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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961212019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896121201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896121201
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- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
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- Monat1896-12
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Na<bdr»ck verboten. vg Wenn sich die Meldung bestätigt, daß Rußland einen Küstcnstreisen am Rothen Meere »wischen der italienischen Coionie Erythräa und der französischen Besitzung Obok zur Errichtung einer Kohlenstation erworben habe, so ist diese Thatsache geeignet, auf die Wege und Ziele der russischen Politik ein Helles Licht zu werfen, besonders wenn man sie mit dem Umstande Zusammenhalt, daß Rußland erst vor kurzer Zeit von Frankreich das Recht zur Anlegung einer Kohlenstation in Biserta erhalten hat. Indem die russische Politik, immer in enger Verbindung mit Frankreich, sich am Mittelmeer und am Suezcanal eine feste Position sichert, ist ihr Augenmerk vor Allem auf die künftige Entwickelung der vstasiatischen Dinge gerichtet. Der Zweck ist einmal, den russischen Kriegsschiffen Stützpunkte für eine schnelle und sichere Fahrt in die vstasiatischen Gewässer zu verschaffen; sodann aber gilt es, gegebenenfalls einer englischen Flotte den Weg »ach dem Osten Asiens zu versperren ober zu erschweren. So ist in erster Linie England an der Festsetzung Rußlands in Nordafrika und Nordvstafrika iuleressirt. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß bei einem künftigen Kampfe um die Macht in Ostasien, England und Rußland in erster Linie sich als Gegner gegenüber stehen werden. Die neue Besitzung Rußlands erhält ihre eigentliche Be deutung dadurch, daß sie allem Anscheine nach nur als ein Stützpunkt für die weitere Festsetzung der franko - russischen Macht in Abessinien dienen soll. Vielleicht bat Rußland, wie verlautet, die Absicht, die italienische Eolonie zu erwerben; sicher ist, daß am Hofe deö Neguü der russische und französische Einfluß mächtig ist. So rücken Frankreich und Rußland, sei eS mittelbar, sei es unmittelbar, an die englische Interessen sphäre, an Suakin, den Hafen des egyptischen Sudans, heran und bedrohen Englands Stellung in Nordasrika ernst lich. Wenn der Wert» Egyptens für England zum guten Theil darin liegt, daß eS mit Egypten auch den Suezcanal und dadurch den Weg nach Indien beherrscht, so wird dieser Werth sehr verringert, wenn eine starke russisch französische Position am Südwestufer deö Canales diese Herrschaft beeinträchtigt. Freilich muß die Frage auf geworfen werden, ob Rußland gegebenen Falls auch im Stande ist, die Stationen, die es jetzt erwirbt, zu ver- wertben und zu besetzen. Rußlands Flotte setzt sich zur Zeit in der Hauptsache aus zehn Schlachtschiffen, zehn Panzer kreuzern erster Clafse und acht Kreuzern zweiter Ciasse zu sammen. Von dieser Flotte ist ein bestimmter Theil im Hin blick auf die orientalischen Verwickelungen auf dem Schwarzen Meere unentbehrlich. Auch die Station von Wladiwostock in Ostasien kann bei der gegenwärtigen Lage und den Zielen der russischen Politik unmöglich entblößt werden. So er übrigte, wenn Rußland die Stationen von Biserta und am Nolben Meere so besetzen will, daß sic im Kriegsfälle von Werth sind, nur die Verminderung der Bedeutung Libaus als Flottenstation. Libau ist aber gegenwärtig gerade die stärkste Station der russischen Flotte; entschließt sich also Rußland zu einer Verminderung der Stärke Lieser Station, so bedeutet dies ein besonders großes Vertraue» auf die Fortdauer der guten Beziehungen zu Deutschland; und in diesem Sinne würde eine Besetzung der Stationen von Biserta und am Rothen Meere auf Kosten von Libau für uns