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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961130017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896113001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896113001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-11
- Tag1896-11-30
- Monat1896-11
- Jahr1896
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Die Morgen-AuSgab« erscheint um '/,? Uhr. N» Abenb-AuStzabe Wochentag« nm ü Uhr. Filialen: Ltt» Klemm'« Lortim. lAlfre» Hahn), UoiversitStsslraße 8 (Paulioum), Louis Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und Köaigspla- 7. Ve-aclion und Erpr-ltioa: Aohaune-gasse 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet »o» früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. VezngSPretS tz» der Hanpt^pedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Au«, aabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, dei zweimaliger täglicher Zustellung in« Han« -ck ÜLO. Durch die Post bezogen für teutlchland und Lesterrrich: vierieliäbrlich ^<l 8.—. Direel» tägliche Kreujbandiendnng im» Ausland: monatlich ^l 7ckO. Morgen-Ausgabe. Wmigcr TagMall Anzeiger. Ämtsvkatt -es Königkrchen Land- und Ämlsgerichtes Leipzig, -es Nalhes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Auzeigett'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich l4g»- spalten) bO-H, vor den Familieniiachrichteu (Ü gespalten) 40^. 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Q E« erübrigt nun noch, der Orte zu gedenken, die zwar von den schrecklichen Kampfessceuen der Völkerschlacht ver schont blieben, die aber trotzdem durch die die Schlacht be- gleirenden Umstände mehr oder weniger hart betroffen wurden: dann auch aller der Veranstaltungen, die im Laufe der Jahre getroffen worden sind, um die befreiende Völker schlacht in der Erinnerung der nachkommenden Geschlechter wach zu erhalten. Zu den Ortschaften, die im Kampfe glimpflich weg- kamen, gehört Eutritzsch. AuS dem Tagebuche des damaligen OrtSrichters, der von den „Allgemeinen Landes- und Kriegeöschreckcn in den Iabren 1806, l80S und 1813" berichtet, sei hier Folgendes ent nommen: „Freitags, den 15. October, kam Marschall Ney hierher und nahm Quartier hier oben in meiner Wohnstube, 22 Slabsofficicre lagen in der Unterstube, Ney blieb auch noch am 16. im Quartier, früh mußte der Nachbar sich neben seinen Adjutanten auf ein Pferd setzen und ihn bis Lindenan begleiten, wobei er einen Streifschuß bekam. Nack der Schlackt bei Möckern retirirten die Franzosen durch Eutritzsch nach Leipzig. Wir flüchteten in den Keller, allein bald kam der russische General Längeren und nabm auf Wolfs Gute Quartier, da kamen auch wir wieder hervor und sahen die Sckaaren Preußen, Nüssen und Schweden, die blutrünstig und schwarz vom Pulverdampfe in unseren Häusern lagen. Blessirie lagen allenthalben einzeln und in Haufen; sie lechzten und schrien alle nach Wasser: „Wasser! Wasser!" Ein Topf nut Wasser, das war ein Labsal für die in ihrem Blute liegenden, armen, verdursteten und verschmachteten Menschen." Von dem russischen Gen r,l Längeren erzählt der Haus mann des Wolf'schen GuuS: „Er war ein guter Mann und sprach gut deutsch, er batte ei -e schöne und sehr feine Aus sprache; nach Allem frug er mich scharf