Reserven zu verfügen. Denn wer unter geist lichem Einflüsse und gesckästökatbolischem Drucke steht, giebt schon im ersten Wahlgange, freiwillig oder gezwungen, seine Stimme für den bezeichneten Parteicandidaten ab. Dasselbe ist allerdings aus fast gleichen Gründen bei der Social demokratie der Fall. In Mainz fand jedoch diesmal eine Ausnahme statt. Ein kleiner Theil der „Genossen" ent hielt sich wegen der eigenthümlichen Umstände, unter denen daS, im Besitz der Socialdemokratie befindliche, Mandat erledigt worden war, bei dem ersten Wahlgang der Abstimmung. Den größeren Theil deS Zuwachses der Socialdemokratie, der in der Stadt Mainz rund 900 Stimmen betrug, werden aber die Demokraten und Freisinnigen bei gesteuert haben. Diese hatten keinen Candidaten ausgestellt, viele ihrer Parteimitglieder vermochten es jedoch nicht über sich, schon im ersten Wahlgang für den Socialdemokraten zu stimmen. Wir brauchen nickt zu sagen, daß wir daS Ergebniß trotz der vorgestern geschilderten, aller Ehrlichkeit hohnsprechenden Haltung der Centrumspresse mit Genugthuung erfahren. Die Nationalliberalen mußten, um sich selbst treu zu bleiben, den Sieg deS Socialdemokralen zu verhindern trachten. Daß dies nicht in der Hoffnung auf Wiedervergeltung von Seiten der Ultramontanen geschehen ist, versteht sich von selbst. Ebenso, daß die nationalliberale Unterstützung nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, daS Centrum könne eine positive Partei werden, geleistet wurde. Man wußte in Mainz, daß die Gegner vom Sonnabend am Montag im Reichstage in einer Schlachtlinie gegen die Nationalliberalen stehen würden. Um so ankennenSwerther ist die gezeigte Selbstüberwindung. x. Berlin, 17. November. In Bezug auf die tele- graphischeVerbindungmitDeutschland bat Deutsch- Südwestafrika bisher hinter unseren neueren Colonicn zurückstehen müssen. Während in Deutsch - Ostafrika schon 1891, in Kamerun in demselben Jahre, im Togogebiete 1893 der Anschluß an das internationale Tclegrapheniietz in An griff genommen wurde, ist die telegraphische Verbindung mit Deutsch - Südwestafrika noch heute sehr ungenügend. Nach richten können telegraphisch nur bis Capstadt befördert werden, von dort gehen sie mit der Briefvost nach Walfischbai, und da diese Post nur etwa alle fünf Wochen zur Expedition gelangt, so gebrauchen Nachrichten von und nach Deutsch Südwestafrika eine überaus lauge Zeit zur Beförderung. Es liegt aus der Hand, daß dieses Verhältniß sowohl im Interesse des Handels und Verkehrs, als auch in politischer Hinsicht sehr nachtbeilig ist, und eS ist umsomehr mit Freude zu be grüßen, daß nun an die Herstellung einer telegraphischen Ver bindung mit Capstadt gegangen werden soll, als die Ansichten über den Werth unserer südwestafrikanischen Colonie gerade in jüngster Zeit eine entschiedene Wendung nach der günstigen Seite erfahren haben. Wenn gemeldet wird, daß die Reicks regierung selbst die Ausführung der Linie zu übernehmen be absichtige, so ist dies Vorhaben im Interesse eines schnellen und zuverlässigen Dienstes nur zu billigen. V. Berlin, 17.November. (Telegramm.) Der Kaiser unternahm gestern Nachmittag einen Spaziergang in die Umgebung des Neuen Palais und verblieb, von diesem zurück gekehrt, bis zur Abendtafel im Arbeitszimmer. Heute Vor mittag empfing der Kaiser den commandirenden General des 16. ArmeecorpS General Grasen von Haeseler zur Meldung und arbeitete darauf längere Zeit mit dem Chef res Militair- cabinets General v. Habnke, welcher sich gleichzeitig vor An tritt seines Urlaubs (s. unten. Red.) abmeldete. Von 1 l Uhr Vormittags ab gewährte