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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961123023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896112302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896112302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-23
- Monat1896-11
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R«clau,ru uiurr demÄirdartionsstrich (4ge< spalten- 50A, vor den gamilleanackrichteii j6 gespalten) 40 A. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zifferniap nach höhere,» Taris. t^xtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung -ck 70.—. — — Äunahrneschtrlß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die -Spedition zu richten. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig. SV. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 23. November. Am Sonnabend hat im Reichstage die Fortsetzung der zweiten Lesung der Justizn ovclle mit einem recht unerwarteten Triumphe des Centrums geschlossen. Der Abgeordnete Schmidt-Warburg hatte den Antrag gestellt, daß bei der Vernehmung von Geistlichen die Angelegenheiten, die ihnen unter dem Beichtgeheimnisse mitgetheilt worden sind, nicht Gegenstand der Berhandlnng sein sollten. Der Geistliche soll also im Stande sein, zu erklären, daß er von einer Sache nichts wisse, während er bis jetzt erklären mußte, daß er auf Grund des Beichtgeheimnisses sein Zeugniß verweigere. Es soll damit dem Geistlichen eine völlig eximirte Stellung gegeben werden. Der Antrag wurde damit begründet, daß, wenn der Geistliche die Erklärung abgäbe, er müsse auf Grund des Beichtgeheimnisses sein Zeugniß verweigern, damit schon ein Verdachtszrund gegen den Angeklagten gegeben sei; außerdem mache sich der Geistliche dadurch der Verletzung einer kirchlichen Pflicht schuldig; denn das Beichtgebeimniß mache es ihm zur Verpflichtung, über haupt zu verschweigen, daß eine bestimmte Person gebeichtet habe. Obwohl die Centrumsredner mit großer Lebhaftigkeit die anderen Parteien beschworen, für den Centrumsanlrag einzutrelen, fanden sie doch nirgends Unterstützung. Die Abgeordneten Stadthagen und Hausmann wollten, wie wir ausführlichen Sitzungsberichten entnehmen, ein Sonderrecht für einen einzelnen Stand nicht construirt wissen, und der konservative Abg. Himburg sprach sogar davon, daß der Geistliche sich einer objectiven Unwahrheit schuldig machen würde. Etwas vorsichtiger hatte sich der Regierungsvertreter ausgedrückt, indem er davon sprach, daß es einem Geistlichen iiichl gut anstehen würde, zu sagen, er wisse nichts von einer Sache, obwohl er davon Kenntniß hätte. Wenn der Antrag trotzdem mit einer übrigens sehr fragwürdigen Mehrheit durchging, so lag es daran, daß das Centrum verhältniß- mäßig stark vertreten war, während die reckte und die linke Seite des Hauses sehr spärlich besetzt waren. Der Antrag wird sicherlich in der dritten Lesung bei einer andern Besetzung des Hauses wieder fallen, wenn er nicht möglicherweise zum Gegenstände eines Compromißgeschäfts zwischen Centrum und Regierung gemacht wird. Es ist ja zu einem solchen Com- promiß Material genug vorhanden, denn auch am Sonnabend wieder siel die Regierung mit einem Wunsche durch. Sie will nämlich bei der Vernehmung eines Zeugen durch den Richter im Vorverfahren die Vereidigung zur Regel machen, während sie jetzt die Ausnahme bildet. Für diese Aenderung läßt sich eigentlich nur