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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961208028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896120802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896120802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-08
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Tausch ist ein des Meineids Angeklagter geworden, der sich wahrscheinlich bei dem in Aussicht stehenden Processe auck wegen Angriffen gegen den Grafen Stillfried und wegen Ausstreuung falscher Nachrichten über das Befinden deS Kaisers zu verantworten haben wird. Außerdem steht gegen Lützow ein Proceß wegen Urkundenfälschung bevor; und in diesem Proceß wird Herr v. Tausch, der den Lützow angestiftet haben soll, zum Mindesten wieder als „Zeuge" auftreten. Ist eS nun aber auch nicht absolut unmöglich, daß die beiden noch bevor stehenden Processe neue Ueberraschungen bringen, so darf gesagt werden, daß der Proceß Leckert-Lützow bereits zu einem wichtigen Ergebniß geführt hat, zu dem Ergebniß, daß er den großen und düsteren politischen Hintergrund nicht hatte, dessen Vorhandensein am Abend des vorletzten Verhandlungstages nicht rundweg bestritten werden durste. Was wir vor unseren Augen sich abspielen sahen, ist von nicht geringer politischer und socialer Bedeutung, aber es hat auf an de re Personen als die zuerst Angeklagten und den während der Verhandlung zum Hauptbeschuldigten gewordenen Polizeicouunissar v. Tausch keine Schatten geworfen. Und dieses Ergebniß ist zu Tage ge treten, ohne daß nach den Berathungen, die die höchsten Reichs und preußischen Staatsbeamten während der in dem Proceß ein getretenen Pause ohne Frage über die Angelegenheit gepflogen haben, die Entschiedenheit der gerichtlichen Verfolgung abge schwächt worden wäre. Auch wo man die Resultate der Ver handlung vom Freitag auf daS Sensationellste nnd Tendenziöseste anSgebcutet hatte, war nicht mehr verlangt worden, als die zeugeneidliche Vernehmung des Botschafters Grafen Philipp Eulenburg, der nach der Angabe des jetzt verurtheilten v. Lützow ein gewisses Interesse an dem VerleumdungSartilel der „Welt am Montag", sowie an anderen Machenschaften des Tausch gehabt haben konnte. Diese Vernehmung ist erfolgt und hat nichts zu Tage gefördert, was auch nur einem Schatten der Vermuthung Raum ließe, Graf Eulen burg habe dem Commissar v. Tausch jemals einen gegen hohe Staats- oder Reicksbeamte gerichteten Auftrag gegeben oder von politischen Treibereien dieses Menschen beifällig Kenntniß genommen. Der Botschafter hat wegen der Länge der jedenfalls dazwischen liegenden Zeit nicht bestimmt in Abrede stellen wollen, daß er Tausch ein mal den Auftrag gegeben, ihm „Interessante«" mitzutheilen. Ist daö geschehen, so hat man es mit einem Interesse von der Art zu thun, wie es fick vielleicht mehr bei Dilettanten als bei wirklichen Staatsmännern findet, aber für die An nahme, Graf Eulenburg könnte ein „Hintermann" deS Polizei- commissarS gewesen sein, böte ein solches Ersuchen auch dem stärksten Mißtrauen keine Stütze. Ebensowenig natür lich die Verwendung zu Gunsten des — damals nnbesckoltenen — Ordcnsbewerbers. Nichts also, waS in diesem Processe behauptet und bewiesen worden ist, recktfertigt den Verdacht, v. Tausch sei ein Werkzeug Höherer gewesen. Vielen, das ist voranSzusehen, wird trotz dieser Gewißheit der Glaube nicht leicht fallen, der Subalternbeamte hab« sein, wie sich ja für ihn schrecklich genug herauSstellt und wie er wissen mußte, gefährliches Spiel aus purem Vergnügen ge trieben. Aber nachdem die Gestalt des Herrn v. Tausch schärfere — nicht nur durch den Proceß, auch durch private Charakterschilderungen —, immer schärfere Umrisse an genommen, gewinnt die Vermuthung, daß er auf eigene Faust