aus; weil er aber so gut war und ich ordentlich eiu Zutrauen zu ihm gewann, so bat ick ihn: „Wir möchten den Herrn General bitten, daß wir nickt ganz bloß würden und unser Vieh nicht obne Futter bliebe". Eil bei Leibe, wenn da- Vieh verhungert, so sind wir Alle verloren." Ueber den Uebergang der Sachsen in der Nähe von Thekla giebt ein GraSdorfer Einwohner einen kurzen aber recht an schaulichen Bericht, den wir nachstehend folgen lassen. „Als die große Scklacht anbrach, drückte ich nuck an der Paribe bin und wollte in die Stadt, als mich preußische Eavallerie aufgriff; ick mußte ihnen nun die Oerter ansagen und „potsck" laufen. AlS wir eben fort wollten nach Thekla zu, in und während der fürchterlichen Kanonade, ruft der preußische Obrist „Hall! Halt! Was ist das?" Im Nu war ein ganzes Regiment Kosaken da und r tt auf den Feind los. Bald flogen sie aber zu beiden Seiten weg und schrieen „Hurrah!" Es waren die Sachsen, die mit völliger Musik vorn weg der General mit einem weißen Schnupftuche in der Hand, da er wie mit einer Fahne wedele, auf uns zu kamen. Da« war eiu Jubel! Den vergeß ich nie! Kosaken und Preußen immer auf sie zu mit „Hnrrahl" „Vivat!" „Victoria!" Das hörte gar nickt auf! Die Leute stiegen vom Pferde, fielen sich um den Hals und herzten, küßten und drückten sich, daß es kein Ende nahm!" Von Planhlg bat der OrtSpsarrer, der die Scklachttage über in Plaußig auSbielt, Nachstehendes ausgezeichnet: „Am 18. Oclobcr Morgens gegen sechs Uhr kam der Kronprinz von Schweden, ter in Breitenfeld übernachtet batte, allein mit einem Trompeter und einem Obusten gegen die Planßigcr Pfarre heran. Er sagte niir sehr gnädig und herablassend: „Ich solle der Gemeine anzeigen, daß sie räume, da Portitz und Plaußig, in der Schußlinie gelegen, Gefahr baden werde. Er müsse Portitz von hier ans beschießen lassen!" Da aber die Sachsen übergingen, änderte der Kronprinz seine An stalten und ließ über die Partbe vier Brücken schlagen; diese wurden mit großer Schnelligkeit hergestellt. Große, mächtige Wagen und Leiterwagen fuhren die Schweden in die Parthe, hieben im Nu Bäume nieder und warfen sie darüber und dann hoben sie dir Tbüren und Thore auö und legten sie darauf. Dreißig Schweden habe ich allein an meinem Pfarrthore tragen sehen, über welches in wenig Viertelstunden, denn länger dauerte der ganze Brückenbau nickt, die ganze schwedische Armee darüber rückte und marschirte." Um ihren Rückzug in größter Scknelligkeit ausführen zu können, bauten die Franzosen am 16. Oktober in Ncutzsch, nacktem sie bei Möckern geschlagen worden waren, über die Parthe eine Noibbillcke, welchen Bau sie sckon am 14. Oc- ivber versucht batten. Das Holz hierzu nahmen sie dem Gastwirtbe in Thekla, der eben lein Haus neu bedachen wollte, an diesem Tage litt Neutzsch sehr unter der Plünderung, die die Franzosen vornahmen, auch waren die Emwobner ihre« Lebens nicht sicher, deshalb flohen die meiste» der Stadt zu. Was in der Stadt em Neuyscker erlebte, eriäblt er folgendermaßen: „Ick lief nach Dimpfel's Haus in der Stadl, in welchem der französische Marichall Marmont quartirtc. Auf den Saal halten die Koblgärtner Alles, was sie mit sich bringen konnten, zusammeugeschleppt, um e«zu reuen. Marmont hatte versprochen : „Er werte jetzt Wache hierher stellen lauen, aber