anführen, daß unter Umständen unnütze Anklagen dadurch vermieden werden würden. Diesem Vortbeile aber stehen die Bedenken gegenüber, daß der Angeklagte, weil er bei dem Vorver fahren nicht zugegen ist, benachtbeiligt werden würde, daß der Zeuge durch die eidliche Aussage im Vorverfahren in dec Hauplverhandlung festgenagelt und die Gefahr der Meineide dadurch vergrößert werden würde; das Princip der Mündlichkeit und Oeffcullichkeit erlitte eine Minderung. Eine erhebliche Mehrheit deS Hauses beschloß daher, es bei dem bisherigen Verfahren zu lassen. Auch im klebrigen beschäftigte sich der Reichstag am Sonnabend mit den Bestimmungen über die Vereidigung der Zeugen. Das Haus beschloß, ent sprechend dem Commissionsantrage, die Gesammtver- cidigung von Zeugen in einer Sache für zulässig zu erklären, nnd ferner statt der bisher üblichen eidlichen Vernehmung vor der Zeugenaussage den Nacheid einzuführen. Den ersten Theil der Sitzung füllte die vom Freitag her übernommene Be ratung über die Nichtbeeidigung von unglaubwürdigen und unerheblichen Zeugen aus. Sowohl die über den Commissions antrag hinausgebcnden, wie die den Antrag einschränkenden Anträge der Abgeordneten Munckel, Rembold und v. Gültlingen wurden abgelehnt. Auch am Sonnabend wurden also gerade in zwei sehr wichtigen Puncten, nämlich hinsichtlich der Aus nahmestellung der Geistlichen und der Vereidigung im Vor verfahren, die Beschlüsse der Commission umgestoßen und damit das charakteristische Merkmal dieser zweiten Lesung beibehallen. Der parteiofficielle Bericht über den am Donnerstag ab gehaltenen Telegirtentag Ser conservativen Partei ist so kärglich, daß er zu der Annahme drängen könnte, die Vor gänge auf der Versammlung vertrügen kaum den Schein eines Talglichtes. Wir sind nicht gerade dieser Meinung, da es offen zu Tage liegt, daß an der Seltsamkeit der Darbietung der „Cons. Corr." journalistisches Ungeschick einen starken Antbeil hat. So läßt sie den Parteiführer Frhrn. v. Manteuffel über Parteiselbstständigkeit und Verhältniß zur Regierung Wider sinniges reden und nicht einmal erkennen, ob die Berathungen am Donnerstag geschlossen worden sind oder noch eine Fort setzung gehabt haben bezw. haben werden. Mit Sicherheit gebt aus dem Bericht nur das Eine hervor, daß Herr v.Ploetz gegenüber der Parteileitung einen Erfolg davongetragen bat. Auf sein Andrängen ist an der die allgemeine Stellung der Partei manisestirenden Resolution eine Aenderung be schlossen worden, die in negativer Form dem Bunde der Landwirtbe den Charakter einer politischen Organisation zuerkennt. Frbr. v. Manteuffel hatte in seiner Eröffnungs rede das gerade Gegentheil feststellen wollen, und das Gleiche bat die „Krenzztg." in dem Artikel gethan, in dem sie vor Wochen die Erörterungen einleitete, die zu einer Regeneration der konservativen Partei führen sollten. Wir legen auf das Merkmal „politisch" in der Kennzeichnung des Bundes keinen sonderlichen Werth; die Bedeutung deS Mehrheitsbeschlusses besteht darin, daß er die Schwierigkeiten zeigt, die sich der von Herrn v. Manteuffel proclamirten Abkehr von der agra rischen Demagogie innerhalb cker Partei entgegenstellen werden. Ob diese Schwierigkeiten überhaupt zu überwinden sein werden, steht dahin. Abgesehen von ihren Mitgliedern in dem Königreich Sachsen, ist die conservative Reichstags- fraction eine Geschöpf der Berliner Leitung deS Bundes der Landwirthe, ist