Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961201016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-01
- Monat1896-12
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezrrgS'PreiS in der Hauptexpedition oder den km Stadt- bezirk und Len Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^-4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» -raut 5.50. Durch die Post bezogen für Teutjchland und Lestrrreich: vieneliährlich 6.—. Direkte täglich» Kreuzbandiendung mS Ausland: monallich 7.SO. Die Morgeu-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Ne-artion vn- Erve-itioa: Johannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abeuds 7 Uhr. —o« Filiulen: Kilo Klemm's Sortim. (Alfred Hahn». UniversitäiSskraße 3 (Pauliuum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part und Königsplatz 7. Morgen-Ausgabe. ripMer TageblaU Anzeigen-Prei- die (»gespaltene Prtirzeile 20 Pfg. Reklamen unier dem Rrdaction»ftrich (»ge- 'palten- 50/^, vor den Familiennachrtchlr i (6 gespalten) 40^. tvrößere Schritten laut unserem Prev ner,eichnitz. Tabellarischer und Ziffernlap nach höherem Tarii. He<»ra-Bkitagc>l (gefalzt), nur mit der Morgen - AuSgabe, ohne Postbesorderung 60—, mit Postbeförderung 70. . Anzeiger. ÄmtsAatt -es HSnigkichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Ännahmeschlaß für Anzeige«: ! Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. ' Marge »-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr Bei den Filiale» und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeige» sind stet- an die -frpedtlion zu richteru Druck und Verlag vo» E. Polz iu Leipzig. kl«. Dienstag den 1. December 1896. SO. Jahrgang: Die -Fürsorge für die deutsche Jugend in ihrer freien Zeit. Kd. Die Ermordung des Justizratbs Levy in Berlin, als deren Thäter sich zu aller Welt Erstaunen halbwüchsige Burschen von 16 und 17 Jahren entpuppten, bat die Auf merksamkeit wieder auf die Zunahme deS jugendlichen Ver brechcrthums in Deutschland gelenkt. Die Neichsstatistik redet eine traurige Sprache. Während in den Jahren 1882 bis >885 die Zahl der jugendlichen Berurtbeillen zwischen 12 und 18 Jahren sich auf einem jährlichen Durchschnitt von ca. 30 000 hielt, ist dieselbe von 3l 5l3 im Jahre 1886 bis zum Jahre 1892 stetig bis auf 46496 angewachsen, ist zwar 1893 aus 43 776 gesunken, hat sich aber 1894 noch immer auf 45 504 jugendliche Personen belaufen. Bemerkenßwerlh ist die Zunahme der Verurtbeilten zwischen 18 und unter 21 Jahren, die also noch nickt großjährig sind. Ihre Zahl betrug 1882: 48 352 und 1892: 68 138. Im Jahre 1892, als die jugendlichen Mörder deS Berliner Justizraths etwa die Strafmündigkeit erreickten, waren im deutschen Reiche 114 634 Personen unter 2l Jabren wegen Verbrechen und Vergehen zu bestrafen. Was Wunder, wenn aus einer der artigen Masse jugendlichen Berbreckertbums solche Sckr-ckens- lhalen beroorgehen und nock hern-^'.htn werden! Das (Jefübl, daß es vier gilt, verbängnißvolle Uebel- siändc im Volksleben zu beseitigen, bat denn auch anläßlich des Berliner Mordes vielfachen Ausdruck gesunden. Man ist bemüht gewesen, ihre Ursachen zu ergründen und Mittel zu ihrer Bekämpfung namhaft zu macken. All'die an die jugend liche Criminalität sich anknüpfenden Fragen, wie die einer Er höhung des strafmünkigen Alters, einer bedingten Verurtheiluug Jugendlicher, ihrer Zwangserziehung statt Bestrafung, ihrer körperlichen Züchtigung u. s. w., haben die Runde gemacht. Die alten Klagen gegen die moderne sociale