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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961128012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896112801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896112801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-28
- Monat1896-11
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Größere Schriften laut unserem Preis. Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffern!ay nach höherem Tarif. t^xtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Poslbesörderung .M W.—, m«t Poslbesörderung 70.—. Annahmeschluk für Anzeigen: ?lbend.Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. VV5 Jahrgang: Sonnabend den 28. November 1896. Jur Eröffnung der italienischen Kammer. (80. November) Al» vor etwa Jahresfrist die Wintersession der italienischen Kammer begann, mußte Crispi, der erfahrene Staatsmann, nabenden Stürmen besorgt cntgegenschauen. Seine Befürchtungen gingen nur zu rasch in Erfüllung und uach wenigen Monaten fegte die Entrüstung über die mehr fachen Niederlagen in Abessinien den greisen Staatsmann und seine College« von ihren Ministersesseln fort. Der Marchese Rudini ist in der angenehmen Lage, mit viel besserem Vertrauen den Wiederbeginn der parlamentarischen Campagne zu erwarten. Ter Friede mit Msnclik, ter Abschluß des tunesischen Handelsvertrages und die Aussicht auf eine Besserung der handelspolitischen Beziehungen zu Frankreich bilden einen Panzer, stark genug, um die Pfeile der oppositionellen Schützen wirkungslos abprallcn zu lassen. Die Gegner des Ministeriums werden freilich nicht er mangeln (und sie haben dazu daS gute Recht), darzulegen, daß der Jriedensschluß mit dem Könige Menelik dock, nicht den Italienern den früheren Besitz zurückgewährc und daß vor allen Dingen die Dauerhaftigkeit des Friedens wenig gesichert sei, da man kaum annehmcn könne, daß Menelik sich dauernd von der Küste und damit von der Leitung des Handelsverkehrs zurückhalten lassen werde, falls Italien nicht überhaupt freiwillig das Land räume; sie werden ferner be mängeln, daß der Handelsvertrag mit Tunis eine endgiltiae Anerkennung des französischen Protektorates über dieses Land bedeute und daß außerdem die Clauscln, die Frankreich in den Vertrag hineingebracht hat, es ermöglichen, daß eines Tages der lebhafte Handel Italiens in und mit Tunis schwer verkümmert wird; sie können schließlich ausführen, daß ein etwaiger Handelsvertrag mit Frankreich darum nicht mehr so wertbvoll wäre, wie etwa noch vor einem Jahrzehnt, weil die Möglich keit der Weinausfuhr nach Frankreich nicht mehr vorhanden ist, einmal weil dieses Land durch den Anbau amerikanischer Reben die Reblausgesahr überwunden hat und zweitens weil cS einen etwaigen Import in erster Linie aus seiner Colonie Algerien, in der eS seit Ende der 80 er Jabre einen sehr er heblichen Weinbau gefördert bat, decken würde. Wir haben keine Veranlassung, uns diesen Bedenken der italienischen Oppositionellen anzuschließen. Wenn wir indessen glauben, daß das Ministerium eine barte Arbeit zu leisten haben werde, um sich eine dauernde günstige Position zu verschaffen, so liegen unsere Besorgnisse noch weit mehr als auf dem Ge biete der äußeren Beziehungen Italiens auf dem der inneren Verhältnisse de» Landes. Die innere Lage Italiens ist nach der in der zweiten Hälfte deS vorigen Jahrzehnts eingetretenen wirthsckaft- lich en Krisis nach wie vor eine sebr schwierige. Es ist gewiß anzuerkennen, daß der gegenwärtige