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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961119025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896111902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896111902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-19
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Die reichsseindliche Ausbeutung der grund falschen Meldung, die oberste bayerische Heeresleitung habe neuerdings eine von der preußischen (und fach ischen) grundsätzlich abweichende Stellung genommen, erfordert noch eine Beleuchtung, sodann ist inzwischen eine Thatsache bekannt geworden, die allerdings nicht dem entgegenzebalten werden kann, was Herr Bachem am Dienstage gesagt hat, aber einen Platz neben der Verallgemeinerung des Falles Brüsewitz durch die Centrums presse und die Sprache verdient, die das (Zentrum im Frühjahr über die Studentenmensur im Reichstage geführt hat. Wie vorgestern gemeldet, sind in Bonn drei Mitglieder einer schlagenden Burschenschaft von etlichen zwanzig der katholischen Studentenverbindung „Alsatia" überfallen worden und hat dabei einer der Angegriffenen eine lebensgefährliche Verletzung erlitten. Wie gefiele es Wohl dem Centrum, wenn armeefreundliche Zeitungen und Parlamentarier nun „feststellen" würden: „Vor den katholischen Verbindungen ist kein anderer Student seines Lebens sicher; diese Verbin dungen überfallen in großer Uebermacht ihre Cominilitonen und das gebt nothwendig aus ihrem Ehrbegriff hervor; zwischen jungen Leuten sind Reibungen unvermeidlich, und da die genannten Vereinigungen die Austragung von Händeln mittels der Studentenwaffe verschmähen, so müssen sie zum Knüppel greifen"? Daß dem Fall Brüsewitz nicht ganz unähnliche Fälle in den fünfundzwanzig Jahren, die das Reich besteht, sich schon einige Male zugetragen haben, könnten die Klerikalen nicht entgegenhallen. Wer auf Universitäten mit katholischen Verbindungen studirt hat, weiß, daß Ueberfälle wie der Bonner nicht zu den Seltenheiten gehören und daß dabei die numerische Unter legenheit der Angefallenen mit fataler Regelmäßigkeit beob achtet wird. Wir sind zu gerechtigkeitsliebend, um, wie die nltramontanen Blätter mit den socialdemokratischen und frei sinnigen gegenüber der ersten Meldung über den Karlsruher Fall gclban, aus dem Bonner Vorkommnisse Schlüsse zu ziehen, sei es auch nur den, daß die Studentenmensur, die mit der neuerdings in beunruhigender Weise um sich greifenden Duellwuth nichts zu thun hat, ein auch für die katholischen Verbindungen, insbesondere die farbentragenden, empsehlens- werthes Ventil sei. Wir wünschen nur, daß die unredliche und unpatriotische Ausbeutung vereinzelter Vorfälle, deren sich Herr Bachem, ob aus Gründen der Gerechtigkeit, sei dahingestellt, vorgestern enthalten hat, künftighin den verschiedenen, aber nur wenig verschiedenen Schattirungen der Demokratie allein überlassen bleiben möge. Daß dieser Richtung am Dienstag Alles außer einer Specu- lation auf die Leidenschaften ferne gelegen hat, geht schon aus der Auswahl ihrer Redner hervor. Wer einer ernsten Frage mit Ernst, mit sittlichem Ernst nabe getreten wissen will, läßt sie nicht von einem Munckel bewitzeln — von Bebel, dem be-1 währten Colporteur und Wieberaufwärmer erfundener Ge- I schichten, ganz zu schweigen. Die Begründung der Inter pellation hat es außer Zweifel gestellt, daß die Volks partei nicht etwaige Auswüchse, sondern das Heer selbst treffen wollte und damit das Reich. Der Preuße Munckel denuncirte Preußen als dasjenige Land, daS den Boden, auf dem Vorfälle wie der Karlsruher wachsen „müßten", auch im außcrpreußischen Deutschland gedüngt habe. Daß