er dem Maler Koner aus Berlin wiederum eine Sitzung und empfing um 12^ Ubr den Land rath Kögel, welcher die Orden seines verstorbenen Vaters übergab. Um 1 Uhr nahm der Kaiser eine Reibe militai- rischer Meldungen entgegen, gewährte anschließend daran dem neuernannten spanischen Militair-AttachS Oberst Reinlein eine Audienz und gedachte Abends um 6 Uhr das Diner im Feuilleton. Julius Grosse'S Lebenserinneruntzen. Von Adolf Bartels. Nachdruck vcrbotrn. II. Während der drei ersten Jahre seines Münchner Auf enthaltes, die im fünften Buche der Erinnerungen geschildert werden, hat sich Grosse'S Entwickelung vollendet. Er nennt diese drei Jahre die glücklichste und wiederum die dunkelste und trostloseste Zeit seines Leben«, ein Widerspruch, der sich reckt wohl begreift; denn wenn einerseits die gänzliche Ver schollenheit, in die der junge Akademiker versank, ihren süßen Zauber hatte, so war andererseits die völlige Isolirtheit im Bunde mit der Ungeduld, zu schaffen, etwas zu sein, die das Talent, je älter eS wird, um so heftiger überkommt, wohl im Stande, diesen Zauber gründlich zu zerfiörtn. Nack und nach lebte sich der Dichter übrigens in München, daS den Norddeutschen zunächst fremd anmuthen mußte, sehr gut ein, wozu eine längere Tour in die Alpen nicht wenig beitrug; er wurde auch mit den Münchner Dichtern jener Tage, vor allen mit Franz Trautmann, seinem späteren Schwager, näher bekannt und in den „Poetenverein an der Isar" ein- aefübrt. Da« war noch nicht daS spätere berühmte „Krokodil", sondern eine Vereinigung größtentheilS eingeborener Bayern, von denen Hermann Schmid, August Becker und Heinrich von Reder am bekanntesten geworden sind. Auch eine ernst hafte, aber doch phantastische Liebe erblühte Grosse zu dieser Zeit, die ihn jahrelang in ihrem Banne hielt; „Psyche" nennt er den Gegenstand dieser Liebe, eine berühmte Schön heit de« damaligen München«. Langsam knüpften sich dann auch die für da« fernere Leben de« Dichter« entscheidenden Verbindungen. Im December 1853 macht« er Emanuel Geibel einen Besuch und wurde auf da« Freundlichste aus genommen, im Frühjahr 1854 gab er eine kleine Schrift „Ueber die Bedeutung der modernen Romantik mit Be ziehung auf die bildende Kunst" brrau«, die ihn durch Heinrich Egger« in Berlin mit Paul Heyse, der damals nach München übersiedelte, in Berührung brachte. Grosse batte nie aus gehört, poetisch thätig zu sein, u. a. eine historische Novelle (Dankelmann), einen Künstlerroman, ein Epo« „Nokturne" (da« in viel späterer Zeit als BolkramSlied eine Art Auf erstehung feiern sollte) geschrieben, daneben freilich auch eifrig die Akademie besucht, so wenig ibn deren Zustände auch be friedigten; nun sollte er in die Malclasse der Akademie versetzt werden, fürchtete aber, da er nur noch für ein Jahr zu leben hatte, geradezu, sich dem Zauber der Palette zu ergeben — kurz entschlossen warf er den Pinsel hin, griff zur Feder und vollendete in zwei bi« drei Monaten nicht weniger als neun Novellen, von denen eine Anzahl Heyse'S An erkennung fand. Diese Parforcetour batte dem Dichter gefährlich werden können, er überwand aber die unvermeid liche Abspannung und begann im Winter 1854/55 die Tragödie „Die Hnglinger", deren der jüngeren Edda ent nommener Stoff ihm von Geibel dargeboten worden war. Auch zeigten sich jetzt Aussichten, an einer Zeitung eine Stellung zu gewinnen; zunächst kam eS jedoch nicht so weit, der Dichter sah sich vielmehr genöthigt, eine Mentorstelle bei einem jungen Baron anzunebmen, der wegen krankhafter Neigung zu unberechenbaren Eulenspiegeleien eine« Führer« und Aufseher« bedürftig