wruu sie retiriren würden, so würde "es hier du'.ch" geben." Nicht lange, so geschah diese«. Die Preuße» er wischten die Franzosen noch vor dem Thore, daß man durch die Fenster es sehen konnte. Wir waren froh, als es endlich ein Eure nahm! Der Marschall halte gerade gefrühstückt oter frühstücken wollen, da kamen bi« Preußen und ließen es sich woblschmecken. Es waren drei preußische Jäger von den Freiwilligen. Sie batten wohl auch lange nichts gehabt als Hunger und Durst, Blut, Tod, Scklacht und Schrecken, so mußten sie billig kriegen, was die Herren Franzosen ver ließen. Sie batten aber auch hierüber Gefahr! Denn rS kamen andere Preußen und postirten sich gegen das Haus, meinten, eS wären Franzosen drinnen. Schon hörte man von unten schießen und wir selber liefen und sagten 'S ihnen, daß sie ja nicht auf ihre Kameraden schössen; denn eS wäre kein Franzose mehr ta." Nachdem die Franzosen die Nothbrücke, die sie auS dem Holze vom Hause des Gastwirths zu Thekla gebaut hallen, wieder abgebrochen hatten, verschanzten sie sich auf dem Kirckberge bei der Tbeklakirche und postirten hier ihre schweren Geschütze, konnten sich aber gegen die anrückende russische Artillerie nicht halten, weshalb, nachdem sir Plösen noch ganz gründlich gebrandsckatzt hatten, sie ihren Rückzug auf Schönefeld autraten. Einer der geflüchteten Einwohner, der zuerst wieder nach Plösen kam, fand dort den OrtS- richter. In welcher Verfassung er ihn fand, schildert er nachstehend: „Splitlerfasernackl und hinter die Bäum« ver krochen, fand ick ibn, die Franzosen hallen ibn ausgezogen. Er zitterte wie Espenlaub und wäre des Totes gewesen vor Kälte und Frost, wäre ick, da wir Alle geflüchtet waren, nicht glücklicher Weis« wieder inS Dorf zurückgekvmmen und hätte ihm Kleider versa afft. Ein tausend Glück und Wunder genug, daß ich noch etwa« Alles in der Boden kammer versteckt hatte, sonst hätte ick ihm nicht einmal helfen können!" Wa« Mocka» im Jahre 1813 erlebte, das bat der damalige Ortsrichter in sehr äusfübrUcher Weise in dem „Gemeinvebuche" von Mockau ausgezeichnet. Die Auszeichnungen beginnen mit dem 2. März und euden mit dem 30. December 1813. Von den große» Lasten, die Mockau zu tragen balle, bekommt man eine Vor stellung, wenn man liest, daß am 28. September Mockau allein 17 054 Mann speiien mußte. Deu 18. Oktober begann von Mockau au- der Angriff der Preußen auf Schönefeld, wobei sie von den Russen und Schweden unterstützt wurden. Ueber diesen Angriff berichtet der OrtSrichter von Abt-Naundorf. „So roh wie die Russen waren, schlugen sie zu und gingen blind drauf und drein auS Manneszucht und Gehor sam; die Knute, Ungnade, Zorn und Verdammniß von hinten, Preis und Guave, Sieg oder ehrenvoller Tod vor Augen. Wie die Russin btiudling« ins Feuer gingen, so brüllten sie wie die Löwen, wenn sie verwundet oder zurück geworfen wurden; denn wurden sie erst wüthcnb, so rissen sie Alles mit sich nieder. — Ick bade es gesehen, und wenn ick eS sage, eS waren zwanzig Mann hoch, die vergesse ick nickt, sie wälzten und rissen Alle« mit sich fort." Am 18. Oktober verwandelte sich Abt-Naundorf in großes Lazaielh, in dem 15 000 Mann lagen. Nicht« gleicht dem Jamme, mit welchem sie ankamen und berzzer schneidend, unaufbörlick schrien sie: „Wasser! Wafferi" Drinnen da« Lazareih, draußen