eS in Bayern z. B. vor Einführung der jetzigen Heeres- einrichtung zu vereinzelten blutigen Zusammenstößen zwischen Militair und Civil gekommen ist, braucht der Berliner Rechts anwalt ja nicht zu wissen. Er bat in Wahrheit nur „ge hetzt", und der indirekte Ordnungsruf, den der neue preußische Kriegsminister für die richtige Benennung des Kindes sich zu gezogen hat, schmückt ihn mit einer ehrenvollen Narbe. Herrn v. Goßler wird in der radicalen Presse ein Vorwurf daraus gemacht, daß er in derselben Rede, in der er über den Fall Brüsewitz sprach, das Recht des angegriffenen Osficiers auf Nothwehr betont hat. Es geschah das jedoch nicht, wie ihm untergeschoben wird, zu dem Zwecke, den Lieutenant v. Brüsewitz zu vertbeidigen, sondern um den Beweisführungen entgegenzutreten, daß, weil dieser eine Officier einen Exceß der Nothwehr begangen oder überhaupt nickt im Stande der Nothwehr gehandelt habe, künftighin angegriffene Officiere un günstiger gestellt sein müßten, als die nichtmilitairischen Staats bürger in gleicher Lage. Das verbrecherische Verhalten des Karls ruher Osficiers ist vom Minister ohne Rückhalt verdammt worden; wenn er dem untadeligen Vorleben des, wie man nun weiß, Vcrurtheilten Gerechtigkeit widerfahren ließ, also darthat, daß man sich von Brüsewitz einer Handlung, wie der von ihm verübten, nicht versehen konnte, so geschah das in der Widerlegung einer von der Presse gepflegten Darstellung, wo nach Herr v. Brüsewitz socuuckum nMuram sui gonerig gehandelt habe. Nun hat der Kriegsminister auch einiges Material zur Beurtheilung des getödteten Siepmann beigebracht, und dies wird ihm sehr verargt. Wir können uns der Mißbilligung nicht anschließen, da Herr Munckel, der als vor Herrn v. Goßler zum Worte gelangter Redner von dem Karlsruher Vorfall nicht daS mindeste Authentische wissen konnte, Brüsewitz der Feigheit, der Ehrlosigkeit bezichtigt hatte. Wenn man so hoch von der Volksvertretung — namentlich einer mit anti nationaler Mehrheit — denkt, wie der Radikalismus, so sollte man ihr nicht geringere sittliche Verpflichtungen zu erkennen, als einem Mitglieds der Regierung. Da die Feststellung des Ministers, daß die Sicherheit Ossiciere durch die Preßverbetzungeu neuerdings ge ¬ mindert sei, selbst vom Abg. Bachem bestätigt worden ist, so sind damit die nach einer allgemeinen Verantwortung für die Karlsruher Blutthat suchenden Augen — wir sehen keine andere Schuld als die des Herrn von Brüsewitz — vom OfficiercorpS ab und auf dessen demokratische Gegner gelenkt. Das ist eins der positiven Ergebnisse der Reichs tagsverhandlung. Das zweite liegt in der Mittheiluna, daß der Todtschläger wegen Todtschlags verurtheilt, also ihm gegenüber kein „besonderer militairischer Rechtsbegriff" gehandhabt worden ist. Hoffentlich erfolgt alsbald die Ver öffentlichung des noch der kaiserlichen Bestätigung harrenden Erkenntnisses. Es steht ihr nichts im Wege, da dem obersten Kriegsherrn die Ertheilung der Genehmigung dazu nicht verwehrt ist. Was die Duellfrage anlangt, so geht aus der Ant wort des Reichskanzlers hervor, daß der vom Reichstage im Frühjahre gegebene Anstoß fortwirkt. Die die Herab setzung des militairischen Zweikampfes wenigstens „auf ein Mindestmaß" bezweckenden Arbeiten des preußischen Kriegs ministeriums sind so weit gediehen, daß dieser Tage eine bereits gebildete Commission von Officieren behufs weiterer Berathung zusammentreten kann. Sie wird sich mit einer Erweiterung der Competenz der militairischen Ehrengerichte zu befassen haben. Eine vom Abg. Bass er mann gegebene fruchtbare Anregung geht dahin, Ehren gerichte auch für die (Zivilbevölkerung einzuführen und zu ihrer Benutzung