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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961211017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896121101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896121101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-11
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Durch eine solche Erleichterung soll keineswegs das Maß der Anforderungen derart herabgedrückt werden, daß man daS Eindringen ungeeigneter Elemente in den Officiersstand zu befürchten nöthig hätte, wohl aber ist man zu dem Verlangen berechtigt, daß an die im AuSlande lebenden Deutschen keine anderen Ansprüche gestellt werden, als an die eine Inlands schule besuchenden. Trotz aller Hinweise scheint jedoch noch nicht allen Stellen da» Verständnis hierfür aufgegangen zu sein, noch weniger aber da» Berstandniß für die nationale Seite der Frage, und eine solche Seite besitzt die Angelegenheit in hohem Maße. Man scheint es in der That gar nicht zu begreifen, daß man die im AuSlande lebenden Deutschen möglichst fest an daS Reich fesseln soll und daß es daher nur mit Freuden zu begrüßen ist, wenn Männer, die vielleicht schon seit Jahr zehnten in der Fremde sich em neues Heim gegründet haben, dennoch freudig ihre Söhne zum Heeresdienste in der alten Heimath hingeben, obgleich die Erfüllung dieser Ehrenpflicht dort noch weit empfindlicher in die Verhältnisse des Einzelnen eingreift, als bei uns, wo eben Alle dienen müssen. Statt aber die ein solches Verhalten begründende Gesinnung mit allen Mitteln zu fördern und ihre Bethätigung zu erleichtern, erschwert man die letztere nach Möglichkeit und treibt so die Deutschen einem fremden Volkstbum in die Arme: d. h. die also Behandelten verzichten auf ihre deutsche Staatsange hörigkeit und nehmen eine fremde an, die ihnen allemal mit offenen Armen dargeboten wird. Wie sehr sich der zopfige deutsche BureankratiSmuS in dieser Frage noch immer breit macht, beweisen mehrere Vorgänge, über welche die „Allb. Bl." folgendermaßen berichten: „In der deutschen „La Plata-Zeitung" wurde jüngst bekannt gemacht, daß derjenige Arzt, der in BuenosAires zur Untersuchung der deutschen Wehrpflichtigen allein be rechtigt ist, eine Reise nach Deutschland angetreten habe, während seiner Abwesenheit könnten daher derartige Unter suchungen nicht stattfinden. An die Bestellung eines zweiten Arztes — wie viele deutsche oder in Deutschland ausgebildete Aerzte giebt eS dort! — hat offenbar kein Mensch gedacht, obwohl nicht nur die jungen Deutschen der Argentmischen Republik, sondern auch die der anderen La Plata-Staaten nach Buenos Aires zur ärztlichen Untersuchung kommen. Wie lange der betreffende Arzt wegbleibt, wissen wir nicht; aber eine solche Reise pflegt man nicht auf 14 Tage zu beschränken, und was wird in der Zwischenzeit auS den dortigen wehrpflichtig werdenden jungen Deutschen? O, deutscher Zopf! Wir sind im Alldeutschen Verbände nicht die einzigen, die nach dieser Richtung hin fchon Beschwerde erhoben haben, ein Zufall aber fügt eS, daß unS in diesen Tagen gleichzeitig au» Südrußland und auS der Schweiz wieder Klagen über Nichtzulassung zum einjährigen Dienst zuzinaen. Der Schweizer Fall ist so bezeichnend, daß wir ihn hier etwa» näher beleuchten wollen. Der Sohn eine» unserer Mitglieder in Zürich besaß daS Reisezrugniß der Züricher Industrieschule. Auf Grund diese» Zeugnisses bat der Vater den Reichskanzler um Zu lassung des jungen Mannes zum einjährig-freiwilligen Dienst. Die Antwort lautete abschläglich mit der thatsächlich falschen Begründung, daß in der Züricher Industrieschule nur eine fremde Sprache gelehrt werde, während