Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961217019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896121701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896121701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-17
- Monat1896-12
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS 1» d« Haaptexpeditioii oder den im Stabt- beeirk und d«l Vororten errichteten Äo«- —. Direkt» täglich« Kreuzbanbünbung in« Auslanh: monatlich ^l 7.L0. Di* Morgen-Au-gab« erscheint um '/,7 Uhr. die Ibevd-Au-gabe Wochentag» um L Udr. Redaktion «ad Lnedttio«: -Byanaeoiaffe S. DieSzpedMon ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Otts »le««'« Gortt«. (Alkretz Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, hart, und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe. MWiM TaMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPret- die ssgespaltene Petitzeile 20 Pfg. Aetla«»« mtt« dem«,dac»ioo«-rtch (4g- spalten) 50^, »or den Fmnllteanachrichmi (g gehalten) 40 tbrvßer, Schriften laut unserem Preis- verzelchniß. Tadellarischer und Mernietz aach -S-erem Lacks. iHtri'vrilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne lposlbesörderung o0—, mit PostbeförderuNg -St 70.—. —- Änaahmeschluß ftr I«)ei-ea: Abend-Ausaab«: Borinlttag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen uud Annahmestellen je ein» halbe Stund« früher. Anzeiien sind stet» aa die Expedition zu richten. —- Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. AO. Donnerstag den 17. December 1896. »SSSSSSSSSSSr^SSMISMSSSSSS—s-s——««SS! so. Jahrgang: Das Scheitern der Iusthnovelle im Reichstage. L? Nach Plenarberathungen in drei aufeinanderfolgenden Ämtern, nach Commission-arbeiten zweier Jahre, nach .oiederholten Umarbeitungen durch Regierung und (Kommission, nach zwölstägiger Berathuna in zweiter Lesung ist die Justiz novelle, die die lange geforderte Berufung und die Ent schädigung unschuldig Berurtheilter dem Bolke geben sollte, bei der ersten Abstimmung in der dritten Lesung zu Falle gekommen. Ein so eigenthümlickes Geschick ist wohl kaum Sinais einer großen Gesetzesvorlage zu Theil geworden. Wir haben gesagt, daß die Novelle dem Volke die Be rufung in Strafsachen und die Entschädigung ter unschuldig ^erurtbeilten bringau sollte, und wohl im Hinblicke daraus bat der Vertreter der Regierung kurz vor der entscheidenden Abstimmung bervorgcboben, wie tief gerade diese Vorlage die Gemülher bewegt. Ist diese Meinung richtig, so ist die Ab lehnung der Vorlage für die Regierung ganz besonders un- angenebm. Denn sie hqt das Scheitern der Vorlage bei einem Puncte veranlaßt, wo sie es auS taktischen Gründen nicht bätle tbun sollen. Denn das Schiller'sche Wort in dem berühmten Monologe Wallenstein'-, wie tief in dem Menschen hie Gewohnheit festgewurzelt ist und wie er an dem Bestehenden scsthält, ist heule noch eine Wahrheit, wie sie es vor hundert fahren gewesen ist. Deshalb durste die Negierung nicht bei einer Bestimmung die Vorlage fallen lassen, die den, be stehenden Gesetze entsprach. Die Majorität deS Reichstage- batte gegenüber der Negierung in der Volksmeinung den Portheil voraus, daß sie darauf Hinweisen kann, sie habe baS bestehcnre Gesetz in Geltung lassen wollen. Denn ras seit siebzehn Jahren in Kraft befindliche Gesetz schreibt die Besetzung der Strafkammern mit 5 Richtern vor. Wir beben hervor, daß wir selbst nicht auf dem Standpunkte der .'«otbwendigkeit des 5, Männercollegiums stehen, aber wir meinen, daß die Negierung nicht nm dieses einen Punktes willen die Vorlage hätte scheitern lassem sollen. Sie befand sich in einer viel günstigeren Position, wenn sie bei dem Beschlüsse des Reichstages, den Zeugnißzwang für Redakteure rc. zu beseitigen, — vorausgesetzt, daß dieser Beschluß auch in ber dritten Lesung ansreck't erhalten worden wäre — die Borlage für unannehmbar erklärt hätte. Denn in diesem Punkte wollte der Reichstag das bestehende Gesetz ändern und wollte etwas in die Vorlage hineinbringen, was keines wegs nothwendig hinein gehörte. Und hier hätte die Regierung den Vsrtheil gehabt, darauf Hinweisen zu können, daß der Reichstag, um ein nicht ohne weiteres wünsckenSwerthes Privileg für einen einzelnen Stand zu schaffen, Vortbeile in eie Sckanze schlug, die dem Volke in seiner Gesammtbeit zu teilte kommen sollten. Indessen nicht die Frage ist die wichtigste, ob die Ne uerung oder den Reichstag ein größeres Maß von Verschulden infft, und ob die Regierung taktisch hätte geschickter verfahren lönncn, sondern die Frage, ob mit der Vorlage die Berufung in Strafsachen und die Entschädigung der unschuldig Ver- urtheilten für immer begraben sind. Der Abg. Rintelen nabm das an, und er sprach wohl damit im Sinne der Re gierung; will aber die Regierung weder selbst diese In stitutionen in der Zukunft einfuhren, noch auch einem Initiativ gesetze des Reichstages ihre Zustimmung geben, so war das schon erwähnte Wort deS StaatSsecretairS Nieberdina, daS Polk sähe mit tiefer Bewegung dem Schicksale der Vorlage entgegen, ganz gewiß vom Standpunkte der Regierung auS nicht sehr gut angebracht. Denn daS Volk wird doch nicht elwa durch die Frage, ob 3 oder 5 Richter die Straf kammer besetzen sollen, in irgend welche Bewegung und Erregung versetzt, sondern durch die principielle ,frage der Einführung der Berufung. Und ist es wahr, was durch die eigenen Worte deS Regierung-Vertreter- bestätigt wird, so wird über kurz oder lang die Berufung koch emgefübrt werben müssen. Der berühmte StaatSrechtS- lchrer Binding hat einmal sehr zutreffend gesagt, daß die Gesetze nicht erstarren dürften, daß der Gesetzgeber vielmehr in der Volksseele lesen, und wenn möglich, dem VolkS- cmpfiuden vorausgehen und ein Haus bauen müsse, in dem r« sich wohnlich fühlen könnte. Zum Mindesten aber muß der Gesetzgeber dem VolkSempfinden nachfolgen, denn wenn die Gesetze und ganz besonders die Strafgesetze bauernd nicht im Einklänge mit dem Empfinden des Volkes stehen, so leidet das StaatSganze empfindlicher darunter als der Einzelne. Sache der SraatSregirrung aber ist eS, mehr nach dem Woble de» StaatSganzen zu seben, alS nack den, wenn auch juristisch vielleicht zutreffenden, Meinungen der höchsten Justiz behörden oder gar nach den in den Fragen der Rechtspflege gewiß nicht maßgeblichen Wünschen eines Finanzministers. Für den also, brr die Berufung für erstrebenswert!) hält, mag die Verzögerung der Erfüllung dieses Wunsche- bedauer lich sein, aber er kann sicher sein, daß eS sich eben nur um eine Verzögerung handeln kann. Wenn diese Verzögerung vielleicht länger dauern wird, als es unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre, so wird das in der starken Beschäf tigung der Regierung wie des Parlaments mit juristischen Aufgaben biS zur Einführung de- bürgerlichen Gesetzbücher im Jahre 1900 einen genügenden und berechtigten Grund haben. Dann aber wird ein neues Gesetz, daS den vielfachen Mängeln deS gegenwärtigen Proceßoerfahrens abhilft, kommen, weil eS kommen muß. Wir wollen nur wünschen, daß eS sich dann nicht wie diesmal, abgesehen von der Frage der Berufung, um allerlei Flickwerk handeln möge, sondern daß an den Hauptfehler des gegenwärtigen Zustande- heran gegangen wird. Denn nicht da- ist die Hauptsache, wie viele Richter die Schöffengerichte, Strafkammern oder Schwur gerichte bilden, sondern wer die Strafgerichte bildet. Und wenn dann diese Frage angefaßt wird, wenn das Laien element in richtiger Weise zur Strafrecht-pflege derangezogen wird, wer weiß, ob man sich nicht dann nachträglich dessen getrosten wird, daß beute die Justiznovelle gescheitert und damit manch' sauere Arbeit umsonst geleistet worden ist. Deutsches Reich. * Leipzig, kV. December. DaS vernichtende Urtbeil, daS der socialdemokratische Parteitag über da» socialdemokratiscke Wochenblatt „Neue Welt" fällte, hat die Wirkung ge habt, daß die mit dem „Vorwärts" verbundene „Buch handlung Vorwärts" zur Herausgabe eines Concurrcnz- organS gegen die „Neue Welt" sich entschlossen bat. Dieses Concurrenzorgan, das ohne Zweifel im Sinne Liebkneckt's, d. h. im Gegensätze zu den Leipziger „Genossen" Steiger und Schönlank, redigirt werden wird, führt den Titel „In freien Stunden. Eine Wochenschrift. Romane und Er zählungen für da- arbeitende Volt." Q Berlin, 16. December. DaS alte preußische Thema von der Bevorzugung des Adels im Staatsdienst ist eben wieder angeschlagen worden und zwar nicht auf radikaler Seite, sondern von einem gemäßigt-liberalen Blatte. Mit gutem Grunde. Denn eS liegen Ziffern vor, die nicht etwa nur daS bisherige — anfechtbare — Verbältniß der Zabl der bürgerlichen zu den adeligen StaatSdienern bei behalten zeigen, sondern eine neuerliche kolossale Verschiebung zu Gunsten des Adels seststellen. Wie schon mitgetbeilt, bat man in Preußen seit Ende 1893 103 Landratbsämter mit 71 Adeligen und 32 Bürgerlichen besetzt. Dabei entfallen auf den Adel 69 Procent, während von den RegierungSaffessoren, die ihrer Mehrzahl nach Eandidaten für da» LandralbSamt sind, um gekehrt die Bürgerlichen 69 Procent ausmachen. Dies Mißverhältnis ist natürlich kein zufällige-. Da- Bemerkens wertheste an ihm ist, daß e- zu einer Zeit entstanden ist, wo man auch bei der nachsichtigsten Beurtheilung der ostelbischen Azraragitation nicht den Eindruck gewinnen konnte, der Adel sei eine besonder- zuverlässige Stütze deS monarchi schen Staate-. Von dem Munde und auS der Feber gerade von Adeligen sind in den letzten Jahren Drohungen gegen die Krone geflossen, weil diese nicht genau so verfuhr, wie die extreme Agrarpartei wollte. Es hat dem Abel nicht daS Mindeste geschadet, daß er „schrie, wie die Socialdemokratie", nnv daß die wenigen StandeSgenvssen, die sich der Politik der Regierung des Kaiser- nicht widersetzten, politisch verfehmt und gesell schaftlich zum Mindesten nicht gut behandelt wurden. Ob daraus der Schluß gezogen worden ist, baß eS mit der Miß billigung der adeligen Demagogie nicht allzu ernst gemeint gewesen sei, können wir nicht wissen; daS Verhalten der ostelbischen Conservativen bis in die jüngste Vergangen heit hinein legt diese Annahme jedenfalls nahe. Die ungeheuere Bevorzugung deS Adel- mag diesem an- aenehm sein, schmeichelhaft ist sie für ihn nicht. Denn ta Niemand den Muth der Behauptung haben wird, das bürger liche Element stände moralisch und intellektuell hinter dem Abel zurück, so bleibt als Beweggrund für die starke Berück sichtigung des Letzteren nur der Wunsch erfindlich, seine Mit glieder zu verso r gen. Mit dem Wesen deS modernen Staates aber ist die Wahl seiner Diener unter diesem Gesichtspunkt unverträglich. AlS Domäne für eine BevölkerunzSclasse läßt sich heutzutage die Staatsverwaltung nickt mehr un gestraft ansehen. Und von einer solchen Domäne muß man reden, wenn man auS einer Aufstellung der „Voss. Ztg." ersieht, daß es in sämmtlicken Provinzen reckts der Elbe nur einen einzigen nichtadeligen Regierungspräsidenten giebt und daß von den 34 existirenden Regierungspräsidenten überhaupt 26 adelig sind. Bleibt die Provinz Hannover außer Betracht, so sind unter 28 Präsidenten nur 4 bürgerliche. Patriarchalisch muthet es an, daß allein in der Provinz Pommern der Oberpräsident, ein RegierungSvicepräsident, drei Landräthe und vier Landrätheverweser der Familie v. Putlkamer angeboren; es sind das mehr Puttkamer«, als eS bürgerliche Landräthe in der Provinz giebt. Daß eine solche Praxis übele politische Folgen nach sich ziehen muß, liegt auf der Hand. Da-Bürgerthum wird durch die zu Tage tretende Ungleichheit in eine Stimmung versetzt, die sicher viel mehr dem Radikalismus als den gemäßigten Richtungen zu Statten kommen dürfte, und der Socialdemokratie kann nichts will kommener sein, als ein Sckem der Berechtigung, den Staat als eine Familienangelegenheit von ein paar Hundert Ge schlechtern hinzusteUen. Es ist merkwürdig, wie gut man eS in dem Preußen unserer Tage versteht, künstlich Unzufriedenheit zu schaffen. Berlin, 16. December. DaS Centrum hat sich bereit gesunden, den Polen Gelegenheit für ihre Beschwerden im preußische" Abgeordnetenhause zu geben. Es hat eine Interpellation eingebracht, welche in der üblichen Form beginnt: ob es der Staat-regierung „bekannt" sei, daß in jüngster Zeit politische und andere Versammlungen in Oberschlesien au- dem Grunde aufgelöst worden seien, weil die VersammlungSredner sich nicht der deutschen Sprache bedünten. Weiter wird dann gefragt, ob diese Auslösung auf eine allgemeine Anordnung der Staatsbehörde beruhe, und zum Schluß in Fragesorm die Interpellation nach den kleri kalen Wünschen bereit- beantwortet: waS dieStaalSregierung zu tbun gedenke, um ähnlichen Vorkommnissen vorzubeugen? Diese Interpellation rollt die große und sckwierigeFrage desBereins- und VersammlungSrechtS in den gemischtsprachigen Provinzen überhaupt auf. Die Antwort der Regierung wird sich somit kaum auf die oberschlesischen Verhältnisse beschränken, sondern auf die Verhältnisse in Posen, West- und Ostpreußen in den Kreis der Betracklung ziehen müsse». WaS die rechtliche Seite der Interpellation anlangt, so ist der Gebrauch einer fremden Sprache an sich allerdings kein Auflösungsgrund. Darüber liegt eine oberverwaltungsaerichtliche Entscheidung vor. Damit ist aber die vorstehende Frage nock keineswegs beantwortet; der Schwerpunkt liegt in den Worten „politische und andere Versammlungen". Die Interpellation gleitet darüber hinweg, als ob die Frage, wann eS sich um eine anmeldung-pflichtige politische Versammlung handelt und wann nm eine nicht anmeldung-pflichtige un politische, für die gemischtsprachigen Distrikte ganz einfach zu beantworten sei. Seit den letzten Jahren, genauer gesagt seit 1890, sind die polnischen Vereine sozusagen aus der Erde geschossen, wie Pilze nach einem Sommerregen. Man hat allerortS Arbeiter-, Gesellen-, Jüngling--, Jungfrauen- und Bürgervereine, kaufmännische Vereine, Sokols begründet; dazu in zahlloser Menge angeblich rein kirchliche Vereine, und alle fallen dem Wortlaut ihrer Statuten nach nicht unter das Vereinsgesetz, weil sie angeblich nicht mit politischen Fragen sich beschäftigen. Wir greifen einen bestimmten Fall heraus: Ein „landwirtbschaftlicher" Verein begründet sich; der Gründer aber hat absolut nicht daS Mindeste mit der Land- wirtbschaft zu tbun, denn er ist Agitator und ZeitungSverlegcr und Redakteur, so lange diese letzere Thätigkeit keine unfrei- willigellnterbrechung erleidet. DerersteVorlragbeschäftigt sich niil dem Nutzen der Spinner, der zweite mit dem Schaden der Schnecken, der dritte mit der Gebächtnißfeier