war. Al« er mit diesem im Frühling 1855 zu Wonfurt am Main weilte, nahte endlich die Entscheidung: König Maximilian II. von Bayern, der Schützer der Literatur, hatte feinen Getreuen W H. Riehl, Geibel, Heyse u. s. w. die halbamtliche „Neue Münchner Zeitung" zur Verfügung gestellt, um sie zum Hauptquartier der literarischen Aera, die in München»die künstlerische ab löste, zu machen, und man bot nun Grosse dir Redaction de« Feuilleton« an. Er acceptirte und war damit der Literatur sür ewig verfallen. Im nächsten, dem sechsten Buche, gelangen wir dann nach und nach aus den klassischen Boden der Münchner Dichter schule. Mau hatte di« Stellung, die Grosse einnahm, eigent lich für Theodor Fontane bestimmt gehabt, aber bei dem Haß der „Urbayern" gegen die Fremden nicht gewagt, sofort noch ein weitere« „Nordlicht", wie man die Norddeutschen ge schmackvoll nannte, nach München zu berufen, und deshalb provisorisch den schon in München eingelebten Grosse ein geschoben. Dieser gab sich nun ganz ungeheure Mühe, schrieb >n 8 Monaten weit über 100 Artikel sür seine Zeitung, und so war von einem Provisorium nicht die Rede mehr, zumal da auch da« Verhältniß mit Geibel und Heyse immer enger wurde. Der dichterischen Production Grosse'« ward die ZeitungSthätigkeit natürlich gefährlich. „Zwar geschah viel", schreibt er, „um die Mühen de« neuen Uuternehmen« auf mehrere Schultern zu vertheilen. In regelmäßigen Wochen- conferenzen versammelte sich die Corona der Berufenen ab wechselnd bei Geibel, Heyse, Riehl, Carriere, Bodenstedt und Löher, um bei gutem Wein und guten Cigarren mündlich zu redigiren, Einlaufe und Zusendungen zu prüfen, Angriffe zu pariren und sonstige Maßregeln zu verabreden. Aber damit ward meine dreifache Verpflichtung nicht vermindert, un merklich und unaufhaltsam ward die Gesammtstimmuna meine« Denken« und Empfindens eine kritische, und zwar aus Kosten der poetischen Production." Die kritische Thätigkeit Grosse'« brachte ibn sogar in persönliche Gefahr; eine Künstlergesellschaft plante einen nächtlichen Angriff auf ibn, dem er nur durch einen Zufall entging. Ueberhaupt war die Stimmung in München damals sehr gereizt; al« die Norddeutschen im April 1855 versuchten, mit den Altbayern vom Verein an der Isar ein Verhältniß berzustellen, und zu dem Zweck ein Verbrüderungsfest inscenirten, mißlang eS, und zwar durch die Schuld August Becker'«, vollständig. Immerhin entstand damals dock schon die regelmäßige Ver einigung, au« der fick da« „Krokodil" entwickelte, da« im Herbst 1856 ins Leben trat. Ebe dies geschah, war Grosse noch eine Reihe schwerer Erlebnisse beschieden. Im August 1855 starb sein jüngerer Bruder Bernhard, Anfang 1856 löste sich daS Verhältniß zu Psyche. Durch die Familie des Maler« Vogel von Vogelstein war ein Verkehr mit der Angebeteten vermittelt worden, der nun au« nicht ganz durchsichtigen Gründen jäh abbrach. AuS der dadurch wie durch die journalistische Thätigkeit hervorgerufenen trüben Stimmung befreite den Dichter eine italienische Reise, die er, mit fünfmonatigem Urlaub, theilweise in Gesellschaft des Maler« Vogel von Vogelstein unternahm — eine unvorher gesehene Erbschaft der Mutter bot die Mittel. Die Schilderung dieser Reise (siebentes Buck) gehört zu den Glanzpartien der Erinnerungen. Sie ist nicht im Wett eifer mit einer der classifchen italienischen Reisebeschreibungen unternommen, nicht tagebuchartig, sondern kurz und gedrungen, dabei aber sehr anschaulich und an interessanten Episoden reich. Die Reise ging über Lindau am Bodensee, da« Rhein- tbal, die Via Mala, den Lago maggiore und Alessandria nach