aus dem, dem Ge suche beigelegten Lehrplan der Industrieschule hervorgeht, daß dort der Unterricht in französischer und englischer Sprache für alle Schüler verbindlich ist. Hat man nun bei uns das Gesuch nicht ordentlich gelesen, oder wollte man ihm einfach nicht entsprechen und nahm es deshalb mit der Begründung nicht genau? Der Vorfall gab unserer Ortsgruppe Zürich Veranlassung, die Anforderungen für die Reifeprüfung auf einer deutschen lateinlosen Realschule (mit Berechtigung zum einjährigen Dienst), diejenigen auf der Züricher Industrieschule sowie die Vorschriften für die einjährig-freiwillige Prüfung einmal miteinander zu vergleichen. DaS uns in zwei Tabellen vor liegende Ergebniß dieses Vergleiches ist allerdings ein so überraschendes, daß wir nur bedauern, es wegen Raum mangel- nicht abdrucken zu können; es zeigt, daß die An forderungen auf der Züricher Schule viel höher sind als die Prüfungsvorschriften für das einjährig-freiwillige Examen, sowie, daß die Kenntnisse eines Abiturienten der Züricher Industrieschule zum Mindesten Vie gleichen sind, wie die eines Abiturienten einer reichsdeutschen lateinlosen Realschule. Die Vergleichung ergab u. A. auch, daß die Abiturienten die deutsche Realschule nach neun- bis zehnjährigem Schulbesuch (einschließlich der Vorschule) ge wöhnlich im Alter von 15—17 Jahren verlassen, während diejenigen der Züricher Industrieschule, die mit dem Reife- zeugniß für den Besuch eines Polytechnikums und der philosophischen Facultät der Universität entlassen werden, in der Regel 12—13 Schuljahre hinter sich haben und in einem höheren Lebensalter flehen (18—19 Jahre) als ihre reichsventschen Commilitonen." Der H 90 Absatz 7 unserer Wehrordnung lautet: „Der Reichskanzler ist ermächtigt, in besonderen Fällen aus nahmsweise einzelnen für das akademische Studium befähigenden Reifezeugnissen ausländischer höherer Lehranstalten die Bedentuna'' eines giltigen Zeugnisses der wissenschaftlichen Befähigung für den einjährig-freiwilligen Dienst beizulegeu." Dem Abgangszeugniß des Züricher Gymnasiums wird von deutscher Seite diese Bedeutung beigelegt; weshalb man sie aber der dortigen Industrieschule verweigert, ist nach dem Lehrplan geradezu unerfindlich, und da die gleichen Miß stände noch in anderen außerdeutschen Ländern empfunden werden, so muß der Wunsch der Ortsgruppe Zürich des Alld. Verbandes, in der vorstehenden Gesetzesstclle möchten die Worte „für das akademische Studium" ersetzt werden durch: „für daS Studium auf Universitäten oder höheren polytechnischen Schulen", als ein durchaus berechtigter be- z-ichnet werden. Der Verband wird daher auch an der maßgebenden Stelle für diese Abänderung eintreten und wir bezweifeln nicht, jdaß der Reichstag nöthigenfalls dieses Ver langen kräftigst unterstützen wird. Deutsche- Reich. * Leipzig, 10. December. Wie wir erwartet hatten, konnte da» Literarische Bureau in Berlin die Angabe, daß Herr v. Lützow im Auftrage dieser Behörde an einen Berliner Journalisten mit einer Werbung herangetreten sei, in das Reich der Fabel verweisen. Ueber den bisher unerfind lichen Beweggrund dieser Annäherungsversuche verbreitet der stenographische Verbandst ngsbericht der „Nordd. Allg. Ztg." nunmehr Licht. Der betreffende Journalist, Herr Jul. Schmalbach, war ausersehen, in dem von den Herren v. Tausch und Lützow gewobenen Lügengewebe eine Rolle zu spielen. In der Gerichtsverhandlung wurde ein vom 10. November 1895 datirter Brief Lützow's an Tausch ver lesen, in dem eö heißt: Ich war gestern Abend noch mit Schmalbach zusammen und legte ihm nahe, daß er seinem Freunde Kukutsch 150 bieten solle für ein untrügliches Beweisstück der