02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961204023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-04
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Reklamen unter demRedactionssuich l4go« spalten) 50H, vor den F-miliennachr^chtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Lifsrrniatz nach höherem Tarif. Lfxtr»-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesorderung SO.—, mit Postbesörderuug ^l 70.—. —-r—c» > Annahmeschluö für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morge u.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde frühe». Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. December. Der Reichstag hat gestern die Generaldebatte über den ReichshauShaltS-Etat zu Ende geführt, ohne den Etat wit einem Worte zu berühren. Die Vertreter der verbündeten Regierungen und der bürgerlichen Parteien begnügten sich damit, unbegründete Behauptungen derSocialdemokratie znrückzuweisen, die aber trotzdem ihren agitatorischen Haupt zweck erfüllen werden. Daß die Auslassungen deS Abg. Liebknecht über den Untergang des „Iltis" keinen andern Zweck haben, hat s. Zt. die „Leipziger Volks zeitung" verrathen, als sie ausführte, das Verhalten der Besatzung zeige, waS der Socialdemokratie noch zu thun übrig bleibe. Daß das nichts Anderes heißen soll, als, dir Socialdemokratie müsse unaufhörlich darauf hin arbeiten, aus den Herzen der deutschen Seeleute den selbst im Tode sich nicht verleugnenden opferfreudigen Patriotismus heraus zureißen, bezweifelt wohl kem Mensch, der die Ziele der socialdemokratischen Führer kennt, und Herr Liebknecht arbeitete tirect diesem Ziele entgegen, als cr auch gestern wieder die Behauptung aufstellte, es sei nicht daS Geeignete zur Rettung der Mannschaft des übrigens nicht seetüchtigen Schiffes ge schehen. Leider unterließ eS der StaatSsecretair Hollmann, diesen Zweck zu beleuchten, und bewegte sich nur in Wider legungen, die doch nur in unvollkommener Weise zur Kenntniß gerade jener Kreise gelangen werden, auf welche die Be hauptungen Liebknecht s berechnet waren. Auch den Ham burger Streik zogen socialdemokratische Redner zu ähnlichem Zwecke in die Debatte. Wir müssen dem BundeSrathsbevollmächtigten für Lübeck, I)r. Klügmann, völlig beipflichten, der eS für bedauerlich erklärte, daß die Angelegenheit in solcher Weise im Reichstage zur Sprache gebracht worden, und Alles zu vermeiden bat, was die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer noch mehr erregen könnte. Aber gerade die socialdemokra tischen Redner waren eS, die diese Mahnung in den Wind schlugen. Sie suchten zwar von sich und ihrer Partei den Vorwurf abzuwälzen, daß sie den Streik provocirt hätten, und behaupteten, die Führer hätten vielmehr vor dem Be ginne des Streikes gewarnt. Es wurde ihnen aber mit Recht vorgehalien, daß sie doch jahraus, jahrein, wenn auch nicht unmittelbar zu einem bestimmten Streik reizten, so doch die Unzufriedenheit aller Orten schürten. Aber auch in diesem bestimmten Falle trug der Abg. A u e r durch seine gestrige Rede sein Möglichstes dazu bei, die Fortsetzung des Kampfes herbeizuführen. Er ermunterte die Ausständigen dadurch, daß er ihren zähen niedersächsischen Charakter, versuch derNoth und dem Hunger Stand halten würde, pries und triumphirend erklärte, daß