Genua, wo ein viertägiger Aufenthalt genommen wurde, dann die Riviera di Lavente entlang nach Carrara und Pisa. Hier trennt« fick Grosse von seinem Begleiter und reiste von Livorno zu Schiff nach Civitavecchia. Der Aufent halt in Rom dauerte sieben Woche« und wurde durch eifrige Studien römischer Kunst an-gefüllt; auch entstanden dichte rische Entwürfe. Von Bekanntickasten, die der Dichter machte, seien nur die de« allen Corneliu«, der eben damals einen Kampf gegen seinen berühmten, Grosse von München her sehr wohl bekannten Schüler Kaulbach durchführte, und die mit GregoroviuS, mit den Bildhauern Wittig und Kopf, den Malern WiSlicenuS und Passini erwähnt. Die Reise nach Neapel machte Grosse mit der u. A. auS Lenau« Leben be kannten Schriftstellerin Emma Niendorf (Frau von Suckow). Er besuchte die ganze Umgegend der herrlichen Parthenope, auch Sorrent und Capri, wo er durch die Erzählung eines Maler« die Idee zu seinem „Mädchen von Capri" und auch wohl die erste Anregung zu seinem erfolgreichsten Drama, dem „Tiberiu«", empfing. Zu Schiff kehrte er nach Civita vecchia-Rom zurück und reiste dann über Florenz, ,ro er mit Bogel von Vogelstein zusammentraf, und Verona beim. Nach Venedig kam er nicht. Die italienische Reise bezeichnet er selbst als eine geistige Wiedergeburt. — „Ich war um zehn Iabre nicht älter, aber reicher geworden" —, und ich glaube wobl, daß man dies nicht für eine Selbsttäuschung halten darf, wie ibr so manche deutsche Dichter und Künstler in Erinnerung an Goethe und die Kunstgrößen früherer Zeit unterlagen. Für die Münchner Dichter ist der SchönheirS- cultuS charakteristisch, und Grosse'S Schicksale waren bisher derart gewesen, daß Italien etwa« wie eine Befreiung be deuten konnte. Heimackehrt, fand er den Casseler Verleger Georg Wigand entschlossen, seine Gedichte zu veröffentlichen. Ueberhaupt beginnt jetzt die Höbe in Grosse'« Leben (8. und 9. Buck) — sie steht in engster Verbindung mit dem Aufschwung der Münchner Dichterschule, ist zum Theil aber auch persönliche« Glück. Da« „Krokodil" wird nun gegründet und damit auf Iabre hinan« ein Mittelpunct de« Münchner Dichterlebens geschaffen; zu den alten Freunden Geibel und Heyse, denen Grosse sich mit Freuden unterordnet, treten nach und nach auch neue, wie Bodenstedt und Hermann AllmerS. Dagegen muß Dingelstedt, der Hoftheater-Jntendant, zu dem Grosse nie ein Verhältniß batte gewinnen können, München verlassen — der Dichter sieht darin ein Symptom deS be ginnenden Zerfalls der Münchner Fremdencolonie, aber ich glaube, eS war eher rin Sieg der Geibel'schen Richtung, der sich Dingelstedt nie hatte anschließen können und wollen. Als Tbeaterkritikrr trug Grosse zum Sturz de« Intendanten, wenn auch gegen seinen Willen, etwas bei, seine Stellung festigte sich überhaupt, und zugleich nahm seine poetische Production regen Aufschwung. Und nun kam auch eine neue Liebe, dem Ursprung nach nicht weniger phantastisch als die zu Psyche, dir aber .zum glücklichen AuSgang, zur Heirath, führte, trotz zahlloser Schwierigkeiten. Die Darstellung dieser Liebesepisode ,st von großem Reiz, fast dramatisch. Neben Grosse s Liebe ging die Franz Trautmann'S zu Grosse s Schwester Elise, die mit der Mutter besuchsweise nack München gekommen war, her, und auch diese nahm einen glücklichen Verlauf. Wenn ich nun noch erwähne, daß die 1857 erschienenen Gedickte Grosse'« guten Erfolg hatten, Laß die „Pnglinger" bei einer Münchner Dramenconcurlenz eine ehrenvolle Erwähnung erzielten (sie gelangten 1859 auch zur Aufführung), daß der Dichter auf
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