durch eine Bestimmung anzuspornen, welche Zweikämpfe, die ohne vorhergegangene Anrufung eines Ehren gerichtes ausgefockten worden sind, erheblich strenger bestraft. Die Regierung ihrerseits hat als Mittel zur Vermeidung der Duelle in bürgerlichen Kreisen die schärfere Bestrafung einerseits deS Zweikampfes, andererseits der Beleidigung in Erwägung gezogen. Die Höbe der bestehenden Strafen für das Duell erscheint jedoch ausreichend. Aber die Gerichte bewegen sich zumeist um daS Mindeststrafmaß herum, und ihre milden Urtbeile werden noch dazu in der Regel nur im kleinsten Umfange vollzogen. In Folge dessen ist das Moment der Abschreckung ganz und gar in Wegfall gekommen, obwohl es sich als sehr kräftig erweisen würde. Und daS nicht nur in der Richtung von Vermeidung von Duellen, sondern auch von Beleidigungen, aus denen Forderungen hervorzugeben pflegen. Daß die Lust an Beleidigungen dadurch, daß man sie schärfer bestraft, gemindert werde, damit kann man sich wohl ein verstanden erklären, und eö ist sehr charakteristisch, daß Herr Bebel sich gegen das Betreten dieses WegeS mit großer Auf geregtheit erklärt hat. Hat doch die Socialdemokratie unter seiner Anweisung die Ehrabschneiderei zu einer Kunst von hoher Vollendung ausgebildet, die gestern u. A. in der Beschimpfung der CorpSstudenten Triumphe gefeiert bat. Bebel freilich und ein Dutzend anderer „Genossen" beleidigen unter dem Schutze der Immunität und bleiben daher von einer bloßen Erhöhung der Geld- und Gefängnisstrafen unberührt. Es fragt sich aber, ob es wirklich ein des Erhaltens werthes „Volksrecht" sei, daß auch die bewußte verleumde rische Kränkung der Ehre von Privatpersonen ans der Parlamentstribüne vogelfrei bleibe. politische Tagesschau. * Leipzig, 19. November. Obgleich am Montag im Reichstage der StaatSsecretair v. Marschall trotz seiner Aufgabe, die Nichterneuerung deS im Jahre 1884 abgeschlossenen deutsch-russischen Assekuranz» Abkommens zu vertbeidigen, dieses Abkommen energisch gegen den Vorwurf in Schutz nahm, es habe im Widerspruche zu anderen Verträgen gestanden, und obwohl der Reichskanzler Fürst Hohenlohe ausdrücklich erklärte, die Enthüllungen der „Hamb. Nachr." über dieses Abkommen hätten lediglich „in einigen Schichten der Bevölkerung" befreundeter Staaten eine rasch wieder verschwundene „Wolke deS Mißtrauens" entstehen lassen, bleibt die socialdemokratische, demokratische und ultramontane Presse in Uebereinstimmung mit der „Köln. Ztg." dabei, daß jenes Abkommen ein unredliches Doppelspiel bedeute und die Enthüllung seiner Existenz da» Vertrauen der uns befreundeten Mächte erschüttert habe. Anderes war freilich nickt zu erwarten und die Erscheinung, so sehr sie das Ansehen Deutschlands im Auslände schädigt, hat keine erhebliche politische Bedeutung, obgleich anzuuehmen ist, daß die Mehrheit deS Reichstags den Standpunct jener Blätter theilt und mithin auch einer Politik derRegierung sein dlick gegenüdersteht, die auf eine Ausfüllung der im Jahre 1890 in den unsere Sicherheit garantirenden Verträgen entstandenen Lücke gerichtet ist. Glücklicherweise hat ja der Reichstag in derartige Verträge nichts hineinzureden. Wie das Assecuranz Abkommen s. Z. ohne Wissen und Billigung des Reichstags al geschlossen und fallen gelassen worden ist, so könnte es auch jetzt ohne Wissen und Billigung des Parlaments in irgend einer Weise erneuert werden, wenn nur Rußland einer solchen Erneuerung noch ebenso geneigt wäre wie im Jahre l89o. Ob seit dem Besuche des Zaren in Paris unser Verhältniß zu Rußland „noch gut und freund lich" genug ist, um ein neues NeutralitätS- afbkommen für den Fall eine- französischen An griffes auf Deutschland