ebenso erfreulich, als für England bedenklich sein. Siebt nun England durch den neuen Besitz Rußland seine Herrschaft über den Suezcanal gefährdet, so ist es doch die Frage, ob es dem Wege durch den Canal und damit auch ter Herrschaft über Egypten noch den alten Werth wird beilegen können. Es ist uns bekannt, daß schon vor etwa zwei Jahren in einem englischen Kriegsrathe die Mehrzahl ter Officiere sich dahin äußerte, der künftige Weg nach Indien werde nickt durch den Suezcanal, sondern um das Cap herum führen. Die größere Dauer der Fahrt, die dieser Weg allerdings er fordert, kann heute, wo die Kriegsschiffe von Jahr zu Jahr eine größere Schnelligkeit erreichen, nickt mehr sehr i»S Ge wicht fallen. Gegen den Suezcanal spricht aber neben der Gefahr ernstlicher Schwierigkeiten von Seilen Frankreichs und Rußlands auch der Umstand, daß die Fahrt großer Kriegs schiffe durch ihn keineswegs vor schweren Störungen^sicker- gestellt ist. Die Tiefenverbältnisse des CanalS, die an manchen Stellen für große Kriegsschiffe zum AuSweicken nicht sehr bequeme Breite, machen eine zeitweise Unterbrechung der Fahrt zu einer leicht eintretentcn Möglichkeit. Im Jahre 1892 stiegen die Auflaufungew bei 3198 passirenden Schissen auf 416 mit 21 643 Stunden Verzögerung. Von ähnlichen Gefahren ist der Weg ums Cap frei. Er bietet ferner den Vortheil, daß England hier bei einer alten und befestigten englischen Colonie einen zuverlässigen Stützpnnct fluten würde, von dem es in absehbarer Zeit kaum anzuuehmen ist, baß irgend eine Macht ihn England streitig wackle. So kann die Festsetzung der Russen in Afrika leicht dazu führen, daß England in Rücksicht auf seine Stellung in Asien sein Augenmerk in höherem Grade, als bisher, auf Süd afrika anstatt auf Egypten und den Suezcanal richtet. Hierdurch aber werden auch Deutschlands Interessen be rührt. Schon jetzt macht sich für die friedliche Entwickelung unserer Colonialpolitik das unruhige und aggressive britische Element in Südafrika vielfach störend bemerkbar. Wird die Capcolonie, die große Station auf dem Wege nach Indien — und sie ist dann, wenn nicht der einzige, so doch weitaus der wichtigste Stützpnnct auf dieser Noule —, so muß Eng land natnrgemäß den größten Eifer daran setzen, seine Macht in Südafrika zu festigen und zu erweitern, sowie Südafrika in eine möglichst enge Verbindung mit dem britischen Mutter lande zu bringen. Es muß dahingestellt bleiben, in wieweit derartige Gesichtspuncte bei der eigenartigen Wirksamkeit des Herrn Rhodes und seiner Genossen, sowie bei der föderalistischen Politik Mr. Cbamberlain's im Spiele sind; jedenfalls haben wir auch von dieser Seite her alle Veranlassung, die südafrikanischen Angelegenheiten mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Im Uebrigen hat das deutsche Reich kaum eine Ver anlassung, die russische Besitzergreifung am Rothen Meer mit Besorgniß zu betrachten. Vielmehr können wir es, wie bereits hervorgeboben wurde, nur als eine Bürgschaft des Friedens anseben, daß Rußland überseeische Stationen er wirbt, die es nur unter Verminderung seiner gegen Deutsch land bereitgestellten Seemacht besetzen kann. Auch das gemeinsame Vorgehen Rußlands und Frankreichs in Afrika wird uns eher mit Befriedigung, als mit Sorge erfüllen. Wenn sich die Mächte des Zwcibundes in Afrika sestsetzen, um England auf den Leib zu rücken und sich den Seeweg nach Ostindien zu sichern, so ist um so weniger Gefahr vor handen, daß Frankreich oder Rußland geneigt sein könnten, sich in Europa auf kriegerische Unternehmungen einzulassen. Deutsches Reich. O.II. Berlin, lk. December. Soeben ist die am 30. November l897 abgeschlossene im Marine-Cabinct redi- girte Rangliste der kaiserlichen deutschen Marine für das Jahr 1897 erschienen. Die deutsche Marine zählt 15 Flaggofflciere, und zwar 2 Admirale (v. Knorr, Hollmann) 3 Viceabmirale (Koester, Karcher, Thomsen) und 10 Contre- admirale. Capilains zur See giebt es 43, Corvetten-Capilains 78. Panzerschiffe hat die deutsche Marine 21 und zwar 5 I. Classe („Kurfürst Friedrich Wilhelm", „Brandenburg", „Weißen burg", „Wörth" und „Kaiser Friedrich III"). Letzterer Panzer ist der größte; während die erstgenannten 4 ein Deplacement von je 10 033 Tonnen haben, bat „Kaiser Friedrich III." ein solches von 11081; er ist somit das größte Schiff, das die deutsche Marine je besessen. Der Besatzungsetat, der bei den anderen Panzern I. Classe je 556 Mann beträgt, soll bei „Kaiser Friedrich III." 655 betragen. ES folgen 3 Panzer II. Classe („Köni^ Wilhelm", „Kaiser" und „Deutschland"), 5 Panzer III. Classe („Baden", „Bayern", „Sachsen", „Württemberg", „Oldenburg") und 8 solcher IV. Classe („Siegfried", „Beowuls", „Frilhjof", „Hildebrand", „Heim dall", „Hagen", „Odin" und „Aegir"); Panzer-Kanonenbovlc hat die deutsche Marine 13. Tie KreuzerPolte ist 18 Schiss: stark, und zwar hat die Marine 3 Kreuzer II. Classe („Kaiserin Augusta", „Irene" und „Prinzeß Wilhelm"), 7 solcher III. Classe („Gefion", „Arcona", „Alexandrine", „Olga", „Marie", „Sophie" und „Freya") und 8 solche IV. Classe. Kanonenboote giebt cs seit rem am 23. Juli 1896 erfolgten Untergang des „Iltis" nur noch 3 („Habicht", „Wolf" und „Hyäne"); Avisos hat die deutsche Marine 10, Schulschiffe 14 (darunter ganz unbedeutende Schiffe, wie „Hay" und „Otter" mit einem Besatzungsetat von 40 bis 43 Mann). Sckiffe zu besonderen Zwecken giebt es 12; hierunter befindet sich auch die kaiserliche Uacht „Hohenzollern". — S. M. S. „Condor", dessen Unterstützung der deutsche Consul Graf Pfeil in Lourenzo Marqncz erbeten hat, ist einer der 8 Kreuzer IV. Classe, von denen sich nicht weniger als 5 auf den außereuropäischen Stationen befinden. „Condor" hat ein Deplacement von 1640 Tonnen, 160 Mann an Bord und 2800 indicirte Pferdekräfte. Commandant ist der Cvrvetten - Capitain Meyer, erster Officier Capitain lieutenant Mauve; die Lieutenants LindeS, Grupe, Roscnsloct von Rboeucck und der Unterlieutenant zur See Mommsen vervollständigen das Officicrcorps. Die Maschinen sind dem Maschinen-Unter-Ingenieur Ossenberg unterstellt. Mit „Condor" zusammen befindet sich der Kreuzer IV. Classe „Seeadler" auf der oslafrikanischen Station. „Concor" ist am 2. October" 1894 in Kiel in Dienst gestellt worden und passirte am 19. October 1891 auf der Ausreise die Linie Dover-Calais. K Berlin, 11. December. Das „Volk" bringt in seiner letzten Ausgabe einen Leitartikel, überschrieben „Zum I I. De- cember". Ebe er näher zusieht, besinnt sich der Leser, der auch seine deutsche und Weltgeschichte inne zu haben glaubt, was sich an diesem Tage wohl Großes zugetragen haben mag. Er findet aber nichts, liest weiter und entdeckt zu seiner tiefen Beschämung eine klaffende Lücke in seinem historischen Wissen: der 1l. December ist der Geburtstag des Herrn Hof- predigerS a. D. Stöcker. „Nun lasset die Glocken von Thurm zu Thurm u. s. w." Auf diesen Ton sind der Artikel und zwei lange, im Uebrigen herzbrechend schlechte Gedichte, die daS gleiche Ereigniß verherrlichen, gestimmt. Herr Stöcker gilt nicht für eitel, eS mag ihm aber doch wohlthun, nicht allein vom „Kladderadatsch" be sungen zu werden. Außer den flatternden Blumen seiner Poesie bringt das „Volk" aber auch greifbare Früchte zum Ehrentage seines Patrons. Es theilt nämlich mit, „daß nach allem menschlichen Ermessen die demnächst stattfindenbe zweite Verhandlung des Processcs (Stöcker-Witte) ein ganz anderes Gesicht zeigen wird, als die erste". Es ist nämlich „Herrn Hofprediger Stöcker gelungen, in seinen Acten eine Fsnilleton. Tischgtselligkeil in England. Von Elise Bake (Northwich). lNaibtruck verboten.) Die Engländer sind in den letzten Jahren weit „euro päischer" geworden als früher. Ihre