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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896122301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896122301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- unvollständig, 1. Beilage fehlt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-12
- Tag1896-12-23
- Monat1896-12
- Jahr1896
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7^0. «r LrpMio« vo, früh 8 bi* Abend* 7 Uhr. Die Mortz«M>«L»gab» «scheint um '/.? Uhr. dt» Hlbend-Nu-gabe Doch«, tag« um 5 Uhr. Filiale«: vtt» KIe«W'» Garti». (Mfred Hahn), U»ivaMtSstraß» S (Paulstuun), Laut* Lösche. KaHarinmstr. 14. part. mrd KöaigSplatz 7. Vez«g-.Prei- G» H« Hmepterpedition oder de« im Gtadt- . Wem« A»ch> ?R.?Ü vie^ArlF 1 Morgen-Ausgabe. KiWM TUtblaN Anzeiger. Ämisvlatt des Königkicheu Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Äintes der Ltadt Leipzig. Unzeigerr.Prett die 0 gespaltene Petitzeile 20 ffHg. Reclamea unt« dem Rebaction-stkich (Sga* spalten) 50-H. vor den Familien nachrich«» (6 gespalten) 40^ Größere Schriften laut unserem Preis« verzeickniß. Tabellarischer und Zifferniatz nach höherem Tarif. Grtra-Beilagen lgefalzt), nur mit der Morgen - dlusgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge »«Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dir Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 851. Mittwoch den 23. Decembcr 18SS. SV. Jahrgang: Unfallstatistik und Wohlfahrtseinrichtungen. Mindesten der Umstand in den Hintergrund gerückt erscheint, daß bei den Unfällen in der Hauptsache böberc Gewalten und jene Zufälligkeiten im Leben mitwirken, denen wir allesammt m böherem oder geringerem Grade unterworfen sind. Doch darüber läßt sich mit der Socialdemokratie nicht rechten. Wohl aber lassen sich den Ziffern der Unfallstatistik die Ziffern derjenigen Wohlfabrtseinricktungen gegenüber stellen, mit denen man versucht bat, gerade den Arbeiter gegen die Zufälle einer beruflichen Thätigkeit nach Möglichkeit zu schützen und ibn sicher zu stellen. Nack den Ausstellungen des ReichsversicherungSamteö er- giebt sich unter Zubilfenabme der reichsstatistischen Veröffent lichungen für das Jahr 1895 folgende Uebersicht: Die Unfallstatistik d«S Jahre* 1895 giebt der social« demokratischen Presse Gelegenheit, den „Genossen" die „Opfer vom Schlachtfeld» der Arbeit" unter den üblichen Ausfällen auf das „kapitalistische AuSbruterthum" in Leitartikeln vorzuführen. E« wäre verwunderlich, wenn das von dieser Seite nicht geschähe, denn eine solche Gelegenheit, dem oberflächlich oder gar nicht Urlbeilenden an der Hand kalter statistischer Zahlen das Unzulängliche deS brütigen GrsellschastSkörprrS vor Augen zu führen und dagegen den „Zukunftsstaat" im Lichte blendenden socialdrrnokratischen Feuerwerks erscheinen zu lasten, bietet sich nicht leicht ein zweite- Mal. Daß nicht nur die Socialdemokraten, sondern jeder fühlende Men ck mit den Opfern beruflicher Thätigkeit auf richtigste- Mit eid empfindet, wird ebenso verschwiegen, wie zum Versicherte ........... Entschädigt«, bezw. Rentner Gezahlte Entschädigungen, bezw. Renten . Bis Ende 1895 angesammelt» Rücklagen und BermögenSbesiände (Deckungscapiial) Entschädigung auf den Kopf deS Empfängers, bezw. Rente Aranknwerfichcrunz rund 7 450 000 . 8800 000 - 100000000^4 « 106000000^4 36,00^4 U«sallversich«ru»g 17 000000 »88 184 50172 082^4 114120 000^4 130.00 ^4 JnvaliditLltters. 20 000 000 130 500 15 500 000^4 Zusammen rund 124,00 ^4 Altersversicherung 20 000000 217 200 26 600000.« 370000000.« 127,00.« inSgcsammt 2 5S5 884 1K2 27O «0«.« 5W 120 «00 Demnach sind von 20 Millionen Reichsangehörigen, die an der einen oder anderen gesetzlich eingerichteten Versicherung iheilnehmen, die Wohltbaten dieser Einrichtungen rund 3l/s Millionen oder 17,7 Proc. im Jahre 1895 zu Gute ge kommen. Ueber 192 Millionen Mark sind in dem einen Jabre auf Grund erworbener Ansprüche den lobnarbeitenden Elasten zur Abwendung unverschuldeter Noth zngeslosten und über 5.90 Millionen Mark sind angesammelt, um auch in der Zukunft die Erfüllung der Woblfghrtszwecke zu gewährleisten. DaS sind tdatsächliche Leistungen desselben „verrotteten ClaffenstaateS", derselben „Ausbeutergesellschaft", an die die Socialdemokratie sich ungern erinnern läßt, weil ihre düsteren Gegenwartsbilder Helle Eonturen nicht vertragen. Wo aber, fragen wir, bar irgend ein anderer moderner Staat in der kurzen Zeit von 15 Jahren nach Erlaß der kaiserlichen Botschaft au- dem Betriebskapital der Privatwirtschaft auch nur annähernd eine solche Summe berau-gezogen, wie sie sich als ein ,.Reservefonds" für die nickt-besitzrnden Elasten in jenen 590 Millionen Mark darstellt!? Das hat unS kein Staat vorgemacht und wird uns auch in absehbarer Zeit kein anderer Staat nachmachen, selbst nicht der socialdemokralische Zukunst-staat, wenn er überhaupt bestehen könnte. Die Beitragslast an den gezahlten Entschädigungen und Renten vertheilt sich für daS Jahr 1895 folgendermaßen: 1) Arbeitgeber ». Krankenversicherung . . 33000000 ^4 b. Unfallversicherung. . . 50000000 « o. Invalidität-Versicherung . 5160000 - ck. Altersversicherung . . . 8840 000 . Zu>ammrn 9^7 000000 2) Reichs-Zuschuß zur Invalidität». und Alters« Versicherung . . . . 14000 000 .«4 Im Ganz»» lilOOOOÜO Somit verbleibt 3) al- VeitrogS-Aatheil der Arb»Ü«r s»lbst nur rin Betrag von 81000 000 Die Beitragslast für den qualisicirt gelernten Arbeiter der ständig beschäftigt und an allen vier Versicherungen be- theiligt ist, beziffert sich auf 12—18 jährlich. Da nach den darüber angestellten Ermittelungen jeder ständig be schäftigte Arbeiter binnen 2>/§ Jahren einmal die Kranken unterstützung von durchschnittlich 36 in Anspruch nehmen muß. so kommen seine Versicherungsbeiträge allein schon bei der Krankenversicherung wieder heraus. Die Unfall-, Jnvaiidi- tätS- und Altersrente genießt er demnach als gesetzlich er worbenes Neckt auf Rechnung Dritter. An den Bermögensbeständkn und Rücklagen sind durch ihre Beiträge betheiligt: 1) die Arbeitgeber a. in den Krankenkassen mit rund . . 35000 000 b. in der Unfallversicherung mit rund . 105 000 000 » e. in der Invalidität-- und Alters- Versicherung mit rund .... . 175000000 - . 315000000 ^4 2) Kommen aus Zinsen hinzu rund . . . . 30000000 - im Ganzen rund 345OUO(XX) Somit entfallen 3) auf den Antheil der Arbeiter nur noch rund 245 000 000 - Also in allen Theilen dieser Versicherung ist der Arbeiter nicht einmal zur vollen Hälfte der Kosten herangezogen. Die Socialdemokratie mag sich drehen und wenden wie sie will, die wohlthätigen Erscheinungen dieser Gesetze, die im Laufe der Zeit immer wirksamer empfunden werben, lassen sich durck keineZat len der Unfall- oder sonstiger Statistiken aus der Welt schaffen. Die Gesetze sind gegen die heftigste Opposition der social- demokratiscken Reichstagsabgeordneten von der „einen reacrio- nairen Masse", dem „OrdnungSbrei", den „satten bürgerlichen Parteien" gemacht worden, sie werden in ihren segensreichen Wirkungen sich nicht durch socialdemokratische Verdrehungen aushalten lassen. Wer die Wohltbaten und zwar praktischen Wobltbaten des einen oder anderen Gesetze* am eigenen Leibe erfabren hat, weiß dieselben höher zu schätzen, al- die schönste socialdemokratische Rede. Weihnachtsferien. 6. Paris, 21. December. Die Kammer ist gestern Abend geschlossen worden, und die Abgeordneten deS französischen Volkes befinden sich bereits auf dem Wege nach der Heimath. Zwar winkt ibnen kein schimmernder Tannenbaum wie ihren deutschen Collegen, aber auch für sie giebt es jetzt nach den sauren Wochen frohe Feste. Ja, sauer waren die letzten Wochen. Dreiundvierzig Mal bat man in noch nicht zwei Monaten getagt — und eine Sitzung im Palais Bourbon dauert ganz selten weniger als fünf Stunden —, und unendlich viel Schweiß und Mühe bat man aufgewendct. Um so kläglicher ist das Ergebniß. Rein gar nichts ist erreicht, nicht einmal das Budget ist unter Dach und Fach gebracht worden. Das kann schlimm werden für ras Ministerium Meline. Seine Gegner triumpbiren, sie haben mit ihren vom Zaune gebrochenen Interpellationen, mit ihrer ost geradezu kindischen Obstructionspolitik das er reicht, was sie erstrebten: das erste provisorische Zwölftel ist beschlossen worden, d. h. also, den ersten Monat im neuen Jabre wird nach dem alten Budget gewirtbschaftet werden. Das kann ja den Abgeordneten gleichgiltig sein und den Steuer- zablern im Allgemeinen auch, aber bei den Beamten, denen die Gehaltsaufbesserung hinauSgesckoben wird, den Officieren, die im Range ausrücken, ohne den höheren Sold zu bekommen, wird es viel böses Blut machen. Die Herren Bourgeois, Doumer und Genossen aber werden dem staunenden Volke verkünden: Seht Ihr, das habt Ihr von Eurem gemäßigten Ministerium. Voriges Jahr, als wir am Ruder waren, da wurde Alles zur rechten Zeit fertig. Und wer weiß, ob das Volk den Leim merken wird. Die gemäßigten Blätter erklären natür lich, daß daS Ministerium an dem Schneckengange der Ver handlungen unschuldig sei wie ein neugeborenes Kind, daß es der planmäßigen Obstruction der Radicalen und Socialisten gegenüber machtlos gewesen sei. Ganz so liegt die Sacke denn doch nicht. Herr Meline und seine Collegen sind sehr sympathische, sehr kluge und sehr wohlmeinende Leute. Es fehlt ihnen nur Eins: «in bischen rücksichtslose Energie. Sie hätten lieber den Staub von ihren Füßen schütteln sollen wie Casimir Perier, als sich so Alles gefallen lasten. Eine nette Ironie war e«, daß einer der Socialdemo kraten, natür lich wieder der unermüdliche Jaurös, sich in letzter Stunde noch dem provisorischen Zwölftel entgegensetzte und erklärte, mit etwas gutem Willen könne man noch vor Jahresschluß fertig werden. Seine Partei war eS nämlich gerade, die zu paffender und unpassender Zeit stets ihre Dauerredner vor geschickt hatte, wie Herrn Pelletan, der mit seiner sechs stündigen Marinerede diesmal wohl den Record erreicht bat. Uebrigens wird eS bei dem einen Monat nicht bleiben. Man kann sich schon freuen, wenn eS nicht wieder so schlimm wird wie 1895, wo die Budgetverhandlungen sich bis in den April hinein erstreckten. Die einzigen Verhandlungen, die für daS Ausland einiges Interesse besaßen, waren die über die Restorts deS Krieges und der Marine. Die Franzosen wissen ganz genau, daß da Manches nicht ganz so ist, wie eS sein sollte. Die Broschüren erfahrener Affiliere, die sehr wenig erbauliche Tinge aufdecken, nehmen in erschreckendem Maße zu. In der Flotte sind eS die Lbcrhandnebmenven Havarien, die mangel haften Schießergebniffe der Gesckütze, die zu geringe Ge schwindigkeit der Fahrzeuge, im Heere die mangelhaft durch geführte dreijäbrige Dienstzeit, die ungenügenden Remonten rc., die Anlaß zu Ausstellungen geben. Jedes Jahr fühlen einige Patrioten das Bedinsniß, im Parlament diese Dinge zur Sprache zu bringen, aber was ist daS Ergebniß? Der be treffende Minister erklärt, Alle- tbun zu wollen, waS in seinen Kräften stehe, um den Mißständen abzubelfen, da- Parlament klatscht Beifall, und am Ende geht Alles, wie'* Gott gefällt. Denn die Minister mögen noch so ehrenwerthe und tüchtige Männer sein, in den zehn Monaten, die sie im höchsten Falle ihr Portefeuille besitzen, können sie durchgreifende Reformen nickt durchsetzen. Beim Budget der Marine spielte Herr Lockroy, der Exminister, die Hauptrolle. Er erklärte plötzlich, im Verlaufe seiner Amtszeit so entsetzliche Sachen entdeck: zu haben, daß mindestens zweihundert Millionen nöthig seien, um auch nur die dringendsten Mißstände abzustellen. Worin diese bestanden, daS hat er nur der Com mission unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit anvertraut. In der Kammerverhandlung muß ihm dann mit einem Male die Erleuchtung gekommen sein, daß es doch mit der Sache nicht ganz so schlimm sei, denn hier hielt er auch die Hälfte für ausreichend. So ins Blaue hinein tonnte man ihm auch diese natürlich nicht bewilligen. Schließlich kam es zu einem ganz merkwürdigen Wortgefecht zwischen den beiden Ministern, dem alten und dem neuen, von dem die Kammer so gut wie nichts verstand, da beide nm die Hauptpunkte wie die Katzen um den heißen Brei herumgingen. Mit der Erklärung des Admirals Besnard, daß er ini Allgemeinen mit seinem Gegner derselben Meinung sei und nöthigenfalls sich nicht scheuen werde, einen außerordentlichen Credit zu verlangen, gab sich die Majorität zufrieden. Un schuldige Gemütber fragen, warum Herr Lockroy nickt da mals sckon seine Enthüllungen gemacht habe, als er selbst daS Scepter in der Rue Royale führte. Ja Bauer, daS ist ganz was Anders. Wenn man selbst auf dem verantwort lichsten Posten steht, ist man froh, wenn Einen die Anderen in Ruhe lassen. Sehr amüsant ist es übrigens, daß der be kannte Royalist CornSly schon vor einem Jahre den Ver lauf der Dinge gewissermaßen vorauSgesagt hat. Er schrieb nämlich damals: die sechzig Capitel des MarinebudgetS sind in einer Stunde erledigt worden. Sie hätten eine Woche, vielleicht sogar zwei, in Anspruch genommen, wenn Herr Lockroy anstatt Minister einfacher Abgeordneter gewesen wäre, denn dann hätte er seinen Collegen keine von den Theorien geschenkt, die ihm an dem Tage gänzlich über flüssig erschienen sind, wo er seine Ministerwohnung be zogen bat. Beim HeereSbudget war die Sache für den Minister wesentlich einfacher. Griff ein Redner die Cavallerie an, so erklärte er : Ich bin seit vierzig Jahren Reiter und verbürge mich dafür, daß keine Cavallerie der Welt der unsrigrn gleichkommt, und wagte eS gar Einer, die Infanterie anzu tasten, so rief er auS: Wie, diese Fußtruppen, die der Zar selbst für bewundernswürdig erklärt hat, sollen nickt« taugen? und jedeSmal lohnte ibn frenetischer Jubel, lieber die oben erwähnten Broschüren ist in deutschen Blättern in der letzten Zeit häufig geschrieben worden. Eine nette Geschichte ist noch nachzutragen. Vor einigen Tagen erklärte ein Cavallerie- General, den man vor Kurzem zur Ruhe gesetzt hat, dem „Matin", er habe sich mißliebig gemacht, weil er mit einem Manöverbefebl nicht einverstanden gewesen sei. ES sei ihm nämlich befohlen worden, die Entwicklungen zu vereinfachen, da sie einen „wenig theatralischen Eindruck" machten, und auch da Attacken zu machen, wo diese im Ernstfälle aussichts los wären. Das Allerverschmitzteste im französischen Heere ist die sogenannte dreijährige Dienstzeit. ES giebt da so viele Ausnahmen, daß ich einen ganzen Vormittag zu ihrem Studium auf der Nationalbibliothek gebraucht habe. Ein Beispiel genüge. Ich wohnte bei einer Dame, deren drei Söbne junge Kaufleute waren und den gleichen Bildungsgang ' durchgemacht hatten. Von diesen diente der erste nur ein Jahr als ältester Sohn einer Wittwe, der jüngste, weil er ausgehoben wurde, während einer seiner Brüder noch bei der Waffe war, zwei, und nur der unglückliche mittlere mußte an die drei Jahre glauben. Auf diese Weise leistet der dritte Theil der französischen Jugend Weihnachten an Lord. Bon Arthnr Achleitner. K«d»nl< »erbstm. I. Der Orieuteppreßzug ist raffelnd in den Bahnhof von Barna emgefahren, und kaum hält der Zua, beginnt rin heil« loser Wirrwar; lärmend stürzrn die Reisenden bepackt und aufgeregt dem Hafen zu, um sich auf dem Llovddampftr — «S ist diesmal die „Benn*" — dir Kabinen zu sichern. Berge von Koffern und Reisekörbe« werden nachgeschleppt, in allrn Sprachen d»S ContinrntS wird gezetert und gestuckt, die Reisenden bestürmen die SchisfSofficirre mit Bitten um möglichst gute Schlafkabinen und werde« von den höflichen Beamten immer wieder mit brwundernswrrther Geduld auf ihre Fahr karten verwiesen, welche ja die Vettnummrr bereits ausgrdruckt enthalten, so daß alle» in schönster Ordnung sei. Verdutzt begucken dann d,e Reisenden ihre Fahrscheine und finden d,r Angabe der Teckofflciere bestätigt, so daß in größerer Ruhe die Kabinen mit den Bettnummern ausgesucht werden, und sich jeder Reisende, so gut eß gebt, bäuSltch an Bord einrichtet. Allmählich mackt die „Venu*" seeklar: dock knapp vor Abfahrt giebt eS eine heillose Ueberraschuna für die Passagiere durck die osficielle Mindest«»- de* Eommandante«, daß di« „Venu-" zufolge Anordnung der türkischen Rrgiiruna sich vor Einfabrt io den Hafen von Konstantinopel einer elftagiaen Quarantäne in der TanitätSstation Kawak am asiatischen Ufer deS Bo-poru- zu unterziehen habe. E« regnete Flüche in allen Sprachen» indeß dir „BenuS" langsam in See ging, und der Vai von Kawak zustruerte, deren entzückender Anblick und malerische Lage die erregten Gemüther einigermaßen beruhigt». Kaum war dem Eommando.Hondornnprechrnd der Anker in di« Tief« geraffelt, erschien auch schon die türkische Sanitätscommisflon, controlirte den Gesundheits zustand an Bord, nahm einig« Ausräucherungen vor, und empfahl sich böslich. Bitten und Klagen blieben vergeblich wie die kräftigsten Kernflüche. Kein Cbolerakranker ist an Bord, alles ge)nnd, und dennoch muß die „BenuS" volle elf Tage in Quarantäne bleiben. Wie langsam die Stunden verstreichen! In tövtlicher Langeweile reihen sich die Stunden zu Tagen und nur die Mahlzeitstunden bieten einigen Zeit vertreib. Eifrig wird die Schiffsbibliothek benützt und die Reisenden, zu qualvollem Faullenren verurtbeilt, helfen sich gegenseitig mit Büchern aus. Wer ein Fernrohr besitzt, studirt daS asiatische Ufer, sucht die See nach Schiffen ab, bi« die Dämmerung auch diese Beschäftigung unmöglich macht. Kaum umfängt nächtliche« Dunkel die Bai und sind dir Signall-trrnen aufgezogen, da ertönt seltsame* Geschrei in strenger Reihenfolge vom Ufer her über da- Wasser: türkische Gtrandwächtrr sind eS, die sich alle Viertelstunden gegenseitig aurufen und auf solche Art controliren und die Nacht über wach erhalten. Die meisten Passagiere haben sich zum Tbee in die Speisekajüte begeben; auf Deck ist- leer und still geworden, nur die Wachen sind nach deS Dienstes strenger Vorschrift an Bord vertbeilt. So wird eS neun Ubr, al* rin überraschende- Trompetensignal über daS Wasser tönt, wunderbar anheimelnd: die österreichische Retraite wird geblasen! Drüben in der Bgukderei liegt ein österreichisches KrieaSschiff in Station und da- Signal verkündet von dort den Zapfenstreich. Ein Gruß vom sieben Oesterreich herüber nach Asien! Vier Tage arger Langweile sind inö Meer gesunken. Da macht« einer der Passagiere während de- Blättern- im Taschrnkalender die entsetzliche Entdeckung, daß morgen der 24. Drcember sei! Hriliger Abend — Weihnachten und in Quarantaine! An Bord gefesselt zu billiger, fröhlicher Weihnachtszeit! Seine Mittheilung ruft allgemeine Aufregung hervor, die Reisenden sind au» ihrer Lethargie aufgrrüttelt, da- Zauberwort Weihnachten hat alle erfaßt; sie wollen fern von der Heimath da* hehre Fest feiern, und Deutsche, Oesterreicker, Italiener und Franzosen, sie alle schreien nack dem — Tannenbaum, ohne den «S keine Weibnacht-feier giebt Die deutsche, trruschlichte Tanne auf astatischem Bode» st Woher ein Cbristbäumchrn nehmen an Bord eine« m Nrenger Quarantaine liegenden Schiff,*?! Wie die Passagiere haben auch die SchiffSofsiciere gefunden, daß man vor dem WeibnachtSfeste steht, sie empfinden den Zauber dieser Zeit noch viel mehr; sind sie doch seit Monaten fern von der schönen Triestiner Heimath auf der sogenannten Carawanentour! (Konstantinopel-Varna und zurück so lange, bi» Ablösung folgt.) Noch ebe die Passagiere schlüssig sind, wie die Vorbereitungen zu einer Weihnachtsfeier in Angriff zu nehmen seien, hat indeß schon der liebenswürdige Com- mandant der „VenuS" seine Dispositionen getroffen: zwei Herren seine- Stades fahren in der Jolle ans User, wo sie vom türkischen SannälSwächter angebalten, nach längerem Parlieren zevoch an Land gelassen und vom Wächter begleitet werden. Zu Mittag waren vier Fichtenbäumchen an Bord, jubelnd von den Passagieren begrüßt; der deutsche Ehristbaum ist da auf asiatischem Boden! Auf einen Wink de- Commandanten klettern einige Matrosen katzengleich in die Wanten, immer höher und böber hinauf; zwei Ehristbäumchen schmücken dir höchsten Mastspitzen! Weihnachten in den Lüften! Unten in der Speise-Cajüte aber baben sich verschiedene Herrschaften zusammengethan, die Bescheerung vorzubereiten und die zwei Bäumcken festlich zu schmücken. Aengstlich wird der Eingang zur Cabine bewacht; Niemand darf hinein — ein Tuscheln, eine Gebeimnißkrämerei ganz wie zu Hause, in der lieben, trauten Heimath. Lächelnd laßt der Commandant die Passagiere gewähren, die bereit- thun, al- seien sie die Herren deS Schiffes. Gutmüthig spotten auch die Officiere, als man ibnen den Eintritt in die „BescheerungSkammer" verwebet. Und Glückseligkeit lagert auf Aller Antlitz. Weih- nachtSstimmung überall, nur nicht drüben auf dem grünen, lackenden Gefilde der asiatischen Bai. Ledialick da* Servir» personal, die Camerieri, dürfen zur Tafelveckung in den Speisesaal, bei Leibe Niemand Andere». Und wie nach deutschen Begriffen der heilige Abend beginnt — e» mag etwa sechs Uhr sein —, da wird die Saaltbür geöffnet, Heller Lichterglanz leuchtet entgegen, der deutsche Cvristbaum strahlt in Kerzenschimmrr, Weihnachten an Borbk Und wie seltsam dir Südfrüchte, Mandarinen an* dem fernen Indien, Blutorangen und dergl. in de» Zweigen de* schlichten Fichten bäumchens paradiren! Und diese- Sprachengewirr, daS den WeihnachtSbaum umschwirrt k Aber Alle loben das Bäumchen, preisen den schönen, poesirvollen deutschen Brauch und fühlen deutsche Wcihnachtöstmimung mitl Auf Befehl deS Comman danten war die Tafel besonders opulent: de* CapitainS Bei trag zur Verherrlichung de* heiligen Abend«! Und bei altem Chianti wird angestoßen: Glückliche Feiertage! und der er graute Seemann, der Sohn der felsenstarren Bocche, auch er fühlte den WeibnachtSzauber mit: „vvrjvL 'sinuvk!" Dann ging Alles auf Deck: erst leise ward daS beseligende Lied an gestimmt und bald sang Alles mit: „Heilige Nacht!" Weihevoll erklangen die erbebenden Töne über die dunkle See. Und nun flammt eS auf, der elektrische Scheinwerfer verkündet von der „BenuS": „Weihnacht an Bord!" Von Schiff zu Schiff fliegt die Kunde, überall flammen die elektrischen Laternen auf und ganz klein auch das Flämmchen drüben in weiter Ferne auf dem österreichischen Kriegsschiffe in Bgjukderi: ein Gruß au* Oesterreich zu Weihnachten l — Horch! Wahrhaftig, der Hornist bläst: „Stille Nacht, heilige Nackt!" Wie Mancher mag eine Ttzräne im Auge zerdrückt haben bei diesen feierlichen Klänge» ,n seltsamer Lage an Bord in türkischer Quarantaine! H. Der Jndiendampfer „Titania" fuhr am 18. Drcember von Port Said ab, daS die Lloydofficiere die „HauSthüre" nennen, wenn sie auf der Heimreise begriffen find, denn nun ist S nicht mehr „weit" bis zum schönen Tnest. Fahrplanmäßig wird die „Titania" am 25. Drcember vormittags am Molo San Carlo beidrehen, indem sie die vorgeschnrbene Fahr aeschwindigkeit von 12 Meilen in der Stunde einhält. Gar Mancher der Schiffsbesatzung mochte dem Schiffe Flügcl wünschen; sehnte sich dock eigentlich Alle» heim, und zwar möchte Jeder am liebsten schon am „heiligen Abend" im Kreise der Familie sein. Die Heizer sahen mit Betrübniß den Zeiger d»S Kraftmesser* an der Maschine auf mvrr» torra stehen, und mit dieser Schneckenpost wird Trieft am heiligen Abneb nicht mehr erreicht. Dir elektrische Signalklinael ertönt im Maschinenraumr und gleich darauf ist der Befehl da: „0ov tun» fori»-,
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