gehandelt, an psychologischer Wahrscheinlichkeit. Er ist im höchsten Maße eitel und eifrig um Gelegenheiten bemüht, sich der Bekanntschaft, wenn nicht der Freundschaft Hochgestellter rühmen zu können. Dies giebt u. A. der Aussage Lützow's über Tausch's Versicherung, er könne sich auf den Grafen Eulenburg verlassen, Glaubwürdigkeit. Das Bestreben, überall die Hand im Spiele zu haben, liegt Leuten von der Beschäftigung eines regelmäßig mit geheimen Nachforschungen Beauftragten an sich nahe, und ein skrupelloser Streber gerätb in solcher Stel lung leicht in die Versuchung, unbefugt Geheimnisse zu er gründen, um sich seine Wissenschaft persönlich zu Nutze zu machen. Tausch ist darüber weit hinausgcgangen, er hat Geheimnisse singirt, um, gewiß durch ihre „Aufhellung", vielleicht und wahrscheinlich auch, um durch ihre schein bare Existenz an sich Vortheile zu erlangen. Und was die Hauptsache ist, er hat sich dabei so allen Gewissens bar gezeigt, daß man ihm die Ruchlosigkeit, kalten BluteS Angelegenheiten seines Vaterlandes in verbängniß- vollcr Weise zu verwirren, Wohl zutrauen darf. Ein Gingold-Stärk, der, ähnlich wie Lützow, als vermeint licher Journalist und wirklicher Polizeispion die Zeitung, die ihn für ihren Diener hält, und das Publicum hintergeht verdient nicht die geringste Sympathie, aber die Art, wie v. Tausch ihn, dessen Schicksal als das eines Ausländers der allzu mächtige Polizeicommissar in der Hand bat, zum Verrath ver leitet, kennzeichnet die Sittlichkeit des Mannes so vollkommen, daß aus die sonst auf seinen Charakter gefallenen Lickter nicht weiter bingewiesen zu werden braucht, auch nicht auf die Freckhrit, mit der der ageut xrovocnteur als „Bismarckianer" auftritt. Tausch ist eine Berbrechernatur und fähig, auS eigenem bösen Willen heran» so zu handeln, wie er getban. Diese Erkenntniß kann nicht hindern, daß der Verdacht, als ob er für Andere gelogen, betrogen und gefälscht, noch lange lebendig bleiben wird. Und eS bietet sich nur ein Mittel, um das durch diesen Proceß stark geminderte öffentliche Vertrauen wieder zu beben. Die In stitution, mittels deren Tausch so schwer sündigen, daS StaatSwohl so arg schädige» konnte, muß in ihrer jetzigen Gestalt verschwinden. Ein Mitglied der politischen Polizei, obwohl ein untergeordneter und unver antwortlicher Beamter, hat eine Machtvollkommenheit erlangt, die zum Mißbrauch geradezu herausfordert. Er kümmert sich wenig um seinen unmittelbaren Vorgesetzten; seinen obersten Chef, den Minister des Innern, vermag er unent deckt, im Ressort wenigstens unentdeckt, mit einem Zntriguen- netze zu umgeben: aus dem Dunkel seiner Niedrigkeit hebt er die Hand gegen jedermann; er entzieht sich dem Gesetze und verleitet Andere zu Rechtsverletzungen; er ist ein mit unheimlichen Privilegien auSgestattetrr Mensch. Ein Staat, der solche Aenuer bestehen lassen zu müssen glaubt, darf sich nicht beklagen, wenn mau von seinen höcksten Dienern vermuthet, sie bedienten sich derselben zu unlauteren Zwecken. Di« unverzügliche Umwandlung der poli tischen Polizei, die Festsetzung einer ernsten Verant wortlichkeit ihrer Leitung ist darum die unerläßliche Voraussetzung für das Schwinden de« Verdachte-, es lebten Hintermänner des Herrn v. Tausch. Diese Notbwendigkeit ist nicht die einzige, aber die erste, auf die der Proceß hinweist. politische Tagesschau. * Leipzig, 8. December. Die Mittheilungen, die der StaatSsecretair vr. v. Bört lich er am Mittwoch im Reichstage über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen über den preußischen Handwerker- LrgantsatioiiScntN'nrf im BundeSrat he gemacht hat, hatten, wie sich aus dem jetzt vorliegenden stenographischen Berichte ergiebt, ihren Schwerpunkt in dem Hinweise auf die Stimmenverhältnisse in den Ausschüssen deS BundeS- ratkS