Entwickelung, gegen den Pestbauch der naturalistischen Literatur, de» zucht losen Radikalismus der socialistisckcn Demokratie u. s. w. sind wieder erhoben worden. In all' diesen Richtungen kann viel getban werden und in all' diesen Anklagen mag viel Wahrheit liegen! Aber ist mit all' dem ein grundlegender Uebelstand aufgeveckt und kann damit erschöpfend geholfen werden ? Nur wenige werden das glauben. Dieselben Ucbelstande finden sich auch in anderen Ländern, und dieselben Fragen sind dort auch nicht gelöst; und trotzdem zeigt sich vielerorten ein Rückgang des jugendlichen VerbrechertbumS. In Betracht kommt in dieser Richtung hauptsächlich England. Die Zahl der Ver brecher unter 16 Jahren betrug in England und Wales I86l: 8801, 1869 bereits 10 314, dagegen 1879: 6810, 1885: 4813 und 1891 nur noch 3855, also ein Rückgang von 10 314 im Jahre 1869 auf 3855 im Jahre 1891. Worin liegt nun ein grundlegender Unterschied zwischen deutschen und englischen Verhältnissen, soweit sie auf die jugendliche Criminalilät Bezug haben? Ein solcher darf wohl in der Jugenderziehung der Leiden Völker gefunden werden. Die deutsche Volksschule gibt ihren Zöglingen sicherlich eine weit größere Masse von Wissensstoff auf den Weg als die englische. Aber sorgt Gesellschaft und Schule in Deutschland auch außerhalb des Unterrichts in gleicher Weise für die Jugend deS Volkes wie in England? Widmen die vermögenden Bürgerkreise den Kin"ern der unbemittelten VolkSclassen dieselbe groß herzige Fürsorge, wie dies in England geschieht? Wird der deutschen Jugend ausreichende Gelegenheit zur an regenden Bethätigung ihrer praktischen Fähigkeiten ge geben ? Stellt daS deutsche Volk seiner Jugend genügende Anleitung und genügend« Plätze zu frohen Spielen zur Verfügung? Es ist bekannt, daß in dieser Richtung ein großer Unterschied zwischen deutscher und eng lischer Erziehung besteht, daß der Engländer einen viel feineren Sinn für die Bedürfnisse der Kinderwelt und Jugend in ihrer freien Zeit bat. Die eine Mäßigkeitsgcsellschaft der Guttempler bat 1'/, Millionen Kinder organisirt, für die Töchter vermögenderer Eltern in England ist die Fürsorge für die Geselligkeit der Kinder unbemittelter Bolksclassen in religiösen Vereinigungen die Hauptbeschäftigung; Gemeinden und reiche Bürger stellen VolkSparke und Spielplätze in großer Anzahl zur Verfürgung. Was die Fürsorge für die Kinder in ihrer freien Zeit, was die Anleitung der Jugend zu reiner Lebensfreude, zur anregenden praktischen Tbäligkeit und zu fröhlichen, gesunden Spielen anlangt, dafür geschieht in Deutschland zu wenig. Deshalb ziehen so viele jugendliche Gestalten schon so früh mangels jeder anderen Anregung in die Kneipen und auf die Tanzböden, die den größten Zuzug für die Gerichtssäle stellen. Daß es in diesem Puncto in Deutschland anders werden muffe, daß das deutsche Volk eine Schuld an der Jugend der unbemittelten Classen abzutragen habe, daß es der Erweckung des ganzen Volkes zu bildender und reiner Lebensfreude bedürfe, wird glücklicherweise mehr und mehr anerkannt. Ein schönes Beispiel dieser Einsicht bietet der soeben erschienene fünfte Jahrgang des Jahrbuchs, welches der Centralausschuß zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in Deutschland berausgiebt (Leipzig, R. Voigtländer'S Verlag. 