insulare Abgeschlossen heit hat einem regen Verkehr mit dem Continent Platz gemacht und ihre Toleranz gesteigert; und wenn sie auck viele ihrer Eigcntbümlichkriien beibehalten baden, so kommt einem dock — wenn man unter ihnen lebt — ihre ganze Lebensweise, ihre Art, sich zu geben, so selbstverständlich und natürlich vor, daß eS schwer ist, eine specielle, von unserer eigenen Lebensweise völlig abweichende Sitte herauözugreifcn und als National-Eigenthümlickkeit hinzustellen. Ein Tbema jedoch giebt es, über das wir Deutsche, ohne vorurtheilSvoll zu erscheinen, unserer Beredtsamkeit freien Lauf lasten dürfen — das ist die englische Küche und die Art, wie die Tischgeselligkeit in England in die Er scheinung tritt. „Sage mir, mit wem Du umgehst, und ick will Dir sagen, was Du zu essen bekommst I" Da» trifft buchstäblich zu. In einer Pfarrers-, Toctor-, Fabrikanten- oder Beamten familie z. B. muß man sich gefaßt machen auf boek und nochmal» beek und abermals dem. Erst gebraten, dann am Montag kalt, am Dienstag gehackt, am Mittwoch mit picklos, aber unweigerlich jedeSmal mit ungesalzenem, in Wasser abpekochtem Gemüse und etwa- barten Kartoffeln. Es ist möglich, daß dann am Freitag ein Seefisch oder rin Kaninchen auf der Tafel erscheint, und eS mag auch wohl mutton-cdops (Hammelrippen) und Reis mit „currzc" — einem scharfen, indischen, sensartigen Pulver — gebe». Aber dem brüh heißen Pudding, auS grauer Kruste und Aepfeln bestehend, oder der „rart" — in der Johannis- oder Stachelbeeren, mit Teig bedeckt und gebacken, enthalten sind, — oder dem Reispudding entrinnt man nicht; ebenso wenig wie der Schöpekcule deS Abend» und dem harten gebratenen Speck des Morgen« zum Frühstück. Jener Heidelberger Student, der sick genügsam dahin aussprach, „daß er zwar gar nicht« auf« Essen gebe — aber gut müsse e« fein", — würde seine Rechnung in einem Hause de« höheren Mittelstände« nicht finden. Der Grund ist ein fach der, daß die Herrin des Hauses niemals zu kocken ver steht. Kleine Delikatessen, deren Werth in der sorgsamen Zubereitung besteht, giebt e« daher hier gar nicht, sondern alle- wird en mässe, wässerig und ungewürzt, von einer Köchin zweiten und dritten Range« zubrreitet. Ein Rebbubn oder Fasan z. B. wird an den sick durch einen einfachen Mechanismus selbstdrehrnden Spieß vor« Feuer gehängt, ungespickt, unge alzen, ungebuttert — nun röste dul — ES bleibt meisten« stemhart, wird mit ein bischen Wasserbrühe fervirt, uud kann Mir mit Aufbietung aller Kräfte vom Hau«hrrr» tranchirt werden. Man giebt dazu «ine weiße Brodsauce und geröstete Brodkrumen, und das Ganze schmeckt — nach gar nickt». Nein, da sind wir Wilden doch bessere Menschen. Ge flügel verstehen wir besser zu braten und Fisch besser zu sieden und Gemüse besser zu kocken; — aber wohlgemerkt, daS gilt nur, soweit die bürgerliche Kücbe in Frage kommt. In den reichen Häusern der Aristokratie giebt es nicht nur treffliche Köchinnen, sondern man servirt hier die Gerichte auch in einer Weise, die das Tafeln wirklich zur Tafel freu de macht. Es ist da- ganze Arrangement, der seine Geschmack, der jedem Sinne gerecht wird, die den Reiz einer englischen Mahlzeit ausmachen. Alles ist ruhig, harmonisch, festlich. Ein gutes Kückenpersonal, eine wohlgesckulte, kleine Truppe von 2—3 Dienern zum Serviren sind freilich dazu unum gänglich notbwendig; die Dame des Hauses, der leitende «Ltern der Tafel, darf der Bewirthung selbst keinen Gedanken schenken, sondern ihr und ihres Mannes Amt ist es aus schließlich, die Gäste, resp. sich gegenseitig selbst zu unter- balten; Hausherr und Hausfrau betrachten sich selbst als Gäste, die Dienerschaft als verantwortliche Regie und damit sichern sie sich den ungeschmälerten Genuß ihrer Mahl zeiten. Beim Frühstück jedoch, dieser ungezwungensten aller Familienversammlungen, ist eS Sitte, sich selbst zu