es, weil die Parteileitung un Jahre 1893 es so wollte und, nachdem sie sich ein Jahr vorher, auf Tivoli, selbst zur Demagogie bekannt, wohl auch mußte. Die Reichstagssraction, und ebenso die preußische Landtagsfraction, muß ihren Ursprung verleugnen, wenn sie Energie gegen Herrn v. Ploetz zeigt, und dazu gehört ein größeres Maß von Selbstüberwindung, als sie den Herren von Man teuffel und Graf Limburg - Stirum zugetraut werden darf. Der Berliner Bundesleitung — sie hat das kürz lich bei einer kurbessischen Landtagswahl wieder bewiesen — sind schon jetzt antisemitische Mandatsinhaber mindesten eben so lieb als conservative; macht die Parteileitung Ernst mit der Bekämpfung der Ploetz'schen Agitation, so muß sie befürchten, die antisemitische Partei zu verstärken. Diese Besorgniß ist es gewesen, die den schweren Entschluß reifte, einen Delegrrtentag — der freilich nur sehr uneiaentlich ein solcher war — zu berufen, und in dem Passus der Resolution, der sich gegen die „Vielheit kleiner Parteibildungen" richtet. ist der Zweck der Versammlung zu suchen. Er ist haupt sächlich gegen die Antisemiten gerichtet — die Angst vor Stöcker und Naumann dürfte nickt groß sein —, und da ist es recht bedenklich, daß die „Nordd. Allg. Ztg." mit Grund bedauern darf, daß Herr von Manteuffel die Antisemiten nur als unbequeme Concurrenten geschildert und nicht von dem „inneren principiellen" Gegensatz gesprochen hat, der zwischen einer konservativen Partei und dem Antisemitismus bestehen müsse. Die gleiche grundsätzliche Abneigung vermißt die „N. A. Ztg." in Dem, was der conservate Führer gegen die Auffassung seiner Partei als einer rein agrarischen vor gebracht hat. Das Regierungsblatt verräth nach dieser Richtung viel Mißtrauen; einen andern Punkt übergeht cs mit Stillschweigen, vielleicht weil es gleich uns mit ihm „nichts anzufangen" weiß, vielleicht auch, weil er ihm peinlich ist. Frhr. v. Manteuffel scheint sich — wir müssen hierbei wieder an die Kläglichkeit des Versammlungsberichtes erinnern — gegen das Cent rum sehr kalt, wo nicht feindlich gestellt zu haben. Er soll bemerkt haben, die Waffenbrüderschaft mit dem „unter die demokratische Führung von Mußpreußen" gerathenen Centrum habe am 18. März 1893, dem Tage der Zurückziehung des Zedlitz'schen Schulgesetzes, ein Ende ge nommen. Die Zeitangabe stimmt keinesfalls — Centrum und Conservative haben noch in der letzten Session und zwar eben für ein Zedlitz'sches Schulgesetz gemeinsam gefochten —, aber darauf käme nichts an. Wenn die conservative Partei das Centrum wieder mit deutschen und preußischen Angen ansehen sollte, so wäre das Datum der Wiederkehr der früheren Einsicht gleichgiltig. Für den Eintritt der Wandlung müssen aber andere Anzeichen vorliegen, als gewisse, vielleicht nicht einmal richtig wiedergegebene Aeußerungen deS Herrn v. Manteuffel. Vollzieht sie sich, dann werden die Conservative» die Selbstständigkeit gegenüber der Regierung, von der ihr Führer sprach, allerdings nöthig haben. Denn nichts liebt die gegenwärtige Regierung weniger als die Bekundung der Auffassung, daß da- Centrum nationalpolitisch und insbesondere gegen die Social demokratie nicht zu gebrauchen sei. Und doch ist nichts dringlicher als die Erfassung dieser Wahrheit. Das zeigt sich jetzt wieder Angesichts der Neuforderungen für die Marine. Wir sind weit davon entfernt» Neuanschaffungen billigen zu wollen, so lange ihre