und dem Plenum. Herr v. Boetticher sagte: „Die preußische Regierung hat dem Bundesrath eine Organisations vorlage gemacht. In den betheiligten Ausschüssen ist diese Vorlage berathen worden; sie ist daselbst rücksichtlich de« Principö der Zwangsinnungen auf Widerstand gestoßen und bei der Abstimmung hat sich ergeben, daß in. den Aus schüssen die Mehrheit sich gegen daS Zwangsprincip der Vorlage erklärt hat. Welches der AuSgang der Pleuar- berathung sein wird, weiß ich nicht; ich mache jedoch darauf aufmerksam, daß daS Stimmenverhältniß hier ein anderes ist, als in den Ausschüssen, in denen viritim ge stimmt wird, während im Plenum des Bundesrathcs Preußen mit 17 Stimmen betbeiligt ist." Daraus geht hervor, daß es vor der Hand noch scbr fraglich ist, ob schließlich der Bundesrath daS Zwangsprincip falle» lassen wird. Addirt man zu den preußischen die dem Zwangsprincip geneigten bayerischen und sächsischen Stimmen hinzu, so ergiebt sich, daß nur wenig fehlt, um eine Mehrheit für das Zwangs princip herbeizuführen. Da bei BundeSrathsbeschließungen die Gesammtheit der jedem Staate zustehenden Stimmen nur einheitlich abgegeben werden kann, nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen aber nicht gezählt werden, so ist e« nicht ausgeschlossen, daß einige der kleineren Bundesstaaten sich in Rücksicht auf Preuße» zurückhalten und so die jetzige große uuv compacte Minderheit für die Zwangsorganisation zur Mehrheit zu machen. Von konservativer Seite wird bereits der Versuch gemacht, Preußen zu veranlassen, seinen Einfluß als „Präsidial macht" geltend zu machen, indem man die AuSschußbeschlüsse als für die „Stellung der Präsidialmacht höchst bedenklich" erklärt. Sollte aber Preußen diesem Winke folgen, so würde daS erst eintreteu, was angeblich jetzt bereits geschehen ist. ES würde eine Angelegenheit, die als rein wirth- schaftliche nur aus sachlichen Erwägungen zu erledigen ist, als Macht frage behandelt. Die erste Vorbedingung dafür wäre doch wohl, daß die Instruction der preußischen Stimmen auf einer einheitlichen Auffassung de« preußische» Staatsministeriums beruhte; davon ist aber bisher nicht bekannt geworden. In Hamburg ist nun der Generalstreik aller am und im Hafen beschäftigten Arbeiter proclamirt und mit Befriedigung verkünden die socialdemokratischen Blätter, die «S in dem vorliegenden Falle vorziehen, sich „Arbeiterpresse" zu nennen, daß jetzt 17 000 Arbeiter streiken. Aber selbst diese Zahl, so sehr sie auch den Eindruck einer energischen Abrundung nach oben macht, als richtig angenommen: sie bedeutet nur eine Zunahme von rund l OOO Ausständigen, denn etwa 16 000 hatten schon vor der Verkündigung des MassenauSstandeS nicht mehr ge arbeitet. Mit diesem Beschluß des Generalstreikcomitös und diesem Verhalten der svcialdemokratischen Organe ist der letzte Zweifel Uber den Charakter des Ausstandes zerstreut. Was noch am dritten Tage auS Indicien geschlossen werden mußte, hat jetzt offen seine Formulirung erhalten: DaS ist keine wirtbsckas: liche Streitfrage mehr; es handelt sich um eine politische Machtfrage, in welcher die Socialdemokratie treibende Kraft und Führerin ist. Diese Thatkache bleibt bestehen, so entschieden es auch von jener Seite in Abrede gestellt wird, daß eine socialdemokratische Parole den Ausschlag gegeben habe. Es ist ja möglich, daß die Schauerleute, welche zuerst die Arbeit nieder legten und so den Stein ins Rollen brachten, keine direkt von der Socialdemokratie erkennbar ausgehende Aufforderung dazu erhalten haben. WaS will dies aber besagen, nachdem schon der letzte Maifeierbeschluß für das nächste Jahr so unverhUllt empfohlen hat, es mit der Arbeits niederlegung in großem Stil zu versuchen, und nachdem jüngst noch die Streikcommission an die Gewerkschaften die Aufforderung erlassen hat, die Organisationen zu verstärken, mit dem durch sichtigen Hinweis, daß im nächsten Frühjahr die große Zeit gekommen sei. Dazu bat fortgesetzt in den letzten Monaten die socialdemokratische Presse darauf hingewiesen, wie günstig Handel und Verkehr sich entwickeln und infolgedessen auch die Um stände, Lohnkämpfe zu beginnen. So mußte jener Entschluß der Schauerleute wirken, wie der Funke im Pulverfaß. Schon am dritten Tage deS Ausstandes griffen bereits offen social demokratische Führer ein. Den letzten Zweifel aber hat der Umstand ausgeschlossen, daß in jenen Versammlungen, weich über daS angebotene Schiedsgericht sich entscheiden sollten, die ausgesprochenen „Nichtarbeiter" v. Elm, Molkenbuhr und Frohme als Vertreter der Arbeiter sich wählen ließen. Der wohlgemeinte Beschluß, in dem schiedsrichterlichen Achtmänner collegium die Beschlüsse mit 6 gegen 2 Stimmen zu fassen, hätte, da diese drei Herren selbstverständlich einer Meinung sind, au« dem ganzen Schiedsamt eine Komödie machen müssen, und zwar eine höchst traurige, weil man über das LooS von zehntausend aus daS Einkommen de« Tages angewiesene Familien fruchtlos hätte vebattiren müssen. Kam es diesen Herren auf Frieden an, dann mußte» sie selbst den Arbeiter» dringend rächen, nicht politische Agitatoren, deren Lebensstellung unabhängig von jedem Beschlüsse war, sondern als Vertreter wirkliche Arbeiter zu wählen, welche die Schwere im Kampf umS Dasein zu gut kennen, um durch ver kehrte Rücksichten auf politische Agitationsbedürfnisse ihre Lage sich noch mehr erschweren zu lassen. Nach den bisherigen Berichten ist eS in Hamburg verhältnißmäßig ruhig zugegangen. Bon allen Seiten sind aber, gelockt durch den Lohn, den die dortigen Hafenarbeiter als zu niedrig zurückwiesen, Ersatzkräfte im Anzug. Wie aber, wenn nun der Frost sich vermehrt und die Schwierigkeit, andere Arbeit zu finden, Noth hervorruft und die Noth zu Ausschreitungen führt? Es widerstrebt unS, diesen Gedanken weiter zu ver folgen. Wir erneuern den Wunsch, daß auf beiden Seiten sich nicht die Stimmung weiter verbittert und den Weg zu einem billigen Ausgleich vollständig verlegt, trotz der ent gegengesetzten Bemühungen der Socialdemokratie. Die sensationelle Botschaft de- König« von Griechenland an den Ministerpräsidenten DelyanniS findet in der deutschen Presse genau dieselbe Brurtheilung, dir wir ihr gestern angedeiben ließen. So schreiben unter Andern: die „Berl. Pol. Nachr.": „Abstrabirt man von der Form der Botschaft und hält sich nur an ihren Inhalt, so besagt sie Feirilletsin Das goldene Herz. 5j Novell« von E. Fahrow. Nachdruck »erboten. „O, das ist kein Räthsel, Herr von Geyern. Sehen Sie, als ich im October hier ankam, hatte ich bereits daS Eine beschlossen, mir bei Berlin eine Villa zu kaufen. Ich wollte meinem Vater in der Nähe bleiben, wollte aber nicht in Berlin selbst wohnen. Das HauS war also binnen zwei Wochen gekauft; „Herzenslust" stand nämlich leer, da der Besitzer leider in Vermögensverfall gerathen und nach Amerika gegangen ist. — So wechseln die Menschen, sehen Sie, wie auf einer Bühne." „Wie die Dampfboote", sagte elegisch die Tante. „Das eine kommt, daS andere geht." „Nachdem ick einmal daS Haus hatte", fuhr Mira fort, ohne den Ausspruch der Tante zu beachten, — eS achtete nie Jemand auf ihre Aussprüche — „war es leicht, es nach meinem Geschmack einzurichteu. Denn da« muß ich gestehen, die Möbel- und Decorationsindustrie scheint mir in Berlin auf einer Höhe zu stehen, wie ich sie in anderen Metropolen kaum gesehen habe. — Also in vierzehn Tagen war mein liebes Häuschen eingerichtet, und seit vier Wochen bewohnen wir e«. Vier Wochen sind lang genug, eine Wohnung wohnlich zu machen, meinen Sie nicht?" „Wenn c« Feenhände unternehmen, ohne Zweifel", sagte