02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961203022
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-03
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Kardorss hatte sich, wenn auch in hypothetischer Form, etwas desprctirlich über den gegen wärtigen Reichstag ausgesprochen, was Herrn vr. Lieber zu ter Bemerkung Veranlassung gab, man möchte doch bedenken, daß gerade dieser Reichstag eins der größten Werke deutscher Einheit, das bürgerliche Gesetzbuch, zu Stande gebracht hätte. DaS Centrum will anscheinend dieses Paradepferd seiner gesetzgeberischen Leistungen dem deutschen Volke so lange ver führen, bis eS einen Ueberdruß vor dem an sich so an- erkennenSwerthen Werke empfindet. Mochte man die Abwehr gegen Herrn v. Kardorff noch hingehen lassen, so war der Angriff auf den neuen Colonialdirector geradezu abscheulich. Herr v. Richthofen hatte vorgestern auf jeden Unbefangenen den Eindruck eines durchaus wohlwollenden Mannes gemacht, und wenn auch die Form, in die er seine Anerkennung für Leutwein, Wissmann und Or. Kayser kleidete — er gab nämlich der Ansicht Ausdruck, der Reichstag hätte diese Anerkennung aussprechen können —, nicht eben geschickt war, so durfte man das dem parlamentarischen Neuling zu Gute halten. Herr Lieber glaubte aber in feierlicher Form dem Reichstage das Recht wahren zu müssen, Anerkennungen auSzusprechcn, wenn es ihm beliebe. Er machte ferner dem Colonial director die höflich ausgesprochene Bitte, der Reichstag möchte doch die colonialen Angelegenheiten nicht als Parteiangelegen heiten betrachten, zum Verbrechen und erklärte pathetisch, seine Partei betrachte, überhaupt die Dinge nie vom Partei- standpuncle, sondern nur vom Interesse des Vaterlandes aus. Herrn Lieber'» Partei ist überhaupt eine ideale Partei, denn sie denkt, wie er verficherte, nicht daran, ihre Ueberzeugung mit Rücksicht auf die Stimmen der Wähler einznrichten. Dabei entschlüpfte ihm das Wort, seine Partei hätte Pa nicht nöthig. Das ist allerdings zutreffend; denn wenn Wähler einer Partei so geduldig sind, hundert Mitglieder in den Reichstag zu entsenden, um Herrn Lieber das nöthige Relief zu geben, so braucht auf sie überhaupt keine Rücksicht genommen zu werden. Eine Correspondenz des „Vorwärts" — „anS Kiel" macht, nachdem sie einen bewundernden Blick auf die Leistungen der englischen Schisfsbautcchnik geworfen, folgende Bemerkung: „Es scheint fast, als ob daS Prädicat, das die deutschen Maaren auf der Chicagoer Ausstellung 1893 erhielten, „billig und schlecht", auch auf die in Deutsch land gebauten Kriegsschiffe zutrifft." Bei der auS- gezeichneten Beziehung, welche die deutsche Socialdemokratie gerade gegenwärtig zur englischen Industrie unterhält, kann diese Empfehlung in den Spalten des Parteiorgans füglich nicht Wunder nehmen. Wer die Wahrheitsliebe deS „Vor wärts" kennt, wird auch nicht überrascht sein, daß er die im Jahre 1 876 nach der Ausstellung inPhiladelphia gethane Aenßerung Reuleaux'im Jahre 1 893 gefallen sein läßt. Der beabsichtigte Eindruck ist natürlich tiefer, wenn man ein so hartes Unheil, da» übrigens schon vor zwanzig Jahren nur theil- weise berechtigt war, in die jüngste Vergangenheit verlegt. Herr Liebknecht ist doch ein zweckbewußterer Journalist, als seine Kritiker unter den Parteigenossen wahr haben wollen. Ob er sich durch sein Lob auf die englische Concurrenz den Dank der deutschen Werftarbeiter verdient hat, ist freilich eine andere Frage. Diese mögen die deutschen Werft arbeiter lösen. Den neuen „National-Socialen" aber, die nach H 1 ihrer „Grundlinien" auf nationalem Boden stehen, „indem sie die wirt h sch a ftlichc und politische Macht entfaltung der deutschen Nation nach außen für die Voraus setzung aller größeren socialen Reformen im Innern halten", glauben wir darauf aufmerksam machen zu sollen, daß ihnen „Genosse" Liebknecht durch seine Herabsetzung ver deutschen unter die englische CchiffSbauiiidustrie eine höchst aünstige Gelegenheit zu einer energischen Kundgebung auf der Linie nicht nur ihres ersten, sondern auch ihres zweiten Programmparagraphen liefert, der eine Politik verlangt, „die der Ausdehnung deutscher Wirthschaftskraft und deutschen Geistes dient". Herrn Naumann wird es ge wiß nicht entgehen, daß er seinerseits einer solchen Politik nicht bester dienen könnte, als durch eine kräftige Kund gebung gegen die Liebknecht'sche Liebesmühe für die englische Schiffsbautechnik. „Man spricht nicht gern davon", nämlich von den Socialdemükraten als Arbeitgebern. In einem con- servativen Blatte war gesagt worden: „. . . wir sind sicher, daß selbst ein Socialdemokrat als Arbeitgeber, ArbeitSfübrer oder Arbeitscollege lieber einen Mann unter, bezw. neben sich hat, der die Schule der Armee, in ihrer jetzigen Verfassung, durchlaufen hat, als einen solchen, der nach seinen eigenen utopischen Principien wild aufgeschossen und für die Härte des Lebens unbrauchbar geworden ist." Darauf erwidert der „Vorwärts" in einer auch sonst recht verlegenen Entgegnung: „Die Socialdemokraten als Arbeitgeber u. s. w. wollen wir ganz aus dem Spiele lasten." Warum dies? Es wäre dock geradezu niederschmetternd für das „Bourgeosie-Reptil" gewesen, wenn das socialdemo kratischen Arbeitgebern so nahe, näher jedenfalls als den socialdemokratischen Arbeitern stehende Organ auf Grund seiner Erfahrungen hätte versichern können, socialdemokratische Unternehmer hätten gar kein Interesse an der Gewöhnung ihrer Arbeiter an DiSciplin, eS ginge auch so, ja mit den nicht unter der „militairischen Fuchtel" im Gefühle ihrer Menschenwürde gedrückten Arbeitern noch besser als mit den gedienten. Der „Vorwärts" weiß aber wohl, warum er sich „einen anderen DiscurS ausbittet". Ueber die Erfahrung der socialdemokratischen Arbeitgeber mit „ziel bewußten" Arbeitern hört man zwar weniger als von veu Proben der Brüderlichkeit, die „Genossen" Unternehmer den „Genossen" Arbeitnehmern liefern und unter denen neben anderen die langjährigen Klagen der säcksischen Lagerhalter und die Erlebnisse der Setzer in der Frankfurter Partei druckerei eine verdiente Berühmtheit erlangt haben. Aber es ist doch auch manches von den Erfahrungen der Arbeitgeber anS Licht gedrungen, so die sonderbaren Arbeitsoer- hältnisse in der Berliner GenossensckaftSbäckerei, wo übrigens zum Ausgleich auch Arbeiter miserabel behandelt worden sind, und besonders jene originelle Schilderung deS Zustandes in einer Druckerei, in der — es war Anfangs der neunziger Jahre — die Besitzer die Accordarbeit abgeschafft und auck sonst Einrichtungen getroffen hatten, welche socialdemokratischen Führer — von den bürgerlichen Arbeitgebern verlangen. Nach einem unwidersprochen gebliebenen Berichte drängten wirklich „utopische Principien" zu ihrer Durchführung. Di- Setzer arbeiteten so gut wie gar nicht, manchmal lieferten sie für einen Wochenlohn von 30 »E nur Arbeit für l - 50 ^s. Alle Ermahnungen, bester z» arbeiten, erwiesen sich als fruchtlos. Die „Genossen" wiesen derartige Zumuthungen „im Bewußtsein ihrer Arbeitskraft" entrüstet zuruck. Als einmal einer der Geschäftsinhaber die Gehilfen um mehr Ruhe bat, da er bei dem fortwährenden Lärmen und Streiten nicht mehr arbeiten könne, brüllten die Herren die Marseillaise unter besonderer Betonung des Rufes „Nieder mit den Tyrannen". Die Druckereibesitzer führten alsbald die rückständige bürgerliche Ordnung wieder ein. Da dem „Vor wärts" der Verlaus dieser und ähnlicher Experimente wohl bekannt ist, so begreift man, daß er die Ansichten der social demokratischen Arbeitgeber über Arbcitsdisciplin „ganz auö dem Spiel lassen will". In einem aus Wien datirten vom Wolff'scken Telegraphen bureau im Auszug verbreiteten Artikel der Münchener „Allg. Ztg." über die Methode der russischen Orient-Politik wird betont, daß die europäischen Hofe im Hinblick auf den Charakter des Kaisers Nicolaus II. und die be wegende Kraft der russischen Politik die Ueberzeugung hegten, Rußland werde in absehbarer Zeit die Gemeinsamkeit deS europäischen ConcertS nicht stören, eswerdenurdurch gemeinschaftliche Schritte mit den befreundeten Mächten den Dingen im Orient einen weiteren Anstoß zu geben suchen. Naturgemäß werde es sich dabei lediglich von dem eigenen Vortheil leiten lassen. Fremde, besonders englische Ein flüsse werde es mit aller Kraft abwehren; anch sei Rußland nicht geneigt, eine Action zu unterstützen, durch welche der ZersetzungSproceß im Osmanenreich gehemmt werden würde; cs lasse die Dinge reifen und behalte sich vor, im gelegenen Augenblick den Vortheil der Lage zu benutzen, eS weigere sich, ein Abkommen zu treffen und Verpflichtungen zn übernehmen, durch die den übrigen Mächten eine Art Milvormundschaft eingeräumt werben würde. AuS diesem Grunde habe es die Hanolaux'schen SanirungSvvrschlägc nicht angenommen und auS dem gleichen Grunde werde es auch für die britischen Vorschläge nickt zu haben sein. Englands Ab fickten im Orient stände gleich der Mehrzahl der übrigen Cabinete auch daS Cabinet von Petersburg mit entschiedenem Miß trauen gegenüber. Eine Aenderung dieser Politik Rußlands sei vorerst nicht zu gewärtigen, gleichviel wer zum endgiltigeu Nachfolger des Fürsten Lobanow ernannt werde. Sein Hauptaugenmerk werde Rußland übrigens je länger, je mehr auf Ostasicn richten. Dort, nicht am Bosporus, suche eS in erster Linie politischen und wirthschaftlichen Gewinn. — Diese ersichtlich auf officiöser Information beruhende Auffassung deckt sich genau mit der unserigen, der wir erst noch im gestrigen Abendblatte Aus druck gaben. Mit besonderer Genugthuung begrüßen wir es, daß auch die deutsche Reichsregierung den gleichen Standpunkt zu theilen scheint. In dieser Beziehung heißt es in dem Artikel der Münchner „Allg. Ztg": „Hier (in Deutschland) glaubt man nach Allein, was der Zar und feine Rathgeber eröffneten, fest, Laß es sich von den übrigen Groß, machten nicht trennen werde. Es mag immerhin Großes anstrebcn, dennoch wird es das Seil nicht zerschneiden und nicht aus ihrem Concert heraustreten. Dos ist der entscheidende Gesichtspunkt, von dem die deutsche Reichsregierung sich leiten läßt. Man ist dieses Vorsatzes des Zaren in Berlin so sicher, daß man danach die Haltung Deutschlands einrichtete. Ohne Frage beruht diese Ueberzeugung Deutschlands auf den zuverlässigsten Gründen, auf all dem, was mit dem Zaren verabredet wurde und auf der Festigkeit seines Charakters, die sich während seiner kurzen Regierung bereits erproben konnte." Auch mit der Ueberzeugung deS Wiener Correspondeulen der „Allg. Ztg." sind wir einverstanden, daß Rußland nickt danach gelüste, die Zahl seiner armenischen Unterthanen, dieser unruhigsten Elemente deS Reichs, zu vermehren oder ein unabhängiges Armenien an seinen Grenzen als An ziehungSpunct für seine eigenen unzuverlässigen Unter thanen zu schaffen. Wir haben uns wiederholt in diesen: Sinne ausgesprochen und anzedeutet, was jetzt wieder in der „Allg. Ztg." angeführt wird, daß gerade in diesem Puncte die Differenzen zwischen Rußland und England am schärfsten sind. Von besonderem Interesse ist die Mir theilung deS Wiener Gewährsmannes, daß es auf dem Höhe - punct der armenischen Krise ernste, besorgniß- erregende Augenblicke gegeben habe und sehr zu treffend die daran geknüpfte Bemerkung, daß wenn cs bei diesen Verwickelungen dennoch gelang, den drohenden Zusammenstoß mit den Waffen abzuwenden, was nicht ganz leicht gewesen, man nach dieser Erfahrung sagen könne, cs werde sich auch in der nächsten Zukunft Alles friedlich schlichten lasten. Dies umsomehr, als die Staatsmänner sich bewußt seien, daß ein Krieg mit den modernen Streitkräften furchtbare Gefahren in sich schließt und daß sie dem Gefühl dieser Verantwortlichkeit sich nicht entziehen können. In der italienischen Deputirtenkammer ist am Dienstag und Mittwoch über das künftige Schicksal der Erythräa beratben und Beschluß gefaßt worden. Allerdings noch kein definitiver, und daS entspricht unseren Erwartungen, die bei den italienischen Volksvertretern wenigstens so viel nationales Ehrgefühl voraussetzten, daß sie die mit vielem Blut und Unsummen Geldes errungene Position im Nordosten Afrikas nicht kurzer Hand liquidireu würden. Siethaten eSnicht, offen bar, weil ihnen die Schwere der Verantwortung, die sie auf sich nahmen, bewußt geworden war, dann aber auch, weil sie Rücksicht auf die Stimmung deS Landes nehmen mußten, das zwar, um die Gefangenen deS NeguS zu befreien und um sich nach dem schweren Schlag von Adua zu sammeln und zu erholen, dem Friedensschluß von Adis Abbeba znstimmte, von der völligen Preisgabe der afrikanischen Colonie nichts wissen, wenigstens nicht in unmotivirter feiger Uebereilung darüber entschieden sehen will. Dies wäre aber voraussichtlich geschehen, wenn die Kammer den radical - socialistischen Antrag Imbriani- Agnini, die Beschlußfassung nicht auf unbestimmte Zeit, sondern nur um eine Woche zu verschieben, angenommen hätte; denn bei der Depression, welche augen blicklich noch aus den Gemütbern liegt, war eS nicht unwahr scheinlich, daß die Mehrzahl der Tcputirtrn sich durch die Gegner des afrikanischen Abenteuers zu einem kleinmüthigen unrühm lichen Beschluß würde haben hinreißen lassen. Dies war um so eher zu befürchten, als der Ministerpräsident im Namen der Regierung zwar jede Ueberstürzung widerrietb und sich für Aufschub der endailtigen Berathung auf un bestimmte Zeit anSsprach, aber sehr deutlich durchblicken ließ, daß die Regierung, wie unmittelbar nach der Katastrophe von Adua, so auch jetzt noch auf dem Standpunkt steht, es sei für Italien das Beste, ja es sei für dasselbe unumgänglich, sich ganz auS Erylhräa zurückzuziehen. Ander» wenigstens kann man Aeußc FeiriHetsn Das goldene Herz. II Novelle von E. Fahrow. Nachdruck verbot«». Bert »ren ein goldene« Herz mit kleinen Diamanten besetzt. Dem wiederbringer eine beliebige Belohn» ng. Billa Her,en«lust, Grünewald. Ein solches Herz hatte gestern Detlev von Geyern beim Spazierenreiten gefunden, und jetzt laS er dieses Inserat in der Zeitung. Lange ruhten seine Augen darauf. Eine ganze Geschichte schien ihm in den wenigen Zeilen enthalten zu sein. Ersten» war der Inserent wohlhabend, denn ein solches diamantenbesetztes Herz gehörte schwerlich einem armen Mann; ein solcher hätte e» längst verkauft oder versetzt, denn die Noth ist mächtiger als alle Pietät. — Ferner bot man eine „beliehige" Belohnung an. DaS war sehr vielver heißend: ein Lump konnte daraus ungemesseneu Vortheil ziehen, — ein Schalk eine ganze Reibe von Verlegenheiten daraus herleiten. — Schließlich wohnte der Verlierer in einer Villa mit dem sentimentalen Nameu Herzenslust. Ob sie der gegenwärtige Besitzer selbst so getauft hatte? Wenn ja, dann war er ein Mann von Grmüth, von offenem, zärtlichem Wesen, der alle Welt an seiner Freude theil- nehmen ließ. Warum denn aber ein Manu? ES konnte ja doch eine Frau sein. Ja, es war sogar höchst wahrscheinlich eine Frau, denn ein Mann würde das Inserat doch ander» verfaßt haben. Detlev'» Phantasie begab sich auf weitverschlungrne Pfade wie gewöhnlich, wenn ihn rin pikanter Gedanke gepackt hatte. Für ihn wurde ohnehin eine irgendwie nicht all tägliche Sache leicht „pikant", denn er war ein Dichter, und seine Einbildung schoß wie ein Steppenrvß dahin, sobald er sich gehen ließ. Weshalb sollte er sich auch darin Be schränkungen auserlegen? Reich, noch ziemlich jung, ein „interessanter Mann" von guter Geburt, unabhängig und frei — hurrah die Welt! Detlev blie» den Rauch seiner Cigarette gegen die Decke und stemmte die Füße gegen den Majolicaosen, vor welchem seine Chaiselongue stand; er hielt seine VormittagSrube- stunde, beinahe seine liebste Stunde des Tages. Da er früh aufzustehen und gleich Morgens eifrig zu schriftstellern pflegte, war er gegen Mittag sckon immer etwas abgespannt. Dann warf er sich auf sein Ruhebett — eS war mit Jaguar fellen bespannt — und rauchte, während ihn die ganze Be- haglickkeit seines IunggesellenseiaS durchvrang. Plötzlich fuhr er ein wenig in die Höhe, denn seine Tbür- glocke erklang mehrmals hintereinander in kurzen, heftigen Schlägen. Gleich darauf klopfte der Diener, um unmittel bar hinterher durch die aufgestoßcne Tbür eine Dame ein zulassen, der die Erregung au» den hochgerötheten Wangen und glänzenden Augen sprach. „Nein, Detlev, waS mir passirt ist!" „Guten Morgen", sagte Detlev höflich. „Guten Morgen Bruderherz. Laß mich doch erzählen!" „Aber bitte — ich bin ganz Ohr." Detlev, der sofort aufgestanden war, rückte seiner Schwester einen dreikantigen Lehnstuhl zurecht und setzte sich ihr gegen über mit jener Miene der Aufmerksamkeit, die jedem Erzähler schmeichelt. „Also — eS ist unglaublich — ich bin de» Diebstahls be zichtigt worden!" „WaSÜ" Detlev'» Stirn röthete sich, obgleich er zunächst an einen Scherz glaubte. Frau Fella von Schmock nickte energisch mit dem blonden Haupt. „DeS — Diebstahls — be —zich —tigt", wiederholte sie accentuirt. „Was soll das heißen — sprich doch endlich", rief Detlev, dem die Adern an den Schläfen immer höher anschwollen. Fella (sie hieß eigentlich Felicia) lachte plötzlich hell auf. „Du!" rief sie. „Daraus kannst Du eine Novelle machen. Wenn Du blos den schwarzen Kerl gesehen hättest, wie er mich beinah verschlingen wollte vor Mißtrauen und Wuth!" „Schwarzer Kerl . . .?" „Nun ja, Mira'» Diener. Du weißt doch, daß Mira zurück ist?" Detlev wurde e- etwa» schwül zu Muthe, war er denn ganz — vernagelt? Wer war Mira? „Mira, meine liebste Schulfreundin. Ach so, damals hieß sie noch Maria: Maria Guntlach, weißt Du nicht? Du schwärmtest ja für siel" „Liebe» Kind", sagte Detlev mit Wehmuth, „für wen schwärmte ich nicht alles, als ich Secundaner war. — Aber ich erinnere mich — war es die mit dem bronzenen Haar und den grauen Augen? So ein kurzröckigeS, niedliches Mädelchen mit runden Beinchen und flink — furchtbar flink — mein Gott, konnte die rennen!" Fella lachte von Neuem. „Na siehst Du, die war es; jawohl, sie konnte so außerordentlich schnell laufen, besonders wenn Du im Pfänderspiel einen Kuß gewonnen hattest und sie ihn Dir nicht geben wollte." Detlev kniff die Augen zusammen und lächelte gemütblich, als sähe er in dem Rauch seiner Cigarette die Bilder jener Jugendzeit vor sich aufsteigen. „Nun, und weiter? Sie hat sich natürlich verheirathet wie Du?" „Ja, daS hat sie, und zu meinem großen Kummer nicht mit Dir. Jetzt ist sie aber leider schon Wittwe." „Ist sie noch hübsch?" Detlev interessirte sich für hübsche, junge Wittwen. „Noch? Lieber Junge, sie ist eine Schönheit geworden; mit achtundzwanzig Jahren fängt man überhaupt erst an, hübsch zu werden." Fella war neunundzwanzig. „Sie bat einen Brasilianer geheirathet, der ihr drohte, daß er sich vor ihren Augen todtschicßen würde, wenn sie ihn nicht nähme. Dann haben sie sechs Jahre in Lima gelebt, vor zwei Jahren starb ihr Mann, und jetzt ist sie nach Berlin zurückgekehrt, wo ihr Vater noch lebt. Sie hat sich eine Villa im Grünewald gekauft " „Villa Herzenslust?" schlug Detlev vor. „Woher weißt Du daS?" Allein Detlev antwortete nicht. Er schlug sich voller Freude aufs Knie, dann sprang er auf und lief im Zimmer umher. „Kismet, Kismet", sagte er sich im Stille». Fella war viel zu lebhaft, um sich lange mit Räthseln aufzuhalten. „Also diese Mira", fuhr sie fort, „hat sich ihren schwarzen Diener milgebrackt, ein altes Möbel, das ihren Mann schon gewartet und aufgezogen hatte, und dieser verrückte alte Knopp " „Fella, um aller Heiligen willen! Wenn Du bei mir bist, drücke Dich wie eine Dame au»! Du weißt, e- reißt mir an den Nerven, wenn ich eine schöne Fran burschiko- reden höre." „Ach waS, wir im Regiment reden Alle so " „Du meinst, die Herren thun daS; glaube mir, von den Damen geschieht eS nur selten, und Du, Sckwesterchen, sollst Dir das nicht erst angewöhuen. Sieh mal, wenn so ein süßeS Mäulchen wie Deines " „Na ja, na ja, ich weiß schon", unterbrach ihn Fella. „Wenn Du mich geschulmeistert hast, dann giebst Du mir hinterdrein eine Schmeichelei zu knabbern — das sind so Deine Schweigegelder — aber willst Du mich nun zu Ende hören oder nicht?" „Bitte", sagte Detlev wie vorher, „ich bin ganz Obr." „Also dieser sonderbare alte Herr, der Iambo, beschuldigte mich beut in aller Seelenruhe, daß ich ein Andenken, welches Mira vermißt — anneclirt haben könne." „Frecher Bursche", murmelte Detlev. „Nun, eS war in der That originell — einfach köstlich, weißt Du. Weil ich mehrmals das reizende Schmuckstück —" ein goldenes Herz mit Brillanten", schob Detlev ein. Fella sah mit ihren großen blauen Kinderaugen verblüfft zu ihm auf. ,Höre mal, lieber Bruder, wenn Du die ganze Geschichte schon kennst, da brauchst Du mich doch nicht erst an-zn- fragen." „Nur weiter: ich erkläre Dir nachher..." „Wo war icy stehen geblieben? Ja, — weil ich einige Male mit dem goldenen Herzen gespielt und eS bewundert batte, Passirt heut Folgende-: Mira und ich sitzen beim Frül stück — ich besuche sie jetzt sehr ost — und zwar nachdem wir von einer kleinen halbstündigen Ausfahrt zurückgrkommeu sind. Auf einmal sehe ich, daß an ihrem Armband das Herz fehlt. Mira, rufe ich, wo ist Tein Herz? Gleich verdüstert sich ihr Gesichtchen und sie erzählt mir, daß sie e» vorgestern verloren hat." „Aber wobei denn?" ruf ich, „ich denke, Du warst gar nicht fort vom Hause?" „War ich auch nicht", sagt sie, „bloS spazieren bin ick täglich gefahren. Vorgestern, al- ich Dich in Vie Stadt le gleitet hatte, vermißte ich e» beim Nachbausekooimen." „Wie greulich! wie schade!" sage ich. Mit einem Mal grinst der alte Iambo, der nuS servirte und sagt: „Lady werden schon wissen, wo Herzchen ist; Lady haben immer mit Herzchen gespielt." „Kerl!" ruf ich und spring auf. Jawohl, lieber Detlev, ,Mrl" hab ich gerufen und wahrscheinlich nicht zu leise, venu der Neger wird ganz aschgrau und flüchtet hinter Mira'S Stuhl. Mira aber dreht sich um und sagt ihm ein Wort, das ich nicht verstehe, welches aber wie ein Peitschenhieb wirkte.
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