Dringlichkeit nicht detaiüirt dar- gethan ist, was zur Zeit nicht der Fall ist. Aber die Art, wie die „Kölnische Volkszeitung" und die „Germania" eine Stimmung zu erzeugen suchen, der schließlich jede Flottenverstärkung zu viel wäre, unterscheidet sich in nichts von der radikalen Verhetzung gegen den „Moloch". Im Gegentheil, während früher die „Freis. Ztg." den CboruS der Neinsager führte, bezieht sie jetzt ihr schätzbarstes Material von der Centrumspresse. Das Hazardspiel iu den belgische» Badeorte» hat in den letzten Jahren eine solche Ausdehnung erfahren, daß die öffentliche Meinung Anstoß daran nahm und man auch in Regierunzskreisen sich die Frage vorlegte, ob der geschäft liche Nutzen, den die Spielpächter in den Badeorten, sowie die an der Frequenz der Badeorte interessirte Fremden industrie aus den Spielhöllen ziehen, in richtigem Ver hältnisse zu den corrumpirenden Wirkungen stehen, die infolge der seitherigen laxen Praxis der Behörden sich schon bemerkbar machen und künftighin sich noch immer mehr bemerkbar machen müssen. Im Princip ist sich alle Welt darüber einig, daß die Sache so nicht weiter gehen dürfe, aber hinsichtlich der zu treffenden Abhilfemaßregeln herrscht Zwiespalt unter denen, die für eine durchgreifende Radicalcur mittels generellen Verbotes der Spielbanken eintreten, und denen, die das Nebel gewissermaßen „canalisiren" wollen. Die Regierung scheint sich auf den letzteren Standpunkt zu stellen, wenigstens befürwortet sie einen Gesetzentwurf der SenatScommission, wonach die Spielsalons mit wenigen Ausnahmen gänzlich unterdrückt werden sollen. Die wenigen übrig bleibenden sollen je Million Frcs. als Conccssionsgebühr entrichten, unter behördliche Controle gestellt und noch einer laufenden Betriebssteuer unterworfen werden. Alle aus der Besteuerung der Spielhöllen fließenden Einnahmen sollen der Arbeiterunfallversicherungscasse zn Gute kommen. Gegen diesen Gesetzentwurf richtet sich eine lebhafte Opposition, welche sich darauf stützt, daß es nicht daraus an komme, das Hazardspiel zu privilegiren, sondern es, in der Oeffentlichkeit wenigstens, zu unterdrücken. Dazu gebe es nur einen Weg: man müsse das deutsche Beispiel befolgen und alle Spielbanken ohne Unterschied aufheben. Am Sonnabend ist König Alexander von Serbien auf der Reise nach Rom als Gast des Kaisers von Oesterreich, begleitet von dem Kriegsminister Franassowitsck, mit großem Gefolge in Wien eingetroffen, um dem Kaiser Dank für die ihm zur Feier der Eröffnung des Schifffabrtcanalv amEisenen Thor zu Theil gewordene Einladung auszusprechen. Es war vorauszuschen, daß dieser Zusammenkunft eine politische Bedeutung von internationaler Tragweite zugeschrieben werden und daß sie zu allerhand Couiccturen, darunter der, daß unter der Führung Oesterreichs sich ein Balkanbund mit der Spitze gegen Rußland im Stillen bilde, erwünschten Anlaß bieten würde. Allen derartigen Combinationen tritt das officiöse Wiener „Fremdenblatt" entgegen, indem es, wie uns aus Wien gemeldet wird, schreibt: Der Aufenthalt des Königs von Serbien in Wien trage keinen politischen Charakter, bedeute jedoch ein Zeichen dafür, daß sich die Beziehungen zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien in erfreulicher Weise besserten. Oesterreich-Ungaru will auf fried- lichem Fuße mit allen Nachbarn leben, und es entspricht nicht seinen Uederlieserungen, kleineren Staaten gegenüber diese