bedienen; man steht vom Tische auf, um am siäcdvnrä, wo silberne, verdeckte Schüsseln steben, seine Wabl zu treffen: — gebackene Seezunge, gebratene Nieren oder Champignon», Eier, Schinken, Zunge — e« ist kein Mangel an Auswahl. Die Herrin deS Hauses hat eine Kaffee- und Thee-Equipage vor sich stehen, und schenkt ein; warme Toasts, frische Brunnenkresse und eingemachtes Obst, das man auf» Brod streicht und ,,.jam" nennt, nehmen die Mitte der Tafel ein. Ein zweite- Frühstück wird in England nicht eingenommen, dafür bringt man dem zwischen 1 und 2 Uhr statlfindenden luuclieoa um so aufrichtigeres Interesse entgegen; — diesmal haben sowohl Hausherr als Hausfrau je eine warme Fleisch speise vor sich stehen, und die Gäste werden von ihnen ge fragt, waS sie zu haben wünschen. Die Diener tragen die Teller herum, und bringen die Mehlspeisen herein, die sie gleichfalls vor ihrer Herrschaft niedersetzen; aber Butter und Käse werden in jedem feinen Hanse von den Kindern servirt, fall« e» welche giebt; und man kann sich nickt» Nettere« denken, al- diese sick mit ruhiger Sicherheit und großer Höflichkeit um die Tafel bewegenden kleinen Jungen und großen Mädchen, wie sie mit geräuschloser Ruhe aus stehen, die Teller Wegbeben und den Nachtisch heruinrcicken. Eine erfrischende Zugabe zu Butter und Käse, die auch in Deutschland nicht unbekannt ist, bestebt au» den in hohen Erdtämmen gezogenen Stengeln der Sellerie. Sic sind dem Spargel ähnlich, weiß und fest und von würzigem Wohl geschmack, werden in die Hand genommen und ungekocht, höchsten« mit etwa« Salz gegessen. DaS lunckeon ist eine büchst ungezwungene, nebensächlich bebandelte Mahlzeit. Die Gäste weiblichen Geschlechts be halten dabei ihre Hüte auf, und die Herren stellen sich oft im Jagdanzug, mit nägelbcschlagenen Schuhen und Gamaschen dazu ein. Um so feierlicher, förmlicher und wichtiger wird das ckinnsr behandelt, das selten vor 8 Ul>r stattsindet und zu dem die sorgfältigste Toilette strenge Vorschrift ist. Eine halbe Stunde vor Beginn wird die sogenannte ..llressiuS-boll" geläutet oder der Gong geschlagen, und Alles flüchtet in sein Zimmer, um das wichtige Geschäft des Ankleidens zu beginnen. Das HanS liegt in Schweigen versunken, bis sick das ckrawing-room mit den Familien gliedern und im Hause wobnenden Gästen füllt; alle sind wie zu einem Feste geschmückt: die Damen in Seide und Spitzen, mit frischen Blumen und Diamanten, die Herren im schwarzen GesellschaftSanzug oder im rothen Jagecostüm, falls eS Jagdzeit ist. Nie aber siebt man Officiers- uniformen — das Militair erscheint stets in Civilkleidung. Auch wenn keine Gäste da sind, erscheinen Hausherr und Hausfrau im GesellschaftSanzug. Dann meldet der Butler, daß angerichtet sei, und man begiebt sich Arm in Arm inS Speisezimmer. Warmes, farbiges, gedämpftes Lickt empfängt uns. Die Tafel blitzt von Silber und geschmackvoll arrangirten Blumen — die Sitze sind bequem, der Raum reichlich. Die Unterhaltung wird nie sehr laut geführt und bewegt sick, solange die Diener die Suppe berumreicken, oder am Nebentisch den Braten tranchiren, in Allgemein heiten. Gegenwärtig bietet daS Zweirad das unerschöpfliche Thema. Die Frage: „Fahren Sie Bicycle?" ist heute noch unvermeidlicher, als früher die geistvollen Bemerkungen über das Wetter. Je nach der Zusammensetzung der Gäste kommen natürlich auck Literatur, Musik oder Malerei daran, aber da» Bicycle ist und bleibt augenblicklich die piöco äs rcsistancs der Unterhaltung; denn wer hätte eS hier nicht wenigstens versucht? Tiefergehende Fragen werden bei Tische entweder gar nicht berührt, oder nur oberflächlich behandelt; und da» scheint mir einer der Vorzüge der englischen Tisch gewohnheiten zn seins ES geht Alles so vollkommen natürlich zu, man braucht sich nickt mit Unterhaltung anzustrengen, und hat doch Ge legenheit, öfter« herzlich