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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961202020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-02
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Es gehörten in der Tbat besonders gut construirle Nerven dazu, um die endlosen juristischen Auseinandersetzungen namentlich gewisser socialdemokratischer Biel- und Dauer redner zu ertragen. Allerdings ist auch dieser Grund nur eine halbe Entschuldigung. Ein gut besetztes Hans wäre durch rechtzeitig angebrachte Schlußanträge sehr wohl in der Lage gewesen, die ganze Verhandlung sormell wie auch inhaltlich in einer verständigen Stürze zu halten, so daß die mit der Annahme dcS Mandats verbundene Pflicht erfüllung nicht zu unerträglicher Last hätte zu werden brauchen. Alle diese Beichwerven fallen vollständig weg gegenüber der ersten Elatsberatbung, die doch herkömmlicher Weise dem wichtigen Zwecke dient, eine ausgiebige Aussprache über die gejammte Politik und die Bedürfnisse und Wünsche des Volkes herbeizusühren. Hier konnte Oede des Stoffes nicht als Vorwand dienen. Im Gegentheil, hier mußte vollauf die Pflicht zum Ausdruck kommen, daß an einem solchen Tage auch jeder sein Mandat auszufüllen bat, damit alles das, was angeblich aus dem innersten Sehnen und Wünschen des Volkes heraus im Reichstag zum Ausdruck gebracht wird, auch auf die Negierung Eindruck mache. So begann aber anstatt dessen die erste Sitzung der zweiten Elatsberatbung mit einer völligen Beschlußunfähigkeit. Die gestrige Fort setzung zeigte das Haus kaum zur Hälfte besetzt. Dies Schau spiel ist im höchsten Maße unwürdig und schädlich. Auf der Achtung, welche die jeweiligen Mitglieder des Reichstags durch gewissenhafte Erfüllung der freiwillig übernommenen Pflicht sich erwerben, beruht allein auch das Ansehen der Ein richtung selbst. Und daß gerade die gegenwärtige Zeit am allerwenigsten danach angelhan ist, um eine Verkümmerung desjenigen KactorS der Reichsgesctzgebung für wünschenewerth zu halten, in welchem die Mitwirkung des Volkes an der Lenkung seiner Geschicke Ausdruck findet, darüber dürste doch Wohl kein Wort zu verlieren sein. Constitutionen sind erst recht unter den gegenwärtigen Zeitläuften keine „Zelle, die als Dach für den Schlummer" ausgeschlagen sind. — Auf die gestrige Debatte näher einzugeben, würde sich nicht verlohnen, weini nicht mit Ausnahme ter Neichspartei, die jedoch ihren Standpunkt in der „Post" kennzeichnen läßt, nunmehr alle in Betracht kommenden Parteien sich zum Marineetat geäußert hätten. Freilich beanspruchen auch diese ersten Erklärungen nur ein mäßige» Interesse. Forderungen für Vertheidigungszwecke erfahren ihre volle Begründung der Natur der Sache nach regelmäßig erst in der Commission, wo ohne Gefährdung politischer Interessen Aufklärungen intimerer Art gegeben werden können. Dadurch wird den nationalen Parteien zunächst Zurück haltung auferlegt; vorerst rerrietben ihre Redner, sowie die erwähnte und an anderer Stelle mitgetheilte Erklärung der „Post" Bedenken, alle geforderten ersten Raten in diesem Jahre zu bewilligen. Das Centrum hat, indem cs seine Wortführer im Zuiammenhange mit diesem Marine etat, der, wie wir schon gestern nachwiesen, in ter Haupt sache nur Erneuerung alter Fahrzeuge beantragt, von „ufer losen Plänen" und „BlutauSpresscn" reden ließ, fürs erste einen principiellen Widerstand angekündigt. Tas beweist zunächst nicht viel; man macht sich auf dieser Seite immer „kostbar", aber es scheint doch, als ob die Klerikalen sehr erhebliche Abstriche planten. Daß man sich für den „unbrauchbar gewordenen Rock" einen neuen kaufen müsse, hat freilich in Bezug auf dir Marine kürzlich selbst ein