Regel, gestützt auf seine Ueberlegenheit, außer Acht zu lassen. Die Monarchie nimmt lebhaften Antheil an Allem, was den Ausschwung Serbiens betrifft, und man müßte die selbstverständlichsten Er- wägnngen übersehen, um an der Aufrichtigkeit dieser Gesinnung zn zweifeln. Die Unabhängigkeit und das Gedeihen der Balkan floaten ist Alles, was Oesterreich - Ungarn wünscht. Bei solchem Programm der Monarchie ist es für Serbien allerdings leicht, sich mit Oesterreich - Ungarn in freundlichen Beziehungen zu halten. Das „Fremdenblatt" hofft, daß unter dem Einfluß des Königs von Serbien eine ruhige, stetige Entwickelung in Serbien Platz greifen werde, und Oesterreich-Ungarn begleitet diese Entwicklung mit warmer Sympathie nnd aufrichtiger Freundschaft. In diesen Auslassungen ist genau die Politik deS Grafen Goluchowski gekennzeichnet, welche weder in Serbien noch in einem anderen Balkanstaate irgend etwas für sich erstrebl oder dominirenden Einfluß zu erlangen sucht, wohl aber eifer süchtig darüber wacht, daß die Unabhängigkeit der Balkan staaten nicht angetastet werde. Dies wäre nur von russi scher Seile zu erwarten. Daß man aber in Petersburg nach einigen mißglückten Versuchen in Bulgarien sich wieder streng an die Maxime Alexander's III. hält, die Balkan frage bis nach der großen Entscheidung in Ostasien I ruhen zu lassen und deshalb ganz zufrieden ist I mit dem Programm Goluchowski's, geht offenbar I daraus hervor, daß auf Einladung des österreichischen Feusllston. -5, Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. Nachdruck vertat«». Hans Jürgen hatte, bevor er seinen leichten finnischen Schlitten bestieg, seine Sckwiegcrmutter und Irma zu dem ihren — einer halbverdcckten Kibitke — begleitet und die Damen hineingehoben. Der Diener knöpfte nun sorglich die Pelzdccke fest, und die Baronin rief ihrem, noch immer nebenbei im Schnee stehenden Schwiegersohn zu: „Sehen wir Dick bald bei uns, HanS Jürgen? Hans Joachim fragt jeden Tag nach seinem Papa." „In nächster Zeit wird es mir kaum möglich sein, vor- znsprechen. Ich verreise auf eine Woche, ich habe Geschäfte tu Reval. Gute Nacht." HanS Jürgen hob die Hand an die Mütze, blickte eine Sekunde lang der rasch davongleitenden Kibitke nach und schritt dann seinem eigenen Schlitten zu. Der Kutscher zügelte das ungestüm vorwärts strebende Vserd, einen Orlower Traber. Hans Jürgen schwang sich auf den Sitz und ergriff die Leinen. Mit Windeseile flog der leichte Schlitten dahin. HanS .Ungen wußte eigentlich nicht, warum er der Baronin gesagt; daß er nach Reval müsse, er hatte dort jetzt absolut nichts zu thnn, allenfalls konnte er im Club einige Scheine aus leiucin Taschenbuch verlieren, er hatte stets Unglück in den Karten. . . . Doch einerlei — er wollte fort. Wenn er zurück- tebrte, vielleicht war Irma dann bereits mit Harald Ingers- l-cim verlobt, vielleicht erklärte sich Letzterer auf der in Aus sicht genommenen Schlittenfahrt. Mein Gott — Hans Jürgen ließ dem Traber ein immer sü'ärfercs Tempo nehmen — mochten sie sich doch verloben, waS ging es ihn im Grunde an. , * * *- AuS Irma s Betheiligung an der von Harald arrangirten Scblitiensabrt wurde nichts. Das junge Mädchen hatte sich aus dem Ball in Allersberg erkältet und daS Zimmer hüten müssen. Hans Jürgen war wieder daheim; er hatte es in Reval entsetzlich langweilig gefunden und seinen Aufenthalt dort verkürzt. Es zog ihn unwiderstehlich nach