andere Arbeiter die Arbeit der Stauer nicht würden leisten können, weil zu dieser Arbeit nicht nur große Kraft, sondern auch Uebung geböre. ES hätte genügt, wenn im Reichstage diese verhetzende Taktik der Socialdemo kratie festgestellt worden wäre, und es wäre nicht nötbig ge wesen, wie der StaatSsecretair von Bötticher eö that, auf die Lohnfrage näher einzugeben. ZS ergaben sich sofort je nach der Parleistellung der Redner gänzlich wider sprechende Ansichten über die Höhe der den Quai arbeitern gezahlte» Löhne. Der Reichstag ist eben für die Feststellung dieser Frage und der sich daraus ergebenden Folgerung, ob eine Erhöhung des Lohnsatzes an gemessen ist oder nicht, nicht das geeignete Forum; dieses ist nur ein unbefangenes Schiedsgericht. Nun wurde auch die Frage des Schiedsgerichts behandelt, und die Socialdemokratcn schoben die Schuld für die Fort dauer des Kampfes auf die Arbeitgeber, weil diese das Schiedsgericht abgelehnt hätten. I)r. von Bötticher wies aber mit Recht darauf hin, Laß die Arbeitgeber mit gutem Fug an der geplanten Zusammensetzung des Schieds gerichtes Anstoß genommen hätten, da das Schiedsgericht auf der einen Seite aus dem Polizeisenator von Hamburg, dem Aeltesten der Bürgerschaft, eiueni andern unbetheiligten Herrn und einem Arbeitgeber, auf der andern Seite aber aus einem Arbeitnehmer und drei socialistischcn Abgeordneten hätte bestehen sollen. Wenn von socia- listischer Seite behauptet wurde, daß diese Zusam- menietzung eine ganz gerechtfertigte gewesen sei, da aus jeder Seite nur ein an der Sache als Partei bcthciligtes Mit glied vorhanden gewesen wäre, und je drei Unbelheiligte, so war das eitel Spiegelfechterei. Der Polizeisenalor Hach- mann und die anderen Herren würden allerdings als Un- betheiligte einen durchaus objektiven Standpunct eingenommen haben, von den socialistischcn Abgeordneten aber ist es nur zu gewiß, daß sic sich völlig auf die Seite der Arbeitnehmer gestellt hätten. Es ist Schade, daß die socialistische Sophisterei von der Gleichartigkeit der Zusammenstellung des Schieds gerichtes nicht im Reichstage gebührend klar gestellt wor den ist. Ueber einen angeblichen Erfolg des Reichstags abgeordneten für den lO. sächsischen Reichs tagSwahl- kreis Rittergutsbesitzer Tachftc- Merschwil; finden wir im „Großenhainer Tageblatt" eine Auseinandersetzung, die wir deshalb nicht unwidersprochen lassen zu sollen glauben, weil sic geeignet scheint, trügerische Hoffnungen zu erwecken. DaS genannte Blatt schreibt nämlich: „Unser engerer Landsmann im Reichstage Herr Rittergutsbesitzer SaLße-Merschwitz halte iin deutschen Parlament gelegentlich der drillen Beralhuug des vorjährigen Etats einen Antrag auf Er richtung von tzandwerkerschulen im deutschen Reich aus Reichs Mitteln gestellt. Der Antrag war auf eine aus der ge- meinsamen Arbeit desBundesderLandwirthe und desHandwerkerbundes am hiesigen Platze gewonnene Anregung zurückzusühren, und energisch bethätigte der Herr Reichstagöabgeordncte seine handwerkersreund- liche Gesinnung. Und seine Bcmüvungen sind nicht ohne Ert-'g geblieben. Wie aus den den Zeitungsrrdactionen nunmehr voll- inhaltig vorliegenden Berichten über die Verhandlungen und Be schlüsse des Bundesrathes zu ersehen ist, hat der Bundes rath dem Anträge Sochhe-Merschwitz insofern Folge