zu ermöglichen oder uns eine freundliche Neutralität Rußlands auch ohne Abkommen zu sichern, darüber haben Fürst Hoben lobe und Frhr. v. Marschall am Montag nichts gesagt; es ist auch keinem Mitgliede des Hause« eingefallen, danach zu fragen, obgleich diese Frage doch nabe genug gelegen hätte, und obgleich es höchst wahrscheinlich ist, daß der Urheber der Enthüllungen mit diesen u. A. auch den Zweck verfolgt Hal, eine Auslassung der jetzigen Leiter Ver deutschen Politik über ihre Auffassungen von den Resultaten deS Zarenbesuches in Pari« zu provociren. Diesen Zweck erreichen zu helfen, hat der Reichstag leider übersehen. Um so nöthiger ist es, daß die nationalen Parteien das Versäumte bei der Etats- berat bring nachbolen und dabei die Frage an den Herrn Reichskanzler richten, ob er die Grün de, die für seinen Vor- gänger„vollwicbtig" genug waren, die Erneuerung desAsse- curanz - Abkommens abzulednen, auch für sich selbst als „voll wichtige" anerkennt,d. h., ob auch er die BündnißpolitikdeS Fürsten Bismarck für zu „complicirt" und für zu leicht zu verzwickten Fragen führend hält, um diese Politik so weit wie möglich wieder aufzunehmen. Auch das hat Fürst Hohenlohe im Zweifel gelassen, und kein Mensch im Reichstage Hal für nöthig gehalten, danach zu fragen. Da nun aber sogar die ,A>öln. Ztg.", wie wir unlängst mitgetheilt haben, aus beachtenswerthe Stimmen au« Rußland bingewiesen hat, die einen Angriff dieser Macht auf Oesterreich-Ungarn im Falle einer für Rußland bedrohlichen Polenpolitik in ziemlich sickere Aussicht stellen, und da in einem solchen Falle Deutschland mit seiner ganzen HeereSmacht Oesterreich- Ungarn beizustehen verpflichtet wäre und dadurch Frankreich geradezu zu einem Angriffe herauSforbern würde, so ist es für uns von eminenter Wichtigkeit, genau zu erfahren, nickt nur waS die Leiter der deutschen auswärtigen Politik sich zutrauen, sondern auch ob sie die lieber zeug ung haben dürfen, daß dnS Fallenlassen deS Assecuranz-Ab- kommens und die Entstehung ve- Zweibunde- in unserem Verhältniß zu Rußland gar nichts zu unseren Ungunsten verschoben habe. Daß die blinden Bismarckhaffer eS übersehen haben, bei der Besprechung der Interpellation sich solche Klarheit zu verschaffen, kann nicht befremden; von den nationalen Parteien aber hätte man es billigerweise erwarten können. Holen sie e« nicht rechtzeitig nach, so werden sie sich nicht wundern dürfen, daß das Ansehen nicht nur der Minorität de« Reichstag« in den durch die „Enthüllungen" geschärften Augen der Wähler noch mehr sinkt. Frrrrlletoir iy Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. NaLdruck verboten. Dagegen protestirte Harald energisch nnd kam mit allerlei logischen Beweisen, welche damit endeten, daß er ausrief: „Und schließlich — mein Vater sagte mir noch kurz vor meiner Abreise aus Esthland, daß Ihr Verwalter in LommerdShoff Sie auf eine unverschämte Weise bestehle. Sie wissen, meinem Vater kann man in Bezug auf Landwirth- schaftlicheS ein kompetentes Urtheil zutrauen." „Ich habe Lutz bisher immer für ehrlich gehalten." „Mein Gott, die Ehrlichkeit ist meist ein dehnbarer Begriff. Wie gesagt, Herr v. Lommerd, eS ist wirklich die höchste Zeit, daß Sie bei sich zu Hause selbst nach dem Rechten sehen." „Mein lieber Ingersheim, ich will mir die Sache noch überlegen." „Sie pflegten dock sonst Ihre Entschlüsse schneller zu fassen." „Das that ich allerdings", versetzte Hans Jürgen, unwill kürlich seine schlanke Gestalt straff emporrichtend. Man batte den Rückweg eingeschlagen und schlenderte nun dem oberen Thcil der Stadt zu. Die HohenortS und HanS Jürgen batten dort in der Pension Depallante eine Reihe Zimmer bezogen. Harald IngerSheim hatte die Absicht, dem Baron und der Baronin seine Aufwartung zu machen Eine Viertelstunde später saßen Aan» Jürgen und Harald im AufenthaltSziinmer deS alten Ehepaares. Letzteres ließ sich von Harald, welcher Grüße von seinen Eltern überbrachte, von der Heimath berichten, was der junge Mann auch sehr bereitwillig that. Er empfand eine auf richtige Freundschaft für HanS Jürgen und hoffte, ihn durch seine Schilderungen von dem Leben und Treiben daheim zur Rückkehr nach Esthland zu bewegen. ,Lum Märztermin will ich in Reval sein", sagte er unter Anderm. „Wenn ich morgen meine Heimreise antrete, komme ich gerade noch zur rechten Zeit, um einige Bälle und Diner- mitzumacheu." HanS Jürgen saß in Nachdenken versunken da und warf nur ab und zu ein Wort in die Unterhaltung. Irma ließ sich nicht blicken, sie war einsilbig geworden am Schluß deS Spazierganges und war, in der Pension an gelangt, gleich auf ihr Zimmer gegangen. Die Baronin klingelte ihrer Jungfer und ließ den Fünf- uhrthee bringen. „Ganz wie zu Haust, so behaglich", sagte Harald, dankend aus den Händen der Baronin eine Tasse Thee entgegen nehmend. „Ich hasse eigentlich daS Touristenleben, aber Mama bestand diesmal auf meiner ausländischen Reife. Die gute Mama! Sie hofft immer noch einen Salonhelden aus mir zu machen, und ich bin doch nur zum Landjunker geboren." Der Baron seufzte: „DaS Umherreisen und der lange Aufenthalt in der Fremde sind auch gar nicht nach meinem Sinn. Meine gute Annemarie und Doctor Jansen haben mich gewissermaßen mit dieser Reise überrumpelt, und wahr ist's ja, in den Monaten, welche ich in diesem gesunden, herrlichen Klima verbracht, haben sich meine angegriffenen Lungen wunderbar gekräftigt, und so Gott will, kehren wir im äuli nach Hohenort zurück." „DaS wird doch noch von Deiner Gesundheit abhängig, lieber Kurt", meinte die Baronin, aber im Grunde ihres Herzens hegte sie die gleiche Hoffnung wie ihr Gatte; sie sehnte sich darnach, an Margaret'- Sarge zu beten. Nach einer gemüthlich verplauderten Theestunde empfahl sich Harald, nachdem er mit HanS Jürgen die Verabredung getroffen, den Abend gemeinschaftlich im Curhause zu verbringen. HanS Jürgen begleitete seinen LandSmann bis zur Treppe, welche in den ersten Stock hinabführte. „Ach so", sagte Harald, auf der ersten Treppenstufe wieder umkehrrnd, „ich hatte nicht daS Glück, Fräulein Montfort noch einmal zu sehen; wollen Sie so freundlich sein, ihr dieses Päckchen zu übergeben. Mein Vater betraut mich ost mit der Inspicirung von SaliSfer. Aus der Suche nach einem verlegten WirthschaftSbuch siel mir diese« Brirspacket au» einem der Fächer de« alten Schreibtische«, welcher vrrmuthlich Joachim BeverSdorff gekört bat, entgegen." Bei diesen Worten übergab er Hans Jürgen ein Päckchen vergilbter Papiere. „E» sind vrrmuthlich Briefe, welch« Fraulein Montfort'S Mutter an ihren Vater geschrieben. Wissen Sie, Lommerd, diese« SaliSfer besitzt einen goldenen Getreideboden, eö ist ein Vergnügen, dort zu wirthsckaften. Fräulein Montfort'S Gatte wird zu beneiden sein." „Um seine Frau oder daS Gut, welckes sie ihm mit bringt?" fragte Hans Jürgen ein wenig spöttisch. „Um Beides", gab Harald rasch zurück, „aber nun auf Wiedersehen I" HanS Jürgen schritt mit umwölkter Stirn seinem Zimmer zu. Ihm war es stets unlieb, wenn er an die noch un entschiedene Erbschaftsangelegenbeit erinnert wurde; denn der Gedanke, möglicherweise von Manchen als ein Erbschleicher — denn die Vorliebe des seligen Joachim BeverSdorff für ibn war allgemein bekannt — betrachtet zu werden, war ihm unendlich peinlich. Er hatte nie im Entferntesten daran gedacht, Erbe von SaliSfer zu werden, er