Finanzminister be müht ist, Ersparungen im Etat zu machen, indessen kann die wirthschaftliche Lage des Landes nicht lediglich durch eine Verringerung einzelner Ausgabeposten gebessert werden, sondern durch eine Reform deS BerwaltungsmechanismuS, durch eine angemessenere Vcrtheilung der Steuerlasten und durch eine Verbesserung der wirthschaftlichen, insbesondere der agrarischen Verhältnisse. Was die Verwaltung angeht, so leidet daS Land, wie. alle romanischen Länder, an einem lieber maße von Bureaukratie und dadurch auch an einem Ueberflusse von Beamten. Zudem sind die Beamten, wie ebenfalls in allen romanischen Ländern, nickt von derjenigen Charakterfestigkeit, die eine sickere Garantie für die zweckmäßige Verwendung der von der Allgemeinheit aufgebrackten Mittel bildet. Nun konnte sich zwar daS reiche Frankreich ein Panama leisten, aber für daS arme Italien ist schon ein Panamino zu viel. Abgesehen aber von der wirthschaftlichen Schädigung des Landes durch eine Corruption der Beamten, stellt die Verbitterung, die durch Skandale, an denen hochgestellte Männer betheiligt sind, erregt wird, eine Gefahr für den inneren Frieden des Landes dar. Die Gefahr revolutionairer Erregung ist aber auch schon durch die starke Belastung der ärmeren Cl assen und durch die ungünstige Lage der Landwirthschaft gegeben. Der Rückgang ter Preise der Rohprodukte, die hohe Steuerlast und die Bedrückung durch den Pachtherrn sind die Gründe, die in vielen Bezirken Italiens, insbesondere in Sicilien und der Lombardei, die Stimmung der Be völkerung in bedenklicher Weise beeinflussen. Es ist nicht eben nölhig, daß Aufstände, wie vor einigen Jahren, in Sicilien von Neuem ausbrechen, um zu beweisen, daß die Bevölkerung mit ihrer Lage unzufrieden ist. Wenn aus einem Lande, daS nur etwa drei Fünftel der Bevölkerungs zahl des deutschen Reiches bat, weil mehr als doppelt so viel Staatsbürger alljährlich auswandern, als aus dem deutschen Reiche — gegenwärtig ist die Auswanderung besonders stark —, obwohl dieses Land dabei von der Natur für die Landwirthschaft sowohl wie für den Handel außerordentlich bevorzugt ist, so spricht das dafür, daß die wirthschaftlichen Verhältnisse nickt so sind, wie sie in einem Staate mit einer bochcultivirten Bevölkerung sein könnten und sein müßten. Mag man auch zuzcben, daß das gegenwärtige König reich Italien viele der Bedingungen für die schlechte Lage durch die Mißwirtschaft in den früheren StaatS- gebilken, besonders in dem Kirchenstaate und dem König reiche beider Sicilien, mit überkommen bat, so muß man dock eingestebe», daß in dem Vierteljabrbunderte seit dem Bestehen des gegenwärtigen Staates — den größten Theil seines Umfanges hat der Staat sogar seit beinahe 40 Jabren — von den Leitern des Staates mehr für die Lösung der socialen Schwierigkeiten hätte geschehen können. Die Rücksicht auf die Vetlernschaften, auf den Einfluß der reichen Besitzer, denen an einer Verbesserung der Lage und einer gerechteren Vertheilnng der Lasten natürlich nichts lag, hat viel zur Versumpfung der Lage beizelragen. DaS gegenwärtige Ministerium verspricht, wie auS einer Rede des Ministers Guiccardini zu entnehmen ist, eine Verbesserung der Pachtverhältnisse SicilienS, eine Förderung der inneren Colonisation, eine Erleichterung der Lasten der ländlichen Bevölkerung. Wir wollen hoffen, daß daS Ministerium mit socialen Reformen in der angegebenen Richtung nicht nur Ernst macht — bis jetzt ist es nur bei Versprechungen ge blieben —, sondern daß es ihm auch