hier San Pandez, der gar nicht gefragt worden war. „Sagen Sie mal, Sennor", sprach Fella zu ihrem Nachbarn, „was treiben Sie denn so eigentlich di« ganze Zeit in Berlin? Sie sind doch sozusagen kein Manu von Beruf, nicht wahr?" „Doch, gnädige Frau, ich habe den Beruf zu — leben. Das heißt, auS dem Dasein so viel Süßigkeit wie möglich herauszuzieben." „Also ein echter Schmetterlingsberuf! Wird Ihnen die Masse Süßes nicht mit der Zeit über?" „O, e» fehlt ja auch das Bittere nicht, gnädige Frau! Wenn ich nicht eia so genügsamer Mensch wäre, müßte ich e« sogar zu viel de« Bitteren finden." Fella warf ihm einen ironischen Seitenblick zu. „Sie lächeln, gnädige Frau — —" „Bitte — ich lächle durchaus nicht." „Aber Ihre Augen lächelten, gnädigste Frau!" San Pandez ließ sich nicht verblüffen, und seine Dreistigkeit ärgerte Fella. Wenn sie sich ärgerte, konnte sie sehr deutlich werden. „Herr San Pandez", sagte Sie gelassen, „wir sprachen nicht von meinen Augen, sondern von Ihrem Berliner Leben." „Sie verlangen doch darüber nicht- Näheres zu hören, meine gnädigste Frau? Es ist nämlich ziemlich langweilig." „Natürlich — da Sie nichts thun." „Es wäre trotzdem langweilig, auch wenn ich etwas „thäte". Ich könnte ja z. B. auch schriftstellern wie Ihr Herr Bruder oder wie Herr Balmer — nur daß ich natürlich nicht daS Talent jener Beiden habe." „Ja sxeilich! Ein wenig Talent gehört dazu", ironisirte Fella. „Aber ich thue etwas ebenso Anstrengendes — ich studire den deutschen Volkscharakter." „Doch nicht in den Berliner SalonS?" rief Fella er schrocken. „Nicht uur in de» SalonS. Den Deutschen lernt man eigentlich am besten in seiner Kneipe kennen." „Ach!" „Oder auch in den SalonS." „Oder auch in seinem Hause", warf der alte Herr Guntlach so nebenbei ein. San Pandez ließ sich aber nicht stören. „Sie, z. B., meine gnädige Frau, und Ihr Herr Bruder sind echte deutsche Typen." Fella neigte dankend da« blonde Haupt. „Sie könnten mir kein größere« Compliment machen, Herr- San Pandez. Erlauben Sie, daß ich meine Freundin Mira als Dritte dem Bunde einfüge." „Madame Oliveira ist doch keine Deutsche!" rief San Pandez lebhaft, und so naiv kam eine Art Entrüstung dabei zu Tage, daß Fella lachen mußte. „Sie können sie ja ru den Fidschi-Insulanern rechnen, wenn diese Idee Ihnen Spaß macht. Meiner Erinnerung nach ist sie in Eharlottenburg bei Berlin geboren." „Ich — ä — ich meinte, sie repräsentire nicht den Typu« der Deutschen", sagte der Portugiese. „Das wäre ja schade. Aber reden wir doch von etwas Anderem, Sennor. Wie kommt «S, daß Sie sowohl al« Martinez Oliveira statt in Brasilen in Peru lebten?" ,^DaS batte keinen besonderen Grund, gnädige Frau. Mein Freund Martinez hatte in Lima studirt, er liebt« die Stadt, hatte auch Verwandte dort, und ich habe für meine Person überhaupt noch kein bleibendes Domicil. Wahrscheinlich werde ich mich ganz der Politik widmen und nach meiner Rückkehr bei der Regierung eintreten —." „Bei uns ist e« jetzt am heißesten", verkündete eben mit lauter Stimme Tante Rosaly. „Na, dann trinken Sie man noch 'n bischen kalte» Sect", sagte der unverbesserliche Rittmeister. „Wieso?" fragte die Tante. „Weil's kühlt!" versetzte Schmock. Detlev lachte wider Willen. Eine heitere, doch gemessene Stimmung hatte ihn ergriffen, etwa wie Jemand, der eine herrliche Seefahrt macht und dabei da- Herannaheu eine« Sturme« fühlt. Mira, die ihm an dem schmalen Tisch gegenüber saß, sah wunderlieblich auS. Sie trug wieder Weiß, jeooch war ihr Kleid von weicher, indischer Seide, und ein goldener Gürtel von kostbarer Arbeit umschloß ihre zarte Gestalt. Di« grauen Augen sahen jetzt bei Gaslicht leuchtend blau auS, und plötz lich erinnerte sich Detlev, daß er dieselbe Beobachtung schon al« Knabe gemacht hatte. Mira hatte das feine Erdbeersträußlein vor sich in ein spitzes Krystallgla« gestellt, und jede-mal, wenn ihr Blick e« streifte, flog ein Heller Schein über ihr Gesicht. Sie hob jetzt die Tafel auf, indem sie di« Früchte und den Kaffee im sogenannte» Gartrnzimmrr serviren ließ. Dieses Gartruzimmer führte im Sommer dirrct in den Wald hinaus, jetzt un Winter schloß «S rin kleine- rundes Glas haus gegen da« Freie ab. — Eine Fülle von Palmen und anderen Blattpflanzen schmückte den Raum, der von zwei zahmen, glücklicher Weise nicht sprechenden Papageien belebt wurde. — Hier ließ sich die kleine Gesellschaft nieder, und diesmal nahm Detlev an Mira'S Seite Platz. „Wissen Sie auch", begann er, „daß ich noch immer mit Zittern und Zagen Ihrem Richterspruch entgegensebe?" „Sprechen Sir nicht mehr davon", bat sie. „Zambo bat mir nach langem Leugnen gestanden, welche Frechheit er sich unterstanden hat — Sie hatten Recht, ihn zu züchtigen. Ich hätte in dem Fall dasselbe gethan." „Sie!" Eine Welt von Erstaunen lag in dem Ton. „Ja, ich. Glauben Sie nur nicht, daß ich nicht heftig werden kann. Wenn man mich reizt, werde ich sehr zornig, und nachher bin ich dann oft — unversöhnlich." „Sic scherzen, gnädige Frau." „Nein", sagt« Mira nnd sah ihn mit ihren ehrlichen Augen an, „ich scherze nicht. Es dauert ja ziemlich lange, bis ich böse werde — aber ich vergebe wirklich nicht leicht." Er schwieg nachdenklich. — Dem Diener, welcher ibm Früchte anbot, wurde von ihm sowohl als von Mira ab gewinkt, und jetzt erst bemerkte er, daß sie seine Erdbeeren von der Tafel wieder mitgenommen hatte. „Wir wollen eS machen wie damals", sagte sie, „und theilen. — Hier haben Sie die Hälfte, die müssen Sie essen, und die andern verspeise ich. — Sie führte eine von den würzigen Beeren zum Munde. „Wo Sie die nur hergezaubrrt haben mögen?" sagte sie. „Ich habe meine dienstbaren Geister", versetzte er. „Die tragen mich jederzeit an den Ort, wo ich hin will, und", fügte er leise hinzu, „seit vorigem Dienstag haben sie mich im Lande der Kinderträume festgebalten." Sie sah ihu einen Augenblick wie verwundert an; dann Wandt« sie den Blick seitwärts, denn sie merkte ihm an, daß er eS sehr ernst gemeint hatte, und ein heißes Glücksgefüht, daS ihr ganz fremd war, quoll in ihrem Herzen aus. So wenig gewöhnt war sie an solche Wallungen, daß sie sich dagegen wehrte, und ungeschickt schlug sie den falschen Weg dafür ein. Sie erhob sich und machte sich an dem silbernen Kaffee brett zu schaffen, welche« Karl soeben auf einem Nebentisch uiedergesetzt hatte. San Pandez trat zu ihr, und wie er leichtert von einem Bann, in den sie Detlevs ernster Ton geschlagen batte, athmete sie auf und begann ein lustiges, neckendes Geplauder mit ihm. Detlev ließ sie gewähren; er war sich durchaus nicht sicher, ob er nickt mit seinem schnellen Vorgehen Mira mißfallen habe. Sie hatte einen Ring von Zurückhaltung um sich, den er Wohl fühlte, und den er nicht so schnell würde durckbrecken können. Wenn nur der alberne Adonis nicht so vertraut mit ihr gethan hätte. Jetzt reichte sie ihm eine Taffe Kaffee, und er sagte ihr etwa« Spanische«, worüber sie rrrötbete. Allerdings wollte da« sticht viel sagen, Mira er- röthrte sehr leicht, sie hatte das seit ihrer Kinderzrit an sich. Ueberhaupt schien sie ihm etwa- überaus Kindliches, Unschul dige« behalten zu haben, WaS besonders auf ihrer glatten nn- besckattrten Stirn zum Ausdruck kam. Tetlev war wieder in seine anfängliche Schweigsamkeit zurückgefallen, waS ibm zuletzt selbst auffirl, und er erhob sich, um mit dem alten Herrn Guntlach eine Unterhaltung über den Stand der SpirituSbrennereien zu beginnen. Herr Guntlach war früher Bankier gewesen und interessirte sich noch lebhaft für alle Börsrnbewrgungrn.
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