Politiker, wie der bayerische CentrumSmann Schädler in einer pfälzischen Versammlung hervcrgeboben, ein Zeichen, daß tasCentrum durch beträchtlicheMchrbewilligungen sich nicht in Widerspruch mit seinen Wählern setzen würde. Die vorgestern und gestern im Reichstage vorgebrachten, mehr wilden als neuen Phrasen der Führer ter concurrirenden Demagogie werden dem Cenlrum eine scharfe Opposition er leichtern und insofern haben die Reden der Herren Richter und Schippel auch einige Bedeutung. Von den zahlreichen Dingen, die sonst berührt wurden, verdienen nur die von niedreren Seiten erfolgte würdige Zurückweisung der von den Social demokraten gegen die Helden des „Iltis" geschleuderten Beschimpfung und die Erwähnung des Hamburger Streiks durch den Abg. Paafche hervorgebobcn zu werden. Tie Linke zeigte sich von dem Hinweise dieses Abgeordneten auf die englische Anstiftung sehr unangenehm berührt, was man unbedenklich als eine Bestätigung der Anklage gegen die Engländer ansehen darf. DaS erste Auftreten des Herrn v. Rickthofen als Direktor der Colonialabtbeilung darf ein glückliches genannt werken. Sein Wunsch, daß die Colonialpolnik ein neutrales Gebiet werden möge, wird ja noch lange nicht in Erfüllung gehen, aber er bat durch die Art, wie er einen nach der Börse riechenden Witz Richter's über Wissmann zurückwieS, gezeigt, daß er auch vor dem Aussterben der Colonialseinde seinen Mann zu stellen weiß. Aus den heute über den Hamburger Ausstand vor liegenden Nachrichten läßt sich noch nicht schließen, welchen Erfolg der Versuch, durch schiedsrichterliche Vermittelung die Lohnstreitigkeiten beizulegen, haben wird. Jedenfalls liegt eine friedliche Schlichtung nicht so sehr im Interesse des Hamburger Wohlstandes, als in dem der ausständigen Arbeiter und ihrer Angehörigen selbst. Es dürften jetzt insgesammt circa 16 000 Arbeiter der verschiedensten Claffen ausständig sein, von denen sicherlich circa 10 000 verheiralhel sind, so daß, gering gerechnet, 45 000 Köpfe unter den Wirkungen dieses AuSstandeS unmittelbar leiden. Gestern, als zum ersten Male die Streikgeloer zur Ver keilung gelangten, lagen angeblich 75 000 zur Unter stützung für die Ausständigen bereit. Von Bremen waren dazu weitere 8000 bestimmt in Aussicht gestellt. Was die Unterstützung von England anlangt, für die der eng lische Agitator Tom Man sich gewissermaßen verbürgt hatte, ist es, wie zu erwarten war, bei vielverheißendcn Worten geblieben, mit denen aber Hungrige nicht gesättigt werden können. Zieht man ferner in Erwägung, daß jedem Streikenden, der verbeirathet ist, 9 für die Woche, jedem ledigen Arbeiter 8 zugesagt sind, so liegt auf der Hand, daß jene bereitliegenden 75 000 gerade so viel bedeuten, wie ein Tropfen auf einen heißen Stein. Noch weniger können die Unterstützungssummen als ein auch nur annähernder Ersatz für den großen Ausfall an Löhnen be trachtet werden, den die bisherigen Tage des Ausstandes zur Folge gehabt haben. Man wird diese Lvhnverluste, gering bemessen, auf mehr als eine halbe Million Mark beziffern müssen. Diese Zahlen bekunden klar und deutlich, welche große Verantwortung Alle auf sich laden, die in irgend welcher Weise die Streikenden ermuthigen und unterstützen. DaS Interesse der Arbeiter würde in keiner Weise zu kurz gekommen sein, wenn man die Streitenden sich selbst über lassen hätte, da die lebhafte Bewegung des Handels und die natürlichen Verhältnisse der Jahreszeit den Arbeitern so reichlich zu Hilfe kommen, daß eS auch im zwingenden Inter esse der Rheder liegen muß, billigen Wünschen entgegen zukommen. Um so eigenthümlicher wirkt der Eifer der Socialdemokratie, diese Bewegung zu politischen Zwecken auszunutzen, durch den fast