Urheberschaft der Nachricht durch Jemand aus der Umgebung Köller's. Schmalbach übernahm den Auftrag, nachdem ich Brief und Siegel gegeben, ihn selbst unter allen Umständen aus der Sache herauszulassen. Er suche Kukutsch sogleich auf. Soeben schreibt Schmalbach, er habe seinen Auftrag ausgerichtet, wollte damit nichts zu thun haben .... Lützow hat vor Gericht den Inhalt dieses, wie er sagte, von Herrn v. Tausch „vollständig bestellten" Schreibens als falsch bezeichnet. Herr Schmalbach bittet uns nun hinzu- rufügen, daß er außer gelegentlich auf der Tribüne des Reichstags und bei dem angeblich im Auftrage dcS Literarischen BureauS erhaltenen Besuche deS Lützow, nie mit diesem zusammen gewesen ist und daß er ihm — und zwar etwa ein Jahr vor dem November 1895 — niemals etwas Anderes geschrieben, als eine Absage auf die „im Auftrage des Literarischen BureauS" gemachten Anträge. Herr Schmalbach ist im Zweifel, ob er Herrn Kukutsch von Ansehen kennt, jevensalls hat er mit diesem seinem „Freunde" niemals ein Wort gewechselt. — Wie viel gleich diesen beiden Herren makellose Persönlichkeiten mögen noch als Schurken in den „Belegen" deS Herrn von Tausch siguriren! .7. 6. Berlin, 10. December. Ueber die gegenwärtige Thätigkeit deS Polizei-Agenten Normann- Schumann ist der Herausgeber der „Internationalen Corre- spondenz", vr. Eleanthes Nicolai des, Folgendes mit- zutheilen in der Lage: Als im vergangenen Sommer Fürst Bismarck gegenüber dem Berichterstatter Whitman vom „New Aork Herald" jene bekannten geringschätzigen Aeuße- rungen über die aufständischen Kreter gethan hatte, richtete ich an den Fürsten ein Schreiben, worin ich unter Bei fügung einiger Drucksachen den Adressaten davon zu über zeugen suchte, daß ein absprechendes Urtheil über die Kreter wenig gerechtfertigt sei. Wenige Tage darauf erschien ein Beamter der politischen Polizei und erkundigte sich bei meinem Hauswirth sehr eingehend nach meinen Verhältnissen, wobei er als Grund angab, ich hätte an den Fürsten Bis marck einen Brief geschrieben, über den die Berliner Polizei- Behörde verschiedene Aufschlüsse begehre. Zwei Tage spater erhielt ich bereits ein mit vr. Mund unterzeichnetes Schreiben, worin der Verfasser mir mittheilte, daß der Herald-Correspondent von der türkischen Regierung gekauft sei, um in seinem Blatte die Kreter und die Griechen zu beschimpfen; es solle aber unter seiner Leitung eine über ganz Europa ausgedehnte Preßvereinigung geschaffen werden, welche die türkische Wirlhschafl auf daS Heftigste bekämpfen würde. Unter den Berliner Blättern habe er zu nächst den „ReickSboten" für seine Zwecke gewonnen, und er würde in kürzester Zeit auch sämmtliche vom päpstlichen Stuhle abhängigen Blätter zur Verfügung haben. Weitere ähnliche Briefe erhielt ich fast täglich, und e» fragte schließlich der angebliche vr. Mund bei mir an, ob ich nicht vertrauliche Aufträge für den Prinzen Mavro Kordato, den griechischen Gesandten in Konstantinopel, hätte, den er in kürzester Zeit besuchen werde. Ebenso ersuchte mich derselbe, ihm persönliche Empfehlungen für die Athener Presse zu geben, da er auch demnächst nach Athen kommen würde. Obgleich ich aus alle diese Annäherungsversuche ziemlich ablehnend antwortete, forderte mich schließlich der unermüdliche Briefschreiber auf, in Berlin eine öffentliche Protest-Versammlung gegen den Fürsten Bismarck wegen seiner unschönen Aeußerung über die Kreter einzuberufen, wofür er mir einen großartigen Erfolg in Aussicht stellte. Da ich auch dieses zurückwies, empfahl er mir, mich wenigstens an der armenischen Agitation zu betheiligen, an welcher er eben falls mitwirke. Nachdem ich bereit- durch alle diese Dinge einen starken Verdacht, betreffend die geheimen Absichten dieses ManneS, geschöpft hatte, erfuhr ich nun von hiesigen Armeniern, daß dieser selbe vr. Mund sich den verschiedenen armenischen Gesellschaften in der Schweiz, Oesterreich und Deutschland zu nähern versucht hake, aber als augenscheinlicher Agent provoeateur zurückgewiesen worden sei, zumal man vermuthe, daß er auch bei dem Ueberfall der Ottomanbank betheiligt gewesen sei. Zugleich erfuhr ich, daß dieser vr. Mund mit dem Polizei- Agenten Normann-Schumann identisch sei, waS ich vorsickks halber auch sofort nach Konstantinopel meldete. Von dort schrieb man mir, daß man auch dort daS Spiel de- Mannes bereits durchschaut habe, zumal Anzeichen dafür vorlägen, daß er nicht allein im Dienste der türkischen Regierung, sondern auch im Solde der panslawistischen Kreise auf ter Balkanhalbinsel Unruhen zu stiften versuche. * Berlin, 10. December. Von einem Theile der social demokratischen und ultramontanen Presse wurde mit Bc friebigung von einem dreisten Telegramm an den Fürsten Bismarck Kenntniß genommen, welches augen scheinlich bestrebt war, den Kaiser gegen Bismarck auszu spielen, und außerdem dazu dienen sollte, die Fluth der dem Altreichskanzler gewidmeten Zustimmungen und Huldigungen abzuschwachen und den Fürsten zu ärgern. AuS Sol tilgen sandte nämlich eine Tischgesellschaft „Parlament" folgende Depesche an den Fürsten ab: Wir Solinger schmieden daS blanke Schwert Mit Hammer, Balg und Kohlen. Wer aber unser» Kaiser nicht ehrt. Den soll der Kuckuck holen. Die- rufen wir Dir warnend zu, Dir alten Herrn in Friedrichsruh. Tenn heftig fangen wir an zu kollern, Läßt man nicht in Ruh die Hohenzollern: Die Tischgesellschaft Parlament, Fritz Becher heißt der Präsident. Die „Rheinisch-Westfälische Ztg." hat ihren Eorre spondenten in Solingen gebeten, ihr über diese monarchische Tischgesellschaft „Parlament" und dessen Präsidenten An kunft zu geben. Die Antwort lautete: „Die sogenannte Tischgesellschaft ist eine Kegelgesellschaft vou Arbeitern, die nicht im Mindesten das Recht haben, sich als Führer der monarchischen Strömungen unserer Bürgerschaft zu bezeichnen. Der Herr „Präsident" ist ein früherer Schänkwirth, welcher bankerottirt und schon zu den verschiedensten ErwerbSzweigen ge- griffen hat und irgend welchen politischen Einfluß unter den con- servativen und liberalen Parteien keineswegs besitzt. Das Original der „Dichtung" erschien zurrst in den socia Idem akratisch en „Neuesten Nachrichten" tn Elberfeld, wo sie auch am Platze war." Diese Auskunft dürfte genügen. Ist auch die ganze An gelegenheit nebensächlicher Natur, so zeigt sie doch einmal wieder, welche Leute sich zu Kronwächtern in diesem Streite aufwarfen. F-rriHatsn. Martin Greis. ii. Sehr ungleich an Werth sind die Balladen und Romanzen. Am meisten sagen die volkSthümlichen Balladen mit ihren kurzathmigen Lakonismen der Begabung de» Dichter- zu; am besten gelingen ihm genrebildliche Gemmen; doch viele der selben sind mehr für die Feinschmecker, die sich an „de- Knaben Wunderhorn" erfreuen. DaS oe magna souatrunun feblt indeß dem Dichter, wenn er sich an große geschichtliche Stoffe wagt, wie „Hermann und FlaviuS" — hierin sind ihm Lingg und Geibrl überlegen. Wohl aber gelingt ihm oft eine originelle, au Bürger anklingrnde Ballade, wie „DeS Zöllners Tochter". Die winterliche Fahrt dieser Schlitten- lenore, die der Graf abhol», um sie auf den Kirchhof zu fahren^ hat rin meisterhafte- Eolorit. Wir greifen zur Probe zwei Strophen heran»: Und bald auf der Reise, A»S finsterer Höh', Umwirbt» sie leise Ein eisiger Schnee. Er bleibt ihr stocken In allen Locken Und schwillt