3 ^). Hier ist eine wirksame Waffe gegen die schwarzen Schatten ge schmiedet, welche die Jugend des deutschen Volkes umschweben. Wer die deutschen Buben und Mädchen hinausführt in die freie Natur, sie in fröhlichem Spiele sich tummeln läßt, ihnen reine Lebensfreude in ihrer freien Zeil bietet, der sorgt auch für ihre seelische Gesundheit Diese Ueberzeugunz liest man im Jahrbuch« aus all den Berichten der verschiedenen deutschen Luve. Möchten reckt viele aus ibm Anregung zu gleicher Tbätigkei: entnehmen! Im Anschluß an das Jahrbuch sei auf ein anderes kürzlich erschienenes Buch bingewiesen, welches denselben Gegenstand behandelt und einen eigenartigen, prak tisch bereits durchgeführten Plan zu einer umfassenden Orga nisation der Geselligkeit der großstädtischen Kinderwelt in ihrer freien Zeit entwickelt (Die Dresdner Kinderfahrten, ein Beitrag zur Organisation der Volksgcselligkeii von Or Karl Bö hm ort, Landrichter in Dresden. Duncker L Humbloi. Leipzig. 60 ^.). Der Verfasser, welcher aus seiner crimina- listischen Tdäiigkeit die der großstädtischen Kinderwclt droh enden Gefahren kennen gelernt bat und auch mehrfach in England gewesen ist, bat in Anlehnung an den über 5000 Mitglieder zählenden Verein Volkswobl zu Dresden in einem dem Verein gehörigen Volkspark die Anlage eines großen Kinder spielplatzes mit besonderen Spielrevieren, Blockhütten, Schul gärten, SanitätSwacke, Handfertigkeits- und HaushaltungS- hütten, Wettspielplätzcn,Naturtheater rc. veranlaßt, nach welchem an schönen Sommernachmittagen von etwa 3000 Kindern von Ver- einsmitgliekern jedesmal etwa 1500 hinauSgefüdrt werden und daselbst unter Aussicht von freiwilligen Helferinnen und Lehrern spielen. Von diesen 3000 Kindern sind 200 auS den obersten Volkssckulclafsen in besondere Knaben- und Mädchenwebren eingereiht, welche den Aufsichtspersonen zur Hand geben, außerdem aber auch Unterricht in Volks- und Jugendspielen, Reigen, Schauspiel und Declamationen, Gesang, Musik rc erhalten. Dadurch wird die Geselligkeit der Kinder sehr mannigfaltig gestaltet, eS werden aber auch in den erwachseneren Knaben und Märchen die Keime zu einer veredelten Gesellig keit gelegt. Diese Organisation der Kindergeselligkeit bat solchen Anklang in Dresden gefunden, daß der Verein Volks wohl bereits wegen Anlage eines zweiten Volksparkes in einer anderen Stadtgegenr Unterhandlungen eingeleilet hat. Die Idee geht dabin, daß die bildende Geselligkeit, welche ver mögendere Eltern ihren Kindern durch eigene Mittel ver schaffen können, für die großen Kindermassen der unbemittelten Classen durch deren Zusammenschluß beschafft werde und man hofft, daß diese großstädtische Kinderzeselligkeit künftig im Anschluß an die Schule unter Beihilfe von freiwilligen Kräften der vermögenden Kreise und unter hauptsächlicher Benutzung von VolkSparkS in der freien Natur sich organisiren lasse. Den, Buche sind verschiedene Pläne, sowie Bilder von Kinderauffübrungen und einige Gedichte, welche das in erster Linie auf das Volksgemüth berechnete Unternehmen bereits gezeitigt bat, beigefügt. All diese Anregungen und Unternehmungen bedeuten Aenderungen in unseren Anschauungen über die Geselligkeit der Jugend in den unbemittelten VolkSclassen. Es zeigt sich das Bestreben, an Stelle des getrennten und zerfahrenen Dabin- lebens der Kinder insbesondere in der Großstadt umfassende Mittelpunkte für edle Geselligkeit und reine Lebensfreude zu organisiren. Es ist hier ein Feld, das nicht obae vrrständniß- volle Beihilfe der gebildeten und vermögenden Volk-kreise bearbeitet werden kann. Möchten diese an dem wichtigen Werk nicht theilnahmlos vorübergehen! Deutsches Reich. Leipzig, 30. November. DaS Capitel „Social demokratische Heuchelei" ist um einen lehrreichen Para graphen bereichert worden, und zwar durch den „Vor wärts" im Bunde mit der „Leipziger Volksztg.". Es ist kaum eine Woche her, da gab der „Vorwärts" seiner sitt lichen Entrüstung über das uralte Studentenlied „Ich war Brandfuchs noch an Jabren" empört Ausdruck; und jedes Mal, wenn von einer studentischen Ausschreitung zu berichten ist, bauscht die svcialdemokratische Presse den Vorfall maß los auf, verallgemeinert ihn und benutzt daS einzelne Vor- kommniß zur Beschimpfung der ganzen Studentenschaft. Gan; anders aber verhält sich dieselbe Presse, wenn ein „Ge nosse" Ausschreitungen der gedachten Art begangen hat. Dann verwandelt sich der catoniiche Sittenrichter in den entzückten Lobreduer „urwüchsig-kräftiger Menschlichkeit", und wenn Wilhelm Liebknecht bierselig in London Laternen ein wirft, beeilt sich Bruno Scho en lank, der Homer dieses Achilles zu werken. In Versen freilich nicht, aber in mäßiger Prosa streut nämlich Herr Schoenlank (oder sollte die Chiffre „8. 8cll." anders zu deuten sein?) in der „Leipziger Volkszeitung" dem „Genossen" Liebknecht wie folgt Weihrauch: „Soeben ist ein Schriftchen Liebknecht's erschienen, das von allen, die den Menschen Marx kennen lernen wollen, mit Nutzen wird gelesen werden. An eine kurze Skizze des Lebenslauies reiht sich eine im frischen Plauderton gehaltene Schnur (!) von persönlichen Erinnerungen. Liebknecht hat in der Zeit des Londoner Exils, 1850—1862, in innigem Verhältnisse zu der Familie Marx gestanden. Aus dem Schutze seiner Erlebnisse greift der „Alte" nun die an- muthigsten und schärf st geprägte st e n(!) hera us,undes gelingt ihm, uns Len großen Denker Marx in seiner urwüchsig.kräftigen Menschlichkeit nohezubringen. Der „Mohr", so nannten Alt n--d Jung den Verfasser des Capitols, steht leben«*:-*': v„c uns, als Lehrer der Flüchtlinge, als freundlicher Hausvater. Wir sehen ihn bei der Arbeit, .Sckeckbret.-. »nb — >)?nn-t. Philiste-'k — auf einer der umfassendste» Bierreisen dieses Jahr hunderts, in London noch dazu: Karl Marx, Edgar Bauer, Wilhelm Liebknecht Laternen eiuwerfend und mit Mühe dem Policeman entwischend!" . Diese Recension druckt der „Vorwärts" vorbehaltlos ab. Damit wird wieder einmal der Beweis geliefert, daß dem „Genossen" am „Genossen" schneeweiß erscheint, was er an Bourgeois als schwärzestes Schwarz ausschreit. DaS ist die Ethik des Zukunft-staateS. * Leipzig, 30. November. Der Ausschuß der Deutschen Colon ial-Gesell sck a ft, Weicker wegen noch fortdauernder Erkrankung des früheren Direktors vr. Kayser nickt in der Lage war, fick von ibm persönlich zu verabschieden, hat ihm eine künstlerisch auSgestattete Adresse nach Leipzig zugeben lassen, in welcher er ihm nicht blos den Dank wegen seiner Verdienste um die Entwickelung der deutschen Colonien, sondern insbesondere auch für die Unterstützung auSfpricht, die er während seiner AmtSdauer den Unternehmungen der Deutschen Colonial-Gesellschaft zu Theil werden ließ. (Wdh.) * Berlin, 30. November. Es wird jetzt von allen Seiten bestätigt, daß die maßgebenden Persönlichkeiten nicht die Absicht haben, in dem Proceß gegen Leckert, v. Lützow und Genossen den Ausschluß der Oeffentlicbkeit zu beantragen. Dem Vernehmen nach ist vom Auswärtigen Amte Vorsorge ge troffen worden, daß die gesammten Verhandlungen stenographisch ausgenommen werden. WaS viePersönlickkeiten der beiten Haupt angeklagten betrifft, so war der jetzt 20Jahre alte Leckert bis zum Jahre 1893 Schüler deS hiesigen französischen Gymnasiums, dann ganz kurze Zeil