gegeben, als im Etat des Reichsamts des Innern unter „Allgemeine Fonds" (Ausgaben zu gemeinnützigen Zwecken) Cap. 7a, Tit. 19, folgende Position sich befindet: Zu Aufwendungen für Ein richtungen und Veranstaltungen, welche allgemeinen Interessen des deutschen Handels und Gewerbes dienen: 50 MO Wie aus den im 10. sächsischen Wahlkreise, Döbeln, Roßwein, Leisnig rc. erscheinenden Blättern ersichtlich, bemühen sich die dortigen Interessentenkreise bereits, so namentlich in Roßwein, von diesen 50 000 für sich etwas zu erhalten bez. eine Unterstützung z. B. für di« Roßweiner Schlosjerschule zu gewinnen. Man sieht hieraus, daß zielbewusstes gemeinsames Arbeiten von Mählern und Gewühlten seine segensreichen Folgen zeitigt." Vielleicht nicht der Schreiber dieser Darstellung, gewiß aber die Leser werden unter dem Eindruck des Zrrtbums stehen, der Reichstag habe den Antrag Sachße Merschwitz angenommen. Anders ist die Wendung, der Bundes rath habe dem „Antrag Sackße-Merschwitz Folge gegeben", auch gar nicht zu verstehen, der Antrag ist aber leider Don einer aus dem Centrum und den Radicalen gebildeten Mehr heit (am 23. März d. I.) abgelehnt worden. Nun kam. der BundeSralh selbstverständlich auch einfachen An regungen, die auö dem Reichstag heraus gegeben werden, folgen. Wir glaube» aber zu wissen, daß die Einsetzung eines Postens von 50 000 für allgemeine Interessen des deutschen Handels und Gewerbes mit dem Anträge Sachße in keinem Zusammenhänge steht. Für das laufende Jahr, so wird allgemein angenommen, ist der Betrag als Zuschuß für die Kosten der zur Erforschung der Ab- satzverhältnisse in China in Aussicht genommenen Erpedition bestimmt. Nun wird die Etatsposition zwar voraussichtlich alljährlich wiederkehren, daß sie aber m naher Zukunft für Handwcrkerschulen nutzbar werde ge macht werden, ist deshalb sehr unwahrscheinlich, weil das Centrum gegen den Antrag Sachße, als einen solchen, der in dieConipetenz der Einzelstaaken cingreife,princip iellen Widerspruch erhoben hat. Zwar hielt diesen selbst die Regierung nicht für begründet, aber bei ihrer Scheu, den Unwillen der Klerikalen zu erregen, ist nicht zu erwarten, daß sie Wünsche wie die in Roßwein gehegten in Erfüllung geben läßt. Wenigsten« nicht, so lange da» Centrum seine heutige Stellung im Reichstage behauptet. Nach dem cndgiltigen Urtheil deS gemischten Appell- grrichtShofes in Alexandria muß die egyptische Regierung die halbe Million Pfund, welche sie aus der SlaalS- schuldentilgungscasse für den englischen Dongolafeldzug mit Bewilligung der Commissare Englands, Deutschlands, Oesterreichs und Italiens, aber gegen den Protest der Ver treter Rußlands und Frankreichs entnommen halte, mit fünf Procent Zinsen zurückzahlen. Das Urtheil des obersten Gerichtshofes gründet sich auf die Auffassung, daß bei derartigen Beschlüssen Einstimmigkeit der Commissare Voraus setzung sei. In Frankreich ist man über daS Urtheil letzter Instanz sehr befriedigt und glaubt, dasselbe werbe den Einfluß Englands in Epygten beträchtlich erschüttern und die Losung der Räum ungSf rage beschleunigen. DaS erstere ist richtig; denn die Stimmung, welche gegenwärtig im Nillande gegen die Briten herrscht, ist feindseliger als je, und die Entscheidung des Appellhofes, dem auch vom Khedive ernannte egyptische Richter angehörten, wird nicht zur Bernhigung. trr Gemiither beitrage.-?. Anders, liegt aber die Frage, ob die Räumung Egypten» eine Beschleunigung erfahren wird. Die Londoner Presse ist im Gegentheil der Ansicht, daß Englands Stellung am Nil durch den Gerichtsentscheid nur eine Stärkung erfahren könne. Egypten, so argumenlirt man, ist nicht im Stande, die halbe Million Pfund aufzubringen, England wird sie vorschießcn oder zahlen müssen; das Letztere, falls die Einstimmigkeit des Schuldenausschusses auch für den Fall einer Anleihe ver langt werden sollte. In beiden Fällen aber ist das Ergebniß, daß England mehr Recht auf Dongola hat als Egypten. Haben wir aber Dongola auf eigene Rechnung, oder doch mit eigenem Gelde erworben, so ist es unser, und sitzen wir dort erst fest, dann ist die Räumung EgyptenS jedenfalls aussichtsloser als je. Eignet die englische Regierung sich diese Argumentation an, so ist eö nicht unwahrscheinlich, daß die von Frankreich und Rußland seit längerer Zeit an gekündigte diplomatische Action, England zur Bestimmung eines Termins zur Räumung Egyptens zu vermögen, in Fluß kommt. Von Bedeutung ist dabei, welche Stellung Deutschland rinnehmen wird. Wie die „Frankfurter Zeitung" aus Petersburg erfährt, hätte die russische Re gierung den Versuch gemacht, Deutschland zu einem gemein samen Vorgehen gegen England in der egyptische» Angelegenheit zu veranlassen, habe aber, wie es nach der Haltung Deutschlands und seiner Bundesgenossen in der Casscnfrage kaum anders zu erwarten gewesen, eine ab lehnende Antwort erhalten. Wir bezweifeln die Richtig keit dieser Meldung. Als Deutschland mit Oesterreich zu sammen seine Zustimmung zur Entnahme der Gelder gab, geschah es auSgesprochenermaßen nur zu dem Zwecke, Italien einen Dienst zu leisten. Unser Verbündeter glaubte noth wendig der Hilfe Englands gegen die Derwische ru be dürfen, da er gleichzeitig von diesen und von Mcnelik angegriffen wurde, und deshalb galt eS, den Dongolazug der Engländer, welcher die Derwische von Kassata ablenkeu mußte, zu unterstütze». Ganz anders liegen die Dinge heute, nachdem Italien in Afrika so gut wie liquidirt hat. Ein Präjudiz ist also durch das erste Votum des deutschen Vertreters in der Verwaltung der egyptische» Schult keineswegs geschaffen. Für uns können gegenwärtig nur Rücksichten auf die Interessen deS eigenen Landes in Be tracht kommen und daß diese am besten durch ein Zu sammengehen mit Rußland, eventuell auch mit Franl reich, nicht aber durch eine Förderung englischer Expan- sienSgelüste gewahrt werden, ist nach den „Hamburger Ent hüllungen" kaum noch Jemandem zweifelhaft. Hat doch selbst StaatSsecretair von Marschall bei Beantwortung der Interpellation Hompesch im Reichstage es offen aus gesprochen: „Vornehmlich im überseeischen Inter esse werden wir auch i n Z u ku n f t G e l e g e n - heil haben, mit denselben Mächten zusammen zu gehen, mit denen wir noch im vorige» Jahre gegangen sind." Diese Mächte sind aber bekanntlich Frankreich und Rußland, und eS steht nichts entgegen, die Bereitwilligkeit de» Zusammengebcns gerade auf die wichtigste überseeische Frage, die Räumung Egyptens, zu bezieben. Sollte der Meldung der „Frkf. Ztg." doch etwas Thatsächliches zu Grunde liegen, so kann eS nach unserm Dafürhalten nur das sein, daß Deutschland mit Frankreich und Rußland im Princip einig ist, daß eS aber über den mockus proceckoncki im Einzelnen noch in Unterhandlung steht und dabei vielleicht einen Einzelvorschlag Rußlands abzulehnen genöthigt war. Zumal nach dem Urtheil deS Alerasthrmer AppellhofeS Hal die deutsche Regierung wiedrr freie Ha? *^anv wir gebcr. nn? der zuversichtliche» Hoffnung hin, daß* sie davon den allein richtigen Gebranch machen wird. In Rnmünicn ist plötzlich ein CabinetSwrchsel erfolgt. Das liberale Ministerium Sturdza, das man nach seinen Erfolgen in der auswärtigen Polttik für sehr befestigt hielt, siel über Nacht, und an seine Stelle ist ein Ministerium Aurelian getreten. Dasselbe ist gleichfalls liberal, ein Umstand, aus dem man schließen muß, daß es sich keineswegs um einen System-, sondern lediglich um einen Personenwechsel handelt. Innerhalb der liberalen Partei selbst war es zu einem Gährunasproceß gekommen, der, von ehrgeizigen Führern derselben «»»gehend, sich gegen daS Ministerium richtete. Diese Wühlereien hatten zur Folge, daß die Regierung sich immer wachsenden Schwierig keiten gegenüber sah. Schon bei den Parteiberathungen vor der Kammereröffnung hatte Sturdza die Vertrauensfrage gestellt und eine einmüthige Unterstützung der liberalen Partei verlangt. Die Partei gab entsprechende Erklärungen ab, denen ihr Verhalten nach der Eröffnung der Kammer indessen nicht entsprach. Zunächst demissionirte der Justiz- FerriHetoir Das goldene Herz. 2j Novell« von E. Fahrow. Nachdruck vkrbrtkn. „Und doch war ich auch Ihr liebster Ritter, denn Sie wußten es immer so einzurichten, daß wir beim „Begegnen spielen" zusammen kamen." „Weil Sie der Größte waren." „O weh! Dann war eS also nur die Quantität und nicht die Qualität, die Ihnen imponirte?" „Wie Sie doch eitel sind. Schulmädchen haben ihre besondere Art von Ehrgeiz — einen kleinen lächerlichen Ver ehrer hätte ich noch nicht einmal über die Achsel angesehen." „Ja, ja", klagte Detlev, „auf den inneren Werth sehen die Damen immer am wenigsten." „Damen von 12 Jahren!" „Nun gnädigste Frau, gestehen Sie nur, daß Sie auch heute keinen unansehnlichen, „lächerlichen" Mann hcirathen würden." „Ich heirathe überhaupt nicht wieder", sagte Mira ernsthaft. Detlev wußte, daß dies einer von den Aussprüchen ist, die die Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit von GlaSstangen haben; er hielt sich also nicht lange mit diesem Satz auf, sondern begann, vaS „Princip ini Allgemeinen" zu bekämpfen: „Halten Sie eine zweite Ehe für unmoralisch, wie meine Schwester?" „ES kommt, meine ich, dabei aus die erste Ehe au. Fella, die ihren Rittmeister so unbeschreiblich liebt, kann «S sehr wobl al» eine Berrätberei betrachten, nach seinem Dode einem Anderen anzugehören." „Gnädige Frau besitzen, wie ich mit Vergnügen bemerke, Toleranz gegenüber den Ansichten anderer Leute; ich für meine Person bin viel rechthaberischer; »ut-uut ist von jeher mein Wahlspruch gewesen." „Also entweder Engel oder Teufel, — alle» oder gar nichts?" „Ganz gewiß; nicht» ist mir mehr zuwider als die „dehn baren" Menschen und die dehnbaren Begriffe. Stahl hat doch mehr Imposante» al» Kautschuk, nicht wahr?" „Das Alle» hat nicht« mit einer zweiten Ehe zu thun. Hier kann man nickt Alle» über einen Leisten schlagen — wa- Lberhaupt wohl ein Fehler ist; Menschen, die das thun, sind gewöhnlich Principienreiter." „Wenn die Pricipien nur edle sind !" „Ganz egal — sobald sie — geritten werden, sind sie langweilig." „Nun also — wann halten Sie eine zweite Ehe für an gemessen ?" „Euel mot!" lachte sie. „Natürlich wird es mir in keinem Falle einfallen, eine zweite Ehe für unangemessen zu halten. Ich meine jedoch, wenn man seinen ersten Galten geliebt hat, kann man keinen zweiten nehmen." „Aber Beispiele, gnädige Frau. So unendlich viele Bei spiele sprechen gegen diese Idee." „Ich muß dennoch daran festhalten." Der Gedanke, daß ein Anderer da sitzen soll, wo die Seele des theueren Ver storbenen vielleicht umherschwebt, daß ein Anderer von mir Worte, Aufmerksamkeiten, Zärtlichkeiten erhalten soll, die ich Einem und Einem allein versprach, empört mich." „Und Sie meinen also, daß einen? ungeliebten Ersten dann ruhig der Zweite nachfolgen darf?" „Meinen? Gefühl nach, ja. Denn DaS, waö meine Seele an Liebe giebt, hat allein Werth. Wenn ich den Einen nicht liebte, nehme ich ihm doch auch nichts bei einer zweiten Ehe." „Ich glaube doch, daß wenn der Erste seinerseits liebte, e» seiner „umherschwebenden" Seele genau ebenso viel Schmerz machen würde, sich einen Zweiten folgen zu sehen." „Daß eS dem Abgeschiedenen Schmerz machen könnte, sagte ich nicht. Glücklicherweise wird jawohl in? künftigen Leben jeder Flirt und jede Eifersucht aufhöreu." „yuieo sads?" sagte Detlev. „Sie sprechen spanisch?" sagte lebhaft erfreut Mira. „O nein, — absolut nicht. Ich schnappt« nur auf meiueu Reisen hier und da rin Wort auf. Gnädigste Frau liebe» die Sprache?" „ES ist eine schöue, sehr woblkliogende, ja eine glänzende Sprache, weil sie reich an Bildern ?st. Leider habe ich hier keine Gelegeubeit mehr, sie zu sprechen, ausgenommen mit meinen? sckwar»» Iambo und meiner alten Köchin." „Aha Iambo, daS Original, da» Fella des Diebstahls bezichtigte." Mira erröthete leicht. „Sie dürfen ihm nicht mehr böse deshalb sein! Iambo ist mißtrauisch wie ein Hofhund; er war unglücklich, daß ich au» Lima fortzog und betrachtet von vornherein alle Deutschen als seine Feinde. — Er kann daS Auslache?? nicht vertragen, und die ersten Wochen, vir ich bei meinem Papa in Berlin zubrachte, wurde er von dein Neben Pöbel weidlich ausgelacht; da» hat ihn sehr verbittert. Außer dem vergessen Sie nicht seine geringe Intelligenz." „Ich habe gehört, daß Ncger ungeheuer schlau sein könne»." „Das wobl, — abe^ Schlauheit ist beinahe der niedrigste Grad aller Intelligenz." „Nun, nehinen Sie sich nur vor dem liebe:? Iambo in Acht", sagte Detlev, indem er sich erhob. „Es kommt vor, daß Hofhunde auch ihre Herren beißen." Mira bewegte lächelnd den Zeigefinger hin und her, eine Art der Verneinung, die ihr allerliebst stand. Dann lud sie Detlev zum nächsten Sonnabend zur Mittagstafel ein. „Sie treffen Schmocks, Papa und ein oder zwei Freunde auS der spanischen Colonie hier. Auf Wiedersehen also!" Detlev empfahl sich und fand draußen Iambo, der seine?? Fuchs im Schnee hin und her führte. Der Neger war ihm ekelhaft, schon allein wegen der Beleidigung, die er Fella ao- getban hatte und ferner, weil ihn? die Eigenschaft des Miß trauens, von der ihm eben Mira erzählt hatte, in der Seele zuwider war. Während er dem Fuchs die Candare untersuchte, warf er dem Neger ein Geldstück hin und sagte dazu: „Nun — Ihre Herrin hat das goldene Herr wieder; wahrscheinlich haben Sie daS schon an der Thür eryorcht." „Ja, Mylord", sagte Iambo freundlich. (Für ihn waren alle Bekannten seiner Herrin LadieS oder LordS.) „Ich haben auch gehört, daß Mylord der Bruder sein von Lady Fella." „So?" sagte Detlev gleichgiltig, indem er sich in de?? Sattel schwang. „Ja", nickte Iambo. „Mylord bringen Herzchen zurück — Iambo Recht hatten mit Lady — Lady Fella Herzchen hübsch dachten — Lady Fella jetzt Herzchen wieder schicke?? — „Hund!" schrie Detlev, weiß vor Zorn, und hieb dem Neger einen Gertenhieb quer über die Hand. Iambo, aschgrau, ließ die Zügel fahren. Der FuckS stieg hoch ?n d?e Luft und überschlug sich beinah mit seinem Reiter. Detlev ,edoch warf ?hu heruin, und ohne einen Blick zurück zu thun, sprengte er in kurzem Galopp davon. In der Villa aber stand hinter den gestickten Gardinen Mira, d:e den ganzen Vorgang mit angesehen hatte. Auch sie war blaß, aber vor Schrecken, denn sie hatte den Aus druck furchtbaren ZornS in Detlev's und den maßloser Wuth in Iambo'S Antlitz bemerkt. WaS war geschehen? Sie rief Iambo herein und herrschte ihn in spanischer Sprache an: „Was hast Du dem Herrn gethan?" „Der Herr bat mich geschlagen", sagte Iambo tückisch. „Da- habe ich gesehen. WaS hast Du den? Herrn getban, frage ich?" „Nicht-, Herrin". „Iambo, lüge nicht. Ich kenne Dich. WaS hast Tn gesagt, daß er Dich schlug?" „Nichts, Herrin. Ich freute mich, daß da» Herzchen wieder da ist". „Aba! Nun werde ich schon hören, WaS Du Dich unter standen hast zu sagen. Eines merke Dir, beleidigst Du noch ein einziges Mal ein«?? meiner Freunde, so schicke ?ch Ticl? nach Lima zurück. Basta. Hinaus!" In seiner Wohnuna angelangt, warf sich Detlev wieder auf sein Ruhebett. Der Zorn über den Neger hatte sich während deS schnellen Rittes gelegt, aber dennoch fühlte cr sein ganze» Wesen in riner ungewohnten Erregung. — Es war ganz klar, daß er sich Hal» über Kopf in die schöne Frau verliebt batte. Da-, ja da» war dir Mischung von Geist und Kindlichkeit, von Ernst und Heiterkeit, die ibn? «IS Ideal vorgeschwebt hatte. — Wunderbare» KiSmct, daß gerade er in? Schnee das goldene Herz finden mußte! — Aber hatte sie nickt gesagt, daß sie nicht wieder heiratben wolle? Ah bah — Frauengrillrn! Dennoch ärgerte cr sich, daß er sie nicht nach den? Gründe gefragt hatte. Vielleicht wollte sie einfach nur frei bleiben. Ja, ja, eS ging ja auch nicht- über die Freibeit. — Er selbst, wollte er den wirklich sei?: herrliche-, goldene« Ivnggesellentbum aufgeben? Seine Zeit, sein ganze« Denken mit einem anderen Wesen theilrn? „Sachte, sachte, Detlev!" sagte er sich. Er wollte nicht« übereilen, wollte sich erst gründlich prüfen. — Zunächst mußte er nun einige Zeilen der Entschuldigung an Mira schreiben. Er sprang wieder auf und sucht« anfgeregt uuter seinen? reiche?? Borrath an Billrtpapieren »ach dem zierlicksten umber. Da waren Sportpapier und groteske Karten, elegante» dickes Schreibpapier und Blumrnbillet» aller Art. Schließlich wählte er «in längliche-, einfache» Kärtchen, in dessen Ecke «ine winzia klein« siebenzackige Krone über seinem ebenso winzigen NamenSzug schwebte. (Fortsetzung folgt.)
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