daran: Sckönliebchen, wa» schaust du so mich an? Wie altert der Puder DaS Dämchen so jung! Ihr Köpfchen belud er Mit Flocken genug. Ein flinker Weber, Das Schneegestöber Umwebt galant Schönliebchrn mit Spitzen au» Brabant. Die „deutschen Gedenkblätter" durchwebt ein warmer patrio tischer Sinn, dir „Widmungen" enthalten Gelegentliche«, den Preis großer Künstler und Sänger; der beste ist da» Gedicht „Goethe", welche« zur Feier der Enthüllung seine» Denkmals in München gedichtet wurde. Der Stil der Goethe'schrn Hymne ist dann überraschend gut getroffen, z B.: Ihn zum Gefährten Wählt sich da- stille, Schicksalgeprüft« Einsame Herz, Gleichwie rin Sternbild Ueber der Irdischen Scheitel herausztrht, Allen et« Freund. Also erscheint er Mitten im Wirrsal Lebenden Augen, Tröstlich zu schaun. erwähnen wir die „Sinngedichte", in denen sich Greif gegen die Gedankenpoeten, gegen die hohlen Reimer, gegen die literarischen Todtschweiger und Falschmünzer wendet, vom Standpuncte eine- etwa» vereinsamten Poeten auS, welcher die Modedichter auf ihrem Triumphwagen vorüber raffeln hört, im stillen Genügen am eigenen Schaffen. Der zweite und dritte Band der Werke von Greif ent halten feine Dramen; Greif al- Dramatiker hat «S nicht über sporadische Erfolge hinau-gebracht, keine- seiner Stücke ist über alle oder die meisten deutschen Bühnen gegangen. Ein bekannter Spruch lautet: rlsu ne rSnssit quv le sucoös! Die« gilt namentlich von den Dramatikern. Ein Stück, da» großen Erfolg gehabt, nimmt eine Menge von Stücken in» Schlepptau, d,e sonst nie da- Licht der ProsceniumS- lampen erblickt haben würden, und die Kritik schlagt schon vorher den Tamtam. Dagegen giebt e« genug werthvolle Dramen, für welche die Brille der Regisseure nicht genug geputzt war; sie bleiben liegen, und wer nicht in der Saison zurechtkommt, der ist heutigen Tag« ein verlorener Mann: denn eine Nachlese abzuhalten, dazu fehlt e« an Zeit und der Nachdrang de» Neuen und Neuesten ist zu groß. Selten gelinat e» einem Poeten wie Grill parzer, nach jahrelanger Vergessenheit mit allen seinen Dramen wieder auSgegraben zu werden. Greif gehört zu den stillen Dramatikern, er ist der Bühne nicht ganz fremd; aber seine Muse erscheint nur hier und dort einmal auf den weltbedeutenden Brettern. Er theilt die» Loo» mit Hnnrich Kruse, mit dem er sich auch drei Mal in der Stvffwahl be gegnete: beide Dichter baden einen „Morino Fallen", einen „Neod" and einen ,Korfiz Ulfeld" geschrieben. Korfiz Ulfeld (1873) ist Martin Greif's erstes Drama; es zeigt bereits die Vorzüge seiner Charakteristik, seines knappen TonS, der für die Ausführung von Detailzügen sehr geeignet ist, aber eS feblt doch eine gewisse Größe der An schauung, welche den Helden auf ein höheres Piedestal erbebt, als die geschichtliche Chronik ihm zu errichten vermag. Und wenn die Handlung sich auch nicht so zersplittert wie in dem Kruse'scken Stück: „Der Verbannte", so ist sie doch nicht zu großen ergreifenden Situationen zusammengerafft. Korfiz Ulfeld ist der dänische Coriolan, der Gemahl einer dänischen Königs tochter, er hat einen hockstrebenden Sinn, der selbst vor der Krone nicht zurückschreckt. Wir sehen ihn im Vorspiel in Holland, wo er ein Schutz- und Trutzbündniß abschließt und wie ein Fürst gefeiert wird; setzt man doch dort seiner Ge mahlin die Krone auf. DaS erbittert in Kopenhagen, be sonders die Königin ist seine ingrimmigste Feindin. Ulseld'S Ehrgeiz ist eS, den Majordomus zu spielen und als Haupt deS Adels diesen gegen die königliche Willkür zu schützen. Sein Freund, der Reichsrath Holger Wind, eilt ihm nach Kopenhagen voraus, er wird verhaftet und hingerichtet. Mit bitteren Worten