da« Biovuak, es läßt sich der Jammer nickt sagen. Benkendorfs Reserve lag nach der Scklacht hier und schleppten, was nock übrig war, ins Bivouak, 300 Stück Schafe, 40 Stück Schweizer Vieh und 30 Schweine. Der gerichtlich ermittelte Schaden, den Abt-Naundorf iu den Tagen der Schlackt erlitt, bezifferte sich aus 26 000 Thaler. Wäbrend der furchtbaren Schlackt wollte ich in die Stadt fliehen, konnte aber nicht hinein, deshalb mußte ich wieder zurück, bei dieser Gelegenheit fingen mich die Russen, die mich vor ihren General brackteu. Er batik einen schwarzen Bauernpelz um, sprach gut deutsch und frug mich: ,Wo kommst Du her?" Ick: „Von Scköneseld! Au« der Stadt! Es war zu! Ich konnte nickt hinein!" General: „Das ist unmöglich! Wie können birr noch Leute im Dorfe sein? Wie hast Du da durchkommen können?" Ich: „Ich bin darauf toszegangrnl" Der General gab mir «ine Wache mit und Uetz mich in- Bivouak lrauSportirea, da- au den Schönefelder Lehmgruben lag. Dort lag ich die ganze Nackt und erwärmte mich ani Feuer und erhielt einen B>ss:u Brod. Aber keine Nackt ist mir so lang geworden, wie t:e! Der General bivouakirle auch da und schlief in seinem Bärenpelze und seiner Weißen Pelzmütze am Feuer. Am Morgen frug er mich »ach der Brücke über die Parthe uno ließ mich daun frei." In Paunsdorf hielten am 10. Oktober zu Mittag die preußischen Freiwilligen ihre Tagesmablzeit. E,n Paunsdorfer Einwohner, der am selbigen Tage wieder nach dem zerstörten Paunarorf zurück kam, erzäblt davon: „Hier im Hofe dcS Wirthshausis, Las gleich an der Straße liegt, uuv außerhalb des Hofes an Tischen und Tafeln saßen sie reibenweise und kielten die Speisung. Das war eine Mahlzeit! Die vergesse ick nickt, bade in der Art auch keine wieder gesehen. Das war ein Sicgesjubel, wer kann den beschreiben." Am 15. und 16. Oktober lag Napoleon im Bärwinkel'sckcn, ehemals Velter'schen Gute in Reudnitz im Quartier. Wenn daher die Plünderung zu arg ward, gingen die Einwobner selbst zu Napoleon oder dessen Generälen und besckwerien sich. Das tbat auch der Hus und Waffenschmied von Reudnitz, der Napoleons Pferde neue Eisen ausgeschlagen halte. „Als sie mir" — so erzählt er — „meine ncugebauten Ställe Niederreißen wollten, wurde ich desperat und lies iu da- damals Vetler'sche Gut und vor langte zu Napoleon. Ich schrie laut genug nach ihm, aber die Garde lag überall, daß man nicht zu ihm konnte. Ta ick aber darauf bestand und ich zu ihm wollte, kam der Marschall Ney heraus und frug mich: „Was willst Tu?" Er sprach so gut deutsch wie ich. Ich klagte ihm den Uni stand. Er sagte: „Schlag sie auf die Köpfe! jo werden sie cs wohl bleiben lassen!" Ich: „Ja, es sind ihrer zu viel, wer kann ihnen wehren!" Ney: „So geb nur, ne sollen Dir nicht« tbun." So kam denn ein Militair und schrieb mit großen Buchstaben an die Ställe, wa« ick nicht verstand; aber wer da kam, prallte zurück und ließ die Stulle in Ruhe. Auf gleiche Weise suckle sich auch die Mutter Fiedler zu helfen. Die Elnguartierung halte sie sehr turbirt und man wollte sie plündern, als sie aus ihrem Hause auf und davon und der zum Kaiser Napoleon lief. Barfuß, wie sir war, trat sie in den Saal und verlangte, aller Gegenvorstellungen ungeachtet, den Kaiser, bis sie, weil sie nicht gehört wurde, laut schrie: „Nun, wenn