zu lacken. Eine gute, kurze Anekdote, eine Scherzfrage macken Wohl gelegentlich die Runde um den Tisch, aber nie wird einem Einzelnen da» Monopol der Unterhaltung ertheilt. Dagegen wird bei größeren Diner« di» Rangordnung aufs Strengste festgehalten. Ich erinnere mich eine- Falles, wo Ladtz B., eine junge, scköne Frau wäbrenk dreier Jahre in zeder Gesellschaft, die sie gab, denselben Tischnachbar, einen alten, einsilbigen, langweiligen Earl, wählen mußte — oder in dessen eigenem Hause von iSm gewählt wurde. Sie und er waren dem Range nach die Höchsten unter den Anwesenden, und mußten deshalb unweigerlich zusammen zu Tisch gehen. „Könnten wir nur streiken!" teuszte Lady B. öfters, „wir wissen wahrhaftig nickt mehr, was wir einander sagen sollen." Aber sie streiklrn doch nickt, sondern unterhielten sich schließ- lick sogar von — PreiSocvsen, die ihnen al« GroßgutSbcsitzern allen beiden Interesse einflüßten. Nachdem Suppe, Fisch, Geflügel, Zwischengerichte und Mehlspeisen servirt sind, setzen die Diener vor Jedermann ein wassergefllllteö Glasbecken, das auf dem mit einem gestickten Tuch bedeckten Dessertteller steht; dann verschwinden sie, und die Rede der Tafelnden fließt freier. Obst, candirte Früchte oder Bonbons macken die Runde, und die Wasserbecken sind zum Schluß sehr willkommen, um die Fingerspitzen flüchtig hineinzutauchen. Dann giebt die Dame des HauseS, die mit den Augen vorher die Höchste im Rang zu verständigen gesucht bat, das Zeichen zum Aufbruch. Der jüngste Herr der Gesellschaft springt auf und hält die Thür offen, und die Herren bleiben im Speisezimmer zurück, während sich die Damen in das ciraviug-room begeben. Hier ist alle» kühl, frisch, von Blumen durchduftet, von beschatteten Lampen erleuchtet» von prasselndem Feuer im Kamin belebt. Man geht beinahe instinctiv an» Feuer, und durchlebt „unter sich" eine halbe Stunde anständiger Lange weile, während deren der Kaffee servirt wird. Tann kommen die Herren, die noch beim Weine gesessen haben, ins äi-nniug-room. Und hier möchte ich einschalten, daß während eines englischen ckiuner kein Mensch mehr als eine Sorte Wein trinkt, sei eS nun Claret, Champagner oder Rheinwein. Erst nachdem die Damen das Eßzimmer verlassen haben, bietet der Hausherr seinen Gästen den in einer Karaffe vor ihm stehenden Portwein oder Sherry an; und es ist bekannt, daß der gebildete Engländer überhaupt ein äußerst mäßiger Trinker ist. Neues Leben strömt in die Damenwelt, besonders die jüngere, sobald die Herren erscheinen. Die Hausfrau fordert eine oder die andere auf, „tc> givs us soms wumc", und meist ist e» schöne, trefflich auögesübrte Musik, die man zu hören bekommt; denn die vornehmen Engländerinnen — selten die Männer, spielen dank dem vorzüglichen Unterrichte, den sie erschwingen können, im Großen und Ganzen besser als wir Deutsche, und haben sich auch der Violine und deS Cellos vielfach bemächtigt. Für die Unmusikalischen giebt eS je nach dem im Hause herrschenden Gesckmack Whist oder Billard, Einer oder der Andere greift auch unbehelligt ein Buch auf, um darin zu blättern, und die älteren Damen verschmähen eS selten, eine wollene Strickarbeit in der Hand zu halten. Die Jüngeren widmen sich mit Vorliebe einem kleinen Flirt. Gegen halb oder um elf Uhr werden die Wagen der Gäste gemeldet, und die Hausbewohner wenden sich den Tischen in der Halle zu, auf denen in langer Reihe blitzende, tcllerartigc Leuchter stehen, die der Hausherr anzünvet und vertheilt. „Oonä nigkt, — Hnock nigsitl" Ein allgemeines Lackeln und Händeschütteln, die graziösen Gestalten schweben in ihren langen Schleppen, den Leuchter in der Hand haltend, die teppichbelegte Eichrnbolztreppc hin auf. Die Diener löschen die Lampen und leaen die Kette vor die HauSthür; und daS Hau« versinkt in Schweigen.
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