war sich nur bewußt, dem verbitterten, menschenscheuen alten Manne durch Frohsinn nnd unbefangenes Entgegenkommen manche trübe Stunde erheitert zu haben. Wenn doch diese Irma so bald als möglich heirathen wollte, dann würde in der Gesellschaft nicht mehr immerfort die leidige Erbschaftsfrage aufgeworfen werden. Unter diesen Gedanken war HanS Jürgen in sein Zimmer getreten, auf seinem Schreibtisch fand er einen mit der heutigen Post eingelausenen Brief liegen. Er kannte die un beholfene Handschrift seines Verwalters. „WaS schreibt mir denn Lutz schon wieder?" HanS Jürgen riß ärgerlich daS Couvert auf. Lutz erbat sich in den devotesten Ausdrücken eine Anweisung an HanS Jürgen s Bankier in Reval; er wäre genölbigt, so schrieb er, eine größere Geldsumme flüssig zu machen, um die An sprüche de« Baumeisters Trummy zu befriedigen. „Hat der Kerl aber hoch gegriffen! Er und Lutz scheinen mir-deide unter einer Decke zu stecken. Ingersheim bat Recht, es ist Zeit, daß ick nach LommerdShoff zurückkehre." Er warf die Rechnung auf den Tisch, und dabei fiel sein Blick auf daS ihm von Harald übergebene Briefpacket, welche- er aus der Hand gelegt. Er wußte, daß Irma um diese Stunde gewöhnlich im Kinderzimmer zu sein pflegte, um mit HanS Joachim zu spielen, und er begab sich dorthin. Vor der Portiere, welche die offenstehende Tbür verhüllte, hemmte er seinen Schritt, um auf den leisen Gesang einer süßen Stimme zu lauschen. Es war Irma, welche seinen Sohn in den Schlaf sang. Han« Jürgen lehnte sich an den Tbürpfosten und lauscht» — er stand immer im Bann dieser Stimme, sobald sie an sein Ohr drang. Jetzt veistummte daS Wiegenlied, und er trat in das Zimmer seines KindeS. Irma stand über das kleine weiße Bettchen gebeugt. „Leise — leise," flüsterte sie dem Eintretenden zu, „er ist eben rin- geschlafen." Und voll zärtlicher Sorgfalt zog sie die Vorhänge schützend um das Bett des Kindes. HanS Jürgen trat einen Schritt näher. „Sie verwobnen meine» Sohn, Fräulein Irma." Sie schüttelte lächelnd mit dem Kopf. „Einem kleinen Kinde kann man nie genug Liebe und Sorgfalt erweisen, eS ist ja so zart und hilflos." „Ich danke Ihnen für jeden freundlichen Blick, den Sic dem mutterlosen Knaben spenden", sprach Hans Jürgen be wegt, „und unter Ihrer Obhut und derjenigen seiner Groß mutter lasse ich HanS Joachim ruhig zurück — ich reise morgen früh." „Sie gehen nach Esthland", rief Irina, ,,das ist Neckt von Ihnen. Herr v. Lommerd, bieten Sie", fügte sie leiser hinzu, „allen trüben Erinnerungen nur getrost die Stirn, nur dann werden Sie Ruhe und Frieden, die Ihnen jetzl gemangelt, finden." HanS Jürgen betrachtete das junge Mädchen mit wachsen deni Erstaunen. Er erblickte sie plötzlich in einem ganz neuen Lichte — es war kein Kind mehr, welches vor ihm stand, sondern eine junge Dame. Er ward unwill kürlich ein wenig verwirrt durch diese ihn verblüffende Entdeckung und ärgerte sich darüber, ohne daß er sick's eingestand. „Ich habe Ihnen diese« Päckchen hier abzuliesern, da« Herr v. IngerSbeim mir für Sie übergeben." Mit diesen Worten bändigte er Irma die Briese ein und trat an da« Belt seine« SohneS. Der Kleine schlummerte — die rosigen Händchen geballt — süß und ruhig. „Bon meiner Mutter — da« ist meiner Mutter Hand- schrist", rief Irma leise und betrachtete andächtig dir ver gilbten Blätter in ibrer Hank. „Leben Sie Wohl, Fräulein Irma", erklang jetzt Hans Jürgen'S Stimme neben ibr, „wir werden un» schwerlich vor meiner Abreise noch sehen, leben Sie wobl und haben Sie nackmal« Dank für Alles, waS Sie für HanS Joachim tbun." Er verneigtr sich vor ibr, wir vor e»o«r erwachsenen
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