Hohenort, er hatte — wie er sich sagte — daS Verlangen, seinen Knaben so häufig wie möglich zu sehen, doch dies war eS nickt allein — er sehnte sich darnach, im gemüthlichen Salon seiner Schwieger mutter zu sitzen, um — um in Jrma's Nähe zu sein. Eine nervöse Unruhe beherrschte ihn in letzter Zeit; er hatte einige Geldkrisen zu überstehen gehabt, es waren zwar, seiner Anschauung nach, Bagatellen gewesen, aber doch hatten sie hingercicht, ihm die Laune gründlich zu verderben. Die Ernten waren in diesem Jahre schlecht ausgefallen, freilich, auf den umliegenden Gütern klagte man nicht darüber, aber Lutz, Hans Jürgen s Verwalter, legte seinem Herrn Beweise und Ziffern vor, welche klar und deutlich darzulegen schienen, daß in Lcmmerdshoff stellenweise völliger Mißwuchs geherrscht. Ob dieses wirklich der Fall gewesen, davon halte sich Hans Jürgen mit eigenen Augen allerdings nie überzeugt. Er batte sich einige Wochen in England anfgehalten, dann hatten ihn die Nennen in Reval und Dorpat in Anspruch genommen. Als man in Lommcrdshoff das Korn einfübrte, batte den Gutsberrn der Bau einer verdeckten Reitbahn, welche der Baumeister Trummy noch in aller Eile vor dem Spätherbst herstellte, beschäftigt. Es war nicht anders gegangen — LommerdShoff, schon seit den letzten Jahren mit einigen Hypotheken belastet, hatte zu denselben noch eine neue zubekommen und Hans Jürgen hielt den Kopf wieder hoch über Wasser. In der Gegend bildeten er und sein Thun und Lassen wie immer, so auch jetzt einen Gegenstand des allgemeinen Interesses. Er selbst fühlte sich nach langer Zeit wieder glücklich; er zog es vor, seine Abende, anstatt in Gesellschaft von Freunden am Spieltisch, in Hohenort zu verbringen. Er wurde nicht müde, Irma immer wieder um ein Lied zu bitten oder, wenn er ihr gegenüber saß, liebte er eS, seinen Blick auf ihren schlanken Händen, welche gewöhnlich mit irgend einer Stickerei beschäftigt waren, ruhen zu lassen. Das waren — obgleich draußen ost der abendliche Schnee sturm heulte — sonnige Stunden für ihn, Stunden des Glückes auch für Irma. Der Februar näherte sich seinem Ende, und die Baronin traf Anstalten, mit Irma zum Märztermin nach Reval zu reisen. Allein das Schicksal hatte eS ander- beschlossen. Der Baron, welcher sich in den letzten Wochen wieder hinfälliger gefühlt, ward von einem heftigen Anfall seines Leidens ergriffen. Jrma's Ballkleider wurden wieder auSgepackk, denn sie weigerte sich, unter Frau v. JngerSheim's Schutz den Termin mitzumachen. „Ich könnte mich doch keine Minute lang amUsire», mit dem Bewußtsein, daß Du in Sorgen zu Hause bist, Tante Annemarie. Mein Platz ist jetzt an Deiner Seite, laß mich Dir in der Pflege unseres Kranken helfen. Onkel Kurt liebt cs nicht, die Dienstboten in seinem Krankenzimmer zu wissen, und Du, Tante, darfst Deinen Kräften nicht zn viel zumuthen." So blieb Irma daheim. Herr v. Saliday reiste mit Hortense und Elle» schon in den letzten Tagen des Februar nach Reval. Ellen, in ihrer untergeordneten Stellung machte zwar nicht Alles mit, was an Amüsement geboten ward, allein in Conccrten und im Theater sah man sie stets an Hortensen'S Seite. Sie siel auf durch ihre schone Erscheinung, und man wunderte sich einigermaßen darüber, daß Herr v. Saliday seine Tochter durch deren Gesellschafterin so sehr in den Schatten stellen ließ. Herr v. Saliday hatte sein Absteigequartier jetzt selbst verständlich nicht mehr bei Frau Tröming, er hatte eine sehr hübsche elegante Wohnung gcmicthet für die vierzehn Tage, welche er in Reval zuzubringen gedachte. Frau Tröming, welche stets zu wissen pflegte, was in Stadt und Land in allen Kreisen der Gesellschaft vorfiel, rapportirte Tante Susanne getreulich, welch ein Aufsehen Ellen's ungewöhnliche Schönheit erregte. Tante Susanne konnte stolz sein auf ihre schöne Nichte. „Lieber Herrgott, bescheere der Ellen jetzt noch einen guten Mann", betete sie ost. Ellen war HanS Jürgen noch nicht begegnet, wie sie er- fahren, weilte er in der Stadt, ließ sich jedoch bei den Saliday nicht blicken. Hortense kehrte sehr gelangweilt vom Actienball zurück. Ellen schlief noch nicht und Hortense, dir sich immer vertraulicher zu ihr gestellt, trat in ihr Ziuimrr, um noch ein wenig über den Ball mit ihr zu plaudern. „War Herr v. Lommerd aus dem Ball?" fragte sie an scheinend gleichgiltig. „Nein, er war nicht dort, er ist abgereist, nach Hause — und denken Sie sich, Ellen", Hortense schob in nervöser Hast ihre Armbänder an den hageren Handgelenken auf und nieder, „denken Sir sich, was ich von Fran, Lenningen er fahren habe, aber ich glaube eS nicht, eS kann sich unmöglich so verhalten." „WaS denn?" frug Ellen, ihr Auge gespannt aus Hortense richtend. „Nun, Lenningen erzählte mir, daß sein Freund Hans Jürgen schleunigst auf's Land gereist sei, weil der Zustand deS BaronS Hohenort sich verschlimmert. Irma habe dies Hans Jürgen schriftlich mitgetheilt, „wer weiß", fügte Lenningen hinzu, „ob Hans Jürgen andernfalls Reval so schnell wieder verlassen hätte; bei dem Leiden des Barono ist eine momentane Verschlechterung deS Befindens ja nichts Ungewöhnliches, aber Irma Monfort scheint eine große Anziehungskraft, auf HanS Jürgen auSzuüben." „Ich bitte Sie, Ellen, kann Irma denn überhaupt an ziehend sein?" „Nein, Fräulein Hortense, Sie haben vollkommen Recht, und ich gestehe, Herr von Lommerd würde, wenn ihm Fräulein Monfort anziehend erschien, einen schleckten Geschmack entwickeln." „Es kann doch nicht wahr sein", murmelte Hortense uur Ellen ergriff es wie eine Regung deS Mitleids mit diesem von der Natur so stiefmütterlich behandelten jungen Wesen, das dieselben Empfindungen für HanS Jürgen hegte wie sic, Ellen. Doch nein — ließen sich ihrer beider Gefühle denn miteinander vergleichen? In Hortense flackerte der Liebes flinken wie ein eigensinnige- Flcimmchen. Da« reiche, ver wohnte Mädchen batte eS sich nun einmal in den Kops gesetzt, den schönen Mann zu erobern. Ellen warf verächtlich ihre Lippen auf ... In ihr dagegen flammte es empor in mächtiger Leidenschaft, in ihr war starke, bewußte Empfindung und nur ein Gedanke lebte in ihrer Seele: „Mein muß HanS Jürgen werden, mein für alle Zeit!" Fast hätte'sich dieser Herzensschrei laut ihrem Munde entrungen, doch ihre Selbstbeherrschung bannte ihn zurück in die Tiefen ihrer Seele. Dann ergriff sie ein Gefühl rasender Eifersucht j. . . Wie, wenn Lenningen mit seiner Voraussetzung dennoch Recht hätte? Sie mußte, sobald sie nach Allersberg zurückgekehrt, forschen und beobachten und dann — handeln. Sie mußte all' ihre Klugheit, alle List, deren eine Frau mit scharfem Verstände fähig ist, aufbieten, um rin Band, welches sich möglicherweise zu schürzen be gonnen, zu zerreißen, ehe eS zu spät war. „Ich glaube, e« ist weiter nicht-, al- Salonklatsck, da-
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