gelingt, die entgegen strebenden Einflüsse zu besiegen und die Reformen durck- zufübren. Nickt ein mehr oder weniger günstiger Friede mit Menelik konnte für die Großmachtilellung Italiens ent scheidend sein, die Erkaltung des inneren Friedens ist die maß gebende Bedingung für die Kraft und die Macht des Landes. Deutsches Reich. * Leipzig, 27. November. Wie die „Cbronik der Christ lichen Welt" den Berickten der Rheinischen Missions gesellschaft (Barmen) entnimmt, gedenkt die römisch- katholiicke Mission nun auch in Neu-Guinea (Deutsch- Kaiser-WilbelmSland) mit ihrer Arbeit zu beginnen, und zwar nach bekannter Manier allem Anscheine nach gerade da, wo bereits die Sendboten der Barmer Mission seit fast zehn Jahren ihre selbstverleugnende Arbeit tbun. Nämlich in Nr. lt der Berichte heißt es: Ter letzte Dampfer brachte zwölf (!) Mann (vier Patres und acht Laienbrüder), und zwar scheinen sie mit ihrer Arbeit gerade da beginnen zu wollen, wo unsere Mission tbäng ist, obwohl es doch in Kaiser Wilhelmsland beißt: „Raum für Alle bat die Erde." So schreibt Bruder Helmick aus Siar: „Tie katholische Mission drängt sich wie ein Keil zwischen unsere ganze Arbeit, da sie sich aus den Inseln Bilibili und Jabob nieder lassen will. So gewiß wir auch davon überzeugt sind, daß keine Mackt der Welt dem wahren Evangelium einen Ein halt tbun kann, so kann man es doch kaum unterdrücken, daß ein leises Bangen für unsere Arbeit unS beschleichen will. Die Leute sollten fick schämen und eine heilige Scheu davor empfinden, sich gerade da binzusetzen, wo unsere Mission Blut und Tbränen vergossen und manches andere schwere Opfer ge bracht bat. Es ist doch merkwürdig, daß wir auf diesem Arbeits feld aus einer Enge in die andere getrieben werden. Hier eine Tiefe, da eine Tiefe! Herr, laß uns auf die Höhe fahren, daß wir auch einen Zug tbun!" Und Bruder Hoffmann schreibt: „DaS Herz tbut Einem wehe, wenn man bedenkt, daß da, wo unsere liebe rheinische Mission unter Blut und Thränen den Boden zubereitet bat, die römischen Eindringlinge zu ernten gedenken. Es beißt ja, daß sie vorläufig nickt in der Astrolabe arbeiten wollen; aber man müßte die Praxis der Katholiken nicht kennen, wollte man solchen Versprechungen trauen. Mir wurde hier von leitender Stelle ver sickert, daß die Patres friedfertige Leute seien, mit denen wir wohl in friedfertigem Wettstreit arbeiten könnten. Ick wies darauf bin, daß wir wohl, wenn eS sein müßte, auch zur katbolischen Mission ein freundnachbarlickes Ver hältnis unterhalten könnten, aber die Katholiken könnten dies nickt uns gegenüber; sckon der beabsichtigte Eindruck in unser Gebiet beweise das. Ich habe ferner betont, daß wir uns in keiner Weise vor den Katholiken fürchten, weil unS der Sieg der Wahrbeit und des Evangeliums feststünde; daß wir aber im Interesse deS Friedens dringend wünschen müßten, von ihrer Gegenwart in der Nähe unserer Stationen verschont zu bleiben. Auch bade ich darauf hingewiesen, was für ein Geschrei der katholische Bisckof im Bismarck archipel wohl erbeben würde, wenn wir uns in seiner Näbe niederlassen wollten. Soll uns nun dieses neue und vielleicht härteste Kreuz nickt erspart bleiben, so bitten wir die Missionsgemeinde der Heimatb, uns um so treuer mit Gebet und Flehen zu unterstützen." — Das ist nun der zweite Einbruch in evangelisches Missionsgebiet seit kürzester Frist durch diese nach „Parität" rufenden christlichen „Brüder". Kürzlich erst erhob der evangelische Asrika-Verein laute Klage darüber! Mitten in die alte evangelische Arbeit in Deutsch- Sürwestafrika drängten sie sich ein, angeblich lediglich zur Versorgung der wenigen katholischen Soldaten und Ansiedler im Lande, höchstens sechzig bis siebzig. Ader ein apostolischer Präfect, zwei Priester und mehrere Laienbrüder sind zu einer etwas sehr reichlichen seelsorgerischen Bedienung entsandt. Natürlich werden diese die viele freie Zeit benutzen, um zu ernten, wo sie nicht gesäet haben. X. Berlin, 27. November. Für die Betheiligung Deutschlands an der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 hat der ReickScommissar den Grundsatz aus gestellt, eine Auswahl der zur Ausstellung zuzulassenden Objecte solle unter dem G sicktspunct stattfinken, daß unsere Ausstellung ein zutreffendes Bild der vollen Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie biete. Daß dieses Priucip das einzig gesunde ist, war erst jüngst wieder auf der diesjährigen Berliner Ausstellung zu erkennen, auf der, da keine strengere Auswahl der Ausstellungsobjecte vorgesehen war, das Bild ter Berliner Industrie durch die Uebersülle minder- wertbiger und fabrikmäßiger Erzeugnisse wesentlich getrübt erschien. Wenn jetzt aber der Ausschuß der Deutschen Chemischen Gesellschaft im Sinne dieses Grundsatzes die Forderung aufstellt, daß Deutschland in Paris nur niit Co llectivausstellungen der einzelnen Industriezweige auslrete, so erscheint uns dies zu weitgehend. Collectiv- ausstellungen sind gewiß geeignet, ein gutes und rundes Bilk von einem gewissen Industriegebiete zu geben, vorausgesetzt, daß sie die doppelte Couirole eines Fachausschusses und — im Interesse der Gesammtphysiognomie der Ausstellung — des Reichecommissars passiren. In einzelnen Zweigen inreß muß dock den Leistungen besonders hervorragender Werkstätten ein weiterer Spielraum gewährt werden. So würde, um nur ein Beispiel anzufübren, unsere Porzellanindustrie neben der franzö sischen kaum zu voller Geltung kommen, wenn nickt die königlichen Porzellan manufacturen zu Meißen und Berlin zu freierer Entfaltung Gelegenheit erhielten. Wir meinen, daß die CoÜeclivausstelluiigen überall da am Platze sein werden, wo es darauf ankommt, hauptsächlich die innere Gediegenheit der Erzeugnisse und die Kraft und Geschlossenheit eines ganzen großen Industriegebietes zur Anschauung zu bringen, — wie eben z. B. in der chemischen Industrie. Wo aber der Schwerpunkt in der künstlerischen Ausgestaltung und damit in der Individualität der Arbeit und des Geschmackes liegt, wird man zweckmäßig einzelnen großen Fabriken Sonder ausstellungen gestatten. * Berlin, 27. November. Von der Kanzel herab und in der Presse macht der Hosprediger a. D. Stöcker immer neue Anstrengungen, den für ihn so fatalen Urtheilßsprnck aus unbegreifliche Vorgänge bei der Gerichtsverhandlung und die ganz außerordentliche Voreingenommenheit der vernein- menen Zeugen zurückzusühren. Nebenher fallen die üblicken Streiche gegen die liberale Presse, die den Urtheilsspruch des Schöffengerichts wie einen unumstößlichen Spruch der Wahr heit ausgenommen habe, weil er ungünstig für Stöcker laute. Ob dieser Spruch in der Berufungsinstanz umgestoßen wird, muß abgewarlet werden. Bis das geschieht, ist selbstverständlich weder die liberale Presse, noch überhaupt Jemand berechtigt, den Urtbeilsspruch in ter Weise zu schelten, wie das vom Stöcker'schen „Volk" geschieht. Für die liberale Presse hat überhaupt dieser ganze Proceß keine besondere Bedeutung ge habt. Das Bild Clöcker's steht auch gänzlich unabhängig