reizt die Königin den Reich-Hofmeister, da beschließt er, sich zu den Schweden zu begeben, die zum Krieg gegen Dänemark rüsten. Vergeben- beschwören ihn die Gattin und die Kinder, in Dänemark zu bleiben; er will in- schwedische Lager und rückt mit den Schweden gegen Kopenhagen vor. Doch er wird von diesen selbst schlecht behandelt, sie schließen Frieden mit den Dänen. Den Unter händler Sehstedt, Ulseld'S unversöhnlichen Gegner, tödtet dessen Sohn Leo im Zweikampf und nimmt sich dann selbst da- Leben. Der ReichShofmeister flüchtet und endet später durch Selbstmord am Strand einer dänischen Insel. Nach der geschicht lichen Ueberlieferung ist er am Rhein gestorben. Doch darauf kommt e» nicht an; wichtiger ist, daß der Dramatiker vermöge seine« Recht» und seiner Pflicht der Abbreviatur die geschicht lichen Ereignisse vereinfachen, Vorgänge, die sich wiederholen, wie da» bei dem geschichtlichen Korfiz Ulfeld der Fall ist, in EinS zusammenfassen muß. Da bleiben zwei große Scenen übrig al» die Angelpunkte der Handlung: diejenige, wo der Reich-Hofmeister zu den Schweden übergeht, und die andere, wo er von ihnen vrrrathen wird. Beide sind nicht scharf genug herauSgearbeitet, sie verlieren sich zu sehr in einem Gedränge von Mitspielenden. Dagegen ist die Scene, in welcher Leonore, die stolze Gattin Ulseld'S, vor Gericht ge stellt wird, von markiger dramatischer Kraft; sie ist die beste deS Stückes. Martin Greif's „Nero" ist am Wiener Stadttheater gegeben worden, fast zu derselben Zeit, als Wilbrandt'S „Nero" am Burgtheater zur Aufführung kam. DaS Stadttheater wollte auch seinen Nero haben. Im Entwurf haben beide Tragödien eine gewisse Aehnlichkeit, wenigstens im dritten und vierten Act, wo es sich um den Tod der Agrippina und Poppaea bandelt. Doch die Darstellungsweise ist ganzentgegengesetzl: Wilbrandt'S Nero ist ein Ungeheuer, daS der Wahnsinn treibt, ein grotesk pathologischer Held, die ganze Atmosphäre dcS Stückes erzittert wie von nervöser Erregung. Bei Greii ist der Held anfangs so bürgerlich, so gefühlsschlicht, so sentimental, daß man schwer begreift, wie auf solchen, Boden so unerhörte Thaten keimen können. Die Genesis deS Wahnsinns ist nicht ausreichend motivirt. Späte, spricht sich die innere Zerrüttung Nero'- oft mit drama tischer Kraft auS: so in seinentgroßen Monolog an der Leiche seiner von ihm gemordeten Mutter Agrippina. Die Er mordung derselben hinter der Scene, so daß man ihre letzten Worte, ihren Todesschrei hört, hat etwa- Grelles; die Tödtung der Poppaea verlrert an dramatischer Bedeutung, da der Held sich dabei in einem unzurechnungsfähigen Zu stande befindet. Biele Charaktere, besonder» die genrebilt liehen, sind gut gezeichnet. Da gleitet indeß der Griffel des Dichter- bisweilen auS und sinkt zu trivialer Prosa hinab. Gerade da» Dämonische, da» für einen Helden wie Nero daS eigentliche Lebenselement ist, liegt unserem Dichter fern, wenn er auch einzelne Züge von tragischer Größe in die Handlung verwebt hat. Marino Fallen ist einer der beliebtesten Tragödien stoffe: Casimir Delavigne, Lord Byron, Albert Lindner, Heinrich Kruse, Murad Effendi haben ihn bebandelt: wir haben in einer dramaturgischen Parallele in „Unsere Zeit" die Verschiedenartigkeit der Behandlungsweise und d.r dichterischen Erfindung dargelegt. Martin Greif schließt sich diesen Dramatikern an, und zwar vorzugsweise jener Gruppe derselben, an deren Spitze Lord Byron steht, welche den geschichtlichen Verlauf der Hauptbandlung, die Beleidigung de» Dogen und seine ungestüme Selbsthilfe, al- Grundlage einer Haupt- und Staat-aenon benutzt. Nur hat Greif dem
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