humoristischen Anflug, mit welchem das Centralorgan über die Vorgänge sich berichten läßt: wie man auf Tanipfpinassen im Hafen berumfährt und auf „Streikbrecher" fahndet, schwankende Gemülher von der Arbeit adhält und überall auf Schiffsrümpfen und Masten Warnungsplacate gegen die Wiederaufnahme der Arbeit anheftet, während die Arbeiterfamilien sich mit 9 in der Woche gegen 30—40 zuvor durchschlagen müssen. Da das Schiedsgericht, welches in Vorschlag ge bracht ist, aus acht Personen, zur Halste aus Arbeit nehmern, bestehen und seine endgiltigen Beschlüsse m,t einer Mehrheit von mindestens sechs gegen zwei Stimmen fassen soll, so ist den Arbeitern außererdentlich weit entgegen gekommen. Die socialvemokratischen Führer, welche bisher zur Ausbreitung der Ausstandsbewegung so reichlich beigerragen, stehen nun vor der Aufgabe, die durch sie genährte Ver bitterung wieder einzudämmen. Ter Erfolg wird abzuwarten sein. Von ihm hängt nicht nur ab, daß die Hamburger Hafen arbeiter wieder in die früheren geordneten Erwerbsverbältnisse gelangen und der Hamburger Hafen wieder seine nicht nur für Hamburg, sondern auch daS ganze Hinterland so wichtigen Functionen auSübt. Auch insofern wird der Ausgang der Verhandlungen und der Antbeil, den die Socialdemokratie an einer eventuellen Wetterführung des Ausstandes haben sollte, von Bedeutung sein, als dadurch die bürgerliche Ge sellschaft wieder einmal vor die Frage gestellt wird, inwie weit der Staat auf die Dauer neutral bleiben kann, wenn zur Förderung ihrer Agitation bei wirtschaftlichen Streitig keiten eine politische Partei ihre Machtmittel in die Waag schale wirft. Der Gegenbesuch deS Präsidenten der französischen Republik in Rußland, den die russische Telegrapben-Agentur und die „PeterSb. Wjev." für Mitte April des kommenden Jahres ankündigen, steht, soweit der „Now. Wr." bekennt, nicht nur im Princip, sondern auch in allen Einzelheiten fest. Bereit« im Iabre 1893, nach den Festtagen von Toulon und Paris, hätte der damalige französische Präsident Carnot nach Petersburg gehen sollen; die Reise konnte jedoch nicht stattsinden, weil man keinen Modus finden konnte, um die Fahrt mit den Be stimmungen der französischen Verfassung zu vereinbaren. Nach dem letzten Besuche deS Zarenpaares in Frankreich wurde der Gegenbesuch Favres unvermeidlich. Um ibn zu ermöglichen, wurde beschlossen, daß die beiden fran zösischen Kammern, welche in ihrer Gesammtheit als National-Versammlung die oberste erecutive Gewalt ausüben, den Präsidenten der Republik ermächtigen sollen, als Vertreter der französischen Nation dem Kaiser von Rußland einen Gegenbesuch abzustatten und gleichzeitig einen stellvertretenden Präsidenten für die Zeit der Abwesen heit Faure'S von Frankreich zu nominiren. Somit, schreibt die „Nowoje Wremja", werde Faure als Staatsoberhaupt nach Petersburg kommen, und der ihm zu Ehren zu veranstaltende ofsicielle Empfang werde dem gleichen, welchen Rußland allen auswärtigen Monarchen bereite. Der Empfang aber, welchen die Intelligenz und daS Volk Rußlands dem obersten Vertreter der befreundeten Nation bereiten werden, werde der treue Widerhall jener Gefühle sein, welche alle Russen während der denkwürdigen Tage der Anwesenheit des Zaren paares in Frankreich empfunden haben. — Im Gegensatz zu den bestimmten Aeußerungen der genannten officiösen Blätter stebt übrigens eine Meldung der „Pet. Gas." Ein Mitarbeiter dieses Blattes hat den französischen Geschäftsträger, Grafen Vauvineux, interviewt und von ihm den Bescheid erhalten, daß von der Petersburger Reise des Präsidenten Faure in Paris noch nicht die Rede gewesen sei. Allerdings sei diese Reise durchaus wahrscheinlich, jedenfalls werde sie aber nicht im April stattsinden — schon deshalb, weil die Schifffahrt im April noch nicht eröffnet sei. Auf die Bemerkung de« Inter viewers, daß eS ja >n Europa auch Eisenbahnen gebe, soll Graf Vauvineux nach dem Berichte jenes Blatte- erwidert haben: „mit denen man durch Deutschland reisen muß, um von Frankreich nach Rußland zu gelangen. . . Wir erwähnten dieser Tage die Meldung der „Intern. Corr." über eine Sonderverständigung zwischen Russ land und England auf Kosten der französischen Ansprüche aus Egypten, eine Meldung, die in ihrem ganzen Wortlaut die Runde durch die Presse macht, der wir aber, wohl mir Reckt, die Etiquette „englische Mache" mitgaben. Jetzt liegen in den „PeterSb. Wjed." deS Fürsten Uchtimsli Aeußerungen vor, welche mit rücksichtslosester Offenheit die Ziele der russischen Orientpolitik enthüllen und als eine directe Widerlegung jener Tartarenmeldung angesehen werden können. ES heißt in dem bedeutungsvollen Artikel: Die Interessen aller Mächte begegnen sich im Nilthale. Von diesem Gesichtspunkte aus müsse man zu dem Schlüsse kommen, daß die Sudanexpedltion, die den Einfluß Eng land» in Egypten zu einem beständigen macht, für alle eine Drohung sei. Um einer allgemeinen Gefahr entgegenzutretcn, sei es nöthig, klar und kategorisch die Frage zu stellen, welchen Charakter die Occupatio« des Nilthal» trage, und von England Las formelle Versprechen zu verlangen, daß es Egypten räumen werde und Garantien für die Erfüllung zu fordern. Außerdem sei e» unbedingt nothweudig, daß die Mächte Egypten mit einem festeren Ringe umschlössen^ um England zur Nachgiebigkeit zu zwingen, und es bis zur Räumung in beständiger Furcht zu erhalten. Bis jetzt sei der einzige Gegner England» in dieser Frage Frankreich. Deutschland käme erst in letzter Zeit zum Bewußtsein, daß es wesentliche territoriale Interessen in diesem Theile Afrikas hat. Was Italien betrifft, so beschränken sich dessen Interessen in jüngster Zeit auf ein Minimum; Oesterreich-Ungarn habe gar kein Interesse, was ihm das Recht gebe, die Rolle Jagos Deutschland gegenüber zu spielen. Rußland habe bisher das Mittelmcer für sich verschlossen gesehen; eines der Hauptziele, das England ver folgt, indem es Rußland das Recht auf den Bosporus und die Dardanellen streitig macht, fei der Wunsch, uns von Egypten so fern wie möglich zu halten. „Kaum wurde die Frage über unser unbestreitbares historisches wie geographisches Recht auf die Dardanellen und den Bosporus aufgeworfen, als England sofort Befürchtungen hinsichtlich de» Gleichgewichts aus dem Mittelmeer aussprach. Das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Mittelmeere! Ja, existirt denn jetzt ein solches ? Machen denn Gibraltar, Malta, Cypern und das Nilthal, diese von England okkupirten Territorien, Europa in politischer und kommerzieller Hinsicht nicht zu Sklaven der Piraten der Gegenwart? Das einzige Mittel, da» Gleichgericht aus diesem europäischen Binnenmeere wieder herznstellen und England von weiteren Attentaten ans das kontinentale Europa abzuhalten, besteht in der Uebergabe der Meerengen an Rußland. Ta» wird unS Egypten nähern und Frieden in die Orient angelegenheiten bringen, weil Rußland seinen ihm zu- kommenden Theil erhalten wird; Oesterreich-Ungarn aber. Las Zugang zum Adriatischen Meere hat, wird sich damit begnügen müssen . . . Man muß zusammenhalten, eingedenk dessen, daß, wenn heute die Reihe an einem Nachbar ist, sich mit England zu streiten, morgen auch für den anderen Nachbar dieselben Gründe zu einem Conflict mit England vorliegen könnten. Wenn unter den drei Großmächten, den Theilnehmern der Welt herrschaft, da» Bewußtsein der Solidarität hervor tritt, so hat die letzte Stunde für England geschlagen. Keine Zollbündnisse helfen und keine österreichische Flotte würde ihm dann helfen . . Deutlicher kann den Engländern nicht gesagt werden, daß eS der russischen Diplomatie nicht einfällt, ihnen Egypten preis- zugeden und dafür aus ibrer Hand den Schlüssel zur Türkei entgegenzunehmen, den England überhaupt nicht zu ver schenken hat. Rußland wird ihn, sobald es seine Zeit ersehen hat, selbst sich aneignen. Thut aber Rußland in dieser Fairrlletsn. L3i Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. Nachdruck verboten. Damit Ellen während eines Aufenthaltes in Reval nickt den Comfort, an welchen sie in Allersberg gewölmt war, entbehre, batte Herr v. Saliday rin Haus, im Mittelpunkt der Stadt gelegen, erworben und ganz nach Ellen « Wunsch und Geschmack eingerichtet. Er trug sie ja auf Händen, seine schöne junge Frau) je länger er sie sein nannte, um so mehr schien sich seine Liebe und Zärtlichkeit sür sie zu vergrößern. Ellen'S Erkrankung nach dem gestrigen Concert batte ihm die größte Unruhe und die schwerste Sorge bereite». Sofort war nach dem Arzt gesandt worden; als dieser die junge Frau, welche bald aus ihrer Ohnmacht erwacht war, genau über ihr Befinden befragt, batte er vielsagend gelächelt und Herrn v. Saliday einige beruhigende Worte zngcflüstert. Diese übten eine elektristrente Wirkung au-. Herr v. Saliday bedeckte, Alle« um sich her vergessend, Ellen'S Hände mit Küssen. Hatte er seine junge Frau bisher grenzenlos geliebt, von nun an würde er sie vergöttern. Der AuSspruck de» ArzteS batte tausend neue Empfin dungen in Ellen wachgerufen. Ibre leidenschaftliche Sedn- sucht nach HanS Jürgen hatte gestern, nachdem sie ibn im Concert wicdergesebcn, ihren Höhepunkt erreicht, nun war die Reaktion da. — Plötzlich, wie mit einem Schlage, war Alles anders geworden in Ellen'S Gefühlsleben. Jbr ganzes Denken concentrirte sich jetzt auf La« neue Glück, welche» ihr bevorstand, auf daS Glück, Mutter eines süßen, kleinen Ge schöpfes zu werden. Mußte sie nickt um ihres Kinde- willen versucken, dem Vater desselben immer näher zu treten? Es ist so still im Gemach. Man vernimmt nur daS Ticken der kostbaren Standuhr auf dem Kaminsims. Ellen'S Auge gleitet über die unzähligen hübschen Kleinigkeiten, welche da« Budoir schmücken. Allen Luxu«, weicher so eng mit dem Dasein einer vornehmen Dame zusammenbängt, verdankt Ellen der Großmutb ihres Gatten. Er bat sie zu sich empor gehoben aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, er betet sie an, er trägt sie ans Händen. Und ihre Gedanken hatten b,S jetzt einem Andern gehört .... Ellen springt, der Vorschrift des Antes mißachtend, auf und durchmißt erregt ihr Boudoir. Gott batte sie vor furchtbarer Versuchung, vor einem Sichselbstverlieren be- schützt — daS Leben, welche« er in ihr erweckt, sollte fortan ibr ganze- Herz in Anspruch nehmen, und die Mutterliebe würde über die unselige Leidenschaft zu HanS Jürgen den Sieg davontragen. Han- Jürgen soll todt sein für Ellen —sie fühlt, daß sie die Kraft haben wird, zu überwinden und allmählich zu ver gessen. Sie ist sehr unglücklich gewesen durch ibn, obzwar er unbewußt ihren qualvollen Seelenzustand verschuldet. Doch ist er etwa glücklich? Plötzlich erröthet Ellen. Jbr Herz pocht beinah hörbar, sie wird fick wie durch eine Offenbarung der ganzen Trag- weite einer Handlung, welche sie vor etlichen Monaten be gangen» bewußt. Sie hatte den für Irma bestimmten Brief an sick genommen — heimlich — wie eine Diebin hatte sie gebandelt. Und wenn die Zeilen HanS JUrgen'S — da er im Duell nicht gefallen — auch nicht durch Lenningen an ihre Adresse befördert worden wären, e« war dennoch eine un edle Thal, deren Ellen sich schuldig bekannte. Ware ihr selbst in frühester Jugend und auch späterhin eine liebevolle, aber strenge und gerechte Leitung zu Theil geworden, gewiß wäre ihr dann so manches Schwere, weiche st« nachher im Leben seelisch erlitten, erspart geblieben. Ellen'- jäbe, leidenschaftlicke Natur batte sich willkürlich entwickelt, deshalb Warrn manche Neigungen und Charakter eigenschaften in ihr emporgeschossen wie wilder Hafer. Hart und unerbittlich übt sie an sich selbst Kritik und der feste Entschluß strebt in ibr empor: „Ich will sühnen, ehe eö dazu vielleicht zu spät ist. Ich will einst nicht errölben vor meinem Kinde, wenn ich eS zur Wahrheit, zur Ausübung alles Guten erziehe, ich will sühnen." Ellen trat an ein kleines, kostbares Pult, und entnimmt einem Fach eine kleine verschließbare Holzcassette. Sie riebt einen Bries hervor — daS Siegel desselben ist unverletzt. Ellen hat ibre Absicht nicht auSaeführt, sie bat die Scheide worte, die Versicherung seiner Liebe bis in den Tod, di« Rechtfertigung, welche Hans Jürgen an Irma gerichtet, nickt gelesen. Einen Diebstahl hatte sie begangen, aber ein Brief- gedeimniß zu verletzen, soweit hatte sie sich dennoch nicht erniedrigt. Sie akute, nein, sie wußte ja, wa« dir Brief enthielt und die Worte, welche ursprünglich geschrieben waren, um wie ein Gruß au- einer anderen Welt zu Irma zu sprechen; mochte letztere sie jetzt lesen. Entschlossen tritt Ellen an ihren Schrribtisch, ergreift einen mit ihrem Monogramm v«rzi«rten Briefbogen und be- ginnt hastig zu schreiben. „Fragen Sie nicht darnach, wie dieser Brief in mein» Hände gelangt ist, sein Inhalt sollte Ihnen nach dem Tode de«jenigen, der ibn an Sir gerichtet, bekannt werden. Der Schreiber dieser Zeilen lebt und dennoch leg, ich ohne sein Wissen^da« Bekenntniß eine- Menschen, der, am Vorabend keine- Todes sick wäbnend, Ihnen sein Herz offendart, in Ihre Hände, damit es nicht zu spät werbe zu einem Glück für Sie und chn. Gott segne Sie Beide." So lauteten die Schlußworte von Ellen'S Brief an Irma, in welchen sie das Schreiben Hans Jürgens einschloß. Dann klingelte sie nach dem Bedienten. „Sofort diesen Bries an seine Adresse besorgen", be fahl sie. — — — — — — — — — — — Nachdem Irma, die vor einer Begegnung mit Hans Jürgen gefloben, auf ihrem Zimmer angelangt war, stellte sie sich, bochklopfenden Herzens, ans Fenster. Dieses ging nach der Straße hinaus, welche HanS Jürgen, sobald er daS HauS verließ, passiven mußte. Da — da erblickte sie die schlanke Gestalt Hans Jürgen s, stolz und sicher schritt er einher. Irma wollte sich abwenden — doch sie vermochte es nicht, ihr Auge hing wie gebannt an HanS Jürgen. — Oh Gott! wie liebte sie ihn trotz alledemEs pochte an die Tbür. Molly trat ein und überreichte Irma eine» Brief. Ver wundert betrachtete die junge Dame die ihr gänzlich fremde Handschrift, dann erbrach sie den Briefumschlag, «in zweites geschlossenes Schreiben fiel ibr entgegen. — — — — — Fast eine Stunde war vergangen und noch immer las Irma jene Blätter, welche ihr die Lösung so manchen Rätbsels, welche ibr den Glauben an den Mann, den sie so namenlos liebte, wiedergegeben. * „Es ist geradezu erstaunlich, was Han- Jürgen in der Zeit von kaum zwei Monaten geleistet", sagte der Aniioferscke, „Lommrrd-boff ist nick» wieder zu erkennen. Nack Iabr unv Tag erleben wir in Lommrrdsboff eine complete Muster- wirthschaft, nein, es grenzt an« Fabelhafte"; der Annofersche schöpfte Athrm, nahm einen Schluck Johanni-beerlikör ans dem vor ihm stehenden Gläschen. Man feierte beut, den Geburtstag seiner Frau. Nach dem sehr beiter verlaufenen und durch mancke Tischrede gewürzten Diner hatten sich dir Herren in das
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