von dem Ausgange dieses VerleumdungSproceffet, schon längst fest. Für Herrn Witte bat es gewiß eine Bedeutung, ob ter UriaSbrief im Jahre 1878 geschrieben wurte. Für die Beurtheilung des HospredigerS Stöcker genügt es aber, daß FrrriHetsn. Der Hunger in Indien. Von Arthur Benecke. Nachdruck vnboten. Dasselbe Land, dessen Erde drei Ernten im Jabre schenkt, dessen Bewohner sich in ihrer völligen Bedürfnißlvsigkeit mit den Chinesen messen können, ist auch der Schauplatz der furchtbarsten HungerSnölbe, die die Geschickte kennt. Die indischen Hungersnölbe reichen tief in die Vergangenheit deS Landes zurück und sie sind auck der englischen Herrschaft treu geblieben. Allein in den letzten Jahrzehnten der Ne gierung der Königin Victoria wurde 1861 der Nordwesten, 1865 und 66 die bengalische Provinz Orissa von Hungers- nöthen heimgesucht, die sich in einzelnen Theilen des Landes bis gegen 1870 fortsetzken. Dann folgte sckon 1873—74 wieder die große Noth in Bengalen, die aber weit übertroffen wurde durch den furchtbaren Hunger, der 1876—78 den Süden und den Westen heimsuckte. Und sckon steigt daS furchtbare Gespenst wieder über dem unglücklchen Lande ans und ganz Nordindien steht vor einer HungerSnotb, die den schlimmsten gleich zu kommen droht. Die Verbältnisse der Natur und der Charakter der Be wohner bilden die hauptsächlichen Ursachen dieser grausamen Heimsuchungen. Wenn der indische Boden Frucht geben soll, dann bedarf er nach der furchtbaren Hitze der Sommermonate vom März an jener mächtigen Regengüsse, die der Monsun bringt. Sie sind für daS Land der Hindu», was daS Steigen des NilS für Egypten, und ihr Naben und Werden wird mit der gleichen Angst, mit dem gleichen Eifer verfolgt, wie daS Steigen deS briligrn Flusses Egyvten». Gebete um Regen dringen auS allen Tnnpeln zum Himmel auf, Gebete um Regen senden Tausende von Pilgern in der beiliaen Stadt BenareS empor; bleibt er auS, so stülpt der Priester wohl das Götzenbild so lange ins Wasser, bi» das Gebet erhört wird. Und geht endlich der seaen-reicke Schauer nieder, dann begrüßt Kanonendonner das frohe Ereigniß und der Telegraph meldet eS den sehnsüchtig Harrenden im ganzen Lande. Aber wenn er nicht kommt! .... Die Erde zerbröckelt zu Staub, sie wird unter dec Hitze rissig, sie verliert alle Kraft, leblos bleibt der Samen liegen, wo er bingeworfen wird. Und mit jedem Tage, da vom wolkenlosen Himmel die Sonne herabseugt, wird eS sicherer, daß fruchtbare Landschaften sich in Wüsten verwandeln, Laß der Reis, von dem daS Leben ungezählter Millionen in Indien fast allein abbängt, ausbleiben wird, daß der Hunger in seiner schlimmsten Form vor der Thür steht. Und dann sind die Eingeborenen wehrlos. Denn unbelrbrt durch die Ersabrungen von Jahrtausenden, leben sie noch beute von den Händen in den Mund. In guten Jabren zu sparen, ist ibnen fremd. Kommt die Noth, so finden sick keine Vorrätbe, so findet sich auch kein G ld. Umsonst, daß auS den Gegenden deS Riesenlandes, die gute Ernten batten. Massen von Reis zu dem Nothbezirk berangerollt werden; die Rettung fast vor Augen, sind die Eingeborenen dennoch dem Hungertod« preisgegeben, weil sie nicht die Mittel be sitzen, sich die Lebensmittel zu kaufen. Der stumpfe Fetischismus der indischen Rasse trägt dann seine traurigen Früchte. Der Pinsel eines Höllen-Breugbel gehörte dazu, den Zu stand einer indischen Provinz zu malen, in der der Hunger würbet. Läng» der Straßen liegen entseelte Opfer der Noth. Die Gestalten, die die Slraße noch beleben, sind balbnackke bobläugige Gerippe, die der Tod bald dahinraffen muß. Und doch sind die, die da wandern, die Energischeren, die wenigstens den Versuch machen, irgendwo Hiise, Arbeit oder Almosen zu finden. Die Masse aber bleibt dumpf und stumpf an den Stätten de» Elends und erwartet da den Tod. Zu Tausenden sterben sie in ihren Hütten am Hunger. Sie sind so abgestumpft, daß sie, wie ein Augenzeuge berichtet, die Hilfe nicht aufsuchen, wenn sie im selben Torfe zu finden ist. Denen, die auf ihrer Scholle verharren, ist der Hungertod sicher. Aber auch Derer, die sich auf die Wander schaft machen, wartet in der Mehrzahl daS traunze Schick sal. Im Jabre 1869 wanderten die Leut», deren Herben in dem Hunger-Districte von Marwen weideten, um sich zu retten, zum Theil nach Malwa, zum Theil nach Gujarat au». Die nach Gujarat gingen, fanden daS Land über schwemmt und selbst bilflo». Malwa war selbst schon vom Hunger erreicht. So mußten sie den Leidensweg zurück machen, 75 000 Menschen mit ihrem ganzen Vieh. Zu Tausenden fielen Mäuner, Weiber, Kinder am Wege. Da sie Marwa al« eine brennende Sonnenwüste fanden, so mußten sie von Neuem ausbrechen. ihr Vieh ging ein, die Cholera verfolgte sie, selbst die ibnen befreundeten Stämme mieden sie und als die Krisi« vorüber war, war >/» Million von ihnen dem Tode erlegen . . . Solche traurige Wander züge ganzer Stämme findet man in Hungerzeiten oft. Die Einzelnen wenden sich gern zur Hauptstadt, in der Hoffnung, bier Hilfe zu finden. Madra« war 1877 überfüllt von Tausenden elender Creaturen. In Bangalor starben die Unglücklichen massenweise auf den Straßen ; rin eigener Dienst mußte organisirt werden, um die Todten fortzuschaffen; die Umgebung der Stadl aber war voll von Greueln. Und doch sind mit dem Hunger allein die Schrecken einer solchen Periode noch nickt erschöpft. Ihm folgen die Krank heiten: Cbolera und Dysenterie raffen ungezählte Tausende hinweg. Die Preise aller Lebensmittel und Waaren steigen aufs Vier- und Fünffache, und so kommen in solchen Zeiten selbst die Wohlhabenden rettungslos an den Bettelstab. Sie müssen ihre Schmuckgerätbe, ihr Gold und Silber verkaufen; in der Münze in Bombay liefen derartige Gegenstände in den Jahren 1879 und 1880 im Werthe von 50 Millionen Mark ein, während 1878 ihr Werth nur 80 000 erreickl batte. Noch Jahre nach einer großen Hungersnoth ist der Procentsatz der Todesfälle erschreckend hoch, der der Geburten gering. Kein Wunder, daß sich in solchen Zeiten wilde Ver zweiflung geltend macht und „alle Bande frommer Scheu" sich lösen. Die KindeSmorde nehmen überhand, da die ver zweifelten Mütter nur so ihre Kinder vor dem Hungertode retten können. In den Flüssen werden zahlreiche Leichen von Müttern und Kindern gesunden. Mädchen werden mit Vor wissen ihrer Angehörigen geraubt. Die Viebdiebstähle nehmen einen gewaltigen Umfang an. Und „Daikin* kommt auf — die organisirte Räuberei ganzer Banden. 1873/74 ver- schmäbten die „DaikitiS" selbst iede Vermummung und jedes Geheimniß. Unter Flintenknallen, mit brennenden Fackeln drangen sie in die Dörfer rin und plünderten die Häuser der Bemittelten auS. 1878 machte eine Baade von DaikniS unter der Führung eine- Brabmanen den ganzen Westen unsicher und verbreitete, da sie, von Bekannten und Freunden im Stillen unterstützt, der Polizei unerreichbar war, bi« nach Bombay Schrecken. Selbst die kaum auSgerottetrn Ent setzlichkeiten deS TbuggiSmus lebten insofern wieder auf, als sich damals die Räuber vielfach betäubender Mittel bei ihrem Handwerke bedienten. Ju ganzen Gegenden herrschte zeit weilig völlige Gesetzlosigkeit. So ist eS, als ob all« Furien vereint sich aus da« un glückliche Land stürzen, und man begreift hiernach den geradezu riesenhaften Umfang, den die Leiden der Hunger jahre aunchmen 1861 waren 13 Millionen Menschen von ver Noth betroffen, etwa eine kalbe Million davon büßte ihr Leben ein, 1865 starb in Orissa etwa ein Viertel der ge- sammten, annähernd vier Millionen betragenden Bevölkerung. Daß 1868 von 10 Millionen Leidenden „nur" etwa 62 000 gestorben zu sein scheinen, wurde al» ein Triumph betrachtet. Am ungeheuerlichsten aber waren die Dimensionen der HungerS- noth von 1876—78, die allein in den Provinzen Bombay, Madra« und Maisur etwa 160 000 (engl.) Quadratmeilen mit 30 Millionen Bewohnern beimsuckte und 5V« Millionen daS Leben gekostet bat. Die Engländer sind gegen diese schwere Geißel nicht untbätiz geblieben. Das von ibnen organisirte ,^eliek rvorlr^ besteht, abgesehen von der AuStheilung von Gaden an die Bedürftigsten, bauptsäcklich in der Vornahme öffentlicher Arbeiten, bei denen Tausende von Eingeborenen einen Lohn finden, der sie wenigstens gerade am Leben halten kann. So wurden in den Hungerjahren große Canäle und Eisenbahnen gebaut. Den notbleidenden Bezirken wird Getreide zu- gefübrt, die Grundsteuern werden erlassen oder gestundet. Die Hungersnötbe haben dem englischen Staat enorme Summen gekostet. Die von 1861 kam an Ausgaben und Ausfällen auf etwa 13 Millionen Mark zu stehen, die von 1873—74 ver langte das riesige Opfer von ca. 120 Mill. Mark. Es war aber diese auch die einzige, bei der die Maßnahmen der Regierung im Verein mit der vorzüglich organisirten privaten Wohlibätigkeit Dank Lord Northbrook's humaner Gesinnung und der rastlosen Tbatkraft des FinauzministerS Sir Richard Temple wirklich etwas erreichte. Damals waren Vorrath von etwa 480 000 Tonnen Reis rechtzeitig zur Stelle, während man in Orissa 1865 zu spät kam. Denn als daS erste Schiff mit Reis endlich den Jrawabi verlassen batte, setzten die Stürme ein und die vor Hunger sterbenden Eingeborenen sahen vom Strande auS das Getreideschiff vergeblich mit den Wellen um Zugang zur Küste kämpfen. Von der musterhaften Organisation Lord Northbrook's ging man leider 1876—78 wieder ab; man batte sie „zu tbeuer" gefunden. Der Finanzminister verlangte, eS solle billig gearbeitet werden, und so kostete diese HungerSnotb allerdings viel weniger an Geld, um so mehr aber an Menschenleben. Auch in diesem Jabre setzen alle Zeichen der schlimmsten Jabre eim Die zu Eisen verhärtete Erde verweigert in weiten Distrikten jede Frucht. Schon erbebt der Mord sein finsteres Haupt, die Pest rafft die geschwächten Bewobner dahin. Wieder greift die Regierung zu dem überlieferten Systeme: insoweit nickt die Orffnung der Canäle noch einen Tbeil de« Landes retten kann, muß durck Beschäftigung der Kräftigeren, Ernährung der Hilflosen, Rath geschafft werden. Soll die« System etwas fruchten, so muß eS mit gewaltigen Mitteln in« Werk gesetzt werden und seine Organisation bis in- kleinste Dorf auSdebnen, wo die still verhungernden Hindus ausgesucht und genäbrt werden müssen. Eine dauernde Hilfe gegen die indischen HungerSnötbe aber wäre nur denkbar, wenn di« Engländer e» verständen, die Eingeborenen zu größerer Weitsicht, Energie und Selbstständigkeit in ihrem Handeln überhaupt und in ihrem wirthschaftlichen Gebabren jpeciell zu erziehen.
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