Sie sich nicht erbarmen wollen, so wirv Gott im Himmel sick erbarmen!" — Von Nord, Ost und Süd drangen nun die siegreichen Heeriäulen der Verbündeten auf Leipzig ein, so daß sckon ain 18. Oktober Napoleon die Vorbereitungen zum Rückzüge traf, der sich am 10. in größter Eile und vollständiger Aus lösung des großen französischen Heere- vollzog, womit die große Völkerschlacht ihren Abschluß fand, von der Hnssell in seinen „SchreckenSlageu" sagt: „Diese Scklacht war einzi t in Ansehung ihrer Feldherren: Drei Kaiser, drei Könige, drei königliche Thronerben; einzig in Ansehung ihrer Form, Dauer, Massen: Fast eine kalbe Million Streuer aus allen Gegenden von Europa und Asien, von der Mündung de-.- Tajo bi« zum Kaukasus, mit fast 2uoO Feuerschtünden, dei donnernd binnen wenigen Stunden viele Tausende ver- Feuilleton. vorfhere. Novellrtw von M. Lindner. NaLdru« »-rrotni. „In de- drei Teufel« Namen, Mensch, bist Du verrückt?" Der aiso Angeredete stand wie rin überführter Verbrecker vor seinem Herrn, dem jungen Baron von Wranken, dessen Livröe et trug. Er war rin breitsckulteriger Riese von dem strohblonden Typus der gntmütbigen Tölpel, die mit dem kleinen Finger zu lenken sind, bis die Leidenschaft ihrer unbändigen Kraft erwacht, und rann sind sie wülbende Löwen. „DaS schlag' Dir mal gefälligst au« dem Sinn, oder wir sind geschiedene Leute," fuhr der jung« Herr sebr energisch fort, der im nachlässigen HauSjaauet in dem tiefen Leder sessel vor seinem Schreibtisch sag. „Keinen Tag länger beballe ick Dick im Dienst, wenn Du da« Weib, die sckechteste Ereatur im ganzen Dorf, briratben willst. Hast Du denn keine Ahnung, wa- Dir als herrschaftlichem Kutscher zukommt? Urberleg's Dir mal bis morgen. Entweder Du kündigst Deiner Liebschaft, oder Du kündigst den Dienst." Eine Pause trat ein. Aschfahl und stier bohrte der junge Kutscher seine Augen in das Blumengeraok« de« türkischen Teppichs. Man hörte da« Ticken der Rvcoco-Pendule auf dem Ofensim«. „Herr —" stammelte er heiser, „ick bleib' im Dienst, aber ich wollt' schön bitten, ob mich der Herr Baron wollten für eine Weile nach Wegedorf binüderschicken mit den Füchsen zur Kartoffelernte und den Gottlieb an meine Stelle nebmen, blos daß — bloS darum, daß sir mir au« deu Augen kommt — sonst — sonst —" „Kriegt sie Dick wieder rum, da« Satan«weib? Mensch, was für »inen Narren hast Du au« Dir macken lassen! Maa sollt'« nicht glauben, von so einem Geschöpf!" Der blonde Riese sah au« wie Jemaud, der sich seiner Erniedrigung vollkommen bewußt ist. „Haben der guäd'ge Herr die Trude gesehen?" fragte er mit dem Blick eine- geschlagenen Hunde«. „Nein, aber ich kann mir genau vorstellen, wa« au« dem Racker geworden ist, der mit un« al« kleine« Mädchen Vogel nester au«nabm und eS uns Buben, die wir doch keine Duck mäuser waren, an Durchtriebenheit zuvorthat. Ich weiß wohl noch, wie wir in dem alten Backofen zusammruhocktra unk wie sie un- Schauder über den Leib jagte mit den haar sträubenden Gespenstergeschichten, di« sie un« erzählte. Di« Art Wriber kennt man, die geben alle denselben Weg. Hat mich nicht gewundert, zu hören, wa« aus der wilden Katze geworben ist." Und als Wilhelm, d«r Kutscher, immer noch mit schlaff hängenden Armen vor ibm stand, rief er ihn r, munternd an: „Nun, marsch vorwärt«, pack' Deine Sachen, und deute Abend noch fort nach Wegedorf! Reiß' auS, so schnell Tu kannst. Du Niese Goliath, der Soldat gewesen ist und sich vor einem Weibe fürchtet!" Wilhelm ging. Vor der Thür wischte er sich den kalten Sckweiß von der Stirn. Verlassen, nein, verlassen konnte er seinen Herrn nicht. Sein Vater und sein Großvater waren ja schon Kulscker bei den Wranken'« gewesen. Und er batte mit Junker Ger» gespielt, al- sir beide nock in Windelhöschen waren. Er könnte sich ebenso gut die Seele aus dem Leibe reißen. Aber die Trude verlassen? Großer Vater im Himmel, der Herr hat Recht, die Trude stiehlt ja. — Und er, ter herrschaftliche Kutscher! „Es muß sein — Golt steh' mir bei in meiner Notb!" Er taumelte, al« er die breite eichrngeschnitzte Treppe hiaabstieg. Einige Tage darauf ^am Gert von Wranken, di« Büchse über der Schulter vom Anstand heim. Er war erst vor Kurzem von seinen Studien und Reisen im Au-lanv auf da« vom Vater ererbte Familiengut beim- gekedrt und wollte nun ein Laodmann werden, der die Scholle selbst bebaut. Die herbstliche Frische des Walde« hing über dem jungen Jäger, al« er mit dem dämmernden Abend über die Stoppel felder dem Dorfe zuschritt. Plötzlich gewahrte er von fern einen beweglichen Punkt, eine sick duckend», durch die Frlcgräben schleichende Genalt, die mit der Schnelligkeit eine« icheuen Wilde« vor ihm zu stieben schien. E« gekörte rin scharfe« Jägerauge dazu, um in diesem gleitenden, bald sichtbaren, bald v«»sckwind«iiden Schatten eiu Weib zu erkennen. Ter Jäger sab sogar noch mebr, er sab eia Weib, da« einen sackartigen Gegenstand mit sich schleifte. „Ada, eine Diebin, wahrscheinlich eine Wilddiebin", sagte sich Gert. »Hol' mich der Kuckuck, wenn ich nicht weiß, wer dahinter steckt!" Scheinbar verfolgte er die Fliebende nickt, sondern ging seine« Wege«, äl« bade er nicht« gesehen, aber er behielt sie im Auge. Vor dem Dorf ragte der Schornstein de- alten Backofen«, hinter dem knorrigen, halb entblätterten Linbenbaum, vom Hügel empor. Der Liebling-spielplatz seiner Kinderjabre. Der ver schwand der fliehende Schatten, al« habe der Erdboden ibn vericklungrn. Al- er sich dem Backofen näberte, saß in seinem sckwarz- verräuchrrien Thorbogen, auf einem Steindlock eine bockende Gestalt, die einen alten Sack übergehäazt hatte, in scheinbar lä siger Rübe. Diese regung-lose Gestalt hatte in dem fahlen, gelben Licht der sinkenden Sonne etwa- Gespenstische-. Ueber die dürren Kartoffeläcker kam der Abendwind und schauerte durch die alte Linde, daß eine Kräbe sich mit klappen dem Flügelscklag krächzend krbob und dem Fichtenwald zuflog, der wie eine dunkle Wand gegen den Horizont stand. „Heraus mit der Beute! Wo ist da« Wild, da-Du mir eben vom Felde gestoble»? Diebin Du! Ick werde Dick lehren, meinen Hasen Schlingen zu stellen! Mir entwischst Tu nicht! Tent' nick», daß Tu mich dumm macken kannst, wie Du den alten Förster, den Inspektor und alle Leute im Torf zum Narren bällst! Verfluch»» Hexe, Dir wollen wir das Handwerk legen!" wetterte Gert, indem er unversehens die Ueberraschle am Kragen packte und schüttelte. Das Weib gab keinen Laut von sich und widersetzte sick nicht dem Griff seiner nervigen Faust, aber plötzlick bog es den Kopf zurück, der Sack fiel ibm vom Haupt, und dem gestreng'« Herrn blieb da- Wort in der Kcble stecken, at er die Enthüllte vor sich sah und ibm «in Blick wie lodernde Klammen entgegenschlug. Welch' ein Weib! Welch' eine Gestalt, bräunlich schlank, mit knospender Fülle, sammrtweich und aalglatt, nur dürftig vom groben Leinenhemd und kurzen Wollrock versteckt! Welch eine Sinnen- glutb in den flackernden Augen und welch' hohnvollrr Trotz auf den üppigen Lippen! Und wie da« junge Weib seinen Triumph im Auge de« überraschten Marino« laS, wandelte sich dieser Trotz >n ein leise«, ganz leise-, süße« Lackeln. „Kennen der gnäd'ge Herr dir Trude nicht? Junker Gen bat sie einstmals wohl gekannt." „Pfui, sckäme Dich, Trude, wa« ist au« Dir geworden!" sagte der Baron, tief ausalbmenv, indem seine Hand sie freigab. Er sprach in ganz verändertem Ton. „Warum soll ich mich schämen? Habe ich'« nvtbig?" Eie hatte sich ganz ausgorichtrt, der Sack fiel zu Boden, und sie ltanb vor ibm mit einem AuSdruck, wie ihn Pdrynr gehabt haben mag, al« sie sich dem ganzen Volk «nibüllte. „Bei Gott, Weib, e« ist Schade um Dick, man kann lange laufen, bis man Eine findet wie Dick!" erwiderte Gert, und sein Auge fing an zu brennen, wie e« immer noch staunend die Pracht der jungen Glieder maß. „Warum ist eS Schade um mich?" flüsterte eine weiche Stimme. „Die Trude hat lange, lange gewartet, ob ver Junker Gert nicht wiederkommen würde; sie hat Tag und Nacht von ibm geträumt, wie er so sckön und so wild und stolz war! Und wie er doch so gern seinen Kops in Trudcns Lckooß legte, und sich die Locken zausen ließ und Geschichten erzät len. Und nun ist er da, die Trude ist so froh, aber böo darf er nickt sein." Da« junge Weib batte sick nabe an den Mann gesckmieg:, und der beiße Hauch ibre« Munde« streifte seine Wange Aus dem Innern des Ofen», in dem Obst gedörrt wurd , schlug wärmend« Gluth, d>« Gert'« Adern wohlig durcl strömte. Draußen wurde e« kalt, er zog Trude an der Hand i den Vorraum, wo noch an derselben Stelle Reisigbünd lagen, geschichtetes Holz und rin Beil, genau so wie in r Tagen seiner Kinddeit. „Du sollst nicht stehlen, Trude, versprich, daß Du e - ordentliches Mädchen werden willst." Er wollt« streng sprechen, aber »S klang bittend. „Ich soll nicht stehlen!" jauchzte Trude plötzlich, u: mit rasender Wildheit schlang sie di» nackten Arme um seinen Hal«. Im ersten Augenblick stieß er da« tolle Weib mit Fäustei von sich, und dann riß er e« wieder in seine Arme. « * » An einem trübseligen Novembermorgen wurde Gert von Wranken erschlagen ,n dem alten Backofen gefunden, das Beil, da« zum Holzspaltrn diente, war noch rolh von seinen, Blut, und auf den Reisigbündeln saß sein Kutscher Wilhelm, den Kopf seine« ermordeten Herrn, mit der klaffenden Wunde io seinem Schooß und in den stieren Augen den Wahnsion. Truve war verschwunden, man sah sie nie wieder im Dorf. Nack Jahren ging da« Gerückt, sie sei mit einer Eircu' truppe umdergrzogen und eine große Dame geworden, die i Glück in der Welt gemacht habe. In dem Backofen unter der Linde wurde kein Brod me' r gebacken, keine frohe Kinderlchaar spielte mehr um seine Manern, kein Liebespaar suchte sich dort zum Stelldichein. Er war bald «in öder Trümmerhaufen, und dann wurde er abgerissen, und rin« modern» Zregelei entstand an seiner Stell«.
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