Kausmannölebrling und die letzte Zeit „Journalist". Herr v. Lützow war früher Ofsicier; er ist ein Schwiegersohn Bellackini'S, aber von seiner Ehefrau geschieden. Er war früher bei der „Allgem. Reichs- Corresp." tbcitig, die eingegangen ist, während ihr Redakteur Wefseletzki seiner Zeit au- Preußen ausgewiesen wurde. Die Verhandlung wird, wie gemeldet, am 2. December beginnen, aber schwerlich in einem Tage beendet sein können. Lank gerichtsdirector Roesler, der den Vorsitz führt, Hal Sorge getragen, daß der dritten Strafkammer das betreffenrc Sitzungszimmer drei Tage zur Verfügung steht. Als Ver treter der Anklagebekörke wird außer dem Obrrstaals anwalt Drescher auch noch der Staatsanwalt Kanzow au; treten. Nack einer Mittheilung der „Staalsb.-Ztg." sink nachträglich noch fünf weitere Zeugen geladen Worten. Ti- Vernehmung dieser Zeugen, meint das genannte Blatt, dürste Anlaß bieten zur nochmaligen Ausrollung der — Koe-ler- Krisis in allen ihren Einzelheiten und der Frage nach dein „großen Unbekannten", nämlich dem Urheber der Jnkiscretiou in den „Münch. Reuest. Nachr." über gewisse Vorgänge im preußischen Staatsministerium bei der Bcratbung der Militairstrasproceßordnung. Leider sei der elastischste Zeuge für diesen Fall, nämlich Staatsminister von Koeller, selbst bisher nickt geladen. Falls das nicht der Fall sein sollte, so kann diesem Uebelstand leicht abgeholfen werken, da Herr v. Koeller ja nickt unerreichbar ist. Wenn übrigens kie„Staatsk.- Ztg." diesen Fall als einen der dunkelsten Plincte in der Ge ickichte der „officiösen Preßwirtbschafl" bezeichnet, so kann man ihr nur anheimgeben, Auslassungen der „Franks. Ztg." vom >6. November d. I. über den Proceß gegen einen der Angeklagten, Frhr.v.Lützow, nachzulesen, in denen es u.A. beißt: „Man denke sich nur: der „Journalist" lancirt — der Himmel weiß, in wessen Auftrage und zu Westen Nutzen — sehr interessante Notizen in die Zeitungen, durch die zwei Minister, sagen wir ein Kriegsminister und ein Minister des Innern, aneinander gehetzt werden. Von oben herab will man eine Unter suchung tiefer Jntriguen, die politische Polizei wird in B: wegung gesetzt; am tdätigsten und erfolgreichsten ist der Pvlizeiagent, der als „Journalist" die Notizen lancirt Lat, und auf seine Angaben stützt sich schließlich der Bericht, der nach oben erstattet wird. "Berlin, 30. November. Der Proceß Frank-Frei der in diesen Tagen die Strafkammer zu Straßburg üb vie Frag' von bc'rügeriscken Lieferungen uno Beamt bestechung eingehend be>ckäftigt bat, ist geeignet, aberma auch unfern militairiscken Behörden *"en Nutzest k Oeffentlickkeit des Strafverfahrens (lar ;n en Gewiß kann darüber kern Zweifel bestehen, Laß, >a»enn Angeklagten sich zufällig vor dem Militairgericht, statt jeoi vor dem Civilgericht zu verantworten gehabt hätten, st- ebenso nach Recht und Gesetz beurtbeilt worden wären. Ab- die juristische Beurlbeilung und Strasfällung bildet nur ein: Seite dieses Protestes. Tie andere besteht in den Streiflichtern, die in diesem Proteste auf die Frage geworfen worden sink, ob sich unsere oberen Behörden in ausreichender Weise gegen unreelle Lieferungen seitens der Privaten zu schützen ver stehen. Hier handelt cs sich weniger um persönliche Nachlässigkeiten und Verfehlungen, als um bedauerliche Mängel der staatlichen Einrichtungen und der Ober aufsicht. Solche Mängel können um so bedenklichere Nachwirkungen nach sich ziehen, als sie durchweg mit der Eigenart der staatlichen Ausschreibungen von Lieferungen zu sammcnhängen. Es ist kaum zu vermeiden, daß die wichtigen und meisten Lieferungen nach dem Grundsatz der Verhältnis mäßigen Mindestforderung vergeben werden. Dieser Grundsatz aber muß zur unbedingten Voraussetzung haben, daß die liefernden Unternehmer auf derselben Grundlage der Ge diegenbeit und Zuverlässigkeit stehen. Es ist sehr leicht, billiger zu liefern, wenn statt deS Musters eine billigere, schlechtere oder minkerweNbige Waare schließlich Widerspruchs loS angenommen wird. Im vorliegenden Falle handelte es sich um Zusätze zum Hafer durch minderwertbige Gerste, Abfall von Mais, angeblich sogar von Eisennägeln. Warum das betreffende Amt den gelieferten Hafer oder einen Tbeil desselben nickt vor der Abnahme durch einen Trieur bat geben lassen, ist im vorliegenden Fall nach den Zeilungs berichten nicht festgestellt worden. Aber schon dieses ein: Beispiel genügt, nm den Segen der Oeffentlichkeit darzutbun Beim geheimen Verfahren würde voraussichtlich daö einzeln: Proviantamt vielleicht Anlaß genommen haben, Mangel der Feuilleton. Eine Kündigung. Humoreske vom Freiherr» von Schlicht. »laLdruck verkoten. Die Dienstboten hatten unS eine „gute Nacht" gewünscht und die jeden Abend wiederkebrende Frage: „Schläft der Junge auch?" war mit dem stereotypen „Jawohl, gnädige Frau", beantwortet worden. So stand denn uuserem Zubette gehen nicht» mehr im Wege und meine Frau erhob sich. „Sei nickt böse, wenn ich mich znrückziehe, ich bin todt- müde, der Junge war in der letzten Nacht so unruhig. Hast Du noch lange zu arbeiten?" „Ich will nur noch meine Cigarre zu Ende rauchen", dann ziehe auch ich mich in mein Kämmerlein zurück", er widerte ick, „schlaf' wobl." Eine Viertelstunde später war die Cigarre erledigt, und wiederum eine Viertelstunde später herrschte in der kleinen Billa eine geradezu unheimliche Ruhe. Da klangen plötzlich gar seltsame Töne an mein Obr. Sonderbar! Eine Ziege meckerte ganz in meiner Nähe. Ich hörte ganz deutlich: „Mäh—mäh—mäh—" Aber dann plötzlich: „Mama, Mama—Meere—meeee." Da wuide nur mein Jrrthum klar; der Junge, der im Zimmer nebenan mit meiner Frau schlief, war erwacht. Ich kenne meinen Buben, er betreibt trotz seiner Jugend — er ist drei Jahre — Alle- sehr gründlich, auch da» Weinen. Also steck« ick die Hände in die Ohrea und kroch unter di« Decke, um nicht» zu hören. Vergebliche Arbeit! Es giebt Leute, die der Ansicht sind, tiefe Töne wären viel deutlicher, selbst auf weite Entfernungen, zu hören, als Helle, schrille Töne — daher sie daS Nebelhorn viel praktischer, als die Dampfpfeife finden. Ich glaube, diese Leute würden ihre Ansicht ändern, wenn sie in zener Nacht meinen Jungen gehört hätten. Vergebens suchte meine Frau den Schreier zu beruhigen. „Wenn Du nun nicht gleich still bist, kommt Vater mit dem Stock!" rief ick drohend au- dem Hintergrund. Eine wahre Höllemnustk war die Antwort auf meine Drobung. WaS der Mensch verspricht, muß er halten; so sprang ich denn auS dem Bett und gab dem Bengel eine gehörige Tracht Prügel. Nun wußte er weniguens, warum er beulte. Die tbeure Gattin, außer sich über die von mir an den Tag gelegte „Rohheit", trat auf die Seite deS Kinde-: „WaS fehlt meinem kleinen Liebling denn? Hast Du Dein Mutting denn gar nicht mehr lieb? Hast Du irgendwo Weh-Web? Sag' was hast Du denn nur?" „Miiich, — Miiich." Der Junge war hungrig und wollte mehr Miiich," auf hochdeutsch: mehr Milch haben. Jetzt, mitten in der Nacht! Der Bengel war rein toll, aber wenn wir noch schlafen wollten, mußte sein Wunsch erfüllt werden. Meine Frau wollte selbst in die Küche geben, um die Milch zu bereiten, aber ich widersprach. Wozu berahlt man denn «in sündhafte» Geld für ein Kinder mädchen? Ich drückte auf den Knopf der elektrischen Glocke, die sich in der Mädckenstube über dem Kopfende der Betten befindet . . . Nicht» rührt« sich. Ick drückte noch einmal, energischer, kraftvoller, intensiver . . . Nickis rührte sich. Ich läutete von Neuem . . . Nichts rührte sich. Ich zog mich notbtürftig an und trommelte gegen die verschlossene Tbür der Mädckenkammer und rief die Jung frau bei Namen . . . Alle- blieb still. Ich spielte mit Händen und Füßen den Radetzky-Marsch, ich ries den Namen nicht mehr, ich schrie, ich brüllt« . . . Alles blieb still. „Und wenn Du todt bist, ich will Dich schon wach be kommen," rief ich. Ich lebnre mich mit beiden Füßen gegen da- Treppen geländer, mit beiden Schultern gegen die Thür und eine Minute später flog ick, wie ein geölter Blitz, mit zerschun- denen Gliedmaßen in daS Schlafgemach der beiden Mädchen ... Alles blieb still! Ein Wunder war eS allerdings nicht: die Betten waren leer, di« Tbür, die nach dem Boden führte, stand offen, ebenso dir Bodenluke, von der eine Treppe in dir Scheune führt. Und in der Scheune stand die Thür gleich falls offen. So mußte denn meine Frau doch selbst in die Kücke hinab steigen, wäbrrnv ich den schreienden Jungen auf den Arm nahm und ihm auseinandersetzte, er sei da» artigste Kind, Ha je vo» einem Storch gebracht worden fei. Am nächsten Morgen meldeten nur die beiden Mädchen mit angsterfüllten Gefickter«, r» fei bei ibnen eingebrochen worden, sie hätten den Dieb lange an der Tbür arbeiten ge hört, sie hätten au- Leibeskräften „Hilfe! Hilfe!" gerufen und al« Niemand gekommen sei, wären sie vor Angst aufgestauden und zuerst in den Garten, dann auf die Straße geflohen, wo st« vergiblich «inen Wächter gesucht hätten. Da- Leben und das Eigenthum meiner Dienstboten war mir zu theuer, um sie erneut dem Schrecken einer solche:: Nacht auszusetzen. So fragte ich sie denn, ob sie nicht genei wären, sich zum ersten deS nächsten MonatS nach eine anderen Platz umzusehen. Sie machten beide einen zierlich Knix und sagten: „Sehr wohl, gnädiger Herr, es war scheu lange unsere Absicht, zu kündigen." „Um so bester" erwiderte ich, „dann wird die Abschiede stunde ja nicht unsere Herzen brechen." „Gott sei Dank, daß wir die Mädcken loS werden", sag! meine Frau, „jetzt will ich es Dir nur gestehen, daß ich mick fast jeden Tag balbtodt über sie geärgert habe, sie sind faul, schmutzig in ihren Arbeiten und unverschämt." „Behüt' sie Gott, da- sei mein Reisescgen", gab ich zu: Antwort, „nun müssen wir aber sehen, daß wir zum Ersten auch neue Mädchen bekommen. Was meinst Du, sollen wir inseriren?" Aber meine Frau batte andere Pläne — wir wobnen in einer kleinen Stadt, wo sich auch da» unbedeutendste Er eigniß mit Windeseile verbreitet. Heute Abend würde schon die ganze Stadt wissen, daß wir zwei neue Mädcken suchten und morgen, spätesten» übermorgen, würden genug Nack folgerinnen fick melken. AIS nach acht Tagen, mit Ausnahme der Backfrau, kein weibliches Wesen unsere Schwelle überschritten hatte, wurdc meine Frau unruhig. „WaS meinst Du, sollen wir nicht doch lieber inseriren?" fragte ich. ...» Meine Frau bat mich, damit noch einige Tage zu warten e» sei ja nock viel Zeit, heute schrieben wir ja erst den vie, zehnten, bi« zum zwanzigsten könnten wir «» ja Noch ko vu: aasrhra.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite