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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961230021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896123002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896123002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- teilweise Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-30
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AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile L<) Pfg, Reclamen uater dem Redaktionsstrich (4ao- spalun- 50-^, vor den Hamitiranamrichsen (Lgejpalteaj LOij chrvstere Schriften laut uujerein Prec»- verzeichn«. Tabellarischer und Mernio, »ach hbhtt»«» Laris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de» Äorgeu-Auoaaüe, vhue PostbefSrderung M —, mit Postbesorderuug -4 70.—. —— Ännghweschlnß fjjr Änzei-L«: dlbend-Auegabe: Bormittags 10 Uhr. ?lrorge u-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei deu Filialen und -ln nähme stellen je eine halbe Stuude fsgher. Anzeige» sind stets au die Gxpediria» zu richten. Druck und Verlag von C. Polz ju Leipzig. W. Jahrgang. Amtlicher Theil. Unsere Niederleger benachrichtigen wir, daß laut Bekanntmachung des Königlich Würltembergijcben Finanzminstiers den Inhaber» der Schuldverschreibungen der 4"/<> Württembergischea Staatsanlehen aus de« Jahren 1875 bis 1887 die Umwandlung in 8',,"/<> Obli gation«, mit d«r Wirfuag augeboten wird, Vast -tesrS Angebot f«r angenommen gilt, wenn nicht bi« znm 18. Januar 1897 einschlietzltch eine gegentheilige Erklärung ab gegeben wirb. Die Schuldverschreibungen werde» noch bis zum 30. Juni 1897 zu 4"/» verzinst. Laut Id unserer Niederlegungsbedingungen werden wir die an geboten» Konoertiruug besorgen. Die Depotscheine -leibe» vorläufig uuveräubert. Einrs^Antrages an das unterzeichnete Komtor bedarf es nur in dem Falle, wenn die Umwandlung in 3'/-°h Obligationen nicht gewünscht wjrd. Auf das 4<7<> Anlehen vo»N 2. Juni 1891 bezieht sich die Umwandlung überhaupt nicht. Perlip, den SS, Dezember 1896. »a«tor der Aeichstzauptbank für Werthpapiere. Strahl. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. December. Ein Weihnachtsgeschenk ersten Ranges ist der süddeutschen Demokratie und allen ihren Freunden durch den m der Fest woche zwischen dem LegationSsecretair der preußischen Gesandt schaft >n Stuttgart, Frbrn. v. Wangcnbeim, und dem Lieutenant Grafen v. Nerkull-Gyllenbandt anszefochtenen Zweikampf gemacht worden, bei dem der Commandant oon Stuttgart, Generalmajor v. Schott, als Unparteiischer und der preußische Gesandte Frhr. v. Holleben als Zeuge fungirten. Monate lang wird dieser Zweikampf willkommenste« Material zu SenfationS- und AgitatiouSartikeln liefern, denen leider etwa- Stichhaltiges kaum entgegenzusctzen fein wird. WaS könnte z. B. den Eindruck und die Wirkung der folgenden Ausführungen deö Stuttgarter „Beobachters" abschwächen: „Was dem öffentlichen Urthell untersteht und dieses auss Schärfste berausfordert, ist, daß dasmilitairijchelLhrengericht dasPislolen- duell zulirß und daß die Bestimmungen dahin festgesetzt wurden: Bei 15 Schritt und Avanciren bis auf 5 Schritt dreimaliger Kugel- wechsel bis — zur Kampfunfähigkeit. Das heißt mit klaren Worten: Du sollst tödtcn! — oder Du sollst getödtet werden! Gleich die beiden ersten aus solch unfehlbarer Nähe ab- gefcnerten Kugeln haben getroffen. Beide Mordgeschossc drangen in den Unterleib und in die Nieren. Ls ist Zufall, daß nicht Beite auf der Stelle todt waren. Man fragt sich, wer leiht einem solchen Treiben leidenschaftlicher Menschen seine Unter stützung und seine Mitwirkung und lädt dainit die schwere Schuld der criminellen und der noch schwereren moralischen Mil- ihärerschast auf sich? Secundant (?) des Einen war: der Platz- commandant von Stuttgart, Generalmajor v. Schott; Sekun dant des Anderen: Herr von Holleben, der preußische Gesandte am Stuttgarter Hof, in eigener Person. Dem Platzcommaiidanten liegt es amtlich ob, sür die Ruh», Ordnung und Sicherheit in Stuttgart zu sorgen, und der Gesandte hat das Königreich Preußen in Württemberg zu verwelk»! Herr v. Holleben ist der Untergebene des Ministerpräsidenten Fürsten Hohenlohe, der im Reichstag feierlich erklärt hat, daß von Amts wegen Alles geschehe, nm dem Duell-llebel zu steuern. Die beiden Herren mußten wissen und wußten, daß es um Tod und Leben ginge; sie haben die bevorstehenden Verletzungen für so schwer angesehen, daß sie von Anfang an zwei der ersten chirurgischen Aerztr brigezogen haben, und trotz alledem haben sie persönlich zum Zustandekommen des Duells beigetragen, anstatt Alles zu thun, rS zu verhindern. Auch der Zeitpunkt läßt die Verletzung des Gefühls als eine besonders ernste erscheinen: di» Wrihnachtswoche wurde ausgesucht zu diesem Spiel mit Menschenleben, bei welchem eine der Zielscheiben (Frhr. v. Wangenheim) Vater von armen Kindern ist, die sich ans das Christfest gefreut haben. Es ist schwer, keine hrstigen Worte zu sprechen. Wir glauben, daß der neue Justizmiuister, von den gleichen Gefühlen getragen, di« in Württemberg Alle beherrschen, seines Amtes zu walten gejucht hat. Aber was mußte ihm seine Staatsanwaltschaft voraussichtlich rejcxibiren? Zwei der Herren sind Ossiciere und unterstehen nicht dem bürgerlichen Gericht und die zwei anderen gebären zur preußische» Gesandtschaft und sind durch den alte» Mantel der Exterritorialität jeder Verantwortung vor den Landesgerichten entzogen! — Wie kann sich das Volk in solchen rechtlichen und sittlichen Zuständen noch zurecht finden?" Ständen Wahlen in Württemberg bevor, so würden zweifellos die Ergebnisse deutlich zeigen, daß die Kugeln der beiden Duellanten noch andere Schäden angerichlet haben, als die Wunden an ihren Leibern. Man kann nur wünschen, daß diese Schäden nicht noch vermehrt werden durch Acte, auf deren bedenkliche Natur heute die „Nat.-Lib. Corr." hin weist, inprm sie an die Thatsache, daß in den Jahren 1891 bis 1895 di« Zahl der Verurtheilungen wegen Zwcitampses von 61 aus 107 gestiegen sind, die Bemerkung knüpft: „Mit der Zahl der Verurtheilungen hat sich auch die Eventualität der Begnadigung verdoppelt. Giebt man zu, daß nichts dem Duellunfug mehr Vorschub zu leisten ver mag, als die sichere Erwartung, abgesehen von einer die geseüschaftliche Ehre nicht in Frage stellenden Frei- heitsstrase «ach kurzer Zeit wieder die Freiheit zu er rangen, so wird man mit um so größerer Berechtigung im Hinblick aus jene Zahlen von dem Zuftizm inister bean spruchen müssen, daß er gegen die Begnadigungsgesuche in Duellaugclegenheiteu mit allem Nachdruck seine Autorität al- berufener Beralber der Krone in Rücksicht auf das öffent liche Rechtsbewußtsein in die Waagschale wirst. Senft töunte gerade das Gegentheil dessen, was an sich aus der Zunahme der Verurtheilungen in Duellsachen gefolgert werten kann, eintreten: anstatt abschreckend zu wirken, würden sie lediglich die in dem Eingehen des Zweikampfes sich bekundende Gleich giltigkeit gegen das Gesetz steigern." Der Bruderzwist im EentrumS-ause, der sich iu dem württembergischen Landtagswahlkreise Gmünd soeben ab gespielt hat, verdient um so mehr Beachtung, je geflissent licher die außerschwäbische CentrumSpresse der eingehenderen Erörterung des Falles au- dem Wege geht. Bekanntlich ist in dem genannten Bezirk bei einer Ersatzwahl dem gemäßigt klerikalen Rector I>r. Klaus in der Person de- d^ch seinen felsenfeste« Glauben an die Echtheit der Unterschrift des Teufels Bitru ausgezeichneten fanatischen HctzcaplanS Schwarz ein Gegencandidat aus dem Centrumslager heraus gcgenübergestellt worden. Bei der Stichwahl zwischen den beiden Klerikalen haben die Socialdemokraten für Schwarz den Ausschlag gegeben. Diese letztere Thatsache fällt Bielen auf und es erscheint ja auch auf den ersten Blick merk würdig, daß die Partei, die höhere und höchste Bildung allen Knaben und Jünglingen zugänglich machen zu wollen vorgiebt, einen Obskuranten wählt, der schon das Maß der heute allen Kindern vermittelten Elementarkenntuiffe al- »u weit be messen verwirft. Aber der Widerspruch ist eben nur ein scheinbarer. Die Socialdemokratie will für die Massen eben sowenig Bildung wie Verbesserung der Lebensumstände, sie will die Revolution, und diesem Ziele hilft ein radicaler Ultramoutauer bester zusteuern, als eia Katholik mit maßvollen politischen Anschauungen, ein Mann» der vielleicht sogar ohne Hintergedanken auf dem Boden der Reichs verfassung steht. Haben die Socialdemokraten im Grunde also consequent gehandelt, indem sie sich an die auch gar nicht ernst gemeinte WahlenthaltungS - Parole ihrer Parteileitung nicht kehrten, so hat das würllembergische Centrum in dieser Angelegenheit das Gleiche gethan, d. h., eS hat sich von ausschließlich ultramontanen An schauungen beherrscht gezeigt. Wenn der CentrumSleitung ein socialdemokratischer Candidat jederzeit lieber ist als ein reichs treuer und gemäßigter, so ist es doch selbstverständlich, daß sie von zwei eigenen Parteigenossen demjenigen den Vorzug giebt, der der Socialdemokratie am nächsten steht. Das ist denn auch geschehen. Die schwäbische Socialvemokratie, die daS Eintreten der „Genossen" für einen Prediger mittel alterlichen TeusclSglaubenS natürlich nicht öffentlich loben darf, läßt zwar in ihrem Organ versichern, die socialdemo- kratischcn Stimmen sür Schwarz seien abgegeben worden, weil man dem Centrum „einen Streich spielen, cs iu Ver legenheit bringen" wollte. Das klänge schon unglaublich, wenn dem Centrum der Gemäßigte genehmer wäre, ist aber ganz unsinnig, weil das Centrum sich in der That von der gegen- »heiligen Gesinnung beseelt zeigt. Sein Hauptorgan in Württemberg, das „Deutsche Volksblatt", Hal jetzt, nach der Wabl, nur Worte der Anerkennung für das Verhalten des Schwarz und seiner Augehänger und nichts als bitteren Tadel für Klaus, und dieser selbst verschweigt nicht, daß er ein Opfer der CentrumSleitung ist. Zn einer Versammlung zu Gmünd kennzeichnete er den Kampf gegen ihn als einen Kampf gegen die geistliche und weltliche Autorität; alle Elemente, welche in dieser Hinsicht sympalhisirteu, hätten sich gegen ihn zusammengethan. Dann rechnete vr. Klaus mit der CentrumSleitung ab: „Ich babe bis jetzt zurückgehalteu, an der Stellung des „Deutschen Volksblatts" und der Parteileitung Kritik zu übe», heute aber sage ich, wenn das „Deutsche Volksblatt" auch nur ein Wort, fußend aus den Thatsacl-en des Verlaufs der Vertraueusniänurrversamin« lung, gesprochen und das Recht vertheidigt Hütte, wenn die CentrumSleitung statt mit den Vertretern der revolutionären Mißstimmung zu verhandeln, ebenso diesen Standpunct eingenommen hätte, wäre viel Unheil verhütet worden. Es ist jetzt Pflicht des konservativen Bürgerslands, „fest zusammen zu stehen", dies soll die letzte Vergewaltigung jein, welche er sich gefallen ließ." Also ein Klerikaler betont die Nothwendigkeit, im conser- vativcn Interesse gegen die Berücksichtigung revolutionärer Stimmungen durch da« Centrum anfzutreten. WaS sagt dazu die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", die aller vier Wochen, im höheren Auftrage, wie man annehmen muß, dem Centrnm echt konservative Gesinnung und den redlichen Willen zu positivem politischen Wirten attestirl? Die norwcgischen Nüchternheitsfreuude haben die betrübende Erfahrung machen müssen, daß auch das neue Branntweiugcsetz, das auf ihr Betreiben zu Stande gekommen ist, nichts genützt, wohl aber ein anderes Uebel hervorgerufen hat, von dem man sich bisher nichts hatte träumen lasten. Mit dem neuen Branntwcingesetz hoffte man dem anhaltend starken Branntwcinverbrauch um so wirksamer entgegenzutreten, als eS neben verschiedenen Einschränkungen über den Kleinhandel mit Branntwein auch bie weitgehende Bestimmung enthielt, daß in jeder Ge meinde eine allgemeine Abstimmung darüber staltfinden sollte, ob man eine Branntweingesellschaft haben wolle oder nicht. Denn der Branntweinverkauf in den norwegischen Gemeinden liegt in den Händen von Gesellschaften, die einen Theil ihres erheblichen Ueberschusfes für gemeinnützige Zwecke aufzuwenden haben. Bei diesen Abstimmungen haben alle in der Gemeinde ansässigen Männer und Frauen über 25 Jahre Stimmrecht; es sind also wirkliche Volksabstim mungen. Daö neue Brauntweinaesetz trat am 1. Januar 1896 in Kraft, und eS wurden daher, da die Berechtigungen von 13 Branntweingesellschaften mit diesem Zeitpunkt ab liefen, schon 1895 m 13 Gemeinden derartige allgemeine Abstimmungen vorgenommen. Zn 11 Gemeinden wurde der gesetzliche Branntweinverkauf durch den Verlauf der Abstimmung ausgerottet. Diesen außerordentlichen Erfolg hatten die Nüchternheitsfreunde ihrer rührigen Agi tation zu danken, bei der sie namentlich die Frauen auf ihrer Seite hatten. Bei den diesjährigen neuen Abstimmungen war, wie der „K. Ztg." geschrieben wird, das Ergebniß weit weniger günstig, denn nur in 5 Gemeinden gelang es, die Branntweingesellschaften niederzustimmen. Die größte Stadt, in der abgestimmt wurde, war Bergen, wo 14172 Stimmen gegen und 14 590 Stimmen für den Fortbestand der Gesellschaft waren. Aber nun kommt die Kehrseite der Münze: Zn demselben Maße, wie die Branntweingesell schaften auSgerottet werden, steigt der Verbrauch eines schauderhaften Weingemisches, das unter dem stolzen Namen „Portwein" und „Sherry" für 60, 70 oder 90 die Flasche dargeboten wird. Ein solches Gemisch, das vom Brannttpeiugesetz nicht betroffen wird, kaun sehr billig aus dem AuSlaude eiogeführt werden, denn auf Wein, dessen Alkoholgehalt 23 Procent nicht übersteigt, liegt nur 13 .s Zoll für das Liter. Die Folgen der Vertilgung der Braunl- weingeseUschasten zeigen sich also in der großen Einsubr eines miserablen Weines und selbst iu de» Kreisen der Nüchternheitöfreunde ist man über diese uuerwartcte Wirkung des neuen Gesetzes betroffen. Sie haben nicht daran gedacht, daß die HaudelSverträge mit Spanien und Frankreich dem Volke den reichlichen Verbrauch von „Wein" ermöglichen. Aber in diesem Punkt ist vorderhand kaum Wandel zu schaffen, den» Norwegens Fischerei ist zu sehr auf den Absatz in den genannten Länder» angewiesen, als daß mau au die Auf hebung der Verträge denken dürfte. Aus alle Fälle wird man aber früher oder später versuchen, auch dein neuen Uebel auf die eine oder andere Weise, hoffentlich mit Erfolg, entgegenzutreten. Mit lebhaftem Bedauern sieht mau deu schwer erkrankten ttrascu Lckuwalow aus seinem Amte al« Geoeralgouverneur von Polen scheiden, und vor Allem die russische Regierung selbst wiro den Verlust diese- Staatsmannes beklagen. Be kanntlich war die Ernennung Schuwalow'- auf den Warschauer Posten eine der ersten Rcgieruugshandlungen des jetzigen Zaren, der damit deutlich seine Unzufriedenheit mit deni System des Generals Gurko, de- Amtsvorgängers, zu erkennen gab. Gurko hatte sich im Königreich Polen allgemein verhaßt gemacht durch seine brutalen, rücksichts losen NegierunaSgrundsätze und der Zar selbst hat damals iu dem EntlassnngSschreiben zwar die militairischen Verdienste Gurko's hcrvorgehobeu, seiner langjährigen Thätigkeit als Generalgouverncur von Warschau aber mit keinem Worte Erwähnung gethan. Freilich dauerte Schuwa- low's Amtszeit nur 2 Zabre, und es war ihm iu dieser kurzen Zeit nicht möglich, alle Wunden zu heilen, die sei« Vorgänger geschlagen, und die Friedens- und VersöhnuugSmission, so !wir er sie aufjaßte, durchzuführen. Aber sein guter Wille ist allge mein anerkannt worden und blieb nicht unfruchtbar iw Sinne einer Milderung der nationalen Gegensätze. Schuwa low'- Rücktritt wird auch in Berlin Bedauern erwecken, wo er ein Jahrzehnt lang, von 1885 bi- 1895, al- Botschafter wirkte und sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Paul Schu walow ist der jüngere Bruder jenes bi-zum Berliner Congreß in Rußland einflußreichen Grafen Peter Schuwalow, der den Panslawismus bekämpfte und kein Ohr für die Schmerzensschreie der Tschechen, Rutbencn, Bulgaren hatte, um so eifriger aber die innere Festigung des russischen Reiches und die Erhaltung des europäischen Friedens erstrebte, um nach dem Berliner Congreß, den Katkow und Genoffen geopfert zu werden. Gras Paul Schuwalow hat in gleichem Maße wie Graf Peter die Freunoschaft des deutschen Kaiserhofe« und de« Fürsten Bismarck genösse» und da- Vertrauen gerecht fertigt, das man in ,ein Bestreben setzte, gute Beziehungen zwischen Deutschland nnd dem Zarenreiche herzustellen. WaS er zu diesem Zwecke thun konnte, hat er gethan, so daß man ihn nur höchst ungern von Berlin, wo er »u den beliebtesten Persönlichkeiten der Aristokratie gehörte, scheiden sah. Als bald nach der Thronbesteigung des jetzigen Zaren ge meldet wurde, Graf Schuwalow solle als Nachfolger des Generals von Gurko nach Warschau versetzt werden, richtete Kaiser Wilhelm II. an den Selbstherrscher da- Er suchen, den Botschafter in Berlin zu lassen. Der Zar be dauerte lebhaft, diesem Wunsche nicht nachkommen rn können, da dem Grafen Schuwalow der Warschauer Posten schon früher bindend zugesagt worden sei. Generalgouverneur von Polen zu werden, sei Schuwalow'S sehnlichster Wunsck gewesen, und die Ernennung nicht rückgängig machen z» können, sei daher für den Zaren um so schmerzlicher, je bereitwilliger Kaiser Wilhelm dem Wunsche Alexander'- III. nachzekommen sei, den Genrral v. Werder zum deutschen Botschafter in Petersburg zu ernennen. Graf Schuwalow F-rrrlletsn. Die Schwester meiner Schwägerin. ss Novelle von G«rmanis. Nachdruck verboten. „Allerdings", fuhr ich fort, „Sic werden auch nicht immer hier bleiben. Irgendwo schmachtet gewiß jetzt schon ein wunderschöner Prinz, der Sie einst entführen wird, und nachdem Sie nns durch Ihre geistvolle, liebenswürdige Ge sellschaft verwöhnt haben, lassen Sie uns dann plötzlich im Stich." „Das glaube ich kaum", sagte sie mit einem leichten Auswerfen des reizenden Köpfchens. „Zch schwärme nicht für Märchenprinzen und befinde mich in meiner jetzigen Lage so Wohl, daß ich sie mit keiner anderen vertauschen möchte." „DaS baben schon viele junge Damen gesagt", lachte ich, „und schließlich kam eS dock ander«. Freilich", fügte ick dann ernster binzu, „Sie machen in dieser Beziehung gewiß hohe Ansprüche und tbeilen meine Ansichten über die nöthigen Er fordernisse zum Glück." Sie wandte sich mit einer lebhaften Bewegung zu mir. „Und welcke- sind diese Erfordernisse, Herr v. Westritz?" „Gleiche Bildung, gleiche Znterefsen und aleicke Verhält nisse — vor Allem aber eine echte, große, auf beiden Seiten gleich starke Liebe. Von jrdrin Paar, da- vor den Altar tritt, sollte man sagen können: „Zw«i Seelen und ein Ge^ danke — zwei Herzen und ein Schlag!" c Sie lachte spöttisch, aber nicht ganz natürlich. „Lernt «an diese Art von Idealismus in einem Garde-Cavallerie- Vegiment?" fragte sie dann. , ,Mohl kaum, mein gnädige- Fräulein, aber ich behaupte, man wird mit seinen Zdealen geboren nnd muß sie sich unter allen Umständen zu bewahren wissen." „Und Sie Haden da- gethan?" „Es ist mir verhältnißmäßig leicht geworden. Wer viel reist, empfängt so erhabene und großartige Eindrücke durch die Schönheiten der Natur und da- Culturleben der ver schiedenen Völker, wird so sehr zu tieferem Nachdenken und lehrreichen Vergleichen gedrängt, daß ihm unwillkürlich die Seele weit wird und der Staub der Alltäglichkeit nickt auf seinen Flügeln haftet. Zch fühle mich nach jeder Reise er frischt, wie neugeboren, und sehe immer wieder ein, daß die höchsten Güter de- Lebens doch diejenigen sind, welche man weder erhandeln, noch bezahlen kann." Eine Weile blieb Alles still, dann sagte Nora v. Götten: „Merkwürdig, Zhr'Herr Bruder bat mir nie erzählt, daß Sie ein Dichter sind. Wo erscheinen Ihre Poesien, Herr v. Westritz?" „Nirgends, mein gnädige« Fräulein, ich führe nur den Pflug und allenfalls da- Schwert, aber nickt die Frdcr. Meine Reisetag«bücher sind sehr aphoristischer Natur." „Abrr gewiß auch sehr interessant. Gestatten Sie mir einen Einblick?" „Dock, wenn e- Zemandem Spaß macht, lese ich Die« nnd Jene- daraus vor, nur babe ich leicht den Argwohn, daß man mich darum bittet, um mir damit eine Freude zu machen." Sie lachte. „Ta- brauch«» Si« Lei mir nicht zn be fürchten; ich bin durch und durch ehrlich." „Wie schön", erwiderte ich, „so werden wir un« prächtig vertragen." Die nächsten Tage brackte« «ine kleine Jagd nnd Besuche von Nachbarn; daan aber kam ein langer, stiller Abend, zum Erzählen und Dorlesen wi« geschaffen, und so legte im vi« Spicialkarte» von Ceylon nnd Vorderindien ans den Tisch und begann Einzelnes aus meinen Büchern vor- zutragrn. Alle hörten aufmerksam zu, am eifrigsten Nora, die mich durch Fragen häufig unterbrach und durch Stellung und Art derselben ungewöhnlich viel Zntereffe nnd Ber- ständniß bewies. Als ich am anderen Morgen zum Frühstück kam — etwas früher als sonst —, fand ich sie über die Karten gebeugt, nochmals alle die Orte aussuchend, welche ich auf meiner Reise berührt batte. Bei meiner Annäherung blickte sie erröthend auf nnd suchte sich zu entschuldigen — ein sehr gutes Zeichen! Eine Stunde später machte Ernst einen sehr vernünftigen Vorschlag. „Kinder", sagte er, „habt Ihr Lust, mit nach Horst zu fahren? Zch habe dort zu thun, und wenn Wolf jetzt gleich zu seiner alten Wirtbin hinübcrschickt, empfängt sie unS mit frischen Waffeln und gutem Kaffee. Ihr müßt Euch nur schnell entscheiden." Die Damen waren ganz einverstanden, und gleick nach Tisch stand der Wage» — es war inzwischen leider wieder Thauwetter geworden — vor der Thür. Frieda und Nora setzten sich unter da- Verdeck, Ernst und ich auf den Bock. Von einer Unterhaltung unterwegs war keine Rede. Aber kaum waren wir angekvmmen, so gesellte ich mich an Nora « Seite und verblieb von da an ihr treuer Begleiter. Dir Stätte kannte sie schon, aber da- Aau« noch nicht, und so überließ ich Ernst seinem Zwiegespräch mit dem alten Znspector und geleitete di« Damen nach meiner Wobnung, welche im oberen Stockwerk lag. Zm Flur war nicht viel zu sehen; einige uralte Sckränke von riesenhaften Dimensionen nnv stattliche Hirschgeweihe machten die ganze Ausstattung au-, Zm Eßzimmer, wo der Kaffeetifch gedeckt war, gefiel cs ihnen schon besser, und die beiden Wohnzimmer erregten sogar ihr aufrichtiges beider seitiges Entzücken. Ich hatte dort auch so ziemlich Alle- ausgestapelt, was ich von meinen Reisen mitgebracht hatte — orientalische Bequemlichkeit vereinigte sich mit orientalischem Luxus, mir allerlei kleine Spielereien, wie Götzen und Pagoden au? Bronze und Elfenbein, Elephanten aus Ebenholz nnd kleine Krokodille ergänzten die ziemlich wiükürlick znfammcngesleUie Einrichtung. Um die Wahrheit zu sagen: ich hatte diese Räume noch wenig bewohnt. Die Tigerfelle, schweren Wandbette! düngen und smyrnacr Teppiche ließen sie nur für die kalte ZahreSzeit geeignet erscheinen, uud im Winter war ich fast niemals zu HauS. Aber ich freute mich doch deS schönen Besitzes, und als nun Nora, deren dunkle, pikante Erscheinung wunderbar gut in diesen Rahmen paßte, sich vor dem flackernden Kauiinfcuer niederlicß, das un« zu Ehren eilig eulfackr worden war, und mit straklenden Augen bewundernd zu mir aufsah, überkam mich ein so kebbaflcS Gefühl von Behagen nnd Glück, daß ich meiner Schwägerin, die daneben stand, plötzlich scbr stürmisch die Hand küßte und in einem Anfall von Uebermuth sagte: „Nun, liebe Frieda, müßt Zhr schnell noch, ehr eS dunkel wird, die Zimmer meiner künftigen Frau ansehen und mir sagen, WaS dort geschehen soll. Ich könnte sie doch einmal recht schnell brauchen nnd weiß nicht, ob sie weiblichen An sprüchen auch nur annähernd genügen." Frieda sah mich an und — seufzte. „Gewiß", sagte sie kann freundlich, „laß un- binüber- gchcn." „Wir brauchen nicht über den Flur zu gehen", meinte ick, „hier ist eine direkte Verbindung; wen ick li«b», der muß in meiner nächsten Nähe sein", nnd ick zog einen Vorbang zurück, der eine Thür geschickt verdeckt batte.
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