für den Dickter Mickiewicz, und die vierte Sitzung ist schon bei der Säcular- feier für KoSciuszko angelangt, wo dessen Bild auf einem roth- weiß drapirten Aufbau steht, rechts und links, wie auf den, Altar, brennende WackSkerzen; dementsprechend sind dann die Reden und Gesänge. Von Landwirthschast ist nichts mehr zu hören; es ist offene polnische Agitation. Und doch geht ein Gezeter nicht nur von MySlowitz bis Danzig durch die kleine polnische Hetzpresse, sondern auch bis an den Rhein in die „Köln. Bolksztg." hinein, wenn nun die Behörde kommt und eine solche Versammlung, zu der aus zehn Meilen in der Runde der ganze polnische Grundbesitz mit den Städtern zusammenströmt, mit Fug und Recht als politisch behandelt und sie auflösen muß, wenn sie nicht polizeilich angemeldet ist. Die hier gezeichnete Entwicklung ist typisch; ja eS kommt sogar vor, daß die Begründer solcher Vereine zu den OrtSbebörden geben, diese mit einem Loyalitätsphrasenschwall überschütten und gar noch — behördliche Förderung in Anspruch nehmen. Für diese Vereine und die eingestandenermaßen politischen Vereine kommt aber noch Folgendes in Betracht. Gewiß kommt eS mitunter vor, daß z. B. in öffentlicher Versamm lung direkt aufgeforten wird, die „deutschen Hunde", und wäre ein katholischer Pfarrer darunter, todt zu schlagen; diese Fälle sind aber selten. Die polnischen Ausfälle und Anreizungen, welche gehen die Existenz des preußischen Staates sich richten, sind gewöhnlich indirekt und vorsichtig gefaßt, jedenfalls aber außerordentlich schwer xvst kestum auf dem gesetzlichen Wege zu erreichen. Um aber sofort an Ort und Stelle die Gesetzwidrigkeit zu erkennen, ist eine Sprachsähigkeit noihwendig, die nur der geborene Pole hat, der deutsche Beamte aber nicht, vollends nicht der weniger gebildete polizeiliche Subalterne. Nun ist es notorisch, die Behörden in den Ostmarken haben Belege genug dafür, wie, hierauf fußend, die polnisch-nationale Agitation eine unerhörte Dreistig keit entwickelt und so bei jeder anscheinend und angeblich noch so harmlos^ - ^-legenheit der Versuch ^roßpolnischer Propaganda ge»naL. -oird. So ist der p'eutzsscke Staat, wenn er um seine Existenz sich pflichtgemäß kümmert, duiU> die polnische Agitation direct gezwungen, rr priori bei jeder Versammlung und Vereinigung, wo polnisch gesprochen wird, sich darauf gefaßt zu machen, daß seine Interessen dabei Stichblatt sind. Soll nun der preußische Staat, um der feindlichen Agitation, insbesondere in Oberschlesien, eine seine Existenz aufs Schwerste bedrohende Bewegungsfreiheit zu sichern, seine Beamten ru „perfekten" Polen, Wafferpolen oder Mähren werden lassen, oder kann er nicht vielmehr von allen Staatsangehörigen verlangen, wenn sie sich vor selbst verschuldeter, mißverständlicher Behandlung in solchen Fällen schützen wollen, daß sie sich der deutschen Landessprache be dienen, die ihnen in der Volksschule zum größten Theil aus Staatskosten beigebracht worden ist? V. Berlin, 16. December. (Telegramm.) Der Kaiser nahm gestern das Diner im Ofsicierscasino des Lebr-Jn- fanterie-Bataillons ein und verblieb den Abend über im Kreise deS OfsiciercorpS. Heute Vormittag hörte der Kaiser von 9 Uhr ab den Vortrag des stellvertretenden Chefs deS Ge beimen Civil-Cabinet- Geh. Ober-Regierunzs-Rathe- Scheller und empfing um 10 Uhr den Reichskanzler zum Vortrag Hieraus wurde der Gouvrrneur von Ostafrika Oberst Liebert zur Abmeldung empfangen. Um 12 Uhr empfing der Kaiser den Admiral ri la suite der Marine von Eisen decher und den Schiffsrheder Mr. Allan au- Glasgow. (Theilweise wiederholt.) D Berlin, 16. December. (Telegramm.) Dem Reichs tage ging ein Antrag v. Manteuffel-Backem zu, betreffend die Wiedereinbringung deS Margartnegesetze-. Der Antrag halt das vom Bundesrath beanstandete Färbeverbot aufrecht, sowie die Bestimmung der getrennten Verkaufsräume für Ortschaften über 5000 Einwohner. (-) vcrlin, 16. December. (Telegramm.) Das Herren haus wählte den Surfte» zu Salm- zum Präsidenten. Feuilleton. Clasfische Lensationsprocesse. Bon vr. S. Habermann. Nachdruck v«rb»ten. Dem schwarzen Buch der SensationSprocesie baben die jüngsten Ereignisse eine neue Seite angefügt. Welch ein Puch! AuS seinen Blättern steigen in langer Reih« unglück liche Schatten aus, blutige Schatten, Schatten mit den Spuren rvn Brandmalen, Schatten, die die Züge berühmter Personen tragen. Wa» in allen solchen Processen, und so auch in dem längsten, den Betrachter unmittelbar ergreift, da- ist da- Menschliche in ihnen: wie die Einen sündigen, die Anderen letrogen werden, wie Leichtsinn und Schlechtigkeit, brennende Liebe und finsterer Haß, Verblendung und Abgefeimtheit in ihnen zu einem Reigen sich verschlingen, der an gespenstig«« schrecken hinter den Scenen au« Dante'« „Inferno" nicht zurückbleibt, an Wahrheit sie übertrifft. Schlagen wir einige klassische Seiten diese« BuckeS auf, — nicht al» Recht-gelehrte oder gar Richter, sondern al« Menschen, die die Menschen leimen lernen wollen, von denen un« alte vergilbte Acten in ichnörkrlbafter Sprache und weitschweifigem Redeflüsse er zählen. E« ist der klassische BelrugSproceß, der klassische LtaatSproceß und der klassische Skandalproceß, von denen wir erzählen wollen. I. Vor den Schranke,: de« Parlament- von Frankreich steht brr Cardinal 'Lriüz von Rohan, Mitglied eine« der edelsten Häuser de« Lande-, Großalmosrnier und Pair von Frankreich, einer der elegantesten und liebenswürdigsten Cavaliere der Grafschaft, und Jeanne von La Motte, die sich rühmen durfte, ein, wenn auch entfernter Sproß de- erlauchten Hause- Valois zu sein. WaS die Anklageschrift von ihnen erzäblte, war so unglaublich, daß da« Parlament e« für die Ausgeburt einer fruchtbaren Phantasie halten mutzte, zumal da die Aussagen der beiden Angeklagten sich schnurstracks zuwidrrliefen. Fest stand nur, daß ein ungeheurer Betrug verübt, daß beim Juwelier Böbmer ein unermeßlich kostbare« DiamantrnbalSband unter Bürgschaft des Cardinal- im an geblichen Auftrage der Königin gekauft war, während die Königin der Sache völlig fern stand. Aber wer war Be trüger, wer Betrogener? War eS denn denkbar, daß der Cardinal in seiner Begier, die Gunst der Königin wieder zu erlangen, der La Motte einfach geglaubt baden sollte, sie sei die Vertraute und Vermittlerin der Fürstin, daß er in diesem Wabne ihr große Summen geopfert, auf die größten Fallen eingegangen sein, gefälschte» Briefen geglaubt, durch ein Schein-Reiidezvou« sich habe dupiren lassen und endlich da berühmte Halsband als den angeblichen Prei« der Gnade Marie Antoinette'- erworben bade. Nein, e« war nicht glaublich. Und die hübsche pikante Jeanne leugnete auch Alle«; sie war eine «»schickt« Person, keck und mundfertig und verstand sich der Gesetze zu bedienen. Sie — eine valoi- — sie, eine vornehme Dame, im Bunde mit untergeordneten Subjekten, einen solchen Betrug spinnen: nimmermebr! So hängt die ganze Anklage wie ein unfaßbare- Spinnen netz schwankend in der Luft. Da glückt der Polizei ein Fang, der da« Gewebe mit einen, Schlage vernichtet und faßbar macht. Ein Dämchen d'Oliva wird gefaßt, verliert gleich bei der Verhaftung alle Contenance und gesteht. Gesteht, sie sei von ter La Motte angestifter worden, bei einen» Rendezvous Roban gegenüber die Königin zu spielen. So ist denn der freche, der unwahr scheinliche Betrug erwiesen und die Ausgeburt der Phantasie scheint doch eine gewisse Wahrheit zu besitzen. Freilich, Dame La Motte leugnet immer nock: „Wie könnte ich jemals Rela tionen mit einem solchen Mädchen gehabt baben!" Aber schließlich merkt sie, daß daS Leugnen nur einen ungünstigen Eindruck macht und so giebt sie zu, die Scene im Garten von Versailles, wenn auch zu harmlosem Zwecke, arrangirt zu baben. Aber Fälschungen von Briefen mit Ihrer Majestät Namen, wie sie Rohan zahlreich empfing, hat sie keineswegs begangen oder veranlaßt, behauptet sie nach wie vor mit großer Entschiedenheit. Aber Jeanne bat wirklich Unglück. Wieder sehr, ü propo>» macht die Polizei einen neuen Fang. In Genf wird rin gewisser Reteaux de Bilette gefaßt: er hat die Unterschriften der Königin gefälscht, bat da« „Einverstanden" auf den Rand de« HalSband-Contract- gesetzt. Die La Motte ist außer sich vor Wuth; bald wein», bald schweigt sie. Plötzlich sieht sie einen Autweg: ein Zeuge, sagt sie, sei kein Zeuge gegen sie; pathetisch giebt sie ibn al- Verbrecher Prei»; „aber er soll nicht boffen, daß er, der Selbstmörder, die blutige Hand au« dem Busen ziehend, noch einen zweiten Tode-stotz seiner vor geschickten Eomplicin versetze." Sir macht eine neue Diversion: sie behauptet, der Cardinal und Capliestro hätte« zusammen da« Hal-band zerstückt. Aber der große Zauberer-Betrüger, der so viel auf dem Gewissen batte, — an dieser Spitzbüberei war er au-nabm-weise unschuldig und wie« e« glaubhaft dem Gerichte nach. Alle« wankt unter dem ValoiS-Abtömmling. Sie wagt sogar den höchst interessanten Versuch, den Cardinal, als sie mit ibm confrontirt wird, förmlich zu bypnotisiren; sie stellt eine erlogene Behauptung nack der andern auf, aber l sie bar über den gebrochenen Mann die Gewalt verloren, er geht auf ihre Sprünge nicht ein. Und nun zu allem Unglück kommen aus London Zeugnisse, daß ihr dorthin geflüchteter Mann sich de« Besitze- de« Hal-band- gerübn.l und Steine darau- verkauft hat. So ist der Ring der Beweise geschlossen und Jeanne de la Motte de Valois verfällt der Brandmarkung. Muth bat sie jedenfalls gehabt, den Muth der absoluten Gewissen losiakeit. Da- „uprss vous I« äSIuge'' findet in ibr eine klassische Zeugin. Sie wußte, daß die Jntrigue, die sie ge sponnen, herau-kommrn mußte, da die Königin ja Roban nie ein wirkliche« Gnadrnzenbrn geben würde; sie wußte e«, aber — sie wollte leben, reich sein, da« Geld mit vollen Händen auSstreuen können; waS dann kam, — der Prin; Cardinal, so dachte sie, wird ihr Schild sein, und eS wirr ihr wobl nicht zu viel geschehen. Aber Rohan zeigt sich ini Procrssc, wie in ihrer Jntrigue, als ein schwacher, haltloser Mann und die hübsche Jeanne entfloh, nachdem man sie mit einem V auf beide Schultern gebrandmarkt, nach London. Die Zunge und die Dreistigkeit bat sie aber durch ihre Zück tigung nicht verloren: denn in Londop wußte sie verschiedene Personen davon zu überzeugen, daß sie da« Opfer einer schändlichen Kabale geworden sei. II. Der Proceß, der im Jahre 1772 zu Kopenhagen gegen die Königin Karoline Mathilde und Strurnsee gefühlt wurde, ist vor Allem dadurch interessant, daß die Geschichte ibr Urtheil über ibn im Laufe der Zeit sehr wesentlich ve> ändert hat. Äm Mittelpunkte steht hier eine blübende junge Prinzessin, di« an einen idiotischen König verheirakhet ist. J„ der bo-baften Absicht, sie zu quälen, drängt Christian VII. seiner Gemahlin feinen Leibarzt Struensee auf; dieser aber gewinnt ihr vertrauen und schließlich ihre Lieb«, und vncknt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite